KOGNITIVE NEUROPHYSIOLOGIE DES MENSCHEN …€¦ · Human Cognitive Neurophysiology was founded in...

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c 2008 W. Skrandies, Aulweg 129, D-35392 Giessen http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2008/6504/

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KOGNITIVE

NEUROPHYSIOLOGIE DES

MENSCHEN

HUMAN COGNITIVE

NEUROPHYSIOLOGY

c© 2008 W. Skrandies, Aulweg 129, D-35392 Giessenhttp://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2008/6504/

ImpressumHerausgeber: Wolfgang Skrandies

c© 2008 W. Skrandies, Aulweg 129, D-35392 [email protected]

Editorial Board:M. Doppelmayr, SalzburgA. Fallgatter, WürzburgT. Koenig, BernH. Witte, Jena

ISSN 1867-576X

2 Kognitive Neurophysiologie des Menschen 2008, 1 (1)

Kognitive Neurophysiologie des Menschen wurde im Jahr 2008 gegründet. Erstes Ziel ist, für dasregelmässig stattfindende Deutsche EEG/EP Mapping Meeting ein Publikationsorgan zu schaffen. Leiderist es nicht mehr möglich, diese Abstracts in der Zeitschrift Brain Topography zu veröffentlichen; nach16 Jahren hat der Verlag beschlossen, diese nicht mehr zu akzeptieren. Die Veröffentlichungen seit 1992finden Sie als PDF-Dateien auf der folgenden Seite: www.med.uni-giessen.de/physio.In der neuen Kognitiven Neurophysiologie des Menschen erscheinen jetzt die Abstracts der Tagun-gen in zitierbarer Form mit ISSN-Nummer. Daneben sollen auch wissenschaftliche Artikel zu Themender kognitiven Neurophysiologie des Menschen gedruckt werden. Diese beinhalten sowohl Beiträge übermoderne Methoden als auch Ergebnisse der Grundlagenforschung sowie klinisch bedeutsame Resulta-te. Jedes Manuskript wird von 3 unabhängigen Gutachtern beurteilt und so rasch wie möglich publiziertwerden.

Human Cognitive Neurophysiology was founded in 2008. This electronic journal will publish contributi-ons on methodological advances as well as results from basic and applied research.

Instructions for AuthorsOnly original and unpublished work will be considered for publication unless it is explicitly statedthat the topic is a review. All manuscripts will be peer-reviewed. Both German and Englishversions are acceptable. After publication, the copyright will be with the editor of the journal.Usage of published material for review papers will be granted. Manuscripts should be sent [email protected].

Organization of manuscripts: The title page with a concise title should give the authors’ names, ad-dress(es), and contact information (e-mail address) of the corresponding author. The manuscript shouldinclude an abstract in English, also for German contributions (maximum 300 words). Organize your workin the sections Introduction, Methods, Results, Discussion, and Literature.Illustrations: All figures should be submitted as jpeg or Coreldraw files. Color illustrations should be ofhigh quality. Please supply figure legends that explain the content of the figures in detail. Since this is anelectronic journal color figures will be published free-of-charge.The Literature should only include papers that have been published or accepted for publication. The refe-rence list should be in alphabetical order by author. In the text, references should be cited by author(s) andyear (e.g. Johnson, Hsiao & Twombly, 1995; Pascual-Marqui, Michel & Lehmann, 1994; Zani & Proverbio,2002).

Examples of reference formatJohnson, K., Hsiao, S. & Twombly, L. (1995). Neural mechanisms of tactile form recognition. In

M. Gazzaniga (Hg.), The Cognitive Neurosciences (S. 253-267). Cambridge, Mass.: MITPress.

Pascual-Marqui, R., Michel, C. & Lehmann, D. (1994). Low resolution electromagnetic tomo-graphy: a new method for localizing electrical activity in the brain. International Journal ofPsychophysiology , 18, 49-65.

Zani, A. & Proverbio, A. (Hg.). (2002). The Cognitive Electrophysiology of Mind and Brain.Academic Press, San Diego: Elsevier USA: Academic Press San Diego.

2008, 1 (1) Kognitive Neurophysiologie des Menschen 3

Inhalt — Contents

Inhalt — Contents

Vorwort zur ersten Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5W. Skrandies — Die Bedeutung der Wavelet-Analyse bei physiologischen Untersu-

chungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6G. Kutyniok — Zeit-/Frequenzanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12T. Sauer — Wavelets und Filterbänke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22A. Klein — Wavelet- und Fourierkohärenz in Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . 33

4 Kognitive Neurophysiologie des Menschen 2008, 1 (1)

Vorwort zur ersten Ausgabe

Vorwort zur ersten Ausgabe

Die Kognitive Neurophysiologie des Menschen, das neue von Wolfgang Skrandies herausge-gebene Journal, kommt aus der richtigen Hand zur rechten Zeit. Wolfgang Skrandies hat als ei-ner der Pioniere der Raum-Zeit-Analyse der elektrischen Hirn-Felder weltweit Anerkennung fürseine Arbeiten gewonnen. Diese Entwicklung ist eine grosse Genugtuung. Sie war vor 30 Jah-ren nicht abzusehen als wir zusammen an numerischen Ansätzen zur räumlichen Analyse vonHirnfeld-Daten arbeiteten und – in der Zeit der Diskussionen über Kurvenformen – Potentialkar-ten zeigten, die lange ohne Resonanz blieben. Wolfgang Skrandies organisiert seit jetzt 17 Jah-ren in Giessen die ’EEG-EP-Mapping-Meetings’ zum Zentralthema ’Neuro-Psychophysiologiedes Menschen’. Diese Tagungen sind an der Front der Methodenentwicklung und strahlen indie Anwendungen in unserem Fachgebiet.

Derzeit rücken elektrische und magnetische Hirnfeld-Messungen und ihre räumlichen undzeitlichen Analysen in der Neurophysiologie wieder in den Vordergrund. Das neue Publikati-onsvehikel, welches diese Aspekte anvisiert, kommt also zur rechten Zeit. Die in der erstenNummer der Kognitiven Neurophysiologie des Menschen erscheinenden Artikel zeigen schöndie Eindringtiefe und Ausgewogenheit der heutigen Raum-Zeit-Analysen. Wolfgang Skrandieshat qualifizierte Mitherausgeber für die neue Zeitschrift gewonnen, um die kompetente peer-review Beurteilung der Manuskripte und damit die Qualität des Journals zu sichern. Qualitätwird die Basis dieses Journals vom neuen Typ sein: von Wissenschaftern für Wissenschafter,ohne kommerzielle Interessen, und elektronisch zugänglich.

Ich wünsche, auch im Namen unseres Arbeitsgebiets, guten Erfolg für die Kognitive Neuro-physiologie des Menschen.

Dietrich LehmannThe KEY Institute for Brain-Mind ResearchPsychiatrische Universitätsklinik Zürich

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W. Skrandies — Die Bedeutung der Wavelet-Analyse bei physiologischen Untersuchungen

Abstract

W. Skrandies (Giessen) — The application of wavelets in neurophysiological studiesWavelets have become popular mathematical tool for signal and image processing and can alsobe applied to the analysis of neurophysiological data. Due to the high time-frequency localizationof wavelets, the well-known problems arising from applying the short-time Fourier transform totime-localized signals can be avoided. This contribution will give a brief overview of the basictechnical ideas of wavelet analysis and will show an example illustrating the analysis of sponta-neous EEG data.

Die Bedeutung derWavelet-Analyse bei

physiologischenUntersuchungen

W. Skrandies, Physiologisches Institut,Jusuts-Liebig Universität, 35392 Giessen

[email protected]

Nachdem sich das EEG auch als Zeitseriemit verschiedenem Frequenzgehalt darstellenlässt, wurden in der EEG-Forschung bereitssehr früh nach der Ableitung des ersten EEGdes Menschen quantitative Frequenzanalysendurchgeführt (Dietsch, 1932). Die Basis fürdas Interesse an der Frequenzzusammenset-zung der hirnelektrischen Aktivität waren Ber-gers Befunde, dass sich die Frequenzen desRuhe-EEG bei verschiedenen Bewusstseins-zuständen systematisch verändern.

Der Frequenzgehalt solcher Biosignale wirdmeist mit konventionellen mathematischenVerfahren wie der Fourieranalyse oder FFTquantifiziert und dann zwischen Bedingungenoder Patienten verglichen.

Ein Beispiel, das nichts mit EEG zutun hat

In der Musik bestehen Melodien – ähnlich wieEEG-Signale – aus einer Abfolge von Signa-len von unterschiedlichen Frequenzen und un-terschiedlicher Dauer sowie unterschiedlicherLautstärke. Überlicherweise wird dies in Formvon Musiknoten dargestellt, die die entspre-chende Information codieren (wie in dem lin-ken Teil der Abbildung 1 dargestellt). Eineeher technische Darstellung ist in dem rechtenTeil der Abbildung 1 illustriert. In diesem Dia-gramm ist die Tonhöhe als Funktion der Zeitaufgetragen (mit der Frequenz auf der Ordina-te), und die Amplitude (Lautstärke) der Töneist farblich codiert.

Dieses Diagramm erinnert an die Zeit-Frequenz-Darstellung der Ergebnisse vonEEG-Analysen, die die vorkommenden Fre-quenzen als Funktion der Analysezeit illu-strieren. Die Umsetzung der Melodie in einzweidimensionales Diagramm ist unmittelbareinleuchtend. Die Ergebnisse einer Wavelet-Analyse sind ähnlich zu interpretieren.

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W. Skrandies — Die Bedeutung der Wavelet-Analyse bei physiologischen Untersuchungen

Abbildung 1: Melodien werden als Folge von Mu-

siknoten geschrieben (links). Das zugehörige Zeit-

Frequenz-Diagramm ist rechts schematisch darge-

stellt. Die Lautstärke ist dabei durch verschiedene

Farben codiert (aus Tamm, 2005).

EEG-Signale sind nichtstationär

Bei den genannten konventionellen Frequenz-analysen geht man davon aus, dass diebewerteten Signale stationär sind. Diese Vor-aussetzung ist allerdings bei biologischenSystemen nur sehr eingeschränkt erfüllt, weilsich die hirnelektrischen Signale dauerndin ihrer Stärke, Topographie und Frequenz-zusammensetzung ändern. Außerdem sinddauernde zeitliche Veränderungen des Auf-tretens verschiedener Frequenzen der hir-nelektrischen Aktivität von grundsätzlichemInteresse: Das spontane EEG wird üblicher-weise nach den verschiedenen Frequenzenklassifiziert (die konventionellen Frequenz-bänder werden mit bestimmten Zuständenund Funktionen verknüpft oder Schlaf-EEGsdefinieren Schlafstadien aufgrund des Vor-handenseins bestimmter Frequenzen). DieseInformation geht jedoch bei der konventionel-len Fourieranalyse verloren. Hier erhält manals Ergebnis der Analyse ein Amplituden-oder Leistungsspektrum, das angibt, wie starkjede einzelne Frequenz in dem gesamtengemessenen Signal vertreten ist. Dies ist ein

Mittelwert über das ganze Analyseintervall,man erhält also keine Information über diegenauen Zeitpunkte oder -bereiche, zu deneneine bestimmte Frequenz mehr oder wenigerstark vorhanden war.

Eine alternative Methode ist die sog.Kurzzeit-Fourier-Transformation (STFT), beider ein Analysefenster konstanter Längeschrittweise über die Daten verschoben wirdund zu jedem Zeitpunkt das Spektrum berech-net wird. Damit erhält man Informationen überden Frequenzanteil zu jedem Zeitpunkt. DieseMethode hat unter anderem rechentechnischeNachteile.

Die Wavelet-Transformation basiert auf denIdeen von A. Haar und wurde Anfang der1980er Jahre von J. Morlet als praktischesVerfahren entwickelt, bei dem eine Spek-tralanalyse unter Verwendung verschiedenerfrequenzangepasster Basisfunktionen (sog.”Wavelets”) wiederholt über den Analyse-zeitraum berechnet wird. Solche Wavelet-Analysen finden inzwischen in vielen ver-schiedenen Bereichen Anwendung, und sieerlauben die Darstellung des Frequenzgehal-tes eines Signals als Funktion der Zeit (Stark,2005). Somit kann dieses Verfahren Informa-tion über die zeitlich verteilten Frequenzenhirnelektrischer Signale liefern.

Verfahren der Wavelet-Analyse werden ge-nutzt, um zeitveränderliche, nichtstationäreSignale in einzelne Komponenten zu zerle-gen. Durch die gleichzeitige Berücksichtigungvon Zeit und Frequenz sind die Ergebnisseder Wavelet-Analyse geeignet, nichtstationäreEEG- und EP-Signale quantitativ zu beschrei-ben. Wellenformen des EEG und der EPsändern sich in ihrer Frequenzzusammenset-zung über die Zeit und auch an verschiedenen

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W. Skrandies — Die Bedeutung der Wavelet-Analyse bei physiologischen Untersuchungen

Ableitorten auf der Kopfhaut. Diese Signalesind also in Zeit und Raum nichtstationär:sie sind transient (d.h. in der Zeit lokalisiert;unterschiedliche Frequenzen treten zu un-terschiedlichen Zeitpunkten auf), im Raumlokalisiert (d.h. topographisch beschreibbar)und auf bestimmte Frequenzen beschränkt(d.h. nicht alle Frequenzen besitzen diesel-be Bedeutung). Ähnlich wie andere Ansätzezur Analyse hirnelektrischer Aktivität benutztman die Wavelet-Analyse um Zeitfunktionenin einzelne zugrunde liegende Komponentenaufzuspalten und diese dann zu untersu-chen. Auf diese Art lassen sich beispielsweiseepileptische „Spikes“, funktionell definierteEP-Komponenten oder neurophysiologischeinteressante Rhythmen identifizieren und be-werten. Eine Einführung über die Anwendungvon Wavelets zur Analyse hirnelektrischerAktivität geben Samar, Bopardikar, Rao undSwartz (1999).

Was ist ein Wavelet?

Direkt übersetzt bedeutet Wavelet auf Deutsch„Wellchen“, also kleine Welle, d.h. es ist eineeinfache, über die Zeit oszillierende Amplitu-denmodulation. Dabei handelt es sich jedochnicht um die in der Fourier-Analyse verwen-deten Sinus- oder Cosinusfunktionen, die nureine bestimmte Frequenz besitzen (die aberüber den gesamten analysierten Zeitbereichkonstant ist), sondern Wavelets sind sowohlin Frequenz und Zeit begrenzt. Diese Basis-Signale haben nur in einem gewissen Zeitbe-reich große fluktuierende Amplituden, die je-doch außerhalb dieses Bereichs gegen Nullgehen. Auch im Frequenzbereich sind Wave-lets begrenzt: im Allgemeinen bestehen sieaus relativ wenigen Frequenzen, es handelt

sich also um relativ einfache Wellenformen(obwohl man für die Analyse auch sehr kom-plexe Wellen benutzen kann; dies hängt vonder jeweiligen Anwendung und Fragestellungab). Aus praktischen Gründen wird diese „Be-grenztheit“ von Zeit und Frequenz gefordert,so dass das Wavelet in Zeit und Frequenz ab-klingt.

Die Form eines Wavelets ist nicht vorgege-ben: Im Grunde kann sich der Untersucherjede beliebe Form konstruieren und für dieAnalyse verwenden. Allerdings gibt es in derLiteratur vorgegebene Wavelets, die z.T. biolo-gischen Signalen ähneln und verwendet wer-den können (z.B., Daubechies-D4-Wavelet,Coifman-30-Wavelet, Morlet-Wavelet, sieheAbbildung 2). Je nach Fragestellung lässt sicheine geeignete Form auswählen, feste Regelnfür die Wahl gibt es nicht.

-1-0.8-0.6-0.4-0.2

0 0.2 0.4 0.6 0.8

1

-3 -2 -1 0 1 2 3

Am

plitu

de

Time

Abbildung 2: Morlet-Wavelet.

Die Form des Wavelets kann im Zeitverlaufdurch Kompression oder Dehnung verändertwerden, so dass sich der Frequenzgehalt än-dert. Diese Skalierung führt dazu, dass miteinem gegebenen Wavelet ein größerer Fre-quenzbereich analysiert werden kann. Derzweite Analyseparameter ist der Zeitbereich:das Wavelet kann bei konstanter Form überdie Zeit verschoben werden. Dehnung bedeu-tet, dass das Wavelet breiter wird, also wenigergut im Zeitbereich lokalisiert ist, wobei das ent-haltene Frequenzband mehr fokussiert wird,während die bei einer Kompression des Wave-lets die Zeitauflösung zunimmt, allerdings auf

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W. Skrandies — Die Bedeutung der Wavelet-Analyse bei physiologischen Untersuchungen

Kosten der Frequenzauflösung. Dies ist einegrundlegende Eigenschaft aller Wavelets.

Wie lassen sich neurobiologischeSignale mit Wavelets analysieren?

Wie oben erwähnt, lassen sich die zu analysie-renden neurobiologischen Signale durch dieWavelet-Analyse in einen Satz von zeitska-lierten und zeitverschobenen Versionen der-selben Grundfunktion, dem Wavelet, aufteilen.Und genauso wie es möglich ist, aus den Kom-ponenten und der Amplituden- und Phasenin-formation einer FFT das Originalsignal zu re-konstruieren, ist dies bei der Wavelet-Analysemöglich. Das bedeutet, dass ein neurophysio-logisches Signal aus der linearen Kombinationeinzelner Komponenten besteht. Einen ähnli-chen Ansatz finden wir bei statistisch definier-ten Komponenten, die durch Faktorenanalyseoder PCA bestimmt werden. Die Grundideedes Zerlegens eines komplexen Signals in ein-zelne, einfachere Komponenten ist all diesenVerfahren gleich.

Die Wavelet-Analyse kann man sich alsschrittweisen Vergleich des gemessenen Si-gnals mit den einzelnen Wavelets vorstellen.Das Wavelet einer bestimmten Größe (d.h.einer bestimmten zeitlichen Länge und damitFrequenz) wird schrittweise gegenüber demOriginalsignal verschoben, und es wird dieKreuzkorrelation zwischen diesen beiden Si-gnalen berechnet. Damit erhält man zu einemgegebenen Zeitpunkt numerische Informationüber die Ähnlichkeit von Wavelet und Signal,die als Wavelet-Koeffizient bezeichnet wird.Das geschilderte Verfahren wird anschließendmit allen anderen Wavelets wiederholt, dienun jeweils zwar dasselbe Aussehen, aber

eine unterschiedliche Länge und somit einenunterschiedlichen Frequenzgehalt besitzen.

Als Ergebnis erhält man sehr viele Korre-lationskoeffizienten, die die Ähnlichkeit desjeweiligen Wavelets an den verschiedenenZeitpunkten beschreiben. Die übliche Dar-stellung erfolgt dann in einem Zeit-Frequenz-Diagramm, das das Ergebnis vieler Rechen-schritte graphisch zusammenfasst.

Abbildung 3 zeigt das Ergebnis der Analyseeines spontanen EEG (Ableitung von O1 ge-gen eine frontale Referenz, Ruhebedingungmit geschlossenen Augen) einer gesundenVersuchsperson. In der EEG-Kurve sieht manα-Aktivität, die zu verschiedenen Zeiten un-terschiedlich stark ausgeprägt ist. Dies wirddurch die Wavelet-Analyse quantifiziert undist im unteren Teil von Abbildung 3 als Zeit-Frequenz-Diagramm dargestellt. Hier kannman mit einem Blick sehen, wann welcheFrequenzen vorherrschen. Auf der Abszisseläuft die Zeit zwischen 0 und 10 s, auf derOrdinate sind die Frequenzen zwischne 0 und30 aufgetragen; die Stärke der Aktivität istdurch die Farben codiert. Rote und gelbe Be-reiche zeigen starke Aktivität an, während dieblau und grün markierten Frequenzen einennur geringen Anteil an dem gemmessenenEEG-Signal besitzen.

Zwischen 8 und 14 Hz tritt zu verschiede-nen Zeitpunkte mehr oder weniger starke Ak-tivität auf. Das registrierte EEG ist also von α-Aktivität dominiert, diese ist jedoch nicht überden gesamten Zeitraum gleich stark, sondernändert sich dauernd. Diese Darstellung stellteine realistische Beschreibung und Quantifi-ziertung des EEG-Signals dar, die durch blos-se visuelle Inspektion der EEG-Kurve nicht ge-sehen werden kann. Solche quantitativen Da-

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W. Skrandies — Die Bedeutung der Wavelet-Analyse bei physiologischen Untersuchungen

Abbildung 3: Spontanes EEG einer gesunden Versuchsperson (O1 gegen Fz). In der Wellenform lässt

sich α-Aktivität erkennen. Das Zeit-Frequenz-Diagramm stellt die Ergebnisse der Wavelet-Analyse dar.

Die α-Aktivität zwischen etwa 8 und 13 Hz ist in ihrer Stärke zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich

ausgeprägt.

ten bilden die Grundlage für weiterführendestatistische Analysen und Vergleiche zwischenProbanden, Patienten oder verschiedenen ex-perimentellen Bedingungen.

Mögliche Anwendungen

Die Wavelet-Analyse ist zunächst einmal einmathematisches Werkzeug, so dass ihre An-wendung und v.a. die Interpretation der Ergeb-nisse nicht vorgegeben ist, sondern durch denAnwender erfolgen muss. Ähnlich wie bei denAufkommen von Faktorenanalysen und PCA inden 1970er Jahren, erscheint die Anwendungvon Wavelet-Analysen in manchen Publikatio-nen als modischer Trend. „Man“ macht ebendiese Analyse, weil es alle machen oder weilman zufällig die entsprechende Software be-sitzt, mit der man sich durch viele verschie-

dene Verfahren durchklicken kann (ähnlich wiedie Statistikprogramme, die dem Benutzer alleOptionen des Probierens bieten, um anschlie-ßend nur die signifikanten p-Werte als Früch-te seiner Arbeit einzusammeln). Als „wallowingin principal components“ wurde das von Wal-ter Freeman in einer Diskussion über PCA be-zeichnet. Eigentlich sollte es klar sein, dassrein technische Diskussionen relativ wenigeErkenntnisse bringen; nur in Zusammenhangmit einer konkreten experimentellen neurophy-siologischen Fragestellung kann die Anwen-dung mathematischer Analysen sinnvoll sein.

Nachdem die Wavelet-Analyse zunächsteinzelne zugrunde liegende Komponentenidentifiziert und ihr Auftreten über die Zeitbeschreibt, sind mögliche sinnvolle Fragenvorgegeben. Ähnlich wie mit quantitativenFrequenzanalysen können unerwünschte Si-

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W. Skrandies — Die Bedeutung der Wavelet-Analyse bei physiologischen Untersuchungen

gnalkomponenten ausgefiltert werden, indemman diese bei der Rekonstruktion des Signalsverwirft. Bestimmte bekannte Signalformenwie „Spikes“ (siehe z.B. Indiradevi, Elias, Sa-thidevi, Dinesh Nayak & Radhakrishnan, 2008)oder andere transiente Ereignisse können imspontanen EEG durch die Wavelet-Analyseentdeckt werden (Chen, Lin & Ju, 2007). Beievozierter Hirnaktivität steht das Erkennenund Quantifizieren einzelner Komponentenim Vordergrund. Damit lassen sich ähnlichwie mit der PCA zeitlich überlappende Kom-ponenten identifizieren und bestimmen. Wiebei allen Analyseverfahren ist dies jedochnur einer der ersten Schritte der Bewertungder gemessenen Daten. Eine durch Hypo-thesen geleitete und vor allem nicht-selektivestatistische Analyse, die der jeweiligen ex-perimentellen Fragestellung angepasst ist,wird durch das Erkennen einzelner Kompo-nenten in der Zeit und im Frequenzbereichnicht ersetzt. Die Wavelet-Analyse stellt dabeieher eine Art Vorverarbeitung der gemesse-nen Daten dar, die anschließend mit anderenMethoden anaysiert werden können.

Literatur

Chen, C., Lin, C. & Ju, M. (2007). De-tecting movement-related EEG changeby wavelet decomposition-based neuralnetworks trained with single thumb mo-vement. Clinical Neurophysiology , 118,802–814.

Dietsch, G. (1932). Fourieranalysevon Elektrencephalogrammen des Men-schen. Pflügers Archiv für die GesamtePhysiologie, 230, 106–112.

Indiradevi, K., Elias, E., Sathidevi, P., Di-

nesh Nayak, S. & Radhakrishnan, K.(2008). A multi-level wavelet approachfor automatic detection of epileptic spikesin the electroencephalogram. Computersin Biology and Medicine, 38, 805–816.

Samar, V., Bopardikar, A., Rao, R. & Swartz, K.(1999). Wavelet analysis of neuroelectricwaveforms: a conceptual tutorial. Brainand Language, 66, 7–60.

Stark, H.-G. (2005). Wavelets and Signal Pro-cessing. An Application-Based Introduc-tion. Berlin: Springer.

Tamm, S. (2005). Hochaufgelöste Zeit-Frequenz-Analysen ereigniskorre-lierter EEG-Oszillationen mittels S-Transformation. Freie Universität Berlin;http://www.diss.fu-berlin.de/2005/252:Dissertation.

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G. Kutyniok — Zeit-/Frequenzanalyse

Abstract

G. Kutyniok (Osnabrück) — Time / frequency analysis The continuous wavelet transformtransforms a function of one variable, e.g., a time series, into a function of two variables, timeand scale, that gives information about time–localized frequency components. Provided that thewavelet satisfies a so–called admissibility condition which requires only slightly more than a“wavy” behavior, this transform also has an inverse so that the relationship between functionand transform is one-to-one. Sampling the transform at appropriate sets of parameter valueswill result in analysis functions that form a frame, a set of functions that are not independent butstill allow for unique reconstructions from the associated coefficients in the representation of afunction. This redundancy makes a frame more robust with respect to loss of certain coefficients.

Zeit-/Frequenzanalyse

G. Kutyniok, Institut für Mathematik,Universität Osnabrück, 49069 Osnabrück

[email protected]

Die kontinuierlicheWavelettransformation

Eine Vielzahl von Transformationen, wie z.B.die gefensterte Fouriertransformation, liefernsehr gute Ergebnisse bei der Detektion vonauftretenden Frequenzen einer bestimmtenzeitlichen Länge. Allerdings werden Arte-fakte unterschiedlicher zeitlicher Länge sehrschlecht erkannt, da die meisten Transfor-mationen keine “Zoom”-Möglichkeit besitzen.Mit der kontinuierlichen Wavelettransforma-tion wird eine Transformation zur Verfügunggestellt, die in der Tat Signalstrukturen sehrunterschiedlicher zeitlicher Länge präziseerkennen und analysieren kann.

Für einen gut verständlichen exakten ma-

thematischen Zugang zur kontinuierlichen Wa-velettransformation verweisen wir deshalb aufdas Buch von Blatter (Blatter, 2003). Wer lie-ber einen Klassiker lesen möchte, dem seidas Buch von Daubechies (Daubechies, 1992)empfohlen. Eine Betonung der Anwendungs-aspekte ist in dem Buch von Mallat (Mallat,1999) zu finden. Zum weiteren “Schmökern”über die Theorie von Wavelets ist das Buchvon Hubbard (Hubbard, 1998) sehr geeignet,da es ohne mathematischen “Ballast” aus-kommt. Zuletzt sei jeder Gruppe von Lesern– ob mehr oder weniger mathematisch inter-essiert – noch die Webseiten zum Wavelet Di-gest “www.wavelet.org” ans Herz gelegt.Dort finden sich eine Fülle von Links zu Tutori-als, weiterer Literatur, etc.

Was sind Wavelets?

Die Hauptidee der kontinuierlichen Wave-lettransformation besteht darin, das Signal mitFunktionen zu korrelieren, die u.a. verschiede-ne zeitliche Längen haben. Die kontinuierliche

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G. Kutyniok — Zeit-/Frequenzanalyse

Wavelettransformation verwendet hierzu ei-ne “Basis-Funktion” ψ, die aus bestimmtenmathematischen Gründen die Eigenschaft

Cψ :=∫

R

|ψ(ξ)|2

|ξ|dξ <∞ (0.1)

erfüllen muss (siehe auch Abschnitt ). DenWert Cψ bezeichnet man als Zulässigkeits-konstante. Als zusätzliche Eigenschaft fordertman, dass diese Funktion endliche Energiehaben muss, d.h. es muss ψ ∈ L2(R) gel-ten. Solch eine Funktion ψ wird als Wavelet ( =“Wellchen”) oder auch als Mother-Wavelet be-zeichnet. Die Eigenschaft, die hierdurch impli-ziert wird, läßt sich sehr gut an den Beispielenin Abbildung 1 erkennen.

Abbildung 1: Links ist das Haar-Wavelet zu sehen,

das sicher das “einfachste” unter den Wavelets ist.

Das mittlere Bild zeigt das berühmte Daubechies4-

Wavelet, und das rechte das nicht minder berühmte

Daubechies10-Wavelet.

Eine sehr wichtige Unterscheidung von Wa-velets, die insbesondere bei der kontinuierli-chen Wavelettransformation eine entscheiden-de Rolle spielt (siehe Abschnitt ), ist diejenigein reelle und komplexe Wavelets. Reelle Wa-velets sind Wavelets, die in den reellen Zah-len “leben”, also lediglich Funktionswerte in Rhaben, wohingegen komplexe Wavelets in denkomplexen Zahlen “leben”, also insbesondereauch Funktionswerte in C\R besitzen. (Erinne-rung: Die komplexen Zahlen stellen eine ge-wisse Erweiterung der reellen Zahlen dar.) Beiden in Abbildung 1 aufgeführten Wavelets han-

delt es sich ausschließlich um reelle Wavelets.Ein wichtiges Beispiel für ein komplexes Wa-velet ist das Morlet-Wavelet, definiert durch

ψ(x) = cπ−14 e−

12x

2(eix − e− 1

2 ),

wobei c eine Konstante ist. Eine graphischeDarstellung des Realteils dieses Wavelets istin Abbildung 2 zu finden.

Abbildung 2: Der Realteil des Morlet-Wavelets,

das bei der Analyse von z.B. EEG-Signalen vor-

zugsweise Verwendung findet (siehe hierzu auch

Klein, 2008).

Definition und Berechnung derkontinuierlichen Wavelettransformation

Zur Analyse eines Signals werden nun ver-schobene und gestauchte bzw. gedehnte – so-genannte dilatierte – Kopien des Wavelets ver-wendet. Das Wavelet wird dabei an jeden Zeit-punkt t ∈ R des Signals verschoben und umjeden Faktor a > 0 dilatiert. Wir verwenden so-mit die folgende Kollektion von “Varianten” un-seres Wavelets:

ψ

(x− ta

), wobei a > 0 und t ∈ R.

2008, 1 (1) Kognitive Neurophysiologie des Menschen 13

G. Kutyniok — Zeit-/Frequenzanalyse

Einige Beispiele finden sich in der Abbildung3.

Abbildung 3: Einige verschobene und dilatierte

Kopien eines Wavelets W .

Die kontinuierliche Wavelet-Transformationwird nun als Korrelation eines Signals f (z.B.eines Kanals eines EEGs) und diesen “Kopi-en” eines geeigneten Wavelets gebildet:

Wψf(a, t) =∫ ∞−∞

f(x)1√aψ

(x− ta

)dx.

Für gegebenes a und t bezeichnet manWψf(a, t) auch als Waveletkoeffizient. DerVorfaktor a−

12 tritt aus Normierungsgründen1

auf. Ferner werden auch aus mathematischenGründen nicht die Funktionswerte von ψ,sondern die zugehörigen konjugiert-komplex-en Werte verwendet. Bei reellen Wavelets

1Man sollte an dieser Stelle erwähnen, dass die Wavelettrans-formation zu einem gegebenen Wavelet im Gegensatz zurFouriertransformation entweder amplitudenproportional istoder weißes Rauschen mit einem flachen Spektrum versiehtaber nicht beides gleichzeitig. Deshalb kann es auch aus die-sem Grund vorteilhaft sein, die Normalisierung der Wave-lettransformation zu verändern.

ändert das aber nichts, denn für diese giltψ(x) = ψ(x) für alle x ∈ R. Bei komplexenWavelets wird nur die Phase verändert.

Wenden wir uns zunächst kurz der nume-rischen Berechnung der kontinuierlichen Wa-velettransformation zu, bevor wir auf die An-wendungsmöglichkeiten eingehen. Zuerst wirddazu die kontinuierliche Wavelettransformati-on in einer etwas anderen Form dargestellt,und zwar als Faltung:

Wψf(a, t) =∫ ∞−∞

f(x)1√aψ

(x− ta

)dx

= f ∗ ψa(t),

wobei

ψa(t) =1√aψ

(− ta

).

(Erinnerung: Bei Bildung der Faltung wird ei-ne Funktion gegen die andere zeitlich verscho-ben.) Die Nützlichkeit dieser Darstellung wirddeutlich, wenn wir sie uns im Fourierbereichansehen, denn hier geht die Faltung in ein Pro-dukt über. Wenden wir also die Fouriertransfor-mation an, so erhalten wir:

Wψf(a, ·)(ξ) = f(ξ) · ψa(ξ) = f(ξ) ·√aψ(aξ).

(0.2)Mit der schnellen Fouriertransformation – derFFT – läßt sich diese Formel sehr schnell be-rechnen – allerdings nur, wenn wir uns bei derWahl von a und t auf endlich viele Werte ein-schränken (siehe Abschnitt ). Wir sollten andieser Stelle noch anmerken, dass man auf-grund der Formel (0.2) die kontinuierliche Wa-velettransformation als eine Filterung mit ei-nem Bandpass-Filter auffassen kann, wobei√aψ(aξ) die Transfer-Funktion wäre. Für wei-

tere Details verweisen wir auf das Kapitel 3.

14 Kognitive Neurophysiologie des Menschen 2008, 1 (1)

G. Kutyniok — Zeit-/Frequenzanalyse

Wozu braucht man die kontinuierlicheWavelettransformation?

Betrachten wir zunächst den Fall der reellenWavelets. Hier ist das Ziel, scharfe Signalüber-gänge zu detektieren. Abbildung 4 gibt ein Bei-spiel der Wavelettransformierten eines Signalsunter Verwendung eines reellen Wavelets an.

Abbildung 4: Signal (oben) und dessen Wave-

lettransformierte Wψf (unten), wobei schwarze,

graue bzw. weisse Punkte positive Waveletkoeffizi-

entenWψf(a, t), Null bzw. negative Waveletkoeffi-

zienten darstellen.

Die wesentliche Information tritt hier bei ei-ner kleinen Skala auf. Dies ist nicht weiter ver-wunderlich, da eine kleine Skala a eine starkeStauchung des Wavelets bedeutet, folglich ei-ne schnelle Schwingung in einem kleinen Zei-tintervall. Man sieht an Abbildung 4 deutlich,dass betragsmäßig große Werte der Wavelet-koeffizienten bei kleiner Skala a auf eine star-ke Veränderung des Signals hinweisen. Umsolche Veränderungen zu detektieren, würdeman somit ein sehr kleines a – nennen wir esa0 – wählen und dann untersuchen, welcheWaveletkoeffizientenWψf(a0, t) betragsmäßigoberhalb einer gewählten Schranke liegen. An

den zugehörigen Stellen t liegen dann “Peaks”oder sonstige starke Veränderungen im Signalvor.

Komplexe Wavelets werden verwendet,um auch Frequenzübergänge erfassen zukönnen. Die komplexe Schwingung in einemkomplexen Wavelet stellt sicher, dass Wave-let und Schwingung im Signal unabhängigvon der Phasendifferenz korrelieren, wenndie Frequenzen übereinstimmen. Bei reellenWavelets erreicht man das nicht, da zweiSchwingungen nicht miteinander korrelieren,wenn sie um π

2 = 90◦ in der Phasenlage ab-weichen. Das führt zu Schwingungen in derWavelettransformierten. Stattdessen erzeugtdie kontinuierliche Wavelettransformation miteinem komplexen Wavelet durchgehend Wa-veletkoeffizienten großen Betrages, wenn dieFrequenzen von Wavelet und Schwingung imSignal übereinstimmen. Aus diesem Grundwerden in der Regel bei der Analyse vonEEG-Signalen komplexe Wavelets, insbeson-dere das Morlet-Wavelet (siehe Abbildung 2)verwendet. Für konkrete Anwendungsmög-lichkeiten verweisen wir auf die ausführlicheDarstellung in Kapitel 4.

Können wir auch zurücktransformieren?

Nachdem wir uns die kontinuierliche Wave-lettransformation schon genauer angesehenhaben, stellt sich die Frage, ob sich hierausauch das Signal wieder zurückberechnen läßt.In einer Vielzahl von Anwendungen wird näm-lich zunächst ein Signal wavelettransformiertund dann einige Manipulationen an der Wave-lettransformierten vorgenommen, z.B. werdeneinige Frequenzbänder gedämpft. Anschlie-ßend möchte man natürlich das zugehörige –

2008, 1 (1) Kognitive Neurophysiologie des Menschen 15

G. Kutyniok — Zeit-/Frequenzanalyse

jetzt leicht veränderte – Signal berechnen.Vorausgesetzt unser Wavelet erfüllt die Be-

dingung (0.1) – dies ist ja nach Definition im-mer der Fall –, so ist dies zum Glück immermöglich. Haben wir ein Wavelet ψ gewählt undkennen von einem Signal f nur alle Werteseiner kontinuierlichen WavelettransformiertenWψf(a, t), a > 0, t ∈ R, so läßt sich f mitHilfe von (0.3) berechnen, wobei Cψ die Zuläs-sigkeitskonstante des Wavelets ψ aus (0.1) ist.Dies bezeichnet man als die inverse kontinu-ierliche Wavelettransformation.

Die numerische Berechnung der inver-sen kontinuierlichen Wavelettransformation istnicht so elegant möglich wie diejenige der kon-tinuierlichen Wavelettransformation. Man kannzwar ähnliche Ideen anwenden, hat aber nocheinige zusätzliche technische Schwierigkeitenzusammenhängend mit dem Doppelintegralzu lösen, auf die wir hier nicht näher eingehenwollen.

Der Weg von der kontinuierlichenWavelettransformation zuWavelet-Frames

In realistischen Anwendungen kann man dieWavelettransformation Wψf(a, t) nur für end-lich viele Werte von a und t bestimmen, sagenwir (a, t) ∈ A, wobei A eine Abtastmenge in(0,∞)×R – also der “rechten Hälfte” der Ebe-ne – ist. Anders gesagt: berechenbar ist ledig-lich eine Abtastung der Wavelettransformation,d.h. eine endliche Menge von Waveletkoeffizi-enten

{Wψf(a, t) : (a, t) ∈ A}. (0.4)

Damit ergibt sich ganz natürlich die Frage nachminimalen Wertemengen A, so dass man einSignal f noch aus diesen Abtastwerten rekon-

struieren kann – man möchte ja schließlich,dass die Transformation nur f beschreibt undnicht eine ganze Familie von Signalen. Fernerstellt sich die Frage, was man durch “Überre-presentation” gewinnen kann – schließlich istredundante Information normalerweise robu-ster gegen Störungen. Dies führt zum Konzeptder “Wavelet-Frames”.

Zunächst werden wir eine kurze, allgemein-verständliche Einführung in die Theorie derFrames geben, und uns dann auf Wavelet-Frames konzentrieren. Da die Theorie der Fra-mes noch sehr neu ist, findet sich noch nichteine solche Fülle von Literatur wie für Wave-lets. Das erste umfassende Buch über Fra-mes ist von Christensen (Christensen, 2003)und enthält eine exakte mathematische Dar-stellung dieser Theorie. Abschnitte aus denschon erwähnten Büchern von Blatter (Blatter,2003), Daubechies (Daubechies, 1992) undMallat (Mallat, 1999) bieten auch sehr gute an-schauliche, trotzdem mathematische Einfüh-rungen in diese Theorie. Für allgemeine Re-sultate über Wavelet-Frames möchten wir aufdas Buch von Daubechies (Daubechies, 1992)verweisen. Der aktuelle Stand der Forschungist in der kürzlich fertiggestellten Monographievon Kutyniok (Kutyniok, 2006) dargestellt.

Was sind Frames?

Vergessen wir die Wavelet-Situation für einekurze Weile, und betrachten wir zunächst an-stelle der Menge in (0.4) eine beliebige endli-che Menge G = {g1, . . . , gn} von Vektoren, derEinfachheit halber im Rd – wer möchte, kannsich hier den Fall d = 2, also die Ebene, vor-stellen. Ein Vektor f ∈ Rd wird nun mit Hilfe derMenge G “aufgespalten” oder man sagt auch

16 Kognitive Neurophysiologie des Menschen 2008, 1 (1)

G. Kutyniok — Zeit-/Frequenzanalyse

f(x) =1Cψ

∫ ∞0

∫ ∞−∞Wψf(a, t)

1√aψ

(x− ta

)dtda

a2, x ∈ R, (0.3)

analysiert, indem man die Skalarpodukte

〈f, gi〉 für i = 1, . . . , n (0.5)

berechnet und somit eine endliche Menge vonreellen Werten erhält. (Zur Erinnerung: DasSkalarprodukt zweier Vektoren gibt – grob ge-sprochen – den Winkel zwischen den Vektorengewichtet mit ihrer Länge an.)

Betrachten wir zur Veranschaulichung eineAnwendung aus dem täglichen Leben für Fra-mes, und zwar das Telefonieren mit dem Mo-biltelefon. Hier wäre f das Sprachsignal, dasman in das Mobiltelefon “eingibt”. Um diesesSignal zu übertragen, wird es im Wesentlichenmit Hilfe einer geeigneten endlichen Menge Gin die Menge (0.5) zerlegt. Es stellen sich somitkanonischerweise die folgenden Fragestellun-gen:

1. Wie können wir das Signal f wieder zu-rückgewinnen, damit unser Gesprächs-partner nicht Unverständliches, d.h. (0.5),sondern das Sprachsignal selbst emp-fängt?

2. Ist diese Art der Übertragung robust ge-genüber Störungen, d.h.

a) verändern leichte Störungen derWerte in (0.5) auch das rekonstruier-te Sprachsignal nur leicht, und

b) läßt sich das Sprachsignal auchdann noch rekonstruieren, wennman einige Werte aus (0.5) bei derÜbertragung verloren hat?

Frage 1 und Frage 2a werden wir nochin diesem Anschnitt beantworten, wohingegen

Frage 2b in Abschnitt diskutiert wird. In Ab-schnitt wenden wir dann unsere Überlegun-gen auf die Abtastmenge (0.4) der kontinuierli-chen Wavelettransformation an.

Nun aber zu der mathematischen Definitioneines Frames. Die Definition ist im Wesentli-chen so gemacht, dass Frage 2a sofort positivbeantwortet werden kann, d.h. leichte Ände-rungen des Signals f implizieren leichte Än-derungen der Menge (0.5) und umgekehrt. Ma-thematisch gesprochen hört sich das so an: Ei-ne endliche Menge G = {g1, . . . , gn} im Rd istein Frame für Rd, wenn Konstanten 0 < A ≤B <∞ existieren, so dass

A‖f‖2 ≤n∑i=1

|〈f, gi〉|2 ≤ B‖f‖2 für alle f ∈ Rd.

Man bezeichnet oft A als untere Frameschran-ke und B als obere Frameschranke.

Wie sieht nun die Rekonstruktion des Si-gnals f aus den Werten (0.5) aus? Hierfürkonstruiert man eine zweite endliche Menge –nennen wir sie G = {g1, . . . , gn} – so dass wirunser Signal f auf die folgende einfache Artund Weise zurückberechnen können:

f =n∑i=1

〈f, gi〉 gi. (0.6)

Das Schöne ist, dass man die Menge G – manbezeichnet sie auch als dualen Frame – direktaus der anfangs gewählten Menge G mit Hil-fe eines speziellen Operators berechnen kann.Wir sollten an dieser Stelle noch anmerken,dass wir somit die Frage 1 positiv beantwortethaben.

2008, 1 (1) Kognitive Neurophysiologie des Menschen 17

G. Kutyniok — Zeit-/Frequenzanalyse

Besonders einfach ist die Berechnung desdualen Frames, wenn unser Frame die stärke-re Eigenschaft

n∑i=1

|〈f, gi〉|2 = ‖f‖2 für alle f ∈ Rd

erfüllt, d.h. die untere und obere Frameschran-ke stimmen überein und sind gleich 1. In die-sem Fall spricht man von einem Parseval-Frame. Ein einfaches Beispiel eines Parseval-Frames in der Ebene R2 zeigt die Abbildung5. Aus offensichtlichen Gründen wird er in derLiteratur als “Mercedes-Benz-Frame” bezeich-net.

6

HHHHj�����

Abbildung 5: Der “Mercedes-Benz-Frame”, beste-

hend aus den Vektoren (0,√

2√3), (− 1√

2,− 1√

6) und

( 1√2,− 1√

6), als Beispiel eines Parseval-Frames.

Nun ist die Berechnung des dualen FramesG denkbar einfach, denn er stimmt mit demursprünglichen Frame G überein. Wir könnensomit in diesem Fall unser Signal f folgender-massen rekonstruieren:

f =n∑i=1

〈f, gi〉gi. (0.7)

Die Übertragung eines Sprachsignals beim Te-lefonat mit einem Mobiltelefon bei Verwendungeines Parseval-Frames ist in der Abbildung 6dargestellt.

Robustheit versus Minimalität

Wir beschränken uns im Folgenden aufParseval-Frames, da diese – wie oben ge-

sehen – sehr schöne Eigenschaften besitzenund auch für die meisten Anwendungen kon-struierbar sind.

Als erstes beschäftigen wir uns mit der Fra-ge 2b und betrachten zunächst den Merce-des-Benz-Frame aus der Abbildung 5. Benen-nen wir die drei Vektoren g1, g2 und g3. Beivorliegendem Signal/Vektor f fällt sofort auf,dass wir, selbst wenn wir einen der Koeffizien-ten 〈f, gi〉, i = 1, 2, 3 verlieren würden, diesesSignal aus den verbleibenden zwei zurückbe-rechnen können. Der Grund hierfür ist, dassR2 zweidimensional ist, wir also nur zwei (line-ar unabhängige) Vektoren zur Darstellung ei-nes Elementes aus R2 benötigen. Etwas allge-meiner können wir folglich sagen, dass wir beider Zerlegung eines Signals im Rd bezüglicheines Parseval-Frames mit mehr als d Elemen-ten trotz des Verlustes eines Koeffizienten dasSignal immer noch rekonstruieren können.

Etwas genauer wird die Redundanz einesParseval-Frames folgendermaßen beschrie-ben. Betrachten wir wieder einen Parseval-Frame G = {g1, . . . , gn} im Rd, diesmalbestehend aus Vektoren der gleichen Längec. Dann sagt man c2 ist die Redundanz desParseval-Frames. Im Beispiel des Mercedes-Benz-Frames läßt sich leicht errechnen, dassc2 = 3

2 , also echt größer als 1 ist. Wir ha-ben also “genug” Information vorliegen, dasswir ruhig etwas davon verlieren dürfen. Istdie Redundanz gleich 1, so darf kein Ver-lust eintreten. In diesem Fall haben wir eineOrthonormalbasis vorliegen, d.h.

• ‖gi‖2 = 1 für alle i = 1, . . . , n, d.h. dieLänge aller Vektoren ist 1,

• 〈gi, gj〉 = 0 für alle i, j ∈ {1, . . . , n}, i 6= j,d.h. die Vektoren stehen senkrecht aufein-

18 Kognitive Neurophysiologie des Menschen 2008, 1 (1)

G. Kutyniok — Zeit-/Frequenzanalyse

Signal - Zerlegung -Senden der

Koeffizienten- Rekonstruktion -

Ausgabe

= Signal

f - (〈f, gi〉)i=1,...,n- (〈f, gi〉)i=1,...,n

- ∑ni=1〈f, gi〉gi

- f

Abbildung 6: Schematische Darstellung der Übertragung eines Signals mit Hilfe eines Parseval-Frames

ander, und

• für jedes f ∈ Rd existiert genau ei-ne Koeffizientenfolge (ai)i=1,...,n mitf =

∑ni=1 aigi und zwar (〈f, gi〉)i=1,...,n,

d.h. die Darstellung jedes Signals f mitHilfe von G ist durch (〈f, gi〉)i=1,...,n gege-ben, aber im Gegensatz zu vorher ist diesdie einzig mögliche Koeffizientenfolge.

Die kanonische Orthonormalbasis im R2 ist inder Abbildung 7 zu sehen.

6

-

Abbildung 7: Die kanonische Orthonormalbasis imR2 gegeben durch die Vektoren (1, 0) und (0, 1).

Man muss jetzt natürlich für jede Anwen-dung einzeln abwägen, ob man mehr Robust-heit benötigt und dafür mehr Framevektorenbenutzt – was wiederum die Rechenzeit erhöht–, oder ob man so wenig Vektoren wie möglichbenutzen möchte – in diesem Fall bietet sicheine Orthonormalbasis an –, dafür aber keinenKoeffizienten verlieren darf.

Zurück zu Wavelet-Frames

Erinnern wir uns nun daran, dass wir endlicheMengen D ⊂ (0,∞) × R bestimmen wollten,so dass man ein Signal f aus den zugehöri-gen abgetasteten Werten der kontinuierlichenWavelettransformation

Wψf(a, t) =∫ ∞−∞

f(x)1√aψ

(x− ta

)dx

(0.8)mit Parametern (a, t) ∈ A zurückberechnenkann. Der Einfachheit halber definieren wir

ψa,t(x) :=1√aψ

(x− ta

).

Ferner bemerken wir, dass in L2(R) – demRaum der Funktionen endlicher Energie, indem sich unser Wavelet und damit auch alle“Kopien” ψa,t befinden – das Skalarprodukt de-finiert ist durch

〈g, h〉 =∫ ∞−∞

f(x)g(x) dx.

Damit läßt sich (0.8) folgermaßen umschrei-ben:

Wψf(a, t) = 〈f, ψa,t〉 , (a, t) ∈ A.

Dies sieht schon sehr ähnlich den in Abschnittbetrachteten Framekoeffizienten (0.5) (vgl.

auch (0.7)). Die Menge {ψa,t : (a, t) ∈ A}

2008, 1 (1) Kognitive Neurophysiologie des Menschen 19

G. Kutyniok — Zeit-/Frequenzanalyse

müßte somit ein Frame sein, damit wir diein Abschnitt und entwickelte Theorie an-wenden können. Ein Schönheitfehler tritt nunauf: Oben haben wir der Einfachheit halberFrames in Rd betrachtet. Hier benötigen wirdie Theorie allerdings für L2(R). Das ist aberkein Problem. Die ganze Theorie gilt sogar vielallgemeiner für sogenannte Hiberträume.

Verlangen wir also, dass

{ψa,t : (a, t) ∈ A} (0.9)

einen Frame bildet, so können wir (0.6) anwen-den und erhalten die Rekonstruktionsformel

f(x) =∑

(a,t)∈A

Wψf(a, t)ψa,t(x), x ∈ R,

wobei ψa,t, (a, t) ∈ A den zugehörigen dualenFrame darstellt. Bildet die Menge (0.9) sogareinen Parseval-Frame, so folgt nach (0.7) so-gar die weitaus schönere Formel

f(x) =∑

(a,t)∈A

Wψf(a, t)ψa,t(x), x ∈ R.

Die Aufgabe besteht somit darin, Mengen A sozu wählen, dass die Menge (0.9) einen Fra-me, Parseval-Frame oder eine Orthonormal-basis bildet, je nachdem ob man an Robustheitoder Minimalität (siehe Abschnitt ) interessiertist.

Die kanonischste Wahl einer Menge A istdie Verwendung der dyadischen Abtastung.Hierbei wählt man

A = {(2j , 2jk) : j, k ∈ Z}.

Eine graphische Veranschaulichung ist in Ab-bildung 8 zu finden.

Sehen wir uns diese Art der Abtastung zu-nächst etwas genauer an. Je kleiner a wird,

-a

6t

12 1 2 4

1

2

3

4

−1

−2

−3

−4

pppppppppp ppp pppp ppp

ppp pppp ppp ppppp

pp pppp pppp pppp pppp pppp pppp pppp pp

Abbildung 8: Die dyadische Abtastung A ={(2j , 2jk) : j, k ∈ Z}.

desto mehr Abtastpunkte werden auf die Ver-schiebung t verwendet. Dies ist sofort ein-leuchtend, wenn man überlegt, dass ein klei-nes a auch eine starke Stauchung des Wave-lets bewirkt. Um jetzt noch das gesamte Si-gnal mit Verschiebungen “abdecken” zu kön-nen, brauchen wir halt viel mehr Verschiebun-gen.

Das zugehörige, sogenannte klassischeWaveletsystem hat für ein Wavelet ψ jetzt diefolgende Gestalt:{

1

2j2

ψ

(x− 2jk

2j

)=

1

2j2

ψ( x

2j− k)

: j, k ∈ Z}.

(0.10)

Am Anfang der Entwicklung der Wave-lettheorie wurde eine Vielzahl von Kriterienbewiesen, wann solch ein System eine Ortho-normalbasis ist. Die gängigsten Wavelets, wiez.B. die Wavelets aus Abbildung 4 erfüllen allediese Kriterien.

In den letzten Jahren wurde – da man denVorteil der Robustheit einer Framedarstellungfür eine Vielzahl von Anwendungen entdeckthatte – damit begonnen, Systeme der Gestalt(0.10) auf Frameeigenschaften hin zu untersu-chen. Auch hier liegen schon einige Resulta-

20 Kognitive Neurophysiologie des Menschen 2008, 1 (1)

G. Kutyniok — Zeit-/Frequenzanalyse

-a

6t

12 1 2 4

1

2

3

4

−1

−2

−3

−4

p p p p pp p p p pp p p p pp p p p pp p p p pp p p p pp p p p pp p p p pp p p p p

Abbildung 9: Eine beliebige Abtastmenge A ⊂(0,∞)× R.

te vor, die insbesondere Parseval-Frames derForm (0.10) vollständig beschreiben.

Manchmal findet man bei Resultaten auchdie etwas allgemeinere Abtastmenge

A = {(aj , ajbk) : j, k ∈ Z}, a > 0, b ∈ R,

Verwendung und somit das Waveletsystem,das von den Funktionen

1

aj2

ψ

(x− ajbk

aj

)=

1

aj2

ψ( xaj− bk

)für j, k ∈ Z erzeugt wird. In konkreten Anwen-dung wird aber noch fast immer das klassischeWaveletsystem verwendet. Es wird sich auchin Abschnitt 3 zeigen, dass diese Wahl der Ab-tastung einen zentralen Vorteil hat, denn siestellt durch ihre enge Verbindung zu Filter-bänken einen einfach zu implementierenden,schnellen Zerlegungs- und Rekonstruktionsal-gorithmus bereit.

Zuletzt wollen wir noch bemerken, dass mannatürlich statt der dyadischen Abtastung aucheine beliebige Abtastmenge A ⊂ (0,∞) × Rverwenden kann. Ein Beispiel ist in Abbildung9 dargestellt.

Allerdings werden dann Fragestellungennach den Frameeigenschaften des zugehöri-

gen – man sagt irregulären – Waveletsystems{1a

12ψ

(x− ta

): (a, t) ∈ A

}.

sofort sehr kompliziert. Es gibt schon eini-ge Resultate, die Frameeigenschaften solcherSysteme beschreiben, aber von einer vollstän-digen Charakterisierung, wie sie für klassischeWaveletsysteme vorliegt, ist die derzeitige For-schung noch weit entfernt.

Literatur

Blatter, C. (2003). Wavelets. Eine Einfüh-rung. Braunschweig/Wiesbaden: ViewegVerlag.

Christensen, O. (2003). An Introduction to Fra-mes and Riesz Bases. Boston: Birkhäu-ser.

Daubechies, I. (1992). Ten lectures on wa-velets. CBMS-NSF Regional ConferenceSeries in Applied Mathematics, 61.

Hubbard, B. (1998). The World According toWavelets: The Story of a MathematicalTechnique in the Making. Natick, MA: A.K. Peter, Ltd.

Klein, A. (2008). Wavelet- und Fourierkohä-renz in Theorie und Praxis. KognitiveNeurophysiologie des Menschen, 1, 33–39.

Kutyniok, G. (2006). Affine Density in WaveletAnalysis. Justus-Liebig-Universität Gie-ßen: Habilitationsschrift.

Mallat, S. (1999). A Wavelet Tour of SignalProcessing (2nd Aufl.). New York: Aca-demic Press.

2008, 1 (1) Kognitive Neurophysiologie des Menschen 21

T. Sauer — Wavelets und Filterbänke

Abstract

T. Sauer (Giessen) — Wavelets and filter banks Digital signal processing is based onso–called LTI filters which can be handled very well theoretically but also allow for a practicalhardware implementation. A wavelet decomposition can be realized by means of filter banks,provided that the concept of a Multiresolution Analysis (MRA) is used where a given function isdecomposed into components of different detail levels. Applied to discrete data, this decomposi-tion can be performed by filtering operations, leading to a fast decomposition method into octavebands, the so–called pyramid scheme.

Wavelets und Filterbänke

T. Sauer, Fachbereich Mathematik,Justus-Liebig Universität, 35392 Giessen

[email protected]

Die Waveletanalyse kontinuierlicher Funk-tionen, also die Zeit–Frequenz–Analyse ausdem vorherigen Kapitel, ist sicherlich ein wich-tiges Hilfsmittel zur Identifizierung zeitlokalerPhänomene, aber eben nur eine Anwendungder Wavelets. Wir werden uns jetzt einen Zu-gang zu Wavelets ansehen, der aus der di-gitalen Signalverarbeitung stammt und Wave-lets über Filterbänke definiert. Dazu müssenwir natürlich zuerst einmal herausfinden, wasSignale, Filter und Filterbänke eigentlich sind.

Signale und Filter

Ein Signal kann prinzipiell eine beliebige Funk-tion σ sein, die einen Parameterbereich aufeine Menge von potentiellen Messergebnis-sen abbildet. Ein Bild beispielsweise hat zwei(ganzzahlige) Parameter, die x- und die y–Koordinate des Pixels, sowie den Wert des Pi-

xels, der eine Graustufe oder aber ein RGB–Tripel sein kann. Diese Werte werden nor-malerweise dann auch noch quantifiziert, dasheißt, in einem Bild finden sich keine konti-nuierlichen Werte für die Graustufen, sondernnur Werte aus dem Bereich 0, . . . , 255, also ei-ne 8–Bit Quantifizierung. Quantifizierung ist inder Realität ein wichtiges und schwieriges Pro-blem, das bei allen Messungen auftaucht, aberwir wollen es hier ignorieren.

Unser Modell eines Signals soll hier relativeinfach sein, nämlich

σ : Z→ R, σ = (σ(j) : j ∈ Z) , (0.1)

also reelle Werte an ganzzahligen Abtastpunk-ten. Durch die reellen Werte umgehen wirdie Quantisierungsproblematik und “ganzzah-lig” ist für (zeit)diskrete Messung keine Ein-schränkung: Jeder Index j entspricht einemMesszeitpunkt, und ob diese Messungen nunmit einer Abtastfrequenz von 1000Hz oder 1Hzdurchgeführt wurden, ist für die Filterung oh-nehin irrelevant.

Ein einfaches Beispiel für solch ein dis-kretes Signal findet sich in Abbildung 1: Einakustisches Signal wurde mit einer Frequenz

22 Kognitive Neurophysiologie des Menschen 2008, 1 (1)

T. Sauer — Wavelets und Filterbänke

Abbildung 1: Ein Soundsignal mit 8000Hz

abgetastet

von 8000Hz abgetastet und die Amplitudengespeichert. Und auch wenn die verwendeteHardware sicherlich nur eine endliche Auflö-sung hatte, so sind die erzeugten Daten den-noch “numerische” Gleitkommawerte. Warumauch nicht?

Ein Filter F ist nun eine Abbildung, die einSignal σ in ein Signal σ′ = Fσ überführt. DieseDefinition ist eigentlich ziemlich nichtssagend,und sie erlaubt einfach zu viele Typen von Fil-tern, um mathematisch überhaupt noch etwasaussagen zu können. Daher beschränkt mansich in der digitalen Signalverarbeitung, siehez.B. (Grüningen, 1993; Hamming, 1998; Kam-meyer & Kroschel, 1998; Schüßler, 1992), zu-meist auf sogenannte LTI–Filter, also Filter, die

Linear: Der Filter agiert als “linearer Opera-tor”, das heißt, es gilt

F (a σ + b σ) = aFσ + bFσ′.

Mit anderen Worten: Addiert man zwei Si-gnale, so ist das Ergebnis der Filterungdie Summe der beiden Filterungen undmultipliziert man ein Signal mit einer Kon-stanten, ändert man also die “Skalierung”

der Amplitude, so passiert genau dassel-be mit dem gefilterten Signal.

Time Invariant: Was passiert hängt nicht da-von ab, wann es passiert, das heißt, wirdder Filter auf eine zeitversetzte Variantedes Signals angewandt, dann ist das Er-gebnis eine zeitversetzte Kopie der Filte-rung. Mathematisch beschreibt man dasgerne über den Translationsoperator T ,

(Tσ) (j) = σ(j + 1), j ∈ Z,

und T kσ = σ (·+ k) und erhält Zeitinvari-anz als

F(T kσ

)= T k (Fσ) , ⇔ TF = FT.

(0.2)

sind. Solch ein Filter — und von jetzt an soll“Filter” immer für einen LTI–Filter stehen —lässt sich besonders einfach darstellen, näm-lich über seine Impulsantwort f = Fδ, die mandadurch erhält, daß man einen “Puls” in dasSystem schickt, also ein Signal, das zum Zeit-punkt 0 den Wert 1, sonst aber immer den Wert0, siehe Abbildung 2. Das dürfte auch den Na-

0

0.2

0.4

0.6

0.8

1

-20 -15 -10 -5 0 5 10 15 20

Abbildung 2: Das δ–Signal.

men “Impulsantwort” erklären. Mit deren Hilfe

2008, 1 (1) Kognitive Neurophysiologie des Menschen 23

T. Sauer — Wavelets und Filterbänke

kann man die “Tätigkeit” des Filters F als Fal-tung mit der Impulsantwort schreiben:

(Fσ) (j) = (f ∗ σ) (j) =∑k∈Z

f (k) σ (j − k) .

(0.3)Wie so ein Filter funktioniert sieht man ganz

f

σ

σF

Abbildung 3: Schematische Darstellung des Filte-

rungsprozesses: Der Filter wird wie ein “Fenster”

über das Signal σ geschoben und das Produkt

der einzelnen Koeffizienten aufsummiert; das ergibt

dann den Wert des gefilterten Signals zum jeweili-

gen Zeitpunkt.

gut in Abbildung 3, der Filter agiert wie eine ArtFenster, die über das Signal geschoben wirdund so “stückchenweise” die Filterung berech-net. Am wichtigsten ist aber sicherlich die fol-gende Eigenschaft:

Ein Filter mit endlicherImpulsantwort kann technisch

realisiert werden.

Außerdem ermöglicht die in (0.3) verwende-te Faltung noch eine schnellere Berechnungvon Filterungen, wenn man die Fouriertrans-formierte des Signals betrachtet, die sich inMatlab bzw. Octave mit dem Befehl fft be-rechnen lässt, und die aus der Beziehung

(f ∗ σ)∧ = f · σ

folgt. Wenn man zuerst Filter und Signal trans-formiert, dann ein komponentenweises Pro-dukt berechnet und dieses wieder zurücktrans-formiert, dann kann man die Filterung we-sentlich schneller berechnen, als direkt über

die Formel (0.3). Das ist so toll, daß es inMatlab/Octave sogar eine eigene Funktionfftfilt gibt, die Filterungen auf genau die-se Art und Weise berechnet.

Oftmals wird das Filterdesign sogar imFourier–transformierten Bereich durchgeführt,man muss nur an einen Bandpass–Filter den-ken, der beispielsweise die unteren 50% derFrequenzen durchlässt und die oberen 50%sperrt, was in der Fouriertransformation einerFunktion entspricht, die auf der unteren Hälfteder Werte den Wert 1 und auf der oberenHälfte der Werte den Wert 0 hat. Diese Funk-tion braucht man dann “nur” mit ifft, derFunktion für die inverse Fouriertransformation,zurückzutransformieren, und schon ergibt sichder zugehörige Filter. Wenn’s nur so einfachwäre, denn:

-0.4

-0.2

0

0.2

0.4

0.6

0.8

1

-60 -40 -20 0 20 40 60

line 1

Abbildung 4: Die sinc–Funktion.

1. Die inverse Fouriertransformation solcheiner Funktion ist eine sinc–Funktion, sie-he Abbildung 4 und die “lebt” auf der gan-zen rellen Achse, das heißt, die zuge-hörige Impulsantwort ist nicht mehr end-lich, die Summe in (0.3) wird unendlichund muss abgeschnitten werden um nu-merisch noch realisiert werden zu kön-

24 Kognitive Neurophysiologie des Menschen 2008, 1 (1)

T. Sauer — Wavelets und Filterbänke

nen. Das führt aber wieder zu Fehlern beider Berechnung, was dadurch verschlim-mert wird, daß die Funktion verhältnismä-ßig langsam abklingt und daß daher zufrühes Abschneiden zu Fehlern führt. Wiewar das doch gleich wieder mit der Reali-sierbarkeit?

2. Welche absoluten Frequenzen so einFilter nun wirklich sperrt und welche erdurchlässt, das hängt jetzt sehr wohl vonder Abtastfrequenz ab. Klar: Wenn wir mit8000Hz abtasten, dann sind die unteren50% der Bereich von 0–4000Hz, bei derCD–üblichen Abtastrate von 44100Hzhingegen haben wir es mit 0–22050Hzzu tun. Einen “richtigen” Bandpassfiltermuss man also immer an die Abtastrateanpassen . . .

Filterbänke

Die einfachste Realisierung einer Filterbankim Alltag ist der Equalizer von Stereoanla-gen oder MP3–Playern, in dem ein akusti-sches Signal in verschiedene Frequenzkom-ponenten zerlegt wird, die dann gewichtet undwieder neu zusammengesetzt werden. Andersgesagt: Man verwendet nicht nur einen Filter,um ein Signal zu transformieren, sondert wen-det gleich mehrere Filter auf ein Eingangssi-gnal an und setzt umgekehrt das Ergebnis ausFilterungen mehrerer Einganssignale zusam-men. So gesehen besteht eine Filterbank alsoaus zwei Teilen:

Die Analyse–Filterbank zerlegt unter Ver-wendung der Filter F1, . . . , Fn das Ein-

gangssignal σ in

σ↗↘

F1 → F1σ...

...Fn → Fnσ

das heißt,

σ 7→ Fσ =

F1σ

...Fnσ

,und bildet so das Eingangssignal aufeinen Vektor von gefilterten Signalen ab.

Die Synthese–Filterbank bestimmt durchFilterung und Summation

σ1 → G1 → G1σ1

......

...σn → Gn → Gnσn

↘↗⊕→ σ′,

alsoσ1

...σn

7→ σ′ = G1σ1 + · · ·+Gnσn

wieder ein einzelnes Ergebnissignal auseinem Vektor von Eingangsdaten.

Eine wichtige Minimaleigenschaft einer “ver-nünftigen” Filterbank ist die perfekte Rekon-struktion, was nichts anderes bedeutet alsdaß die Synthese wirklich das Gegenstück zurAnalyse darstellen soll, daß also

σ↗↘

F1 → G1

......

Fn → Gn

↘↗⊕→ σ′

immer σ′ = σ ergibt – die Filterbank liefert al-so auch wieder das zurück, was reingesteckt

2008, 1 (1) Kognitive Neurophysiologie des Menschen 25

T. Sauer — Wavelets und Filterbänke

wird. Die eigentliche Signalverarbeitung ge-schieht natürlich zwischen Synthese und Ana-lyse und stellt irgendetwas mit Fσ an. Der be-reits erwähnte Equalizer skaliert beispielswei-se die Amplituden der einzelnen Komponentenum, bevor dann das Signal wieder neu kombi-niert wird.

Eine “Kleinigkeit” soll allerdings nicht uner-wähnt bleiben: Wenn wir eine Filterbank ver-wenden, also ein Signal in n Signale trans-formieren, dann haben wir es ja auch mit dern–fachen Informationsmenge zu tun, zumin-dest erst einmal formal. Beim Equalizer ist dasauch so: Die Amplituden der einzelnen Band-bereiche werden ja immer noch mit der glei-chen Frequenz abgetastet, daß jedes dieserBänder nur einen Teil der Information enthältsieht man nur an deren Fouriertransformier-ten. Wenn man also unnötige Redundanz ver-meiden will, dann muss man die Signale in Fσ

irgendwie “ausdünnen” und genau das pas-siert auch bei den Wavelet–Filterbänken – ja,wir kommen zum Thema! Jetzt haben wir esmit einer Zweikanal–Filterbank der Form

σ↗↘

FH → σH → GH

FL → σL → GL

↘↗⊕→ σ′

zu tun, perfekte Rekonstruktion versteht sichvon selbst. Da aber das gefilterte Gesamtsi-gnal [σH , σL] wieder doppelt so viel Informa-tion enthält wie σ selbst, gehen wir, um wie-der in dieselbe Größenordnung zu kommen,ganz brutal vor und löschen in σH und σL je-den zweiten Eintrag. Das hat zwei Vorteile: DieGröße stimmt wieder und diese einfache Ope-ration des Subsampling oder Downsamplinglässt sich sehr einfach sowohl programmierenals auch in Hardware implementieren. Umge-kehrt müssen wir bei der Rekonstruktion die

Signale erst wieder auf die richtige Länge “auf-blasen”, was sich am einfachsten dadurch er-reichen lässt, daß man zwischen je zwei Wer-ten eine Null einfügt. Unter Verwendung derentsprechenden Filter ↓2 und ↑2 ergibt sichunsere Filterbank dann wie in (0.4). Und da-mit sind wir im Geschäft und können endlichauch die Indizes erklären: σH ist als der hoch-frequente Anteil des Signals σ zu verstehen,FH ist also ein Hochpassfilter, σL hingegenstellt den niederfrequenten Anteil von σ dar,weswegen FL ein entsprechender Tiefpassfil-ter sein muss. Natürlich stellt die perfekte Re-konstruktion durch die Filterbank eine Forde-rung an die vier Filter FH , FL, GH und GL

dar, aber man kann mathematisch charakteri-sieren, wann solche Filter existieren und vorallem, wie sie miteinander verknüpft sein müs-sen, siehe (Vetterli & Kovecevic, 1995). Tabel-len mit den Koeffizienten von Waveletfiltern fin-den sich darüber hinaus auch in (Daubechies,1992; Mallat, 1999), und die gute Nachrichtist, daß es derartige Filter mit vielen guten Ei-genschaften gibt und man sich sogar seinenWunschfilter selbst “basteln” kann.

Multiresolution Analysis undFilterbänke

Was aber hat das nun alles mit Wavelets zutun, wo doch Wavelets eigentlich “kleine Wel-len” und damit Funktionen sind. Nun, die Grun-didee hinter dieser Geschichte ist die soge-nannte Multiresolution Analysis, die von einerpassenden Funktion ϕ, der sogenannten Ska-lierungsfunktion, erzeugt wird, und zwar, in-dem wir zuerst einmal alle ganzzahligen Trans-late ϕ (x− k), k ∈ Z, der Skalierungsfunktionbetrachten. Zu einem Signal σ und zu ϕ gibt

26 Kognitive Neurophysiologie des Menschen 2008, 1 (1)

T. Sauer — Wavelets und Filterbänke

σ↗↘

FH → ↓2 → σH → ↑2 → GH

FL → ↓2 → σL → ↑2 → GL

↘↗⊕→ σ′. (0.4)

es nun eine “natürliche” Funktion, nämlich dieFaltung

ϕ ∗ σ =∑j∈Z

ϕ (x− j) σ(j), (0.5)

man betrachtet das Signal also als Koeffizien-tenfolge für die Translate der Funktion.

Das geht immer noch für jedes beliebige ϕ,weswegen wir noch eine weitere Eigenschaftvon ϕ fordern, nämlich Verfeinerbarkeit. Umzu verstehen, was das ist, sehen wir uns zu-erst einmal die Funktion ϕ(2x) an, die einegestauchte, halb so breite Version von ϕ ist.Wenn wir nun davon die Translate ϕ (2x− j),j ∈ Z, bilden, dann sind das gestauchte Kopi-en von ϕ, die um halbzahlige Werte verscho-ben wurden – daß dem so ist, dafür sorgt das“2x”. Die Forderung an ϕ ist nun, daß es sichals Überlagerung dieser gestauchten und ver-schobenen Kopien darstellen lässt, was sich inmathematischer Schreibweise als

ϕ(x) =∑j∈Z

ϕ (2x− j) a(j) = ϕ ∗ a (2x) , (0.6)

für ein passendes “Signal” a darstellen lässt –und dieses magische Signal a werden wir inunserer Filterbank wiederfinden. Es gibt eineVielzahl von verfeinerbaren Funktionen, dereneinfachstes und prominentestes Beispiel dieHaarfunktion ist, die auf dem Intervall (0, 1] denWert 1 und sonst den Wert 0 hat und die offen-sichlich die Summe der beiden Funktionen ist,die auf (0, 1

2 ] und ( 12 , 1] leben; die halboffenen

Intervalle braucht man, weil die Funktion nichtstetig ist, also an 0 und 1 springt. Ein etwas

Abbildung 5: Die “Dachfunktion” ist ein Beispiel

für eine verfeinerbare Funktion, die Koeffizienten

dazu sind a(−1) = a(1) = 12 und a(0) = 1.

komplizierteres, dafür aber auch stetiges Bei-spiel ist in Abbildung 5 zu finden.

Die MRA besteht dann aus den Räumen

V0 = σ ∗ [ϕ (x− j) : j ∈ Z]

V1 = σ ∗ [ϕ (2x− j) : j ∈ Z]

V2 = σ ∗ [ϕ (4x− j) : j ∈ Z]...

Vn = σ ∗ [ϕ (2nx− j) : j ∈ Z] , n ∈ N0,

...

die wegen (0.6) alle ineinander verschachteltsind:

V0 ⊂ V1 ⊂ · · · ⊂ Vn ⊂ · · · . (0.7)

Mit anderen Worten: V1 ist V0 und ein bisschenmehr! Und dieses bisschen mehr kann manwieder so wählen, daß es von den Translateneiner einzelnen Funktion erzeugt wird, daß al-so

V1 = σ0∗[ϕ (x− j) : j ∈ Z]⊕σ1∗[ψ (x− j) : j ∈ Z]

2008, 1 (1) Kognitive Neurophysiologie des Menschen 27

T. Sauer — Wavelets und Filterbänke

ist, und genau diese Funktion ψ ist das Wave-let! Das einfachste Beispiel einer Skalierungs-

0 1

1

1/2

a

−a

Abbildung 6: Die Skalierungsfunktion zur Haar–MRA, die auf der Zerlegung des Intervalls [0, 1]basiert, und das zugehörige Wavelet, das Haar–Wavelet.

funktion und des zugehörigen Wavelets ist inAbbildung 6 dargestellt.

Aber es wird noch besser: Wir können dieKoeffizienten einer solchen Zerlegung durcheine Filterbank der Form (0.4) bestimmen underhalten so, daß

ϕ ∗ σ (2x) = ϕ ∗ σ0(x) + ψ ∗ σ1(x)

= ϕ ∗ FLσ(x) + ψ ∗ FHσ(x)(0.8)

ist. Und was einmal klappt, das klappt im-mer wieder! Ersetzen wir in (0.8) den Term

2x durch 2nx, dann erhalten wir die Zerlegungwie in (0.9), was eine Zerlegung des “hoch-aufgelösten” Signals σ in verschiedene Detail-stufen ist. Und alle diese Detailstufen lassensich komplett als Kaskaden unserer Filterbankberechnen, indem wir das Ergebnis der Tief-passfilterung immer wieder in die Filterbankeinspeisen. Wenn wir nun ein wenig “Buch-haltung” betreiben, dann stellen wir fest, daßwir im ersten Schritt etwa 50% der Informationin den Hochpassanteil verlagern, die anderen50% des Tiefpassanteils wieder in einen Hoch-und einen Tiefpassanteil zerlegen und mit demTiefpassanteil so fortfahren. Betrachten wir die

HTH

TTHTTTH

TTTTHTTTTTHTTTTTT

Abbildung 7: Schematische Darstellung der Antei-

le, die verschobene und auf dem Kopf stehende

Pyramide.

schematische Darstellung dieses Vorgehensin Abbildung 7 und zentrieren wir die Balken,dann sieht das Ganze aus wie eine auf demKopf stehende Pyramide, was den Namen “Py-ramidenschema” erklärt.

Jetzt wird es aber Zeit für ein Beispiel, undda drängt sich natürlich das Haar–Wavelet auf,für das ein Zerlegungsschritt in Abbildung 8dargestellt ist. Das “feine” Signal links wirddurch einen Mittelungsprozess vergröbert (dasist ja dann die Darstellung bezüglich der Ska-lierungsfunktion in niedrigerer Auflösung) undder dabei gemachte Fehler wird dann durchdas Wavelet kompensiert. Andere MRAs bil-den dann Mittelungen über eine größere An-zahl von Werten und nutzen entsprechendeWavelets mit größerem Träger, um mögliche

28 Kognitive Neurophysiologie des Menschen 2008, 1 (1)

T. Sauer — Wavelets und Filterbänke

ϕ ∗ σ (2nx) = ϕ ∗ FLσ(2n−1x

)+ ψ ∗ FHσ

(2n−1x

)= ϕ ∗ FLFLσ

(2n−2x

)+ ψ ∗ FHFLσ

(2n−2x

)+ ψ ∗ FHσ

(2n−1x

)= ϕ ∗ FL · · ·FL︸ ︷︷ ︸

n

σ(x) + ψ ∗ FH FL · · ·FL︸ ︷︷ ︸n−1

σ(x) + · · ·

· · ·+ ψ ∗ FHFLσ(2n−2x

)+ ψ ∗ FHσ

(2n−1x

), (0.9)

0

0

0

1/2^(n+1)

1/2^(n+1)

1/2^(n+1)

Abbildung 8: Ein Zerlegungsschritt in der Haar–

MRA.

Fehler auszugleichen.

Was ist nun der Vorteil dieser MRA? Wennwir genau hinsehen, dann verwenden alleRechnungen lediglich die Koeffizienten derFunktion f = ϕ ∗ σ (2nx), also das Signal σselbst, wobei der Parameter n wieder nichtsanderes als die Abtastrate ist. Das Signal wirdgefiltert und die Filterung ergibt die Koeffizien-ten bezüglich des Wavelets und der gröberenSkalierungsfunktion. Keine der beiden Funk-tionen taucht aber in den Rechnungen auf –die verwenden nur die Filter. Natürlich hängendie Funktionen und die Filter eng zusammen— kennt man das eine, so bestimmt das auchdas andere — aber für unsere Anwendungbenötigen wir wirklich nur die Filter.

Fassen wir das Schema nochmal zusam-

men: Durch die wiederholte Anwendung derFilterbank zerlegen wir das Signal wie in Abbil-dung 9 gezeigt in seine Komponenten, von de-nen wir σH , σHL, · · · , σHL...L und σL...L “auf-heben” und für die Analyse oder Modifikati-on des Signals benutzen. Die Rekonstruktionvon σ aus diesen Bestandteilen erfolgt danndurch wiederholte Anwendung der Synthese–Filterbank aus Abbildung 10, und die perfek-te Rekonstruktion durch die Filterbank garan-tiert auch eine perfekte Rekonstruktion durchdie Kaskade.

Anwendungen

Den praktischen Nutzen der diskreten Wave-letzerlegung erkennt man schon aus der intu-tiven Vorstellung der Zerlegung als “grobe In-formation plus Detailkorrektur”:

1. Enthält ein Signal wenige Details, dannwird es bereits durch eine wesentlich ge-ringere Auflösung gut dargestellt und al-le Detailkorrekturen fallen mehr oder we-niger klein aus, so daß sich das Signal bisauf kleine Störungen auch durch die we-sentlichen Koeffizienten in der Zerlegungdarstellen lässt. Dies hilft bei der Daten-kompression.

2. An Stellen, an denen gehäuft Korrektu-ren auftreten, muss etwas passieren. Tat-sächlich kann man Wavelets so basteln,

2008, 1 (1) Kognitive Neurophysiologie des Menschen 29

T. Sauer — Wavelets und Filterbänke

σ → FL → σL

↘ FH → σH

→ FL → σLL

↘ FH → σHL

→ · · · → FL → σL...L

↘ FH → σHL...L

Abbildung 9: Zerlegung eines Signals in seine Wavelet–Komponenten.

σLL...L → GL →

σHL...L → GH ↗

· · · → σLL → GL →

σHL → GH ↗

σL → GL →

σH → GH ↗

σ

Abbildung 10: Die Rekonstruktion des Signals aus Skalierungs- und Waveletkoeffizienten.

daß die gewichteten Koeffizienten hoherAuflösung klein sein müssen, wenn dieFunktion dort glatt (im Sinne von Differen-zierbarkeit) ist, also keine Sprünge oderKnicke hat. Liegen aber hohe Koeffizien-ten vor, dann ist die Funktion dort ebennicht glatt, hat also eine Sprungstelle odereinen Knick dort, was man nun wieder fürdie Konturerkennung nutzen kann.

3. Ist ein Signal mit relativ hochfrequentemRauschen von relativ kleiner Amplitudebelastet, dann äußert sich das in klei-nen Detailkorrekturen, also in vergleichs-weise kleinen Waveletkoeffizienten. Mankann daher beim Entrauschen so vorge-hen, daß man Waveletkoeffizienten, de-ren Absolutbetrag unter einem bestimm-ten Wert (Threshold) liegt, einfach auf Nullsetzt und so diese kleinen und ohnehinunwichtigen Detailstörungen entfernt.

Ein Beispiel sollten wir uns schon ansehen,und zwar eines zur Eckenerkennung durchWavelets, siehe Abbildung 11. Zur Analysewurde ein sogenanntes Daubechies–Wavelet(“D5”) verwendet, das selbst differenzierbar ist

0 50 100 150 200 250 300 -50 0 50 100 150 200 250 300 350

Abbildung 11: Eine einfache Testfunktion mit drei

Knicken und die passend skalierten Waveletkoeffi-

zienten, die eindeutig auf die Knicke deuten.

und daher imstande ist, nicht nur Sprünge,sondern Knicke durch große Waveletkoeffizi-enten zu identifizieren.

Nachdem man sie in den meisten Paketenzur Signalverarbeitung findet, noch ein kur-zes Wort zu den Daubechies–Wavelets: Eshandelt sich hierbei um eine Familie von Wa-velets (mit einem Parameter, daher Dx), diemit wachsendem Parameter immer glatter wer-den, aber immer noch Filter mit endlicher Im-pulsantwort besitzen, und zwar besonders ein-fache Filter, sogenannte Spiegelfilter. Nun istGlattheit ja gut, da dann die Wavelets sensitivgegenüber verschiedenen Typen von Singu-laritäten werden, aber natürlich hat das aucheinen Preis: Die Filter werden immer länger

30 Kognitive Neurophysiologie des Menschen 2008, 1 (1)

T. Sauer — Wavelets und Filterbänke

und “verschmieren” damit auch immer größereBereiche des Signals. Womit wir beim Themasind:

Die Auswahl eines geeignetenWavelets für eine bestimmte An-wendung ist immer ein Balanceaktzwischen Lokalität und Glattheit.

Inzwischen besitzen auch die sogenannten“Wavelet–Packages” eine gewisse Popularität,gerade auch in Anwendungen. Hierbei wirdnicht nur das Ergebnis der Tiefpassfilterungzerlegt, sondern auch die Waveletkoeffizien-ten in die Kaskade geschickt. Aus der Pyra-mide wird also ein Stapel von Blöcken glei-cher Länge. Diese Zerlegungsform ist zwarnicht durch die MRA begründet, wird abergerne für Klassifizierungsprobleme verwendet:Die Position (also der Index) und der Wertder signifikantesten Koeffizienten liefern eineArt “Fingerabdruck” des betrachteten Signals,und diese Vektoren kann man dann von einemStandardklassifizierungssystem wie neuronaleNetzwerke, Regression oder lerntheoretischeMethoden verarbeiten lassen.

Pferdefüße

So, das war’s dann mit der Werbeveranstal-tung für Wavelets, jetzt kommen wir zu ei-nem etwas unerfreulicheren Thema, nämlichder Frage, was beim Umgang mit Waveletsund Filterbänken so alles schiefgehen kann.

Das wesentliche Problem ist schnell erzählt:Realistische Signale wie Messungen oder Bil-der sind immer endlich, fangen irgendwannan und hören irgendwann auf. Andererseitshat aber der Filter einen endliche Länge undbraucht daher am Anfang und Ende des Si-

gnals Informationen, die nicht vorliegen siehe

f

σ

?

? ?

Abbildung 12: Situation am Ende eines Signals:

Die Werte, die der Filter benötigt, liegen nicht vor.

Abbildung 12. Man muss das Signal also ir-gendwie ergänzen und das kann man eigent-lich nur falsch machen. Populäre Ansätze sind

1. Fortsetzung mit Nullen. Ist der letzte Wertdes Signals noch ziemlich groß, dannführt das zu einem Sprung und damit zugroßen Waveletkoeffizienten am Rand.

2. Konstante Fortsetzung, der letzte Wertwird einfach wiederholt und Sprünge ver-mieden. Aber natürlich kann es dann Kan-ten geben . . .

3. periodische Fortsetzung. Diese wird vonden meisten Softwarepaketen automa-tisch gemacht und funktioniert eigentlichnur dann, wenn sich das Ende des Si-gnals ungefähr so verhält wie der Anfang.Ansonsten haben wir es wieder mit einemSprung zu tun.

Wie man sieht – Raten muss immer irgend-wie scheitern, denn jeder dieser Ansätze hatdurchaus seine Berechtigung, aber ganz ge-nauso kann man sich für jeden Ansatz sehrleicht Daten überlegen, die ihn scheitern las-sen.

Sehen wir uns zwei Beispiele an, um das zuverdeutlichen, ein realistisches und ein synthe-tisches. Wie Abbildung 13 zeigt, ist die Lokali-sierung von Singularitäten bei “echten” Signa-len nie so gut wie bei konstruierten Beispielen

2008, 1 (1) Kognitive Neurophysiologie des Menschen 31

T. Sauer — Wavelets und Filterbänke

-10

-5

0

5

10

15

20

0 50 100 150 200 250 300

line 1

-2

-1.5

-1

-0.5

0

0.5

1

1.5

2

0 50 100 150 200 250 300

line 1line 2line 3line 4

Abbildung 13: Ein EEG–Signal und die zugehörige

Waveletzerlegung.

wie in Abbildung 11, und es wäre ja auch naiv,das zu erwarten. Während nämlich der schar-fe Zacken etwa in der Mitte des Signals sehrgut erkannt wird, stellen die Waveletkoeffizien-ten die andern Singularitäten nicht immer wirk-lich überzeugend dar. Auch das ist eine Kon-sequenz, des “verschmiereden” Effekts der Fil-terung, die immer ihre Schwierigkeiten habenwird, wenn Singularitäten dicht beisammen lie-gen. Außerdem kommt man sehr schnell inAuflösungsprobleme, da ja in jedem Schritt dieLänge des zu zerlegenden Signal (der Tiefpas-santeil) halbiert wird und damit das Signal sehrschnell kürzer als die Filterlänge wird. Ach ja,die großen Koeffizienten am linken Rand sindArtefakte, die aus dem “Raten” der fehlendenKoeffizienten entstehen.

Ein klein wenig besser sieht man das amBeispiel in Abbildung 14, wo man noch sehrgut unterscheiden kann, welche Singularitätenecht und welche Artefakte sind. Was man auchsehr gut erkennt, ist die Tatsache, daß dieKnicke aufgrund der Filterlänge nicht scharf lo-kalisiert werden, sondern irgendwo in diesenmarkierten Bereichen liegen müssen.

Literatur

Daubechies, I. (1992). Ten lectures on wa-velets. CBMS-NSF Regional Conference

0

0.2

0.4

0.6

0.8

1

0 50 100 150 200 250 300

line 1

Verschmieren

Singularitäten

0

Abbildung 14: Ein Signal mit verschiedenen

Knicken und die Waveletkoeffizienten.

Series in Applied Mathematics, 61.Grüningen, D. C. von. (1993). Digitale Signal-

verarbeitung. Berlin: VDE Verlag, AT Ver-lag.

Hamming, R. (1998). Digital Filters. New York:Dover Publications.

Kammeyer, K. D. & Kroschel, K. (1998). Digi-tale Signalverarbeitung. B. G. Teubner,Stuttgart: Teubner Studienbücher Elek-trotechnik.

Mallat, S. (1999). A Wavelet Tour of SignalProcessing (2nd Aufl.). New York: Aca-demic Press.

Schüßler, H. W. (1992). Digitale Signalverar-beitung (3rd Aufl.). Berlin: Springer.

Vetterli, M. & Kovecevic, J. (1995). Waveletsand Subband Coding. Upper Saddle Ri-ver, NJ: Prentice Hall.

32 Kognitive Neurophysiologie des Menschen 2008, 1 (1)

A. Klein — Wavelet- und Fourierkohärenz in Theorie und Praxis

Abstract

A. Klein (Giessen) — Wavelet and Fourier coherence: theory and practical applicationA common question that arises in signal analysis is whether two signals are related in any way.Aside from correlation analysis in the time-domain, coherence is another indicator of interde-pendence that is defined in the frequency-domain. Overcoming the limits of classical coherenceanalysis which reveals only very little information about the temporal aspects of coherent events,coherence analysis with wavelets allows a detailed analysis of their temporal structure, especi-ally if the events have known triggers. This article compares classical coherence analysis towavelet-based analysis of coherence and phase-locking-value, as well as taking a brief look atbicoherence.

Wavelet- undFourierkohärenz in Theorie

und Praxis

A. Klein, Fachbereich Mathematik,Justus-Liebig Universität, 35392 Giessen

[email protected]

Signale und Filter

Eine Fragestellung, die – nicht nur – in derAnalyse von EEG-Daten auftritt ist die, waszwei zur gleichen Zeit an verschiedenen Ortengemessene Signale miteinander zu tun haben.Es wird schnell klar, dass dieser Zusammen-hang vielgestaltig sein kann, so können die Si-gnale zum Beispiel

• durch zeitliche Verschiebung auseinanderhervorgehen,

• durch Filterung auseinander hervorge-hen,

• in ihrer Phase an denselben Generatorgekoppelt sein,

• auf komplizierte Art und Weise zusam-menhängen, zum Beispiel durch Gleich-richtung oder Multiplikation,

• durch eine Kombination von alledem.

Bedingt durch diese Vielzahl möglicher Zu-sammenhänge wurde eine Anzahl verschie-dener Verfahren entwickelt, die ein Paar vonSignalen auf einen oder mehrere der obengenannten Aspekte hin untersuchen; so lässtsich zum Beispiel die zeitliche Verschiebungbesonders gut durch Berechnung von Korrela-tion und Covarianz aufdecken. Für ein Signalwie das EEG jedoch, bei dem ein Großteil derinteressanten Merkmale im Frequenzbereichverborgen sind, greift eine solche Analyse re-gelmäßig zu kurz, und daher werden andereVerfahren benötigt, die wir im Folgenden nä-her betrachten wollen.

Ein sehr gut verstandenes Konzept für denZusammenhang zwischen zwei Signalen istdas des sogenannten linearen Faltungsfilters,

2008, 1 (1) Kognitive Neurophysiologie des Menschen 33

A. Klein — Wavelet- und Fourierkohärenz in Theorie und Praxis

das oben schon beschrieben wurde. Wir er-innern uns: In diesem Fall gibt einen schö-nen Zusammenhang zwischen den Spektrau, v und F , der Signale u, v und des Filters F,nämlich:

v (f) = u (f) · F (f) .

Was bedeutet das für das Spektrum des ge-filterten Signals bei irgendeiner Frequenz f?Um diese Frage zu beantworten zerlegen wirzunächst die Fouriertransformierten in Phaseund Amplitude, indem wir schreiben

u (f) = Uf · e−ıφf

v (f) = Vf · e−ıϕf

F (f) = Ff · e−ıψf

mit

Uf , Vf , Ff ≥ 0 φ, ϕ, ψ ∈ [0, 2π) .

Die Gleichung des Faltungsfilters liefert unsdann

Vf · e−ıϕf = Ufe−ıφf · Ffe−ıψ

= UfFf · e−ı(φf +ψf ),

also insbesondere

Vf = Uf · Ff und ϕf ≡2π φf + ψf .

Ein lineares Filter bewirkt also für alle Frequen-zen lediglich eine über die Zeit konstante Ver-änderung der Amplitude und eine ebenso überdie Zeit konstante Verschiebung der Phase.

Kohärenz

Den gerade beschriebenen Zusammenhangvon zwei Signalen über ein lineares Filtermöchte man natürlich herausfinden können,und ein entsprechendes Werkzeug hierzu

bietet die Kohärenzanalyse. Die Kohärenz-analyse auf Basis der Fouriertransformationist ein bewährtes Werkzeug in der digitalenSignalverarbeitung, stößt allerdings im Be-reich schlechter Signal/Rausch-Verhältnisseoder nur kurzzeitig auftretender Kopplung anGrenzen, wie wir gleich sehen werden. EinenAusweg bieten auch hier die Wavelets.

Fourierkohärenz

Betrachten wir zunächst den klassischen An-satz: Ein gemessenes Signal ist üblicherweisevon allerlei Störungen, wie zum Beispiel Rau-schen, überlagert, die es

1. unmöglich machen, das tatsächlicheSpektrum des Nutzsignals genau zubestimmen und es

2. nötig machen, das Spektrum mit einer ge-eigneten Methode zu schätzen.

Eine der einfachsten Methoden zur Schätzungeines Spektrums besteht darin, das gemesse-ne Signal in mehrere gleich lange Teile zu zer-legen, zu jedem Teil die Fouriertransformiertezu berechnen und die Transformierten zu mit-teln. Bei EEG-Signalen bietet es sich oft an,die Zerlegung an bestimmten ausgezeichne-ten Zeitpunkten durchzuführen, zum Beispieldem Beginn der Stimuluspräsentationen in ei-nem Experiment. Darüberhinaus bietet einesolche Zerlegung den Ansatz dafür, zwei Si-gnale auf eine durch ein lineares Filter ver-ursachte konstante Phasenverschiebung hinzu untersuchen. Eine Möglichkeit hierfür bie-tet die Covarianzanalyse. Seien uk und vk dieZerlegungen zweier Signale in N Segmenteund uk und vk die Fouriertransformierten derSegmente. Wir können damit zu einer fest ge-wählten Frequenz f die Covarianz Cuv (f) der

34 Kognitive Neurophysiologie des Menschen 2008, 1 (1)

A. Klein — Wavelet- und Fourierkohärenz in Theorie und Praxis

Cuv (f) =1

N − 1

∑k

uk (f) · vk (f) =1

N − 1

∑k

Amplitudenprodukt︷ ︸︸ ︷Ukf V

kf ·e−ı

P hasendifferenz︷ ︸︸ ︷(ϕkf − φkf

)(0.1)

Spektra schätzen, was – unter stillschweigen-der Voraussetzung der Mittelwertfreiheit derbeteiligten Prozesse – mit unserer oben ein-geführten Schreibweise zur Formel (0.1) führt.Allerdings ist Cuv komplex, so dass es sich an-bietet, nur den Betrag zu betrachten und ausGründen der Vergleichbarkeit auch gleich aufdas Intervall [0, 1] zu normieren, wobei sich al-le Faktoren 1

N−1 herauskürzen:

γ2uv (f) =

∣∣∣∑k uk (f) · vk (f)

∣∣∣2∑k |uk (f)|2 ·

∑k |vk (f)|2

. . . und dies ist auch schon die Formel zurSchätzung der Kohärenz!

Dadurch, dass in die Kohärenzberechnungnur die Differenz der Phasen eingeht, wirdes, im Gegensatz zur Mittelung, insbesonderemöglich, Zusammenhänge zwischen Signalenaufzudecken, die in ihrer Phase nicht an dieSegmentierung gekoppelt sind.

Dies machen wir uns kurz an einem Bei-spiel klar: Zwei voneinander unabhängigenRauschsignalen werden zu definierten Zeit-punkten kleine spindelförmige Ereignisseadditiv überlagert, welche mit Abstand kleingenug sind, um bei einer rein visuellen In-spektion überhaupt nicht aufzufallen, aberin ihrer Phase an die Zeitpunkte gekoppelt.Sodann werden die beiden Zeitreihen anhandder Zeitpunkte segmentiert. Da die Spindeln inbeiden Zeitreihen gleichzeitig auftauchen darfman annehmen, dass die Zeitreihen erhöhteKohärenz zeigen. Aber kann man sich auchschnell Zugriff auf die Spindeln verschaffen?

Abbildung 1 zeigt das Ergebnis: Eine Mitte-lung über alle Segmente fördert die Spindelnzutage, damit tauchen sie automatisch auchim Betrag des Spektralmittels und dem Mit-tel der Betragsspektra der Segmente auf.

Nun wird das Experiment wiederholt mitdem einzigen Unterschied, dass die Phasen-kopplung der Spindeln an die Zeitpunkte ent-fällt. Abbildung 2 zeigt das Ergebnis: Die Spin-deln verschwinden aus der Mittelung der Seg-mente und damit automatisch auch aus demBetrag des Spektralmittels. Sie sind im Mit-tel der Betragsspektra noch zu erahnen – weilman weiß, dass sie da sind – aber in der Ko-härenz noch deutlich zu sehen.

-0.4-0.3-0.2-0.1

0 0.1 0.2 0.3 0.4

0 100 200 300 400 500

’Signalmittel’

0 0.002 0.004 0.006 0.008 0.01 0.012 0.014 0.016 0.018 0.02

50 100 150 200 250

’Betrag_Spektralmittel’

0.035 0.036 0.037 0.038 0.039 0.04

0.041 0.042 0.043 0.044

50 100 150 200 250

’Mittleres_Betragsspektrum’

0 0.005 0.01

0.015 0.02

0.025 0.03

0.035

50 100 150 200 250

’Kohaerenz’

Abbildung 1: Ereignisse, die in ihrer Phase an

Triggerzeitpunkte gekoppelt sind.

2008, 1 (1) Kognitive Neurophysiologie des Menschen 35

A. Klein — Wavelet- und Fourierkohärenz in Theorie und Praxis

-0.08-0.06-0.04-0.02

0 0.02 0.04 0.06 0.08

0 100 200 300 400 500

’Signalmittel’

0 0.0005 0.001

0.0015 0.002

0.0025

50 100 150 200 250

’Betrag_Spektralmittel’

0.036 0.0365 0.037 0.0375 0.038 0.0385 0.039 0.0395 0.04 0.0405 0.041 0.0415

50 100 150 200 250

’Mittleres_Betragsspektrum’

0 0.002 0.004 0.006 0.008 0.01

0.012

50 100 150 200 250

’Kohaerenz’

Abbildung 2: Ereignisse, die in ihrer Phase nichtan Triggerzeitpunkte gekoppelt sind.

Statistik

Ein Problem bei der Kohärenzanalyse stellt diestatistische Absicherung der Ergebnisse dar.Es gibt zwar einige Erkenntisse über die sta-tistischen Eigenschaften von Kohärenzschät-zungen, siehe zum Beispiel (Bendat & Piersol,1990), denen jedoch in vielerlei Hinsicht starkeAnnahmen über die statistischen Eigenschaf-ten der analysierten Signale zugrunde liegen,so dass bei der Verwendung der in der Li-teratur gewonnenen Konfidenzintervalle einegewisse Vorsicht geboten ist. Im Zweifelsfallist man bei Verwendung von parameterfreienTests auf jeden Fall auf der sicheren Seite.

Die Grenzen der einfachenKohärenzanalyse – Waveletkohärenz

Wir betrachten ein weiteres Beispiel, bei dem,ähnlich wie oben, zwei Rauschsignalen eineSerie von Spindeln und kurzen Rauschpulsenadditiv überlagert wird (Abbildung 3). Alle Er-eignisse sind in ihrer Phase nicht an den Zeit-punkt des Auftretens gekoppelt und durch Mit-telung nicht zu entdecken. Auch das Ergebnis

-4

-3

-2

-1

0

1

2

3

4

200 400 600 800 1000 1200 1400

Am

plitu

de (u

V)

Zeit (ms)

Abbildung 3: Spindeln, Rauschpulse und das über-

lagerte Rauschsignal (Punkte)

einer Kohärenzanalyse fällt enttäuschend aus:Wenn man weiß, wonach man suchen muss,kann man die kleine Spitze bei 100Hz in Abbil-dung 4 zwar sehen, aber das Ergebnis ist al-les andere als ein eindeutiger Befund. Ein wei-teres Problem ist, dass selbst wenn man eineindeutiges Ergebnis hätte, die Fourieranaly-se keinen Anhaltspunkt dafür gibt, zu welchenZeitpunkten interessante Ereignisse stattfan-den. Den Ausweg aus dieser Situation eröffnet

0

0.01

0.02

0.03

0.04

0.05

0.06

0.07

0.08

0 50 100 150 200 250

Koh

aere

nz

Frequenz (Hz)

Abbildung 4: Trotz Spindeln und Rauschpulsen

kaum Kohärenz

die waveletbasierte Kohärenzanalyse, die ex-akt dem Prinzip der Fourieranalyse folgt, aberbedingt durch die Wavelettransformation einenZeitparameter hat.

Seien uk und vk die Zerlegungen zweier Si-gnale und Lψ · (f, t) die Wavelettransformati-on zum Wavelet ψ. Dann ist die Schätzung der

36 Kognitive Neurophysiologie des Menschen 2008, 1 (1)

A. Klein — Wavelet- und Fourierkohärenz in Theorie und Praxis

Waveletkohärenz gegeben durch:

Γ2uv (f, t)

=

∣∣∣∑k Lψuk (f, t) · Lψvk (f, t)

∣∣∣2∑k |Lψuk (f, t)|2 ·

∑k |Lψvk (f, t)|2

.

Zweckmäßigerweise wird man hier irgendeinkomplexes Wavelet wählen, da nur in diesemFall Phaseninformation geliefert wird und diePhasendifferenz der entscheidende Teil derKohärenzformel ist.

Die Ergebnisse mit der Waveletkohärenzsind sehr deutlich (Abbildung 5): Die Spindelnzeigen sich als einzelner großer Gipfel, wäh-rend die Rauschpulse als Band erhöhter Ko-härenz über fast alle Frequenzen erscheinenund lediglich bei niedrigen Frequenzen auf-grund der dort prinzipbedingt schlechten zeitli-chen Auflösung nicht erfasst werden.

Abbildung 5: Waveletkohärenz: Spindeln und

Rauschpulse werden erkannt.

Fußangeln

Die Fourieranalyse hat das Problem, dasssie transiente Ereignisse nur schlecht erfasstund man nichts über den Zeitpunkt ihres

Auftretens erfährt. Die Waveletanalyse er-öffnet einen Ausweg, der sich jedoch in derKohärenzanalyse als Falle erweisen kann:Treten nämlich in zwei Signalen Ereignisseauf, die zwar kohärent sind, aber zeitlich wei-ter auseinander liegen, als die Abklingzeit desWavelets dauert, so werden sie natürlich nichtmehr erkannt. Es ist in einem solchen Fall alsowichtig, ein geeignetes Wavelet zu benutzen,oder die Signale durch zeitliche Verschiebunggeeignet anzupassen. Wenn andererseits nurein Signal eine große zeitliche Variabilität fürkohärente Ereignisse zeigt, so ist es auchnicht verboten für dieses betroffene Signalein anderes Wavelet mit breiterem Träger,also längerer Abklingzeit zu benutzen. Es gibtin solchen Fällen keine von vornherein besteMethode; im Zweifelsfall hilft nur Ausprobieren.

Phase Locking Value

Der Zusammenhang zweier Signale über einlineares Filter kommt bei passiven Übertra-

Abbildung 6: Phase-Locking-Value: Spindeln wer-

den besser, Rauschpulse schlechter erkannt.

gungswegen, wie zum Beispiel der Leitung vonSchall oder passiven Filtern in der Elektro-

2008, 1 (1) Kognitive Neurophysiologie des Menschen 37

A. Klein — Wavelet- und Fourierkohärenz in Theorie und Praxis

technik zwar häufig vor, wird aber der Vorstel-lung von unabhängigen funktionalen Einhei-ten, die lediglich ihre Phasen synchronisierennicht völlig gerecht. Lachaux et. al. (Lachaux,Rodriguez, Martinerie & Varela, 1999) habendaher den sogenannten Phase Locking Value(PLV) vorgeschlagen, den man erhält, wennman in der Kohärenzformel die Beträge alleauf 1 setzt. Der Beitrag der Amplitudeninfor-mation wird damit unterdrückt.2 Vergleicht mandie Ergebnisse der PLV-Analyse (Abbildung 6)mit denen der Wavelet-Analyse (Abbildung 5),so zeigt sich, dass der PLV die Spindeln bes-ser, aber die Rauschpulse schlechter erkennt.

Im Einzelfall wird man also abwägen müs-sen, welche Methode geeigneter ist.

Bikohärenz

Als Ausblick auf weitere mögliche Zusammen-hänge sei hier noch die Bikohärenz genannt.Bikohärenz erfasst Zusammenhänge, die zumBeispiel durch die Multiplikation von Signalenentstehen. Für das Produkt zweier Cosinus-Schwingungen gilt zum Beispiel folgender Zu-sammenhang:

cos (f1t) · cos (f2t)

=12

(cos ((f1 + f2) t) + cos ((f1 − f2) t)) ,

2Man könnte auch auf die Idee kommen, statt des Amplitu-denanteils den Phasenanteil zu unterdrücken. Das hätte denVorteil, dass man die Kohärenzformel sogar mit verschiede-nen Frequenzen für die einzelnen Signale anwenden könn-te, allerdings wird diese Möglichkeit durch einen erhebli-chen Qualitätsverlust der Ergebnisse teuer erkauft. Auf die-se Möglichkeit soll hier nicht näher eingegangen werden;einen ungefähren Eindruck der Verschlechterung kann einVergleich der Teilabbildungen für den Betrag des Spektral-mittels und des mittleren Betragsspektrums in Abbildung 1geben.

was einer Überlagerung von zwei anderenSchwingungen mit der Summe, beziehungs-weise der Differenz der Ausgangsfrequenzenentspricht. Da aus der Addition der Frequen-zen auch die Addition der Phasen folgt, kannman natürlich wieder eine entsprechende For-mel aufstellen, in die nun statt zweier, drei Si-gnale und statt einer zwei Frequenzen einge-hen. In der bekannten Notation lautet die For-mel des Schätzers:

Υ2uvw (f1, f2)

=

∣∣∣∑k uk (f1) · vk (f2) · wk (f1 + f2)

∣∣∣2∑k |uk (f1) · vk (f2)|2 ·

∑k |wk (f1 + f2)|2

.

Abbildung 7 zeigt ein Beispiel, in dem die Biko-härenz zwischen zwei Signalen und ihrem Pro-dukt berechnet wurde. Dabei enthielt ein Si-gnal zwei Cosinusschwingungen, das andereeine. Im Gegensatz zur Kohärenz kann Biko-

f1

f2

0.5 0.2 0.1

0 20 40 60 80 100 120 0

20

40

60

80

100

120

Abbildung 7: Bikohärenz zwischen zwei Signalen

und ihrem Produkt

härenz auch als Autobikohärenz in einem ein-zigen Signal gegeben sein, wo sie zum Bei-spiel auf Oberwellen anspricht. Auch weite-re, noch kompliziertere Zusammenhänge sindvorstellbar, sollen aber hier nicht dargestelltwerden.

38 Kognitive Neurophysiologie des Menschen 2008, 1 (1)

A. Klein — Wavelet- und Fourierkohärenz in Theorie und Praxis

Die Zukunft?

Das Hauptproblem, das sich bei allen Analy-sen von Paarbeziehungen zwischen Signalenauftut ist, dass es selbst für ein einfaches EEGschon viele Paare zu beachten gibt, und dassdie Anzahl dieser Paare quadratisch mit derAnzahl der Kanäle steigt. Zieht man nun nochin Betracht, dass eine Waveletanalyse schonvon zwei Parametern abhängt, dann wird klar,dass schon der reine Rechenaufwand und dieMenge der produzierten Daten einer detaillier-ten Analyse schnell Grenzen setzen. Es wirdalso eine Methode benötigt, die in akzeptablerZeit wenige aussagekräftige Kennzahlen pro-duziert. Eine Möglichkeit könnten Matrixwave-lets sein, bei denen die Menge der produzier-ten Daten nur linear von der Zahl der Kanäleabhängt, die aber trotzdem Zusammenhängezwischen den Kanälen erfassen können.

Literatur

Bendat, J. & Piersol, A. (1990). Random Data:Analysis and Measurement Procedures.New York: John Wiley & Sons, Inc.

Lachaux, J.-P., Rodriguez, E., Martinerie, J. &Varela, F. (1999). Measuring phase syn-chrony in brain signals. Human BrainMapping, 8, 194–208.

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