Teamplayer - Kitchenham · 2019. 6. 14. · leben mit einer fremden Art herausgebildet. Der Hund...

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Raben und Wölfe helfen sich nicht nur bei der Jagd. Einige Familien bilden soziale Gemeinschaften. Die Fähigkeit des Hundes zum Zusammenleben mit Andersartigen ist keine Folge der Domestikation, sagen Forscher, sondern findet hier ihren Ursprung Teamplayer VERHALTEN [115] FOTOS: PETER A. DETTLING AUS GÜNTHER BLOCH, ELLI H. RADINGER, „WöLFISCH FÜR HUNDEHALTER“, FRANCKH-KOSMOS VERLAG, 2010. TEXT: KATE KITCHENHAM E in ganz normaler Januarmorgen im Banff National Park in Kanada. Die ersten Wölfe wachen auf, räkeln sich im Schnee, strecken ihre steifen Glieder in der Wintersonne. Plötzlich flattert ein großer schwarzer Vogel von einer nahebei stehen- den Tanne, segelt im Tiefflug über das Rudel und pickt im Vorüberfliegen frech nach dem Schwanz von Jungwolf Silvertip. Anschließend stolziert er munter im Rudel herum. Ist der Rabe lebensmüde? Normalerweise verstehen Wolfseltern bei Attacken auf ihren Nachwuchs keinen Spaß. Was also führt dazu, dass der „Angriff“ des schwarzen Aasfressers von Mutter Delinda und Vater-Wolf Nanuk vollkommen ignoriert wird? „Das ist hier ganz normal“, erklärt Forscher Günther Bloch, der seit zwanzig Jahren den Alltag der Wolfs- familien im Park beobachtet. „Dieser Rabe gehört zu der Bow-Tal-Wolfsfamilie, er ist sozusagen ein eng befreundeter Nachbar.“ MEHR ALS EINE JAGDGEMEINSCHAFT Dass sich so unterschiedliche Tierarten zum beidseitigen Nutzen verbünden, ist Verhaltens- forschern schon lange bekannt (siehe Kasten Seite 117). So kooperiert zum Beispiel ein kleiner afrikanischer Vogel, der Honiganzeiger, mit Honigdachsen und Menschen, führt seine Helfer direkt zum Bienenstock, damit diese die klebrige Quelle für ihn öffnen. Anschlie- ßend wird gemeinsam gespeist. Der kleine Vogel frisst sich mit Bienenmaden satt, Dachs oder Mensch bedienen sich am Honig. „Eine Form von Zusammenarbeit bei der Suche nach Nahrung ist von Raben und Wölfen ebenfalls lange bekannt“, berichtet der Raben- forscher, Verhaltensbiologe und Bestseller- autor Professor Dr. Bernd Heinrich von der Universität von Vermont („Die Weisheit der Raben“, „Die Seele der Raben“). „Doch es häufen sich die Beobachtungen, dass Raben und Wölfe mehr verbindet als der Jagder- folg.“ Nach Ansicht des Zoologen sind Raben sogar eine Art Haustier für die Wölfe, sie jagen nicht nur, sondern spielen miteinander. „Dabei scheinen die Raben zu testen, was sie sich erlauben können und wie die unter- schiedlichen Wölfe dabei reagieren. Die Tiere lernen sich gegenseitig kennen, und zwischen den Wolf- und den Rabenindividuen entste- hen vertraute soziale Beziehungen.“ EIN LEBEN SEITE AN SEITE Es ist ein Prozess, der schon bei Wolfswelpen und Jungvögeln beginnt. Im Banff National- park, dem Beobachtungsgebiet von Günther Bloch, zieht das Bow-Tal-Rabenpaar seine Jungen immer in der Nähe vom Höhlenkom- plex des Bow-Tal-Wolfspaars auf. Nicht nur hier haben sich enge Bande zwischen Wolfs- und Rabenclan geknüpft: „Bei allen fünf Wolfsfamilien in unserem Gebiet lag die wei- teste Entfernung zwischen Nest und Höhlen- komplex, die wir messen konnten, höchstens zweihundert Meter“, so der Forscher. Dabei wird der Nachwuchs frühzeitig mit den gefiederten oder behaarten Freunden bekannt gemacht: „Wenn die Wolfswelpen zum ersten Mal aus ihren Höhlen kommen, nehmen die Raben sofort Kontakt auf. Sie picken den Kleinen in den Schwanz, ärgern sie, und die Wolfseltern schauen in aller Ruhe zu.“ Forscher wie Heinrich und Bloch ver- muten, dass so eine gegenseitige Geruchsprä- gung und Sozialisation auf individuelle Vögel und Wölfe stattfindet, die in ein durchaus enges Gemeinschaftsleben mündet. „Wölfe und Raben bilden soziale Gruppen, sie haben eine dauerhafte familiäre Beziehung. Man spielt miteinander, neckt sich ein wenig, man unternimmt jeden Tag zusammen Ausflüge durch das heimische Revier und kehrt wieder nach Hause zurück“, wie Günther Bloch und seine Ehefrau Karin beobachtet haben. Doch worin liegt der Vorteil für beide Arten? Gesellige Nachmittage sind nicht alles im Zusammenleben von Wolf und Rabe. Durch eine jahrtausendelange Kooperation konnte sich das Vertrauen zwischen befreun- deten Raben- und Wolfsindividuen entwi- ckeln, erklärt Bernd Heinrich. Die Raben flie- gen den Wölfen voraus, zeigen ihnen Beute oder Kadaver an. Sie warnen vor Gefahr, wer- den deshalb auch „Augen der Wölfe“ genannt. Zur Kommunikation nutzen die Raben dabei Rufe, beispielsweise den Futterruf, den Hein- rich als ein vitales „Jaaa-huaaa!“ beschreibt. NACHBARN HöREN AUFEINANDER Doch wie lernen Wölfe, die unterschiedlichen Rabenrufe richtig zu deuten? „Futterrufe könnten ursprünglich reine Frustrationsrufe gewesen sein“, vermutet Heinrich, „weil Raben allein nicht in der Lage sind, einen Kadaver zu öffnen. Vielleicht kam in so einem Moment zufällig ein Wolf vorbei und hat gelernt: Der Ruf bedeutet, ein Rabe hat einen Kadaver ent- deckt. Der Rabe hat wiederum gelernt: Wenn ich so rufe, kommt ein Wolf und hilft mir.“ Ein Ereignis, das besonders bei diesen Spezies wahrscheinlich ist, handelt es sich doch um hoch soziale, kommunikative Tiere. Die Forscher vermuten, dass beide Seiten Kommunikation nutzen, um sich aufeinander einzustimmen. Sie haben beobachtet, dass Raben auf das aufgeregte Jaulen der Wölfe mit lauten Rufen antworten, um dann anschlie- ßend gemeinsam zur Jagd aufzubrechen. Ein Verhalten, das man in sozialen Gruppen Hilfsbereit mit Hunger im Bauch: Raben sind für Wölfe nützlich. Auf der Suche nach Futter zeigen sie an, wo etwas zu holen ist.

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Raben und Wölfe helfen sich nicht nur bei der Jagd. Einige Familien bilden soziale Gemeinschaften. Die Fähigkeit des Hundes zum Zusammenleben mit Andersartigen ist keine Folge der Domestikation, sagen Forscher, sondern findet hier ihren Ursprung

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Banff National Park in Kanada. Die

ersten Wölfe wachen auf, räkeln sich

im Schnee, strecken ihre steifen Glieder in

der Wintersonne. Plötzlich flattert ein großer

schwarzer Vogel von einer nahebei stehen-

den Tanne, segelt im Tiefflug über das Rudel

und pickt im Vorüberfliegen frech nach dem

Schwanz von Jungwolf Silvertip. Anschließend

stolziert er munter im Rudel herum.

Ist der Rabe lebensmüde? Normalerweise

verstehen Wolfseltern bei Attacken auf ihren

Nachwuchs keinen Spaß. Was also führt dazu,

dass der „Angriff“ des schwarzen Aasfressers

von Mutter Delinda und Vater-Wolf Nanuk

vollkommen ignoriert wird? „Das ist hier ganz

normal“, erklärt Forscher Günther Bloch,

der seit zwanzig Jahren den Alltag der Wolfs-

familien im Park beobachtet. „Dieser Rabe

gehört zu der Bow-Tal-Wolfsfamilie, er ist

sozusagen ein eng befreundeter Nachbar.“

mehr als eine Jagdgemeinschaft

Dass sich so unterschiedliche Tierarten zum

beidseitigen Nutzen verbünden, ist Verhaltens-

forschern schon lange bekannt (siehe Kasten

Seite 117). So kooperiert zum Beispiel ein

kleiner afrikanischer Vogel, der Honiganzeiger,

mit Honigdachsen und Menschen, führt seine

Helfer direkt zum Bienenstock, damit diese

die klebrige Quelle für ihn öffnen. Anschlie-

ßend wird gemeinsam gespeist. Der kleine

Vogel frisst sich mit Bienenmaden satt, Dachs

oder Mensch bedienen sich am Honig. „Eine

Form von Zusammenarbeit bei der Suche

nach Nahrung ist von Raben und Wölfen

ebenfalls lange bekannt“, berichtet der Raben-

forscher, Verhaltensbiologe und Bestseller-

autor Professor Dr. Bernd Heinrich von der

Universität von Vermont („Die Weisheit

der Raben“, „Die Seele der Raben“). „Doch

es häufen sich die Beobachtungen, dass Raben

und Wölfe mehr verbindet als der Jagder-

folg.“ Nach Ansicht des Zoologen sind Raben

sogar eine Art Haustier für die Wölfe, sie

jagen nicht nur, sondern spielen miteinander.

„Dabei scheinen die Raben zu testen, was

sie sich erlauben können und wie die unter-

schiedlichen Wölfe dabei reagieren. Die Tiere

lernen sich gegenseitig kennen, und zwischen

den Wolf- und den Rabenindividuen entste-

hen vertraute soziale Beziehungen.“

ein leben seite an seite

Es ist ein Prozess, der schon bei Wolfswelpen

und Jungvögeln beginnt. Im Banff National-

park, dem Beobachtungsgebiet von Günther

Bloch, zieht das Bow-Tal-Rabenpaar seine

Jungen immer in der Nähe vom Höhlenkom-

plex des Bow-Tal-Wolfspaars auf. Nicht nur

hier haben sich enge Bande zwischen Wolfs-

und Rabenclan geknüpft: „Bei allen fünf

Wolfsfamilien in unserem Gebiet lag die wei-

teste Entfernung zwischen Nest und Höhlen-

komplex, die wir messen konnten, höchstens

zweihundert Meter“, so der Forscher.

Dabei wird der Nachwuchs frühzeitig

mit den gefiederten oder behaarten Freunden

bekannt gemacht: „Wenn die Wolfswelpen

zum ersten Mal aus ihren Höhlen kommen,

nehmen die Raben sofort Kontakt auf. Sie

picken den Kleinen in den Schwanz, ärgern

sie, und die Wolfseltern schauen in aller Ruhe

zu.“ Forscher wie Heinrich und Bloch ver-

muten, dass so eine gegenseitige Geruchsprä-

gung und Sozialisation auf individuelle Vögel

und Wölfe stattfindet, die in ein durchaus

enges Gemeinschaftsleben mündet. „Wölfe

und Raben bilden soziale Gruppen, sie haben

eine dauerhafte familiäre Beziehung. Man

spielt miteinander, neckt sich ein wenig, man

unternimmt jeden Tag zusammen Ausflüge

durch das heimische Revier und kehrt wieder

nach Hause zurück“, wie Günther Bloch und

seine Ehefrau Karin beobachtet haben.

Doch worin liegt der Vorteil für beide

Arten? Gesellige Nachmittage sind nicht alles

im Zusammenleben von Wolf und Rabe.

Durch eine jahrtausendelange Kooperation

konnte sich das Vertrauen zwischen befreun-

deten Raben- und Wolfsindividuen entwi-

ckeln, erklärt Bernd Heinrich. Die Raben flie-

gen den Wölfen voraus, zeigen ihnen Beute

oder Kadaver an. Sie warnen vor Gefahr, wer-

den deshalb auch „Augen der Wölfe“ genannt.

Zur Kommunikation nutzen die Raben dabei

Rufe, beispielsweise den Futterruf, den Hein-

rich als ein vitales „Jaaa-huaaa!“ beschreibt.

nachbarn hören aufeinander

Doch wie lernen Wölfe, die unterschiedlichen

Rabenrufe richtig zu deuten? „Futterrufe

könnten ursprünglich reine Frustrationsrufe

gewesen sein“, vermutet Heinrich, „weil Raben

allein nicht in der Lage sind, einen Kadaver

zu öffnen. Vielleicht kam in so einem Moment

zufällig ein Wolf vorbei und hat gelernt: Der

Ruf bedeutet, ein Rabe hat einen Kadaver ent-

deckt. Der Rabe hat wiederum gelernt: Wenn

ich so rufe, kommt ein Wolf und hilft mir.“

Ein Ereignis, das besonders bei diesen Spezies

wahrscheinlich ist, handelt es sich doch um

hoch soziale, kommunikative Tiere.

Die Forscher vermuten, dass beide Seiten

Kommunikation nutzen, um sich aufeinander

einzustimmen. Sie haben beobachtet, dass

Raben auf das aufgeregte Jaulen der Wölfe mit

lauten Rufen antworten, um dann anschlie-

ßend gemeinsam zur Jagd aufzubrechen. Ein

Verhalten, das man in sozialen Gruppen

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Hilfsbereit mit Hunger im Bauch: Raben sind für Wölfe nützlich. Auf der Suche nach Futter

zeigen sie an, wo etwas zu holen ist.

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bekannte symbiosenNachbarschaftliche Hilfe zweier Arten zum gegenseitigen Nutzen – das hat sich in der Natur vielfach entwickelt. Der Grund: Beide Tiere profitieren von der Zusammenarbeit

ClownfisCh & seeanemone

Der Clownfisch ist ein behäbiger Schwimmer und deshalb leichte Beute für Raubfische. Ein Grund, warum er sich bei Gefahr in den Schlund der fischfressenden Seeanemone flüchtet – doch dabei wird ihm keine Schup-pe gekrümmt. Stattdessen schießt der Raub-fisch direkt in den Schlund der Anemone – und wird dort sofort von ihren Verdauungs- säften verzehrt. Der kleine Clownfisch arbeitet sich währenddessen, sicher geschützt von einer speziellen Schuppen-Schleim-schicht, durch die Nesseln der Seeanemone unversehrt wieder nach Draußen und be-ginnt seinerseits damit, an der Schwanzflosse seines ehemaligen Verfolgers zu nagen.

honiganzeiger & honigdaChs Der Vogel lockt Mensch oder Dachs zum Bienen-stock, lässt ihn von den Großen öffnen und holt sich dann seinen Teil der Honigbeute ab. Danach trennen sich die Wege wieder.

PutzerliPPfisCh & moräne Der Fisch befreit Haut und Mundhöhle der Moräne von Parasiten und abgestorbenen Hautpartikeln. Sie zügelt ihren Appetit, hält still und verzich-tet darauf, die leichte Beute zu verschlingen.

und natürliCh mensCh & hund Diese Beziehung ist mit den Jahrtausenden gewachsen. Anfangs eine klassische Jagd-gemeinschaft, haben sich Hunde immer wei-ter in unser Privatleben und unsere Herzen geschlichen. Vom Jagdhelfer zum Bettwär-mer: Heute leben Mensch und Hund in einer Sozialgemeinschaft zusammen und haben eine vertrauensvolle, innige Bindung, von der beide Seiten profitieren können (siehe auch „Kommst du kuscheln?“, Seite 106).

plusraben mit freundschaftsgen?

Schon als Kind ist dem Verhaltensforscher

Heinrich aufgefallen, dass Raben von Hunden

in Wolfsgröße anscheinend fasziniert sind:

„Damals hatte ich einen Schäferhund und

zwei Raben, mit denen ich draußen umher-

gezogen bin. So habe ich beobachtet, wie gut

das Zusammenleben zwischen diesen beiden

Arten funktioniert. Das war also lange bevor

ich angefangen habe, Raben zu studieren,

geschweige denn beobachten konnte, was für

eine besondere Beziehung zwischen Raben

und Wölfen existiert.“ Während seiner späte-

ren zoologischen Forschungen an wilden

Raben in Yellowstone und Maine war ihm

aufgefallen, dass Raben im Yellowstone Natio-

nal Park selbstsicher speisen, sobald sie Wölfe

zum Kadaver geholt haben. Dagegen zeigen

sich die Vögel im Beobachtungsgebiet in

Maine, in dem es keine Wölfe gibt, besonders

scheu und unsicher. „Diese Raben fühlen

sich scheinbar unwohl ohne den Geleitschutz

von Wölfen, auch wenn sie nie ein Zusam-

menleben mit ihnen kennengelernt haben.“

Verfügen sie also vielleicht schon über

ein Gen, das sie von Geburt an den Wolf als

Freund erkennen lässt? Eine weitere Beob-

achtung des Forschers könnte diese Hypothese

unterstützen: Bernd Heinrich hat während

seiner Studien Rabenjungen ohne Kontakt zu

anderen Tieren aufgezogen. „Diese Vögel

hatten beim Anblick einer toten Maus Todes-

angst, obwohl Raben normalerweise Mäuse

lieben.“ Im Kontakt mit Hunden blieben sie

hingegen sehr neugierig, „haben sich immer

näher herangepirscht, ihnen in den Schwanz

gepickt“, so der Forscher, „wie es wilde Raben

bei den Wölfen machen.“ Heinrichs Hypo-

these: „Raben und Wölfe haben sich in Millio-

nen von Jahren zusammen entwickelt. Das

Bedürfnis nach Nähe zum Wolf oder Hund

ist eventuell bereits genetisch fixiert.“

domestikation dank rabe?

Doch gibt es umgekehrt auch ein Raben-Gen

im Wolf? Günther Bloch ist sich sicher: Die

gemeinsame Geschichte mit Raben hat den

Wolf toleranter gemacht und in ihm die

Fähigkeit zur Kooperation und Zusammen-

leben mit einer fremden Art herausgebildet.

Der Hund trägt dieses Talent als Wolfserbe

in sich. „Das sprichwörtliche Faible für eine

zwischenartliche Beziehungsbereitschaft hat

der Hund vom Wolf geerbt.“ Bloch, der das

Familienleben der Wölfe in seinem Buch

„Wölfisch für Hundehalter“ beschreibt, geht

noch weiter: „Die Mensch-Hund-Beziehung

ist keine Folge der Domestikation, wie vielfach

behauptet wird, und auch nichts Exklusives:

Unterschiedliche Arten wie Hund und Katze

formen problemlos Lebensgemeinschaften.“

sagen erzählen keine märchen

In der Mythologie ist die enge Verbindung

zwischen Wölfen und dem schlauen schwar-

zen Federvieh keine Neuigkeit. Nicht nur

Indianer haben die Zusammenarbeit von

Raben und Wölfen lange vor den Forschern

beobachtet, auch in der nordischen Mytho-

logie spielt sie eine zentrale Rolle. So lässt

sich der Kriegsgott Odin von je zwei Raben

und Wölfen begleiten. Die schwarzen Vögel

Hugin und Munin sind Boten, sie fliegen

aus und berichten, was sie gesehen haben.

Die Wölfe Geri und Freki begleiten Odin auf

seinen Streifzügen durch die Welt. Bernd

Heinrich findet es faszinierend, zu erkennen,

dass die enge Verbindung zwischen Wolf

und Rabe bereits in jahrtausendealten Sagen

von Menschen beschrieben worden ist –

„da bekommt man Respekt vor der Wahrheit,

die in den Sagen stecken kann.“

offene fragen bleiben

Ob sich allerdings die Bindung zwischen der

Raben- und Wolfsfamilie auch in den nach-

folgenden Generationen fortsetzt, müssen die

Forscher noch nachweisen. „Die Frage, die

uns im Moment umtreibt, lautet: Was passiert

mit den Rabenjungen, wenn die Jungwölfe

abwandern und sich ein neues Revier suchen?

Tun sie sich, nachdem sie einen Partner

gefunden haben, mit den ihnen bekannten

Wölfen zusammen und suchen sie sich ge-

meinsam ein Territorium? Setzen sie damit

also die Familientradition fort?“

Um in dieser Frage Gewissheit zu erlangen,

stattet der Feldforscher Günther Bloch den

Rabennachwuchs mit Miniatursendern aus,

die mittels des Positionsbestimmungssystems

GPS anzeigen, wo sich die neue Rabengene-

ration niederlässt. Die Forscher können dann

nachschauen, mit wem. „Es bleibt spannend“,

sagt Bloch. „Wie immer bei Tieren.“

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häufig sieht und jeden als gemeinschaftliches

Ritual auf die Jagd einstimmen und das Zu-

sammengehörigkeitsgefühl stärken soll. „Wir

haben im Zuge der Bow Valley Wolf Beha-

viour Study sehr viele Beobachtungen zur

Interaktion machen können, sodass wir uns

sicher sind: Raben und Wölfe lernen, sich

gegenseitig zu verstehen – ähnlich wie Hunde

durch enges Zusammenleben mit uns lernen,

Menschenverhalten und -wörter richtig aus-

zulegen“, schlägt Bloch den Bogen zum Hund.

Doch wo liegt der Vorteil für Raben?

Bernd Heinrich hat sie beobachtet: „Die Wölfe

öffnen die Beute, was ihre gefiederten Späh-

trupps mit ihren Schnäbeln allein nicht schaf-

fen. Außerdem bieten sie den scheuen Vögeln

eine Art Geleitschutz vor anderen großen

Beutegreifern wie dem Bären oder dem Luchs.

Ohne Wölfe trauen sich Raben meist gar nicht

an einen Kadaver heran.“ Der Grund für so

viel Vorsicht: Gemeinsam mit Bär, Puma oder

Kojote zu speisen, kann für Raben tödlich

enden. Am Kadaver dulden diese Tiere Mit-

esser nur ungern. Zwar zeigen sich auch Wölfe

nicht begeistert, wenn sich in einem strengen

Winter fünfzig oder mehr Raben an einer

Tierbeute tummeln. Es kann sogar vorkom-

men, dass ein Vogel im Eifer des Gefechts

sein Leben lassen muss. Aber das liegt eher

an der Anonymität der Masse: „Rabenkinder,

die sich von den Eltern gelöst haben und in

Gruppen umherziehen, sind deshalb etwas

scheuer im Umgang mit dem Wolf und trauen

sich nur in großen Gruppen an die Kadaver

heran“, berichtet Bernd Heinrich.

Erst später, wenn sie sich als Paar nieder-

lassen, werden sie wieder selbstbewusster im

Umgang mit Wölfen. Doch auch bei Massen-

ansammlungen gilt meistens Eintracht,

hat Günther Bloch beobachtet: „Wölfe killen

andere Vögel, nur nicht Raben – wenigstens

nicht absichtlich.“ Bernd Heinrichs Hypo-

these lautet, dass neben der engen Sozialisa-

tion der strenge Geruch der Rabenfedern eine

Rolle spielt. Das Prinzip Abschreckung durch

schlechten Geschmack kennt der Zoologe von

der Waldschnepfe: „Ihr Gefieder schmeckt

so scheußlich, dass sie von allen Beutegreifern

verschmäht wird.“ Doch selbst wenn eine Ge-

schmacksanalyse ergeben würde, dass Raben

dank schlechter Federaromen vom Speiseplan

des Wolfs gestrichen wurden, stellt sich die

Frage, warum nur Rabe und Wolf traulich

zusammen speisen und spielen, nie aber Bär

oder Puma. Bernd Heinrich vermutet hinter

der Bereitschaft zum engen Zusammenleben

mehr als kurzweilige Freundschaft.

Ist die Beute vom Wolf erst mal geöffnet, kommen auch die Raben zum Schlemmen an den

„gedeckten Tisch“. Die Wölfe dulden es.

[116] VERHALTEN

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