Auditory Scene Analysis
Klaus FrielerUniversität Hamburg
Musikwissenschaftliches Institut
Seminar 56.803, SoSe 08
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Überblick
• Einleitung• Gestaltpsychologie• Vertikale Integration• Horizontale Integration
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Einleitung
• Das auditorische System formt aus dem Strom der einkommenden Schallwellen eigenständige, unzerlegbare Einheiten
• „Vom Chaos zum Kosmos“: Aus Schall werden auditorischen Gestalten
• Zentrale Fragestellung:Was wird wann wie von wo wahrgenommen?
• Biologische Funktion: (Relevante) Objekte auch auditorisch als solche wahrzunehmen
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Einleitung
• Die Untersuchung dieser Fragen ist Gegenstand der Auditorischen Szenen Analyse
• Wichtige Forscher: – Albert Bregmann (Auditory Scene Analysis, 1990) – Diana Deutsch (z.B. in The Psychology of Music,
1982, 1999)
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Einleitung
• Wichtigste „Was“ ist die Bildung der auditorischen Grundgestalten, die „Töne“
• Allgemeiner: Auditorische Ereignisse. Wichtige Eigenschaften: Anfang, Ende, Tonhöhe, Klangfarbe, etc.
• Vertikale Integration: Wie werden Teile des Klanges (Spektrums) zu Einheiten zusammen“gebunden“? (Bindungsproblem)
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Einleitung
• Hierarchischer Prozess: Aus Grundgestalten (aud. Ereignisse) werden höher Gestalten durch Gruppierungsprozesse gebildet
• Horizontale Integration: Welche Ereignisse werden unter welchen Umständen zu einem auditorischen Strom zusammengefasst?
• Wichtige Prinzipien und Regeln liefert u. a. die Gestaltpsychologie
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Gestaltpsychologie
• Begründet durch Christian von Ehrenfels‘ Arbeit Über Gestaltqualitäten (1890)
• Eine Gestalt ist mehr als die „Summe“ seiner Teile (Übersummativität)
• Eine Gestalt bleibt erhalten auch wenn man sie „verschiebt“ (Transponierbarkeit)
• Eine Gestalt entsteht somit vor allem aus den Relationen von Objekten als ein „Ganzes“, als Einheit in der Wahrnehmung
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Gestaltpsychologie: Geschichtlich
• Ehrenfels war Schüler von Franz Brentano, wie auch Carl Stumpf, Edmund Husserl, Alexius Meinong…
• Einflüsse von Goethe, Kant, Mach • Die Gestaltpsychologie entwickelte sich in den
1910er und 1920er Jahren zu voller Blüte• Berliner Schule (Gestalttheorie): Max Wertheimer,
Kurt Koffka, Wolfgang Köhler (alles Stumpf-Schüler), Kurt Lewin, Wolfgang Metzger
• Wiederentdeckung durch die kognitive Psychologie, bis heute einflussreich
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Gestaltpsychologie: Prinzipien
• Emergenz, Reifizierung, Multistabilität, Invarianz
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Gestaltgesetze
• Gesetz der Prägnanz („gute Gestalt“: Einfach, symmetrisch, geordnet…)
• Gesetz der Nähe• Gesetz der Ähnlichkeit• Gesetz der guten Fortsetzung• Gesetz der Geschlossenheit• Gesetz des gemeinsamen Schicksals
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Gestaltgesetze: Beispiele
• Ähnlichkeit Nähe Geschlossenheit
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Vertikale Integration
• Bildung von Einzeltönen aus einem Spektralgemisch
• Wichtigste Faktoren:– Harmonizität– Einsatzsynchronizität– Klangliche Kontinuität– Gemeinsame Modulation (Frequenz,
Amplitudenmod.)– Lokalisation
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Harmonizität
• Viele natürliche Schallquellen (auch Sprache) haben (näherungsweise) ein periodisches Spektrum mit Frequenzmaxima in ganzzahligen Abstand
• Bildung eines internen Erwartungschema für derlei Klänge ermöglicht Identifizierung von Schallquellen
• Klänge mit harmonischen Teiltönen führen zu eindeutiger Tonwahrnehmung, inharmonische Spektra zu mehrdeutigen
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Einsatzsynchronizität
• Spektralteile, die zu gleicher Zeit erscheinen stammen wahrscheinlich von einer einzigen Schallquelle: Sie werden eher einem einzigen Ereignis zugeordnet
• Kubovy (1976) schaltete in einen 8-tönigen Akkord Komponenten aus und an: Wahrnehmung einer Melodie
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Auditorische Kontinuität
• Picket-Fence-Effekt: Auch wenn Teile eines Klanges unterbrochen werden, werden sie als durchgehend wahrgenommen
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Auditorische Kontinuität
• Miller und Licklider (1950) : "The watchdog gave a warning growl“
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Modulation
• McAdams (1989): Frequenzmodulierte Vokale sind leichter zu erkennen
• Doch: Raumeigenschaften verschleiern Frequenzmodulation. Effekt durch Amplituden modulation?
• Doch auch Effekte durch Amplitudenmodulation ließen sich nicht eindeutig nachweisen
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Lokalisation
• Schallwellen kommen je nach Lokalisation der Quelle unterschiedlich in den Ohren an: Potenzielle Informationsquelle
• Doch nur untergeordneter Effekt, wird benutzt, wenn keine anderen Hinweise vorhanden sind
• Information aus beiden Ohren wird primär integriert: Z. B. führen harmonische Teiltöne eines Klanges verteilt auf beide Ohren zu einer einzigen Tonwahrnehmung
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Horizontale Integration
• Erkennen Sie die Melodie?
• Vielleicht so?
• Und jetzt?
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Strombildung - Stromtrennung
• Sind spektrale Komponenten zu auditorischen Gestalten gruppiert, werden diese auch horizontal gruppiert: Auditorische Ströme (auditory streams)
• Strombildung- und trennung sind komplementäre Effekte (Figur-Grund)
• Schallquellen emittieren meisten Folgen von Ereignisse, nicht nur Einzelereignisse
• Beispiel: Der Cocktail-Party-Effekt
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Strombildung - Monophon
• Eine monophone Folge von Tönen kann in zwei oder mehr einzelne aud. Ströme zerfallen (Pseudopolyphonie)
• Wichtigste Faktoren: – Tonhöhennähe (pitch proximity)– Zeitliche Nähe (temporal proximity)– Klangfarbenähnlichkeit
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Strombildung - Monophon
• Je größer der Tonhöhenunterschied desto eher werden Einzelströme gebildet
• Je größer der Tonhöhenunterschied desto schneller muss das Tempo sein, damit sich Ströme bilden
• Aufmerksamkeit kann den Prozess der Strombildung beeinflussen
• Wiederholung von Mustern begünstigt die Strombildung
• Strombildung erschwert die Beurteilung zeitlicher Verhältnisse zwischen den Strömen: Unabhängigkeit
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Strombildung - Monophon
• Töne ähnlicher Klangfarbe bilden eher einen Strom
• Bei geringen Tonhöhenunterschieden kann Strombildung durch Klangfarbe gewährleistet bleiben
• Tonfolgen die eine „gute“ Fortsetzung bilden werden eher einen Strom zugeordnet
• Töne ähnlicher Lautstärke können einen Strom bilden (~5 dB Amplitudenunterschied)
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Strombildung - Polyphon
• In einer polyphonen Umgebung werden einzelne auditorische Ereignisse verschiedenen Strömen zugeordnet, z. B. beim Heraushören der Melodiestimme
• Im Wesentlichen dieselben Prinzipien wie im monophonen Fall. Tonhöhennähe am wichtigsten.
• Übersprechungseffekte: Zuordnung von Ereignissen aus verschiedenen Schallquellen zu einem Strom
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Strombildung - Polyphon
• Diana Deutsch‘ Skalenillusion (1974)
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Strombildung - Polyphon
• Emergente melodische Muster wurden in der Musikpraxis ausgenutzt
• Beispiele:– Amadinda Musik aus Uganda– Minimal Music (Steve Reich etc.)– Tschaikowski 6. Symphonie, 4. Satz – Györgi Ligetis Klavieretüden
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Einschub: Shepard-Töne
• Von Roger Shepard (1964) konstruiert • Teiltöne in Oktavabstand, fixiertes glockenförmiges
Spektrum • Illusion ewig fallender oder steigender Töne
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Strombildung - Polyphon
• Diana Deutsch‘ Tritonusparadox (1987)• Fallend oder steigend?
Klaus Frieler: Auditory Scene Analysis
Strombildung - Polyphon
• Diana Deutsch‘ Oktavillusion (1974)
Top Related