Kapitel 4: Rechtfertigung 1 – Fundamentalismus · (Hans Albert, Traktat über Kritische Vernunft,...

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Kapitel 4: Rechtfertigung 1 – Fundamentalismus Vorlesung SS 2001: Was können wir wissen? Text und Fragen 1 Text Alston, W.P. (1976) Two Types of Foundationalism. The Journal of Philosophy 73, 165-185. Fragen 1 1. Was unterscheidet den einfachen von iterativem Fundamentalismus? 2. Rekonstruieren Sie das Second Level-Argument. 3. Rekonstruieren Sie das Regress-Argument.

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Kapitel 4:Rechtfertigung 1 –Fundamentalismus

Vorlesung SS 2001: Was können wir wissen?

Text und Fragen 1

TextAlston, W.P. (1976) Two Types of Foundationalism.The Journal of Philosophy 73, 165-185.

Fragen 1

1. Was unterscheidet den einfachen von iterativemFundamentalismus?

2. Rekonstruieren Sie das Second Level-Argument.

3. Rekonstruieren Sie das Regress-Argument.

Text und Fragen 2

Fragen 2

1. Sind die Aussagen „Ich denke“und „Ich existiere“wirklich evident? Begründen Sie Ihre Antwort.

2. Jemand vertritt die These: Der Satz „Alle Jungge-sellen sind unverheiratet“ ist unkorrigierbar.Erläutern die den Inhalt dieser These und argu-mentieren sie gegen sie.

Allgemeines 1

Warum interessiert uns der Begriff derRechtfertigung?

Zunächst einmal, weil Rechtfertigung einzentraler Aspekt von Wissen zu sein scheint.

Allgemeines 2

Wann ist eine Person gerechtfertigt zuglauben, dass p?

Erste Antwort

Wenn sie selbst eine befriedigende Antwort auf dieFrage geben kann: „Warum glaubst Du, dass p?“

Allgemeines 3

Beispiel

Ich frage Uwe:

„Warum glaubst Du, dass Bielefeld gewonnen hat?“

Uwes Antwort:

„Weil Hans es mir gesagt hat.“

Ist das eine befriedigende Antwort?

Für sich genommen wohl nicht; vielleicht aber zusam-men mit der weiteren Antwort:

„Und weil Hans sich in diesen Dingen auskennt.“

Allgemeines 4

Wenn Hans sagt, dass Bielefeld gewonnen hat, undHans sich in diesen Dingen auskennt, dann ist dasein guter Grund für die Überzeugung, dass Bielefeldgewonnen hat.

Denn

Wenn Hans sagt, dass Bielefeld gewonnen hat, undHans sich in diesen Dingen auskennt, dann ist es(wahrscheinlich) wahr, dass Bielefeld gewonnen hat.

Der springende Punkt

Allgemeines 5

Zweite Antwort

S ist genau dann gerechtfertigt, p zu glauben, wenn S gute Gründe für diese Überzeugung hat, d.h., wennS andere Überzeugungen hat (angeben kann), die seine Überzeugung, dass p, stützen.

Aber reicht das schon?

Was ist z.B., wenn es gar nicht stimmt, dass sich Hansin diesen Dingen auskennt, bzw. wenn Uwe keinen guten Grund für die Annahme hat, dass dies so ist?

Eine befriedigende Antwort auf die Frage „Warumglaubst Du, dass p?“ scheint also in der Angabe vonguten Gründen zu bestehen, die für p sprechen.

Allgemeines 6

Die Überzeugung, dass q, ist ein guter Grund für die Überzeugung, dass p, wenn p (wahrscheinlich) wahrist, falls q wahr ist.

Gute Gründe für die Überzeugung, dass p, sind also andere Überzeugungen – und zwar Überzeugungen,für die gilt: Wenn sie wahr sind, ist auch die Überzeu-gung, dass p, (wahrscheinlich) wahr.

Andere Überzeugungen können die Überzeugung, dass p, daher nur dann rechtfertigen, wenn sie selbstebenfalls gerechtfertigt sind.

Definition

Allgemeines 7

S ist genau dann gerechtfertigt, p zu glauben, wenn

(i) S gute Gründe für diese Überzeugung hat, d.h.,wenn S andere Überzeugungen hat (angebenkann), die ihre Überzeugung, dass p, stützenund wenn

(ii) diese anderen Überzeugungen selbst gerecht-fertigt sind.

Also – dritte Antwort

Allgemeines 8

So verstanden haben Rechtfertigungen immer eineBaumstruktur

Aber nur, wenn diese Über-zeugungen ihrerseits aufguten Gründen beruhen.

Die Überzeugung, dass p,ist gerechtfertigt, wennsie auf guten Gründenp1, ..., pn beruht.

p

p 1 ! ! p n

Usw., usw.

! ! ! ! ! ! ! !

p11 ! p1l ! pn1 ! pnm

Münchhausen-Trilemma 1

Problem

Offenbar gibt es nur drei Möglichkeiten

p

p 1 p 2

p 11 p 12 p 21 p 22

! ! ! ! ! !

A. Mindestens ein Astendet mit einer Über-zeugung, die selbstnicht durch andereÜberzeugungengerechtfertigt ist.

Münchhausen-Trilemma 2

B. In mindestens einemAst wird eine Über-zeugung durch einevorhergehende Über-zeugung gerechtfer-tigt. (In diesem Astgibt es also eineSchleife.)

p

p 1 p 2

! ! ! ! ! !

p 11 p 12 p 21 p 22

Münchhausen-Trilemma 3

C. Mindestens ein Astsetzt sich bis insUnendliche fort. p

p 1 p 2

! ! ! ! ! ! ! !

p 11 p 12 p 21 p 22

Münchhausen-Trilemma 4

Jede Rechtfertigung ist

• dogmatisch (zumindest ein Ast endet mit einernicht durch andere Überzeugungen gerechtfertig-ten Überzeugung)

• zirkulär (zumindest in einem Ast gibt es eineRechtfertigungsschleife) oder

• führt in einen infiniten Regress (mindestens einAst bricht nicht ab, sondern setzt sich unendlichfort).

Das Münchhausen-Trilemma(Hans Albert, Traktat über Kritische Vernunft, Tübingen: Mohr1968, 11ff.)

Münchhausen-Trilemma 5

Offenbar nur, wenn man die Annahme aufgibt, dasseine Überzeugung nur dann gerechtfertigt sein kann,wenn sie durch andere Überzeugungen gestützt wird.

Einen Ausweg gibt es nur, wenn man annimmt, dasses neben den Überzeugungen, die nur durch andereÜberzeugungen gerechtfertigt werden können, auchÜberzeugungen gibt, die zu ihrer Rechtfertigungkeiner anderen Überzeugungen bedürfen, die ihreRechtfertigung sozusagen in sich tragen.

Solche Überzeugungen nennt man unmittelbar ge-rechtfertigte Überzeugungen.

Gibt es einen Ausweg aus diesem Trilemma?

Fundamentalismus 1

GrundthesenI. Es gibt zwei Arten von Rechtfertigung: unmittel-

bare und mittelbare Rechtfertigung.II. Unmittelbar gerechtfertigte Überzeugungen

müssen nicht durch andere Überzeugungen ge-rechtfertigt werden.

III. Nicht unmittelbar gerechtfertigte Überzeugun-gen können nur durch andere Überzeugungengerechtfertigt werden – und zwar mit Hilfe einesRechtfertigungsbaums, für den gilt:Alle Äste dieses Baums enden in einer unmittel-bar gerechtfertigten Überzeugung.

Erkenntnistheoretischer Fundamentalismus

Fundamentalismus 2

p 212p 211

p 1

p 22

p

p2

p 2 1

Dem Fundamentalismuszufolge haben Rechtferti-gungen Baumstrukturendieser Art:

Infallibilismus vs. Fallibilismus 1

Eine wichtige Unterscheidung

Infallibilismus vs. Fallibilismus

Der Infallibilist sagt, dass Rechtfertigung wahrheits-garantierend sein muss.

Er sagt:Jemand kann in einer Überzeugung, dass p, nur ge-rechtfertigt sein, wenn p wahr ist.(Gegen (R1) von Gettier.)

Infallibilismus vs. Fallibilismus 2

Der Fallibilist dagegen sagt, dass Rechtfertigungnicht wahrheitsgarantierend, sondern nur wahr-heitsanzeigend sein muss.

Er sagt:Rechtfertigung impliziert nicht Wahrheit, sondernnur wahrscheinliche Wahrheit.

D.h., es gilt:Wenn jemand in einer Überzeugung, dass p, ge-rechtfertigt ist, dann ist es wahrscheinlich, dass pwahr ist.

Infallibilistischer Fundamentalismus 1

ThesenI. Eine Überzeugung ist unmittelbar gerechtfertigt,

wenn sie eine Eigenschaft E besitzt, die garan-tiert, dass die Überzeugung wahr ist.

II. Eine Überzeugung ist genau dann gerechtfertigt,wenn sie unmittelbar gerechtfertigt ist oder ausunmittelbar gerechtfertigten Überzeugungen lo-gisch abgeleitet werden kann.

Infallibilistischer Fundamentalismus

Infallibilistischer Fundamentalismus 2

„Das Wahre kann aber auf zweierlei Weisen be-trachtet werden: einerseits als durch sich selbst Er-kanntes; andererseits als durch Anderes Erkanntes.Das durch sich selbst Erkannte ist wie ein Prinzip undwird vom Verstand unmittelbar eingesehen. … Wah-res aber, das durch Anderes erkannt wird, wird vomVerstand nicht unmittelbar eingesehen, sonderndurch eine Untersuchung der Ratio …“

Thomas von Aquin, Summa theologica (I2ae q57 a2)

Infallibilistischer Fundamentalismus 3

„Unter Intuition verstehe ich nicht das schwankendeZeugnis der Sinne oder das trügerische Urteil der ver-kehrt verbindenden Einbildungskraft, sondern ein somüheloses und deutliches Begreifen des reinen undaufmerksamen Geistes, dass über das, was wirerkennen, keinerlei Zweifel zurückbleibt, oder, wasdasselbe ist: eines reinen und aufmerksamen Geistesunbezweifelbares Begreifen, welches allein dem Lichtder Vernunft entspringt und das, weil einfacher,sogar zuverlässiger ist als die Deduktion …“

René Descartes, Regeln zur Leitung des Geistes(Regel 3, 5)

Infallibilistischer Fundamentalismus 4

Auch nach Descartes gibt es zwei Wege, um dieWahrheit einer Aussage zu erkennen:

IntuitionDas mühelose und deutliche Begreifen der Wahr-heit einer Aussage durch einen reinen und auf-merksamen Geist.

DeduktionDas Ableiten einer Aussage aus anderen als wahrerkannten Aussagen.

Beide Wege sind wahrheitsgarantierend!

Evidente Aussagen 1

Descartes vertritt also folgende Position

Es gibt Aussagen, deren Wahrheit sofort, mühelosund ohne dass irgendein Zweifel zurückbleibt er-kannt werden kann, wenn der reine und aufmerk-same Geist sie betrachtet.

Wenn man solche Aussagen evident nennt, dann giltoffenbar:

S ist in seiner Überzeugung, dass p, unmittelbar ge-rechtfertigt, wenn(i) p evident ist und(ii) S die Wahrheit von p durch reine und aufmerk-

same Betrachtung erkannt hat.

Evidente Aussagen 2

Wichtig

So verstanden hängt unmittelbare Rechtfertigungnicht allein davon ab, dass das, wovon ich überzeugtbin (der Inhalt meiner Überzeugung), evident ist.Vielmehr ist für unmittelbare Rechtfertigung auchentscheidend, wie ich ich zu der Überzeugung ge-kommen bin – nämlich durch unmittelbare Einsicht(Intuition).

Evidente Aussagen 3

Descartes‘ Beispiele für evidente Aussagen

• Ich denke.• Ich existiere.• Jedes Dreieck wird von drei Linien begrenzt.• Jede Kugel wird von einer einzigen Oberfläche

begrenzt.• Jede Ursache muss mindestens so viel Realität

haben wie die Wirkung.

Evidenz - Logische und Analytische Aussagen 1

Die entscheidende Frage

Gibt es tatsächlich Aussagen, deren Wahrheit manallein durch reines und aufmerksames Betrachtenerkennen kann?

Kandidaten

1. Logische und analytische Aussagen wie

A ↔ ¬¬ AAlle Junggesellen sind unverheiratet.

Evidenz - Logische und Analytische Aussagen 2

Begriffsklärung

Eine Aussage heißt logisch wahr, wenn sie allein auf-grund der Bedeutung der in ihr vorkommenden logi-schen Zeichen wahr ist.

„Hans ist reich oder Hans ist nicht reich.“

Eine Aussage heißt analytisch wahr, wenn sie alleinaufgrund der Bedeutung aller in ihr vorkommendenAusdrücke wahr ist.

„Färsen sind Kühe, die noch nicht gekalbt haben.“

Eine Aussage heißt synthetisch, wenn sie weder lo-gisch noch analytisch ist.

Evidenz - Logische und Analytische Aussagen 3

⇒Logische und analytische Wahrheiten sind recht guteKandidaten für evidente Aussagen.Denn man kann allein dadurch, dass man sich die Be-deutung der in ihnen vorkommenden Ausdrücke klarmacht, erkennen, dass diese Aussagen wahr sind.

AllerdingsWillard van Orman Quine hat bestritten, dass es überhaupt einen klaren Trennungsstrich zwischenlogischen, analytischen und synthetischen Aussa-gen gibt. („Two Dogmas of Empiricism“)

Evidenz - Mathematische Aussagen

2. Mathematische Aussagen

Fragen über Fragen

• Sind mathematische Wahrheiten logisch, analy-tisch oder synthetisch?

• Kann man die Wahrheit mathematischer Wahrhei-ten einfach einsehen oder muss man die meistennicht beweisen?

• Sind mathematische Aussagen überhaupt wahroder falsch?Wie steht es z.B. mit dem Parallelenaxiom Euklids,dass es zu jeder Geraden und jedem nicht auf ihrliegenden Punkt genau eine Parallele gibt?

Evidenz - Cogito 1

3. Descartes‘ berühmte Aussage „Cogito, ergo sum“

“Aber ich habe in mir die Annahme gefestigt, esgebe gar nichts in der Welt, keinen Himmel, keineErde, keine Geister, keine Körper: also bin doch auchich nicht da? Nein, ganz gewiss war ich da, wenn ichmich von etwas überzeugt habe. … [Und mag michauch ein allmächtiger Betrüger] täuschen, soviel erkann, er wird doch nie bewirken können, dass ichnicht sei, solange ich denke, ich sei etwas. Nachdemich so alles genug und übergenug erwogen habe,muss ich schließlich festhalten, dass der Satz, Ich bin,ich existiere, sooft ich ihn ausspreche oder im Geisteauffasse, notwendig wahr sei.” (2. Meditation)

Evidenz - Cogito 2

Was steckt hinter dieser Argumentation?

Das Wort ‘ich’ bedeutet offenbar so etwas wie ‘der-jenige, der jetzt spricht bzw. denkt‘. Die Bedeutungvon ‘ich’ garantiert daher, dass sich jedes Vorkomm-nis dieses Wortes auf jemanden bezieht, und zwargenau auf die Person, die dieses Vorkommnis ‘pro-duziert’. (Kemmerling, A. Ideen des Ichs. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1996, 90)⇒Wenn jemand denkt ‘Ich bin reich’, dann kann das,was er denkt, falsch sein; aber es ist unmöglich, dasssich das Wort ‘ich’ in diesem Gedanken auf nichtsbezieht. Denn es bezieht sich ‘automatisch’ auf den,der diesen Gedanken hat.

Evidenz - Cogito 3

Erste Konsequenz

Wenn jemand denkt ‘Ich denke’, dann denkt er not-wendigerweise etwas Wahres.

Die Bedeutung von ‘ich’ garantiert, dass sich dasVorkommnis von ‘ich’ im Inhalt seines Gedankensauf ihn, den ‘Produzenten’ dieses Gedankens be-zieht. Und dass der ‘Produzent’ des Gedankensdenkt, wird dadurch wahr gemacht, dass er ebendiesen Gedanken denkt.

Dieser Gedanke garantiert also seine eigene Wahr-heit.

Evidenz - Cogito 4

Zweite Konsequenz

Auch wenn jemand denkt ‘Ich existiere’, denkt ernotwendigerweise etwas Wahres. Denn die Bedeu-tung von ‘ich’ garantiert, dass sich das Vorkommnisvon ‘ich’ im Inhalt seines Gedankens auf ihn, den‘Produzenten’ dieses Gedankens bezieht.Auch dieser Gedanke garantiert somit seine eigeneWahrheit.⇒Die Wahrheit des Satzes „Ich existiere“ kann alsodurch reines und aufmerksames Betrachten erkanntwerden.Dieser Satz scheint also tatsächlich evident zu sein.

Evidenz - Metaphysische Aussagen

4. Metaphysische Aussagen

Gott existiert.Jedes Ereignis hat eine Ursache.Jede Ursache muss mindestens so viel Realitäthaben wie die Wirkung.Für alles gibt es einen zureichenden Grund.Die Zeit läuft nur in eine Richtung.

Hier besteht inzwischen fast völlige Einigkeit, dassdiese Aussagen nicht unmittelbar als wahr erkanntwerden können.

Evidenz - Fazit

Fazit

Die einzigen Kandidaten, für die es zumindest primafacie plausibel ist anzunehmen, sie seien evident,sind logische und analytische Aussagen und Aussa-gen wie „Ich denke“ und „Ich existiere“.

Unkorrigierbare Überzeugungen 1

Unkorrigierbare Überzeugungen

Gibt es Überzeugungen, die in diesem Sinne unkorri-gierbar sind?

Neben dem Begriff der Evidenz spielt im Zusammen-hang mit dem Problem unmittelbarer Rechtfertigungder Begriff der Unkorrigierbarkeit eine zentrale Rolle.

Eine mögliche Definition (Keith Lehrer)Die Überzeugung, dass p, ist unkorrigierbar, wenngilt:

(i) Wenn S glaubt, dass p, dann ist p wahr; und(ii) wenn p wahr ist, glaubt S, dass p.

Unkorrigierbare Überzeugungen 2

Ich habe jetzt Schmerzen.

Jetzt habe ich einen Roteindruck.

Jetzt riecht es hier muffig.

Moritz Schlicks Konstatierungen

Hier ist Gelb.

Im Gesichtsfeld sind zwei Linien.

Sind Überzeugungen dieser Art tatsächlich unkorrigierbar?

Wahrnehmungsüberzeugungen sind allgemein sichernicht unkorrigierbar.Aber wie steht es mit Überzeugungen, die die eigenenSinneseindrücke und Empfindungen betreffen?

Unkorrigierbare Überzeugungen 3

Pollocks Gegenargument

“... suppose you have a clock that, upon the hour,both strikes and flashes a red light. Suppose the clockand its light are situated in the lower left corner ofyour visual field while you are attending closely tosomething in the center of your visual field (e.g., awasp buzzing around your nose). If you hear theclock strike you may form the belief that the red lightis flashing and hence that you are appeared to redlyin the lower left corner of your visual field, but youmay not attend to that part of your visual fieldbecause you are much too intent upon what thewasp is doing. ...

Unkorrigierbare Überzeugungen 4

You believe that you are being appeared to redlywithout being ‘directly’ aware of it. ... This sort ofexample appears to make perfectly good sense andto describe a situation one could actually be in.Furthermore, it is apparent that in a case like this youcould be wrong about how you are appeared to. Ifthe clock is broken and the light not flashing, thenyou may not be appeared to redly at all. It followsthat the belief that you are appeared to redly is notincorrigible.”(Pollock, J.L. Contemporary Theories of Knowledge.Totowa, NJ: Rowman and Littlefield 1986, 59f.)

Unkorrigierbare Überzeugungen 5

Das Beispiel soll zeigen

Es ist durchaus möglich, dass man zu der Überzeu-gung kommt, dass man einen bestimmten Wahrneh-mungseindruck hat, obwohl dieser Wahrnehmungs-eindruck gar nicht vorliegt. Und in einem solchen Fallirrt man sich im Hinblick auf diesen Wahrnehmungs-eindruck.

D.h., es gilt nicht generell: Wenn S glaubt, dass sieden Eindruck E hat, dann hat S auch den Eindruck E.

Unkorrigierbare Überzeugungen 6

Grundsätzlich

Daran wird ein Punkt deutlich, der prinzipiell gegendie Möglichkeit unkorrigierbarer Überzeugungenspricht:

Jede Überzeugung, dass p, ist so geartet, dass manzu ihr auch aus schlechten Gründen kommen kann (d.h. aus Gründen, die mit der Wahrheit von p nichts zu tun haben).

“This argument against foundations theories is quitegeneral. What we are finding is that all beliefs (evenbeliefs about appearences) can be held for badreasons.” (Pollock, op.cit., 65)

Unkorrigierbare Überzeugungen 7

“Whatever one can believe as a result of introspec-tion, one can instead believe as a result of inference,and the inference can be based on false premises.”(Lehrer, K. Theory of Knowledge. London: Routledge1990, 54)

Konsequenz

Grundsätzlich kann es keine unkorrigierbaren Über-zeugungen geben.

Unkorrigierbare Überzeugungen 8

Allerdings

Diese Überlegung spricht nur gegen den Versuch,unmittelbare Rechtfertigung so zu definieren:

S ist in seiner Überzeugung, dass p, unmittelbargerechtfertigt, wenn p unkorrigierbar ist.

Sie spricht nicht – oder jedenfalls nicht direkt – gegenfolgenden Definitionsversuch:

S ist in den Überzeugungen, die ihre eigenen Sin-neseindrücke oder Empfindungen betreffen, un-mittelbar gerechtfertigt, wenn S auf dem Wegder Introspektion (direct awareness) zu diesen Ü-berzeugungen gekommen ist.

Probleme 1

Ein grundsätzliches Problem für den infallibilistischenFundamentalismus

Was wäre eigentlich gewonnen, wenn man in man-chen (oder sogar in allen) Überzeugungen unmittel-bar gerechtfertigt wäre, die logische oder analyti-schen Aussagen betreffen?

Welche anderen Überzeugungen ließen sich dannrechtfertigen?

Nicht sehr viele.

Denn aus logischen und analytischen Aussagen las-sen sich deduktiv nur weitere logische und analyti-sche Aussagen ableiten.

Probleme 2

Und was wäre eigentlich gewonnen, wenn man inmanchen (oder sogar in allen) Überzeugungen un-mittelbar gerechtfertigt wäre, die die eigenen Sinnes-eindrücke und Empfindungen betreffen?

Welche anderen Überzeugungen ließen sich dannrechtfertigen?

Wiederum nicht sehr viele.

Denn aus Aussagen über die eigenen Sinneseindrü-cke und Empfindungen lassen sich keine Aussagenüber Gegenstände der Außenwelt ableiten.

Infallibilistischer Fundamentalismus 1

ThesenI. Eine Überzeugung ist unmittelbar gerechtfertigt,

wenn sie eine Eigenschaft E besitzt, für die gilt:Überzeugungen mit der Eigenschaft E sind nichtimmer, aber im allgemeinen wahr.

II. Eine Überzeugung ist genau dann gerechtfertigt,wenn sie unmittelbar gerechtfertigt ist oder ausunmittelbar gerechtfertigten Überzeugungen mitHilfe von Wahrscheinlichkeitsschlüssen abgelei-tet werden kann.

Fallibilistischer Fundamentalismus

Probleme 3

Zwei Fragen

1. Lässt sich zeigen, dass bestimmte Typen vonÜberzeugungen – z.B. Wahrnehmungsüberzeu-gungen – zumindest im allgemeinen wahr sind?

2. Lässt sich zeigen, dass bestimmte Schlüsse – z.B.induktive Schlüsse oder Schlüsse auf die besteErklärung – gültige Wahrscheinlichkeitsschlüssesind?