Was nun, Herr Drewermann?

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    L o t h a r G a s s m a i jn / J o h a n n e s L a n g e

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    A n f r a g e n a n d i et i e f e n p s y c h o l o g i s c h eB i b e l a u s l e g u n g

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    Lothar Gassmann/Johannes Lange

    W as n u n ,H e r r D r e w e r m a n n ?Anfragenan die tiefenpsychologischeBibelauslegung

    Verlag derLiebenzeller MissionLahr

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    Die Deutsche Bibliothek - CIP-EinheitsaufnahmeWas n u n , H e rr D r ew e r m a n n ? : Anfragen an die tiefenpsychologischeBibelauslegung / Lothar Gassmann ; Johannes Lange. -Lahr : Verl. der Liebenzeller Mission, 1993(TELOS-Bcher ; 7642 : TELOS-Taschenbuch)ISBN 3-88002-532-0N E: Gassmann, Lothar; Lange, Johannes; GTISBN 3-88002-532-02. Auflage 1993TELOS-BcherTELOS-Taschenbuch 77642Alle Rechte vorbehalten auch der auszugsweisen Wiedergabe undFotokopie Copyright 1993 by Edition VLMim Verlag der St.-Johannis-DruckereiUmschlaggestaltung: Grafisches Atelier Arnold, Dettingen/ErmsHerstellung: St.-Johannis-Druckerei, 77933 Lahr/Schwarzwald11620/1993

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    InhaltBibellesen wie D r e w e r m a n n ? 5Ein berblick ber die tiefenpsychologischeInterpretation (Johannes Lange)Von Origeneszu D rew erm ann 21Anliegen und Problematik einer spirituellenBibelauslegung (Lothar Gassmann)Traum oder W ort? 40Drewermanns Offenbarungsverstndnis und derbiblische Kanon (Lothar Gassmann)D r e w e r m a n n und die R e l i g i o n e n - 55Synthese oder Konfrontation? (Lothar Gassmann)D r e w e r m a n n und der Auferstan den e 64Ein Beispiel tiefenpsychologischer Bibelauslegung(Johannes Lange)D r e w e r m a n n und die B i b e l - 96Eine Gegenberstellung (Lothar Gassmann)

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    Bibel lesen wie Drewermann?Ein berblick ber die tiefenpsychologischeInterpretationIn den letzten Jahren sorgte der Paderborner katholischePriester und Psychotherapeut Eugen Drewermann frSchlagzeilen in den ffentlichen Medien. Ihm war wegenseiner abweichenden Lehrmeinungen die kirchlicheLehrerlaubnis entzogen und ein Predigtverbot erteiltworden. Schon lange bt er auf viele Menschen innerhalbund auerhalb der Kirchen eine groe Faszination aus.Diese Faszination besteht vor allem in der neuen Art undWeise, wie er dem modernen Menschen die Bibel nahe-zubringen und ihm einen persnlichen Zugang zu er-schlieen versucht. Der neue Ansatz Drewermannsheit: Tiefenpsychologische Bibelauslegung. Wie siehtdieses Programm der tiefenpsychologischen Bibelausle-gung aus, und was verbirgt sich dahinter?

    D ie Krit ik an der h is tor isch-kr it ischen Bibe lw isse n scha ftDrewermanns Programm setzt bei einer scharfen Kritikan der historisch-kritischen Bibelwissenschaft ein. Derentscheidende Vorwurf, den er gegen sie erhebt: Siebemhe sich nur um die Rekonstruktion der uerenFakten vergangener Ereignisse und berlieferungsvor-gnge und beschrnke sich so einseitig auf den Bereichdes Rationalen. Sie klammere bewut den Bereich derGefhle, des Irrationalen, Subjektiven und damit einenwesentlichen Bestandteil der menschlichen Lebenswirk-

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    lichkeit aus. Ja, damit sei gerade der Bereich ausge-schlossen, in dem sich das eigentlich religise Leben desMenschen abspiele. Infolgedessen gingen von der histo-risch-kritischen Exegese (= Bibelauslegung) auch keineImpulse fr den persnlichen G lauben aus. Der Auslegerdrfe seine eigenen Em pfindungen, inneren Spannungenund persnlichen Fragen bei seiner Ttigkeit nicht miteinbringen. Eine solche persnliche Beschftigung mitde r Bibel knne er durchaus privat pflegen, aber nicht alswissenschaftlicher Exeget (= Ausleger). Demgegenbererhebt Drewermann mit seinem Programm der tiefenpsy-chologischen Exegese den Anspruch, da eben diese beider historisch-kritischen Exegese ausgeschlossenen Funk-tionen der menschlichen Seele nun den ihnen gebhrendenPlatz bei der Bibelauslegung erhalten sollen - und diesauch noch in Gestalt einer wissenschaftlich brauchbarenMethode! Ziel der tiefenpsychologischen Exegese ist es,einen neuen, unmittelbaren Zugang zu den biblischenTexten zu gewinnen m ittels einer umfassenderen M eth o-de religisen Verstehens.1

    D a s Program m der tiefen psych ologisch en ExegeseWenn Drewermann auch eine solche scharfe Kritikgegen die historisch-kritische Exegese vorzubringenwei, so bedeutet dies fr ihn jedoch keineswegs einegrundstzliche Ablehnung der historischen Kritik. ImGegenteil, die Ergebnisse der historischen Kritik sind frseine tiefenpsychologische Exegese von grundlegenderBedeutung: Gerade indem die historische Kritik frzahlreiche Erzhlungen der Bibel gezeigt hab e, da diesenicht als Berichte von faktisch geschehenen Ereignissen

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    zu verstehen seien, sondern als Mythen, Sagen, Legen-den etc., habe sie der tiefenpsychologischen Exegese dasFeld geffnet.Die historisch-kritische Methode hatte darin voll-kommen rech t, die Mythen und Legenden in ihrer ue-ren Gestalt auch in der Bibel zu zerstren , indem sie ihremangelnde Historizitt (= Geschichtlichkeit, d. Verf.)nachwies; ein ueres Festhalten an den Themen derMythen und Legenden in einem miverstandenen histo-rischen Sinne liefe in der Tat auf eine bornierte Starre,auf eine krampfhafte Verleugnung der besten Einsichtendes 19. Jahrhunderts hinaus . . .2 So begrt Drewer-mann sogar die radikale historische Kritik Rudolf Bult-manns.3Whrend die historisch-kritische Exegese solche Texteallerdings als unhistorisch auerhalb oder an den Randihres Interesses rcke, seien sie fr die tiefenpsychologi-sche Sichtweise gerade von zentraler Bedeutung. Dennin der Tiefenstruktur solcher Texte spiegelten sich, inBildern und Symbolen verdichtet, typisch menschlicheLebenssituationen und -prozesse wie Generationenkon-flikte, das Verhltnis der Geschlechter, die Wandlungdes Menschen in seinen Lebensphasen, die Fragen nachLeid, Glck und Tod, nach dem Sinn des Lebens, derGeschichte und der W elt etc. Das primre Interesse der

    Exegese habe nicht den Worten, sondern eben diesenBildern und Symbolen zu gelten, weil in diesen dieeigentlichen religisen Grunderfahrungen des Menschenzum Ausdruck km en. Nach der evolutionistischen Sichtdes Menschen, die auch D rewermann teilt, gelte es hier,dem einfachen Tatbestand Rechnung zu tragen, da dieReligion frher ist als die Sprache und da Jahrhundert-tausende vergangen sind, in denen die menschliche Psy-

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    ehe in Bildern und Symbolen dachte, ehe der Sprach-erwerb, vermutlich aus Ritus und Musik, als Spterfolgder Hominisation (= der Entwicklung vom Tier zumMenschen, d. Verf.) zustande kam.4Die tiefenpsychologische Exegese sieht nun ihre Auf-gabe darin, diese in den biblischen Texten befindlichenBilder und Symbole herauszuarbeiten. Dabei geht sie inAufnahme des tiefenpsychologischen Ansatzes vonC. G. Jung von der Voraussetzung aus, da alle Men-schen zu allen Zeiten und Orten in der tiefsten Schichtihres Unbew uten an einem gemeinsamen groen Schatzvon Urbildern und Symbolen, den sogenannten Arche-typen , teilhtten . Im U nterschied zu dem individuellenUnbewuten jedes einzelnen bildeten diese Archetypendas kollektive Unbewute, dessen Niederschlge sichin den Trumen, Mythen, Sagen, Legenden etc. allerVlker fnden.Um diese archetypischen Urbilder und Symbole zuerforschen, widmet sich die Tiefenpsychologie derTraumforschung, weil im Traum der Ursprung allensymbolischen Erlebens zu finden sei. Die Traumpsy-chologie bilde den Universalschlssel zum Verstndnisaller wichtigen religisen Phnomene5. Denn derTraum sei der Vater aller Dinge, die fr die Religionbelangvoll sind6. Im Traum verschmlzen die Inhaltedes individuellen U nbew uten mit denen des kollektivenUnbewuten, und beide Ebenen kommunizierten hiermiteinander.Der Traum sei auch der Ursprungsort fr zahlreicheVorstellungen ber Geister, Dm onen, Ahn en un d G e-spenster. Diese seien oft die in personifizierter Gestalterscheinenden Teile des Seelenlebens, die bisher vomwachen Bewutsein verdrngt wurden.7 Zum Beispiel

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    bei der Auslegung der Heilung des besessenen Gerase-ners (Mk 5,1-20) versteht Drewermann den Namen derDmonen Legion als Ausdruck der inneren Zerrissen-heit der Persnlichkeit. Man darf annehm en, da es vorallem diese Erfahrung innerer Zerrissenheit und Ausge-liefertheit ist, die als Kern dessen gelten m u, was in derBibel als >Besessenheit< beschrieben wird . . .8 Folge-richtig ist fr Drewermann die praktizierte Magie dannim Ansatz gewissermaen nur die praktische Darstel-lung des Traumerlebens, eine ritualisierte Ausfhrungtraumhafter Bilder und Zusammenhnge9.Wenn nun die tiefenpsychologische Exegese die in denbiblischen Texten enthaltenen archetypischen Urbilderund Symbole dem Leser erschliet, so werden die imUnbewuten des Lesers vorhandenen archetypischenUrbilder und Symbole geweckt und angeregt. Dadurchentsteht auf einer tieferen seelischen Ebene ein Zusam-menklang, und der Leser bekommt auf diese Weise einentiefen persnlichen Zugang zu den biblischen Texten,der auch die Emotionen und das subjektive Erlebenumfat. Indem so bei der tiefenpsychologischen Ausle-gung die Tiefendimension des biblischen Textes mit denTiefenschichten der Psyche des Lesers zusammentreffeund diese bewutmache, empfange er Verstndnishilfenund Impulse fr seinen eigenen Selbstwerdungsproze.Denn die Identitt des Menschen ruhe jetzt auf einerbreiten psychischen Basis, weil er auf diese Weise ihmvorher unbewute psychische Krfte in sein Bewutseinintegrieren und sich so der Ganzheit seines Menschseinsnhern knne. Es geht darum, den jeweiligen Text vonsich selbst her nachzutrumen und nachzuempfinden, bisdas gleiche Symbol, die gleiche Vision aus seiner eigenenSeele hervorgeht. Nicht mit etwas Fremdem, sondern stets

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    mit dem Eigenen seiner Psyche wird er am Beispiel einervon auen an ihn herangetragenen Erzhlung konfron-tiert. Der Text wird zur Brcke, zur Vermittlung desLesers mit sich selbst. . .'"Es sind nach C G . Jung bestimmte archetypischeUrbilder, die diesen Selbstfindungs- und Selbstwer-dungsproze begleiten: der Schatten, der das zu be-wltigende Problem der abgelehnten negativen Bestand-teile der eigenen Persnlichkeit umfat; Anima undAnimus, die jeweils andersgeschlechtliche Mglich-keit in der eigenen Person, die es zu erkennen undbew ut anzunehm en gilt; das Selbst, das anzustreben-de Ziel der ganzheitlichen Persnlichkeit, die alle Aspek-te bewut integriert hat.

    In diesem Zusammenhang besteht ein wichtiger me-thodischer Schritt der tiefenpsychologischen Exegeseda rin , da man den Bibeltext auf der sogenannten Sub-jektstufe auslegt. Auf der Subjektstufe werden alle imBibeltext vorkommenden Situationen, Geschehnisseund Personen als personifizierte Teilaspekte und Vor-gnge innerha lb der Seele einer Person gedeu tet, die ausdem kollektiven Unbewuten stammen. Dabei ist dasIch mit der Hauptfigur der Erzhlung zu identifizieren,der alle anderen psychischen Teilaspekte zugeordnetsind . So sind zum Beispiel Esau als der Schatten in derPsyche Jakobs oder Adam und Eva als der jeweilsgegengeschlechtliche Teil der Seele, Animus undAnima, zu verstehen". Und Jesus etwa verkrpertinnerhalb der eigenen Seele den Archetypus desSelbst.

    Dem Vorwurf, Gott werde bei dieser Art de r Bibelaus-legung letztlich zu einem Teil des Unbewuten, hltDrewermann entgegen: Gott ist eine eigenstndige Per-

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    son als Gegenber zum Menschen, denn das ist eineunabdingbare Notwendigkeit fr die Personwerdung desMenschen. Gott sei jenseits des Meeres des Unbewu-ten. Aber um zwischen Gott und den Gttern derPsyche zu unterscheiden, bedarf es der Tiefenpsycholo-gie als eines diakritischen Erkenntnisorgans der Theo-logie . . .12Drewermann ist davon berzeugt, da G ott offenbaralles dem Menschen zum Heil Notwendige an Symbolenin die Seele gelegt hat und diese Bilder >nur< durch einentsprechendes personales Vertrauen (zu Gott, d. Verf.)geweckt zu werden brauchen, um dem Bewutsein offen-bar zu werden13.Die tiefenpsychologische Sichtweise bringt es mit sich,da der Vergleich mit anderen Religionen eine entschei-dende Rolle spielt. Das Christentum solle von den heidni-schen Religionen lernen, um den Sinngehalt und dieArchetypik der eigenen Glaubenssymbole tiefer zu verste-hen14. Es solle die fremden Religionen wie einen lebendi-gen Kommentar zu der eigenen religisen berliefe-rung . . . lesen'5. Zugleich solle es in einer immer engerwerdenden Welt im K onzert der Religionen seinen eige-nen zentralen Gedanken - die absolute Bedeutung desIndividuums, der Personalitt und der Freiheit - alsbleibend wahres Vermchtnis fr alle Zeiten mit ein-bringen16.

    Im Licht der Bibel bese h en

    So beachtenswert das Anliegen D rewermanns m it seinertiefenpsychologischen Exegese ist, den Bibelleser zueinem ganzheitlichen Betroffensein durch die biblischen

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    Texte zu fhren, so bedenklich ist doch dieses Pro-gramm.1. Indem Drewermann die vermeintlichen Nachwei-se der historischen Kritik bernimmt, da das in denbiblischen Texten Berichtete nicht faktisch so auch ge-schehen sei, ist er bereits nicht mehr Anwalt der Bibel,sondern setzt sich in Widerspruch zu deren eigenenAussagen. Und wenn er im Zuge dessen behaup tet, daein Gegensatz zwischen der ueren faktischen W irklich-keit und der inneren Wahrheit bestnde, so verfehlt erebenfalls die biblische Sichtweise. Denn nach biblischemVerstndnis grndet die gottgesetzte innere Wahrheitgerade in dem ueren faktischen, wirklichen Hande lnGottes in Raum und Zeit. So hngt zum Beispiel dieganze innere Wahrheit des Evangeliums von JesusChristus an seiner faktisch geschehenen leiblichen Auf-erstehung (1. Kor 15,14-20). Imm er wieder betonen diebiblischen Schriften, da die Beziehung des M enschen zuGott auf von Gott gewirkten Fakten beruht und geradevon diesen her der Mensch zum persnlichen Glaubenund Gehorsam gerufen wird (Joh 19,35; 20,20; 2.Petr1,16 ff.; 1. Joh 1,1-4; 2. M ose 20,10 f.; Ps 78,5-8 ; 1. Kor10,1-11).

    Da diese Fakten jedoch von der historischen Kritiknicht als Fakten bewertet werden, darf einen nichtverwundern. Denn die historisch-kritische Forschungklammert methodisch von vornherein die Mglichkeitaus, da G ott von auen in diese W elt eingegriffen habenknn te (methodischer Atheismus). Dieser Vorwurf wirdzwar von vielen kritischen Bibelwissenschaftlern zurck-gewiesen, aber gerade in der Praxis ihrer Argumen-tationsgnge lt sich eben dieser Grundsatz des metho-dischen Atheismus immer wieder nachweisen.

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    2. Befragt man das Neue Testament auf das hin, was esunter Mythos versteht, so besttigt es in der Tat dastiefenpsychologische Verstndnis: Auch im Neuen Te-stament bezeichnet Mythos eine menschliche Vorstel-lung, die in die Gestalt eines ueren Geschehens einge-kleidet ist, ohne aber tatschlich geschehen zu sein. Nundrckt sich aber fr das Neue Testament im Mythos geradenicht die W ahrheit aus, sondern genau deren Gegenteil(2. Tim 4,4; Tit 1,14; 2. Petr 1,16; fr das deutsche W ortFabel steht im Griechischen mythos). Und vor derBeschftigung damit werden wir gewarnt (l.Tim 1,4).Das N . T. knnte nicht sagen, da ein W ort oder eineGeschichte >Wahrheit< enthlt, wenn sie mit der Wirk-lichkeit nichts gemein haben . . . Man steht entweder aufder Seite des Mythos oder auf der Seite der neutesta-mentlichen Wahrheit."

    3. Welche weitreichenden Folgen es mit sich bringt,wenn man bei den biblischen Berichten die Wahrheit vonder Wirklichkeit trennt, zeigt sich an einem weiterenGrundpfeiler der tiefenpsychologischen Exegese: Nachdem Bericht von 1. Mose 2 war der Mensch von Anfangan mit einer vollstndigen Sprache ausgestattet. Wirddieser Bericht nicht mehr faktisch verstanden, dann trittan dessen Stelle ein vermeintlicher einfacher Tatbe-stand evolutionistischer Vorstellungen, da die Spracheerst ein Spterfolg der Entwicklung vom Tier zumMenschen gewesen sei. Und damit wird dann einleuch-tend begrndet, warum es die Theologie im Zentrumnicht mehr mit dem W ort, sondern mit dem Irrationalenzu tun haben soll.

    4. Wenn die tiefenpsychologische Exegese der gegen-wrtigen theologischen Wissenschaft einen einseitigenRationalismus vorwirft, der den M enschen nicht in seiner

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    Ganzheit ernstnehm e, so ist das zunchst eine D iagn ose,die auch der Sicht de r Bibel entspricht. Denn sie erk lrt,da die entscheidenden Probleme, die den Menschen inseiner Ganzheit betreffen - und dazu gehrt wesentlichseine Beziehung zu Gott -, nicht mit den Mitteln einesautonomen, eigenwilligen menschlichen Verstandes zubewltigen sind (Spr 3,5; l .K o r 1,19-21; 3,19 f.; Eph4,18). Und die theologische Wissenschaft operiert weit-gehend mit diesen Mitteln. Wenn die tiefenpsychologi-sche Exegese zur Therapie dieses Notstandes nun aberdie Betonung des Em otionalen und Irrationalen verkn-det, so verlt sie wiederum den biblischen Boden.Denn nach biblischer Sicht bedarf der menschlicheVerstand nicht der Ergnzung durch Emotionen, Irratio-nalitt etc., um den Menschen in seiner Ganzheit zuerfassen, sondern er bedarf der Bue und der Erneuerungdurch den Geist Gottes. E r mu total der Herrschaft JesuChristi unterstellt werden (2. Kor 10,5; Eph 4,23). Dannkann die Theologie zu einer ganzheitlichen Sicht desMenschen finden, weil sie endlich mit der konkretenRealitt Gottes in allen Lebensbereichen rechnet. Dannist das Wort, mit dem sie umgeht, nicht mehr leer,sondern lebenschaffend (Joh 6,63; Rom 1,16; l.Kor1,18) und wirksam (Hebr 4,12f). Und eben das Wort istes, aus dem der Glaube kommt, er kommt nicht ausBildern, Symbolen, Emotionen etc. (Rom 10,17).Im Neuen Testament werden wir nirgends aufgefordert,uns unseren eigenen Em otionen und Eindrcken hinzuge-ben oder in uns hineinzuhorchen. Davon ist nichts G uteszu erwarten (M atth 15,19; Rom 7 ,18). Vielmehr werdenwir eindringlich e rm ahnt, wachsam und nch tern zu sein,zu prfen (1. Thess 5,6.8.21; 2. Tim 4,5; Ep h 6,18; 1. Joh4,1) und in einem durch Gottes Geist geheiligten Ver-

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    stand zu wachsen (Rom 12,1-3; 1. Kor 14,20; 2. Tim 1,7;Kol 1,9; Hebr 5,14; Jak 1,5). Innerhalb dieses Rahm enshaben dann durchaus auch Emotionen ihren Platz (z. B .Phil 4,4; 2. Kor 2,4). Wo der Mensch sein Leben nichtunter der Herrschaft eines von Gott geprgten, nchter-nen Verstandes fhrt, fllt er seinen eigenen Begierdenanheim (Rom 6,12; 1. Petr 2,11; Eph 4,22; Jak 1,14 f.).Ja, er kann unter Umstnden sogar unter den Einfludmonischer Mchte geraten (1. Petr 5,8; s. u .) .5. Wenn die tiefenpsychologische Exegese darum be-mht ist, die in der menschlichen Psyche schlummerndenreligisen Anlagen zu wecken, anzuregen und zu kulti-vieren, so wird dies niemals zu einer Verbindung mit dembiblischen Gott und Jesus Christus fhren. Eine solcheBemhung verkennt die grundlegende biblische Lehrevon der totalen Verdorbenheit des Menschen durch dieSnde (l.Mose 8,21 u.v.a.). 1 8Nach dem Programm der tiefenpsychologischen Exege-se erscheint die Seele des sndigen Menschen als Offenba-rungsquelle Gottes, die nur entsprechende Anregung be-ntigt! Nach dem Neuen Testament ist die Religiosittdes natrlichen Menschen aber imm er pervertiert undendet im Gtzendienst (Rom 1,18 ff.).6. Wenn Drewermann die biblischen Inhalte alsBrcke zur Vermittlung des Lesers mit sich selbstversteht, so bekennt er damit, da es ihm im letzten umden M enschen selbst geht und nicht um dessen Hinord-nung auf Gott, zu dessen Ehre er leben soll (Jes 43,7; Eph1,12).Das zeigt sich auch daran, da die Annherung anGott an die Selbstfindung des Menschen gekoppelt wird.Die Bibel dagegen spricht davon, da der Mensch nurdurch Sterben und Neuschpfung in die Verbindung zuGott gelangen kann (Rom 6,1-14; 2. Kor 5,17; Gal 5,24)

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    und die Nachfolge Christi nicht Selbstfindung, sondernSelbstverleugnung bedeutet (Mk 8,35).Auch die von Drewermann vertretene Auffassung,da G ott als Gegenber zum M enschen eine eigenstndi-ge Person ist, kann hier keine Abhilfe schaffen. D en n erstellt sich Gott letztlich nur deswegen als Person vor, weildas fr die Selbstwerdung des Menschen notwendig ist.Da der Mensch selbst und nicht sein Gehorsam undGottes Ehre im M ittelpunkt stehen , zeigt sich auch dar in ,da der zentrale Gedanke des Christentums im Vergleichzu den anderen Religionen in der absolute(n) Bedeu-tung des Individuum s, der Personalitt und der Freiheitgesehen wird und nicht mehr in der gndigen Erlsungdes gefallenen Menschen durch den stellvertretendenTod Jesu Christi.7. Wer in der Heiligen Schrift den Niederschlagmenschlich-religiser Erfahrung sieht, bersieht, da sieeben nicht nur Menschenwort, sondern Gottes eigenesWort im Menschenwort ist. Die Schreiber der Bibelschpften nicht aus ihrem eigenen Inneren oder auseinem allen Menschen gemeinsamen Schatz in der tief-sten Schicht der Seele, sondern sie standen unter derLeitung des Heiligen Geistes Gottes (1. Kor 2,12; 2. Petr1,19-21; 1. Petr 1,10-12 u. v. a .) . Sie wuten sich scharfabzugrenzen von dem, was blo menschlichen Ursprungsist (2. Petr 1,16.20 f.; Gal 1,12; Kol 2,8).8. Zu einer vollends problematischen Angelegenheitwird die tiefenpsychologische Exegese, wenn man ein-mal ihren Wurzeln nachsprt. Ihr geistiger Vater ist imwesentlichen C. G. Jung. Leider ist es noch wenigbekann t, wie C. G. Jung zu seinen tiefenpsychologischenAnsichten kam: Er beschftigte sich sein ganzes Lebenlang mit Parapsychologie und Okkultismus.

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    Jung schreibt: So seltsam und zweifelhaft sie mir auchvorkamen, waren die Beobachtungen der Spiritisten frmich doch die ersten Berichte ber objektive psychischePhnom ene . . . Ich las sozusagen die ganze mir damalserreichbare Literatur ber Spiritismus . . . " Spterschrieb er dann seine Dissertation ber von ihm selbstdurchgefhrte spiritistische Experimente mit seiner Cou-sine.20 Er schreibt weiter: Alle meine Schriften sindsozusagen Auftrge von innen her, sie entstanden untereinem schicksalhaften Zwang. W as ich schrieb, hat michvon innen berfallen. Den Geist, der mich bew egte, lieich zu W orte kommen.21 Es war ein Dmon inmir, undder war in letzter Linie ausschlaggebend.22Im Jahre 1916 versprte ich einen Drang zur Gestal-tung: Ich wurde sozusagen von innen her gezwungen . . .So kamen die >Septem Sermones ad Mortuos< (SiebenReden an die Toten, d. Verf.) zustande. Es beganndamit, da eine Unruhe in mir war . . . Es war eineseltsam geladene Atmosphre um mich herum, und ichhatte das Gefhl, als sei die Luft erfllt von gespensti-schen Entitten (Wesenheiten, d. Verf.). Dann fing esan, im Hause zu spuken. Die Luft war dick, sage ichIhnen! Da wute ich: Jetzt mu etwas geschehen. Dasganze Haus war angefllt wie von einer Volksmenge,dicht voll von Geistern . . . Dann fing es an, aus mirherauszufliegen, und in drei Abenden war die Sachegeschrieben . . . So bildeten die >Septem Sermones< eineArt Vorspiel zu dem, was ich der Welt ber das Unbe-wute mitzuteilen hatte: eine Art von Ordnungsschemaund Deutung der allgemeinen Inhalte des Unbe-wuten.23

    Die Lehre Jungs ber das kollektive Unbewute und dieArchetypen entstammt also okkulter Inspiration (vgl.

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    1. Tim 4 ,1)! Da eine Methode der Bibelauslegung, diesich aus solchen Quellen speist, dem rechten Verstehender Bibel nicht frderlich sein kann, bedarf eigentlichkeiner weiteren Errterung - geschweige denn, da sieals diakritisches Erkenntnisorgan der Theologiebrauchbar wre.Hier erweist es sich als verhngnisvoll, wenn die tiefen-psychologische Exegese auch darin der Bibel nicht folgt,da Satan und die Dmonen personale Realitten sindund diese z. B. in Schamanismus und Magie massiv amWirken sind (Eph 2 ,2; 6,12; Joh 8,44; Apg 16,16; 1. Kor12,2). Statt dessen werden Realitten durch eine psycho-logische Rationalisierung verharmlost, zu bloen Inhal-ten der Psyche erklrt und einfach auf das Trumenzurckgefhrt. (Zum Einsetzen der Exegese bei derTraumforschung vergleiche man im brigen Jeremia23,28; 1. Thessalonicher 5,6-8!)9. Nur aufgrund dieser Verharmlosung ist es der tiefen-psychologischen Exegese auch mglich, als wesentlichenBestandteil ihres Vorgehens die anderen Religionen alseinen lebendigen Kom mentar zur Bibel heranzuziehen.Auch hier beachtet sie die biblische Lehre nicht. Denndie Hinwendung zu dem biblischen Gott und der radikaleBruch mit allen anderen Religionen dieser W elt gehrenunauflslich zusammen (5. Mose 12,30; Jer 10,2; 1. Thess1,9; l.Kor 10,21; 2. Kor 6,14-16; Eph 5,7-11; Kol 2,8;l.Petr 4,3 f.). Jeder Vergleich mit anderen Religionenmu ernstnehmen, da Satan der Frst dieser Welt (Joh12,21; 2. Kor 4,4) und in den anderen Religionen amWerke ist (Eph 2,2 f.; 1. Kor 10,20 f.; 12,2). Von daherdarf es nicht verwundern, wenn man in Jungs okkulterPsychologie hnliche Phnomene wie in anderen Reli-gionen findet, gehren sie doch dem gleichen Herr-

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    Schaftsbereich an . Wenn man in der Religionsgeschichtehnliche Phnomene wie in der Bibel beobachten kann ,so knnen diese einerseits ein Hinweis auf die Ahnungund Sehnsucht der Geschpfe nach ihrem Schpfer sein,wobei sich in der Art und Gestalt dieser Phnomenezugleich die Snde und die geistliche Blindheit desgottlosen Menschen zeigt (Rom 2,14 f.; 8,19-22;1,19-23).Andererseits knnen solche hnlichkeiten eindmonisches Nachffen des Handelns Gottes darstellen(vgl. 2.Thess 2,4 ; 2. Mose 7,11 f.; 22; 8,3; Mt 24,24; Joh8,44; 2 . Kor 11,14).

    SchluEin evangelisches Gemeindeblatt bewertet das WerkDrewerm anns, das in ber 1400 Seiten ein geschlossenestheologisches und methodisches Konzept einer tiefen-psychologischen Exegese vorstellt, so , da er ein neuesKapitel in der Geschichte der Theologie aufgeschlagenhabe.24 Gegen Ende seiner Ausfhrungen fordert Dre-wermann, die Exegese mte . . . dazu beitragen, imHintergrund der zahlreichen Analogien zwischen denGlaubensvorstellungen der verschiedenen Religionendie archetypischen Wurzeln der Religionen herauszuar-beiten und entgegen der berheblichkeit des altenchristlichen Sendungsbewutseins eine universelle Hr-und Lernbereitschaft gegenber den fremden Religionenvorzubereiten.25 Damit erweist sich Drewermann alseiner der erfolgreichsten Importeure von Gedankengutdes New Age in das Christentum. - Bibellesen wie Drewer-mann? Nein!

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    Anmerkungen1 Drewermann, Tiefenpsychologie und Exegese, Bd. I. Die W ahrheitder Formen . Traum , Mythos, Mrchen, Sage und Legende. lten/Freiburg 31985 (1 . Auflage 1984!), S. 21-27.2 Drewermann I, S. 963 Drewermann, Tiefenpsychologie und Exegese, Bd. II. Die Wahr-heit der W erke und W orte. Wunder, Vision, Weissagung, A poka-lypse, Geschichte, G leichnis. O lten/Freiburg 21986 ('1985), S. 774.Im folgenden werden die beiden Bnde gekrzt mit I und IIangegeben.4 I, S. 16, vgl. S. 3755 I, S. 1006 I, S. 1557 I, S. 1218 II, S. 2659 I, S.12710 I, S. 384 f.

    11 So legt brigens auch Christa Meves 1. Mose 3,1-24 in ihrem Buchaus: Die Bibel antwortet uns in Bildern. TiefenpsychologischeTextdeutungen im Hinblick auf Lebensfragen heute. Freiburg,31973, S. 14-24.12 II, S. 76913 II, S. 77514 II, S. 77915 II, S. 78716 II, S. 77917 G. Sthlin, Artikel mythos; in Theologisches Wrterbuch zumNeuen Testament, Bd. IV, S. 793.18 Genau in der gleichen Linie liegt es, wenn D rewermann dieErbsnde in das Problem der Angst hineininterpretiert (I I, S. 777 ).19 Erinnerungen, Trum e, G edanken von C . G. Jung, hg. von A .Jaffe, Olten/Freiburg, 1984, S. 106; zitiert nach E. Nannen Psycho-logie im Lichte der Bibel, Professor Dr. C. G . Jung, in Bibel undGemeinde, 1/1986. Im folgenden abgekrzt Jung. Die Seitenzah-len weisen auf den Fundort im Original hin.20 Jung, S. 11321 Jung , S. 22522 Jun g, S. 35823 Jung, S. 193-195

    24 H . K eil, Der Irrweg der historisch-kritischen M ethode; in: Evangeli-sches Gemeindeblatt fr Wrttemberg 30/1985, S. 9.25 II, S. 786

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    Von Origenes zu D rew erm an nAnliegen und Problematik einer spirituellenBibelauslegungAm Ende des zweiten Bandes seines grundlegendenW erkes Tiefenpsychologie und Exegese macht EugenDrewermann ein bemerkenswertes Eingestndnis. Erschreibt:Die Einwnde, die blicherweise gegen eine tiefen-psychologische Schriftauslegung geltend gemacht wer-den (Gnosisverdacht, Enthistorisierung des Christen-tums, regressive Wirklichkeitsverleugnung, individuali-stische Engfhrung, Preisgabe des Specificums des Chri-stentums) haben wir in der vorliegenden Arbeit, so gutwir konnten, zu beantworten versucht. Ein Einwandaber existiert, den wir uns selbst vorlegen mssen undden wir ehrlicherweise nicht widerlegen knnen, weil ergeschichtlich bedingt ist und nur durch die Geschichteselbst beantwortet werden kann. Mit einer gewissenBerechtigung kann man sagen, da die tiefenpsychologi-sche Hermeneutik religiser Symbole ihre Notwendig-keit und ihr Ziel darin besitzt, eine Glaubensform, dieihren Halt in der ueren Wirklichkeit zu verlierendroh t, von innen her, mit psychologischen A rgum enten ,neu zu stabilisieren . . .

    Auf diesen sehr berechtigten Einwand knnen wir nurantw orten, da wir die religise Situation der Gegenwartnicht geschaffen haben und sie jedenfalls so annehmenmssen, wie sie ist. Die Naivitt einer Frmmigkeit, wiesie vor der Aufklrungszeit und vor der nachfolgendenhistorischen Bibelkritik bestand, lt sich ein fr allemal

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    nicht mehr wiederherstellen: Weder lt der alte Wun-derglaube noch der dingliche Realismus einer unsym bo-lischen Rezeption der mythischen Bilder in ihrer pro jek-tiven uerlichkeit sich wiederherstellen, und insofernbleibt gar nichts anderes brig, als die Kunst symbolisti-scher Deutungsverfahren wiederzuerlernen.Es ist dies der Punkt, an dem wir scheinbar an die a lteLehre des ORIGENES vom dreifachen Schriftsinn an-knpfen, und es lt sich nicht leugnen, da es gewissegemeinsame Anliegen und Berhrungspunkte zwischender alten Vterexegese - einer spten Blte der altgypti-schen Verliebtheit in Bilder und Ewigkeit - und dertiefenpsychologischen Hermeneutik gibt.1 - Soweit Eu-gen Drewermann.

    Hier ist der Kern von Drewermanns Prinzip der Schrift-auslegung genannt: die Freiheit, von einem mehrfachenSchriftsinn her ber den vorfindlichen Bibeltext hinauszu-gehen zu einer symbolistischen - oder allgemeinerformuliert: spirituellen - Deutung, wie sie sich bereits beiOrigenes und anderen Vorlufern Drewermanns findet.Bei Drewermann wird diese spirituelle Dimension mitErkenntnissen der Tiefenpsychologie (besonders C. G.Jungs) gefllt (tiefenpsychologische Exegese).Dabei ist zu beachten, da Drewermann keineswegsde r einzige ist, der diesen Weg beschreitet. E ine spiritu-elle Interpretation der Bibel ist heute bei unterschiedli-chen Strmungen in Gebrauch , etwa in esoterischen undanthroposophischen Kreisen2 oder bei Vertreterinnende r feministischen Theologie3. Obw ohl sich deren Ergeb-nisse im einzelnen unterscheiden, ist doch der methodi-sche Ausgangspunkt derselbe: die Behauptung einesmehrfachen Schriftsinns und die daraus abgeleitete Frei-heit zu einer eigenwilligen Deutung der Schrift.

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    Hier stellt sich die Frage: Ist die Anknpfung an diealexandrinische Lehre vom mehrfachen Schriftsinn wirk-lich ein Ausweg, um die Bibel angemessen zu verstehen?Oder ist es ein Irrweg, der von den zentralen Aussagen derSchrift wegfhrt-hin zu frei assoziierender Spekulation?Im folgenden untersuchen wir diese grundlegendeFrage durch einen Einblick in die bereits seit Jahrhunder-ten gefhrte Diskussion. Ihre Beantwortung kann unshelfen, den methodischen Ansatz Drewermanns undseine Problematik von den Wurzeln her zu erkennen.D a r s t e l l u n g d e r s p i r i t u e l l e n I n t e r p r e t a t i o n

    Die altgyptische Mysterienreligion kennt einen dreifa-chen Schriftsinn:1. Briefschrift (epistolographisch);2. Tempelschrift (hieratisch);3. Einweihungsschrift (hieroglyphisch).Hierzu der Kommentar des Clemens Alexandrinus:Die erste Art von Buchstaben ist die im Leben ge-bruchliche, dann folgt die symbolische Schrift. Diesymbolische Schrift bleibt noch, indem sie dieselbe nach-ahmt, den Dingen der ueren Welt hnlich, aber siegeht dazu ber , einen geistigen Sinn auszusprechen, undschlielich nimmt sie, gleichnishaft werdend, Rtselge-stalten in sich auf.4Auch die jdische Kabbala spricht von einem dreifa-chen Schriftsinn bzw. einer dreifachen Hlle der Tho-ra: Die Erzhlungen sind ihr Kleid; die aus ihnenhervorgehende Moral ist ihr Krper; der verborgenegeheimnisvolle Sinn endlich ist die Seele der Thora! D ieToren halten die Erzhlungen selbst schon fr den

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    Krper der Thora und dringen nicht tiefer ein. DieVerstndigen sehen auch noch auf das, was dieses Kleidum schliet. Die wirklich Weisen aber blicken ganz alleinauf die Seele der Thora.5Bedeutsames Vorbild fr die spirituelle Bibelausle-gung ist der Alexandriner Origenes (ca. 185-254). Orige-nes seinerseits war wiederum von den gyptischen My-sterien sowie (ber Philo) von der jdischen Kabbala undder platonischen Philosophie (v. a. Trichotomie) beein-flut.6 Auch er vertritt einen dreifachen Schriftsinn, dener so definiert: Der Einfltige mag sich erbauen amFleische der Schrift (so wollen wir die buchstblicheAuffassung nenn en); der schon Fortgeschrittene an ihre rSeele; der Vollkommene aber . . . an dem geistigenGesetz, das die Schattenbilder von den zuknftigenGtern gibt. Denn wie der Mensch aus Leib, Seele undGeist besteht, so auch die nach dem gttlichen Haushaltden Menschen zum Heil verliehene Schrift.1Die drei Schriftsinne nach Origenes werden auchbezeichnet als1. historischer (Leib),2. moralischer (Seele),3. mystischer (Geist)- wobei in der Auslegung 3. vor 2. kommt. Denn - sokommentiert J. Pietron - die Auslegung bei Origenesgeht aus von der Geschichte (1.), mht sich um dasM ysterium Christi und damit Gottes (3.) und sucht nachWeisen, das Mysterium im einzelnen Christen Gestaltannehmen zu lassen (2.)8. Der moralisch-seelische er-weist sich somit als Entfaltung des mystisch-geistigenSinns, weshalb man strenggenommen von nur zweiSchriftsinnen reden kann: Auf der einen Seite steht der

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    historisch-buchstbliche, auf der anderen Seite der gei-stige Schriftsinn mit seinen Differenzierungen.9Diese Unterscheidung von Buchstabe und Geistwird hauptschlich mit 2. Korinther 3,6 (Der Buchstabettet, der Geist aber macht lebendig) begrndet. Orige-nes deutet diese Stelle so , da man ber den wrtlichen,buchstblichen, toten Sinn eines Textes hinaus zuseinem lebendigen inneren Geist vordringen msse.10Seine Kernaussage lautet: Die ganze Schrift hat wohl inallen ihren Einzelheiten einen geistigen Sinn, aber kei-neswegs durchgehend einen >leiblichen< (bzw. buchstb-lichen) Sinn.11 G. Ebeling stellt fest: Mit dieser Deu-tung von 2. Korinther 3,6 hat Origenes die Geschichteder Hermeneutik entscheidend bestimmt und die Allego-rese angeblich vom innersten Kern der paulinischenTheologie her legitimiert.12Auch in der Auslegung der sptmittelalterlichen Scho-lastik steht auf der einen Seite der buchstbliche oderhistorisch-grammatische, auf der anderen Seite dergeistige (auch: geistliche) oder allegorisch-mysti-sche Sinn. Letzterer untergliedert sich wiederum in(zumeist) drei Untersinne, so da von einem vierfa-chen Schriftsinn gesprochen wird. Wir veranschauli-chen ihn uns durch das Schema13:

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    Jeder Bibeltext wird somit auf eine vierfache Bedeu-tungsmglichkeit hin befragt, wie sie folgender Merkvers(die sogenannte Quadriga) zusammenfat:Der buchstbliche Sinn lehrt, was geschehen ist, derallegorische, was zu glauben ist, der moralische, was zutun ist, der anagogische, was kommt."

    B e u r t e i l u n g d e r s p i r i t u e l l e n I n t e r p r e t a t i o nOrigenes ha tte die Ansicht vertreten: Die ganze Schrifthat wohl in allen ihren Einzelheiten einen geistigen Sinn,aber keineswegs durchgehend einen >leiblichen< (bzw.buchstblichen; d. Verf.) Sinn.15 Diese Ansicht, auf derdie spirituelle Interpretation beruh t, ist in der K irchenge-schichte von Anfang an auf vielfachen Widerspruchgestoen. Sie hat die Formulierung von Kriterien zurVerhltnisbestimmung zwischen geistigem und buch-stblichem Schriftsinn erforderlich gemacht.Schon zu Lebzeiten des Origenes proklamierte ihmgegenber die antiochenische Exegetenschule grund-stzlich das Festhalten am buchstblichen Sinn des Bibel-worts, auf dem sich dann keineswegs durchgehend,sondern an nur besonders dazu ausgezeichneten Stellender typologische Sinn aufbaut. Wegen ihrer vielfachwillkrlichen Art wurde die allegorische Auslegung . . .nicht nur mglichst vermieden, sondern auch ausdrck-lich bekmpft16.Obwohl Hieronymus (347-419/20) die Deutung desOrigenes von 2. Korinther 3,6 (s. o.) bernahm und wiedieser den geistigen Sinn als Ziel der Auslegung ansah,ging er doch nicht so weit, ihn in allen Einzelheiten derbiblischen Berichte finden zu wollen. Fr Hieronymus

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    gab es auch Stellen, an denen e ine weiterfhrende geisti-ge Auslegung berflssig erschien - nmlich dann,wenn die Geschichte oder Prophetie ganz klar ist undwenn schon in ihr die wahre O rdnung der Dinge sichtbarwird17.Augustin (354-430) stellte die hermeneutische G run d-regel auf, da jede Auslegung Irrtum ist, die denheiligen Schriften einen andern Sinn unterlegt, als dieVerfasser beabsichtigt haben18. Um den von den Verfas-sern beabsichtigten (und damit wahren) Sinn herauszu-finden, gelte es, jede einzelne Stelle der Bibel . . . ausdem Zusammenhang der ganzen (sc. Bibel) heraus aus-zulegen, wobei sich vom Wortlaut her zunchst derSinn der klaren Stellen erschliee. Die klaren Stellenverdichteten sich zur Glaubensregel der Kirche, dienun ihrerseits die Norm zum Verstndnis auch derunklaren Stellen - und somit zur geistigen Auslegung -werde. Die Auslegung msse dabei immer am Gebotder Gottes- und Nchstenliebe als Summe des bibli-schen Zeugnisses - und damit an Christus als M a frdie Liebe - orientiert sein. Wenn durch die Auslegungdie (christliche; d. Verf.) Liebe vermehrt wird, dannkann sie nie letztlich >falsch< sein.19 Im Bild:

    christlicheLiebeLiteralsinn/klare Stellender Schrift

    Spiritualsinn/unklare Stellender SchriftchristlicheLiebe

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    Durch seine Bercksichtigung des Kontextes und seineHochschtzung des Literalsinns durchbrach Augustinden logischen Z irkel, in dem Origenes seine allegorischeAuslegung durch allegorisch ausgelegte Bibelstellen be-grndet hatte.20 Darber hinaus entwand er durch seine -dem gesamtbiblischen Kontext (neben 2. Kor 3 selbstv. a. Rom 5,20-6,11) gerecht werdende - Deutung vonBuchstabe und Geist in 2. Korinther 3,6 als Ge-setz und Gnade den spiritualistischen Exegeten ihrewichtigste Waffe und ebnete dem Schriftverstndniseines Paulus von Burgos und Martin Luther den Weg(s.u.).21Thomas von Aquin (1225-1274) als Vertreter dermittelalterlichen Exegese hielt am vierfachen Schriftsinnfest; er schrnkte den Anwendungsbereich der drei zumsensus spiritualis zhlenden Sinne gegenber dem buch-stblichen jedoch stark ein. Zunchst stellte er fest, dabildhafte Ausdrcke (also Metaphern, Gleichnisse usw.)gar nicht zum geistigen, sondern zum buchstblichenSinn gehren, wo es sich von W ortsinn und Kontext he rum uneigentliche Rede handelt.22 - Zum zweiten forderteer die vllige Bindung des geistigen Sinnes an denbuchstblichen Sinn.23 - Zum dritten lehnte er aus demWissen darum, da der geistige Sinn nie mit absolu-ter Gewiheit erkannt werden kann, da ihm - wieJ. Pietron formuliert - das oft nicht przise Auszudrk-kende, das Verschwebende, das Verbergend-Entbergen-de eignet, den Gebrauch des geistigen Sinns zur theolo-gischen Argumentation ab. Symbolische Theologie istnicht argumentative so zitiert er Pseudodionysius A reo-pagita: Wer theologisch argumentieren will, kann sichnur auf den buchstblichen Sinn berufen.24 - Schlielichwar Thomas der Ansicht: Es gibt nichts, was verborgen

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    an irgendeiner Stelle der Schrift berliefert wird, dasnicht anderswo in Klarheit herausgestellt wird.25 D ergeistige Schriftsinn sei letztlich gar nicht erforderlich,weil nichts Glaubensnotwendiges sub spirituali sensuenthalten ist, was nicht schon irgendwo durch den Lite-ralsinn klar geoffenbart ist26.U nter dem Einflu von Augustin, Thom as und N iko-laus von Lyra (ca. 1270-1349) erarbeitete Paulus vonBurgos (ca. 1351-1435) seine Kriterien zur Verhltnisbe-stimmung von sensus literalis und sensus spiritualis(nachfolgend: sens, lit. und sens. spir.). G. Ebelingfat sie so zusammen:1. 2. Korinther 3,6 geht nicht auf die Unterscheidungvon sens. lit. und spir., sondern auf die Unterscheidungvon altem und neuem Gesetz . . .2. D er sens. lit. gibt nicht nur historia , der sens. spir. gibtkeine nicht auch sonst durch den sens. lit. belegtenglaubensnotwendigen Dinge.3. Gerade als Fundament ist der sens. lit. wrdiger.4. D er sens. lit. enthlt oft unm ittelbar den sens, parabo-licus (vgl. Thomas!).5. Gerade die Universalitt (Verstndlichkeit fr dierdes) gibt dem sens. lit. seine Wrde.6. Beim sens. lit. ist anzufangen, weil er die Prinzipiengibt, also wichtiger ist.7. Nur wo der sens. lit. versagt, ist auf den sens. spir.zurckzugreifen. Dieser Fall tritt ein:a) in parabolischer Redeweise,b) wenn die Schrift selbst auf figrliche D eu tung an-spielt,c) wenn eine G eschichte nicht erbaulich, sondern anst -ig ist.27

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    Die Hermeneutik Martin Luthers (1483-1546) ist An-knpfung und Neuerung zugleich. Wir fassen einigeseiner Erkenntnisse zusammen.In der Auslegung der entscheidenden Stelle 2. Korin-ther 3,6 htten Origenes, Hieronymus, Dionysius undettlich mehr . . . geyrret und gefeyllet28 - augenom-men S. Augustino29, der spricht: Der buchstab istnichts anders denn das GESETZ ON GNADE. Alsomuegen wir wiederumb sagen, das der geyst sey nitanders denn die GNADE ON GESETZ.30In 2. Korinther 3 (Kontext!) schreibe Paulus nmlichnicht von zwei Schriftsinnen (nit ein tuttel von dieentzweyen sinnen), sondern von zweyerlei predigtennoder prediger ampten. Eynis ist des alten testam ents, das

    ander des newen testam ents. Das alte testament predigetden buchstaben, das new predigt den geyst 3I. Infolgeseiner Nichterfllbarkeit durch den fleischlichen Men-schen werde das - auf steinerne Tafeln geschriebeneund an sich geistliche32 (Rom 7,14) - alttestamentlicheGesetz zum ttenden Buchstaben, whrend die in Chri-stus erschienene und durch den Geist in fleischerneTafeln des Herzens geschriebene Gnade Leben undFreiheit bewirke.33 Denn das geschriebene Gesetz ver-mag nicht das Herz zu ndern, whrend der G(eist) dasumwandelnde Geschehen und Vernehmen der gttli-chen Selbstmitteilung ist (G. Ebeling)34.Luther dreht somit die Schriftauffassung des Alexan-driners Origenes um: Nach dem alexandrinischen Ver-stndnis ist die Schrift an sich litera. Geistlich wird sieerst durch die sie erschlieende Methode . . . Umge-kehrt steht es bei Luther im Gefolge Augustins: DieSchrift an sich ist spiritualis. >Litera< wird sie erst durchden gegen sie sich verschlieenden Unglauben.35 Werde

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    die Decke des Unglaubens entfernt (vgl. 2. Kor3,13ff), dann komme es zur Entdeckung des Geistes de rSchrift im Buchstaben. Die Folge: es gibt fr Lutherkeinen mehrfachen Schriftsinn. Der buchstbliche istder geistliche, der geistliche ist der buchstbliche Sinn.Das geistliche Verstehen ist nicht Produkt einer Ausle-gungsmethode, sondern ist Wirkung des Heiligen Gei-stes durch den Glauben36.G. Gloege spricht von einer litera spiritualis, einemGeist-Buchstaben bei Luther: Luthers >Wort< istgeisthaltig; und umgekehrt: Luthers >Geist< wortgebun-den.37 In dieser verwegenen Konzeption Luthersliegt . . . die berwindung des mittelalterlichen D ualis-m us von buchstblicher und geistlicher Auslegung.38 A n

    die Stelle der Nebeneinanderordnung von litera undSpiritus (s.o. das Schema der sptmittelalterlichen Scho-lastik) tritt die berordnung der litera spiritualis alschristologischer Quellsinn ber alle anderen Sin ne , diean jenem auszurichten sind oder - wo das nicht mglichist - nicht gebraucht werden sollten.39 Gloege gebrauchtfolgendes Schaubild40:

    (1) LITERA SPIRITUALIS = GrundsinnQuellsinn KerygmachristologischOffenbarung - Geschichte1(3) TROPO LOGIA = MORALIS = GegenwartssimHauptsinn ExistenzsoteriologischGnade - Snde

    / \(2) Allegoria (4) Anagoge = mglich, aber weder beiekklesiologisch eschatologisch den Aposteln noch bei denKirche - Welt Lohn - Strafe Vtern gebruchlich, da-

    1 her nicht empfehlenswertapplications(Anwendungen der Tropologie)

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    H. Stadelmann formuliert die entscheidende Regel, diesich aus Luthers Hermeneutik ergibt: Der Literalsinn istdie einfache, normale Wortbedeutung,wie der jeweiligeKontext sie sprachlich und geschichtlich nahelegt. Aus-schlaggebend ist jeweils der vom A uto r intendierte undvom gesamtbiblischen Kontext sich nahelegende Wort-sinn. Von daher fordert der Literalsinn, Prosa alsProsa, Geschichtsbericht als Geschichtsbericht, Allego-rie als Allegorie, Bildwort als B ildwort, Poesie als Poesieusw. auszulegen. Nicht von unserem subjektivenSprachempfinden ist dabei auszugehen, sondern vondem Sprachempfinden und Sprachgebrauch des hebr-isch- und griechischsprechenden Menschen zu alt- undneutestamentlicher Zeit41.

    Folgt man dieser Regel, dann bereitet z. B. die Frage,wie die biblischen Gleichnisse oder die in Galater 4,22ffgebrauchte Allegorie zu verstehen sind, kein Problem:Sie sind als Gleichnisse oder Allegorie - und als nichtsanderes - aufzufassen, da der Kontext dies fordert.Paulus verwertet etwa die - in Genesis 16 wrtlich zunehmende - Geschichte von Hagar und Ismael in G alater4,22 ff. mit Bewutsein alsBild, um den unverstndigenGalatern die schwierige Lehre von der Glaubensgerech-tigkeit nherzurcken42. Das Bild ist im Kontext derpaulinischen A rgum entation der Literalsinn; ein wrtli-ches Verstehen wre dort der Spiritualsinn. K. Hollbe ton t: Mit herrlicher Klarheit hat er (Luther) es schonim Jahr 1519 ausgesprochen, da da, wo aus dem Zusam-menhang sich die Bildlichkeit der Redeweise ergibt,dieser bildliche Sinn nicht etwa als ein >uneigentlicher

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    eine Mal eigentlich, das andere Mal bildlich auszudrk-ken, aber es ist doch in jedem Fall nur ein einziger S inn,den er meint.43

    E r g e b n i sW eil Geist und Buchstabe in der Bibel eine un trenn ba reEinheit sind, darf der geistige Sinn nicht neben, sondernm u im buchstblichen Sinn (als Erstsinn) gesucht wer-den. Des weiteren hat sich gezeigt: Eine spirituelleInterpretation darf sich gegenber dem Bibeltext nichtverselbstndigen. Sie mu den unmittelbaren und ge-samtbiblischen Zusammenhang beachten und von denklaren Stellen der Schrift - d. h. von ihrem buchstbli-chen W o rt s in n - ausgehen. W enn sie bei der Interpre ta-tion unklarer oder geheimnisvoller Stellen zu weiter-gehenden Aussagen gelangt, so drfen diese nicht inWiderspruch zum Inhalt der klaren Stellen treten; viel-mehr mu sich die geistige von der buchstblich-wrtlichen Deutung her verifizieren oder falsifizierenlassen. Die spirituelle Interpretation soll Exegese (Aus-legung) des Bibeltextes, keine Eis-egese (Ein-le-gung, Hineininterpretation) sein. Lassen sich ihre A us-sagen nicht am klaren, buchstblichen Wortsinn verifi-zieren, so sind sie nicht zur Argum entation geeignet, daihnen Eindeutigkeit fehlt.

    Diese Zurckhaltung wird von heute einflureichenFormen der spirituellen Interpretation (anthroposophi-sche, tiefenpsychologische und feministische Exegese)nicht gew ahrt. Ihr Selbstanspruch, die Rettun g des Chri-sten tum s, der Religion oder de r Gesellschaft zu bring en ,ist daher uerst kritisch zu beurteilen.

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    A n m e r k u n g e n(HiO = Hervorhebung im Original;HddV = Hervorhebung durch den Verfasser)1 Drewermann 11/1985, 787ff (HiO).2 Vgl. kritisch hierzu: Gassmann, 1993.3 Z.B. Gttner-Abendroth, 1984; Moltmann-Wendel, 1982.4 Clemens Alexandrinus, Stromateis V, 4 19-20.5 Buch Sohar III, 152.6 Vgl. Heussi, 1979, 66 ff., sowie das Zeugnis des Porphyrius berOrigenes (Euseb., Kirchengeschichte VI, 19,4 ff.).7 Origenes, De princips IV , 2, 4. - Origenes sttzt sich mit seinerLehre vom dreifachen Schriftsinn im wesentlichen auf die (imhebrischen Urtext unklare) Stelle in Sprche 22,20, die er nach derSeptuaginta-bersetzung wiedergibt: Du schreibe dirs dreifachnieder mit Vorsicht und Verstand, um Wahrheit zu antworten aufdie Fragen, die dir vorgelegt werden. - Tatschlich steht in derSeptuaginta das Wort trisss (dreifach), wohingegeben imhebrischen Urtext schalischim steht - ein Wort, das in seinerBedeutung nicht gesichert ist. Gesenius nennt als gewhnlichebersetzung Kernsprche (Gesenius, 1962,834), so da Sprche22,20 wie folgt lauten wrde: Schreibe dir folgende Kernsprchenieder als Rat und Erkenntnis . . . Das wrde auch besser zumTextzusammenhang (nachfolgende Aufzhlung von Kernsprchen)passen. In jedem Fall bleibt der Versuch problematisch, auf de rartdunkle Stellen ein Lehrsystem aufzubauen, was freilich esoterischeAutoren mit ihrer Vorliebe fr das Geheimnisvolle hufig tun.8 Pietron, 1979, 91 (Klammerbemerkungen durch den Verfasser).9 Vgl. ebd.10 Origenes, De princips IV, 2,1 ff.11 O rigenes, De princips IV , 3,5; bersetzung von G. Ebeling, 1942,115.12 Ebeling, 1981, 109.

    13 Nach Gloege, 1963, 73.14 Im Original: Littera gesta docet; quid credas allegoria; Moralis,quid agas, sed quid speres, anagoge (ebd, 72; frei bersetzt vomVerfasser). Ein Urheber der Lehre vom vierfachen Schriftsinn istebenso unbekannt wie der Verfasser dieses Merkverses (Augusti-nus? Johannes Cassian?). Sicher ist jedenfalls, da dieser Verszwar einerseits immer wieder zitiert und die darin beschriebeneVierzahl der Schriftsinne immer wieder gelehrt wurde, da aberandererseits niemals konsequent nach diesen vier Schriftsinnengefragt wurde (Pietron, 1979, 136).15 Origenes, De princ. IV, 3,5; zit. nach: Ebeling, 1942, 115.

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    16 Ebeling, 1942, 117 (HddV). - Goppelt schreibt: Gegenstandtypologischer Deutung knnen nur geschichtliche Fak ta , d.h . Perso-nen, Handlungen, Ereignisse und Einrichtungen sein, Worte undDarstellungen nur insofern, als sie von solchen handeln. Einetypologische Deutung dieser Objekte liegt vor, wenn sie als vonGott gesetzte, vorbildliche Darstellungen, d.h. >Typen< kommen-der, und zwar vollkommenerer und grerer Fakta aufgefat wer-den. Eine solche typologische Entsprechung bzw. Steigerung er-gibt sich z. B . zwischen Altem und N euem Testam ent (Vorausdeu-tungen auf Christus etc.). Die Geschichtlichkeit des Berichtetenun d damit der W ortsinn des Textes ist fr die Allegorie gleichgltig,fr die Typologie (und wenigstens letzterer auch fr die symbolischeDeutung) Grundlage (Goppelt, 1973, 18 f.; HddV).17 Hagemann, 1970, 213.18 Augustinus, De doctrina Christiana I, 36 (quisquis in Scripturisaliud sentit quam ille qui scripsit, illis non mentientibus fallitur);zit. nach: Ebeling, 1942, 122.19 Nach: Pietron, 1979, 134 f.20 Ist doch sowieso die Begrndung eines dreifachen Schriftsinnes nurmit sehr schwachen Argumenten, nmlich mit den allegorischausgelegten Stellen Sprche 22,20; Herrn V is. II 4,3 und Johannes2,6 belegt (Ebeling, 1942,116; vgl. Origenes, D ep rin c. IV 2,4-5) . -Zu Sprche 22,20 s. o. (Anm. 7).21 Vgl. Augustinus, De spiritu et litera, v. a. die 6-10.22 D er bildhafte Sinn ist im buchstblichen Sinn enthalten: denndurch Wrter wird das eine im eigentlichen Sinn, das andere imuneigentlichen Sinn bezeichnet; dabei hegt der buchstbliche Sinnnicht in dem Bild selbst, sondern in dem , was sinnbildlich dargestelltwird. Wenn nmlich die Schrift den Arm Gottes erwhnt, ist nichtde r buchstbliche Sinn , da es bei Gott ein krperliches Glied d ieserA rt gibt, sondern d as, was durch dieses Glied bezeichnet wird, d iettige Kraft also (Thom as von Aquin , STh I, q. 1, a. 10; zit. nach:Pietron, 1979, 147 f.).

    23 Fr Thom as . . . ist es unerllich, da sich der geistige Sinn aufden buchstblichen Sinn grndet und diesen notwendig voraussetzt(Pietron, 1979, 149 f.).24 E bd , 150f (Z itat im Zitat aus: Thomas von Aquin, Quodlibet V II , q.6, a. 4: Symbolica theologia . . . non est argum entativa.) -Freilich hlt das Verbergend-Entbergende zugleich den Raumfr das Geheimnis offen, und es kommt tatschlich darauf an , un terwelchem Aspekt man die Bibel liest: Wird die Bibel wie beiOrigenes vorwiegend mit spirituell-homiletischem Interesse gele-se n, braucht vllige Eindeutigkeit kein Ziel der Schriftauslegung zusein. . . . Wird die Schrift dagegen wie bei Thomas mit vorwiegend

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    systematisch-theologischem Interesse gelesen, dann mu es das Zielder Schriftauslegung sein, klare und eindeutige Aussagen zu liefern.Diese aber kann nur die buchstbliche Exegese liefern (Pietron,1979, 151).25 Thomas von Aquin, Quodlibet VII, q. 6, a. 14 (zit. nach: Pietron,1979,151).26 Fleig, 1927, 3. - Pietron meint kritisch, da bei dieser Ansicht dieSchrift als Ganze aus dem Blickfeld gert: Das Neue, das nicht inStzen auszusprechen ist, sondern allererst in der Schau des Ganzenerfahren werden kann: das scheint hier ausgeblendet zu sein. Sowird offensichtlich die Klarheit, die Thomas anzielt, bezahlt mit dem

    Verzicht darauf, das Ganze der Heilsordnung G ottes in den Blick zubekomm en - das Ganze, das mehr ist als die Summe aller Einzeler-eignisse. Freilich - so gesteht Pietron zu - ist uns das Ganze nochverhllt, und es wird bis zum Ende der Zeiten verhllt und einMysterium bleiben - aber gerade als solches will das Ende und damitdas Ganze des gttlichen Heilsplanes auch ahnend geschaut wer-den (Pietron , 1979, 151 f.; HddV).27 Ebeling, 1942, 136.28 Luther, WA 7, 647, 29 f.29 Ebd , 652, 12.30 Ebd, 659, 26 ff. (H iO).31 Ebd , 653, 14 ff.32 Die Bezeichnungen geistig und geistlich werden hier gleichbe-deutend (als bersetzung von griech. pneumatikos bzw. lat.spiritualis) verstanden.33 Vgl. ebd, 654 f.34 G. Ebeling, Art. Geist und Buchstabe, RGG II, Sp. 1291.35 Ebeling, 1942,288. - Das Gesetz (und damit die ganze Schrift) istin sich immer geistlich (lex in se semper est spiritualis). Es istnicht an sich, sondern fr mich Buchstabe (non sibi, sed mihi estliteralis) (Luther, WA 2, 551 f.; H iO ). Vgl. v. a. Rm er 7,14 ff.:Denn wir wissen, da das Gesetz geistlich ist; ich aber bin

    fleischlich, unter die Snde verkauft. . .36 Ebeling, 1942, 311.37 Gloege, 1963,135 (HiO).38 Ebd, 74.39 Ebd.40 Ebd (H iO).41 Stadelmann, 1985, 106 (HiO).42 Holl, 1923, 554 (HddV).43 Ebd, 555 (HiO ).

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    L i t e r a t u r

    Augustinus, Vier Bcher ber die christliche Lehre (De doctrinaChristiana). Eingeleitet und bersetzt von S. Mitterer, BKV 49, Mn-chen, 1925Augustinus, Geist und Buchstabe (De spiritu et littera ber unus).bertragen von A. Forster, in: Aurelius Augustinus Werke in deut-scher Sprache, hg. von C. J. Perl, Paderborn, 1968Clemens Alexandrinus, Werke. Zweiter Band: Stromata Buch I-VI,hg. von O. Sthlin, GCS 52, Berlin, 4. Aufl. 1985Drew ermann, E ., Tiefenpsychologie und Exegese, Bd. I: Die W ahrheitder Formen. Traum, Mythos, Mrchen, Sage und Legende, lten/Freiburg, 1984Drew ermann, E ., Tiefenpsychologie und Exegese, Bd. II: Die W ahr-heit der W erke und W orte. Wunder, Vision, Weissagung, Apokalypse,Geschichte, Gleichnis, Olten/Freiburg, 1985Ebeling, G., Evangelische Evangelienauslegung. Eine Untersuchungzu Luthers Hermeneutik, FGLP 10, 1, Mnchen, 1942Eusebius von Caesarea, Kirchengeschichte, hg. und eingeleitet von H.Kraft, Mnchen, 2. Aufl. 1981Fleig, P., Die hermeneutischen Grundstze des Thomas von Aquin,Freiburg/Br., 1927Gassmann, L., Anthroposophie und Bibel. Eine kritische Untersu-chung des anthroposophischen Bibelverstndnisses, Wuppertal, 1993Gesenius, W., Hebrisches und aramisches Handw rterbuch ber dasAlte Testament, Berlin 1962Gttner-Abendroth, H ., Die G ttin und ihr Heros. D ie matriarchalenReligionen in Mythos, Mrchen und D ichtung, Mnchen, 4. Aufl. 1984Gloege, G., Mythologie und Luthertum. Recht und Grenze derEntmythologisierung, Gttingen, 3. Aufl. 1963Goppe lt, L., Typos. Die typologische D eutung des Alten Testamentesim Neuen, Darmstadt, 1973Hagemann, W., Wort als Begegnung mit Christus. Die christozentri-sche Schriftauslegung des Kirchenvaters H ieronym us, TThSt 23, Trier,1970Heussi, K., Kompendium der Kirchengeschichte, Tbingen, 15. Aufl.1979HoU, K., Gesammelte Aufstze zur Kirchengeschichte, Bd. I: Luther,Tbingen, 2./3. Aufl. 1923D . M artin Luthers Werke, Kritische Gesamtausgabe, W eimar, 1883 ff.M oltmann-W endel, E. (H g.), Frauenbefreiung. Biblische und theolo-gische Argumente, GT. S 12, Mnchen, 3. Aufl. 1982Origenes, Vier Bcher von den Prinzipien (De principiis libri IV ), hg.

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    von H. Grgemanns und H. Karpp, Texte zur Forschung 24, Darm-stadt, 1976Pietron, J., Geistige Schriftauslegung und biblische Predigt. berle-gungen zu einer Neubestimmung geistiger Exegese . . ., Dsseldorf,1979Der Sohar. Das heilige Buch der Kabbala. Nach dem Urtext ausge-whlt, bertragen und hg. von E. Mller, Mnchen, 5. Aufl. 1991Stadelmann, H ., Grundlinien eines bibeltreuen Schriftverstndnisses,Wuppertal, 1985S. Thomae Aquinatis quaestiones quodlibetales. Cum introductioneMandonnet(i), Paris, 1926Thomas von Aquin, Summa theologiae, hg. von der Albertus-Magnus-Akademie, Heidelberg/Graz, 1933 ff.

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    Traum oder W ort?Drewermanns Offenbarungsverstndnis undder biblische KanonFr den Psychotherapeuten und Theologen Eugen Dre-wermann hat die Bibel keine normative Bedeutung.Ausgangspunkt seiner tiefenpsychologischen Exegesesind nicht die biblischen Aussagen, sondern die innersee-lischen Erlebnisse - vor allem die Trume - des Men-schen, die sich in den Traditionen der verschiedenenReligionen und Kulturen niederschlagen.Drewermann schreibt: Nicht vom Wort und von derGeschichte, sondern vom Traum, vom Bild ist auszuge-hen.1 Religis ist eine Auslegung religiser Texte nurlegitim, wenn sie innerlich ist; alles Historische aber istuerlich. Drewermann mchte dort anknpfen, wojede religise Erfahrung ihren Ursprung hat: nicht in derWelt der ueren Tatbestnde, sondern im innerenErfahrungsraum seelischer Zustnde2.Aus einer solchen direkten Offenbarung durch inne-re Seelenerlebnisse und Trume ergibt es sich fastzwangslufig, da diese Art von Offenbarungsempfang(soweit man berhaupt noch von Offenbarung alseinem von auen kommenden Geschehen reden kann)keineswegs abgeschlossen ist, sondern immer weiter-geht. Mit der Vorstellung einer direkten Offenbarung,welche nicht notwendig auf uere - z. B . biblische -Urkunden angewiesen ist, hngt also eng die Behaup-tung einer fortschreitenden Offenbarung zusammen.So fhrt Drewermann aus: Spricht man . . . von demMythos, in den die Geschichte und Geschichtsschreibung

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    sich verwandeln mu, um als Gegenstand der Liebeschpferisch zu sein, so steht man vor dem entscheiden-den Problem: Wie es mglich ist, der antiken bzw. derbiblischen Geschichtsschreibung ihre gefhlsmige, le-bendige und religise Wahrheit zurckzugeben, die dar-in liegt, Geschichte gerade nicht in objektivierenderDistanz als ein Sammelsurium von ein fr allemal gesche-henen Fakten zu berliefern, sondern sie in Gestaltmythischer und m ythennaher Erzhlungen als etwas sichstets Wiederholendes und menschheitlich Gegenwrti-ges zu schildern.3Eine Hermeneutik der Geschichte (und damit derBibel als eines geschichtlichen Buches) setzt . . . voraus,da man - gegen HEGEL - nicht die Notwendigkeit,wohl aber das Typische einer geschichtlichen Situationbegreift und da man die Geschichte nicht als ein not-wendiges Vorstadium der Gegenwart, wohl aber als einBild des Immer-Gegenwrtigen betrachtet. Die Kunstder Interpretation der Vergangenheit liegt folglich darin,dieses Gegenwrtige zugleich in sich selbst und in demanderen der Geschichte aufzufinden.4Und an die Formkritik und das Entmythologisierungs-programm Rudolf Bultmanns anknpfend, schreibt Dre-wermann: Aber andererseits ist die Erkenntnis an sichnicht mehr rckgngig zu machen, da es im NeuenTestament - und ebenso im Alten Testament - in der Tatzahlreiche Erzhlungen gibt, die sich bereits durch ihreForm als Mythen, Legenden und Novellen im histori-schen Sinne >verdchtig< machen und ein Material ent-halten, das zahlreiche Analogien zu anderen Religionenaufweist und jedenfalls viel zu schematisiert ist, als da esin dieser Weise ein wirkliches historisches Geschehenwiederzugeben vermchte.

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    . . . statt der ueren Wirklichkeit mittels histori-scher und soziologischer Untersuchungen nachzugehen,mu es , jedenfalls wenn das Ziel Theologie und Glaubesein soll, entscheidend darum gehen, die innere Wirk-lichkeit der jeweiligen unhistorischen, mythischen, legen-dren, sagenhaften oder mrchenhnlichen Erzhlungenpsychologisch zu untersuchen und der Frage nachzuge-hen , inwieweit in der Psyche des Menschen selbst zu allenZeiten Wahrheiten lebendig sind, die berhaupt nur inder W eise etwa des M ythos, des Mrchens, der Sage oderder Legende m itgeteilt werden knnen. Nur dann ist derMythos oder die Legende, die Sage und das Mrchenm ehr als ein zeitbedingtes Aussage- und Hinweism ittel,mehr als ein bloer Bedeutungsindikator, wenn sichzeigen lt, da sie nicht nur in Anbetracht einer be-stimm ten zeitgeschichtlichen Situation notwendig waren,sondern in Anbetracht der menschlichen Psyche fr alleZeiten notwendig sind: Nur dann auch knnen sie in sichselbst etwas bedeuten, das bleibend gltig ist und vondem her sie in ihrer A ussagegestalt unabtrennbar sind.5Soweit Drew ermann. - Nun ergibt sich die Frage: Wieverhlt sich die Vorstellung von einer direkten und unab-geschlossenen Offenbarung zu den Aussagen der Bibel?Noch konkreter formuliert: 1st der biblische Kanon abge-schlossen - oder lt er die Mglichkeit neuer Offenba-rungen zu?Auf diese schwierigen und vieldiskutierten Fragenversuchen wir nachfolgend in einem grundlegendenberblick zu antworten und dabei implizit Drewerm annsAnsatz kritisch zu analysieren. Wir betrachten zunchstVorlufer und Parallelen zu Drewermann in der Kir-chengeschichte und wenden uns anschlieend der Ka-nonproblematik zu.

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    V o r l u f e r u n d P a r a l l e l e n z u D r e w e r m a n nDie Behauptung einer direkten Offenbarung findetsich in verschiedenen Formen bei den Mystikern undreligisen Spiritualisten aller Zeiten. Nachfolgend einigeBeispiele, vor deren Hintergrund Drewermanns Positionklarer hervortritt.Die Mitglieder der um 156/157 n. Chr. entstandenenSekte des Montanus beanspruchen, in ekstatischen Zu-stnden und Visionen direkte, ber die Bibel hinausge-hende Offenbarungen von Gott zu erhalten. Der Kir-chenhistoriker Euseb bezeichnet sie als Falschprophe-ten und schreibt ber ihren Begrnder: Andere aberlieen sich durch ihn verfhren, als sprche aus ihm einheiliger Geist und als bese er ein prophetisches Cha-risma.6Verschiedene gnostische Gruppen (griech. gnosis =Erkenntnis) zur Zeit der Alten Kirche unterscheidenzwischen Hylikern (grob materiell Gesinnten), Psychi-kern (den gewhnlichen Glubigen, die sich auf diebiblische Offenbarung sttzen) und Pneumatikern (deneigentlichen Gnostikern, die Geist und bersinnlicheErkenntnis besitzen). Die Gnostiker empfangen angeb-lich immer neue Offenbarungen. Die HauptmassedergnostischenSchriftstellerei . . .sindOffenbarungen,die von einer der gnostischen Heilsgestalten einer Per-son, meist aus der biblischen Geschichte, bergebenworden sein sollen. In dieser Einkleidung zeigt sich, dadas >System< den >Ruf von oben< bringen will. Da sindEvangelien, nicht im Sinne der neutestamentlichenEvangelien, sondern geheime Offenbarungen Jesu meistnach seiner Auferstehung, auch Evangelien ohne diesenAnspruch.7

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    Diese Linien setzen sich am Rande oder auerhalb derKirche bis ins Mittelalter, die Reformationszeit und dieGegenwart hinein fort. Zwei Beispiele mgen zur Illu-stration gengen.Meister Eck(e)hart (ca. 1270-1328) und andere Mysti-ker des Mittelalters streben die Vereinigung der Seelemit dem G ttlichen (unio mystica) an. Ist diese eingetre-ten, dann wird ein inneres Licht entzndet, eineErleuchtung findet statt. Der, der in sich den Gottgefunden hat, bedarf fr ein rechtes, gttliches Lebenkeines ueren Gesetzes, keiner menschlichen W eisung,keiner Belehrung aus Bchern, welche sagen, was ein-stens war: Gott selbst ist in ihm gegenwrtig und gibt ihmLehre und W eisung. E r ist selbst ein Offenbarungsquellfr andere, die noch nicht den Gott in sich gefunden8.Unter den zahlreichen Schwrmern der Reforma-tionszeit tritt besonders Thom as M nzer ( t 1525) hervor.Mnzer nimmt an, da das durch den Bibeltext nichtvollkommen erfate Wort Gottes im menschlichenHerzen als bernatrliche Erleuchtung, Vision usw.wirkt.9 Hauptstichworte der Mnzerischen Theologiestehen im Zusammenhang mit der Mystik, z. B. seinePolemik gegen den heyligen Buchstaben10. AuchJ. v. Fiores Lehre vom ewigen Evangelium war Mn-zer bekann t. Er schreibt: Ir solt auch wissen, das sie diselere dem Apt Joachim zu schreiben, und heissen sie einewiges euangelion in grossem spott Bey mir ist dz getzew-gni Abatis Joachim gro.11Es sei noch darauf hingewiesen, da es in Neuzeit undGegenwart eine Flle von Gruppen und Einzelpersonengibt, die beanspruchen, auf direktem Weg von Gottneue Offenbarungen zu erhalten, etwa verschiedeneStrmungen innerhalb der Pfingstbewegung, die Inne-

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    re-Geist-Christus-Kirche (Heimholungswerk JesuChristi), die Mormonen, der Kreis um Jakob Lorberund die Anthroposophen12.Wir knnen unseren historischen Exkurs hier abbre-chen, weil der immer gleichbleibende Zug in der Lehrevon der direkten Offenbarung bereits deutlich hervor-getreten ist: Es wird ein direkter Offenbarungsempfangdurch Trum e, Visionen, hhere Erkenntnisse, Ver-einigung mit dem Gttlichen usw. behauptet, der dasgeschriebene Bibelwort als Offenbarungsmittler an diezweite Stelle rckt.

    B e u r t e i l u n gAus theologischer Sicht sind - wie schon erwhnt - analle Bewegungen und Autoren , die sich auf Neuoffenba-rungen berufen, zwei grundstzliche Fragen zu richten:a) Lassen die im biblischen Kanon zusammengestelltenSchriften von ihrem Selbstverstndnis her die Mglichkeitneuer, ber sie hinausgehender Offenbarungen zu?b) Wenn ja: Stehen die Neuoffenbarungen in inhaltli-cher Kontinuitt zu den A ussagen der Bibel - oder werdenWidersprche sichtbar?Aus der Betrachtung der biblischen Heilsgeschichte(z .B . der Berufung der Propheten) ergibt sich: Derpersnliche Gott der Bibel offenbart sich souvern - w o ,wann, wem und wie er will. Obwohl somit der - frmanche Strmungen charakteristische - Versuch zumScheitern verurteilt ist, auf methodischem Wege Zugangzu hheren, gttlichen Offenbarungen zu gewinnen,bleibt dennoch die Mglichkeit neuer Offenbarungen

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    zunchst nicht ausgeschlossen. Denn gerade weil Gottsouvern ist und sich offenbaren kann, wo, wann, wemund wie er will - gerade deshalb kann er sich auch nachAbschlu des biblischen Kanons (auch in der Gegen-wart) offenbaren. Wer knnte oder wollte Gottes Wir-ken begrenzen, wer - auer Gott selbst?Damit aber sind wir am entscheidenden Punkt ange-langt: Gott selbst hat seine Offenbarung begrenzt - undzwar, indem er ihr heilbringende Eindeutigkeit verliehenund sie an das biblische Wort gebunden ha t. G ott hat sichals der eine und alleinige Gott geoffenbart, gegenberdem alle anderen Gtter Nichtse sind (2 M ose 20,2 f.; 5Mose 6,4; Jes 44,6 ff. u. .). Er hat seinen Sohn JesusChristus als den einzigen Weg zum Vater, als einzigenHeilsmittler in die Welt gesandt (Joh 14,6; Apg 4,12;1. Tim 2,5 u. .). Dementsprechend hat er seinen B otenein einziges Evangelium aufgetragen und diejenigensogar mit seinem Fluch belegt, die ein anderes Evange-lium verkndigen (2. Kor 11, 3f.; Gal 1,6 ff.). Dieseseine und einzige Evangelium nun mit seiner Verkndi-gung des einzigen Gottes und Heilsweges ist die Richt-schnur, an der alle neuen Offenbarungen, alle anderenEvangelien zu messen sind. Und dieses Evangelium istan das in Ewigkeit bleibende Wort Gottes gebunden(Jes 40,8; l .Pe t r l ,25) .

    Whrend die Spiritualisten aller Zeiten - und mitihnen auch Eugen Drewermann - den Geist vom Wortlsen wollen (sie setzen im Gefolge einer Fehldeutungdes Origenes das Bibelwort mit dem Buchstaben in2. Kor 3,6 gleich), sind Wort und Geist in biblisch-theologischer Sicht eine Einheit. Wort und Geist knnennicht - wie z.B. bei Drewermann - gegeneinanderausgespielt werden, sondern Gott gibt seinen Geist

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    nicht anders als so, da das uere W ort vorangeht; alsonicht unmittelbar, >ohn Mittel

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    a) Apostolizitt oder Urkirchlichkeit: Die Schrift sollsachlich, geschichtlich und - im Optimalfall - auchliterarisch von den Aposteln herstammen. Sie soll denEreignissen, von denen sie berichtet, zeitlich mglichstnahe stehen (vgl. l.Joh 1,1 ff. u. .)15.b) Geschichtlichkeit: Die Schrift soll nicht >erdichtetTatsachen< oder >die Wahrheit< wiedergeben (vgl.2. Petr 1,16 u. .)16. Gegen die Hretiker w ird de r Vor-wurf der Ungeschichtlichkeit ihrer Schriften erhoben.17c) bereinstimmung mit derGlaubensregel: Die Schriftsoll mit der G laubensregel, d. h. der lehrmigen Zu-samm enfassung de r bereits rezipierten Schriften (v. a.Evangelien und Paulusbriefe; vor diesen das Alte Testa-ment ohne Apokryphen), bereinstimmen. Die Glau-bensregel ist nicht ein selbstndiges Prinzip und norm anormans neben der Schrift . . ., sondern nichts anderesals die Anwendung dessen, was man an den schonrezipierten Schriften an Inhalten erkannte, auch die nochumstrittenen18.Betrachten wir diese Haup tkriterien der Alten K irche,so sehen wir, da hier in uerst vorsichtiger und sorgfl-tiger Weise - unter Leitung des Heiligen Geistes19 - daslteste und authentischste Traditionsgut des christlichenGlaubens gesammelt und zum neutestamentlichen Ka-non vereinigt wurde. Dieser Kanon ist nun in der Ta t dieRichtschnur - und in seiner jetzt vorliegenden Gesamt-heit die Glaubensregel - , an der alle neu auftretendenOffenbarungen zu messen sind. Er ist auch die Richt-schnur, die Auskunft darber erteilt, ob eine fortschrei-tende Offenbarung berhaupt gegeben ist.Obwohl spiritualistische Ausleger den biblischen Ka-non nicht als ausschlaggebendes Kriterium zur Beurtei-

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    lung neuer Offenbarungen ansehen, wollen sie ihn inihrer Argumentation dennoch nicht bergehen. So ver-suchen sie, ihre Behauptung einer fortschreitenden Of-fenbarung durch den Rekurs auf einzelne Bibelstellenabzusttzen. Die Frage ist nun aber, ob die Bibelstellen,die sie heranziehen, tatschlich von einer fortschreiten-den Offenbarung, vom Christentum als einem immerwachsenden sprechen - oder ob diese Deutung ihrer-seits durch eine Art von allegoristischer Eisegesezustande kommt. Wir betrachten dazu die immer wiederherangezogenen Hauptbelegstellen im einzelnen.Dabei handelt es sich u . a. um Joh 16,12 und dasPfingstereignis (Apg 2). Ich habe euch noch viel zusagen; aber ihr knnt es jetzt nicht tragen (Joh 16,12) -diesen Satz spricht Jesus zu seinen Jngern in einer ganzbestimmten Situation, nmlich vor Antritt seines Lei-dens- und Herrlichkeitsweges und vor der Ausgieungdes Heiligen Geistes an Pfingsten. Zu diesem Zeitpunktkann die Welt - und knnen auch die Jnger - den Wegund das Wesen Jesu Christi noch nicht wirklich verstehen(Joh 16,10 f.)20. Erst an Pfingsten kommt der Geist derW ahrheit, der die Jnger in alle W ahrheit leiten wird(Joh 16,13). Charakteristisch fr das Wirken des Geistesist vor allem dreierlei:a) Er verherrlicht Gott (Apg 2,11) und Jesus als SohnGottes, als Herrn und Messias (Joh 16,14; Apg 2,22 ff.36).b) E r zeugt von Jesus (Joh 15,26). Zu diesem Zweckbevollmchtigt er die Jnger, die von Anfang an beiJesus gewesen sind (Joh 15,27; Apg 1,21 ff.) und ge-braucht sie als Zeugen, um der Welt die Augen aufzu-tun ber das Wesen und den Weg Jesu (Joh 16,8 ff.;Apg 2).

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    c) Zu Zeugen m acht der Geist die Jnger, indem er siealles lehrt und an all das erinnert, was Jesus ihnen gesagtha t (Jon 14,26). Deshalb - so sagt Jesus - wird der G eistnicht aus sich selbst reden; sondern was er hren wird,das wird er reden (Joh 16,13). Er wird's von demMeinen nehmen und euch verkndigen (Joh 16,15).Daraus wird deutlich: Der Heilige Geist bringt keinevom Wort Jesu losgelsten neuen Offenbarungen,sondern vergegenwrtigt, besttigt, erklrt und entfaltetdas von Jesus Gesagte und Gewirkte21. Das geschiehtganz konkret in den geistgehauchten (2. Tim 3,16)Schriften des Alten und Neuen Testaments, welche diedrei Funktionen des Erinnerns (Joh 14,25), des Lehrens(ebd) und der Verkndigung des Zuknftigen (Joh16,13) beinhalten. Das Erinnern an das Leben Jesugeschieht v. a. in den E vangelien, das Lehren v. a. in denBriefen und die Verkndigung des Zuknftigen v. a. inder Apokalypse22.Nach dem biblischen Schriftverstndnis gibt es keinefortschreitende Offenbarung, die ber das im KanonGesagte hinausginge. In den Schriften der Bibel ist dergesamte Verlauf der Heilsgeschichte - von der Welt-schpfung (1. Mose 1) bis zur W eltvollendung (Apk 22) -dargestellt. Diese Offenbarung ist mit der Sendung undVerkndigung Jesu Christi zu ihrem Hhepunkt undAbschlu gekommen (Hebr 1,1; A pk 22,13.16-21). Ins-besondere jedoch ist in den Schriften der Bibel allesenthalten, was fr das Heil und ewige Leben des Men-schen notwendig ist. Deshalb kommt es den biblischenAutoren gar nicht so sehr auf eine lckenlose Schilde-rung der Ereignisse an, sondern es gengt die Darstel-lung dessen, was zur W eckung und S trkung des re tten-den Glaubens fhrt: Noch viele andere Zeichen tat

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    Jesus vor den Jngern, die nicht geschrieben sind indiesem Buch. Diese aber sind geschrieben, da ihrglaubt, Jesus ist der Christus, der Sohn Gottes, und daihr durch den G lauben das Leben habt in seinem Namen(Joh 20,30 f.).Der einzige objektive Mastab zur Prfung neuerVorstellungen oder Offenbarungen, wo immer dieseherkommen mgen, ist und bleibt der biblische Kanonselbst, und zwar der Kanon in seinem Gesamtzusammen-hang und Literalsinn. Dabei steht von vornherein fest,da heutige neue Offenbarungen allein schon wegendes Zeitabstandes zum biblisch berlieferten Geschehendas grundlegende Kriterium der Apostolizitt bzw. Ur-kirchlichkeit nicht erfllen knnen. Sie sind somit der inder Bibel bezeugten Offenbarung nicht gleich-, sondernunterzuordnen. Nicht die Bibel ist solchen neuen Offen-barungen allegorisch anzupassen, sondern diese Of-fenbarungen sind nach ihrer bereinstimmung oderNichtbereinstimmung mit dem biblischen Kanon (alsGlaubensregel) zu befragen.

    Ergebnisa) Die Bibel ist zwar in Zeit und Raum entstanden , abersie ist nicht zeitbedingt und relativ. Sie vermittelt das inEwigkeit bleibende und die gesamte Heilsgeschichteumfassende gttliche Wort.b) Gott hat sich durch seinen Geist an dieses Wortgebunden und damit dessen Gltigkeit bleibend festge-legt, um die Eindeutigkeit des Heilsweges zu gewhrlei-sten. Wort und Geist sind eine Einheit.c) Wer eine Offenbarung des Geistes empfngt, die

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    inhaltlich ber das biblische Wort hinausgeht, es relati-viert oder gar in Widerspruch zu ihm tritt, kann sichdam it nicht auf das biblische Schriftverstndnis berufen .Nach dem biblischen Schriftverstndnis gibt es keinedirekte Offenbarung von Gott ohne Grundlage imbiblischen Wort.d) Auch die fortschreitende Offenbarung ist mit derKanonisierung des Neuen Testaments zum Abschlugelangt, weil nun - mit dem Kommen Jesu - fr die Zeitvon der Weltschpfung bis zur Weltvollendung allesHeilsnotwendige gesagt ist.e) Wer sich - wie Drewermann - dennoch auf neueOffenbarungen - etwa in Gestalt von Trum en - beruft,mu bereit sein, sie an der Glaubensregel, d.h. amvorliegenden biblischen Kanon in seinem Wortsinn undGesamtkontext messen zu lassen. Obwohl Drewermanndieses Kriterium nicht als ausschlaggebend anerkennt,gilt es fr ihn - vom biblischen Schriftverstndnis hergesehen - doch genauso wie fr alle anderen Neuoffen-barungsbewegungen und -autoren.A n m e r k u n g e n(HiO = Hervorhebung im Original)

    1 Drewermann 1/1984, 153 (H iO).2 Ebd, 13 f.3 Eb d, 36 (HiO).4 Ebd, 58 (HiO ).5 Ebd, 94 f. (HiO).6 Euseb, Kirchengeschichte V,16,8.7 Andresen, 1979, 31.8 Vorwort von H. Bttner in: Meister Eckehart, 1934, 2.9 Heussi, 1979, 290.10 G. Maier, 1981, 208.11 Brief Th. Mntzers an Zeys vom 2.12.1523; zit. nach: G. Maier,ebd.

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    12 Diese und viele weitere Strmungen sind dargestellt in: Htten,1968, sowie im Materialdienst der Evangelischen Zentralstelle frWeltanschauungsfragen in Stuttgart; vgl. auch Haack, 1985; Gass-mann, 1993.13 Althaus, 1980, 43.14 Der heutige neutestamentliche Kanon mit seinen 27 Schriften wurdeim Osten zuerst vom Bischof Athanasius in seinem 39. Osterfest-briefaus dem Jahre 367 n. Chr. vertreten. Im W esten fand er sich aufdrei afrikanischen Synoden in den Jahren 393,397 und 419 sowie ineinem Brief des Papstes Innozenz I. an den Bischof Exsuperius vonToulouse aus dem Jahre 405. Eine wechselvolle Geschichte war der

    Kanonfestlegung vorausgegangen (vgl. Ohlig, 1972, 21).15. Vgl. ebd, 55 f.154.16 Ebd, 164.17 Ebd, 167.18 Ebd, 174 (HiO). - Zu diesen Hauptkriterien traten weitere, diejedoch von untergeordneter Bedeutung waren und die zwar weitge-hend, aber nicht in jedem Fall zutrafen, z. B. da eine Schrift keinealltglichen Dinge verhandeln, da sie von hohem Alter, verstnd-lich, erbaulich und ntzlich sein und in mglichst weiten Teilen derKirche anerkannt sein solle (vgl. ebd, 29 f.). Ein allgemeines, abergrundlegendes Kriterium war die Verankerung des Gesamtkanonsin der Kanonizitt Jesu, des Kyrios. Vom dreieinigen G ott ist derKanon inspiriert, und von ihm soll er zeugen: Die neutestamentli-chen Bcher sind in ihrer Geltung absolut christologisch, pneum ato-logisch oder theologisch begrndet (ebd, 313).19 Gem der altprotestantischen Lehre vom testimonium spiritussancti internum beglaubigt sich die Heilige Schrift selbst als WortGottes (vgl. Phlmann, 1980, 70 f.).20 Ausnahmen wie das Petrusbekenntnis (Du bist Christus, deslebendigen Gottes Sohn; Mt 16,16) und andere Bekenntnisaussa-gen ber das Wesen Christi vor Pfingsten (z. B. Mt 27,54) komm endurch besondere Offenbarungen des Vaters im Himmel, nicht

    durch menschliches Erkenntnisstreben zustande (Mt 16,17). Sieleuchten wie einzelne Blitze kurz auf, um dann wieder in derFinsternis des Nichtverstehens zu versinken (vgl. Mt 16,21 ff.).21 Nicht neue Erleuchtungen wird der Geist bringen, neue M ysterienenthllen, sondern in der von ihm gewirkten Verkndigung wirktJesu Wort weiter (Bultmann, 1985,443). Die >ganzeWahrheit* istkeine >neue Wahrheiu, sondern eine >entfaltete Wahrheit

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    fest.. . . Die >vielen< Einzelheiten, die Jesus nach V ers 12 noch nichtsagen konnte, wird der Geist mitteilen (ebd, 180.182; HiO).22 D as entspricht der alttestamentlichen Dreigliederung in Geschichts-bcher, Lehrbcher und prophetische Bcher. - Die Bibel strubtsich allerdings gegen eine starre Schematisierung. So finden sichz. B. auch in den neutestamentlichen Evangelien und Briefen pro-phetische Stellen (Mt 24; 2. Thess 2 u. .) .L i t e r a t u r

    Althaus, P., Die Theologie Martin Luthers, Gtersloh, 5. Aufl. 1980Andresen , C. (H g.), Die Gnosis. Erster Band: Zeugnisse der Kirchen-vter, Zrich/Mnchen, 2. Aufl. 1979Bultmann, R., Das Evangelium des Johannes, Gttingen, 20. Aufl.1985Drewermann, E ., Tiefenpsychologie und Exegese, Bd. I: Die W ahrheitder Formen. Traum, Mythos, Mrchen, Sage und Legende, lten/Freiburg, 1984Drewermann, E., Tiefenpsychologie und Exegese, Bd. II: Die Wahr-heit der Werke und Worte. W under, Vision, Weissagung, Apokalypse,Geschichte, Gleichnis, Olten/Freiburg, 1985Meister Eckehart, Schriften, hg. von H. Bttner, Jena, 1934Eusebius von Caesarea, Kirchengeschichte, hg. und eingeleitet von H .Kraft, Mnchen, 2. Aufl. 1981Gassmann, L., Anthroposophie und Bibel. Eine kritische Untersu-chung, Wuppertal, 1993Haack, F.-W., Das Heimholungswerk der Gabriele Witteck und dieNeuoffenbarungsbewegungen, Mnchen, 1985Heussi, K., Kompendium der Kirchengeschichte, Tbingen, 15. Aufl.1979Htten, K., Seher - Grbler - Enthusiasten. Sekten und religiseSondergemeinschaften der Gegenwart, Stuttgart, 11. Aufl. 1968Maier, G., Johannesevangelium, 2 Bde., Neuhausen-Stuttgart, 1984/1986Maier, G., Die Johannesoffenbarung und die Kirche, WUNT 25,Tbingen, 1981Ohlig, K.-H., Die theologische Begrndung des neutestamentlichenKanons in der Alten Kirche, KBANT, Dsseldorf, 1972Phlmann, H.-G., Abri der Dogmatik, Gtersloh, 3. Aufl. 1980

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    Drew ermann und die ReligionenSynthese oder Konfrontation?

    Auf der immer hher steigenden Welle des Synkretismus(Religionsvermischung) schwimmt der PaderbornerTheologe und Psychotherapeut Eugen Drewermannganz oben. Seiner Meinung nach sind die Unterschiedezwischen den Religionen, Mythen, M rchen, Sagen undLegenden unbedeutend, weil es auf die Urerfahrungender Menschheit ankomme, die sich in den Bildern undSymbolen der verschiedenen Traditionen spiegeln. Die-sen gemeinsamen Schatz der archetypischen Mensch-heitserfahrungen in seinen unterschiedlichen Ausgestal-tungen der Religionen und anderen berlieferungengelte es zu entdecken. Von daher wird fr Drewermanneine Synthese der Religionen mglich. Den A bsolutheits-anspruch Jesu Christi und des christlichen Glaubenslehnt er ab.Von der Archetypen-Lehre des TiefenpsychologenCarl Gustav Jung herkom mend , fhrt er aus: Denn nurin den Archetypen und in den G efhlen liegt das Einendeund Verbindende zwischen den Kulturen und Religionenaller Zeiten und Zonen, whrend die Sprache, die Ratio ,die Kategorientafel der moralischen Wertsetzungen sichals sehr zeitgebunden und voneinander trennend erweist.Auch die Religion, in Gedanken gefat, ist je nach Volkund Kulturkreis verschieden, aber ihre Wahrheit, nie-dergelegt und dargestellt in ihren ebenso verhllendenwie enthllenden Riten und Symbolen, ist berall diegleiche. In allen Menschen lebt ein unbewutes Wissenum ein Absolutes, das in allen Menschen gegenwrtig ist

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    und aus dem alles Bewute hervorgeht, und nur aufdieser Ebene des Archetypischen ist eine hermeneuti-sche Verbindung ber die zeitliche Distanz von Jahrtau-senden hinweg denkbar und mglich.1Drewerm anns Konsequenz fr die christliche Theolo-gie und Exegese lautet: Statt die fremden Kultur- undReligionsformen lediglich als exegetisch irrelevant abzu-tun oder mit missionarischem Exklusivittsanspruch als>Heidentum< zu bekmpfen, knnte und mte die Ex-egese dazu beitragen, im Hintergrund der zahlreichenAnalogien zwischen den Glaubensvorstellungen der ver-schiedenen Religionen die archetypischen Wurzeln derReligionen herauszuarbeiten und entgegen der ber-heblichkeit des alten christlichen Sendungsbewutseinseine universelle Hr- und Lernbereitschaft gegenberden fremden Religionen vorzubereiten . . . Um die W ei-te und Gre der eigenen Glaubenssymbole zu verste-hen , gilt es, die fremden Religionen wie einen lebendigenKommentar zu der eigenen religisen berlieferung zulesen.2Mit der Offenheit fr unterschiedliche Formen derreligisen Erfahrung geht bei Drewermann auch dieOffenheit fr okkulte Erfahrungen und Praktiken einher,etwa Schamanismus, Spiritismus, Wahrsagen, Hellse-hen, M agie und Einweihungsrituale, die er als innerseeli-sche Phnom ene betrachtet. Fr ihn sind beispielsweisedie magischen Rituale letztlich nur von der Traumpsy-chologie her verstndlich: So wie im Traum und impsychotischen Erleben hnlichkeiten akustischer oderoptischer Art assoziativ miteinander in Beziehung tretenund die mannigfaltigsten Wirkungszusammenhnge er-geben, so ist es auch im Sympathiezauber evident, dahnliches hnliches beeinflussen oder im Analogiezau-

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    ber das Symbolische das Wirkliche bewirken kann -Trnen frdern den Regen, Blasen den Wind, das Ver-streuen von Maiskrnern die Fruchtbarkeit einer Frau,das Verbrennen einer Statue den Tod des Dargestelltenusw. . . . Von primitiven Auswchsen abgesehen, istnicht Herrschaft, sondern Verschmelzung das Ziel derMagie, nicht die Ausdehnung, sondern die Einfgungdes eigenen Willens in den Gehorsam gegenber derWelt, bis da man nur noch wnschen kann, was danntatschlich auch geschieht. TH. MANN, als er von dem>magischen Wesen< der Musik sprach, hatte recht, als erresmierte: >Vernunft und Magie . . . begegnen sichwohl und werden eins in dem, was man W eisheit, Einwei-hung nennt, im Glauben an die Sterne , die Zahlen . . .Magie< der gttlichenrzte, besteht mithin in einer A rt Anleitung zum richti-gen, einheitsstiftenden Trumen, zu einer inneren Rck-kehr in die Mitte des Daseins. Von daher versteht manpsychologisch auch den Glauben an die gttliche bzw.dmonische Herkunft der Krankheit: Es sind fr denSchamanen nicht so sehr >natrliche< als vielmehr geisti-ge, gttliche Ursachen, die ber Gesundheit und Krank-heit befinden, und der Traum ist der Ort, mit denGeistern in Beziehung zu treten . . . Whrend in derPsychoanalyse der Therapeut sich in den Traum desPatienten hineinbegibt, agiert der Schamane seinen eige-nen Heiltraum aus, um den Kranken darin einzubezie-hen . . . Aber ein Schamane kann nur ein Vorbild alsHeiler sein, solange er sich nicht auf das Symbol, sonderndie ihm innewohnende Kraft verlt.4Da Drewermann die Bibel und den christlichen Glau-

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    ben in seinen Gesaratrahmen e in e s - man kn nte sa g e n -tiefenpsychologischen Synkretismus und Spiritismuseinbeziehen m chte, ist zu fragen: Lassen sich die bibli-schen Schriften und der christliche Glaube in diesesWeltbild integrieren? Oder besteht ein grundlegender Ge-gensatz zwischen dem biblisch-christlichen Glauben ei-nerseits und jeder Art von Synkretismus, Spiritismus undMagie andererseits? Im folgenden versuchen wir, durcheinen Blick in die biblische H eilsgeschichte diese Fragenin grundlegender Weise zu beantworten.Wir beginnen mit dem Dekalog.Die beiden ersten Gebote des Dekalogs (2. Mose20,3-7) stellen die klassische Abgrenzung gegen heidni-sche Religiositt, gegen die gyptischen und sonstigenMysterienkulte dar. An der Stelle des heidnischen Poly-theismus steht der Monotheismus; an der Stelle derBilderverehrung steht das Bilderverbo t; an de r Stelle derVerehrung von Elementarkrften steht die Verehrungdes unsichtbaren Gottes; an der Stelle des Mibrauchsdes Gottesnamens - etwa zu magischen Zwecken - stehtder ehrfurchtsvolle Umgang mit ihm.D ie gesamte weitere mosaische Gesetzgebung, ja nochmehr: die gesamte biblische Heilsgeschichte ist auf eineinziges Ziel ausgerichtet: Ih r sollt heilig sein, denn ichbin heilig, der Herr, euer Gott (3. Mose 19,2). Heiligsein bedeutet, da man Gott zugehrt und sich vongottfeindlichen Einflssen absondert. Gott will, da sichsein auserwhltes Volk bzw. seine Gemeinde von demGtzendienst der Heiden unbefleckt hlt: Ihr sollt euchkeine Gtzen machen (3. Mose 26,1). Der Gtzen-dienst der Heiden ist Gott ein Greuel (5. M ose 7,25 f.).Praktiken der Heiden, welche die bersinnliche Er-

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