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CIS.doc # 04
Open Design
Creative Industries Convention 2011
–Markus Beckedahl Andrea GoetzkeBre PettisMark FrauenfelderPonokoWienettPeter Troxler
–Yochai BenklerGeorg RusseggerRonen KadushinWhite ElephantGarmzPatick DaxEvan Jones
–Armin MedoschCory DoctorowManfred FaßlerLev ManovichPaul AtkinsonGerin TrautenbergerHannes Walter
CONTRIBUTORS
9 7 8 3 9 0 2 7 4 8 0 3 4
Kiss#2: Collage aus 340 Bildern unter CC-by Lizenz (siehe Seite 21)Künstler: Evan Jones
Creative Industries Convention2011
Inhalt
Seite 06
Vorwort Christian Buchmann
Seite 08– 09
Open Design im EinsatzEinführung zu Open Design
Seite 10
Armin MedoschWas ist Open Design?
Seite 12
Cory DoctorowLove the Machine, hate theFactory
Seite 14, 32, 34, 36
Manfred FaßlerWo ist offen?
Inhalt / Theorie
Seite 16
Lev ManovichWer ist der Autor?
Seite 18, 20
Paul AtkinsonDer Geist der Profession
Seite 22
Gerin TrautenbergerAngewante Creative Commons
Seite 24
Hannes WalterDesigner und ein bisschen mehr
Seite 26
Yochai BenklerInnovation kommt aus allenRichtungen
Seite 28, 30
Georg RusseggerAleatorische Entwurfsmodelle
– Konzept der Publikation: Gerin Trautenberger & Patrick Dax, Microgiants GmbHAndreas Hirsch, andreas-hirsch.netProjektmanagement: Barbara TscherneÜbersetzung: Otmar LichtenwörtherLektorat: Stefan SchwarGrafik-Design: moodley brand identityDruck: Medienfabrik Graz
– Diese Publikation ist unter einem Creative Commons
Namensnennung- Keine kommerzielle Nutzung-Weitergabe
unter gleichen Bedingungen 3.0 Österreich Lizenzvertrag
lizenziert. Um die Lizenz anzusehen, gehen Sie bitte zu
http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/3.0/at/
– Impressum:Herausgeber: Creative Industries Styria GmbHGeschäftsführer: Eberhard Schrempf Marienplatz 1, 8020 Graz, Austria T: +43 316 890 598, E: [email protected], Februar 2011
ISBN Nummer: 978-3-902748-03-4 Vertrieb: Verlag Neue Arbeit, 1070 Wien
Inhalt
Seite 07
Vorwort Eberhard Schrempf
Seite 11
Ronen KadushinProduziert in einer vernetzten Kultur
Seite 13
Open Design NowWhy Design cannot remain exclusive
Seite 15
White ElephantBalloon Light
Seite 17
GarmzCrowdsourcing
Seite 19
Fluid FormsIntelligente Formensprache durch Creative Coding und Open Source Software
Seite 21
Evan JonesWie die Bilder entstehen
Seite 23, 25, 27
Markus Beckedahl / Andrea GoetzkeCreative Commons in Open Design
Seite 29
Bre PettisDie Zukunft der Heimarbeit
Seite 31
Mark FrauenfelderDo-it-yourself-Innovation
Seite 33
PonokoDie Fabrik der Zukunft
Seite 35
WienettHandwerk 3.0
Seite 37
Peter TroxlerDie Ausbreitung der Fab Labs
Inhalt / Praxis
Medienfabrik GrazDreihackengasse 20, 8020 Graz
Telefon: +43 (0) 316 8095-0www.mfg.at
IHRE IDEEN
WERDEN GRÜN.
Ökologisch nachhaltiger Druck bei der Medienfabrik Graz:• Verwendung von FSC und
PEFC zertifi zierten Papieren • Klimaneutrale Produktion durch
CO2-Kompensation
Unserer Umwelt zuliebe!
Creative Industries Convention2011
Seite 5
Vorwort
Open Design zählt zu den wohl radikalsten neuen Ent-
wicklungen auf dem Gebiet der Kreativwirtschaft. Diese
„radical innovation“ ist ein wichtiger Impulsgeber für
Wirtschaft und Gesellschaft und ermöglicht eine Wei-
terentwicklung von traditionellen Betrieben und Wirt-
schaftszweigen. So sind nicht nur moderne und kom-
munikationsfreudige Unternehmer Nutznießer dieser
Innovation, sondern langfristig profitieren auch traditi-
onelle Wirtschaft und Unternehmen von den veränder-
ten Rahmenbedingungen.
Die Kreativwirtschaft gilt als Vorreiter im Einsatz
technologischer Innovationen und ist Wegbereiter für
einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel. Die-
ser Wandel erstreckt sich über alle Lebensbereiche und
bleibt keineswegs auf die Kreativbranche beschränkt.
Der Paradigmenwechsel, der durch die Digitalisierung
und digitale Kommunikation beschleunigt wird, ist
nicht mehr länger ein Science-Fiction-Märchen, son-
dern findet bereits statt. Heute stehen wir noch am An-
fang dieser grundlegenden Veränderungen und können
daher die Richtung, in die diese Entwicklungen gehen
sollen, bestimmen. Wie zu Zeiten der Erfindung des
Buchdrucks konnten selbst die mutigsten Vordenker
nicht die Entwicklung von Telefon, Internet und Social
Networks voraussehen.
Mehr Wachstum durch Innovation steht im Mit-
telpunkt der neuen Wirtschaftsstrategie „Steier-
mark 2020“. Nur durch Innovation können Wert-
schöpfung, Wachstum und Beschäftigung in der
Steiermark generiert werden. In der neuen Wirt-
schaftstrategie „Steiermark 2020“ nimmt die Kre-
ativwirtschaft als Querschnittsmaterie einen
besonderen Stellenwert ein. Ziel ist es, durch die Um-
setzung kreativer Ideen neue Arbeitsplätze zu schaffen.
Die Initiative der Creative Industries Styria zu Open
Design ist daher eine gute Ergänzung der strategischen
Leitlinien der steirischen Landesregierung. Open De-
sign ist ein neuer Impuls für alle, die an einer zukunfts-
orientierten steirischen Wirtschaft interessiert sind,
und ermöglicht so eine stärkere Verzahnung von Inno-
vation, Design und Wirtschaft.
Open Design verspricht vieles, und es gilt, diese Ver-
sprechungen zu überprüfen. Das Ziel ist, Open Design
auf sein mögliches Zukunftspotenzial zu untersuchen
und hinsichtlich potenzieller Einsatzmöglichkeiten für
Designer, aber auch Unternehmer und Konsumenten
abzuklopfen. Daher ist es auch für das Land Steiermark
von großem Interesse, diese neuen Entwicklungen zu
verfolgen und mögliche Impulse für neue Innovationen
zu geben.
Christian Buchmann
LANDESRAT FÜR WIRTSCHAFT, EUROPA UND KULTUR
Seite 6 Creative Industries Convention2011
Vorwort
Nichts hat die Rolle des Gestalters so radikal verän-
dert wie die Digitalisierung der technologischen und
kommunikativen Schnittstellen. Vor nicht einmal 20
Jahren war der Gestalter nur für die Formgebung ei-
nes Produktes oder für Grafik/Illustration eines ganzen
Magazins verantwortlich. Der übrige Prozess von der
Idee bis zum Vertrieb blieb anderen Spezialisten vorbe-
halten. Die neue Rolle des Designers ist aber nicht mehr
nur auf einen Arbeitsschritt beschränkt, sondern reicht
von der strategischen Produktentscheidung über den
Gestaltungsprozess bis hin zur Produkt- oder Kunden-
kommunikation.
Open Design und Open Source sind vergleichsweise
junge Konzepte der Kreation und Produktion. Die Frage
ist: Was können Produkt-, Kommunikations- und Ser-
vicedesign sowie Mode und Architektur von der Open-
Source-Bewegung lernen? Creative Commons, Linux
oder kollaborative Werkzeuge des Web 2.0 zeigen, wie
gemeinschaftliches Arbeiten und Leben funktionieren
können. Dabei entstehen innovative Arbeits- und Pro-
duktionsformen, die auf einem Austausch auf Augenhö-
he beruhen. Die klassischen Grenzen zwischen Produkt,
Kunde und Produktion verschwinden. Das Internet er-
möglicht nicht nur die Verteilung von digitalen Werken,
sondern auch von Bauplänen und Schnittmustern für
handfeste Produkte.
So ist Open Design eine aktuelle Entwicklung der
Kreativwirtschaft, die offenes Zusammenarbeiten un-
ter Kreativen und den Austausch von Ideen fördern
möchte. Darüber hinaus hat Open Design für die stei-
rische Kreativwirtschaft das Potenzial, den Gestal-
terinnen und Gestaltern neue Perspektiven und neue
Marktchancen am Wirtschaftsstandort Steiermark und
über die Grenzen der Steiermark hinaus zu eröffnen. Im
Gegensatz dazu können lokale Produzenten von Open
Design durch ein breiteres Produktangebot, das lokal
produziert werden kann, profitieren.
Seit der Gründung im Jahr 2007 beschäftigt sich die
Creative Industries Styria mit allen neuen Formen von
Design und der Zusammenarbeit von Gestaltern. Nicht
nur die Kollaboration unter Kreativen ist von Interesse,
sondern auch die Zusammenarbeit der Creative Indus-
tries mit der traditionellen Wirtschaft. Dabei fungiert
die Creative Industries Styria als Impulsgeberin und
macht Zukunftsthemen einer breiten Öffentlichkeit zu-
gänglich.
Konsequent beschäftigt sich die Creative Industries
Styria mit Themen wie Creative Commons, Open Sour-
ce und offener Kultur sowie der veränderten Rolle des
Gestalters in einem digitalisierten Wertschöpfungspro-
zess. Die Convention 2010 zum Thema „Designing the
Creative Societies of the Future“ mit dem kontrover-
sen Theoretiker, Autor und Blogger Cory Doctorow als
Keynote-Speaker hat Themenfelder eröffnet, an die wir
2011 mit der Convention und dem vorliegenden CIS.doc
zum Thema „Open Design“ anknüpfen. In der Conven-
tion 2011 untersuchen wir, ob Open Design mehr ist als
eine Theorie – nämlich eine neue Arbeitsmethode oder
sogar ein innovatives Geschäftsmodell.
Eberhard SchrempfGESCHÄFTSFÜHRER DER
CREATIVE INDUSTRIES STYRIA GMBH
Creative Industries Convention2011
Seite 7
OpenDesign
Creative Commons, Linux oder kollaborative Werkzeu-ge des Web 2.0 haben den Weg für ein gemeinschaft-liches Arbeiten und Leben gezeigt. Standardisierte Schnittstellen, der einfache Austausch von Files und Kommunikation auf gleicher Augenhöhe von allen Be-teiligten ermöglichen neue Arbeits- und Produktionsfor-men unter Kreativen. Heute werden über das Internet
nicht mehr nur digitale Wer-ke verteilt, sondern auch Baupläne, Schnittmuster und Pläne für handfeste Produkte. Creative Indus-tries Styria untersucht im vorliegenden Heft und in der Convention 2011, ob Open Design nicht nur Theorie, sondern auch eine neue Arbeitsmethode oder sogar ein neues Businessmodell sein kann.
Creative Industries Convention2011
Seite 09
Open Design im Einsatz
Das Jahr 2010 und vor allem die Creative Convention
im Februar standen für die CIS unter dem Motto „De-
signing the Creative Societies of the Future“. Das vor-
liegende Heft der CIS.doc-Reihe kann als Weiterfüh-
rung des Themas Open Source und Creative Commons
(CC) gesehen werden. Neben der aktuellen Theorie zu
Open Design werden auch konkrete Beispiele und Pro-
jekte vorgestellt, die Open Source einsetzen und das
offene, gemeinschaftliche Arbeiten unter Kreativen
beschreiben.
Das vorliegende Heft teilt sich in zwei grundlegende
inhaltliche Stränge. Auf der einen Seite werden Bei-
spiele, Anwendungen, Werkzeuge und Modelle vorge-
stellt, und auf der anderen Seite werden theoretische
Ansätze und Informationen zu Open Design präsentiert.
Diese neue Gestaltung des CIS.doc-Heftes versucht
auch der zusätzlichen Präsentationsform von iPad und
Netz gerecht zu werden. Neben einem theoretischen Teil
bietet der Reader auch einen Überblick über die aktuel-
le Diskussion zum Thema Open Design. Zusätzlich zum
theoretischen Exkurs enthält das vorliegende Heft auch
einen Praxisteil, einen Querschnitt der aktuellen Strö-
mungen und Projekte, die die Methode des Open Design
in ihrer täglichen Arbeit nutzen.
Das Heft zu Open Design besteht aus vier themati-
schen Gruppen. Der erste Gruppe von Artikeln (Ma-
novich, Faßler, Walter, Russeger, Benkler) versucht die
veränderten Prozesse und den damit verbundenen Pa-
radigmenwechsel in der Autorschaft zu erläutern. Das
Zusammenarbeiten im Netz erfordert neue Fähigkeiten
aller Beteiligten und hat eindeutige rechtliche Auswir-
kungen im Hinblick auf Urheberschaft, Nutzungsrecht
und Weitergabe von Werken. Open-Source-Software
und Creative Commons sind Versuche, die Kommu-
nikation unter Kreativen zu vereinfachen und auf die
heutigen Bedürfnisse durch technologische und sozio-
kulturelle Veränderungen zu reagieren. Diese viel-
schichtigen Aspekte werden in der zweiten Gruppe von
Artikeln untersucht. Dort werden Ideen und der Ein-
satz von Open Design bei der Arbeit mit Beiträgen von
Medosch, Troxler, Trautenberger, Fluid Forms, Becke-
dahl/Goetzke und die damit neu entstandenen ästhe-
tischen Ausdrucksformen von Gestaltern beschrieben.
Open Design und Open Source sind nicht nur Werkzeu-
ge und Methoden, sondern haben durch die Wahl von
Werkzeug und Material klare und wiedererkennbare
Ästhetiken entwickelt. Auch konnten wir Cory Docto-
row gewinnen, uns seinen Essay „Warum ich die Ma-
schinen liebe und die Fabrik hasse“ auf Deutsch zur
Verfügung zu stellen.
Die dritte Gruppe mit Beiträgen von Frauenfelder,
Kadushin, White Elephant und Berichten über Wie-
nett, Garmz für Mode, Crowdsourcing als Business-
modell, Ponoko und Bre Pettis von MakerBot und der
Grafik von Evan beschäftigt sich mit Projekten, den
Werkzeugen und Methoden, die bei Open Design ein-
gesetzt werden, und stellt ausgesuchte Good-Practice-
Beispiele vor. Diese Beispiele zeigen die Bandbreite von
konkreten Anwendungsbeispielen bis hin zu Business
Cases und den verschiedenen Aspekten von Open De-
sign. Der vierte Teil der Beiträge zeigt zwei Beispiele
wie Open Design in der Arbeit als Designer eingesetzt
werden kann. Der Hackchair von Ronen Kadushin und
die Ballonleuchte von White-Elephant, stehen unter der
Creative Commons CC-By-SA Lizenz und können frei
nachgebaut werden
Dieses Heft versteht sich als Beschreibung und Aus-
gangspunkt einer neuen Entwicklung, die heute noch in
den Kinderschuhen steckt. Die beschriebenen Beispiele,
Theorien und Projekte müssen erst aktuell verhandelt
werden und stellen keinen Anspruch auf Vollständig-
keit oder endgültige Festlegung. Aus diesen Gründen
war die Auswahl von Autoren, Beispielen und Projekten
auch integrierend und nicht auf Exklusion bedacht.
Gerin Trautenberger
MICROGIANTS
“WAS KÖNNEN
PRODUKT-, KOMMUNI-KATIONS- UND SERVICE-
DESIGN SOWIE AUCH MODE UND ARCHITEK-
TUR VON DER OPEN-SOURCE-BEWEGUNG
LERNEN?
”Gerin Trautenberger
Einführung
Dieser Begriff hat noch keine fixe Be-
deutung. Open Design ist ein Enwturf,
ein Vorschlag. Analog zu den Metho-
den der Open-Source-Software könnte
das bedeuten: Gebt Einblick in Bau-
pläne und Konstruktionsprinzipien,
damit eine neue, kollaborative Ent-
wurfskultur entstehen kann. Darüber
hinaus bedeutet Open Source auch,
die Schranke zwischen Konsumen-
ten und Produzenten abzubauen. Was
Open-Source-ProgrammiererInnen
motiviert, ist, dass sie die gemeinsam
geschaffenen Programme auch selbst
benutzen. So wird aus dem Produkt
„Software“ ein Prozess, an dem sich
viele beteiligen – die Programmierer-
Innen, aber auch TesterInnen, Ver-
fasserInnen von Fehlerberichten und
Handbüchern, kurz: die ganze leben-
dige Community. Open Design könn-
te in Anlehnung daran bedeuten, sich
vom Gedanken des Produkts als einer
fertigen, abgeschlossenen Sache zu lö-
sen und Design als einen Prozess mit
offenem Ausgang zu sehen. Schon vor
40-50 Jahren, zwischen 1955 und 1968
ArminMedosch
wurden an der Hochschule für Gestal-
tung in Ulm solche Ansätze für eine
neue Entwurfskultur entwickelt. An-
fangs folgte das Ulmer Design-Institut
noch den Bauhaus-Ideen von der guten
Form, welche die Funktion eines Ge-
genstands zum Ausdruck bringt. Ab
1957 verfolgte ein neues Team unter
der Leitung des Argentiniers Tomás
Maldonado eine modernere und radi-
kalere Programmatik. Wie Maldonados
Kollege Gui Bonsiepe in einem vor we-
nigen Jahren erschienenen Buch ana-
lysiert, sollte die gestalterische Kreati-
vität die bestehende Produktwelt nicht
einfach unkritisch akzeptieren, son-
dern den größeren Zusammenhängen
Beachtung schenken. Gefordert war
die „soziale Imagination“. Industriell
hergestellte Objekte sind ein Produkt
sozialer Beziehungen und schaffen
selbst wieder neue soziale Beziehun-
gen. Design kann, anstatt vorgegebene
Produkte bloß äußerlich zu modifizie-
ren, einen gesellschaftlichen Entwurf
beinhalten. Open Design, so definiert,
fragt nach den Zusammenhängen, in
die ein Produkt eingebettet ist. Wel-
che Rohstoffe sind nötig? Welche Ar-
beitsvorgänge mit welchen Maschinen,
welche Hierarchien und Befehlsketten?
Wie geht es den Menschen, die daran
beteiligt sind? Und wie wird man die
BIOGRAFIE
Armin Medosch ist als freischaffender Autor, Medienkünstler und Theoretiker an zahlreichen Netzprojek-ten beteiligt. Seit 2007 arbeitet er an thenextlayer, einer kollaborativen Research-Plattform zu den Themen Kunst, Politik, Offenheit und Open-Source-Software.
produzierten Dinge am Ende wieder
los, ohne dass sie die Umwelt belas-
ten? Sicherlich wäre es eine Überfor-
derung, den DesignerInnen allein die
Verantwortung für alle diese Bereiche
anzuhängen. Maldonado und Bonsiepe
sahen diese als TeamworkerInnen, die
Prozesse moderieren. Ihre Maxime
lautete, sich nicht mit dem Gegebenen
abzufinden, sondern „Unruhe zu stif-
ten“. In diesem Sinn ist Open Design
ein Auftrag zur Veränderung der Welt.
Die HfG Ulm scheiterte damals an der
Engstirnigkeit der staatlichen Förder-
geber. Heute sind die technologischen
und soziologischen Rahmenbedingun-
gen wesentlich günstiger für die Ver-
wirklichung einer solchen Program-
matik.
“DESIGN
IST EIN PROZESS MIT OFFENEM
AUSGANG”
Armin Medosch
RELATED LINKSthenextlayer.org/blog/2
WAS IST OPEN
DESIGN?
Seite 10 Creative Industries Convention2011
Armin Medosch
In unserer heutigen marktorientierten Kultur gehen DesignerIn-
nen bei der Verwirklichung ihrer Kreativität Herstellern gegenüber
Verpflichtungen ein. Die Hersteller, mit ihrer Macht, alle Aspekte
eines Produkts zu kontrollieren, sind die Torwächter der designeri-
schen Kreativität, die entscheiden, welche Produkte auf welche Art
und Weise dem Konsumenten letztendlich angeboten werden. Diese
Situation nimmt schon in den Industrial-Design-Ausbildungssyste-
men ihren Ausgang, in denen die DesignerInnen dazu angehalten
werden, sich in ein industrielles Produktionsszenario zu integrieren
und zu akzeptieren, dass die Hersteller das Recht haben, Design ih-
ren eigenen Regeln zu unterwerfen und ihre eigenen Werte und Zie-
le zu propagieren. Frische Ansätze und radikale Ansichten werden
ins Abseits gedrängt, da sie mit den Dogmen der Heiligen Kirche
des Industrial Design nicht konform gehen.
Doch andere kreative Bereiche, deren Produkte mit den Wirklich-
keiten des Internets und der Informationstechnologie koordiniert
einhergingen (Bereiche wie Musik, Kommunikationsdesign, Ani-
mation, Fotografie und Text usw.), erleben zurzeit eine noch nie da
BIOGRAFIE
Ronen Kadushin ist ein seit 2005 in Berlin lebender israelischer Designer und Designlehrer. Er entwickelte die Open-Design-Methode, nach der das Design seiner Produkte ganz wie bei der Open-Source-Software downge-loadet, kopiert, modifiziert und produziert werden darf.
Ronen Kadushin
RELATED LINKSronen-kadushin.com
gewesene Flut an frei verfügbaren kreativen Inhalten. Die Bran-
chen, die diese Bereiche einst beherrscht haben und sich an diese
Realität noch nicht angepasst haben, sind mittlerweile im Begriff,
rasch überflüssig zu werden.
Lassen wir uns ein auf die Open-Source-Methode, die die Software-
industrie revolutioniert hat, eine realisierbare Wirtschaft geschaf-
fen hat und eine blühende gesellschaftliche Bewegung entstehen
ließ, die sich durch Gemeinschaftsgeist und höchste Kreativität und
Inklusivität auszeichnet.
Aufgrund des die althergebrachten Strukturen sprengenden Wesens
des Internets und des einfachen Zugangs zu CNC-Maschinen ste-
hen wir vor einer Revolution in den Bereichen Produktentwicklung,
-herstellung und -vertrieb. Open Design ist ein Lösungsvorschlag,
durch den sie sich verwirklichen lässt. Es zielt auf grundlegende
Veränderungen im Industrial Design ab, damit es in einer global
vernetzten Informationsgesellschaft an Relevanz gewinnt.
Design und Produktion anhand dieser Methode hat nicht nur eine
Auswirkung auf die Eigenschaften des Produkts selbst sondern
auch auf seine Modifizierungsmöglichkeiten und potenzielle Um-
wandlung in andere Produkte. Sie legt ein neues Modell eines un-
voreingenommenen Marktes nahe, an dem alle teilnehmen können.
Und sie ermächtigt DesignerInnen, ihrem kreativen Ausdruck frei
nachzugehen, ihn in Form seriell gefertigter Industrieprodukte zu
realisieren und weltweit zu vertreiben.
PRODUZIERT IN EINER VERNETZTEN KULTUR
Creative Industries Convention2011
Seite 11
Fotos: Ronen Kasushin, Vague chair
Wir haben schon eine Menge darüber ge-
hört, wie erschreckend die industrielle Re-
volution war – die Verwerfungen, die sie der
Agrargesellschaft des frühen 19. Jahrhun-
derts aufnötigte, waren schmerzlich und
schrecklich, und es war eine blutige Revo-
lution. Seit jener Zeit kennen wir den Be-
griff des Maschinenstürmers, welcher auf
Aufstände gegen Maschinen verweist, die
uralte Lebens- und Arbeitsweisen zunich-
temachten.
Doch die Probleme in den Jahren nach
1810 waren erst der Anfang. Gegen Ende des
Jahrhunderts veränderte sich der Arbeits-
platz erneut. Die ArbeiterInnen erlebten,
dass ihr Leben von den Kräften des Kapi-
tals wieder einmal auf dramatische Art und
Weise umgestaltet wurde, und zwar durch
ein Verfahren, das sich „wissenschaftliche
Betriebsführung“ nannte. „Wissenschaft-
liche Betriebsführung“ (auch Taylorismus
genannt, nach deren wohl prominentestem
Verfechter Frederick Winslow Taylor) war
rund um den Gedanken aufgebaut, ein Pro-
duktionsverfahren auf eine Reihe von opti-
mierten einfachen Schritten zu reduzieren,
und ein Fließband zu schaffen, an dem die
ArbeiterInnen bloß Bestandteile der Ma-
schine sind.
Taylor, Henry Ford und Frank und Li-
llian Gilbreth nutzten Zeit-Bewegungs-
Studien, schriftlich verfasste Logbücher,
Hochgeschwindigkeitsfotografie und ande-
re empirische Techniken, um verschwen-
dete Bewegung, Zeitverschwendung und
potenzielle Blockaden im Produktionsver-
fahren dingfest zu machen. Praktisch jede
Branche erlebte dank ihrer Arbeit einen ge-
waltigen Produktivitätsanstieg.
Doch all dieser Nutzen hatte auch seinen
Preis. Der „unwissenschaftliche“ Arbeiter
war persönlich in mehrere knifflige Her-
stellungsstadien involviert und begleitete
ein Produkt häufig von den Rohmateria-
lien bis hin zum fertigen Produkt. Er oder
sie konnte sich Sitzposition oder Werkzeug
nach Belieben aussuchen und die Reihen-
folge der zur Herstellung erforderlichen Ar-
beitsschritte selbst bestimmen.
Wenn draußen die Sonne schien und eine
angenehme Herbstbrise wehte, konnte man
sich auf das Abschleifen der Verbindungs-
stücke beschränken, damit der feine Blät-
terduft in der Luft erhalten blieb, und sich
das Lackieren für den nächsten Tag auf-
sparen. ArbeiterInnen, die einen schlech-
ten Tag hatten, konnten es ruhiger angehen
lassen, ohne ein Fließband aufzuhalten. An
guten Tagen konnten sie Tempo machen,
ohne dass es weiter unten in der Ferti-
gungsstraße zu Verkehrsstaus kam. Doch
für jede Produktivitätssteigerung forderte
die wissenschaftliche Betriebsführung ih-
ren Tribut in Sachen Selbstbestimmung,
Menschenwürde und Verbundenheit der
werktätigen Person mit dem, was sie her-
stellte, ein.
Für mich besteht der größte Reiz des
Steampunk darin, dass er zwar die Maschi-
ne verherrlicht, aber die Mechanisierung
menschlicher Kreativität verunglimpft (das
Motto der ausgezeichneten und kostenlosen
Zeitschrift SteamPunk Magazine lautet
„Love the Machine, Hate the Factory“). Er
feiert die ausgeklügelten Erfindungen des
wissenschaftlich geführten Unternehmens,
doch stellt er sich dabei vor, jene Maschi-
nen stammten von Individuen, die ihr eige-
ner Herr wären. Steampunk wettert nicht
gegen Effizienz – doch gibt er der Effizienz
niemals den Vorzug gegenüber der Selbst-
bestimmung. Wenn du deine Werkbank hö-
her stellst, um deinen Rücken zu schonen,
dann ist das deine Entscheidung und kein
Befehl von oben.
Nun im 21. Jahrhundert scheint diese Art
der Produktion endlich greifbar zu sein: Mit
einer Welt der Desktop Fabber, Low-Cost-
Werkstätten und Communities voller hilfs-
bereiter und gleichgesinnter Produzenten
ist Utopia zum Greifen nahe. Letztendlich
werden wir wie klassische Handwerker ar-
beiten und gleichzeitig wie ein Fließband
produzieren können.
CoryDoctorow
BIOGRAFIE
Cory Doctorow ist ein kanadischer Blogger, Journalist und Science-Fiction-Autor und als Mitherausgeber des Blogs Boing Boing tätig. Er ist ein Aktivist für eine Liberalisierung des Urheberrechts und ein Verfechter der Creative Commons-Organisation.
RELATED LINKScraphound.comde.wikipedia.org/wiki/Steampunksteampunkmagazine.com
LOVE THE MACHINE, HATE THE FACTORY
“LETZTENDLICH WERDEN
WIR WIE KLASSISCHE HANDWERKER ARBEITEN UND GLEICHZEITIG WIE
EIN FLIESSBAND PRODU-ZIEREN KÖNNEN.
”Cory Doctorow
Seite 12 Creative Industries Convention2011
Cory Doctorow
Foto: Joi Ito, Creative Commons Attribution 3.0
Open Design könnte auch für andere Bereiche relevant werden.
Staatliche Vorhaben, die Bürgerbeteiligung und Selbstverantwor-
tung anstreben, könnten von einem Open-Design-Ansatz profitieren.
Für die größeren Probleme dieser Welt – Ausbeutung und Verschwen-
dung natürlicher Ressourcen, Bevölkerungswachstum, übersteiger-
tes Konsumverhalten, weltweite Armut – könnten mit Open Design
neuartige Lösungen gefunden werden. Letztlich könnte das Machen
selbst, als Kernaktivität von Open Design, zu einem Mittel werden,
um im Materiellen und Konzeptionellen neuartige Einsichten und
kritische Lösungen zu ergründen und zu entwickeln.
Die Folgen dieser Veränderungen sind enorm, nicht nur für die
Designberufe. Benutzer von Designprodukten werden vor die Ent-
scheidung gestellt, bis zu welchem Maße sie in den Designprozess
eingebunden werden wollen oder ob sie lediglich die Entscheidungen
akzeptieren wollen, die eine Designerin für sie getroffen hat. Desi-
gner, aber noch mehr deren Auftraggeber, müssen entscheiden, wie
geschlossen sie ein Designprojekt angehen wollen oder ob es über-
haupt noch möglich ist, das Designen für sich alleine zu reklamieren.
Open Design findet hier und jetzt statt, und Design kann nicht län-
ger exklusiv bleiben.
RELATED LINKSopendesignnow.orgpetertroxler.net
Das Buch „Open Design Now – Why Design Cannot Remain Ex-
clusive“ dokumentiert den heutigen Entwicklungsstand von Open
Design aus einer Vielzahl von Perspektiven – Kunstgeschichte, In-
formations- und Designforschung, Wirtschaft und Recht, Kunst und
Design, Bildung und Politikwissenschaft.
Das Wachstum von Open Design als kollaboratives Kreieren von
Artefakten durch eine verteilte Gruppe von Personen ohne anders-
weitige Beziehungen entstand seit den 1960er Jahren. Der Kult des
Conoisseurs oder Spezialisten musste dem Kult des Amateurs wei-
chen, eingestehend, dass Menschen selbst am besten wissen, was zu
ihnen passt. Open Design baut auf generativen Prinzipien auf, deren
wichtigste freier Zugang, Rekonfigurierbarkeit und Reproduzierbar-
keit sind und die alle vier Aspekte von Design umfassen: das Objekt,
den Prozess, die Praxis und die Infrastrukturen. Solche Infrastruk-
turen sind unter anderem urheberrechtliche Instrumente, welche
die vier Freiheiten von Open Source garantieren (nutzen, verändern,
verbreiten von Kopien und von Modifikationen), Produktionsmittel,
wie der sich selbst reproduzierende MakerBot, und offene Werkstät-
ten als Orte der Produktion und des Austausches, welche sozusagen
die Bibliotheken von Open Design darstellen.
Designer haben begonnen, Open Design in ihre eigene Praxis zu
integrieren. Was Designkompetenz bedeutet, verändert sich ange-
sichts digitaler Werkzeuge und Medien. Doch kollaboratives Arbei-
ten, das einhergeht mit individueller Autonomie, wie es im Bereich
der Open-Source-Softwareentwicklung gang und gäbe ist, hat sich
in der Designpraxis noch nicht eingebürgert. Die bis heute gültigen
Bildungsmodelle müssen neu formuliert werden, um die Flexibilität,
Offenheit und kontinuierliche Weiterentwicklung von Open Design
zu reflektieren.
Open Design Now Open Design Now –
Why Design Cannot Remain Exclusive. Ein Buch von Creative Commons Niederlande,
Premsela und Waag Society. Mit Beiträgen u.a. von Paul Atkinson, Michel Avital,
Caroline Hummels, Ronen Kadushin, Andrew Katz, Joris Laarman,
Bert Mulder, Jost Smiers, Pieter Marleen Stikker, John
Thakara, Peter Troxler; BIS publishers, Amsterdam.
Bilder von Peter TroxlerWHY DESIGN CANNOT REMAIN EXCLUSIVE
Creative Industries Convention2011
Seite 13 Open Design Now
1. WO IST OFFEN? EINE DUMME FRAGE? KEINESWEGS, HOFFE ICH.
Nach einigen Jahren der Netz-, Medi-
en-, Kommunikationsforschung kann
man schon fragen: Wo ist das eigent-
lich, dieses neue Land „Offen“? Ist es
eine Saga, ein Paradies, eine post-revo-
lutionäre Utopie, ein Serious Game, ein
Büro, ein Leporello des netzwerkenden
Individualismus? Die Renaissance stieß
ein Fensterchen hin zur proportionier-
ten Ästhetik auf. Wer hindurch ging,
fiel in die bürgerliche Gesellschaft.
Industriedesign des späten 19. und frü-
hen 20. Jahrhunderts öffnete die Pfor-
ten der Funktionen, und alle fielen auf
deren vermeintliche Formen rein. Die
ManfredFaßler
Electronic Frontier Foundation der
späten 1980er und frühen 1990er setz-
te auf das kommende, offene Land der
Netzwerke und dachte zumindest über
Pioneering nach, über anstrengende
Weltgründungen. Es lohnt sich immer
noch, J.P. Barlows Declaration of Inde-
pendence in Cyberspace zu lesen, um
damalige Visionen von offenen Netzen
zu verstehen. Wo was geschieht, war
klar: da vorne, wer weiß. Und heute?
Deshalb noch einmal: WO ist OFFEN?
Was wird erfunden, entworfen, ge-
pflegt? Ist neben der Selbstorganisation
eine Ästhetik veränderungssensibler
Offenheit angestrebt? Eine Konzept-
oder Projekt-Ästhetik?
2. Zunächst: So viel Offenheit war
noch nie! Damit sind die Fragen nicht
beantwortet. Auch dann nicht, wenn
auf Partizipation, Interaktivität, tit
for tat, kollaboratives Tun verwiesen
wird. Zunächst geht es um Selbstver-
pflichtung. Freier Zugriff auf alles,
was es digital und im Mengenfeld von
online – offline gibt, soll verabredet
und durchgehalten werden. Also eher
ein freier Markt für eine sich allmäh-
lich bildende Global Creative Middle-
class, ein offener Markt für patentfreie
Ideen? Es scheint, dass die beschwo-
rene Offenheit bei der Verwendung
von Algorithmen, Produktideen oder
Blaupausen eine Art Design-Test-
markt geworden ist, Beta-Design, oder
in individualistischer Geste: First
Hand Openness. Testmarkt wäre für
viele praktisch und kostengünstig, da
die Gestehungskosten für Informati-
onsprodukte und Produktinformatio-
nen eh nicht zu kalkulieren sind. Die
Frage bleibt: ab wann die Offenheit
sich schließt, ab wann die FOSS-
Projekte (Freie [ohne Marktpreise]
und Open [in Nutzung veränderbar]
Source Software-Projekte) zum öko-
nomischen und professionellen Leben
verwendet werden. Offen muss markt-
frei konsumierbar sein, ein kreatives
Tauschgeschäft. Wie aber wird dabei
Kreativität und also Design gedacht?
Ist die Nachricht: Esst Euch satt am
Netzkuchen OFFEN, stellt Eure Copy-
rights in den Folterkeller der ökono-
mischen Lebensregeln und genießt das
Schlaraffenland des OFFEN? Oder
meint „offen“ nicht nur ungeregelten
Konsum fremder Stuhl-, Schrank-,
Software-, Visualisierungsideen, son-
dern zusammenhängende Kreativität?
Wenn es so sein sollte – und manche
Netzauftritte scheinen dies mit zu
bedenken –, braucht es Gedanken zum
materialen, gegenständlichen, dingli-
chen, gedanklichen Schließen dieser
Offenheit, zum Übergang in ein Pro-
dukt, sei es Community, Content oder
Sessel. Projekt-Poiesis muss Projekt-
Ästhetik ermöglichen.
BIOGRAFIE
Manfred Faßler ist Pro-fessor am Institut für Kultur-anthropologie und Europäi-sche Ethnologie der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seine Forschungs- und Lehrbereiche sind die Medienevolution und medienintegrierte Wissenskul-turen.
weiter auf Seite 32
WO IST OFFEN?
Manfred Faßler
RELATED LINKSuni-frankfurt.de/fb/fb09/kulturanthro/staff/fassler_home.html
Seite 14 Creative Industries Convention2011
BALLOON LIGHTDie Lampe schwebt, der Lampenfuß wandelt sich vom statischen Element zum bloßen Gegengewicht, das sie am Wegfliegen hindert.Abgesteckt fliegt sie zur Decke und wartet dort mit baumelndem Kabel auf ihren erneuten Einsatz. Alle verbauten Elemente sind im Baumarkt oder im Internetversand leicht erhältlich. Bauanleitung unter cc:by-nc-nd:
BAUANLEITUNG:1) Renovierungsfassung öffnen, das bestehende Kabel entfernen.
2) 2 m vom Elektrokabel abschneiden, ab- isolieren und in die Fassung klemmen.
3) Den Filzstift 2 cm unterhalb der Spitze mit einer Säge abschneiden und entker- nen, die Kappe 1 cm vom unteren Ende mit einem Stanley-Messer abschneiden.
4) Das von der Kappe abgeschnittene Stück von innen durch das Unterteil der Renovierungsfassung stecken, die Stifthülse ebenfalls von innen so weit einschieben bis sie kraftschlüssig und bündig klemmt.
5) Das Kabel durch die Hülse ziehen und die Fassung zuklipsen, am losen Ende den Flachstecker montieren, kurz mit der Kerzenlampe testen.
6) 10 cm vom Aquariumschlauch abschnei- den und mitsamt der Kabel/Fassung/ Hülse-Einheit in die die Steckmuffe
stecken.
7) Mittels geeigneter Leisten die Kabel/ Fassung/Hülse-Einheit mittig in der Steckmuffe platzieren und mit Klebe- band auf einem unempfindlichen Unter- grund fixieren.
8) Mit PU-Schaum die Muffe großzügig ausschäumen, dabei den Schlauch mit der Hand festhalten und dessen Position ggf. korrigieren.
9) Während der Schaum härtet, ein ca. 2 cm langes Stück von der Schlauchkupplung abschneiden und mit Heißkleber abdichten, dann am unteren Ende ein kleines Loch bohren und den Schlüsselring einhängen.
10) Den Schaum über Nacht aushärten lassen, am nächsten Tag das überschüssige, aus- gehärtete Material mit einem Stanley- Messer abschneiden, ohne dabei das Kabel oder den Schlauch zu beschädigen.
11) Den Ballon vorsichtig über die fertige Lampe ziehen, Helium einblasen, ein- stecken – FERTIG.
White ElephantCreative Industries Convention2011
Seite 15
WhiteElephant
RELATED LINKSwhite-elephant.at
Leuchtmittel 40 W
Renovierungsfassung E14
Hülse Ø 9 mm, leicht konisch (z.B. aus Filzstift)
PU-Schaum
Rohrstück, Kunststoff oder Bambus Ø 40 mm
Zweiadriges 230-V-Kabel
Aquariumschlauch Ø 6 mm innen
Stopfen, Ø ca. 7 mm
Schlüsselring
BIOGRAFIE
White Elephant wurde von To-bias Kestel im Jahr 2005 in Graz gegründet. Florian Puschmann kam später hinzu. Das White Elephant DesignLab hat sich auf die Bereiche Produktdesign und experimentelles Design spezia-lisiert. Experimentieren und die Auslotung von Materialien und deren Ausreizbarkeit sind wichti-ge Inspirationsquellen.
Bilder von White Elephantunter cc-by-sa
„Die neue Medienkultur bringt eine Reihe neuer
Modelle von Autorenschaft mit sich, die alle unter-
schiedliche Formen der Zusammenarbeit beinhal-
ten“, schreibt der Medientheoretiker Lev Manovich
in seinem Text „Wer ist der Autor? Sampling/Remi-
xen/Open Source“.
Die kollektive Autorschaft sei aber keine Beson-
derheit der Neuen Medien – geschichtlich betrach-
tet war sie eher die Regel als die Ausnahme. Das
romantische Modell des „einsamen Einzelautors“
nehme dagegen nur einen sehr kleinen Platz in der
Geschichte der menschlichen Kultur ein.
Neue Medien bieten aber neue Variationen frühe-
rer Formen kollaborativer Autorschaft. Im breiten
Kontext einer zeitgemäßen kulturellen Ökonomie, so
Manovich, würden in den Neuen Medien – die gleich-
sam als Avantgarde der Kulturindustrie gelten könn-
ten – systematisch neue Modelle von Autorschaft,
neue Beziehungen zwischen Produzenten und Kon-
sumenten und neue Vertriebsmodelle erprobt.
Als Beispiel verweist Manovich unter anderem auf
den Remix. Das Kombinieren, Aneignen und Neu-
arrangieren von Inhalten sei eine Konstante und in-
tegrativer Bestandteil der menschlichen Kultur. Die
meisten menschlichen Kulturen, schreibt Manovich
an anderer Stelle (Remixability-Aufsatz), hätten sich
durch die Integration und die Bearbeitung von For-
men und Stilen aus anderen Kulturen entwickelt.
Durch neue digitale Technologien und die rasan-
te Zunahme an Informationen im Internet entstün-
den neue Möglichkeiten kollaborativer Remixe: Ob
Designer historische oder kulturelle Formen in ihre
Arbeit aufnehmen und verändern würden oder ob
Texte in einem Weblog-Eintrag miteinander verbun-
den würden, folge letztlich denselben
Prinzipien, schreibt Manovich: „Beide
praktizieren Remixabilität.“
In seinem viel beachteten Buch „The
Language of New Media“ hat Mano-
vich die Modularität als wesentliches
Grundprinzip der Neuen Medien er-
kannt. In der Kombination von Mo-
dularität und Remixabilität ergeben
sich aufregende Perspektiven. Die neue
LevManovich
kulturelle Modularität – in der kultu-
relle Objekte aus diskreten Samples
entworfen werden – führe dazu, dass
künftig kulturelle Objekte unabhän-
gig von ihrer Materialität und ihrem
Medium wie Lego-Blöcke miteinander
kombiniert werden könnten.
Während die traditionelle Definition
kultureller Modularität – wie sie von
Designern, Architekten und Künstlern
angewandt wurde – auf ein begrenztes
Vokabular von Elementen beschränkt
war, greife die neue Modularität nicht
mehr auf ein zuvor definiertes Voka-
bular zurück, sondern jedes kultu-
relle Objekt könne Bestandteil eines
anderen kulturellen Objekts werden
– Module könnten sich dann – genauso
wie heute RSS-Feeds – andere Module
abonnieren: „Remixabilität wird zum
zentralen Feature eines digitalen ver-
netzten Medien-Universums.“
WER IST DER AUTOR?
RELATED LINKSmanovich.net
“REMIXABILITÄT
WIRD ZUM ZENTRALEN
FEATURE EINES DIGITALEN
VERNETZTEN MEDIEN-
UNIVERSUMS.
”Lev Manovich
Lev Manovich
Foto: www.manovich.net
Seite 16 Creative Industries Convention2011
BIOGRAFIE
Lev Manovich ist ein russisch-amerikani-scher Medientheoretiker, Kritiker und Künstler. Derzeit lehrt er als Professor der Bildenden Künste, Kunst und Theorie der Neuen Medi-en an der University of California in San Diego und an der European Graduate School in Saas-Fee. Sein Buch „The Language of New Media“ wurde in mehrere Sprachen übersetzt und gilt als die erste umfassende Beschreibung und Theorie zu den zeitbezogenen neuen Medien-techniken.
„Innovationen kommen heute von überall her“, sagt der Rechtswis-
senschaftler Yochai Benkler an anderer Stelle in dieser Publika-
tion. Die beiden jungen Modeunternehmen Garmz und useabrand
veranschaulichen diese These eindrucksvoll. Sie nutzen neue Tech-
nologien, um die Auswahl-, Produktions- und Distrubutionsme-
chanismen der Modebranche zu öffnen und zu demokratisieren.
Das Prinzip dahinter heißt Crowdsourcing und kommt auch
in zahlreichen anderen Bereichen zur Anwendung. Dabei werden
Kreativität und Fähigkeiten von Internet-Nutzern in Prozesse ein-
bezogen, die zuvor Spezialisten vorbehalten waren. „Mode soll kei-
ne Diktatur sein“, sagt Useabrand-Chefdesignerin Anna Rihl. Das
in Wien ansässige Start-up bezeichnet sie als „Mo-demokratie“.
Nutzer können ihre Skizzen auf die Online-Plattform hochladen
und über Online-Abstimmungen auch mitentscheiden, was produ-
ziert wird.
Während bei useabrand die Ideen und Skizzen der Communi-
ty in die Kollektionen des Labels einfließen, will das ebenfalls in
Wien gegründete Start-up Garmz junge Designer bei ihren ersten
Schritten in der Branche unterstützen. Designer präsentieren ihre
Entwürfe auf der Online-Plattform, wo sie von Usern bewertet
und kommentiert werden können. Von ausgewähltem Design wer-
den von Garmz erste Prototypen produziert. Bei entsprechender
Nachfrage gehen die Entwürfe in Serienproduktion und werden
über den hauseigenen Webshop weltweit vertrieben. Das finanziel-
le Risiko übernimmt Garmz, die Einnahmen werden mit den Desi-
gnern geteilt.
„Konzepte wie Open Innovation oder User Innovation ermögli-
chen es, mehrere Parteien direkt in die Entstehung eines Objek-
tes mit einzubeziehen und so bereits in Frühphasen Stärken und
Schwächen eines Produktes zu erkennen“, erläutert Garmz-Mit-
gründer Andreas Klinger: „Designer bekommen auf Entwurfslevel
bereits Feedback und können so das Produkt ohne Risiko gemein-
sam mit dem Kunden zur Marktreife führen.“
Mit ihrem Konzept hat die im Sommer 2010 gestartete Online-
Plattform offenbar einen Nerv getroffen. Mehr als 30.000 Mal
wurden die hochgeladenen Entwürfe bereits bewertet. Ende ver-
gangenen Jahres zählte Garmz bereits 6.500 User aus mehr als
200 Ländern. In dem seit Anfang Dezember verfügbaren Webshop
werden erste Produkte angeboten. Seine Designer unterstützt das
Unternehmen neben der Produktion und dem Versand auch beim
Online-Marketing in sozialen Netzwerken.
Garmz könne durch Konzepte des Crowdsourcings die Nachfra-
ge nach den unterschiedlichen Modeprodukten abschätzen und so
das Marktrisiko minimieren. Durch das Einbeziehen der Nutzer
werde auch eine stärkere Bindung zur Plattform und zur Marke
aufgebaut, sagt Klinger: „Garmz hilft Kunden bei der Umsetzung
ihrer Bedürfnisse und selbst Nischenprodukte bekommen ihren
Markt“, so Klinger. Oder wie es auf der Website des Unternehmens
heißt: „Good night, fashion industry. Good Morning, designers.“
GarmzCROWDSOURCING
“MODE SOLL
KEINE DIKTATUR
SEIN”
RELATED LINKSgarmz.comuseabrand.com
Creative Industries Convention2011
Seite 17
Fotos: www.garmz.com
Open Design und postindustrielle Produktion
Über den größten Teil unserer Geschichte wurden
Design und Produktion von Waren von Einzelnen
übernommen, ohne dass irgendeine Art von gewerb-
lichem Rahmen oder System erforderlich war. In der
Tat ist es erst seit dem Einsetzen der industriellen
Revolution der Fall, dass das Design eines Produkts
dermaßen getrennt von dessen Herstellung ist und
ein massiv reglementierter Produktions-, Vertriebs-
und Verbrauchsprozess vorliegt. Im Zuge der tech-
nischen Fortschritte der Fertigungstechnik und des
Aufkommens weltweiter Kommunikation erlebte das
20. Jahrhundert gewaltige Verbesserungen bei der
Massenproduktion von Waren mit einem feststehen-
den, vorab festgelegten Design und die Entstehung
komplexer globaler Infrastrukturen für den Vertrieb
enormer Mengen von identischen Produkten – eine
Entwicklung, die die Welt, in der wir leben, erheblich
verändert hat.
Ironischerweise sind es gerade die neuesten Pro-
duktions- und Kommunikationstechnologien, die die
Design- und Produktionsprozesse von großen zent-
ralisierten Systemen wegbewegen und sie dem ein-
zelnen Verbraucher in die Hand geben. Die neuesten
Entwicklungen in der digitalen Desktopproduktion,
und hier ganz besonders der 3D-Druck zusammen
mit dem offenen Vertriebsnetzwerk des Internets, be-
deuten, dass ein Design nicht mehr in zigtausendfa-
cher Stückzahl produziert werden muss, damit seine
Produktionskosten gerechtfertigt sind, oder dass je-
nes Design das Ergebnis einer professionellen Design-
aktivität sein muss.
“ DIE WELT VERÄNDERT SICH JETZT
NOCH EINMAL. ”
Paul Atkinson
weiter auf Seite 20
DIE GEISTER DER PROFESSION:
Paul Atkinson
PaulAtkinson
BIOGRAFIE
Paul Atkinson ist Industrial Designer, Design-historiker und Designlehrer. Zurzeit ist er Lektor für Design an der Sheffield Hallam University. Er war bereits Vortragender bei einer Reihe von inter-nationalen Konferenzen weltweit und seine Artikel wurden in zahlreichen internationalen Designjour-nalen veröffentlicht.
RELATED LINKSpaulatkinsondesign.co.uk
Rapid Prototyped Automake bowl by Justin Marshall
Seite 18 Creative Industries Convention2011
Fluid Forms
Foto: Fluid Forms
Von der Evolution geschaffene, na-
türliche Formen werden von unserem
ästhetischen Empfinden als stimmig
und angenehm empfunden. Die dahin-
terliegende Logik kann mittels Pro-
grammcodes simuliert werden, welche
wiederum für die Gestaltung von Pro-
dukten verwendet werden kann. Auf
diese Art entsteht automatisch eine
gefällige Anmutung. N-e-r-v-o-u-s.
com verwendet diese Prinzip als Aus-
gangspunkt für alle Produkte, was sich
unmittelbar in einer sehr natürlichen
Ästhetik manifestiert. Gleichzeitig
stellen sie den Quellcode für ihre Pro-
dukte zur Verfügung.
Fluid Forms wiederum verwendet
Geodaten als Ausgangsbasis für sehr
persönlichen Schmuck. Auch daraus
ergibt sich eine Ästhetik, die stark
an die Natur angelehnt ist. Zusätz-
lich wird die Schichtstruktur des 3D-
Drucks aktiv als Gestaltungselement
verwendet. Der Quellcode dafür wird
früher oder später ebenfalls öffent-
lich verfügbar sein, wodurch andere
Gestalter in der Lage sein werden, die
Grundlogik aufzugreifen und für ihre
Arbeiten zu verwenden.
Immer häufiger wird Programm-
code zum logischen Material für die
Definition von dreidimensionalen For-
men. Erfüllt dieser Code seine Funk-
tion gut und wird er anderen Creative
Codern zur Verfügung gestellt, stehen
die Chancen gut, dass er von diesen mit
zusätzlichen Funktionen kombiniert
wird. So entsteht quasi eine virtuelle
Werkzeugkiste für diverse Designauf-
gaben. Erste Prototypen von Stühlen,
deren Struktur auf Basis des Gewichts
des Benutzers und der gewünsch-
ten Gewichtsverteilung mittels Pro-
grammcode automatisch generiert und
im Anschluss 3D-gedruckt werden,
existieren bereits.
Mit der Zeit werden derartige Soft-
warefunktionen zunehmend komple-
xere Aufgaben übernehmen. Dadurch
wird sich eine Art intelligente Ästhe-
tik herauskristallisieren, die der ge-
wünschten Funktion per Knopfdruck
die Form verleihen. Die Aufgabe des
Designers wird dabei zunehmend die
Definition von passenden Aufgaben-
stellungen und entsprechenden Rah-
menbedingungen.
INTELLIGENTE FORMENSPRACHE DURCH CREATIVE CODING UND OPEN-SOURCE SOFTWARE
BIOGRAFIE
Fluid Forms ist aus einer Diplomarbeit des Gründers Hannes Walter zum Thema Creative Coding und Design-Interfaces entstanden. Gemeinsam mit Stephen Williams, der sich auf algorith-misches/generatives Pro-duktdesign und geometrische Modellierung spezialisierte, gründete er Fluid Forms im Jahr 2005 in Graz.
Foto: http://www.flickr.com/photos/jro-
senk/5328024329/sizes/o/in/photostream/
Design: Fluid Forms, Foto: Karin Lernbeiß
Fluid Forms
RELATED LINKSfluid-forms.comn-e-r-v-o-u-s.com
Creative Industries Convention2011
Seite 19
Stephen Williams und Hannes Walter vor der „Streets Clock“
Diese Entwicklungen werden natürlich gewaltige
Auswirkungen haben, da sie eine Reihe von sehr erns-
ten Fragen zum Wesen und Wert professionellen De-
signs und zum Konsum von Waren aufwerfen:
- Was passiert, wenn keine „genormten“, identischen
Produkte zu kaufen sind?
- Was passiert, wenn der professionelle Designer we-
nig Kontrolle über das Aussehen der Produkte hat?
- Sollten professionelle und in Massenproduktion
gefertigte Produkte anders bewertet werden als
nicht professionelle, individuell designte Produkte?
- Beeinträchtigt die Tatsache, dass der Verbraucher
an der Schaffung eines Produktes beteiligt ist, den
Wert eines Produktes oder steigert sie ihn?
Ich begann mit der Untersuchung dieser Fragen,
indem ich zwei Forschungsprojekte zum Thema post-
industrielle Produktion ins Leben rief – Automa-
ke und FutureFactories. Beide Systeme verwenden
computergenerierte Zufallselemente und Entschei-
dungsfindungsprozesse von Verbrauchern innerhalb
flexibler Schemata, die von einem Designer und ei-
nem Handwerker/Produzenten definiert wurden. Die
Ergebnisse haben sowohl die Wahrnehmung der Ver-
braucher von den Produkten, die sie erzeugen, verän-
dert als auch die Wahrnehmung ihrer eigenen Fähig-
keiten. Die Systeme befreien nicht nur den Designer
von der sterilen Vollendung der in Massenproduktion
gefertigten Form, sondern auch den Verbraucher vom
Diktat, identische Produkte besitzen zu müssen. Es
liegt auf der Hand, dass postindustrielle Produktions-
systeme die Bedeutung von Design verändern werden.
Die Grenzen zwischen dem professionellen Designer
und dem Amateurdesigner (oder in anderen Worten:
Paul Atkinson
Fortsetzung von Seite 18
zwischen Designer und Nutzer) verwischen gerade in
rasantem Tempo. Die Messlatte wurde höher gelegt –
über „Mitgestaltung“ und „nutzerzentriertes Design“
hinaus –, da nun mit Designer und Nutzer im Grun-
de genommen dasselbe gemeint ist. Wir treten gerade
in eine postprofessionelle Ära des Open Designs ein.
Wir sind einem Punkt, an dem qualitativ hochwertige
Produkte, die sich von in Massenproduktion gefertig-
ten Waren durch nichts unterscheiden, downgeloadet,
modifiziert und von jedermann jederzeit in jedem be-
liebigen Material hergestellt werden können, viel nä-
her, als wir für möglich halten würden. Dies ändert
nicht nur die Art und Weise, wie wir über die Design-
praxis und den Konsum von Design denken, sondern
auch die Art und Weise, wie wir zukünftige Designer
und Designerinnen Design lehren müssen.
Um weiterhin eine wichtige Rolle bei der Ge-
staltung und Herstellung von Waren innezuhaben,
werden professionelle Designer und Designerinnen
ihre Egos hintanstellen und ihre Rolle dahingehend
ändern müssen, dass sie nicht mehr fertige Produk-
te gestalten, sondern den Menschen Systeme in die
Hand geben, mit denen sie die Freiheit haben, ihre
eigenen qualitativ hochwertigen Designs zu erstellen;
Systeme, die den Nutzer vor dem Zwang zu Design-
Expertenwissen befreien, doch mit denen trotzdem
Ergebnisse produziert werden können, in denen die
ursprüngliche Intention des Designers bewahrt bleibt.
Je besser das jeweilige System eines bestimmten De-
signers funktioniert, umso erfolgreicher wird dieser
Designer sein. Designer und Designerinnen, die nicht
gewillt sind, sich zu ändern, gehen die Gefahr ein, zu
Geistern der Profession zu verkommen.
Paul Atkinson
Foto: Automake user with printed bowlby Justin Marshall
Seite 20 Creative Industries Convention2011
Future Factories Lampadina Mutanta luminaire by Lionel Dean
Evan Jones
Der erste Teil des Prozesses besteht da-
rin, ein geeignetes Zielbild zu erhalten
oder zu erstellen. Dabei handelt es sich
um das Bild, das ich im Großformat der
Collage nachzubilden versuche. Das ist
für gewöhnlich recht zeitaufwändig
und man muss schon einige Bildergale-
rien durchforsten, um etwas Passendes
zu finden. Viele Bilder funktionieren
einfach nicht oder sind uninteressant,
wenn man sie als Collage reproduziert.
Ich suche auch oft nach bestimmten
Charakteristika, mit denen ich neue
Ideen ausprobieren kann.
Wenn ich mit dem Zielbild zufrie-
den bin, fange ich damit an, die Teil-
bilder dem Ziel zuzuordnen. Ich mache
das mit Software-Tools, die ich in den
letzten Jahren programmiert habe.
Im Wesentlichen durchläuft die Soft-
ware eine riesige Bibliothek mit mög-
lichen Teilbildern und wählt jenes aus,
das dem zugrunde liegenden Bild am
nächsten kommt.
In dieser Phase lege ich normaler-
weise dahingehend, wie die Zuordnun-
gen erfolgen können, Einschränkun-
gen für Bereiche des Zielbildes fest. So
ordne ich in manchen Bereichen gerne
größere Bilder mit kleineren Drehbe-
wegungen zu, während ich in andren
Bereichen möglicherweise kleinere
Bilder, größere Drehbewegungen und
vielleicht sogar Anpassungen an die
Farbkanäle zuordnen. Diese bewuss-
ten Auswahlentscheidungen haben
einerseits einen Einfluss darauf, wie
genau oder vage das zugrunde liegende
Bild reproduziert wird, und anderer-
seits, wie leicht das Teilbild erkennbar
ist. Solche Auswahlentscheidungen
ermöglichen es mir, in manchen Berei-
chen Akzente zu setzen und künstleri-
sche Entscheidungen hinsichtlich des
endgültigen Bildes zu treffen.
Dieser Prozess kann sich über ei-
nen beliebigen Zeitraum zwischen ein
paar Tagen und einigen Monaten er-
strecken, ein Großteil davon ist nur die
Datenverarbeitungszeit. Für die Zu-
ordnungen in meinen Collagen führe
ich zwischen einem Dutzend und ein-
hundert Programmdurchläufe durch.
Wenn ich mit der Zuordnung von
Teilbildern zum Zielbild zufrieden bin,
generiere ich dann das endgültige Bild.
Dies beinhaltet, dass ich die ursprüng-
lichen Teilbilder wieder bearbeite und
jedwede Umwandlung durchführe, die
mir erforderlich erscheint – Drehun-
gen, Skalierung, Zuschneiden, Farbop-
timierung usw. –, und dann schichte
ich sie in das endgültige Bild. Im Lauf
der Jahre habe ich ein paar Program-
me für das abschließende Rendern ge-
schrieben, daher nehme ich oft zehn
oder zwanzig Bilder her und verfolge
verschiedenste unterschiedliche An-
sätze, bis ich mit dem Endergebnis zu-
frieden bin.
Normalerweise verwende ich bei
der Erstellung einer Collage zwischen
zweihundert und sechshundert Teil-
bilder. Diese stammen aus einer Bib-
liothek mit über fünfzigtausend Fotos
von über viertausend Fotografen. Ich
habe meine Bibliothek aus flickr-Fotos
aufgebaut, die unter der CC Attributi-
on-Lizenz angeboten werden. Daher
versehe ich alle Collagen, die ich poste,
mit den entsprechenden Danksagun-
gen an alle Künstler, deren Werk ich
verwendet habe.
Auf einer rein logistischen Ebene
hat die Möglichkeit, unter einer CC-Li-
zenz veröffentlichte Fotos zu verwen-
den, das ganze Projekt erst realisierbar
gemacht. Ich bin mir fast sicher, dass
ich bei Weitem nicht so weit gekommen
wäre, wenn ich nur auf meine eigenen
Fotos und die meiner Freunde zurück-
greifen könnte. Auch aus einer künst-
lerischen Perspektive ist das von un-
schätzbarem Wert, da ich damit nicht
bloß meine eigene Arbeit präsentieren
kann, sondern eine Synthese aus der
Kreativität Hunderter anderer Künst-
ler. Ich möchte Synergien erzeugen.
Das ist etwas, was ich für diese Form
von kreativer Arbeit als ganz grundle-
gendes Ziel betrachte.
RELATED LINKSevanjones.com.au
BIOGRAFIE
Evan Jones arbeitet in Brisbane, Austra-lien. Er schloss ein Mathematikstudium an der University of Queensland mit Auszeich-nung ab. Er ging mit einem Stipendium an die Cambridge University, erwarb dort ein Doktorat in Mathematik und studierte Archi-tektur am Kings College. Evan Jones ist ein talentierter Softwareingenieur und legt sein Augenmerk neuerdings auf die Produktion von Collagen aus umfangreichen auf flickr zur Verfügung gestellten digitalen Fotoserien.
WIE DIE BILDERENTSTEHEN
Evan JonesCreative Industries Convention2011
Seite 21
Collage aus 200 Bildern unter CC-by flickr http://www.flickr.com/photos/28594411@N06/
Gerin Trautenberger
BIOGRAFIE
Gerin Trautenberger ist Produkt- und Möbeldesigner und arbeitet seit 1992 als De-signer, Autor und Kurator für Netz-Kulturprojekte. Im Jahr 2005 gründete er das Design-kollektiv Microgiants und ist stellvertretender Vorsitzender der creativ wirtschaft austria.
RELATED LINKSmicrogiants.com
CREATIVE COMMONS BASICS
Gerin Trautenberger
Die Entstehung von Creative Commons-Lizenzen
(CC) und der Creative Commons-Bewegung ist eng
mit der Verbreitung des Internets und den aktuell
neu entwickelten kollaborativen Arbeitsformen zu
verstehen. Die Digitalisierung und der leichte Aus-
tausch von Text und Bild kennzeichnen einen Para-
digmenwechsel in der Vervielfältigung und dem Um-
gang mit geschützten Werken.
Die Schaffung (Schöpferprinzip) eines Werkes ist
prinzipiell durch das nationale und internationale
Urheberrecht geschützt und bedarf keiner gesonder-
ten Registrierung. Geregelt wird vor allem die Urhe-
berschaft und nicht die verschiedensten Nutzungs-
möglichkeiten eines Werkes. Werknutzungsrechte
müssen immer gesondert, oft mithilfe von Anwälten
verhandelt werden. Diese Voraussetzungen stehen ei-
ner freien, flexiblen und unkomplizierten Kommuni-
kation unter Kreativen im Wege.
Der Kern des Urheberrechts, so wie wir es heute
kennen, besteht seit über 150 Jahren. Auch das heu-
tige Urheberrecht hält mit der gesellschaftlich-tech-
nischen Entwicklung nicht mehr Schritt und bedarf
einer grundlegenden Anpassung. Aus diesem Grund
wurde das Prinzip von CC im Jahr 2001 in den USA
entwickelt. Maßgeblich wurde das Konzept von Law-
rence Lessig, einem Rechtsprofessor an der Stanford
Law School, begründet und wird heute durch eine
breite Creative Commons-Bewegung getragen.
“ KÜNSTLERN, SCHÖPFERN, LEHREN-
DEN, JOURNALISTEN UND WISSEN-
SCHAFTLERN GESTATTEN, EINFACH
UND LEGAL ZU TEILEN UND DABEI
DAS OFFENE NETZWERK ZU NUTZEN,
DAS DAS INTERNET UNS BIETET.
”Yoichi Ito
CC ermöglicht es dem Schöpfer eines Werkes, in ab-
gestufter Form verschiedene Lizenzmöglichkeiten
seines Werkes vorab zu definieren. Damit kann der
Austausch und die Handhabung von Lizenzen erheb-
lich vereinfacht werden – und das ohne langwierige
Lizenzrecherche oder Vertragsverhandlungen. So
kann ein Werk von allen frei verwendet werden, oder
die Lizenzrechte können für eine weitere Verwendung
eingeschränkt werden. CC erlaubt aber auch die Fest-
legung einer kommerziellen Nutzung des Werkes.
Erst der Einsatz von Creative Commons oder die
verwandten Softwarelizenzen wie z.B. GNU-GPL
ermöglichen die Entstehung von komplexen Gemein-
schaftsprojekten wie LINUX oder anderen Open-
Source-Projekten. Aber Creative Commons hilft nicht
nur bei der Entstehung von sozialen Kunstwerken,
sondern ist auch ein Werkzeug für die Arbeit in Klein-
gruppen oder bei der Arbeit im bzw. mit dem Internet.
Seite 22 Creative Industries Convention2011
TrautenbergerCreative Commons-Lizenzen wurden schon früh in digitalen De-
sign-Communities verwendet, z.B. um Cliparts, Grafiken oder Bil-
der auf Plattformen wie Flickr.com zu teilen. Interessant sind aber
die ersten Schritte hinaus in die physische Design-Welt. Unter dem
Begriff „Open Design“ sammeln sich immer mehr Projekte, Expe-
rimente und Beispiele, wie die Open-Source-Idee in die reale Welt
getragen werden kann.
Creative Commons ist eine Nichtregierungsorganisation aus den
USA, die seit 2001 standardisierte Lizenztexte für urheberrecht-
lich geschützte Inhalte herausgibt. Das Besondere daran ist, dass
diese Lizenzen mittlerweile in mehr als 50 Staaten an das jewei-
lige nationale Urheberrecht angepasst wurden und die Bedingun-
gen und Freiheiten überall gelten. Im Mittelpunkt steht der Urhe-
ber, der mit diesen Lizenzen bestimmte Nutzungsfreiheiten geben
kann. In einem Lizenz-Baukasten wählt der Urheber aus, ob das
eigene Werk kommerziell oder nicht kommerziell verwendet wer-
den kann, ob man es weiterverändern (remixen) kann oder nicht
und ob die Weiterveränderungen auch wieder unter die gleichen
Bedingungen fallen müssen, wie es das Copyleft-Prinzip aus der
Welt der Freien Software vorgibt. Einzige Bedingung bei allen
sechs Creative Commons-Lizenzen: Der Urheber muss immer als
Quelle genannt werden. Die Freie Software mit ihren vielfältigen
Lizenzen war Vorbild für die Idee der Creative Commons-Lizenzen.
Aus „Alle Rechte vorbehalten“ des klassichen Urheberrechts wird
ein „Einige Rechte vorbehalten“. Urheber können damit ihre Wer-
ke in einen großen gemeinsamen Pool an Wissen und Kreativität
übergeben, die Werke können im Optimalfall ohne Rückfrage und
Zusatzvereinbarungen weiterverarbeitet werden.
BEISPIELE
Zu den Pionieren von Open Design zählt der Berliner Designer
Ronen Kadushin. Er experimentierte schon früh mit der Veröffent-
lichung seiner Rohdaten unter einer nicht kommerziellen Creative
Commons-Lizenz und schildert seine Motivation: „Es soll Designer
ermutigen, miteinander Kreativität zu teilen und eine Sammlung
von hochwertigen Produkten zu schaffen.“ Die CAD-Dateien sei-
ner gestalteten Objekte wie Möbel und Lampen stellt er unter einer
nicht kommerziellen CC-Lizenz online zur Verfügung. Besitzer oder
Nutzer eines Laser-Cutters können sich unter Verwendung der digi-
talen Vorlage die Produkte, z.B. aus einer Stahlplatte, auslasern und
in Handarbeit zum Produkt formen. Damit treffen computergesteu-
erte Produktionstechnologien und Handarbeit aufeinander.
Die CC-BY-NC-Lizenz ermöglicht eine Nutzung der Entwürfe
für private Zwecke, wenn alle Weiterentwicklungen auch wieder
unter dieselbe Lizenz gestellt werden. Möchte man die Objekte ge-
werblich produzieren, muss ein Extra-Vertrag mit dem Designer
geschlossen werden.
RONEN-KADUSHIN.COM
Kadushin produziert und vertreibt seine Objekte dabei auf her-
kömmlichem Wege. Die Veröffentlichung der Entwürfe unter CC-
Lizenz ist ein zusätzlicher Weg der Verbreitung. Zusammen mit an-
deren Designern können seine Werke auf Plattformen wie „Movisi
– The inspirational furniture store“ gekauft werden. Die Rohde-
signs finden sich auf seiner Webseite, aber ebenso auf Plattformen
wie „flexible stream“.
Die digitale Verbreitung der Entwürfe unter einer CC-Lizenz er-
möglicht dezentrale Produktion und Vertrieb. So kann man Ent-
würfe in Ländern auffindbar machen, in die der Designer sonst
weder exportiert noch für sich geworben hätte. Findet hier jemand
das Design und hat Interesse an einer Produktion, kann er/sie zu-
nächst mit dem Entwurf experimentieren und dann, möglicher-
weise, auch eine Zusammenarbeit zur Produktion mit dem Desig-
ner vereinbaren.
weiter auf Seite 25
RELATED LINKSnewthinking-communications.de
MarkusBeckedahl/Andrea GoetzkeCREATIVE COMMONS IM OPEN DESIGN
Creative Industries Convention2011
Seite 23
BIOGRAPHY
Markus Beckedahl ist Mitgründer der newthinking com-munications GmbH und berät in vielen Fragen der digitalen Gesellschaft und Online-Strategien. Gemeinsam mit Andrea Goetzke, die für internationale Kooperationen zuständig ist und als Konzeptionistin und Projektmanagerin für newthinking tätig ist, arbeiten sie an Projekten wie „re:publica“ oder „Open everything“.
Andrea Goetzke arbeitet im Bereich zu Open-Source-Strate-gien und Themen der digitalen Kultur und Gesellschaft. Sie hat Projekte wie die Veranstaltungsreihe „openeverything Berlin“ oder „all2gethernow“ – ein Diskurs zu neuen Strategien für eine an musik- und kulturaffine Gesellschaft – organisiert.
Fotos: Markus Beckedahl, Andrea Goetzke
Im derzeitigen Wirtschaftssystem ist vom Gestalter kein individu-
elles Einzelstück gefragt, sondern ein Produkt, das für eine mög-
lichst große Anzahl von Kunden ein Problem löst. Die digitale Re-
volution führte zur vollständigen Virtualisierung, wodurch Wissen
um Produktion und Form als CAD-Daten erstellt und übermittelt
wird. Gehen wir davon aus, jemand möchte eine solche CAD-Datei
öffentlich bereitstellen. In einem demokratisierten Designsystem –
nennen wir es ruhig Open Design – verschwimmen so die Rollen
zwischen Designer, Hersteller, Vermarkter und Kunde, was eine
Neudefinition dieser Begriffe sinnvoll erscheinen lässt.
Schon die Bereitstellung dieser Datei macht dies offensichtlich.
Plattformen wie Thingiverse.com, Ponoko.com oder Shapeways.
com sind Online-Plattformen, die gezielt auf den Tausch von Pro-
duktionsdateien für physische Waren ausgelegt sind. Wird die Da-
tei unter entsprechender Lizenz bereitgestellt, kann sie von jeder
und jedem heruntergeladen und beliebig manipuliert werden. Das
ist somit der Ausgangspunkt für ein kollektives bzw. evolutionäres
Design, bei dem unterschiedlichste Co-Designer, wobei Designer
hier eher als Akteure zu sehen sind, an einem Design arbeiten und
sich gutes Design automatisch durchsetzt, da es häufiger manipu-
liert und verbessert wird. Dieses System führt, wie auf Thingiver-
se.com bereits gut ersichtlich, zu Mashups aus mehreren, bereits
gut funktionierenden Teilen.
Aus diversen Gründen erfolgt die Erstellung von CAD-Files ver-
mehrt durch eigens dafür erstellten Programmcode anstatt mittels
fertiger Software und Maus. Je nach Ausformung wird diese Art
der Gestaltung als Generatives Design, Parametrisches Design
oder Creative Coding bezeichnet. Der Programmierer ist dabei
gleichzeitig Designer und sein Code definiert nicht eine Produkt-
Hannes Walter
DESIGNER UND EIN BISSCHEN MEHR
BIOGRAFIE
Hannes Walter ist – bedingt durch die Schmiede seines Vaters – von Kindheit an sehr handwerklich orientiert. Nach der Ausbildung zum Elektrotechniker entdeckte er als 3D-CAD-Konstrukteur die Möglichkeiten von riesigen Laser-Schneidanlagen. Der Zeit als Produktentwickler in der Schuhindustrie folgte sein Mediendesignstudium. Dort kombinierte er die reale mit der virtuellen Welt zu www.Fluid-Forms.com. Als einer der beiden Grün-der und Geschäftsführer ist er verantwortlich für Produktentwicklung und Organisation. Daher hat er auch besonderes Interesse an di-gitalen Fertigungsverfahren und der kreativen Verknüpfung unterschiedlicher Menschen und Fachgebiete.
RELATED LINKSfluid-forms.com
form, sondern eine Vielzahl an möglichen Formen. Für diesen Mög-
lichkeitsraum wird der Begriff Meta-Design vorgeschlagen, der
sinnvollerweise so definiert ist, dass jede mögliche Formvariante
funktional, produzierbar, ästhetisch ansprechend und wirtschaft-
lich sinnvoll ist. Ein essenzieller Teil solcher Design-Systeme sind,
wie etwa auf Fluid-Forms.com oder n-e-r-v-o-u-s.com ersichtlich,
die intuitiv zu bedienenden User-Interfaces. Kunden werden da-
durch zu Co-Designern ihrer persönlichen Produkte. Wird die Pro-
grammlogik, wie etwa von n-e-r-v-o-u-s.com, unter einer entspre-
chenden Creative Commons-Lizenz veröffentlicht, schließt sich der
Kreis zwischen Open-Source-Software und Open Design, da die-
ser Code ja auch beliebig kopiert und manipuliert werden kann.
Da es sich um freie Produktionsdaten handelt, kommt der De-
mokratisierung der Produktion eine wichtige Rolle zu. In der aktu-
ellen postindustriellen Revolution wird die Massenproduktion von
der persönlichen Produktion vom Wohnzimmer aus abgelöst. Dies
kann erfolgen über Open-Source-Produktionsmaschinen wie etwa
Makerbot.com, über Online-Dienste wie i.materialise.com, über
Produktionsnetzwerke wie makerfactory.com oder cloudfab.com.
Plattformen wie Ponoko.com und Shapeways.com bieten gleich-
zeitig auch Vermarktungsmöglichkeiten für die persönlich ge-
stalteten und eventuell auch produzierten Designs. Dadurch ver-
schwimmen die Grenzen zwischen Designer, Kunde, Hersteller und
Vermarkter vollkommen. Der Begriff des Prosumers, also die Mi-
schung aus Producer und Consumer hat sich dafür durchgesetzt.
“JEDE MÖGLICHE FORM
VARIANTE IST FUNKTIONAL, PRODUZIERBAR, ÄSTHE-
TISCH ANSPRECHEND UND WIRTSCHAFTLICH
SINNVOLL.
”Hannes Walter
Seite 24 Creative Industries Convention2011
Foto: Karin Lernbeiß
PAMOYO.COM
Die Ideen von Open Design bringt
das Berliner Label Pamoyo in die Mo-
dewelt. Das Ziel ist, nachhaltig pro-
duzierte Mode nach frei lizenzierten
Mustern und Designs zu schaffen. „live
green, look good“ ist dabei der Slogan
von Pamoyo, die mehr sein wollen als
nur ein Label. „Wer gerne selber hand-
werklich loslegen will, kann Muster
und Erläuterungen bekommen, um den
eigenen Lieblings-Pamoyo-Style selbst
herzustellen, z.B. indem das gelieb-
te abgetragene T-Shirt, ohne das man
nicht leben möchte, wieder zu neuem
Leben erweckt wird“, beschreibt das
Label einen Teil seiner Motivation. Ziel
ist der Aufbau einer Community aus
Designern und allgemein stilbewuss-
ten Menschen mit Interesse an der Phi-
losophie von Offenheit und Nachhal-
tigkeit. http://flexiblestream.org/
Den Menschen hinter Pamoyo geht es
bei der Verwendung von CC-Lizenzen
für ihre Schnittmuster u.a. um die An-
erkennung und Sichtbarmachung des
kreativen Prozesses, der lange vor mir
als Designer anfängt und mit der Fer-
tigstellung meines Entwurfs noch lange
nicht abgeschlossen ist. Durch weitere
Aktivitäten wie z.B. Kleidungs-Up-
cycling-Events sollen die Nutzer wie-
der mehr auch selbst zu Produzenten
werden. Ist es die Rolle des Designers,
fertige Produkte zu entwerfen und zu
liefern, oder eher, den Menschen in
seiner ästhetischen Arbeit zu unter-
stützen und zu beraten und mit seinen
Entwürfen zu eigener Kreativität zu
inspirieren?
OPENWEAR.ORG
Pamoyo unterstützt auch die Open-
wear-Community. Openwear ist eine
Plattform, die mit neuen kollaborati-
ven und offenen Ansätzen in Design,
Produktion und Vertrieb von Mode ex-
perimentiert. Openwear hat dazu eine
eigene Lizenz formuliert, die den CC-
Lizenzen ähnlich ist, zusätzlich aber
auf die Schaffung einer offenen und
kollaborativen Openwear-Marke ab-
zielt. So ist z.B. die Verpflichtung zur
Veröffentlichung eines abgewandelten
Entwurfs in der Openwear-Commu-
nity Teil dieser spezifischen Vereinba-
rung (siehe http://openwear.org/info/
license). http://fashionreloaded.com/
ARDUINO.CC
Das Arduino-Projekt wird unter Desi-
gnern und Künstlern immer beliebter.
Die Plattform besteht aus Hard- und
Software und wird als Open-Source-
Projekt seit 2001 weiterentwickelt.
Kernkomponenten sind ein einfacher
Mikrokontroller, der mit einer recht
einfachen Entwicklungsumgebung
angesteuert werden kann. Während
die Entwicklungsumgebung unter der
GNU-GPL lizenziert wurde, ist das
Hardware-Design unter der Creative
Commons Sharealike-Lizenz veröf-
fentlicht, die weitgehende Freiheiten
gewährleistet, und die CAD-Files kön-
nen weiterentwickelt und getauscht
werden.
Arduino-Produkte werden intensiv an
Kunsthochschulen genutzt, um inter-
aktive Installationen zu schaffen, und
auch die Hacker-Community hat das
Projekt schnell angenommen und dazu
beigetragen, dass es über die vergange-
nen Jahre so erfolgreich wurde.
FRITZING.ORG
Aufbauend auf Arduino entwickelt
das Fritzing-Projekt an der Fachhoch-
schule Potsdam eine Software und eine
Community, mit deren Hilfe Nutzer
Prototypen dokumentieren, teilen und
dann auch gemeinsam weiterentwi-
Markus Beckedahl/Andrea Goetzke
Fortsetzung von Seite 23
weiter auf Seite 27
ckeln können. Mithilfe von Fritzing
soll es auch möglich sein, PCB-Layouts
für eine professionelle Herstellung zu
schaffen; gleichzeitig dient die Platt-
form als mögliches Anwendungssze-
nario, um Elektronik anschaulich zu
unterrichten.
Software und Plattformen zur Doku-
mentation, zum Teilen und zur kol-
laborativen Weiterentwicklung von
Entwürfen für Objekte, Hardware
und Mode sind wichtige Werkzeuge im
Open-Design-Prozess. Vieles ist hier
noch in der Entstehung. Solche Soft-
ware-Tools und Plattformen sollten
zum einen die Dokumentation eines
Plans zur vollständigen Reproduzier-
barkeit ermöglichen, aber auch die Er-
stellung abgewandelter Entwürfe er-
lauben sowie auch möglicherweise die
jeweiligen Autorenschaften verwalten
können (welche Veränderung wurde
von welchem Nutzer hinzugefügt).
MAKERBOT.COM
Einen weiteren Ausblick auf zukünf-
tige Trends bietet das MakerBot-
Projekt. Die gleichnamige Firma
produziert einen Open-Source-Rapid-
prototyping-3D-Drucker. Mit diesem
ist es möglich, zu erschwinglichen
Preisen Kunststoffteile bis zu 10 x 10 x
15 cm herzustellen und somit Entwürfe
in 3D in Kunststoff auszudrucken. Die
MakerBots werden als Bausätze ver-
trieben (und sind übrigens auch selbst
Open Design, d.h., sie werden ständig
von einer Community weiterentwi-
ckelt). Rund um die 3D-Druck-Tech-
nologie hat sich eine große Community
gebildet, die ihre Designs austauscht
und die Technologie weiterentwickelt.
Die zum Unternehmen dazugehörige
Plattform Thingiverse bietet Nutzern
die Möglichkeit, ihre Dokumentatio-
nen und Rohdaten zu publizieren und
diese gemeinsam weiterzuentwickeln.
Markus Beckedahl / Andrea GoetzkeCreative Industries Convention2011
Seite 25
Yochai Benkler
BIOGRAFIE
Yochai Benkler ist Juraprofessor an der Harvard Law School. Er beschäftigt sich unter anderem in seinem Buch „The Wealth of Networks“ und in dem Aufsatz „Coase’s Penguin“ mit Fragen der Netzwerkproduktion und des Urheberrechts.
RELATED LINKSbenkler.org
INNOVATION KOMMT AUS ALLEN RICHTUNGEN
Wie haben die neuen gemeinschaft-
lichen Produktionsweisen die Kultur
verändert?
Benkler: Das Feld der Leute, die an
der Produktion von Information und
Kulturgütern mitwirken können, hat
sich radikal erweitert. Das industriel-
le Modell der Informationsproduktion,
das im 19. Jahrhundert begonnen hat,
setzte hohe Kosten für die Produkti-
on und den Vertrieb kultureller Güter
voraus. Mit der gesteigerten Mobilität
und dem Rundfunk wurden auch die
Vertriebsmöglichkeiten erweitert. Es
haben sowohl die Kosten als auch die
Reichweite zugenommen. Wer genü-
gend Kapital hatte, um ein effektives
Produktions- und Vertriebssystem zu
schaffen, konnte auch bestimmen, wer
was zu wem mit welcher Autorität sagt.
Das Internet hat zu einer Inversion der
Kapitalstruktur geführt. Wir haben
heute eine Milliarde Menschen, die
über die Mittel verfügen, Informatio-
nen zu produzieren, zu speichern und in
Umlauf zu bringen. Die neuen produk-
tiven Gemeinschaften brauchen weder
ein Geschäftsmodell noch proprietäre
Rechte, um an der Kulturproduktion
teilzunehmen. Das hat zu vielfältigen
Perspektiven und Ausdrucksweisen ge-
führt, zu einer neuen Form der Volks-
kultur.
Welche Auswirkungen hat das auf die
Wirtschaft?
Benkler: Innovation kommt heute
aus allen möglichen Richtungen. Zu-
vor kamen Innovationen vorwiegend
aus Unternehmen und waren markt-
getrieben. Heute sehen wir, dass wich-
tige Innovationen von der Peripherie
kommen. Zum Beispiel Wiki-, Blog-
ging- und Peer-to-Peer-Software. In-
novationen finden heute nicht mehr nur
innerhalb eines Unternehmens oder
innerhalb der Grenzen des Copyright-
und Patentsystems statt. Sie entwi-
ckeln sich aus sozialer Interaktion und
Zusammenarbeit.
Für Unternehmen entsteht so eine neue
Konkurrenz. Die Musikindustrie muss
sich etwa mit Peer-to-Peer-Filesha-
ring auseinandersetzen. Gleichzeitig
entstehen für Unternehmen auch viele
Gelegenheiten. So hat sich Google etwa
Blogger einverleibt. Auch Googles Sei-
terank definiert Relevanz in erster Li-
nie dadurch, was für die Leute inter-
essant ist.
Die neuen Produktionsweisen stellen auch traditi-
onelle Geschäftsmodelle infrage, die auf dem Copy-
right basieren. Wo kommt Peer-Produktion dem Co-
pyright ins Gehege?
Benkler: Grundsätzlich geht Copyright davon aus,
dass es ein Geschäftsmodell gibt, mit dem aus der
Produktion von Information und Kulturgütern Nut-
zen gezogen werden kann. Dieses Modell basiert auf
Exklusion und der Bezahlung kultureller Güter. Das
ist aber bei Weitem nicht das einzige Modell.
Zwei Drittel der Umsätze der Software-Industrie
werden etwa mit Dienstleistungen generiert, die nicht
vom Copyright abhängen. Im Musikgeschäft machen
vorwiegend die Labels ihr Geld mit Copyright. Musi-
ker verdienen ihr Geld weitgehend mit Live-Auftrit-
ten, die mit Copyright nichts zu tun haben. Als Peer-
to-Peer-Netzwerke das System der Kopie ins Wanken
brachten, geriet die Tonträgerindustrie in die Krise.
Die Künstler haben heute mehr Möglichkeiten als je
zuvor, sie können machen, was sie wollen, und verdie-
nen ihr Geld mit Konzerten oder entwickeln andere
Möglichkeiten.
Der hier wiedergegebene Text ist Auszug aus einem
längeren Interview, das im September 2008 am Rande
der Ars Electronica in Linz stattfand und auch in der
ORF Futurezone veröffentlicht wurde.
“WIR BEFINDEN UNS IN DER MITTE EINES
TECHNOLOGISCHEN, ÖKO-NOMISCHEN UND OR-
GANISATORISCHEN TRANS-FORMATIONSPROZESSES, DER UNS DIE NEUDEFINI-TION VON FREIHEIT UND
PRODUKTIVITÄT IN DER WIS-SENSGESELLSCHAFT
ERLAUBT.”
Yochai Benkler
Seite 26 Creative Industries Convention2011
Foto: http://www.flickr.com/Fotos/joi/538158535/
Die Entwürfe auf der Thingiverse-
Plattform stehen unter CC-Lizenzen.
Hier wird mit den neuen Möglichkei-
ten des 3D-Drucks experimentiert und
die Erstellung von abgewandelten und
technisch verbesserten Arbeiten oft-
mals eindeutig erwünscht. Je mehr Per-
sonen sich mit einem Entwurf beschäf-
tigen und probieren, wie man ein Objekt
technisch besser herstellen kann, umso
ausgereifter kann eine Druckvorla-
ge letztendlich werden. Gleich auf der
Startseite gibt es hier z.B. die Kategorie
„Newest Derivatives“.
DAILYDUMP.ORG
Ein anschauliches Beispiel, welches
CC-Lizenzen für Open Design in der
Praxis anwendet, kommt von einem
kleinen Unternehmen aus Indien. The
Daily Dump bietet Kompostier-Behäl-
ter aus Terracotta an sowie umfängliche
Info-Materialien zum Thema Kompos-
tierung. Das gesamte Geschäftsmodell,
Entwürfe der Töpfe, Info-Materialien
als auch Material im Geschäftsprozess
wie Schürzen etc., ist unter CC-Lizenz
offen im Netz verfügbar. Interessen-
ten können mit den Materialien expe-
rimentieren; bei der Eröffnung eines
eigenen Geschäfts und offizieller Ge-
schäftsbeziehung soll dann ein Vertrag
mit dem Mutterunternehmen gemacht
werden. http://www.thingiverse.com/
Wenn die Unternehmung damit Erfolg
hat, dann kann sie wesentlich mehr be-
wirken als ein kleines einzelnes Kom-
postiergeschäft.
Sie
* ermöglicht eine ständige Verbesse-
rung der Töpfe und Materialien – und
damit der Arbeitsgrundlage für alle
Beteiligten;
* gibt vielen Menschen und eine Idee,
im Kompostier-Business zu arbeiten;
* bekämpft das Müllproblem in Indien
auf wesentlich breiterer Basis.
Und trotzdem wird sie immer noch ge-
nügend Arbeit auf lokaler Ebene haben.
Aber auch in andere Communities
dringt der Open Design-Gedanke im-
mer weiter vor. OpenDrawCommunity
möchte einen gemeinsamen Pool zur
Erstellung von Modellbahn-Ätzvorla-
gen schaffen, die zur privaten Nutzung
unter einer Creative Commons-Lizenz
zur Verfügung gestellt werden können.
EN.WIKIPEDIA.ORG/WIKI/FABLAB
Anders als bei Open-Source-Soft-
ware, an der jeder mit einem Rechner
zu Hause arbeiten kann, erfordert die
Produktion von Design-Objekten im-
mer Material und vielfach spezifische
Werkzeuge, von Lötkolben und Näh-
maschine bis zu Laser-Cutter und
3D-Drucker. Mit der Open Design-
Bewegung sind somit in den letzten
Jahren auch Orte entstanden, an denen
Werkzeuge gemeinschaftlich genutzt
werden können. In vielen Ländern der
Welt gibt es mittlerweile sogenannte
Fab Labs, die Werkzeuge zur Produk-
tion von Open Design-Objekten zu-
gänglich machen. Ein Beispiel ist Open
Design City in Berlin.
“ OPEN
DESIGN IST GEKOMMEN,
UM ZUBLEIBEN
”Markus Beckedahl
Die Beispiele zeigen, dass CC-Lizenzen aus verschie-
denen Motivationen heraus und in ganz verschiede-
nen Einsatzfeldern im Bereich des Designs physi-
scher Objekte verwendet werden. Die einen teilen
ihre Entwürfe zusätzlich zur herkömmlichen lokalen
Produktion, als Inspiration für andere, zur eigenen
Promotion, um vielleicht neue Kontakte darüber zu
knüpfen etc. (wie im Fall von Ronen Kadushin oder
dem Modelabel Pamoyo). Andere streben gezielt eine
Verbesserung eines Entwurfs durch kollaboratives
Arbeiten an, wie im Fall vieler 3D-Print-Designer
oder Arduino-Hacker. Grundlegend kollaborativ
angelegte Design-Projekte, wozu man vielleicht den
MakerBot zählen könnte, sind noch nicht so verbrei-
tet. http://odc.betahaus.de/
Noch sieht man erste Schritte und die Pioniere erzie-
len zusätzliche Aufmerksamkeit durch einen kleinen
übersichtlichen Markt. Aber für immer mehr junge
Designer wird die Philosophie hinter Open Design,
das Teilen und Zusammenarbeiten, eine Selbstver-
ständlichkeit sein. Open Design ist gekommen, um
zu bleiben.
Markus Beckedahl/Andrea Goetzke
Fortsetzung von Seite 25
Creative Industries Convention2011
Seite 27
Foto: http://www.gutestun.com/copyme/?p=88by GUTESTUN production Berlin
GeorgRussegger
RELATED LINKSdatadandy.net
BIOGRAFIE
Georg Russegger ist Entwickler, Kurator, Medien- und Kommunikationswissenschaftler und als Künstler unter dem Alias Grischinka Teufl aktiv und arbeitet und lebt in Wien und Tokyo. Aktuell ist er als Scientific Manager an der Kunstuniversität Linz (INTERFACE CULTURES) tätig.
Design verstehe ich in dem gegebenen Zusammen-
hang als einen künstlichen Prozess (Poiesis) des
Entwerfens und Hervorbringens von möglichen
Wirklichkeiten. Wobei „Künstlichkeit“ hier nicht in
Abgrenzung zu „Natürlichkeit“ gesetzt ist, denn die-
se Unterscheidung ist in dem hochkomplexen, neu-
ronalen Erfindungsnetzwerk wie dem menschlichen
Gehirn nicht so einfach zu treffen. Ausgehend von
Herbert A. Simon befassen sich Ingenieurswesen,
Medizin, Ökonomie, Architektur und Kunst nicht mit
Notwendigkeiten, sondern mit Kontingenzen, also
Zusammenhängen, die mit der Transformation von
Unwahrscheinlichem in Wahrscheinlickeiten und
somit oft unter den Bedingungen aleatorischer Mo-
mente (Zufälligkeiten) operieren. Der Fokus in die-
sem Kurzbeitrag richtet sich auf die Fragestellung,
wie Dinge sein können (Design), wobei insbesondere
auf die damit verbundenen menschlichen Fähigkei-
ten und Wissenskulturen verwiesen sein soll, die eine
sogenannte Offenheit als Funktionsweise für sich be-
anspruchen.
Ausgehend von der Grundlage eines soziokulturel-
len Alltags, welcher vermehrt in digital vernetzten,
multisensorischen, codifizierten und computerzen-
trierten Kommunikationsdispositionen und Inter-
aktionskulturen ausgehandelt wird, ist Komplexi-
tätsdesign mehr denn je zu einer grundlegenden und
globalen Anforderung für Menschen geworden. Ko-
operationsmodelle zwischen Menschen und Maschi-
nen sind in diesen Daten- und Informationsstruktu-
ren nur aufrechtzuerhalten, wenn Zugänglichkeiten,
Modifikationsmöglichkeiten und Eingreifbarkeiten
für Gemeinschaften und Projekte prinzipiell offen
angelegt sind, um die damit verbundene Komplexität
auf Dauer handhabbar und entwickelbar zu halten.
Verstärkt werden computerisierte und
automatisierte Systeme eingesetzt, um
die menschliche Produktivität vor al-
lem auf die Bereiche des Erfindens- und
Entwerfens zu beziehen. Dazu werden
smarte, das heißt kluge, schlaue, geist-
reiche, gewitzte, gewandte, elegante
bzw. findige Methoden ausprobiert,
entwickelt und angewandt, um die um-
gebende Komplexität, die sich durch
computergestützte Betriebsysteme und
Lebenswelten ergibt, auf erfinderische
Art und Weise nutzbar zu machen.
Dieser Ausgangspunkt wird zwar
prinzipiell durch die Verknüpfung von
menschlichen und nichtmenschlichen
Kräften markiert, stellt aber eine Ver-
schiebung der materialen Beziehungen,
Aufmerksamkeitsleistungen, Anwe-
senheitsmodellen und Kooperations-
relationen zwischen diesen Aktanten
dar, die nicht mehr sinnvoll in klassi-
schen Subjekt-Objekt-Unterscheidun-
gen klassifiziert werden können. In
der Reproduktion von Fähigkeiten und
nicht in der Replikation von Produkten
liegt der Grundstein der Fertigkeiten,
die in dem Paradigma von Open De-
sign an Wichtigkeit gewinnen. Serge
Moscovici merkt dazu schon 1982 an,
„das die Arbeitskraft von Fertigkeiten
und Fähigkeiten modelliert wird, von
einem Code, der ihr den Spielraum ver-
schafft, in einem gegebenen Rahmen
zu funktionieren“.
SMARTJECTHybridprogrammatik aus Subjektkultur und Artefaktmo-difikationen, kooperativ gekop-pelt in Projektdispositionen.
SMARTIFACTS Semi-intelligente, multisen-sorisch vernetzte und teil-automatisierte Soft- und Hardwarehandlungsträger in medienintegrierten Interakti-onsumgebungen und Informati-onskonfigurationen.
weiter aus Seite 30
ALEATORISCHE ENTWURFSMODELLE
Georg RusseggerSeite 28 Creative Industries Convention2011
EINE KLEINE MASCHINE, ...
... nicht größer als ein Mikrowellenherd, die alle gewünschten Teile, die man im täglichen Leben so braucht, herstellen kann – klingt wie aus einem Zukunftsroman. Doch heute können wir schon sehen, was in absehbarer Zukunft in vielen Haushalten selbstverständlich sein wird. Bei Star Trek mit dem Replikator noch ein idealistisches Gedankenex-periment, bei dem Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarf „repli-ziert“ werden, sind seit 3 Jahren Projekte in der DIY- und Bastler-Szene entstanden, die uns einen großen Schritt dieser Zukunftsvision näher bringen.
Ein fertiger Bausatz kann online bestellt werden und mit einfachen Handgriffen zu Hause zusammengebaut werden. Der Gründer Bre Pettis beschreibt die Idee: „Wir möchten die Produktion demokratisieren ... und deswegen haben wir den MakerBot-Bausatz entwickelt … es geht darum, Dinge selbst produzieren zu können“. Bre Pettis erklärt in einem anderen Interview auf der Internetseite von shapeways die Unterschiede zu den beiden anderen vergleichbaren Projekten: „Der Hauptunterschied zwischen einem MakerBot Cupcake CNC und einem RepRap ist der für seine Herstellung nötige Zeitaufwand. Das RepRap-Projekt ist ein akademisches Forschungsprojekt. Daher kann es Monate dauern, bis man alle Materialien beisammen hat und einen RepRap zusammengebaut hat. Und dann ist noch viel Experimentieren nötig, bis er endlich Ausdrucke erstellt. Der MakerBot Cupcake CNC ist ein Bausatz, den man mit einem Freund an einem Wochenende zusammenbauen kann. Anschließend kann man gleich Objekte ausdrucken.“ Neben dem kommerziellen Vertrieb des MakerBot-Bausatzes betreiben die Gründer von MakerBot auch eine Platform für den Austausch von 3D-Entwürfen – Thingiverse.
Mit diesen Projekten rückt die Idee der unabhängigen Selbstversor-gung in greifbare Nähe. So kann eine Manufaktur in den eigenen vier Wänden aufgebaut werden und mit der überschüssigen Zeit und den verbliebenen Ressourcen können wir zusätzlich auch Aufträge für andere fertigen.
Bre PettisDIE ZUKUNFT DER HEIMARBEIT
BIOGRAFIE
Bre Pettis ist Unternehmer, Videoblogger und Grün-der von MakerBot Industries. Bre Pettis ist auch des Weiteren bekannt für DIY-Video-Podcasts für MAKE und für den History Hacker-Pilotfilm auf dem History Channel. Er ist einer der Mitbegründer des in Brooklyn beheimateten Hacker-Spaces NYC Resistor.
In einem Interview für CNN redeten Sie über die De-
mokratisierung der Produktion – könnten Sie uns er-
läutern, was Sie persönlich damit meinen?
Es ist unsere Mission mit dem MakerBot, die breite
Masse mit Produktionstools auszustatten. Unser
Engagement gilt der Unterstützung kreativer Leute
bei allem, was sie produzieren möchten. Ursprüng-
lich programmierten wir 3D-Printer, damit wir uns
selbst einen 3D-Printer leisten konnten, und dann
beschlossen wir, 3D-Printer zu produzieren, damit
jeder einen haben kann.
MakerBot ist ein Riesenerfolg – wer kauft diese
Maschine?
Das ist gemischt. Zumeist sind das Programmierer
und Techniker, aber genauso bastelnde Mütter und
Familienväter, also ganz normale Leute, die ihrer
Zeit einfach ein bisschen voraus sein möchten.
Wie verwenden die Menschen ihn in ihrem Geschäft –
oder erschließen die Leute durch die Verwendung des
MakerBots neue Geschäftschancen?
Die meisten Leute verwenden einen MakerBot
ganz privat und um Dinge für den Eigenbedarf her-
zustellen, doch eine Menge Leute verwenden einen
MakerBot geschäftlich. Ich habe es am liebsten, wenn
Leute sich ein Produkt einfallen lassen und es ver-
kaufen. Ich habe schon alles Mögliche gesehen – von
Kamerazubehör bis hin zu iPod-Docks. Man verwen-
det ihn auch zur Herstellung von Teilen für andere
3D-Printer wie den RepRap und verkauft dann diese
Teile auf eBay. Darüber hinaus verwendet man ihn
auch in Designshops zur Herstellung von Prototypen
für in Massenproduktion hergestellte Dinge.
Bre Pettis im Gespräch mit Gerin Trautenberger.
Foto: Scott Beale / Laughing Squid
RELATED LINKSbrepettis.com
Pre Bettis
Foto: Patrick Dax
Creative Industries Convention2011
Seite 29
GeorgRussegger
Georg Russegger
Diese an die heutige Zeit angepasste Open-Source-
Codierung von Fähigkeitsmodellen und Arbeits-
methoden wird verstärkt in projektbezogenen Ent-
wurfsumgebungen (vgl.: Flusser 1989, Faßler 1999) so
transformiert, dass eigene Fähigkeiten der Projekt-
nehmer kommunikativ, kooperativ und normativ an-
schlussfähig und zugänglich, im Sinne einer Aufbe-
reitung von Designprozessen, Produktionsabläufen
und Fertigungsverfahren, als Open-Cast Program-
matiken wirksam werden.
Diese grundlegend hochdynamischen Kooperatio-
nen und Koorganisationen in Projektgemeinschaften
werden in kurz- und mittelfristigen Modellierungen
von Informations- und Entwurfsprogrammen zu-
sammengestellt, um in Materialzusammenhängen
konzentriert zu werden. Projektsinn wird jeweils in
Bezug auf das Know-how der Projektgemeinschaf-
ten als offen (veränderbar, adaptierbar, verschaltbar,
transformierbar, usw.) gesetzt und ist in seiner An-
passungsfähigkeit einem standardisierten Produkti-
onsprozess, wie er aus klassischen Produktionsum-
gebungen bekannt ist, entgegengesetzt, weil er von
heterogenen Befähigungen und Techniken einzelner
Projektmitglieder getragen wird. Gestalt(ung), Form
und Funktion, bezogen auf designende Entwurfs-
weisen, lassen sich hierbei nicht von den technisch-
medialen Formen der Software, die dabei zu Cul-
tureware wird, abgrenzen. Dies legt nahe, das wir
„Open- Source-Intelligence“ (Stalder, Hirsh 2002) in
Form eines Komplexitätsdesigns und Informations-
designs, in den damit verbundenen Wissenskulturen
anwenden.
Hierbei erscheint die Begriffsbestimmung des
Moddrs, welcher in Modifikationskulturen anhand
von computergesteuerten Entwurfs- und Produk-
tionsumgebungen existierende Gestaltungsmodelle
und -systeme modifiziert und erweitert, aber auch
umbaut und entgegen der Ursprungsbestimmun-
gen anwendet, eine wichtige Position in der Open-
Design-Prototypisierung einzunehmen. Mit der
Weiterentwicklung von existierenden Generationen
technischer, sozialer und kultureller Codes werden
existierende Entwürfe so transformiert, dass sie als
eine Rekonfiguration von bestehenden Angebots-
leistungen in neuartige Versionen bzw. Varianten
überführt werden. Diese prinzipiel-
le Verformbarkeit stellt eine wichtige
Grundlage für die Weiterentwicklung
und das Schaffen von dynamischen
Normen und Standards dar. In der
jüngeren medienevolutionären Ent-
wurfsgeschichte des Menschen stellt
der Wandel von hoch standardisierten
Entwurfsprozessen hin zu normativen,
aber offen-programmierbaren Syste-
men einen grundlegenden Paradig-
menwechsel in Designprozessen dar.
Im Zentrum dieser Beobachtung
steht eine (Über-)Lebensform, die ich
Smartject nenne. Als soziokulturel-
ler Programmhybrid aus biologisch-
neuronalen und technisch-medialen
gekoppelten Körpern bedient es sich
kultureller Betriebssysteme unter der
Methode des Selbst-Designs. Dieser
Selbst-Entwurf findet in interaktiver
Verschaltung von semi-intelligenten
Handlungsträgern (Smartifacts) und
multisensorisch-mechatronisch gekop-
pelten Programmen statt. Für Smart-
ject ergeben sich dadurch zwangs-
läufig neue Rahmenbedingungen und
Anhaltspunkte von Produktivität und
Lebensplanung, die erst im Laufe der
Zeit in Konventionen und Werte trans-
formiert werden. Diese Werte unter-
liegen jedoch nicht zwangsläufig einer
Logik bzw. einer Kausalität, sondern
werden immer mehr als biographische
Szenographien wirksam, die mittels
des Blickes eines Spielers auf sein Spiel
zu verstehen sind und dessen Spielre-
geln dabei, je nach Anforderung und
Wunsch, laufend transformiert werden.
Aleatorische Momente und Situatio-
nen, die als Synonym für kombinatori-
sche Zufälligkeiten und damit einher-
gehende Kontrollverluste kreuzgelesen
werden können, gewinnen in diesem
Kontext deswegen an Bedeutung,
weil durch die ludische Wende (Ludic
Turn) im Erfindungsprozess, die mit-
tels Spielens bzw. Ausprobierens eine
prinzipielle Fehlerfreundlichkeit und
Modifikationsdynamik in den Pro-
duktionsprozessen von Open Design
fordert, eine nicht neue, aber neu zu
bewertende Innovationsklausel am
Vormarsch ist. Hierbei spielt der Zu-
fall, wie in allen kreativen Prozessen,
eine immer wichtigere Rolle. Oder wie
es Klaus Mainzer ausdrückt: In der
Wechselwirkung zwischen Zufällig-
keit und Redundanz wird Kreativität
und Innovation ermöglicht (Mainzer,
2007). Diese Zufallsgeneratoren wer-
den zeigen, ob ein Open-Design-Para-
digma das künstliche Einführen von
Perspektivenwechsel auslösen und so-
mit zur konstruktiven Weiterentwick-
lung und für das Ausloten toter Winkel
in Designprozessen angewandt werden
kann. Für die Begriffsrahmung eines
Open Design gilt derzeit: Kooperati-
onsoffene und aleatorische Prozesse so
zu gestalten, dass es zu einer maxima-
len Zugänglichkeit der (In-)Formati-
onsangebote kommt, welche gekoppelt
mit Modellierungen nutzbarer Kom-
plexität global anschlussfähige Kom-
munikationen und somit neue Erfin-
dungsgrundlagen erzeugen.
Fortsetzung von Seite 30
“KOMPLEXITÄTSDESIGN
IST MEHR DENN JE ZU EINER GRUNDLEGENDEN UND
GLOBALEN ANFORDERUNG FÜR MENSCHEN GEWORDEN.
”
Georg Russegger
Seite 30 Creative Industries Convention2011
Seit ein paar Jahren steht DIYern eine Unzahl von neuen Tools
und Services zur Verfügung, mit denen sie die Dinge, die sie selbst
herstellen, designen, prototypisieren, finanzieren, produzieren und
verkaufen können. Die meisten dieser Tools sind entweder kosten-
los oder äußerst günstig, was auf eine Zukunft hindeutet, in der
Einzelpersonen oder kleine Kollektive realisierbare Alternativen
zu Massenprodukten anbieten werden.
Als ich 1985 bei Memorex als Harddisk-Konstrukteur arbei-
tete, designte ich einzelne Komponenten mit Papier und Bleistift
auf dem Zeichenbrett. 1986 installierte das Unternehmen dann ein
CAD/CAM-System, das Zigtausende Dollar pro Arbeitsplatz koste-
te, plus eine Extragebühr für jede Minute, in der irgendjemand die
Software benutzte.
Heutzutage sind 3D-Designprogramme wie Google SketchUp,
Blender und Alibre PE nicht nur viel leistungsfähiger als die Soft-
ware, die ich vor 25 Jahren benutzt habe, sondern auch viel billiger.
(Alibre PE kostet $ 99 und Google SketchUp und Blender sind kos-
tenlos.) Heute verwenden DIYer diese Programme, um alles Mög-
liche zu designen – von Fahrrädern und Hühnerställen bis hin zu
Einzelteilen von Modellraketen. Und auf Webseiten wie thingiver-
se.com, wo andere ihre Designs downloaden, sie modifizieren und
anhand der Vorlagen ihre eigenen Versionen eines Produkts kreie-
ren können, teilen sie ihre 3D-Designs.
Und auch die Tools, die sie zur Herstellung dieser Objekte ver-
wenden, werden immer billiger und leistungsfähiger. Können Sie
sich noch an die Zeit erinnern, als Laserdrucker, die heute $ 100
kosten, $ 10.000 gekostet haben? Bei Produktionsgeräten verläuft
der Trend ganz ähnlich. Low-End-Lasercutter kosten ungefähr $
7.000, vor ein paar Jahren noch $ 20.000. Und 3D-Printer wie der
Thing-O-Matic von MakerBot Industries (eine Rapid-Prototyping-
Maschine, die Objekte aus dem Kunststoff, aus dem Legosteine ge-
macht sind, ausdruckt) gehen für $ 1.200 über den Ladentisch.
Irgendwann werden 3D-Printer im Haushalt und im Büro genauso
alltäglich sein, wie Laserdrucker das heute schon sind. Doch bis es
so weit ist, sind Webseiten wie ponoko.com und shapeways.com das
3D-Pendant für Desktop-Publishing-Dienste. Gegen ein geringes
Entgelt können Sie Ihr 3D-Design ponoko.com und shapeways.com
schicken und sich von diesen Onlinediensten ein Modell aus Plas-
tik, Metall oder einem anderen Material ausdrucken lassen. Diese
Dienste werden Ihr Produkt bei Bedarf auch in Produktion nehmen
und es rund um den Erdball interessierten Kunden verkaufen.
Die meisten DIY-Produkte werden aus der eigenen Tasche finan-
ziert. Doch Garagenunternehmer mit größeren Ambitionen können
überdies Webseiten wie kickstarter.com nutzen, auf denen DIY-
er Finanzierungsanfragen für ihre Projekte posten können. Die
nächste Phase des Crowdfunding wird wohl von Wertpapierange-
boten in kleinerem Umfang getragen werden, bei denen einzelne
Investoren ihren Anteil an der Rendite finanziell erfolgreicher Pro-
jekte erhalten.
Und zu guter Letzt hat sich das Internet selbst zum großen Aus-
löser für Do-it-yourself-Innovation gemausert. Es ermöglicht Inte-
ressensgemeinschaften, miteinander zu kommunizieren, was die
Entwicklung von Designvorhaben aller Art, seien das nun selbst
gebastelte unbemannte Flugdrohnen oder Zigarrenschachtelgitar-
ren, immens beschleunigt. Darüber hinaus dient das Internet als
indizierter Megastore mit einem Überangebot an Produkten aller
Art, in dem sich beinah alles, was das Herz begehrt, googeln lässt.
Im 19. Jahrhundert stellten die Menschen den Großteil der Din-
ge, die sie verwendeten, selbst her – Möbel, Kleidung, Unterkunft,
Nahrung. Wir erleben vielleicht die Rückkehr zu einer Welt, in der
der Einzelne wieder viele Dinge für den täglichen Gebrauch selbst
herstellt, doch wird er mit vielen anderen innovativen Individuen
rund um den Erdball vernetzt sein, die ihm bei der Realisierung
seiner Ziele behilflich sind.
RELATED LINKSboingboing.net
makezine.com
BIOGRAFIE Mark Frauenfelder ist Blog-
ger, Illustrator und Journalist.
Er ist Gründer und Chefredak-
teur der Zeitschrift MAKE und
Mitherausgeber des kollaborati-
ven Weblogs Boing Boing.
Mark FrauenfelderCreative Industries Convention2011
Seite 31
Mark Frauenfelder
DO IT YOURSELF INNOVATION
3. Nicht auszuschließen ist, dass
Open Design eine reale, aber virtuelle
Wolke des kognitiven Kapitalismus (T.
Negri; Y. Boutang-Moulier) ist. Also:
Wie ist OFFEN? Für was? Nichts ge-
gen eine Offenheit jenseits und auch
gegen überlieferte Hierarchien, Insti-
tutionen und Machtgefüge. Erst recht
nicht, wenn es um Online-Strukturen,
um Online-offline-Habitate geht, um
nachbarschaftliches Netz-Handeln, um
die Intelligenz der Zusammenhänge /
in Zusammenhängen. Aber genau das
ist in den Seiten, Foren, Blogs zu Open-
ness, die ich betrachtet habe, nur sehr
selten zu finden. Ich nehme an, dass
sich dies in den über hundert Millio-
nen Sites, in denen open design, open
access, open creativity, open whate-
ver gefordert, erläutert, dargelegt, ge-
priesen wird – und die ich nicht habe
durchgehen können –, fortsetzt. Wird
Openness allerdings mit Kreativität
verbunden, oder sogar mit irgendeiner
Variante von Design – überschreitet
also die Grenze der Maintenance und
moderierten Zugriffsrechte –, so geht
es nicht mehr vorrangig um Markt und
Konsum. Dann muss das erfindende
und entwerfende Individuum nicht
nur sich von anderen unterscheiden,
sondern seinen Entwurf bezeichnend,
einzigartig, auffällig machen. Und dies
heißt: herausheben. Damit fädelt sich
in die Openness-Forderung der Un-
terschied als Marke ein. Möglich, dass
Community als eine Projekt-Marke
innerhalb der FOSS-Strukturen an-
gestrebt wird. Dies würde allerdings
Community-Design erfordern – nicht
so wie Second Life, allerdings von
der Geste ähnlich. Damit geht die
Frage „WO ist OFFEN?“ zu „WIE ist
OFFEN?“ über. Oder zur Frage: Wer
macht wo im Netz das Türchen zu, für
wie lange und für wen?
4. Ist das Verrat an der Online-
Allmende? Nein. Wenn entwerfen-
den Netznutzern etwas an kreativem
Reichtum der Uneinheitlichkeit liegt,
können sie sich nicht allein auf Open-
ness beziehen. Täten sie dies, bliebe
allenfalls eine Art Design per Zufall,
Design per Häufigkeit der Clicks. De-
signer als Clickworker? Möglich, dass
dies manche so denken. Für mich ist
die gestalterische, künstlerische, äs-
thetische, poetische, funktionale Ent-
scheidung für eine Gestalt(ung) nicht
nur mehr als das. Es ist anderes. Es ist
gewollte und begründete Unterschei-
dung gegen das Ego-Consuming des
Netzkuchens. Möglich, dass die Nut-
zung von Ereignissen und Produktfor-
maten des Web 2.0 cool ist, zumindest
kühler als die überklimatisierten Malls
und schweißtreibenden Style-Läden.
Aber Konsum ist kein Design, nur weil
Design den Konsum fördert. Der Satz
enthält also keine Gleichung. Design
ist eine Option, eine Erwartung; De-
sign sind Milliarden Optionen und Er-
wartungen. Klar spielt jeder Entwurf
in der Weltliga des Versprechens, des
Scheins. Im Gegensatz zu den großen
Wahrheiten und großen Erzählungen,
die auf „Einmal Für Immer“ setzen,
ist Design „Immer Für Einmal“, für
den Moment des verwendenden Kon-
sums. Da dieser ein Wanderzirkus ist,
Wanderkonsum, ändern sich Stile. Nur
so kann Design verschwinden und in
neuer Gestalt wieder auftreten, oder,
selten, zum Klassiker werden, jenseits
des anfänglichen Nutzungsverspre-
chens. Keine Offenheit kann dies er-
setzen. Die Einzigartigkeit der Farb-,
Form-, Funktions-, Bewegungs-, Nut-
zungssetzung ist ein Doppelagent: Sie
fordert zum Konsum eines Angebots
auf, ist eventuell auch innerhalb sozi-
aler Schichten Träger von Statusvor-
teilen. Wichtiger aber ist, dass damit
Wahrnehmungsänderungen hervorge-
rufen, evtl. sozialpolitische Program-
me wie das architektonische Funktio-
nalismus-Ideal von Licht-Luft-Sonne
der 1920er mit getragen werden kön-
nen. Gelingen konnte dies, weil die
Zeiten der Gesellschaftsfunktionen,
der Entwürfe und die Zeiten des Woh-
nungskonsums sich nicht in die Quere
kamen. Design lebte von diesen sehr
gedehnten, einander fremden oder fer-
nen Ungleichzeitigkeiten. Design hatte
seine eigene Zeitökonomie, obwohl es
marktabhängig war. Gerade diese ist
weggebrochen. Über Openness zu re-
den, ohne diesen Kollaps der Zeit- und
Wahrnehmungsgrenzen zu bedenken,
ist nicht nachzuvollziehen.
5. WIE ALSO SOLL MAN SICH DESIGN IN ECHTZEIT VORSTELLEN? ZEITLOS? Das wird wohl nicht gehen, da ja die Entnahme von
Produkten aus dem offenen Zufallsmarkt die Le-
benszeit ins Spiel bringt. Wie kann also Design im
Spannungsfeld von offline – online gedacht werden?
Design als Grenzgänger, im kooperativen Niemands-
land, oder als Mittler. Welche Zeitökonomien sind
denkbar? Echtzeit / Lebenszeit oder Echtzeit = Le-
benszeit oder Echtzeit + Lebenszeit oder Lebenszeit
- Echtzeit? Was verspielt wirkt, ist netzkultureller
Ernst. Wenn wir heute von User Generated Content
lesen, diesen betreiben und vertreten, sind wir Un-
terhändler komplexer Dynamiken, in denen der Kol-
laps nicht alltäglich ist, aber die Krise des Regelungs-
und Entwurfsdenkens offensichtlich. Kennzeichen
der Netzgegenwart ist nicht mehr Openness, sondern
„Competing paradigms“ (Nina Lilian Etkins). Die
Debatten um Wissen, Aufmerksamkeitsdefizite, Ver-
blödung durch Netzwerke, Rettung von Gesellschaft
(gebildeter, wohlinformierter, reflexionsfördernder
Gesellschaft) sind diese Konkurrenzkämpfe. Es geht
um Deutungshoheiten, um Ordnungsmuster, Leit-
konzepte. Der Kampf um die virtuellen Topologien,
um die politisch-ökonomischen Reichweiten ist im
vollen Gange, nicht erst dokumentiert durch den Cy-
ber-Angriff auf die Atom-Anlagen im Iran, die mit
Siemens-Software arbeiten. Und dies beeinflusst die
Diskussion um Ästhetik und Pragmatik von Offen-
heit erheblich.
Fortsetzung von Seite 14
ManfredFaßler
Manfred Faßler
weiter auf Seite 34
Seite 32 Creative Industries Convention2011
Nicht nur der Anfang der Wertschöpfungskette
– etwa Design und Entwicklung von Produkten –
wird durch Digitalisierung und Standardisierung
der Schnittstellen verändert, sondern auch das Ende
der traditionellen Wertschöpfung, die Produktion.
Traditionelle Manufakturen und die Erzeugung von
Kleinserien folgen in naher Zukunft ganz anderen
Spielregeln als heute.
Das aktuelle Bild von produzierenden Betrieben
ist entweder von handwerklichen Familienbetrieben
oder spezialisierten Abteilungen eines mittelstän-
dischen Unternehmensverbundes geprägt. In diesen
Strukturen werden tradierte Arbeitstechniken von
Generation zu Generation weitergegeben, oder spe-
zialisierte Fertigungstechniken werden durch hohen
maschinellen Einsatz zum Alleinstellungsmerkmal
eines Unternehmens, um standardisierte Produkte
billig fertigen zu können. Diese geschlossenen Ge-
sellschaften funktionieren nach eigenen Spielregeln,
und neue, innovative Fertigung oder kollaborati-
ve Arbeitsmodelle haben es schwer, sich in diesen
Strukturen zu behaupten.
Ein Projekt, das diesen abgeschlossenen Kreislauf
durchbrechen möchte, ist ein kleines Start-up-Un-
ternehmen aus Neuseeland namens Ponoko. Ponoko
selber bezeichnet sich als digitaler Fabrikator und
möchte Gestaltern neue Freiheiten und Konsumen-
ten neue Möglichkeiten der Mitgestaltung geben.
Ponoko
Ein Gestalter kann die digitale Plattform nutzen,
um seine Entwürfe und Schnittpläne eines Produkts
zu präsentieren und zu verkaufen. Kunden, denen
der Entwurf gefällt, können über den hauseigenen
Marktplatz für den Entwurf bezahlen und sich die
Files downloaden. Nach erfolgreichem Download
kann der Kunde beim Produzenten seines Vertrau-
ens oder bei Ponoko das Produkt fertigen lassen.
Anschließend wird es verpackt und an den Kunden
versendet oder verschifft.
Der radikale neue Ansatz von Ponoko verspricht
so die Trennung von Gestaltung, Bezahlung und Pro-
duktion. So kann ein Produkt in Europa entworfen
werden, bezahlt wird über Ponoko in Neuseeland,
und produziert wird bei einer lokalen Produktions-
stätte in den USA.
DIE FABRIK DER ZUKUNFT
BIOGRAFIE
Ponoko nennt ich selbst „your personal factory“ und ist auch ein kleiner, aber wichtiger Hersteller von dreidimensiona-len Produkten mit Sitz in Wel-lington, Neuseeland. Aufgrund seines einzigartigen Geschäfts-modells wurde dem Unterneh-men beträchtliche Medienauf-merksamkeit zuteil. Ponoko ist einer der ersten Hersteller, der den Prinzipien von verteilter Produktion und On-demand-Produktion folgt.
RELATED LINKSponoko.com
Creative Industries Convention2011
Seite 33
Photos: ©Ponoko
Fortsetzung von Seite 32
6. Nur ein kurzer Blick auf Bücherrücken und in
digitale Archive zeigt, dass wir immer noch auf der
Suche nach einem zusammenhängenden Verständ-
nis digitaler Umwandlungen des Informationsalltags
sind. Allein meine bescheidenen Büro-Vorräte zeigen
mir Design-Wörter wie: Cyberspace, Smartmobs,
Virtuelle Realitäten, Intelligente Umgebungen, Wis-
senschaft vom Künstlichen, visueller Intelligenz,
Netzwerke, skalierte Netze, Geospaces, evolutionäre
Algorithmen, nach der Gesellschaftszeit, kulturelle
Evolution, Künstliche Intelligenz, Glokalisierung,
Zweite Moderne, Games, E-Sports, Space Invaders,
Homo Ludens, Screenagers, Interface I, II, III und
immer wieder Medien, Kommunikation, Informa-
tion, Les Immateriaux, Cyborgs, WebLogs, Social
Software, Second Life. Wir verlassen die Fragen, die
zu diesen Titeln führen, ebenso rasch, wie wir die Ti-
tel und manche Argumente konsumieren und darü-
ber lernen.
Vor allem lernen wir dadurch, langsam, aber den-
noch: Die Experimentalkulturen der Welt lassen sich
nicht auf Dinge reduzieren, und diese lassen sich nicht
auf Stoffe und Funktionen reduzieren. Die Dinge sind
erdacht, haben programmatische und generierende
Verwandtschaftsbeziehungen zu den Menschen, und
neuerdings denken die Dinge auch noch, sind vernetzt
und im kybernetischen Sinne interaktiv.
Haben wir eine Idee, ein Konzept, mehrere Ideen
und Konzepte, mit denen wir uns die Zustände un-
seres akuten Gattungslebens erklären können? Nein,
wir suchen noch. Ist auch verständlich. Denn 40 Jah-
re digitale Medien stehen gegen 4000 Jahre analo-
ger Gottes- und Welterklärung gegenüber. Also 1 %
gegen 99 %. Der Einwurf, dass gegenwärtig nicht
nur kleine Haufen von Schlauköpfen, sondern Mil-
liarden von smarten Freunden mitmachen, ist zwar
gut begründbar. Aber die Schwierigkeiten fangen
erst an, denn diese Freunde haben kein gemeinsames
Zuhause, keine eigene Stadt, kein festes Territorium;
die digitale Klassik beginnt mit dem Enden der Jung-
steinzeit. Und Vertriebene sind die Freunde, Fans
und Communities auch nicht, sondern fallen unter
Nomaden, Getriebene, Experimentierer, Entwickler,
Beta-Tester. Wie soll man aber von Kultur reden, von
sozialen Systemen, wenn es keinen abschließenden
Test gibt. Keine Funktionsgarantie, keine dauerhaf-
ten funktionalen Abhängigkeiten? Wovon reden wir
also, wenn wir von Design reden?
7. Eine sprachliche Hilfestellung
hatte Alvin Toffler mit „Prosumer“
geliefert, also die Verschmelzung von
Producer und Consumer. Er reagierte
1980 in „The Third Wave“ mit diesem
Ausdruck auf das Ende der seriellen
Massenproduktion und sah eine stär-
kere Produkt- und Marktmacht des
Konsumenten aufkommen. Seit weni-
gen Jahren gibt es einen Nachfolger für
diesen Neologismus: den „Produser“,
zusammengesetzt aus Producer und
User, oder im Deutschen, etwas un-
elegant: Produtzer (aus Produzent und
Nutzer).
Es ist eine Reaktion auf die kreative
und kollaborative Beteiligung, die in
nutzergesteuerten Projekten erforder-
lich ist. In ihnen werden nicht nur In-
formationen verbreitet, sondern diese
mit Bedeutungsmarkern versehen. Es
werden Inhalte erschaffen, Informati-
onen und Inhalte gesammelt. Sie bil-
den die Struktur für intertemporalen
Konsum von Informationen. Wir fin-
den dies in Bereichen von Open-Sour-
ce-Software, Computerspielen, File-
sharing, VideoHosters, Foto Sharing,
Plattformen wie Flickr, bei Wikipe-
dia, Echtzeit-Sharing. Obwohl unter-
schiedlich in ihrer Ausrichtung, bauen
sie doch auf eine kleine Zahl universel-
ler Grundprinzipien auf.
Dies lenkt das Interesse auf Forma-
te der Informationsumwandlung und
koppelt die Frage nach Konsum an
Produkt und Produktion. Die unter-
legte Vorstellung ist, dass Informa-
tionskonsum common-based sei, in
Peer-to-Peer-Relationen bestehe und
die Innovation durch creative com-
mons garantiert werde. Dies kommt
der endogenen Wachstumstheorie des
portugiesischen Ökonomen Sérgio Re-
belo von 1991 nahe, hilft uns allerdings
keinen Schritt weiter zur Beantwor-
tung der Frage:
ÜBER WELCHE ART VON ZUSAM-
MENHÄNGEN SPRECHEN WIR,
WENN WIR VON INFORMATIONS-
BASIERTEN MENSCHLICHEN LE-
BENSWEISEN SPRECHEN?
8. WIR MÜSSEN ANDERS ANSETZEN. Konsum ist an die Spitze der Problem-
liste gerückt.
Mein Vorschlag ist, endlich von dem
zu reden, was geschieht: von Konsum,
von experimentellem Konsum, konver-
gierendem Konsum, von leistungstei-
gerndem Konsum. Nicht die hehre Re-
flexion im Salon oder Seminar fordert
die Verlangsamung und Selektion von
Informationsströmen, sondern es ist
der konsumierende Körper, es ist die
Bio-Chemie der Wahrnehmung, des
Spaßes, der Sensomotorik, des Wie-
dererkennens, des öden oder elektri-
sierenden Gedankens. Von Kommuni-
kation zu Konsum zu wechseln heißt in
diesem Fall, veränderte Bedingungen
von Zusammenhängen ernst zu neh-
men. Im Zentrum steht lernender, se-
lektiver Konsum. Er umfasst Daten-,
Informations-, Bilder- und Commu-
nity-Konsum. Lernen ist eine zeitlich
überdauernde Änderung von Verhal-
tensmöglichkeiten. Es wird durch Er-
fahrung und Beobachtung, durch Nut-
zung und Reflexion angestoßen. Nicht
jedem wird es gleich und leicht zu-
gänglich sein, von Konsum informati-
onellen Gruppenlebens zu hören. Aber
es geht schon einige Jahre nicht mehr
nur um Daten-, Bilder-, Film-, Infor-
mationsströme, die Menschen über sich
herfallen lassen. Inzwischen scheint
von den Communities und Content-
Netzwerken eine ähnliche Gefährdung
auszugehen wie von Datenmassen.
Gesprochen wird von Content Over-
load (Steve Hardagon), Content Over-
dose (Rob Blatt), von Social Network
Overdose.
Manfred Faßler
weiter aus Seite 36
Seite 34 Creative Industries Convention2011
wienett wurde als Online-Marktplatz für Handwerk
und Design von Kleinunternehmen gegründet. Die
beiden Gründerinnen Anita Posch und Martina Gru-
ber hatten vor mehr als drei Jahren die Idee zu einer
Verkaufsplattform für lokale Produkte. Ziel von wie-
nett is es, einzigartige, handgemachte und nachhalti-
ge Produkte zu vertreiben und mittels Verkaufsaus-
stellungen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich
zu machen. wienett ist gleichzeitig aber auch eine
Community von Kleinunternehmen und Kreativen,
die gemeinsam die Online-Plattform betreiben und
weiterentwickeln.
Durch die Erfahrungen mit wienett und in Zusam-
menarbeit mit vielen Kleinproduzenten wurde im
Sommer 2009 das Manifest „Handwerk 3.0“ für die
Plattform wienett erstellt.
NEUE ARBEIT
Für uns zählt, was länger hält
Im wienett-Online-Shop finden Sie eine große Aus-
wahl an regional und nachhaltig produzierten Wa-
ren. Für die von uns vermarkteten Produkte wurden
weder Menschen noch Umwelt ausgebeutet.
DARAUF LEGEN WIR WERT
- Regionalität
- Faire Arbeitsbedingungen
- Ökologische Aspekte
- Lange Haltbarkeit der Produkte
- In Handwerk bzw. Handarbeit hergestellte Produkte
- Sicherung des Bestehens der Kleinunternehmen
NEUES HANDWERK
Den Begriff HANDWERK 3.0 haben wir von wienett
im Sommer 2009 im Rahmen eines Projekts als Na-
men für eine Verkaufsausstellung geprägt.
Unter HANDWERK 3.0 verstehen wir die Re-
naissance der handwerklichen Berufe unter neuen
Selbstständigen und Entrepreneuren. Dazu zäh-
len Branchen wie Buchbinderei, Schuherzeugung,
Schmuckdesign, Textil- und Möbeldesign etc.
HANDWERK 3.0 erhebt Anspruch auf eigenständi-
ge hochstehende Designleistung, Nachhaltigkeit der
Produkte oder ethische Erzeugung. 3.0 weist auf das
von uns geforderte Verständnis von Arbeit hin. Dieses
ist selbstbestimmt, positiv und schafft Werte – auch
für die Produzentinnen und Produzenten. Damit for-
dern wir ein Ende der Ausbeutung aller selbstständig
Tätigen, nicht nur jene der kreativ arbeitenden Klas-
se. Entrepreneure schaffen Arbeitsplätze, Kreativität
leitet sich ab von Diversität.
3.0 steht auch für Innovation in handwerklichen
Berufen. Und hier vor allem für die Weiterentwick-
lung des bestehenden und verfügbaren handwerk-
lichen Know-hows mit neuen Ansätzen und unter
konkreten Anwendungsbezügen. Dabei werden Er-
zeugnisse und Produkte aus ihren traditionell-be-
kannten Kontexten herausgelöst, neu interpretiert
und entwickelt (prototypisch). Das Ergebnis ist ide-
alerweise ein neues, marktfähiges, individuelles und
lokales Produkt.
wienett
BIOGRAFIE
wienett ist ein Online-Marktplatz von lokalen Produkten für Handwerk und Design. Gegründet wurde die Plattform 2007 von Anita Posch und Martina Gruber. Das Ziel von wienett ist es, einzigartige, handgemachte und nachhaltige Produkte zu vertreiben und mittels Verkaufsausstellungen einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
HANDWERK 3.0
RELATED LINKSwienett.at
Creative Industries Convention2011
Seite 35
Foto: Susanne Jakszus
Fortsetzung von Seite 34
Man spricht im Umfeld des Social Me-
dia Hype von Überlast durch soziale
Netzwerke, von Überdosis an Zusam-
menhängen. Wer hätte vor fünf Jahren
gedacht, dass irgendwann eine Über-
dosis von Sozialem als Kritik an digi-
talen Zustandsänderungen erfunden
wird. Überdosis? War denn das Soziale
der letzten Jahrhunderte der Heilige
Gral der Moderne, der jetzt angerufen
wird, um zu retten, was noch zu retten
ist? Also keine OPENNESS, sondern
konventionelle CLOSEDNESS? Und
was soll das sein? Und wie kann OPEN
COMMUNITY DESIGN sich dem ge-
genüber aufstellen?
Aus den digitalen Communities kom-
men Vorschläge, die sich nur auf die-
se beziehen – was ja schlüssig ist. Der
Content Overdose wird ein wenig
technologische Assistenz nachgescho-
ben: ping.fm, um Nachrichten gleich-
zeitig zu aktualisieren, TweetDeck,
um Nachfolger dieser Nachrichten zu
selektieren, RSS, um Blogs, Websites,
Updates strukturiert zu lesen.
Es bleibt allerdings die Befürchtung,
am Sozialen der Netzwerke zu schei-
tern, im Sozialen zu scheitern, so als
verriete Social Software das Soziale.
Soll klassen-, schicht-, funktional-dif-
ferenzierte Gesellschaft gegen Social
Networks ideologisch aktiviert wer-
den?
Wir haben in den Jahrzehnten der di-
gitalen Überwältigung nicht gelernt,
von Schaltern, Ports, Festplatten, Soft-
Hard-Wetware, Informationsströmen,
Daten den Abstand zu nehmen, der
erlaubt, von der Informationsästhetik
“DAS KREATIVE
PARADOX DES DESIGN CONSUMING CONTENT,
DIE SICH VERZEHRENDEOFFENHEIT, DIE IMMER
AUF EIN NEUES EREIGNIS ZIELT.
”Manfred Faßler
zum intelligenten Konsum zu wech-
seln, eine Verfassung informationell
organisierten Lebens zu denken. Wir
redeten und reden von Interaktivität,
Immersion, Partizipation, delibera-
tiver oder direkter Demokratie, von
Kreativität – allerdings mangelt es
grundlegend an Debatten um ökono-
mische, normative, juridische, ethi-
sche, konkurrenzielle Verfassung in-
formationeller Zusammenhänge.
9. Hat das noch mit Kultur, mit
Ökonomie, mit Gesellschaft, mit Po-
litik, mit Öffentlichkeit zu tun? Wenn
ja, in welchem Sinne noch? Wenn nein:
Gibt es anschlussfähige Veränderun-
gen? Wenn wiederum nein: Was treibt
uns an? Welche Regeln befolgen wir?
Oder sind Regeln nur noch Optionen,
Einwürfe vom Kanal- oder Straßen-
rand? Und welche Optionen befür-
worten wir? Michel Bauwens schrieb
2005 über „Peer to Peer and Human
Evolution“ und besprach damit, wie
er es meinte, integrale Prozesse der
Informationsnutzung. Das hieß so viel
wie: Lasst die Beobachtungshaltun-
gen von außen weg. Chris Anderson
brachte 2006 „The Long Tail“ auf den
Markt mit dem Untertitel: „How End-
less Choice Is Creating Unlimited De-
mand“. Beide Sichtweisen verlagerten
die Aufmerksamkeit in die Prozesse,
deren Formate unklar, noch nicht exis-
tent sind. So, als erzeuge erst der Kon-
sum von Informationen die Informati-
onsökonomie, die wieder Konsum von
Information erzeugt, konnte man von
integralem Konsum sprechen und von
„intertemporalem Konsum“ (A. Stobbe
1991).
Die Idee hinter dem Ausdruck „inter-
temporaler Konsum“, wie ihn Stobbe
und andere verwenden, ist eine Spar-
entscheidung, Verzinsung. Es liegt also
rationale Einzel-Entscheidung zu-
grunde. Beeinflusst.
Nun lässt sich der Ausdruck aller-
dings auch anders verwenden, und
zwar als Konsum ohne klares Ziel,
als Zufalls- oder Vernetzungskonsum.
Hierfür kann Konsum aus der Einzel-
Entscheidung in vernetzte oder Grup-
penentscheidungen übersetzt werden.
Das wird nicht jedem zugänglich sein:
Gruppenkonsum.
Der zwischenzeitliche, vorbereitende
Konsum wäre so übersetzbar in inter-
aktiven Konsum. Möglich, dass diese
Formulierung dem eingeübten Sprach-
gefühl widerspricht, da wir daran ge-
wöhnt sind, Konsum ausschließlich
individuell oder mikroökonomisch zu
verstehen. Interaktiver Konsum setzt
auf Vernetzung, stellt das Individuum
in die Warteschlange der Befriedigung.
Wir haben also eine dreifache Bestim-
mung von Konsum erlangt.
10. Nicht User Generated Content,
sondern Content Consuming Design,
um Content Generated Design zu er-
reichen. Es geht dabei um das kreative
Pradox des Design Consuming Content,
oder: die sich verzehrende Offenheit,
die immer auf ein neues Ereignis zielt.
Also: Welche Community wird gesucht,
gewünscht, entworfen, erträumt, pro-
grammiert? Offenheit heißt dann: sich
auf die Heterogenität der Herkünfte
von Ideen und der Zukünfte von Pro-
jekten einzustellen. Kein Zufallsdesign
also, sondern die Pflicht, die Gestalten
von Offenheit hin auf offene Zivilisati-
on zu entwerfen. WO ist also OFFEN?
In den sich immerfort ändernden Ko-
operationen der Menschen.
Manfred FaßlerSeite 36 Creative Industries Convention2011
DIE AUSBREITUNG DER FAB LABS
Mit der Verfügbarkeit digitaler Herstellungstechniken können sich
Gemeinschaftswerkstätten und Hackerspaces zu den Inkubatoren
des Digitalzeitalters mausern, zu sogenannten Fab Labs (Kurzform
von fabrication laboratory).
Diese Initiativen basieren auf einem Konzept, das am MIT durch
Neil Gershenfeld entwickelt wurde. Sie bestehen typischerweise
aus einer Werkstatt, die mit verhältnismäßig günstigen, computer-
gesteuerten Maschinen bestückt ist – Laserschneider, CNC-Fräsen,
3D-Drucker. Ihre Benutzer produzieren Dinge, die früher nur auf
teuren Hunderttausend-Euro-Maschinen herzustellen waren. Mit
digitalen Werkstattzeichnungen und Open-Source-Software wer-
den die Maschinen angesteuert. Und in den Labs entstehen auch
elektronische Schaltkreise und digitale Gadgets.
Das Fab Lab-Netzwerk ist von einer Handvoll Labs 2004 zu einer
Community von über fünfzig aktiven Labs gewachsen, ebenso viele
sind in Vorbereitung. Manche der Labs stehen an Schulen und Uni-
versitäten, einige funktionieren als Business-Inkubatoren für Erfin-
der und Bastler, und wieder andere sind zu echten Katalysatoren für
Künstler, Designer und Kreative geworden.
Die Alpinregion hat das Konzept Fab Lab verhältnismäßig langsam
aufgegriffen. Das Ars Electronica Center in Linz betreibt ein Fab
Lab, ausgestattet mit einer kleinen Auswahl von digitalen Fabri-
kationsmitteln ist es mehr auf spielerisches Lernen denn auf Open
Design ausgerichtet. Das Wiener Happylab – gegründet 2006 als
„Keimzelle der Innovation“ und später Hackerspace – wurde kürz-
lich zum Fab Lab umgetauft. Das erste Fab Lab in der Schweiz ist
eben in Luzern eröffnet worden, weitere Fab Labs sind in Erlangen-
Nürnberg und in München geplant.
Fab Labs unterscheiden sich von herkömmlichen
Gemeinschaftswerkstätten durch die Fab-Charta,
der sich alle Fab Labs explizit verpflichten. Sie ist
Grundlage des globalen Netzwerks lokaler Fab Labs,
postuliert freien Zugang zu den Labs und legt das
Fundament für das gegenseitige Voneinander-Lernen
als Grundprinzip im Fab Lab.
Die Fab-Charta macht Fab Labs zum idealen Ort
für Open Design. Sie fordert nämlich, dass „Entwür-
fe und Prozesse, die im Fab Lab entwickelt wurden,
für persönlichen Gebrauch frei verfügbar bleiben.“
Abgesehen davon ist es gestattet, geistiges Eigentum
zu schützen, wie immer man das will. Mehr noch, die
Charta sagt, dass kommerzielle Aktivitäten im Fab
Lab entwickelt werden können, solange sie den freien
Zugang nicht behindern. Wenn ein Business erfolg-
reich ist, soll es außerhalb des Labs weiter wachsen
und jenen Erfindern, Labs und Netzwerken, die zum
Erfolg beigetragen haben, davon etwas zurückgeben.
Fab Labs verbinden ein interessantes Gemisch aus
Eigenschaften, die auf den ersten Blick widersprüch-
lich erscheinen, aber vielleicht die beste praktische
Annäherung sind an das, was Yochai Benkler com-
mons-basierte Peer-Produktion nennt. Sie gibt mehr
Menschen mehr Kontrolle über die eigene Produktivi-
tät, selbstbestimmt und gemeinschaftsorientiert, also
die wesentliche Basis von Open Design.
Peter Troxler
RELATED LINKSopendesignnow.orgpetertroxler.net
BIOGRAFIE
Peter Troxler ist ein unabhängiger Forscher an der Schnittstelle zwischen Be-triebswirtschaft, Gesellschaft und Technologie. Seine Inter-essen und Kompetenzen liegen im Bereich Managementsys-teme, wie etwa Qualitäts- und Wissensmanagement. Zurzeit ist er Herausgeber des Buches „Open Design Now – Why Design Can No Longer Be Exclusive“.
Peter TroxlerCreative Industries Convention2011
Seite 37
Foto: Light bottles, http://www.flickr.com/photos/fablabamsterdam/
Foto: www.happylab.at © INNOC
James: Collage aus 380 Bildern unter CC-by Lizenz (siehe Seite 21)Künstler: Evan Jones
James: Collage of 380 pictures under CC-by license (page 21)Artist: Evan Jones