VERHALTENSSTOERUNGEN UND STEREOTYPIEN DES PFERDES · Stereotypien beim Pferd Vorlesungsunterlagen...

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VERHALTENSSTOERUNGEN UND STEREOTYPIEN DES PFERDES Veterinr-Chirurgische Klinik der Universitt Zürich Vorlesungsunterlagen Dr. A. Fürst Mrz 2001 Verhaltensstrungen sind bei vielen in Gefangenschaft gehaltenen Tieren hufig. Dies gilt für die meisten Haus- wie auch Zootiere. Verschiedene Stereotypien des Pferdes INHALTSVERZEICHNIS A. Einleitung B. Verschiedene Stereotypien/Verhaltensstrungen Weben Holzfressen Koprophagie Selbsttraumatisierung Gegen die Boxenwand schlagen Koppen

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VERHALTENSSTOERUNGEN UND STEREOTYPIENDES PFERDES

Veterinär-Chirurgische Klinik der Universität ZürichVorlesungsunterlagen

Dr. A. FürstMärz 2001

Verhaltensstörungen sind bei vielen �in Gefangenschaft gehaltenen Tieren�häufig. Dies gilt für die meisten Haus- wie auch Zootiere.

Verschiedene Stereotypien des Pferdes

INHALTSVERZEICHNIS

A. EinleitungB. Verschiedene Stereotypien/Verhaltensstörungen

WebenHolzfressenKoprophagieSelbsttraumatisierungGegen die Boxenwand schlagenKoppen

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Stereotypien beim Pferd Vorlesungsunterlagen 2001 A. Fürst 2

A. EINLEITUNG

1. Definitionen:

Verhaltensabweichung = Verhalten, das nicht von 95 % aller Pferde gezeigt wird.

Verhaltensstörung = Verhaltensabweichung, die dem Pferd selbst oder einemanderen Pferd Schmerzen oder Beschädigung zufügt.

Stereotypie = Handlung, die regelmässig wiederholt wird, in ihrem Ablauf bis insDetail fixiert ist und sinnlos erscheint.

Nicht nur bei den Pferden, sondern auch im Zoo, im Schweinestall und beianderen in menschenbeeinflussten, artfremden Haltungsformen gehaltenenTieren können häufig Stereotypien beobachtet werden. Interessanterweisewerden die Stereotypien auch bei Wildpferden, die in Zoos gehalten werden,beobachtet, während sie bei freilebenden Wildpferden äusserst selten sind. DieStereotypien entwickeln sich aus einer verhaltensähnlichen Bewegung, womitman auch erklären kann, wie die verschiedenen Stereotypien bei denverschiedenen Tierarten entstehen. Ca. 15 % aller Pferde zeigen irgendwelcheArten von Stereotypien.

2. Ursache:

Das Pferd wird heute in einer Umgebung gehalten, welche den ursprünglichenLebensgewohnheiten und Bedürfnissen des Pferdes in keiner Weise entspricht.Die Aenderung der Haltung und Beschäftigung haben zudem so raschstattgefunden, dass das Pferd keine Möglichkeit hatte, sich der neuen Umwelt"durch Mutation und Selektion" anzupassen. Untersuchungen bei denverschiedenen Pferdesportarten haben gezeigt, dass Stereotypien beiDressurpferden häufiger als bei Vielseitigkeitspferden sind, was wahrscheinlichauch mit der unterschiedlich langer Stallhaltung zusammenhängen könnte.

Während der Evolution hat sich das Pferd zu einem Steppentier entwickelt, das

a. in intensivem Kontakt mit Sozialgenossen in einer Herde lebteb. ständig in Bewegung warc. genügend Platz hatte undd. während ca. 16 h/Tag rohfaserreiches Futter aufnahm.

Die Pferde leiden heute im allgemeinen unter folgenden Missständen:

a. Fehlender Sozialkontakt: Einzelhaltung und -haftb. Fehlende Hierarchie: Das Pferd benötigt eine klare Rangordnung, sowohl i n

Bezug auf Artgenossen als auch in Bezug auf den Mensch. Mit den heutigenHaltungsformen fehlt die Möglichkeit der Etablierung einer Hirarchie

c. Zuwenig Platz

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d. Zuwenig strukturiertes Futtere. Sexuelle Frustrationen (vor allem bei Hengsten)f. Langeweile: 2 Stunden Fressen, 2 Stunden Bewegung und 20 Stunden Warteng. Reizverarmung

Diese unphysiologischen und nicht dem Wesen des Pferdes entsprechendenZustände führen zu einer starken Stresssituation. Die meisten Pferde könnendamit fertig werden, aber einige Pferde entwickeln Verhaltensabweichungen,Verhaltensstörungen und/oder Stereotypien. Wir dürfen dieseVerhaltensabweichungen, Verhaltensstörungen und/oder Stereotypien nicht alsUntugenden betrachten, sondern müssen sie als "Selbsthilfe" gegen artatypischeHaltung und Fütterung ansehen. Es konnte gezeigt werden, dass Pferde währendder Ausführung stereotyper Bewegungen erniedrigte Herzfrequenzen haben.

Vor allem die Stereotypien führen zu einer Ausschüttung von endogenenOpiaten, die für das Pferd beruhigend wirken. Das heisst, dass das Pferd eineMöglichkeit gefunden hat, mit dieser unangenehmen Stresssituation fertig zuwerden. Wir können diese Stereotypien mit den Süchten des Menschenvergleichen und beschreiben das Problem besser, wenn wir von süchtigen undnicht von unartigen Pferden sprechen. Auch ist die Therapie ebenso schwierigund mit vielen Misserfolgen verbunden wie die des süchtigen Menschen.

Am Anfang einer Stereotypie stehenVerdrängungs- und Uebersprungshandlungen: Scharren, BeissenIntentionshandlungen: KopfbewegungenPhantombewegungen: Abwehrbewegungen gegen nichtexistente Fliegen

Aus diesen besonderen Verhaltensweisen entwickeln sich dann dieverschiedensten Stereotypien.Obwohl viele Pferde unter einer schlechten Haltung und Fütterung leiden,zeigen relativ wenige eine Stereotypie. Dies hängt damit zusammen, dass einezusätzliche genetische Prädisposition notwendig ist, damit sich dieseStereotypien entwickeln.

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3. Therapie und Prophylaxe:

a. Artgerechte Haltung und Fütterung

An erster Stelle jeder �Behandlung einer Stereotypie� muss die Beseitigung derUrsache stehen. Damit kommt der artgerechten Haltung und Fütterung einegrosse Bedeutung zu, die in allen Fällen gewährleistet werden sollte.

a. Sozialkontakt gewährleisten: Im Notfall auch durch eine andere Tierart sein,wie zum Beispiel eine Ziege.

b. Genügend Rohfasern verabreichen

c. Viel Bewegung, Weidewechsel, Ortswechsel

d. Boxenklima optimieren:Temperaturen: 10-15 GradFeuchtigkeit: 60-80 % (Das Pferd scheidet ca. 300 ml Wasser pro Stunde aus)Luftgeschwindigkeit: 0.1-0.3 m/sec; keine Zugluft. Unter Zugluft versteht maneinen Luftstrom, der kälter als die Umgebung ist und mit hoherGeschwindigkeit punktuell auf das Pferd auftrifft. Damit gibt es schon perdefinitionem im Freien keine Zugluft.

Aber:

Wenn sich eine Stereotypie etabliert hat, kann diese auch mit der besten Haltungund Fütterung nur in den wenigsten Fällen zum Verschwinden gebrachtwerden.

b. Zwangsmassnahmen: Pferd ausbinden

Dies führt selten zum Erfolg und stellt eine weitere Stresssituation für das Pferddar.

c. Verhaltenstherapien

Es ist sehr wichtig, dass der Auslöser der Stereotypie erkannt und beseitigt wird.In vielen Fällen kann das Pferd durch die Stereotypie etwas erreichen, wofür esnoch belohnt wird, zum Beispiel wenn es vor der Fütterung an die Boxenwandklopft. Daher ist es ausserordentlich wichtig, dass dieses Verhalten auf keinenFall mehr belohnt wird.

d. Medikamentöse Therapie:

Verschiedene Medikamente wurden bei Pferden schon mehrmals mit Erfolgeingesetzt. Die Nachteile sind aber die hohen Kosten, die Dauertherapie und dieNebenwirkungen. Zudem hat dies mit kausaler Therapie wenig zu tun. Weitermuss man beachten, dass die meisten Therapien beim Pferd noch wenig erforschtsind und somit wenig über die genaue Wirkungsweise bekannt ist.

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Hormone für die Zykluskontrolle bei den Stuten sowie für das Unterdrückeneines übermässigen Hengstverhaltens.

GestageneProgesteronöl: 150-300 mg/Pferd i.m. jeden zweiten TagAltrenogest: 0.04 mg/kg = 20 mg/500 kg/Tag poDie Wirkung von Medroxyprogesteronazetat und Megestrolazetat istunsicher beim Pferd

Prostaglandinekönnen eingesetzt werden, um den Diöstrus zu kürzen

HCGbeendet Ovulation und verkürzt damit den Oestrus

Serotoninagonisten und -antagonisten

Serotoninantagonisten und Serotoninagonisten haben in derHumanmedizin in den letzten Jahren sehr weite Verbreitung gefunden.Wirkstoffe wie Fluoxetin (Prozak®), Imipramine, Clomipramine undandere zählen zu den häufig verabreichten Medikamenten gegenDepressionen, Angstgefühle und andere Psychosen. Diese Psychopharmakawerden immer mehr auch in der Veterinärmedizin mit Erfolg eingesetzt.

L-Trypthophan = essentielle AminosäureDosierung:2-6 mg/kg po, 2x täglich = 1-3 g / 500 kg PferdPräparate: Equistro-Equiliser®enthält: Magnesiumfumarat, L-Tryptophan: 100 000mg/500kg = 40 000/20g/500 kg = 80 mg/kg ; Vit B1 und Vit B6 sowie Nicotinsäure

Clomipramine = Triyzkl. AntidepressivumDosierung:1-2 mg/kg 2x täglich po = 0.5 - 1 g / 500 kg PferdPräparate:Anafranil®, NovartisNebenwirkungen: Kolik

Cyproheptadin = SerotoninantagonistDosierung0.1-0.2 mg/kg po bidNebenwirkungen: Kolik

Carbamazepin 4 mg/kg q6-8h po Präparat: Tegretol, Kosten: ca. 9-10 sFr./Tagfür normales 500kg Pferd.

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Opiatagonisten und �antagonisten

NaloxoneDosierung: 0.02-0.04 mg/kg iv

NaltrexoneDosierung: 0.04 mg/kg iv

Nalmefene

Verschiedene Medikamente

MelatoninDosierung: 20-30 mg/kg täglich

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B. VERSCHIEDENESTEREOTYPIEN/VERHALTENSSTOERUNGEN

Motorische Stereotypien

WebenScharren, StampfenKlopfen und Schlagen an die BoxenwändeSchweifscheuernKreisgehen in der BoxeKopfschütteln, -schlagenKoprophagie

Orale Stereotypien

KoppenHolzfressen, Benagen, BarrenwetzenSelbsttraumatisierung

I. Weben

Das Pferd steht breitbeinig da und verlagert das Gewicht von einem Vorderbeinauf das andere und bewegt dabei den Kopf nach links und rechts.

II. Holzfressen

Wesen: Das Pferd nagt an der Boxentüre, -fenster,...

Ursache: Die Ursache für das Holzfressen ist ein Mangel an Rohfasern in derangebotenen Nahrung. In der freien Natur fressen die Pferde neben dem Grasauch Büsche und Baumäste. Je energiereicher die angebotene Nahrung ist, destomehr Zeit verbringen die Pferde mit dem Fressen von Holz. Folgen dieserUntugend ist die Zerstörung der Boxe.

Behandlung: Mehr Rohfasern und Mineralstoffe in der Nahrung anbieten. Alsletzte Massnahme können die Holzbaustoffe mit "stinkenden Farben" angemaltwerden.

Beschäftigungstherapie: Man gibt Nahrung in einen Behälter, aus dem das PferdFutter bekommt, wenn es mit dem Maul mehrere Sekunden dagegen presst.

III. Koprophagie

Die Koprophagie ist bei Fohlen normal; wahrscheinlich liegt der Sinn darin, dasssie mittels der Koprophagie die Mikroorganismen der adulten Pferde in ihrenVerdauungstrakt bringen. Meistens fressen Fohlen den Mist der Mutter, vorallem frischen Mist (noch keine infektiösen Nematodenstadien) und vermehrt

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während der "Umstellung von Flüssig- zu Festnahrung".

Normalerweise fressen adulte Pferde kein Gras, das mit Kot kontaminiert ist. Beiadulten Pferden kann ein Mangel an Rohfasern oder an Proteinen zurKoprophagie führen. Auf diese Weise nehmen die Pferde vermehrt Rohfasernund Proteine auf.

IV. Selbsttraumatisierung

Symptome: Die Pferde beissen sich selbst in die Flanke, in den Unterarm oder i ndie Brust; kommt bei Hengsten häufiger vor.

Therapie: Bewegung sehr wichtig, rohfaserreiche Fütterung, eventuellKastration, ev. Progesteroninjektionen.

P.S.: Diese "Stereotypie" kommt auch beim Menschen vor. Durch täglichesJoggen von mehreren Kilometern kann diese "Krankheit" geheilt werden.

V. Gegen die Boxen schlagen

Die Pferde schlagen mit den Vordergliedmassen oder mit den Sprunggelenkengegen die Boxenwände. Dies kann zu Schäden an Knochen und Weichteilenführen. Meistens entwickeln sich diese Stereotypien als Folge der verschiedenenolfaktorischen, akkustischen und visuellen Reize im Zusammenhang mit derFütterung. Zusätzliche wird das Pferd dann noch mit Futter belohnt, so dass dieseStereotypie weitergeführt wird.

Folgen: Piephacke (=Entzündung der Bursa calcanea subkutanea) undKarpalschwamm (Entzündung dorsal vom Karpus)

Therapie: Unregelmässige Fütterungszeiten.

VI. Headshaking = Kopfschütteln/-schlagen

Unter dem Kopfschütteln /-schlagen versteht man rhythmische Bewegungen desKopfes in vertikaler oder horizontaler Richtung, die ohne erkennbaren äusserenReiz ausgeführt werden. Diese Bewegungen können eine solche Intensitätannehmen, dass sie eine reiterliche Nutzung des Pferdes unmöglich machen.

Ursachen:

1. Symptomatisches Kopfschütteln: In wenigen Fällen (ca. 10 %) könnenorganische Ursachen wie Nasennebenhöhlen-, Luftsack-, Augen-, Ohren- oderWirbelsäulenerkrankungen, -oder anderes gefunden werden. Aus diesem Grundist eine ausführliche Untersuchung des Pferdes sehr wichtig.Differentialdiagnostisch ist in diesem Zusammenhang auch eine allergischeRhinitis zu nennen, die unter Umständen nur ausserhalb der Reithalle zustarken Symptomen führen kann.

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2. Photosensitives Kopfschütteln: Bei diesen Pferden wird das Kopfschütteln vorallem durch helles Licht ausgelöst. Damit wird dies vor allem im Frühjahr undSommer zum grossen Problem. Es soll eine gewisse Aehnlichkeit mit derphotosensitiven Rhinitis des Menschen bestehen. Durch eine Reizung des N.opticus, verbunden vielleicht mit einer Hypersensitivität des N. infraorbitalis,kann das Kopfschütteln ausgelöst werden. Typisch für das photosensitiveKopfschütteln ist die Tatsache, dass die Symptomatik bei Sonnenlicht starkzunimmt und durch das Abdecken der Augen gemildert werden kann.

3. Ideopathisches Kopfschütteln: Das Pferd schüttelt ohne erkennbare Ursacheden Kopf sehr fest, was eventuell als Stereotypie zu deuten ist. Vielleicht wurdedieses Verhalten durch eine Belohnung positiv verstärkt. Die Tiere habengelernt, dass sie durch Intensivierung des Kopfschlagens der Arbeit entgehenkönnen.

Therapie:

ad 1: Je nach Ursache muss die entsprechende Therapie eingeleitet werden.

ad 2: Die Augen sollten mit einer netzartigen Maske abdeckt werden, wodurchder Lichteinfall reduziert wird.In früheren Jahren wurde der N. infraorbitalis neurektomiert, was aber infolgeder gestörten Sensibilität zu erheblichen Nebenwirkungen geführt hat, so dassdiese Therapie heute nicht mehr ausgeführt wird.Cyproheptadin: 0.3-0.4 mg/kg 2 x täglich p.o. (Serotoninantagonist): diesesMedikament muss als Dauertherapie verabreicht werden. HäufigeNebenwirkungen wie Koliken und auch die vielen Rezidive haben die weiteAnwendung eingeschränkt.Carbamazepin: für 10-20 Tg. in Kombination mit Cyproheptadine; Besserung biszu 100% in 80-90% der Fälle beschrieben. Ev. höhere Dosierung nötig.Cyproheptadine alleine oft ohne Erfolg. Carbamazepin alleine ergab Erfolg in 88%der Fälle, aber Resultate waren unvorhersehbar.Melatonin: 20-30 mg/kg, sid täglich p. o.

ad 3: Es kann Tryptophan oder Clomipramin versucht werden.

VI. Koppen

1. Was versteht man unter Koppen (=Aerophagie, cribbing, crib-biting, windsucking):

Das Koppen ist eine der bekanntesten Verhaltensstörungen des Pferdes, worübersich erste Berichte schon im 16. Jahrhundert finden. Unter Koppen versteht mandie Oeffnung des Schlundkopfes durch die Kontraktion der unterenHalsmuskulatur, woraufhin Luft in den Oesophagus einströmt, was in der Regelein typisches Geräusch hervorruft, den sogenannten Kopperton. Geschieht dies,in dem die oberen Schneidezähne auf einen Gegenstand (Zaunlatten,

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Futterkrippe, Tränkebecken, Anbindestrick, Karpalgelenke, andere Pferde)aufgesetzt werden oder in selteneren Fällen ein Gegestand mit den oberen undunteren Schneidezähne erfasst wird, spricht man vom Aufsetzkoppen. Häufigwird das Koppen durch Belecken der Stelle eingeleitet, die dann zum Aufsetzengenutzt wird. Wird dagegen das Koppen mit freigehaltenem Kopf ausgeführt,bezeichnet man dies als Freikoppen.

Der eigentliche Koppvorgang lässt sich in drei Phasen einteilen:

Erste Phase: Der Aufsetztkopper setzt seine Schneidezähne bei stark gebogenemHals auf einen festen Gegenstand auf. Der Freikopper beugt den Kopf meist etwaspendelnd gegen die Brust und lässt ihn dann wieder nach vorne schnellen undführt dabei auch eigentümliche Lippenbewegungen durch. Gleichzeitig werdenKehlkopf und Zungengrund durch Kontraktion der Mm. sternothyreoidei,omohyoidei, sternohyoidei und sternomandibularis herabgezogen, was zu einerErweiterung des Pharynx und zu einem Unterdruck im periösophagalen Gewebeführt.

Dies führt in einer zweiten Phase zu einer Erweiterung des Oesophagus unddadurch zu einem Einströmen von Luft in den proximalen Oesophagus; durchturbulente Strömungen entsteht das typische Koppergeräusch.

In der dritten Phase kommt es wieder zu einer Erschlaffung der Halsmuskulatur,so dass dann die Luft wieder aus dem Oesophagus entweicht. Im Gegensatz zurlange verbreiteten Meinung gelangt nur sehr wenig Luft in den Magen, währendder Grossteil der Luft durch den Pharynx wieder ausströmt.

Diese Stereotypie wird in den ersten Lebensjahren angenommen (selten nacheinem Alter von 8 Jahren) und sehr rasch erlernt (innerhalb von 4-10 Tagen).Interessanterweise konnten vereinzelt an prähistorischen PferdezähneAnzeichen für das Koppen gefunden werden, so dass man annehmen muss, dassdas Koppen keine Erfindung der Neuzeit ist.

Aufsetzkopper

Beachte: Der Koppvorgang kann auch ohne Luftabschlucken und ohne denKopperton erfolgen.

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Wann Aufsetzkopper, wann Freikopper?

Meistens werden Aufsetzkopper zu Freikoppern, wenn ihnen die Möglichkeitenzum Aufsetzen genommen werden. Aber es gibt auch Pferde, die direkt zumFreikopper werden.

Was löst den Koppakt aus?

Nahezu immer gibt es einen Auslöser für den Koppakt, sei es akkustisch oderoptisch. Bei fast allen Koppern lässt sich das Verhalten durch die Gabe besondersschmackhafter Futtermittel (Aepfel, Zuckerstücke, Kraftfutter) auslösen. DiePferde koppen vermehrt während des Fressens oder nach der Fütterung. Nebender Fütterung sind Vorgänge im Stall wie Ausmisten, Herausführen andererPferde oder Vorbereitung zur Arbeit häufige Auslöser für Koppvorgänge. Auchkoppen die Pferde am Tag häufiger als in der Nacht.

Koppen ist eine Stereotypie des Pferdes:

Das Koppen ist eine von mehreren Stereotypien des Pferdes. Die Pferdeentwickeln eine starke Sucht und empfinden beim Koppakt durch dieAusschüttung der Endorphine ein angenehmes Gefühl.

2. Folgen des Koppens:

Das Koppen kann unter Umständen zu gesundheitlichen Störungen führen wieKolik, Gewichtsabnahme, schlechtes Haarkleid oder schlechte Leistung. Weiterwerden die Boxe und die Koppel zerstört. In den meisten Fällen aber führt dasKoppen zu keiner bedeutenden Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes undstellt vor allem ein Problem für den Besitzer dar. Zudem sind Kopper im Stallnicht sehr beliebt, weil ein kleines Risiko besteht, dass andere Pferde dieseStereotypie erlernen können. Dadurch ist auch der Handelswert eineskoppenden Pferdes deutlich eingeschränkt. In Deutschland zählt das Koppennach der Kaiserlichen Verordnung von 1899 zu den Hauptmängeln. DieWertminderung beträgt 30-50 %.

MERKE:

Bei Pferden mit rezidivierenden Koliken soll gut untersucht werden, ob es sichum einen Kopper handelt. Manche Besitzer wissen nämlich nicht, dass ihr Pferdkoppt!

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3. Ursache für das Erlernen des Koppens:

Man muss klar unterscheiden zwischen der Ursache und dem Anlass.

Ursachen:

Es gibt mehrere Ursachen für das Koppen, die je nach Situation wichtig für dasErlernen dieser Stereotypie sein können.

a. Genetische Prädispostion: Meistens sind nervöse und überempfindliche Pferdebetroffen. Es konnte gezeigt werden, dass bestimmte Hengstlinien deutlichstärker betroffen sind als die gesamte Population. So beträgt der Anteil derkoppenden Pferde in der Gesamtpopulation ca. 3 %, während es Hengstliniengibt, bei denen bis zu 30 % der Nachkommen koppen. Daher muss manannehmen, dass erstens eine genetische Prädisposition zu Stereotypien bestehtund diese zweitens auch vererbt wird. Die genaue Lokalisation der Gene sowieauch die Vererbung selber sind nicht bekannt. Diese genetische Prädisposition istauch der Grund dafür, dass in der Schweizer Warmblutzucht koppende Pferdenicht angekört werden.

b. Nicht artgerechte Haltung und Fütterung: Fehlender Kontakt mit Artgenossen,fehlende Beweguns- und Beschäftigungsmöglichkeiten, sehr kurze Fresszeiten,fehlende visuelle, akkustische und olfaktorische Reize. Dies erklärt auch dieBeobachtung, dass bei den Dressur- und Rennpferden Sterotypien wesentlichhäufiger auftreten als bei Vielseitigskeitspferden.

Anlass:

Es gibt viele verschiedene Ereignisse, die zum Erlernen und Beginnen desKoppens führen können:

a. Krankheiten, die das Pferd zum Stehen zwingen

b. Ein anderes koppendes Pferd: Es ist bekannt, dass Pferde durch Beobachtenlernen. Besonders junge Pferde schauen von den älteren viel ab. Das Lernen vonanderen Pferden spielt wahrscheinlich eine untergeordnete Rolle bei denStereotpyien. Es gibt Ställe, in denen seit langem ein Kopper steht, und in dieserZeit kein anderes Pferd zu koppen begonnen hat. Tatsache ist es aber auch, dass esPferde gibt, die gerade dann angefangen haben zu koppen, nachdem einkoppendes Pferd in den Stall gestellt wurde. Manchmal beobachtet man auch,dass das Fohlen das Koppen von seiner koppenden Mutter erlernt hat. Es könntenatürlich auch sein, dass hier wieder die genetische Prädisposition zum Tragenkommt.

c. Absetzen von der Mutterd. Stallwechsele. Mangelversorgung mit Mineralstoffenf. Krankheiten des Gastrointestinaltraktes: Gastritis,...

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4. Therapie:

Eine Therapie ist dann notwendig, wenn das Koppen zu gesundheitlichenStörungen führt. Aber auch in den anderen Fällen kann eine Behandlung wegender Gefahr der "Ansteckung" anderer Pferde indiziert sein.

a. Gehört zu jeder Therapie:

Haltung und Fütterung optimieren: Obwohl dies zu einer Reduzierung derHäufigkeit des Koppen führen kann, hören die Pferde nur in den allerseltenstenFällen auf zu koppen.

b. Konservative Therapie:

Morphinantagonisten: Alle Stereotypien werden vom dopaminergen System i mHirn gesteuert; dieses dopaminerge System wiederum steht in enger Verbindungmit dem endorphinen System, so dass die Stereotypien, insbesondere dasKoppen, mit Morphinantagonisten unterbunden werden können. Das Problembesteht aber noch in den hohen Kosten, den fehlenden Depotpräparaten und denNebenwirkungen.

Naltrexone: 0.04 mg/kg iv. unterbindet das Koppen für 2-7 StundenNaloxone: 0.02 mg/kg unterbindet das Koppen für 2 Stunden

Serotoninantagonisten: Durch die Verabreichung von Serotoninantagonisten,wie Fluoxetin, Imipramine, Clomipramine, Buspirone und anderen kann dasKoppen reduziert oder vollständig gestoppt werden. Sobald diese Medikamenteabgestzt werden, beginnen die Pferde jedoch wieder zu koppen.

Aversionstherapie: Diese Behandlungsmöglichkeit wurde von derHumanmedizin abgeleitet, wo sie bei der Therapie von Alkoholikern undanderen Süchten eingesetzt wird. Sie beruht darauf, dass der Koppakt mitSchmerzen verbunden wird, wodurch das Pferd die Lust am Koppen verliert.Diese Methode ist sehr aufwendig und Langzeituntersuchungen über dieWirksamkeit fehlen; in einzelnen Fällen konnte aber gute Erfolge erzielt werden.

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Beispiel: Vicebreaker®: Dieses Gerät besteht aus einem �Stromhalsband�, das auseiner Entfernung von 400 m gesteuert werden kann. Damit können geringe bisstärkere Stromstösse ausgelöst werden.

Koppriemen: Dies ist ein Halsband, das unmittelbar kaudal vom Kehlkopfangebracht wird und eine Kontraktion der ventralen Halsmuskeln verhindernsollte; eventuell kann dieses Halsband noch mit einer scharfen Metalleinlageverstärkt werden. Der Koppriemen ist sinnvoll, wenn er sehr früh eingesetztwird, jedoch kann auch dann kein völliges Sistieren des Koppens erreichtwerden.

Pferd mit Koppriemen

"IchwarneDich!"

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c. Operative Therapie:

Häufigkeit:

An der Vet. Chirurg. Klinik der Universität Zürich werden ca. 10-15 Pferde proJahr operiert.

Merke:

Je früher das Pferd operiert wird, desto besser ist die Prognose. Trotzdem solltendie Fohlen erst mit einem Jahr operiert werden.

Anatomische Vorbemerkungen: siehe Anatomievorlesung 2. Jahr

Die genaue Kenntnis der Anatomie ist die unabdingbare Vorausseztung für eineerfolgreiche Operation. Häufig gebrauchte Abkürzungen im Text sind:

M. sternomandibularis = MsmM. omohyoideus = MohM. sternohyoideus = MshM. sternothyreoideus = MstVentralast des N. accessorius: innerviert den M. sm motorisch

Wichtige anatomische Strukturen im Zusammenhang mit der Kopperoperation

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Geschichtliches:

Schon vor der Jahrhundertwende erkannte man, dass die ventralenHalsmuskeln (Mmsm, oh, sh und st) für das Koppen gebraucht werden. Somitmüssen diese durchtrennt, entfernt oder funktionsunfähig gemacht werden,damit das Pferd nicht mehr koppen kann.

1839 erscheint eine ausführliche Beschreibung über das Koppen.

1862 wird die erste mögliche operative Behandlung des Koppens beschriebenund auch ausgeführt.

1876 wird zum ersten Mal Chloralhydrat eingesetzt, wodurch eine Allgemeinanästhesie beim Pferd möglich wird.

1914 beschreibt Forsell die kombinierte Myektomie-Neurektomie-Operationstechnik. Mit dieser Technik war er aber nicht zufrieden, weiles viele Rezidive gab, so dass er das Vorgehen modifiziert.

1918 beschreibt Forsell die Myektomie aller 4 Muskeln (Msm, sh, oh, st),womit er die besten Resultate erzielt.

Heute werden die von Forsell ausführlich beschriebenen Operationsmethodenmit Erfolg durchgeführt, so dass diese näher erläutert werden sollen.

Aktuelle Operationsmethode:

Myektomie der Mm oh, sh und st und Neurektomie des Ventralastes des N.accessorius.

Damit werden alle Muskeln funktionsunfähig gemacht, ohne dass es zu einerstarken Konturstörung kommt. Bei den Aufsetzkoppern beträgt der Erfolg ca. 60-90 %, bei den Freikoppern ist die Erfolgsrate kleiner. Ein Misserfolg könntevielleicht damit zusammenhängen, dass sich der Nacc. bei einzelnen Pferdenschon früh in mehrere Aeste aufspaltet und somit bei der Neurekomie nicht derganze Msm funktionsunfähig gemacht wird. Zudem kann es innerhalb vonmehreren Monaten zu einer Reinnervation des Msm kommen.

Vorbereitung: Pferd in Rückenlage, symmetrische Lagerung, Inhalationsnarkose;wichtig ist eine gestreckte Lagerung (ca. 30 Grad) des Kopfes und des Halses,wobei man darauf achten muss, dass der Kopf nicht zu stark gestreckt wird, weildamit der N. laryngeus recurrens geschädigt werden könnte (-> Roarer).Abdecken mit einem Laptuch.

Zugang: Genau in der Medianen, beginnend auf Höhe des Unterkieferwinkels bisca. 40 cm nach kaudal wird der Hautschnitt gemacht. Anschliessend wird dieSubkutis und der Hautmuskel durchtrennt und dann wird nochmals mit einem4 er Pack abgedeckt. Anschliessend werden die Mm sh und oh in der Medianenbis auf die Trachea stumpf/scharf getrennt.

Danach wird die Haut von den Mmsh und oh wegpräpariert, nach kranial bis zurV. jugularis externa und nach kaudal bis zum Msm.

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Anatomische Situation nach dem Hautschnitt und dem Freipräparieren derHalsmuskeln

Anatomische Situation nach dem Hautschnitt und dem Freipräparieren des M.sternomandibularis

Neurektomie: Man präpariert am medialen Muskelbauch des Msm nach dorsalund sucht den Ventralast des Nacc; dieser ist ca. schnürsenkelstark und liegt i nder Umgebung der Sehne des Msm (Achtung: könnte verwechselt werden; aber:Die Sehne glänzt und der Nerv ist matt) sowie eines grösseren querverlaufendenGefässes. Die Faszie des Msm muss längs gespalten werden, damit der Nervlokalisiert werden kann. Durch das Klemmen des Nerves mit dem Peankontrahiert sich der Msm sehr stark, wodurch es möglich ist, den Nerven sicherzu identifizieren. Er wird auf einer Länge von ca. 12 cm isoliert und entfernt,natürlich beidseitig.

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Stereotypien beim Pferd Vorlesungsunterlagen 2001 A. Fürst 18

Lokalisieren des Ventralastes des Nacc.

Myektomie: Die paarigen Muskelbäuche der proximal eng verbundenen Mmoh,sh und st werden in der Medianen bis auf die Trachea voneinander getrennt(falls dies noch nicht gemacht wurde). Anschliessend wird der Mst von denanderen beiden Muskeln freipräpariert, damit die grossen Gefässe besser erkanntund ligiert bzw. gekautert werden können.

Anschliessend werden die Mmoh und sh lateral freipräpariert. Im kranialenBereich des Halses gestaltet sich die Präparation sehr schwierig, weil die V.jugularis externa bzw. V. linguofacialis in der unmittelbarer Nähe des Moherläuft. Im kranialsten Teil läuft ein recht grosses Gefäss ("R. beatus") vom Mohin die V. linguofacialis. Dieses Gefäss sollte ligiert werden, damit es nichtwährend oder nach der Operation zu grösseren Blutungen kommt.

Die Mmoh und sh werden gemeinsam von der Trachea gelöst und kranial sowiekaudal durchtrennt. Anschliessend wird der kleine Mst entfernt.

"R. beatus"

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Anatomische Situation nach dem Entfernen der Mm st und oh

BEACHTE: Die Muskeln sollten auf einer langen Strecke entfernt werden,wodurch die Rezidivrate deutlich gesenkt wird.

Blutstillung:

Vor allem der Moh ist sehr gut durchblutet, so dass es während der Operationunweigerlich zu mehr oder weniger starken Blutungen kommt. Aus diesemGrunde ist auf eine gute Blutstillung zu achten, wofür sich der Elektrokauter alssehr wertvolles Instrument erwiesen hat.

Drainage:

Wegen den intraoperativen Blutungen und besonders wegen demzurückbleibenden Hohlraum ist eine Drainage absolut notwendig: Direkt auf dieTrachea wird ein Penrosedrain gelegt und kranial sowie kaudal fixiert.

Wundverschluss:

Hautmuskel: Dexon oder Maxon, 2-0 plus, fortlaufendSubkutis: Dexon oder Maxon, 2-0 plus, fortlaufendHaut: Staplers oder EinzelknopfnähteKranial und kaudal wird ein grosses Loch (2-5 Frankenstück) für den Austritt desPenrosedrains und das Abfliessen der Sekrete offengelassen.(Anstelle der passiven Drainage kann auch eine Saugdrainage installiert werden.Diese Technik ist jedoch etwas aufwendiger und damit mit höheren Kostenverbunden)

Postoperative Pflege:

Täglich werden die Wunden ein- bis zweimal gereinigt: Vorsichtig die Sekreteausmassieren sowie die ausfliessenden Sekrete sorgfältig entfernen (nicht

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spülen!). Die Umgebung der Drainagelöcher mit einer schützenden Cremebestreichen. Am 4. Tag den Drain und am 10. Tag die Klammernbeziehungsweise die Hautnähte entfernen. Bis die Wunden völlig verschlossensind, dauert es ca. 3-4 Wochen. Während 5-6 Wochen sollte das Pferd nur geführtoder im Schritt geritten werden. Die Rezidivrate kann vielleicht etwas gesenktwerden, wenn das Pferd nicht mehr in das altbekannte Umfeld zurückkommt.Somit soll versucht werden, die Boxe und wenn möglich auch diePferdenachbarn zu wechseln.

Antibiotika: Sind in der Regel nicht erforderlich, können aber fakultativwährend 1-3 Tagen eingesetzt werden.

Prognose:

Ca. 85 % der Pferde koppen nach der Operation nicht mehr. DieseZahl gilt vor allem für die Aufsetzkopper. Bei den Freikoppern ist der

Erfolg etwas kleiner und beträgt ca. 60 %

Komplikationen:

- Unterhalsphlegmone: Systemische Therapie mit Antibiotika undEntzündungshemmern

- Nahtdehiszenz: Sieht sehr schlimm aus; heilt trotzdem in derRegel gut und ohne Narbenbildung ab

- Kopperrezidiv: Falls das Pferd wieder zu koppen beginnt, bestehtdie Möglichkeit, das Pferd nochmals zu operieren,wobei dann alle bindegewebigen Verbindungenzwischen den Muskeln gelöst werden müssen.Eventuell kann dann noch zusätzlich der Msmentfernt werden, falls dieser durch dieNeurektomie nicht funktionsunfähig gemachtwurde.

Kosten (ungefähre Aufstellung) :

Operation 1 x 1200 Fr. 1200.-Tägliche Wundtoilette: 12 x 15.- 180.-Aufenthalt 12 x 53.- 636.-Entzündungshemmer:und Antibiotika Ca. 240.-

Total: Ca. 2300.-

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WICHTIG:

Bei der Ankaufsuntersuchung muss der Hals gut auf Spuren einer früherenKopperoperation sowie die Zähne auf Abriebspuren untersucht werden. Fallsirgendein Zweifel besteht, sollte die Währschaft verlängert werden, weil diePferde selten unmittelbar nach dem Stallwechsel zu koppen beginnen. Durch dieGabe von Leckerbissen lassen sich unter Umständen Koppvorgänge provozieren.

Koppergebiss

Verschiedene schlechte Operationsmethoden:

Myektomie der Mm sm, sh, st und oh = "Forsellmethode" (veraltet! )

Diese Operationsmethode hat die grösste Erfolgsrate. Wegen der Myektomie desMsm führt sie aber zu einer deutlich sichtbaren Stufenbildung ventral am Hals,so dass diese Operation selten ausgeführt wird.

Stufenbildung im Bereich des Halses nach der Myektomie des Msm

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- Alleinige Neurektomie des Ventralastes des Nacc

Vorteil: einfache Operation, die stehend gemacht werden kann

Nachteil: sehr grosse Rezidivrate, ca. 90%

- Bukkostomie:

In die Backe wird beidseitig ein Loch gemacht, so dass in der Maul- undRachenhöhle kein Vakuum erzeugt werden kann. Die Voraussetzung für dasFreikoppen ist so nicht mehr gegeben.

Vorteile: manchmal Erfolg beim Freikopper

Nachteil: Das Loch wächst wieder zu, grosser Arbeitsaufwand, ästhetisch nichtbesonders schön.