Lucia Ronchetti / KRisto ŠagoR (text) Di NEUMOND · Lucia Ronchetti / KRisto ŠagoR (text) Di...

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LUCIA RONCHETTI / KRISTO ŠAGOR (TEXT) NEUMOND Kammeroper für junges Publikum nach W. A. Mozarts Zauberflöte von Lucia Ronchetti Text von Kristo Šagor Auftragswerk des Nationaltheater Mannheim Musiktheaterpädagogik: Susanne Mautz · Musikalische Assistenz: Philippe Adam, Neue Musikalische Einstudierung: Francesco Damiani, Keiko Ogawa · Regieassistenz: Friederike Hartung · Bühnen- und Kostümassistenz: Tessa-Veronika Janus · Inspizienz: Geertje Gardner · Maske:??? · Technik: Jan Parzonka · Produktionsleitung: Alexander Bauer · Studienleitung: Stephen Marinaro · Videoeinrichtung: Regina Hess · Beleuch- tungseinrichtung: Damian Chmielarz Die Ausstattung wurde in den Werkstätten des Nationaltheater Mannheim angefertigt. Technischer Direktor: Christian de la Rosée · Leiterin der Beleuchtung: Nicole Berry · Leiter der Kostümabteilung: Manfred Scholz · Chefmaskenbildner: Harald Klute · Leiter des Ateliers: Thomas Busse · Leiterin der Dekorationsabteilung: Regina Silbereis · Lei- ter der Schreinerei: Lothar Karepin · Leiter der Schlosserei: Bernd Oberle · Leiterin der Requisite: Stefanie Durstberger Rechte: Rai Trade · Nationaltheater Mannheim, 233. Spielzeit 2011/2012 · Eigenbe- triebsleitung: Lutz Wengler (kommissarisch) · Direktoren der Jungen Oper: Andrea Gro- nemeyer, Klaus-Peter Kehr · Illustration: Tanja Jacobs · Probenfotos: Christian Kleiner Die Junge Oper wird präsentiert von MVV Energie. URAUFFÜHRUNG AM 1. JULI 2012 Musikalische Leitung Joseph Trafton Inszenierung Christian Pade Bühne und Kostüme Alexander Lintl Licht Ronny Bergmann Dramaturgie Anselm Dalferth Muriel Sophie Sauter Magdalind Antje Bitterlich Jasper Benedikt Nawrath Frederik Benedikt Kauff Stimmen Georg Gädker Bariton Magnus Piontek Bass Timo Schabel Tenor Mitglieder des Orchesters des Nationaltheater Mannheim Impressum Herausgeber: Nationaltheater Mannheim 233. Spielzeit 2011/2012 · Generalintendantin: Regula Gerber Programmheft Nr. 191 Neumond von Lucia Ronchetti / Kristo Šagor (Text) Uraufführung: 1. Juli 2012 im Studio · Redaktion und Textbeiträge: Anselm Dalferth Layout: Michael J. Böhm · Druck: Concordia-Druckerei König oHG, Mannheim DIE MACHT DES MONDES Der Mond umkreist einmal im Monat die Erde, diese wiederum umkreist die Sonne. Dabei steht der Mond ständig in einem anderen Winkel zu Erde und Sonne und wird vom Sonnenlicht immer wieder unterschiedlich beschienen. Der Mond ändert also ständig seine Gestalt. Wenn man ihn ihn gar nicht sehen kann, spricht man von Neumond. Wenn man sich die Welt ohne künstliche Lichtquellen (Stadt, elektrischer Strom, Be- leuchtung von Fahrzeugen und Straßen, Feuer) vorstellt, wird klar, wie sehr die Men- schen vom Mondlicht – abhängig von Mondphasen und Bewölkung – beeinflusst wer- den. So wie die Sonne den Tag bestimmt, so regieren der Mond und seine Phasen in der Nacht. Er übt wahrscheinlich eine größere Macht auf das Leben der Menschen aus, als viele glauben. Zwischen den Mondphasen und bestimmten Lebenssituationen wird häufig ein Zusammenhang hergestellt. So soll der Stand des Mondes unter ande- rem Auswirkungen auf den Schlaf, die Unfallhäufigkeit, auf Komplikationen bei Ope- rationen und Geburten, auf den Menstruationszyklus oder auch auf das Haarwachs- tum haben. Als Neumond ist der Mond von der Sonne unbeschienen und geht überdeckt vom at- mosphärischen Himmelsblau nahe der Sonne mit dieser unter (manchmal kann er je- doch die Sonne abdecken und eine Sonnenfinsternis auslösen). Es scheint als ob sich der Mond in diesem Moment »erneuert«. Der Neumond ist vor allem in der Astrologie, der Sterndeuterkunst, ein Symbol für den Neuanfang. Demnach stirbt der Mond, geht in das Paradies der Sonne ein und wird schließlich wiedergeboren. Die Menschen vie- ler Kulturen betrachteten und betrachten das Wiederauftauchen der Mondsichel als besonderes Ereignis. Nacht. Abnehmender Mond. Eine der Männerstimmen. Muriel Und ich überleg die ganze Zeit, welches coole Hobby ich haben könnte. Parkour, quer über die Dächer in der Oststadt. Oder Apnoetauchen, zu irgendwelchen Kleinstlebewesen, Krill. Und ich überleg die ganze Zeit, welche coole Überzeugung ich haben könnte. Keine Tiere mehr essen. Oder für die Anerkennung künstlicher Intelligenz als Bürger eintreten. Oder beides. Mit mir im Reinen. Für die anderen Wut und Verachtung oder distanzierten Humor oder beides. Und ich überleg die ganze Zeit, welchen coolen Beruf ich mir selbst ausdenken könnte. Und überleg: von Beruf ich sein. Dafür bezahlt werden, ich zu sein. Keine Fortbildungen, kein Bewerbungsverfahren, einfach ich. Wer bezahlt mich dafür, ich zu sein? Keiner. Eben. Scheiße. (Neumond, Szene 3) LUCIA RONCHETTI / KRISTO ŠAGOR (TEXT) NEUMOND »EINFACH ICH SEIN« Zum Inhalt von Neumond »Ich sein« - das klingt einfach, klar und logisch. Was denn sonst? Aber wenn man et- was genauer hinguckt, dann merkt man: Eigentlich ist das ganz schön schwer, ganz schön viel verlangt: Wie muss ich wohl »ich sein«, damit ich am besten ich bin!? In Neumond versucht Muriel dieses Rätsel zu lösen und ihre Freunde Frederik und Jasper wissen ebenfalls nicht so recht wie sie sein wollen oder sollen. Vor allem weil da auch noch die oft anstrengenden Hoffnungen und Wünsche derer sind, die es doch »nur gut meinen« und einem »nur das Beste« ermöglichen wollen: Eltern, Trainer, Leh- rer. Bei Muriel ist es ihre Mutter Magdalind, die das Leben der Tochter stark beeinflusst. Sie ist körperlich behindert und alleinstehend, deswegen hat nicht nur sie eine große Verantwortung für Muriel, sondern auch Muriel eine besondere Verantwortung für ihre Mutter. Aber die Wünsche der Mutter machen ihr Angst und verfolgen sie bis in den Schlaf, in dem sie dann manchmal skurrile Alpträume erlebt. Dabei hat Muriel in ih- rem eigenen Leben genug Probleme. Welches Hobby sollte man haben? Welchen Beruf soll sie später mal machen? Wie liebt man richtig und wie macht man richtig Liebe? Ist sie in Frederik verliebt oder in Jasper, den sie schon seit Ewigkeiten kennt? Oder in keinen von beiden? Fragen über Fragen – und die beiden Jungs sind auch nicht ein- deutig in ihren Gedanken. Frederik, der nachts manchmal Pornos guckt, scheint nur das eine Ziel zu haben: Als Schwimmer zu den deutschen Meisterschaften. Er findet seinen Vater toll, der ihn trainiert, aber irgendwann bemerkt er, dass es nicht mehr klappt mit ihm und seinem Dad. Er muss raus. Und Jasper, der gerne immer genau wüßte, was als nächstes passiert, der immer einen Plan haben will und die Strategien seiner Eltern bewundert, tut sich schwer damit, seine Gefühle zu erkennen. Geht es darum, den Vorstellungen anderer zu entsprechen oder darum, die eigenen Interessen zu verfolgen? Diese Frage ist nicht neu: Auch der Komponist Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) war sich unsicher. Er hatte ein kompliziertes Verhältnis zu seinem Vater, der sein Ta- lent zwar sehr förderte – aber ihn manchmal auch überforderte. Und in einer der Opern von Mozart, der Zauberflöte, wird die Tochter Pamina von ihrer Mutter, der Kö- nigin der Nacht, stark unter Druck gesetzt. Ihre »Liebe« – und darin ähnelt ihr die Mutter Magdalind aus Neumond sehr – lässt die Tochter nicht frei, lässt sie nicht sie selbst sein. In einer Szene der Oper, in der die Königin ihre so genannte »Rachearie« singt, wird das besonders deutlich: »Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen, Tod und Verzweiflung flammet um mich her! Fühlt nicht durch dich Sarastro Todesschmerzen, So bist du meine Tochter nimmermehr. – Verstoßen sei auf ewig und verlassen, Zertrümmert alle Bande der Natur, Wenn nicht durch dich Sarastro wird erblassen! Hört! Rachegötter! Hört der Mutter Schwur!« Nacht. Neumond. Fieber. Alle sind gekommen, aber keiner ist da, stehen mit dem Rücken zu ihr und singen mit. Muriel Ich bin gar nicht ich. Ich bin kein Ganzes. Fängt damit an, daß die Poren offen sind und Wasser aus mir rausdampft. Daß ich atme und mich in den Atem verliere. Ab wann gehört der Wasserdampf nicht mehr zu mir? Ab wann sind die Pisse und die Scheiße in mir nicht mehr ich, sondern eben nur Pisse und Scheiße? Und der Kopf? Noch schlimmer: Ich bin ein Parlament, und die Parteien in mir, die widersprechen sich ständig. Ich bin Kläger und Angeklagter auf einmal, bin Anwalt und Zeuge beider Parteien, bin Richter und verführbar johlende Menge. Hört das irgendwann auf? Kennt sich da einer aus? Ich kapier die Zusammenhänge, ja, aber daß ich sie kapiere, hilft mir nicht. Und daß ich das kapiere, hilft mir auch wieder nicht. Und so weiter: Hilft mir nicht, hilft mir nicht, hilft mir alles nicht, und plötzlich kippt da irgendwas, plötzlich macht da was ‚Klick’, macht da was ‚Bang’, und dann es hilft eben doch, und ich bin gereinigt, und ich bin klar, und es war ein Zaubertrick, den ich mir selber mache, ich lecke mein eigenes Fell wie eine Katze, ich spiele den Ball, mitten in mein Mitte rein: ‚Einmal eine einfache Fahrt, bitte. Rückfahrt kauf ich später.’ Und das erste Mal ist es nicht gegen wen anders, sondern für mich. Ich muß nicht mehr weglaufen, ich bin schon da. Bin noch gar nicht richtig ausgebrochen, aber schon angekommen, schon da. Das wars jetzt schon, oder wie? Glaub ich nicht. Jetzt doch, oder was? Soll ich dankbar sein? Oder soll ich schreien? (Neumond, Szene 13) Die Mutter ist verzweifelt und verlangt, dass ihre Tochter zur Mörderin wird! Mit ihrem Wunsch übt sie Druck auf Pamina aus. Doch sie erwartet zu viel von ihr. Pamina wei- gert sich und löst sich von ihrer Mutter. Aus der Beschäftigung des Autors Kristo Šagor und der Komponistin Lucia Ronchetti mit diesen Fragen des Erwachsenwerdens und mit der Zauberflöte ist Neumond ent- standen. Viele musikalische Anklänge verbinden Mozarts Oper und das neue Musik- theater, das in einem ständigen Wechsel von Tag- und Nachtsituationen in das Leben von Muriel, Jasper, Frederik und Magdalind hineinzoomt. Magdalind scheint, ähnlich wie die Königin der Nacht, eng mit dem Mond verbunden, dem ja nachgesagt wird, dass er in vielen Situationen das Leben der Menschen beeinflusst. Beide, Mond und Mutter, nehmen als eine Macht von außen Einfluss auf das Leben von Muriel. Doch in der Neumondnacht – gerade dann, wenn der Mond nicht leuchtet, sondern unsichtbar bleibt – »kippt da irgendwas, plötzlich macht da was ‚Klick’, macht da was ‚Bang’« (Szene 13) und Muriel versteht mit einem Male etwas besser, was das eigentlich be- deutet: »Ich sein«. Die Sopranistin Antje Bitterlich studierte Gesang in Essen und ist seit 2008 am Natio- naltheater Mannheim engagiert, wo sie auch die Königin der Nacht singt. Als Magda- lind sagt sie über ihre Tochter: »Muriel ist ein typisches 15-jähriges Mädchen: Nur Jungs im Kopf. Ich wünschte mir so sehr, sie würde sich endlich mal entscheiden, was sie mit ihrem Leben anfangen will.« Die Sopranistin Sophie Sauter studierte Klavier und Gesang in Stuttgart und Karlsru- he, wo sie von 2009 – 2011 Mitglied des Opernstudios war. Als Muriel sagt sie über ihre Mutter: »Meine Mutter hat keine Ahnung, was in mir vorgeht. Sie ist kalt wie ein Kühlschrank, ruht sich auf ihrem Handicap aus und interessiert sich nur für sich selbst.« Der Tenor Benedikt Nawrath kommt aus Heidelberg und studierte Gesang in Würz- burg. Seit 2010 ist er am Nationaltheater Mannheim und singt hier sehr viele verschie- dene Rollen. Er denkt über seine Rolle: »Jasper macht sich einen Plan, um so weit weg wie möglich von seinen Eltern zu leben, hat aber keinen Plan, an Muriel ranzukommen.« Der Schauspieler Benedikt Kauff kommt aus Mainz, studierte Schauspiel in Leipzig und wohnt in Dresden, wo er in vielen Rollen auf der Bühne stand. Zu seiner Figur meint er: »Frederik ist mutig. So schnell wie er mutig und selbstbewusst werden kann, so schnell kann es damit aber auch wieder vorbei sein. Man sieht ihn dann auf der Suche nach seinem eigenen Leben.« Die Produktion NEUMOND wird gefördert durch die Europäischen Mozart Wege im Rahmen des EU-Projekts Family Music Die Junge Oper wird präsentiert von WWW.NATIONALTHEATER-MANNHEIM.DE

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Lucia Ronchetti / KRisto ŠagoR (text) NEUMONDKammeroper für junges Publikum nach W. A. Mozarts Zauberflöte von Lucia RonchettiText von Kristo Šagor

Auftragswerk des Nationaltheater Mannheim

Musiktheaterpädagogik: Susanne Mautz · Musikalische Assistenz: Philippe Adam, Neue Musikalische Einstudierung: Francesco Damiani, Keiko Ogawa · Regieassistenz: Friederike Hartung · Bühnen- und Kostümassistenz: Tessa-Veronika Janus · Inspizienz: Geertje Gardner · Maske:??? · Technik: Jan Parzonka · Produktionsleitung: Alexander Bauer · Studienleitung: Stephen Marinaro · Videoeinrichtung: Regina Hess · Beleuch-tungseinrichtung: Damian ChmielarzDie Ausstattung wurde in den Werkstätten des Nationaltheater Mannheim angefertigt. Technischer Direktor: Christian de la Rosée · Leiterin der Beleuchtung: Nicole Berry · Leiter der Kostümabteilung: Manfred Scholz · Chefmaskenbildner: Harald Klute · Leiter des Ateliers: Thomas Busse · Leiterin der Dekorationsabteilung: Regina Silbereis · Lei-ter der Schreinerei: Lothar Karepin · Leiter der Schlosserei: Bernd Oberle · Leiterin der Requisite: Stefanie DurstbergerRechte: Rai Trade · Nationaltheater Mannheim, 233. Spielzeit 2011/2012 · Eigenbe-triebsleitung: Lutz Wengler (kommissarisch) · Direktoren der Jungen Oper: Andrea Gro-nemeyer, Klaus-Peter Kehr · Illustration: Tanja Jacobs · Probenfotos: Christian Kleiner Die Junge Oper wird präsentiert von MVV Energie.

uRauffühRung am 1. JuLi 2012

musikalische Leitung Joseph Traftoninszenierung Christian Pade Bühne und Kostüme Alexander LintlLicht Ronny BergmannDramaturgie Anselm Dalferth

muriel Sophie Sautermagdalind Antje BitterlichJasper Benedikt Nawrathfrederik Benedikt Kauff

stimmen Georg Gädker Bariton Magnus Piontek Bass Timo Schabel Tenor

Mitglieder des Orchesters des Nationaltheater Mannheim

impressumHerausgeber: Nationaltheater Mannheim233. Spielzeit 2011/2012 · Generalintendantin: Regula GerberProgrammheft Nr. 191 Neumond von Lucia Ronchetti / Kristo Šagor (Text)Uraufführung: 1. Juli 2012 im Studio · Redaktion und Textbeiträge: Anselm DalferthLayout: Michael J. Böhm · Druck: Concordia-Druckerei König oHG, Mannheim

DiE Macht DEs MONDEsDer Mond umkreist einmal im Monat die Erde, diese wiederum umkreist die Sonne. Dabei steht der Mond ständig in einem anderen Winkel zu Erde und Sonne und wird vom Sonnenlicht immer wieder unterschiedlich beschienen. Der Mond ändert also ständig seine Gestalt. Wenn man ihn ihn gar nicht sehen kann, spricht man von Neumond.Wenn man sich die Welt ohne künstliche Lichtquellen (Stadt, elektrischer Strom, Be-leuchtung von Fahrzeugen und Straßen, Feuer) vorstellt, wird klar, wie sehr die Men-schen vom Mondlicht – abhängig von Mondphasen und Bewölkung – beeinflusst wer-den. So wie die Sonne den Tag bestimmt, so regieren der Mond und seine Phasen in der Nacht. Er übt wahrscheinlich eine größere Macht auf das Leben der Menschen aus, als viele glauben. Zwischen den Mondphasen und bestimmten Lebenssituationen wird häufig ein Zusammenhang hergestellt. So soll der Stand des Mondes unter ande-rem Auswirkungen auf den Schlaf, die Unfallhäufigkeit, auf Komplikationen bei Ope-rationen und Geburten, auf den Menstruationszyklus oder auch auf das Haarwachs-tum haben. Als Neumond ist der Mond von der Sonne unbeschienen und geht überdeckt vom at-mosphärischen Himmelsblau nahe der Sonne mit dieser unter (manchmal kann er je-doch die Sonne abdecken und eine Sonnenfinsternis auslösen). Es scheint als ob sich der Mond in diesem Moment »erneuert«. Der Neumond ist vor allem in der Astrologie, der Sterndeuterkunst, ein Symbol für den Neuanfang. Demnach stirbt der Mond, geht in das Paradies der Sonne ein und wird schließlich wiedergeboren. Die Menschen vie-ler Kulturen betrachteten und betrachten das Wiederauftauchen der Mondsichel als besonderes Ereignis.

Nacht. Abnehmender Mond. Eine der Männerstimmen.MurielUnd ich überleg die ganze Zeit, welches coole Hobby ich haben könnte. Parkour, quer über die Dächer in der Oststadt. Oder Apnoetauchen, zu irgendwelchen Kleinstlebewesen, Krill. Und ich überleg die ganze Zeit, welche coole Überzeugung ich haben könnte. Keine Tiere mehr essen. Oder für die Anerkennung künstlicher Intelligenz als Bürger eintreten. Oder beides. Mit mir im Reinen. Für die anderen Wut und Verachtung oder distanzierten Humor oder beides. Und ich überleg die ganze Zeit, welchen coolen Beruf ich mir selbst ausdenken könnte. Und überleg: von Beruf ich sein. Dafür bezahlt werden, ich zu sein. Keine Fortbildungen, kein Bewerbungsverfahren, einfach ich. Wer bezahlt mich dafür, ich zu sein? Keiner. Eben. Scheiße.(Neumond, Szene 3)

Lucia Ronchetti / KRisto ŠagoR (text)

NEUMOND

»EiNfach ich sEiN«Zum inhalt von Neumond

»Ich sein« - das klingt einfach, klar und logisch. Was denn sonst? Aber wenn man et-was genauer hinguckt, dann merkt man: Eigentlich ist das ganz schön schwer, ganz schön viel verlangt: Wie muss ich wohl »ich sein«, damit ich am besten ich bin!?In Neumond versucht Muriel dieses Rätsel zu lösen und ihre Freunde Frederik und Jasper wissen ebenfalls nicht so recht wie sie sein wollen oder sollen. Vor allem weil da auch noch die oft anstrengenden Hoffnungen und Wünsche derer sind, die es doch »nur gut meinen« und einem »nur das Beste« ermöglichen wollen: Eltern, Trainer, Leh-rer.

Bei Muriel ist es ihre Mutter Magdalind, die das Leben der Tochter stark beeinflusst. Sie ist körperlich behindert und alleinstehend, deswegen hat nicht nur sie eine große Verantwortung für Muriel, sondern auch Muriel eine besondere Verantwortung für ihre Mutter. Aber die Wünsche der Mutter machen ihr Angst und verfolgen sie bis in den Schlaf, in dem sie dann manchmal skurrile Alpträume erlebt. Dabei hat Muriel in ih-rem eigenen Leben genug Probleme. Welches Hobby sollte man haben? Welchen Beruf soll sie später mal machen? Wie liebt man richtig und wie macht man richtig Liebe? Ist sie in Frederik verliebt oder in Jasper, den sie schon seit Ewigkeiten kennt? Oder in keinen von beiden? Fragen über Fragen – und die beiden Jungs sind auch nicht ein-deutig in ihren Gedanken. Frederik, der nachts manchmal Pornos guckt, scheint nur das eine Ziel zu haben: Als Schwimmer zu den deutschen Meisterschaften. Er findet seinen Vater toll, der ihn trainiert, aber irgendwann bemerkt er, dass es nicht mehr klappt mit ihm und seinem Dad. Er muss raus. Und Jasper, der gerne immer genau wüßte, was als nächstes passiert, der immer einen Plan haben will und die Strategien seiner Eltern bewundert, tut sich schwer damit, seine Gefühle zu erkennen. Geht es darum, den Vorstellungen anderer zu entsprechen oder darum, die eigenen Interessen zu verfolgen?

Diese Frage ist nicht neu: Auch der Komponist Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) war sich unsicher. Er hatte ein kompliziertes Verhältnis zu seinem Vater, der sein Ta-lent zwar sehr förderte – aber ihn manchmal auch überforderte. Und in einer der Opern von Mozart, der Zauberflöte, wird die Tochter Pamina von ihrer Mutter, der Kö-nigin der Nacht, stark unter Druck gesetzt. Ihre »Liebe« – und darin ähnelt ihr die Mutter Magdalind aus Neumond sehr – lässt die Tochter nicht frei, lässt sie nicht sie selbst sein. In einer Szene der Oper, in der die Königin ihre so genannte »Rachearie« singt, wird das besonders deutlich:

»Der Hölle Rache kocht in meinem Herzen, Tod und Verzweiflung flammet um mich her! Fühlt nicht durch dich Sarastro Todesschmerzen, So bist du meine Tochter nimmermehr. – Verstoßen sei auf ewig und verlassen, Zertrümmert alle Bande der Natur, Wenn nicht durch dich Sarastro wird erblassen! Hört! Rachegötter! Hört der Mutter Schwur!«

Nacht. Neumond. Fieber. Alle sind gekommen, aber keiner ist da, stehen mit dem Rücken zu ihr und singen mit.MurielIch bin gar nicht ich. Ich bin kein Ganzes. Fängt damit an, daß die Poren offen sind und Wasser aus mir rausdampft. Daß ich atme und mich in den Atem verliere. Ab wann gehört der Wasserdampf nicht mehr zu mir? Ab wann sind die Pisse und die Scheiße in mir nicht mehr ich, sondern eben nur Pisse und Scheiße? Und der Kopf? Noch schlimmer: Ich bin ein Parlament, und die Parteien in mir, die widersprechen sich ständig. Ich bin Kläger und Angeklagter auf einmal, bin Anwalt und Zeuge beider Parteien, bin Richter und verführbar johlende Menge. Hört das irgendwann auf? Kennt sich da einer aus? Ich kapier die Zusammenhänge, ja, aber daß ich sie kapiere, hilft mir nicht. Und daß ich das kapiere, hilft mir auch wieder nicht. Und so weiter: Hilft mir nicht, hilft mir nicht, hilft mir alles nicht, und plötzlich kippt da irgendwas, plötzlich macht da was ‚Klick’, macht da was ‚Bang’, und dann es hilft eben doch, und ich bin gereinigt, und ich bin klar, und es war ein Zaubertrick, den ich mir selber mache, ich lecke mein eigenes Fell wie eine Katze, ich spiele den Ball, mitten in mein Mitte rein: ‚Einmal eine einfache Fahrt, bitte. Rückfahrt kauf ich später.’ Und das erste Mal ist es nicht gegen wen anders, sondern für mich. Ich muß nicht mehr weglaufen, ich bin schon da. Bin noch gar nicht richtig ausgebrochen, aber schon angekommen, schon da. Das wars jetzt schon, oder wie? Glaub ich nicht. Jetzt doch, oder was? Soll ich dankbar sein? Oder soll ich schreien?(Neumond, Szene 13)

Die Mutter ist verzweifelt und verlangt, dass ihre Tochter zur Mörderin wird! Mit ihrem Wunsch übt sie Druck auf Pamina aus. Doch sie erwartet zu viel von ihr. Pamina wei-gert sich und löst sich von ihrer Mutter. Aus der Beschäftigung des Autors Kristo Šagor und der Komponistin Lucia Ronchetti mit diesen Fragen des Erwachsenwerdens und mit der Zauberflöte ist Neumond ent-standen. Viele musikalische Anklänge verbinden Mozarts Oper und das neue Musik-theater, das in einem ständigen Wechsel von Tag- und Nachtsituationen in das Leben von Muriel, Jasper, Frederik und Magdalind hineinzoomt. Magdalind scheint, ähnlich wie die Königin der Nacht, eng mit dem Mond verbunden, dem ja nachgesagt wird, dass er in vielen Situationen das Leben der Menschen beeinflusst. Beide, Mond und Mutter, nehmen als eine Macht von außen Einfluss auf das Leben von Muriel. Doch in der Neumondnacht – gerade dann, wenn der Mond nicht leuchtet, sondern unsichtbar bleibt – »kippt da irgendwas, plötzlich macht da was ‚Klick’, macht da was ‚Bang’« (Szene 13) und Muriel versteht mit einem Male etwas besser, was das eigentlich be-deutet: »Ich sein«.

Die Sopranistin antje Bitterlich studierte Gesang in Essen und ist seit 2008 am Natio-naltheater Mannheim engagiert, wo sie auch die Königin der Nacht singt. Als magda-lind sagt sie über ihre Tochter: »Muriel ist ein typisches 15-jähriges Mädchen: Nur Jungs im Kopf. Ich wünschte mir so sehr, sie würde sich endlich mal entscheiden, was sie mit ihrem Leben anfangen will.«

Die Sopranistin sophie sauter studierte Klavier und Gesang in Stuttgart und Karlsru-he, wo sie von 2009 – 2011 Mitglied des Opernstudios war. Als muriel sagt sie über ihre Mutter: »Meine Mutter hat keine Ahnung, was in mir vorgeht. Sie ist kalt wie ein Kühlschrank, ruht sich auf ihrem Handicap aus und interessiert sich nur für sich selbst.«

Der Tenor Benedikt nawrath kommt aus Heidelberg und studierte Gesang in Würz-burg. Seit 2010 ist er am Nationaltheater Mannheim und singt hier sehr viele verschie-dene Rollen. Er denkt über seine Rolle: »Jasper macht sich einen Plan, um so weit weg wie möglich von seinen Eltern zu leben, hat aber keinen Plan, an Muriel ranzukommen.«

Der Schauspieler Benedikt Kauff kommt aus Mainz, studierte Schauspiel in Leipzig und wohnt in Dresden, wo er in vielen Rollen auf der Bühne stand. Zu seiner Figur meint er: »Frederik ist mutig. So schnell wie er mutig und selbstbewusst werden kann, so schnell kann es damit aber auch wieder vorbei sein. Man sieht ihn dann auf der Suche nach seinem eigenen Leben.«

Die Produktion NEUMOND wird gefördert durch die Europäischen Mozart Wege im Rahmen des EU-Projekts Family Music

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