The Red Bulletin_Stratos Special_DE

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RED BULL STRATOS Technik Medizin Risiko Rekorde DIE GANZE GESCHICHTE Felix Baumgartner / Joe Kittinger / Art Thompson / Marle Hewett / Jon Clark / Mike Todd / Jay Nemeth / Don Day WATCH LIVE ON REDBULLSTRATOS.COM DAS MAGAZIN ABSEITS DES ALLTÄGLICHEN

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RED BULL

STRATOSTechnik Medizin Risiko Rekorde

DIE GANZE GESCHICHTE

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DIE RED BULLETIN

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StratosDIE WELT VON RED BULL

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1Die Helden1.1 Felix Baumgartner1.2 Joe Kittinger

Willkommen!Red Bull Stratos ist eine Mission an den Rand des Weltraums: Der Österreicher Felix Baumgartner steigt dabei von Ros-well, New Mexico, mit einem Helium-ballon auf 36 Kilometer Höhe und kehrt im freien Fall zur Erde zurück. Er wird dabei wertvolle Daten für die Wissen-schaft sammeln und vier Weltrekorde aufstellen: den für die höchste bemann-te Ballonfahrt, das Erreichen von Über-schallgeschwindigkeit ohne Fremd-antrieb, das Absolvieren des höchsten Freifalls und für den längsten Freifall.

Das Red Bulletin hat Felix Baumgartner hautnah begleitet und seine Mission minutiös dokumentiert.

Viel Vergnügen!

Im ersten Kapitel interviewen wir Felix Baumgartner 1.1 und den US-Amerikaner Joe Kittinger 1.2, der 1960 eine ähnliche Mission erfolgreich absolviert hat.

Dann steht Baumgartners Kapsel im Mittelpunkt 2.1, mit ihrem Cockpit 2.2 und jenen Kameras an Bord, die Baum-gartners Abenteuer dokumentieren 2.3.

In Kapitel 3 präsentieren wir den Heliumballon, der Baum-gartner in die Stratosphäre bringen wird, und beschreiben, wie der Riese sich in die Luft erhebt 3.1 und wie Felix die dafür notwendige Ballonfahrerlizenz erwarb 3.2.

Wir werfen einen Blick auf Felix’ einzigartige Garderobe 4.1 und auf die Geschichte des Raumanzugs 4.2.

In diesem Kapitel sprechen wir mit dem US-Amerikaner Jonathan Clark, dem medizinischen Direktor von Red Bull Stratos, über die Gefahren für Felix Baumgartners Körper auf seiner Reise 5.1 und unternehmen mit dem Sci-Fi-Autor Leo Lukas einen irrwitzigen Trip nach Überworld 5.2.

Im vorletzten Kapitel probieren wir mit Skydiver Luke Aikins Baumgartners Fallschirm 6.1, lassen von einem Physiker Felix’ Geschwindigkeit berechnen 6.2 und begleiten ihn während seines Testsprungs aus 22 Kilometer Höhe 6.3.

Abschließend besuchen wir Roswell in New Mexico 7.1 und damit jene Stadt, in der Red Bull Stratos abheben (und Felix Baumgartner hoffentlich wieder sicher landen) wird.

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DIE WELT VON RED BULL

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Der Raumanzug

4 4.1 Werksbesuch bei Hersteller David Clark4.2 Geschichte des Raumanzugs

2.1 Kapsel2.2 Cockpit2.3 Kameras

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2Das Ei des Felix

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Der Raumanzug

4 4.1 Werksbesuch bei Hersteller David Clark4.2 Geschichte des Raumanzugs

2.1 Kapsel2.2 Cockpit2.3 Kameras

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2Das Ei des Felix

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Body & Mind5 5.1 Felix’ Körper5.2 Sci-Fi: Überworld

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DIE WELT VON RED BULL

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3.1 Der Heliumballon3.2 Felix’ Ballonfahrerlizenz3Völlig abgehoben

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6Der Sprung ins Leere6.1 Fallschirm6.2 Fallgeschwindigkeit6.3 Testsprung

7 7.1 Start- und Landeplatz

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Rund um Roswell

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3.1 Der Heliumballon3.2 Felix’ Ballonfahrerlizenz3Völlig abgehoben

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7 7.1 Start- und Landeplatz

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Rund um Roswell

Fallgeschwindigkeit

Landeplatz7 Landeplatz

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Im Jänner 2010 präsentierte BASE-Jumper Felix Baumgartner sein Projekt Red Bull Stratos. Eine Mission an den Rand des Weltraums, die Daten für künftige Raumfahrt-Projekte sammeln und zudem vier Weltrekorde brechen soll. Und eine Mission, deren Komplexität alle Dimensionen sprengt. Jetzt hebt Red Bull Stratos endgültig ab.

Die Mission

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R ed Bull Stratos ist eine Mission an den Rand des

Weltraums: Felix Baumgartner steigt dabei in einen Heliumballon auf 35.576 Meter auf und kehrt im freien Fall zur Erde zurück. Er wird dabei wertvolle Daten für die Wissenschaft sammeln und vier Weltrekorde aufstellen:

1. Überschall ohne Fremdantrieb2. höchster Freifall3. längster Freifall4. höchste bemannte Ballonfahrt

Das wissenschaftliche Projekt Red Bull Stratos folgt den Spuren von „Project Excelsior“, bei dem Colonel Joe Kittinger am 16. August 1960 aus 31 Kilometer Höhe abgesprungen war – und knapp überlebt hatte. Nun ist Kittinger Baumgartners Mentor bei dessen Versuch, in eine lebens-feindliche Welt vorzudringen, in der jeder Fehler tödliche Konsequenzen für ihn haben kann.

Red Bull Stratos führt jedoch alle daran Beteiligten an ihre Grenzen – und darüber hinaus. Folgen Sie den Protagonisten dieses einzigartigen Projekts in 7 Kapiteln durch Höhen und Tiefen, erfahren Sie mehr über Problemstellungen in der Strato-sphäre und lassen Sie sich von über-raschenden Lösungen verblüffen.

text: Werner Jessner bilder: balazs Gardi

IN DIESEM KAPITEL gewährt uns Felix Baumgartner überraschende Einblicke in sein Seelenleben 1.1 und erleben wir Joe Kittingers Rekordsprung aus dem Jahr 1960 noch einmal 1.2.

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RED BULLETIN: in der Öffentlichkeit war es fast ein dreivierteljahr lang still um red bull Stratos. Was ist in dieser Zeit passiert?FELIX BAUMGARTNER: Lass uns in die Zeit vor dem Projektstopp wegen des Gerichtsverfahrens (im Urheberschaftsprozess einigte man sich schließlich außergerichtlich; Anm.) zurückgehen. Im Dezember 2010 hatten wir den letzten großen Test mit dem Raumanzug, und für mich war klar, dass ich ein Pro-blem hatte, und zwar an einer Stelle, an der ich es nie vermutet hätte: mit meiner Psyche. Ich hatte ein Problem, den Raumanzug anzuziehen, und es wurde immer schlimmer. Ich habe es kaum noch ein paar Minuten darin ausgehalten.Kannst du die Symptome beschreiben?Es hieß immer, der Anzug sollte sein wie eine zweite Haut, aber das wird er nie sein. Du bist in den Be-wegungen, in deiner Wahrnehmung eingeschränkt. Sobald das Visier geschlossen ist, herrscht beklem-mende Stille und Einsamkeit. Der Anzug bedeutet Gefangenschaft. Wir waren nie auf die Idee gekom-men, mich vorab einmal fünf Stunden lang – so lang dauert nämlich die ganze Mission – im Anzug einzu-sperren, bei geschlossenem Visier. Bei meinem Vor-leben, bei all den extremen Dingen, die ich in meiner Karriere gemacht habe, wäre niemand auf die Idee gekommen, dass das bloße Tragen des Raumanzugs die Mission gefährden könnte – mich eingeschlossen. Zum Schluss hat sich das zu panikartigen Zuständen gesteigert.du übertreibst …Im Gegenteil! Als es zum großen Druckkammertest bei minus 60 Grad und unter realen Bedingungen kommen sollte, wo Druck und Höhe simuliert werden, umringt von Kameras, Air-Force-Personal und Wissen-schaftlern, da wusste ich: Ich schaffe das nicht. Ich sah keinen Ausweg mehr. Die vermeintlich großen Hürden wie den Freifall im Druckanzug hatte ich bravourös

1.1FeliX BAUMgARtneR

interview 2. JÄNNer 2012SalZburG, ÖSTerreicH

Felix Baumgartner ungeschminkt: Im Inter­view spricht er über die Hintergründe der Verzögerung von Red Bull Stratos, psychische Limits und warum er sich trotzdem nie vor dem Scheitern des Projekts gefürchtet hat.text: Werner Jessner, bild: Gian Paul lozza

„ES WURDE IMMER SCHLIMMER“

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mich der Mann von 30 Minuten im Anzug bis hin zu „Mir egal, wie lang ich das Ding trage“ gebracht. Das war mein größter Sieg bisher: das Limit gefunden zu haben, das ich während meiner gesamten Karriere gesucht habe. Kein Ärmelkanal, keine Höhle, keine Jesusstatue hatte geschafft, was dieser Anzug hier am Boden geschafft hat. Gemeinsam mit Mike habe ich diese Hürde bewältigt und bin – so abgedroschen der Satz klingen mag – stärker denn je.Wie hat michael Gervais das gemacht?Mit schwerem Geschütz. Ich musste meinem Sohn – den es nicht gibt – erklären, was Red Bull Stratos für mich bedeutet. Es war hart für mich, aber solange es meinem Ziel dient, mache ich alles. Jedes Mal, wenn ich den Helm getragen habe, musste ich meinen Seelenzustand alle drei Minuten auf einer Skala von 1 – ganz entspannt – bis 10 – Panik – beschreiben. Gleichzeitig habe ich einen Pulsmesser getragen. Das Interessante daran war, dass mein Pulsschlag zwi-schen den Phasen 3 und 8 völlig konstant geblieben ist. Das zu sehen war sehr wichtig.

Als Nächstes haben wir meine Routinen analysiert: Bislang hatte ich schon am Tag, bevor ich in den Anzug sollte, keinen Appetit mehr, das hat sich am Weg raus zu unserem Mission Director Art Thompson bis zur handfesten Beklemmung gesteigert. Mike hat-te zuvor mit einem Kampfsportler gearbeitet, der sich am Weg in die Arena ebenfalls regelmäßig in eine Abwärtsspirale gedacht hatte. Für ihn war der Kampf schon verloren, noch bevor er den ersten Schlag ge-setzt hatte. Diese Mechanismen hat er mir aufgezeigt und mir Werkzeuge gegeben, mit deren Hilfe ich den negativen Zug rechtzeitig verlassen kann.Zum beispiel?Der Mensch kann immer nur einen Gedanken auf einmal denken. Er kann zwar blitzschnell zwischen Gedanken hin und her springen, aber pro Moment wird immer nur ein einziger „bearbeitet“. Wenn ich also einen schlechten Gedanken habe, muss ich geis-tig aus meinem Helm raus, etwa, indem ich Wörter von hinten nach vorn buchstabiere. Keine mystischen Dinge, sondern einfach Werkzeug, das dir dein gan-zes Leben lang dient. Mike hat mich gezwungen, Dinge zu Ende zu denken: Was passiert, wenn man mich in meinem Anzug fesselt und ich durchdrehe? Ich war der Meinung, ich würde um mich schlagen, Schreikrämpfe kriegen bis hin zum Herzinfarkt. Falsch: Wenn das Reservoir für Aufregung erschöpft

Kein Ärmelkanal, keine Jesusstatue, keine Höhle hatte geschafft, was der Anzug mit mir gemacht hat.

gelöst, und jetzt scheiter-te ich am eigenen Kopf! Statt in die Brooks Air Force Base (bei San Anto­nio, Texas; Anm.) zum Test zu fahren, bin ich zum Flughafen und Hals über Kopf aus Amerika geflüchtet. Ich habe ins Telefon geweint, es war der schlimmste Moment in meinem Leben. Bisher hatte ich immer gewusst, wie ich mich selbst aus Problemen befreie. Dies-mal hatte ich vor den Augen der Öffentlichkeit mein Limit gefunden.das du offensichtlich nicht akzeptiert hast.Wir haben im Training einiges probiert, weil es den medizinischen Ansatz gab, dass eine höhere Grundkondition auch meine Stressresis-tenz verbessern würde. Aber bitte schön: Ich habe 20 Jahre lang die extremsten BASE-Jumps gemacht, bin über den Ärmelkanal geflogen. Meine Stressresistenz hatte ich auch ohne stun-denlange Einheiten am Ergometer bewiesen. Das Problem musste anders geknackt werden.nämlich?Mit Hilfe von Michael Gervais, einem amerika-nischen Psychologen, der mich völlig gestrippt und mir eine Toolbox psychi-scher Werkzeuge mitge-geben hat, mit der ich die Situation zu bewältigen gelernt habe. Innerhalb von zwei Wochen hat

1 Einer breiten Öffentlichkeit wurde Felix Baumgartner bekannt, als er sich – als Ge-

schäftsmann verkleidet – am 15. April 1999 in den 88. Stock der Petronas Towers in Kuala Lumpur, Malaysia, schmuggelte und aus 451 Metern absprang – Weltrekord.

2 Gut ein halbes Jahr später, am 7. Dezember 1999, enterte er à la James Bond bei Nacht

die 38 Meter hohe Jesusstatue von Rio und sprang von deren rechter Hand ab – mit 29 Me-tern Weltrekord für den niedrigsten BASE-Jump.

3 Am 31. Juli 2003 flog Felix als erster Mensch der Welt im Freifall über den Ärmel-

kanal und benutzte dafür einen selbst konstru-ierten Carbonflügel. Manche dieser Erfahrun-gen fließen jetzt in Red Bull Stratos ein.

4 Ein Ehrenplatz unter Felix’ Projekten gebührt dem 2004er-BASE-Jump in den

stockfinsteren und engen „Flaschenhals“ der Mamethöhle in Kroatien: Dieser Sprung gilt bis heute als schwierigster BASE-Jump aller Zeiten.

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36.576 mFelix öffnet die Tür seiner Kapsel und tritt ins Freie.

–23 °CFelix springt. Auf 120.000 Fuß ist es deutlich wärmer als während des Aufstiegs.

Felix betätigt seinen Fallschirm rund fünfein-halb Minuten nach dem Absprung. die Landung erfolgt 15 Minuten später.

1500 m

28.000 mJetzt wird die Luft dicker. das bremst Felix, macht ihn aber aerodynamisch sensibler. Gefahr von Flachtrudeln.

35 sec späterFelix erreicht seine Höchstgeschwindigkeit.

bis zu –60 °CGrimmige Kälte am Weg nach oben: Am kältesten ist es in der Troposphäre.

8848 mGIPFEL DES MOUNT EVEREST

15.447 mPERLAN GLIDER

11.000 mMAXIMALHÖHE FÜR LINIENFLÜGE

HIER IST DIE SCHÜTZENDE OZON-SCHICHT AM MÄCHTIGSTEN

25.929 mSR-71 „BLACKBIRD“

SCHAUPLATZ:ROSWELL (NEW MEXICO)

Die Mission

Troposphäre

Tropopause

Stratosphäre

05:00 UhrRed Bull Stratos hebt ab. Morgendliche Windstille ist für den Start des giganti-schen Ballons unabdingbar.

5 Stundenwird die gesamte Mission dauern.

Red Bull Stratos im Detail

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ist, wird der Mensch ruhig und ist wieder zu logi-schen Gedanken fähig. Dieses Wissen, dass der Sturm vorbeizieht und es wieder besser wird, gibt Sicherheit und lässt mich ein Stückchen gelassener sein.bist du auch demütiger geworden?(Zögert.) Eigentlich nicht. Vielleicht einsichtiger, was die Schwächen anderer betrifft. Ich hatte noch nie zuvor bei meinen Projekten fremde Hilfe gebraucht, und jetzt, mit meinen frisch gewonnenen Einsichten, kann ich es leichter ertragen, wenn auch andere Menschen nicht unsterblich und perfekt sind.Siehst du auch das Projekt in anderem licht als zu beginn?Mein Respekt ist gewachsen. Wir paar Privatiers, ein BASE-Jumper, ein Getränkekonzern und ein paar Wagemutige, haben uns ins Geschäft von Air Force und NASA eingemischt und geglaubt, in drei, maxi-mal fünf Jahren das zu können, wofür die Jahrzehnte gebraucht haben. Wir waren blauäugig und haben geglaubt, wir kaufen eine Kapsel, drei Ballons, einen Anzug, ich werfe mich runter, und wir schreiben

Geschichte. Irrtum: Das ist eine ganz große Nummer. Wir treten nicht gegen Ferrari und McLaren an, auch nicht gegen die NASA und die Air Force: Wir betreiben Wissen-schaft. Wir sind Pioniere, wir betreten permanent Neuland. unser Projekt ist so groß und passiert auf so vielen verschie-denen Ebenen, von denen jede sowohl in sich als auch mit den anderen Ebenen funktio-nieren muss. Wenn bei einer uhr nur ein Zahnrad kaputt ist, steht das ganze Werk.Zum beispiel, wenn anwälte das Kommando übernehmen …Im Dezember 2010 hatte ich meine mentale Toolbox ge-füllt, sämtliche Tests waren gut verlaufen, das Projekt hätte wieder Fahrt aufnehmen können, da kam die Sache mit dem „Legal Case“. Problem gelöst, aber Projekt gestoppt, mehr noch: Projekt beendet! Nach diesem Telefonat bin ich vier Stunden lang planlos mit dem Auto in der Gegend rum-

gefahren, im Radio lief Bruce Springsteen. Ich war einen Monat im Bootcamp gewesen, und jetzt sollte sozusagen der Krieg vorbei sein, noch ehe ich einen einzigen Schuss abgegeben hatte? Das hat mir zum zweiten Mal binnen kürzester Zeit den Boden unter den Füßen weggezogen.Was hast du gemacht?Ich hätte im Selbstmitleid ertrinken können, statt-dessen habe ich mich auf mein zweites Standbein, das Hubschrauberfliegen, gestützt. Während der letzten Monate war ich Berufspilot, habe sieben Hub-schrauber-Ratings erworben, eine Gebirgsausbildung gemacht und Flugstunde um Flugstunde gesammelt. Aufgegeben habe ich das Stratos-Projekt in all der Zeit aber nie. Ich wusste: Irgendwann kommt der Tag, an dem ich den Piloten-overall aus- und den Raumanzug wieder anziehe.Wie hat deine umwelt auf den Stopp reagiert?Das Interessante war, dass viele Leute jetzt mit ihrer wahren Meinung rausgerückt sind, selbst meine eigene Mutter: „Eigentlich sind wir froh, dass du nicht springst.“ und ich habe geantwortet, dass sie sich lieber nicht an den Gedanken gewöhnen sollten, dass Red Bull Stratos tot ist. Für mich war klar: Eines Tages schwebe ich da rauf, steige aus der Kapsel und fliege mit Überschall zurück zur Erde.das umschalten zwischen berufspilot und Stratonaut: Wie schwer ist dir das gefallen?Das war leicht. Ich hatte den Raumanzug geistig in einen Kasten verräumt, jetzt habe ich ihn wieder ausgepackt.Hatte die Pause auch was Gutes?Definitiv. Wir konnten ein paar Prozesse neu struktu-rieren, jetzt herrscht ein anderer Geist. Wir erreichen inzwischen verlässlich unsere Zwischenziele, was ja am Anfang bei weitem nicht so war. Natürlich haben wir noch immer unsere Fuck­ups, aber wir lernen daraus und setzen das Gelernte um. Ein Beispiel: Für den ersten unbemannten Testflug war es wichtig, dass der Ballon spätestens um 7.30 uhr in der Luft ist, weil danach Wind aufkommt. Beim ersten Mal hatte die Ballonfirma den Ballon verkehrt in die Kiste gepackt, das umdrehen hat 25 Minuten gedauert, und als wir um 8 uhr endlich airborne waren, hat der Wind den Ballon geholt. Der Riese, der sich für ein paar Momente erhoben hatte, starb vor unseren Augen. Es sind nicht die großen Dinge, die dir das Genick brechen, es sind die Kleinigkeiten, an die keiner denkt.deswegen geht es um die moral der truppe …Korrekt. Ich will ein rotes Drehlicht in der Kommando-zentrale, und sobald ich im Anzug stecke, leuchtet das Licht. Da gibt es kein Kaffeetrinken, kein Handy-tippen mehr. Sicherheit entsteht aus Wiederholung. Jede Elite-Einheit drillt ihre Soldaten so lang, bis alle ihre Handgriffe blind beherrschen. Im Einsatz gibt es genügend Faktoren, die du nicht beeinflussen kannst. Dich selber kannst du aber sehr wohl beeinflussen. Wir stehen im Fokus, die Welt schaut auf uns. Wir können uns keinen Fehler leisten. Wenn du an den tag X denkst: Was siehst du?Extreme Disziplin und Perfektion. Wenn du weißt, dass dir die Kamera zuschaut, putzt du dir sogar die Zähne anders. Der Druck wird gewaltig sein, und

Majestätischer Riese: Ballon

Von der Zigarre zur gigantischen Kugel. Beim Launch ist der Bal­lon 168 m hoch und dünn. Mit abnehmendem Außen­luftdruck bläht er sich zu einer Kugel mit rund 122 m Durchmesser.

4 ReKoRde

1 Geschwin-digkeit im

freien Fall

erwarteter Speed: Mach 1, das entspricht rund 1100 km/h.

Aktueller Rekord: Mach 0,9 (988 km/h) von Joe Kittinger.

2 Höhe im freien Fall

erwartete Fallhöhe: 35.000 Meter*Aktueller Rekord: 31.333 Meter von Joe Kittinger.

3 Zeit im freien Fall

erwartete Zeit: 5 Minu-ten und 35 Sekunden Aktueller Rekord: 4 Minuten und 36 Sekun­den von Joe Kittinger.

4 höchster bemannter

Ballonflug

erwartete Höhe: 36.576 MeterAktueller Rekord: 34.667 Meter von Victor Prather und Malcolm Ross am 4. Mai 1961.

* Felix Baumgartner zieht die Reißleine in rund 1500 Metern über Grund.

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wir alle müssen ihn nicht nur aushalten, wir müssen brillieren. Wir gehen zu einer Prüfung und sind blendend vorbereitet. Ein Fun-Tag wird das nie werden, immer-hin riskiere ich mein Leben. Soweit es möglich ist, werde ich versuchen, die unwiederbringlichkeit des Moments zu begreifen. Ich komme nie wieder hier rauf, werde nie wieder den Anzug tragen, nie wieder in der Kapsel sitzen, das Team wird nie wieder so zusammenarbeiten. Es gibt Beispiele von olympiasiegern, die am Podest enttäuscht waren, weil sie sich

diesen Moment, auf den sie so viele Jahre hintrainiert hatten, noch schöner vorge-stellt hatten. Das versuche ich zu vermei-den, indem ich den Weg genieße.Was machst du heute in einem Jahr?Entweder kann ich das Haus nicht mehr verlassen, weil ich alle enttäuscht habe, oder darum, weil draußen die Massen warten. Beides ist möglich. Weihnachten 2012 möchte ich mit meinem Team feiern: Joe Kittinger wird im Juli 84 Jahre alt, das Durchschnittsalter meines Teams liegt bei 70 Jahren. Das ist meine Familie, mit der ich die letzten fünf Jahre verbracht habe, und diese Familie wird es nicht mehr lang geben, dazu muss man kein Hellseher sein. Ich will ein Haus mieten, wir stellen einen Baum auf, Joes Frau kocht Turkey, wir reichen uns um den Tisch die Hände und danken Gott, dass unsere gemeinsame Mission gut ausgegangen ist und alle noch am Leben sind. Das hätte ich gern.und wenn nicht?Dann hätte ich vermutlich ein Problem. Ein Karriereende ohne diesen Sprung wäre wie ein Haus, bei dem die Haustüre nie eingebaut worden ist. Ich habe seit 25 Jahren meine Ideen und Visionen umgesetzt und gehe davon aus, dass ich auch mein letztes großes sportliches Ziel erreichen werde.

Colonel JoeBevor die Raketen kamen: Joseph Kittinger und das Glück vom Ausstieg auf höchstem Niveau. Fünfzig Jahre nach seinem Rekordsprung ist er eine Autorität in Felix Baumgartners Team.text: Herbert völker

ein Karriere­ende ohne diesen Sprung wäre wie ein Haus, bei dem die Haustüre nie eingebaut worden ist.

Die Mode der frühen Sechziger: Colonel Joe Kittinger in seinem Raumanzug.

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Irgendwie bleibt ein amerikanischer Colonel immer ein Colonel, selbst jenseits der achtzig, auch wenn sich der drahtige Körper längst ins gemütliche Fach entspannt hat. Es ist dieser Mix von Selbstsicherheit und Lässigkeit, wie man sich den robusten Ameri-kaner in seiner Altersmilde vorstellt. Man darf auch bald Joe zu ihm sagen.

Da passt es gut, aus den, wirklich, zehntausenden Archiveinträgen gleich das fürwitzigste Zitat heraus-zuholen – „more guts than brains“. Eine aktenkundige Beleidigung?

Joe, wie gesagt, ist milde. Ja, man kann das ruhig fragen. Es sei bloß der Fetzen eines früheren Ge-sprächs, das erst hinterher ausgeschlachtet wurde, als Joseph Kittinger schon berühmt war, man wisse ja, wie die Medien funktionieren. Joe, der offizier und Testpilot, hatte sich für ein Projekt beworben, und sein Boss sagte: Approved. More guts than brains. Das sagt nichts über Kittinger aus, eher über die Pionier-tage der Raumfahrt, als man viel wagte und wenig wusste von dem, was sich oben abspielen würde.

Joe Kittinger meint heute mit unaufgeregter Selbst-verständlichkeit, er sei der erste Mensch im Weltraum gewesen, vor Juri Gagarin, vor Alan Shepard. Natür-lich weiß er, dass die Diskussion offen ist, wo beginnt der Weltraum?, aber die Bedingungen in der Strato-sphäre seien jedenfalls, was das Überleben von Men-schen betrifft, „space equivalent“. Ab 19 Kilometer Höhe ist der Luftdruck so gering, dass ohne Druck-anzug das Wasser im Blut des menschlichen Körpers zu kochen begänne. Joe ging viel höher, man mag ihn Prä-Astronaut nennen, ihm soll’s recht sein.

Kalter Krieg uSA vs udSSR, Mitte der 1950er Jahre. Die amerikanischen Militärs taten Raumfahrt als Science Fiction ab. Es gab noch keine NASA, die Air Force experimentierte auf eigene Rechnung. Eine Gruppe von Spezialisten wollte einfach mal begreifen, wie hoch man kommt und ob es sich dort kurz über-

leben lässt. Es musste ein Ballon sein, kein Flugzeug würde dessen Höhe auch nur annähernd schaffen.

Joseph Kittinger (damals Captain) stieg 1957 auf 30.000 Meter in die Stratosphäre und sank mit dem Ballon wieder herunter. Amerika bejubelte den „First Space Man“, aber eher als Held einer exotischen Expedition ohne Nährwert. Schon ein halbes Jahr später kippte das Bild. Die Russen schickten ihren un-bemannten Satelliten „Sputnik“ auf Erdumlaufbahn, damit war das Thema „Bedrohung aus dem Weltall“ eröffnet, aus dem dann ein halbwegs friedlicher Wett-lauf in den Raum wurde. Aber Wettlauf allemal. Die uSA steckten Milliarden in die Raketenforschung, die NASA wurde gegründet.

In den paar Jahren zwischen Sputnik-Schock und dem Mercury-Programm der NASA machte die Air Force weiter, um technische und medizinische Faktoren der Raumfahrt zu testen. und auch darauf eine Antwort zu suchen: Wie bringt der Mensch die Bedrohungen aus dieser nie erlebten Welt in seinem Hirn unter und in seinem tapferen kleinen Herzen?

unter diesen Vorzeichen wurde Joe Kittingers Sprung vom 16. August 1960 zum wichtigsten Mark-stein in der Erforschung der Stratosphäre. Drei dabei aufgestellte Rekorde gelten heute noch, nach fünfzig Jahren:

höchster Fallschirm-Absprung (31.332 Meter),schnellster Mensch im freien Fall (988 km/h),längster freier Fall (4:36 Minuten).Dies sind unverändert die Vorgaben für Felix Baum-

gartner. Höher, schneller, länger – und natürlich die Schallgeschwindigkeit, die Kittinger damals, wenn auch knapp, ver-passt hat.

Wie können solche Rekorde unglaubliche fünfzig Jahre lang halten?

Die NASA und die Sowjetunion setzten mit Raketen das fort, was sie die Erforschung (oder Eroberung) des Alls nannten, erreich-ten Höhen, wie sie eben nur mit Raketen möglich sind.

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interview 13. Mai 2009albuquerque, New Mexico, uSa

Mitte der 1950er gab es keine nASA. Die Air Force experimentierte auf eigene Rechnung.

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Die Stratosphäre am Rand des Weltraums ist trotzdem immer ein Thema für Erdenbewohner geblieben. Der Gasballon ist unver-ändert die einzige Chance, dort ein Weilchen rumzuhängen, anders als mit Flugzeug oder Rakete. Zur Rekordjagd verführend, keine Frage, mit einem glamourösen sportlichen Touch, aber doch auch

ein wissenschaftliches Thema. und je mehr Projekte in den letzten Jahrzehnten gescheitert waren, umso felsenmäßiger ragte die Figur des Joseph Kittinger aus der Geschichte und den Geschichten.

Übrigens, Kittinger wird mit quasi deutschem g aus-gesprochen, also nicht so wie der Weltpolitiker Kissin-ger [Kissindscher], der zwar viel näher am Deutschen dran war, trotzdem die englische Aussprache wählte.

Kittingers urururgroßvater war als 14-jähriger Bub mit seiner Familie nach Amerika eingewandert. Das war 1783, die Kittingers kamen aus der Gegend von Zürich, wo sie Erdäpfel anbauten. Sie gingen nach Pennsylvania und machten, was sie gelernt hatten. Sie wurden Erdäpfel-Farmer, waren fruchtbar und vermehrten sich, und heute gibt es eine ganze Menge Kittingers in den uSA, aber nur einen Joe, der aus einer Gondel getreten war, um kurz darauf an der Schall-geschwindigkeit zu kratzen.

Es gibt eine Menge Parallelen zwischen dem, was Joe vor fünfzig Jahren erlebt hat und was jetzt auf Felix wartet. Mentales Coaching wäre ein schlechtes Beispiel, da haben sich inzwischen die Methoden verfeinert. Joe wurde zum Klaustrophobie-Test für 24 Stunden in eine 1×1×1-Meter-Kiste gesperrt.

Joseph Kittinger: „Es ist wie in einem Sarg, beengt und stockfinster. Aber man kann Klaustrophobie mit Disziplin überwinden. Die Tatsache, dass ich ohne posi-tiven Abschluss nicht mehr im Programm gewesen wäre, war mir Motivation genug.“

Felix Baumgartners erster Druckkammertest im Raumanzug war zwar technisch raffinierter, in der Belastung aber vergleichbar für einen, der es nicht ge-wohnt ist, Sauerstoff in sich hineingestopft zu bekom-men bis zum Überlaufen.

Kittinger und Baumgartner treffen aus verschiede-nen Richtungen zusammen, nicht nur aus Vergangen-heit und Zukunft.

Joe war geeichter Ballonfahrer, trainierte Fall-schirmsprünge aber nur für den Notfall im Flugzeug, ließ sich rausfallen wie ein Mehlsack, mit Survival Kit unterm Hintern. Bewegungskünstler Felix hat dreitausend Sprünge hinter sich, ist ein Luftakrobat, dafür musste er sich den Ballon neu erar-beiten. und Joe Kittinger war als Kampfflieger oft genug in 15.000 Meter Höhe, da lief nichts ohne Druckanzug („pressure suit“), den er schließlich anzog wie unsereins die Jeans, na ja, vielleicht ein bissl sorgfältiger. Er war hunderte Male in der Druckkammer. Vor seinem großen Sprung hatte er schon acht Jahre mit der speziellen Garderobe hinter sich. Druckanzüge sind extrem steif, jede Bewegung von Armen oder Beinen ist ein Manöver für sich.

Ein Extremsportler wie Felix ist solche Einschränkungen nicht gewöhnt, er musste Druckkammer und Raumanzug erst

Du kannst ein Vakuum zwar nicht fühlen, aber es ist trotzdem da, unheimlich, feindlich.

Die unermessliche Einsamkeit in 31 Kilo-meter Höhe. Die Bil-der von Kittingers Absprung haben in einem halben Jahr-hundert nichts von ihrer Eindrücklich-keit verloren.

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einmal psychisch packen, dann eine neue Art von Bewegung lernen. Joe: „Wenn du mit dem Druckanzug nicht in jeder Situa-tion klarkommst, bist du tot.“

Aufstieg im Ballon, grundsätzlich ähn-lich für Joe und Felix, bloß dass der neue Ballon das fast zehnfache Volumen haben wird, so viel braucht es, um die zusätz-lichen 5000 Meter an Höhe zu gewinnen.

Es gibt auch gemeinsames Leid. Die Aero- und Astronautiker nennen es „flat spinning“, die Übersetzung „Flachtrudeln“ ist uns doch etwas zu förmlich, „Kreiseln“ muss reichen. Wahrscheinlich weiß kein Mensch auf der Welt mehr vom Kreiseln als Joe Kittinger. Er erlebte erste Dummie-Abwürfe mit 200 Rotationen pro Minute (140 werden für den Menschen als tödlich angenommen), erprobte alle Phasen frisch gewonnener Schlauheit, erlebte eine Pan-ne und die totale Hilflosigkeit im Trudeln („propellermäßig herumgewirbelt“), verabschiedete sich vom Leben, wurde bewusstlos und kam 20 Kilometer tiefer am Haken eines Rettungsschirms zu sich. Über all die Jahrzehnte ist spinning die größte Gefahr für Springer aus der Stratosphäre.

Abspringen in einem Vakuum bedeutet, dass der Körper keine Anströmung, keinen Luftwiderstand vorfindet. Die tausendfach geübten Bewegungen des durchtrainierten Athleten fallen hier, im Sinn des Wortes, ins Leere.

Kittinger konnte nach den ersten zwei-tausend Metern seines Sprungs einen kleinen Stabilisierungsschirm auslösen, der ihn nicht bremste, aber vor spinning bewahrte. Der echte Fallschirm ging erst 25 Kilometer tiefer auf, in der nun schon dichteren Luft.

Was kann uns Joe heute vom Rand des Weltalls erzählen? Zum Beispiel: Wie soll man sich die stratosphärische Stimmungs-lage des Erdenmenschen vorstellen?

There is a contrast between beauty and peril, die Schere zwischen Verzückung und eisiger Gefahr bei 70 Grad minus. Du kannst ein Vakuum zwar nicht fühlen, aber

es ist trotzdem da, unheimlich, feindlich. Dabei kannst du die Erde über eine Weite von siebenhundert Kilo­metern sehen, siehst den Himmel über dir tiefschwarz, gegen den Horizont hin in allen möglichen Blautönen.

Wie kann der Himmel bei Tageslicht schwarz sein?Das Licht da oben ist nicht gestreut (not diffused),

für uns wird es erst durch die Reflexion blau. In einem Vakuum gibt es keine Reflexion von Licht ober dir. Du kannst auch nicht die Sterne sehen, deine Augen sind geblendet, daher werden die Pupillen ganz klein.

Sie sind am höchsten Punkt immerhin neun Minu-ten am Ballon geblieben. Gibt es den Höhenrausch, besteht eine Gefahr der unkontrollierten Euphorie?

Nein. Die Feindlichkeit der Umwelt ist jederzeit spür­bar, und eine Überdosis Sauerstoff gibt dir auch keine Euphorie. Die schaurige Stille tut ein Übriges.

Wie einsam mag man sich da oben fühlen?Ich war Testpilot, und ich war als solcher trainiert.

Ich machte den Sprung tausend Mal in meiner Vorstel­lung, und als es dann so weit war, I was ready for it.

und der Sprung selbst, die Geschwindigkeit im freien Fall? Wie nimmt man 1000 km/h wahr?

Nicht spürbar, es gibt ja keinen Wind, der an dir zer­ren würde. Zuerst ist nur das Glücksempfinden, nicht in die Rotation geraten zu sein, aber nach zwei Minuten rasen die Wolken auf dich zu und du musst dir zureden, dass es ja nur Dampf ist.

Stichwort Famous First Words.Vor dem Sprung sagte ich: Lord, take care of me

now. Und als mein Fallschirm öffnete, sagte ich sehr höflich danke, an dieselbe Adresse.

Werden Sie wehmütig werden, wenn Sie erleben, wie Ihr eigener Rekord ausgelöscht wird?

Nein. Damals ging es uns nicht um Rekorde. Wir stiegen hinauf, um Erkenntnisse zu bekommen über die Möglichkeiten eines Notausstiegs in dieser Höhe. Daher habe ich mich nie darum gekümmert, dass meine Daten von einer Sportbehörde oder von wem auch immer er­fasst wurden.

Hatten Sie danach nicht unbändige Lust, auf den Mond zu fliegen?

Als das Mercury­Projekt anlief, hatte ich die Mög­lichkeit, mich dafür zu melden, aber das habe ich nicht getan, und ich habe nie zurückgeblickt und gesagt, ich wäre gern ein Mercury­Astronaut geworden und wäre gern zum Mond geflogen, weil ich sehr glücklich war mit dem, was ich erreicht habe.

Man kann nicht sagen, dass Joe danach faul gewor-den wäre. Als Kommandant einer F-4-Staffel flog er in Vietnam, schoss eine MiG ab, wurde selber ab-geschossen, war Kriegsgefangener im berüchtigten „Hanoi Hilton“ und kam nach einem Jahr frei. Er erzählt nicht viel darüber. 1978 schied er aus der Air Force aus, widmete sich dem Ballonfahren und stellte den Weltrekord für die längste und weiteste Solo-Ballonfahrt auf, als Erster allein über den Atlantik – „man will ja in der Pension nicht versauern“. Mit 83, fit und schlau und überbordend voll mit Wissen aus dicker und dünner Luft, wird Colonel Joe neben Ingenieuren und Ärzten im Kommandostand sitzen, wann immer Felix Baumgartner auf die Reise geht.www.redbullstratos.com

Vor dem Sprung sagte ich: „lord, take care of me now.“ nach dem Sprung sagte ich höflich danke an dieselbe Adresse.

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Das Ei des FelixKern des Projekts Red Bull Stratos ist die Kapsel, Felix Baumgartners wichtigste Schutzhülle auf seiner Reise in den Himmel, von wo aus er im freien Fall und per Fallschirm aus über 36.000 Metern auf die Erde zurückkehrt.

Auf wenigen Kubikmetern ver-dichtet die Stratosphärenkapsel High-Tech in einer Art, wie sie im Zivilleben nur selten vorkommt (höchstens Militär oder Raum-fahrt können dem noch etwas entgegensetzen – wenn sie denn dürfen).

Die Konstrukteure der Kapsel zeigen uns exklusiv Baum-gartners Logenplatz und weihen uns ein in die Geheim-nisse dieses außer gewöhnlichen Stücks Hochtechnologie.

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as Herz von Red Bull Stra-tos schlägt in Lancaster, Kalifornien, knappe zwei

Autostunden nördlich von Los Ange-les in der High Desert gelegen.

Hier, unweit der Edwards-Luft-waffenbasis, ist eine Aeronautik- Firma mit dem pfiffigen Namen Sage Cheshire Aerospace zu Hause, zu Deutsch: kluge Grinsekatze.

Art Thompson und sein erstaun-lich kleines Team von nicht einmal zwanzig Spezialisten arbeiten dort in zwei unscheinbaren Hallen am Stadt-rand an Red Bull Stratos, einer Mis-sion, die die Grenzen der Menschheit ein kleines Stück weiter hinaus ins All verschieben wird.

Text: Werner Jessner Bilder: Balazs Gardi

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IN DIESEM KAPITEL erfah-ren wir, warum ein Ballon die bessere Art ist, in die Stratosphäre zu gelangen 2.0, als ein Raumschiff, sehen uns die Kapsel an 2.1, inspizieren Felix’ Ar-beitsplatz 2.2 und staunen über die zahlreichen Kameras an Bord 2.3.

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Reale Be-dingungenBis zu minus 60 Grad und ein so geringer Außen-druck, dass das Wasser im Blut zu „kochen“ begin-nen würde: In der Druckkammer wer-den diese Belas-tungen für Kapsel und Raumanzug simuliert.

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der Preisträger für seinen Flug über den Ärmelkanal. Arnold stellte mich Felix vor. Das war sehr freundlich von ihm. Mit Felix verstand ich mich auf Anhieb. Schon ein paar Monate später fl og ich nach Linz zu Art of Kart, einem Kartrennen zugunsten von Wings for Life, wo ich für das Team USA startete und Felix für Team Austria. (Ich kann mich leider nicht mehr erinnern, wer gewonnen hat.) Danach ging es weiter an den Hungaroring, wo Felix ein paar Runden in einem Formel-1- Gerät fuhr und ich Kumpels besuchte, die es sich mit Porsches besorgten.

Ein paar Tage später, ich war zurück in Kalifornien, läutete das Telefon, es war sechs Uhr abends bei mir. Felix war dran. „Art, wenn du Joe Kittingers Rekord-sprung aus 31 Kilometer Höhe überbieten wolltest: Wie würdest du das angehen?“ – „Ähm, Felix, bei dir ist es drei in der Früh?“ – „Ja, ich weiß. Ich verlasse gerade das Haus meiner Freundin.“

So ist Felix: Wenn ihn etwas beschäftigt, dann ist er 24 Stunden pro Tag am Ball.

Es war also Zeit für ein paar Telefonate mit Kumpels aus früheren Zeiten: Als Ers-ten holte ich Rick Searfoss an den Hörer, einen NASA-Commander, der auf den Space Shuttles „Columbia“ und „Atlantis“ geflogen war und außerdem Erfahrung als Testpilot mitbrachte. Nach seinem Ab-schied von der NASA war er Chief Judge beim Ansari X-Prize, einem Wettbewerb für den ersten privaten Raumfl ug.

Mein zweiter Anruf galt Eric, einem Designer. Wir erarbeiteten zwei Lösun-gen, wie man einen Menschen höher als 30 Kilometer in die Stratosphäre bringen könne: entweder ganz klassisch mit Bal-lon und Kapsel oder mit einem Raumfl ug-zeug ähnlich dem X-Prize. Rick meinte, um erfolgreich zu sein, müsste man die Hülle von Scaled Composites und den Raketenantrieb von XCOR kaufen, beides spezialisierte Unternehmen, die in der Mojave-Wüste daheim sind und an priva-ten Weltraumfahrzeugen arbeiten. Bei

anchmal ist der Zufall der größte Kons trukteur. Abgesehen von

meiner Arbeit in der Aeronautik, zum Beispiel in tragender Rolle für Northrop Grumman am „Stealth“-Bomber B-2 und vergleichbaren Projekten für Air Force und NASA (die zu ihrer Zeit selbstver-ständlich hoch geheim und am letzten Stand der Wissenschaft waren), habe ich stets die leichte technische Muse gepfl egt. Meine Firma, die dafür zuständig ist, trägt den einfach zu merkenden Namen A2ZFX und baut Filmrequisiten der an-spruchsvollsten Art für Hollywood. Unsere Kreationen sind etwa in „Batman“, „Stirb langsam“, „X-Files“ oder „Contact“ auf-getreten.

Mein Freund Arnold Schwarzenegger, den ich durch meine Arbeit für den Film kannte, veranstaltete die Taurus Stunt Awards, und Felix Baumgartner war einer

2.0PROLOG

Raumschiff oder Ballon?

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Art Thompson, technischer Projektleiter, erklärt, wie es zum Design der Kapsel kam und welche Alternativen es gegeben hätte.ZU

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der Berechnung der Kosten wurde uns schwindlig. Außerdem gab es eine Reihe ungelöster – vielleicht sogar unlösbarer – Probleme: Wir hätten Felix in 36 Kilo-metern aus dem Raumschiff katapultieren, danach die Luke wieder dicht kriegen und den Piloten samt Fahrzeug wieder sicher zu Boden bekommen müssen.

Gemeinsam mit Felix und Red Bull ent schieden wir uns für die altmodische, romantische, klassische Variante per Bal-

lon in seiner höchsten Entwicklungsstufe: Viel höher als 36 Kilometer kann man in einem Ballon nicht fahren, denn alles, was darüber hinausgeht, ist kaum noch kalkulierbar: Schon unser Ballon ist höher als eine Kathedrale! Was noch größer ist, wird absurd schwierig im Handling. Wir können also ziemlich sicher sein, dass es niemandem gelingen wird, unsere Mission jemals unter vergleich baren Bedingungen zu toppen.

PROLOG

Raumschiff oder Ballon?

2.0

LuftmischerDie Atmosphäre im Inneren der Kapsel besteht aus einem Sauerstoff-Stickstoff-Gemisch, das Felix manuell justiert. Im Inneren der Kapsel herrscht 0,5 bar Überdruck.Da der Außendruck während des Aufstiegs permanent abnimmt, muss Felix auch den Kabinen-druck sukzessive reduzieren.

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as Layout der Kapsel von Red Bull Stratos wird von der Physik

diktiert: Die Überlebenszelle, die während des gesamten Fluges einen Überdruck von 8 psi (0,5 bar) behält, ist kugelförmig. Der Grund: Eine Kugel ist die stabilste Form, um Druck zu widerstehen. Die Größe (sechs Fuß im Durchmesser, etwa 183 cm) wurde durch die Notwendigkeit einer 4-Fuß-Tür (122 cm) diktiert, damit Felix mit Raumanzug und Fallschirm bequem und sicher aussteigen kann. Die ursprüng-liche Idee, diese Kugel aus Carbon zu fertigen, musste sehr schnell verworfen werden: Bei extremer Kälte und unter nahezu völligem Sauerstoffabschluss hätte sich eine Carbon- Kugel ausgedehnt, während die Tür – gefertigt aus trans-parentem Kunststoff auf Acrylbasis – unter solchen Bedingungen geschrumpft wäre. Daher wurde die Kugel ganz alt-modisch aus Fiberglas gefertigt.

Nicht weniger als genial in seiner Schlichtheit und Effizienz ist der Öff-nungsmechanismus der Tür: Letztere rollt auf einer etwas größeren Schiene unten und einer etwas kleineren oben, lehnt so-mit um zehn Grad nach hinten. Wodurch das Öffnen sehr einfach ist und kaum Kraftaufwand erfordert. Noch einen Vor-teil hat diese simple Konstruktion, deren Dichtheit auf bloßem Überdruck und drei Silikonsiegeln beruht: Sollte der Druck im Inneren – aus welchem Grund auch im-mer – abfallen, kann Felix seine Füße ein-fach gegen das Türinnere stemmen, und die Atemluft, die aus dem Anzug strömt, dichtet die Kapsel durch den entstehen-den Überdruck wieder ab.

Die Überlebenskugel wird oben und unten von Rohren aus Chrom-Molybdän-Stahl getragen, einem einfach zu verarbei-tenden, gut zu schweißenden, robusten Material, das sich vom Mountainbike bis zum Stock-Car-Racing millionenfach bewährt hat.

Die Milchkannenform der gesamten Einheit wird vom zusätzlichen Platzbe-darf diktiert. Im unteren Teil, gleichsam im Schatten der Kugel, sind die sechs weltraumgetesteten 12-Volt-Batterien für die Bordspannung untergebracht. Jede hat das Format einer LKW-Batterie und ist aus Gründen thermischer Isolierung dick in Styropor eingepackt. Außerdem versammeln sich hier auf minimalem Raum Leitungen, Sauerstoff- und Stick-stoffreserven sowie sämtliche Hardware, die keine Schutzatmosphäre zum Funk-tionieren benötigt.

Wichtig zum Verständnis: Die Kapsel besteht aus zwei komplett voneinander getrennten „Welten“. Die eine im Inneren der Kugel hat eine (atembare) Atmosphäre, die äußere ist Temperatur- und Atmo-sphärenabfall bei steigender Höhe schutz-los ausgeliefert. Man musste sich bei der Konstruktion sehr genau überlegen, wel-che Komponenten man nach außen pa-cken durfte und welche nach innen in die Kugel verfrachtet werden mussten. Natur-gemäß sind besonders die Übergänge von der einen in die andere Welt potentielle Gefahrenherde, jedes Kabel, jede Leitung, die Außen- und Innenwelt verbinden. Da-her hält man die Anzahl dieser Übergänge so gering wie möglich.

Der Zylinder, der der Kugel aufgesetzt

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TECHNIK

Kapsel

2.1

Größe zähltDie Ausstiegsöffnung ist mit 122 cm Durchmesser gerade groß genug, um Felix mit Druckanzug und Fallschirm einigermaßen bequem aussteigen zu lassen.Während des Fluges verhindern ein Mechanismus im Raumanzug und ein Beckengurt das Durchstrecken des Körpers. Erst im Freien kann sich Baumgartner aufrichten.

ist, beherbergt das Hirn der Kameras und kann in etwa so viel wie ein 36-Tonnen-Übertragungswagen vor dem Fußball-stadion (siehe Seite 20). Die seitliche Beplankung besteht aus etwa zehn Zenti-meter dickem Styropor, das mit hartem Kunststoff überzogen ist. Die einzelnen Platten lassen sich ganz einfach abneh-men, wie überhaupt die Konstruktion der Außenhülle an einen Messestand gemahnt. Mehr konstruktive Finesse ist hier allerdings nicht gefragt, warum denn auch: Weder im Aufstieg noch beim Abstieg am Fallschirm (auch die Kapsel kehrt per Fallschirm zur Erdoberfläche zurück) kommen besondere Belastungen auf die Außenhaut zu.

Wir müssen uns an dieser Stelle von der Vorstellung von Keramikfliesen ver-abschieden, wie sie Space Shuttles als Hitzeschild beim Wiedereintauchen in die Atmosphäre getragen haben. Felix wird mit ein paar Metern pro Sekunde steigen, das ist mit Flugkörpern, die aus dem Orbit zurückkommen, nicht zu ver-gleichen.

Auf den Bildern nicht zu sehen ist das Crush-Pad auf der Unterseite der Kapsel: Etwa 50 Zentimeter Karton in Wabenform dämpfen den Aufprall bei der Landung, wenn nach Felix’ Ausstieg die Verbindung zum Ballon per Fernsteuerung gekappt wird, die Kapsel nach unten saust und, von einem Fallschirm gebremst, landet. Bei ersten Tests hat das ausgezeichnet funktioniert: Die Wucht des Aufpralls lag mit gemessenen 6,8 g am unteren Ende der berechneten Belastung, die bis 10 g im grünen Bereich liegen würde.

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2.2

User’s ManualSie wollten schon immer einmal in die Haut von Felix Baumgartner schlüpfen? Zumindest bei der Kapsel ist das möglich: Felix zeigt uns seinen Arbeitsplatz und erläutert die Funktionen.Selbstverständlich kennt er Funktion und Position jedes einzelnen Schalters auswendig. Er hat das in Tests unter verschiedensten Bedingungen mehrhundertfach geübt.

INNENLEBEN

Kommando-zentrale Atmosphäre

In dieser Konsole befinden sich die beiden Ventile für Sauerstoff und Stickstoff, außerdem Druckanzeigen, die mir Höhe und Zusam-mensetzung der Luft im Inneren meiner Kapsel anzeigen.

AusstiegOhne diesen Hebel gibt es kein Entkommen aus der Kapsel: Er gibt den Tür-mechanismus frei. Mit einer roten Klappe am Boden (hier verdeckt) fi xiere ich danach die geöffnete Tür in ihrer Position.

MinibarDer Getränkehalter hat Platz für fünf Trinkfl aschen, die wegen der dehydrieren-den Wirkung des reinen Sau-erstoffs absolut notwendig sind. Im Raumanzug kann ich sie in dieser Position gerade noch erreichen.

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KontrolleDas ist mein Armaturenbrett und Rückspiegel zugleich: Die kleine Anzeige zu meiner Linken liefert Basisdaten zu meiner Position, im Monitor daneben kann ich unter neun Kamerapositionen wählen.

BallonLinks oben liegen die Ventile für die Ballonkontrolle, ge-sichert durch Klappen, um unabsichtliches Bedienen auszuschließen. Normaler-weise sollte ich hier nichts zu tun haben.

FunkWährend meiner Mission stehe ich in permanenter Verbindung mit der Boden-station. Am anderen Ende spricht Joe Kittinger – und nur er. Der Funk ist doppelt vorhanden und dual ausge-legt: Ich kann also gleichzei-tig sprechen und empfangen.

UnterbrecherAuf zwei Panele verteilen sich die rund achtzig Schal-ter, mit denen sich jeder einzelne Stromkreis in der gesamten Kapsel unter-brechen (und wieder neu starten) lässt.

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ir wollten Felix am Weg nach oben et-was zu tun geben“, lächelt Marle

Hewett, 74. Der Amerikaner könnte ein gemütlicher Pensionist sein, wären da nicht diese Augen. Sie haben viel gese-hen, denn der heutige Red Bull Stratos Program Manager und Senior Flight Test Engineer war Testpilot, hat das Aerospace Engineering Department der US Naval Academy geleitet, war Navy Commander und hat genau wie Joe Kittinger in Viet-nam als Pilot gekämpft. Einen wie Marle Hewett kann so schnell nichts beeindru-cken. Er ist gewohnt, dass Menschen in seinem Umfeld funktionieren.

Allein die Tatsache, dass einer wie Hewett an Bord ist, zeugt von der Professionalität dieser Mission. Für Amateure in seinem Arbeitsumfeld hätte ein Veteran wie er wenig Verständnis. Hewetts Urteil über Felix fällt nahezu euphorisch aus: „Smarter Bursche, lern-fähig, willig, belastbar, fokussiert. In der Luft beeindruckend, man merkt seine Helikopter-Erfahrung. Der richtige Mann für diese Mission.“

Felix Baumgartners Arbeitsplatz hat mehrere Ebenen, die räumlich und inhalt-lich klar voneinander getrennt sind (siehe vorhergehende Doppelseite). Da er sich wegen des Raumanzugs kaum bewegen kann, war gute Ergonomie des Cockpits entscheidend. Die Fact-Finding Missions für den ersten Prototyp waren echte Pionierarbeit: In einem Ei aus Schichtholz wurden ein IKEA-Bürostuhl und Schaum-stoffblöcke so lang herumgerückt, bis man ein stimmiges, ergonomisch funktio-nelles Layout erarbeitet hatte. Erst dann ging es an die tatsächliche Umsetzung.

Kommando-zentrale

2.2

Wichtig dabei: Obwohl die Mission Red Bull Stratos im Großen und Ganzen von der Kommandozentrale am Boden aus gesteuert wird, muss Felix Baumgartner jederzeit in der Lage sein, vom Sitz in sei-ner Kapsel aus selber einzugreifen.

Jedes System an Bord ist redundant ausgelegt, also doppelt vorhanden. Die deutschen Spezialisten der Firma Riedel Communications sorgen für die Verbin-dung zwischen Kommando zentrale und Stratosphäre, ein Puzzlesteinchen, dessen Bedeutung für das Gelingen von Red Bull Stratos gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann.

Der große Kasten im Bereich des linken Knies sind rund achtzig Unterbrecher, mit denen man jede einzelne Funktion der gesamten Kapsel ein- und wieder aus-schalten kann. Sollte also etwas schief-gehen oder auch nur nicht hundertpro-zentig nach Plan laufen, kann Felix hier manuell eingreifen und einzelne Schalt-kreise deaktivieren oder neu starten. Es

RedundanzJedes System ist mindestens doppelt ausgelegt. Es gibt Fern- und manuelle Steuerung.Die gesamte Mission folgt einer hochpräzisen Checklist. Allein die Ausstiegs prozedur umfasst 36 Punkte, deren letzter „Jump!“ heißt.

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Alte Weltraum-weisheit: Keep it simple (und denk an ein Back-up).

INNENLEBEN

gilt die gute alte Weltraumweisheit: Keep it simple (und denk an ein Back-up). Selbst wenn die komplette Mission Red Bull Stratos vom Boden aus ferngesteuert wird, muss Felix dennoch jederzeit Posi-tion und Funktion jedes einzelnen Unter-brechers auswendig kennen und ihn blind erreichen können.

Direkt über diesem eindrucksvoll kompliziert wirkenden Schaltkasten gibt es ein klappbares Kontrollpanel, in das die wichtigsten Werte der Ballonfahrt ein-geblendet werden. Am Monitor daneben kann Felix zwischen neun Kamerapositio-nen umschalten. Das ist wichtig, denn durch seine eingeschränkte Mobilität im Raumanzug ist er ohne Kameras nahezu blind (und das trotz der drei Spiegel in der Kapsel und eines weiteren auf der Außenseite des Handschuhs).

Am Boden links ist Platz für eine zu-sätzliche Sauerstofffl asche mit Atemluft für eine halbe Stunde: Sie stellt die Ver-sorgung auch im Falle eines kompletten Ausfalls aller anderen Systeme sicher.

Der Hebel am Boden rechts dekom-primiert die Kapsel, die Tür lässt sich zur Seite rollen und mittels einer roten Klappe am Grund des unteren Ringes arretieren, damit sie nicht – etwa durch eine Erschüt-terung beim Aufstehen aus dem Sitz – zu-rückrollen kann.

Zu Felix’ Rechter befindet sich die

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Steuerung der Innen-Atmosphäre: Über zwei Ventile reguliert er Luftdruck und -zusammensetzung. Felix atmet reinen Sauerstoff ein. Die Luft, die er in den Anzug und dann weiter in die Kapsel ausatmet, hat somit noch immer einen hohen Sauerstoffanteil. Die Zusammen-setzung der Kapsel-Luft darf jedoch maximal 22 Prozent Sauerstoff bein-halten, alles andere wäre zu gefährlich: Ein Funken bloß, und die Kapsel würde lichterloh brennen. Daher muss Felix Stickstoff als Neutralisator zumischen. Sollte ein Bordfeuer ausbrechen, gäbe es eine einzige Möglichkeit zu löschen: Ist der Ballon bereits hoch genug gestiegen, würde ein Öffnen der Tür die Flammen ersticken, da ihnen im Beinahe-Vakuum der zum Brennen notwendige Sauerstoff entzogen würde.

Rechts hinter dem Sitz stehen in Hal-terungen am Boden fünf Trinkfl aschen mit Halmen, die durch eine luftdicht abschließende Klappe in den Helm eingeführt werden können. Die mensch-liche Lunge kann Luft mit 100 Prozent Feuchtigkeit am besten veratmen. Reiner

Marle Hewett, Program Manager von Red Bull Stratos, war wie Joe Kittinger Pilot in Vietnam. Danach hat der Techniker in leitender Position für U.S. Navy und NASA gearbeitet.

Sauerstoff trocknet den Körper von der Lunge beginnend dramatisch schnell aus, daher muss Felix permanent trinken, um nicht zu dehydrieren. Was in den Körper reingeht, muss auch wieder raus, daher trägt er unter dem Raumanzug eine Art Kondom, das mittels Schlauch mit einem Reservoir auf der Unterseite des Sitzes verbunden ist.

Der Sitz selbst stammt aus einem Trophy Truck, den stabilsten Fahrzeu-gen, die es im US-Rennsport gibt. Damit Felix mit dem Fallschirm am Rücken darauf sitzen kann, wurde die Sitzfl äche um einen knappen halben Meter nach vorn verlängert. Die Längsverstellung (der Griff dazu liegt auf der rechten Seite des Sitzes, schräg hinter der Tür-entriegelung) ist nötig, damit Felix mit seinem Druckanzug aus der Kapsel klet-tern kann.

Was noch? Drei Kameras (siehe auch folgende Seiten) und ein stilvolles Deckenlicht aus einem Teppich blauer LED-Leuchten. Den hatte sich die Film-und Fotocrew gewünscht, sonst hätte der Kontrast zwischen der aufgehenden

Sonne in 36 Kilometer über Grund und dem relativ dunklen Kapselinneren die Kameras überfordert. „Dabei habe ich ohnehin schon drei Fenster eingebaut“, lächelt Art Thompson. „Kein anderes Raumfahrzeug hat eine derart prächtige Aussicht.“

KontrolleDie Verantwortung liegt bei der Mission Control am Boden. In der Luft führt Felix nur Befehle aus.Nur im Fall eines Problems würde Felix von seiner Position in der Kapsel aus aktiv eingreifen können. Der Pilot ist das Back-up.

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ls Brot-und-Butter- Kamera dient uns beim Projekt Red Bull Stratos eine weltraum-

taugliche High-Definition-Kamera, die wir nach unseren Bedürfnissen modi-fiziert haben. Normale Kondensatoren kannst du in der Stratosphäre vergessen: Wir mussten alle gegen für den Orbit geeignete Exemplare austauschen. Die kannst du nicht im Shop kaufen, sondern nur bei spezialisierten Zulieferern, die mit dem Militär oder der NASA koope-rieren.

Außerdem haben wir die Standard-einstellungen der Kameras überarbeitet, etwa die Verschlusszeit auf ein normales Maß runtergedreht, um diesen Stakkato-Look à la „Saving Private Ryan“ zu vermeiden. Es soll möglichst natürlich aussehen, mit einem gesunden Maß an Bewegungsunschärfe.

Insgesamt haben wir neun Stück die-ser HD-Kameras an Bord. Zwei davon befinden sich im Inneren der Kapsel: Eine ist von vorn auf Felix gerichtet, eine schaut ihm über die Schulter. Das gibt erstens spektakuläre Bilder und erlaubt es zweitens dem Team, Felix’ Ausstieg zu überwachen. Sollte sich etwa der Fall-schirm verheddern, sieht das die Mission Control anhand der Bilder dieser Kamera und kann Felix warnen.

Zwei HD-Kameras trägt Felix am Anzug, eine ist nach oben, die andere nach unten gerichtet. Am Chest Pack, das er umgeschnallt hat, ist außerdem eine Go-Pro montiert, die in 110-Grad-Bildwinkel einen Blick auf Felix während des Freifalls erlaubt. Es ist dramaturgisch und für das Verständnis der Zuschauer wichtig, dass man dem Mann während seiner Mission ins Auge sieht (oder zumindest aufs be-schlagene Visier) und später mitverfolgen kann, wie sich der Fallschirm öffnet.

Von den Kameras außen möchte ich vor allem jene herausheben, die sich auf Auslegern in luftdichten Alu-Gehäusen befinden. Wir haben jeweils eine HD-Kamera, eine Fotokamera (Canon 5D mit

Kameras2.3Jay Nemeth ist für die Bilder von Red Bull Stra-tos, ob Film oder Foto, zuständig. Seit 25 Jahren filmt er alles, was fliegt. Er ist als einer von wenigen Menschen weltweit „zero g“-qualifiziert, kennt also die Schwere losigkeit aus eigener Anschauung.

14-mm-Weitwinkel-Optik) und eine RED in ein Gehäuse gepackt. Die RED macht 4K-Aufnahmen, also solche, die man so-gar für IMAX verwenden könnte. Die RED liefert die höchste derzeit überhaupt dar-stellbare Qualität. Unsere RED-Kameras haben wir dahingehend modifiziert, dass wir normale Canon-Spiegelreflexoptiken verwenden können.

Es ist ganz schön eng in diesen Alu-Zylindern, von denen einer 25 Kilo wiegt und dem Dreifachen jenes Drucks stand-halten kann, dem er während der Mission ausgesetzt sein wird. Wir ziehen sämtli-chen Sauerstoff und alle Feuchtigkeit aus den Zylindern und schaffen eine 100-Pro-zent-Stickstoff-Atmosphäre. Das ist nötig,

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Dreifaches AugeEine Fotokamera, eine HD- und eine Digitalkamera nehmen Red Bull Stratos von den Auslegern am Kapseläußeren auf. Sie sollten die spektakulärsten Bilder liefern.Während des Aufstiegs schießt die Fotokamera alle 10 Sekunden ein Bild. Wenn Felix aussteigt, schaltet sie auf Dauerfeuer.

AN BORD

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um ein Beschlagen zu verhindern. Vor al-lem die RED-Kameras produzieren enorm viel Hitze, und die Ventilatoren brauchen eine Art von Luft, die sie fächeln können. Der Wärmetauscher funktioniert auf Glykolbasis. Die Technologie dafür ist an sich nicht neu – man verwendet sie auch, um zum Beispiel einen Raketenstart von unten zu filmen –, aber in 36 Kilometer Höhe hat meines Wissens nach noch nie-mand damit gearbeitet.

Sämtliche Informationen, die die Kameras aufzeichnen, laufen im oberen Teil der Kapsel zusammen. Was wir hier haben, entspricht etwa der Technik eines kompletten Übertragungswagens inklusive Mikrowellen-Downlink. Neun HD-Recorder, neun Kamera-Kontroller, Multiplexer, Konverter, Audio-Elemente, Spannungsrichter, Circuit Breaker, Tele-metrie, Kühlung, Fernsteuerung für alles: Ich glaube, dass noch nie zuvor so viele Elemente auf so wenig Raum unterge-bracht worden sind. Das Verkabeln des Dings ist eine Großtat: Mittels 128-Bit-Interface ist die Kamera-Unit mit dem Kontrollpanel im Inneren der Kapsel verbunden.

Wir wollen Felix diese Arbeit zwar ersparen, aber sollte es Probleme mit der Fernsteuerung geben, muss er in der Lage sein, die manuelle Steuerung der Kame-ras zu übernehmen. Dazu haben wir die Recorder so modifiziert, dass sie entweder ferngesteuert arbeiten oder aber auto-matisch in den Aufnahmemodus gehen, sobald Strom angelegt wird. Wir arbeiten hier mit einem Back-up fürs Back-up: Wir können es uns einfach nicht leisten, dass nichts auf den Chips gespeichert ist, nach-dem Felix gesprungen ist …

Insgesamt generieren wir allein durch die On-board-Kameras drei Terabyte an Daten, die Speicherrate haben wir von technisch möglichen 100 auf immer noch 50 Megabyte pro Sekunde reduziert.

Selbstredend sind konventionelle Fest-platten mit beweglichen Teilen tabu. In der Stratosphäre würden sie nicht funktio-nieren, befinden sie sich doch außerhalb der Kapsel-Atmosphäre, sind also damit einem Beinahe-Vakuum und tiefsten Tem-peraturen schutzlos ausgeliefert. Daher wir arbeiten ausschließlich mit Solid-State-Speichermedien.www.redbullstratos.com

Bilder-zentraleDas Herzstück der Dokumenta-tion von Red Bull Stratos kann so viel wie ein Über-tragungstruck und hat doch am Kapseldach Platz. Die Aufnahmen werden 3 Tera-byte an Daten generieren.Die Speicherrate wurde von technisch möglichen 100 auf 50 Megabyte pro Sekunde reduziert, um mit dem verfügbaren Speicher auszukommen.

Kameras

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Apple, the Apple logo, iPhone, and iPod touch are trademarks of Apple Inc., registered in the U.S. and other countries. iPad is a trademark of Apple Inc. App Store is a service mark of Apple Inc. Android is a trademark of Google Inc.

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TOSDer Heliumballon von Red Bull Stratos fasst 850.000 Kubikmeter,

überragt beim Start die Spannweite dreier Boeing 777 und wird Felix Baumgartner auf die dreifache Reisefl ughöhe des größten zweistrahligen Passagierfl ugzeugs der Welt steigen lassen. Atem-beraubend: die Logistik und Präzision hinter dem Ballonstart.

3Völlig abgehoben

Text: Werner Jessner

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Völlig abgehoben

IN DIESEM KAPITEL widmen wir uns ganz dem Heliumballon, der Felix in die Stratosphäre bringen wird. 3.1 Ballonstart: So geht er in die Luft. 3.2 Die Lizenz: Felix Baumgartner lernt Ballon fahren.

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Die heiklen Phasen des AbhebensWie startet man innerhalb einer Stunde einen Ballon von der Höhe eines 75-stöckigen Wolkenkratzers? Ganz einfach so:

Der Mann mit der größten Verantwortung ist ge-wohnt, der Buhmann zu sein. Das liegt an seinem Job: Er ist Meteorologe.

„Wir sind immer schuld“, nimmt Don Day das Schicksal seiner Profession auf die leichte Schulter. „Das ist Teil unserer Job-Description.“ Wahr ist: Das gesamte Team von Red Bull Stratos zollt dem Mann aus Cheyenne, Wyoming, höchsten Respekt und ist nach Jahren der Zusammenarbeit noch immer bass erstaunt von der Präzi-sion, mit welcher der Meteorologe das Wetter vorausberechnet (nicht etwa vor-aussagt, wohlgemerkt).

„Um einen Ballon dieser Größe in die Luft zu bringen, müssen mehrere Bedingungen erfüllt sein. Erstens: kein Wind. Am Boden dürfen wir nicht mehr als 3 km/h haben, beim höchsten unserer drei Wetterballons in 60 Meter über Grund nicht mehr als 6 km/h. Das erreichst du selbst in einer Gegend, die für Ballon-starts so prädestiniert ist wie New Mexico, nur direkt vor Sonnenaufgang. Zweitens: keine oder nur wenig Wolken, geringst-mögliche Luftfeuchtigkeit. Auf der Fläche des gesamten Ballons addieren sich selbst Wassertröpfchen schnell zu einer Last von mehreren hundert Kilo. Drittens: Wir brauchen gute Sicht. Und viertens dürfen am Weg nach oben nirgendwo zu starke Winde auftreten, die Felix unkontrolliert weit abtreiben könnten. Nur wenn diese Parameter erfüllt sind, kann ich mein Okay geben, und Red Bull Stratos darf abheben.“

Don Day stehen dafür Messwerte bis in 40 Kilometer Höhe zur Verfügung – der höchste von der Meteorologie erfassbare Punkt, höher noch, als Felix steigen wird. Die Mischung aus computerberechneten Wettermodellen, Messwerten verschie-dener Wetterballons in unterschiedlichen Höhen, gespeicherten Aufzeichnungen und am Ende einem Quäntchen me-teorologischen Genies ermöglicht

drei Tage vor einem möglichen Start eine Prognose: Bereitet euch darauf vor, dass wir z. B. am Mittwoch starten. 24 Stunden vor dem Start ist die Prognose so genau, dass sich Don eine „90-prozentige Genau-igkeit“ entlocken lässt.

Acht Stunden vor dem Start sollte fest-stehen, ob der große Tag gekommen ist. So lang braucht es nämlich, um die gesamte Startprozedur ablaufen zu lassen.

Der Mann, der den Ballon dann tat-sächlich in die Luft bringt, heißt Ed Coca. Wiewohl ein alter Hase, nötigt ihm Red Bull Stratos doch großen Respekt ab, „im-merhin startest du einen so großen Ballon nicht alle Tage“. Wie viele 850.000-Kubik-meter-Ballons er denn schon gelauncht habe? „Es ist mein erster.“

Viereinhalb Stunden vor dem Start ruft Ed den Meteorologen Don an, um die ex-akte Richtung eines eventuellen Lüftchens (genau: nicht mehr als 3 km/h) präzise zu erfahren. Dementsprechend werden der Ballon und der „Train“ darunter,

Ballonstart: So geht er in die Luft.

3.1bestehend aus Kapselfallschirm und den Verbindungen zum Ballon auf der einen und der Kapsel auf der anderen Seite, am Flugfeld in Roswell, New Mexico, aus-gelegt. Das bisschen Wind, das erlaubt ist, muss möglichst direkt gegen die Kapsel drücken und darf keinesfalls aus der Gegenrichtung oder schräg kommen, um einen kontrollierten Start zu ermöglichen.

Der Ballon von Red Bull Stratos be-steht aus hauchdünnem, transparentem Kunststoff, vergleichbar mit einem Plas-tiksackerl aus dem Gemüseregal. Die Wandstärke variiert, liegt aber an jeder Stelle deutlich unter einem Millimeter. Die Herstellung des Ballons ist, wie man

„Einen 850.000- Kubikmeter-Ballon startest du nicht alle Tage.“

ABefüllen1. Eine Stunde vor Take-off befüllen zwei

LKW mit jeweils rund 5000 m³ Helium an Bord den Ballon über zwei Schläuche.

2. Ein Arm auf einer Plattform hält den Ballon, die Befüllung beginnt oben.

3. Der Ballon beginnt sich aufzurichten.4. Der Arm gibt nach und nach die Ballon-

länge frei.

Zwei große LKW bringen das Helium.

Die Befüllung erfolgt über zwei Schläuche.

Ein Arm hält den Ballon am Boden fest.

Helium ist leichter als Luft. Die Ballonkappe beginnt auf-zusteigen.

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Ab 20 Grad Schräglage wird es spannend.

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Ausbalancieren 1. Der Arm gibt den Ballon frei. 2. Ein mobiler Kran hält Ballon und

Kapsel unten noch fest. 3. Der Ballon richtet sich langsam auf. 4. Bei einer Schräglage von 10 bis 20 Grad

beginnt das Loslösen der Kapsel. 5. Der Kran bugsiert die Kapsel unter

das Zentrum des Ballons.

Felix sitzt bereits in seiner Kapsel.

Ein mobiler Kran hält die Kapsel fest.

Nachdem der Arm hochklappt,

beginnt der gesamte Ballon

zu steigen.

Der Kran fährt mit der Kapsel unter das Zentrum des Ballons.

Wetterballons zeigen die Windrichtungen an. Der „Train“ mit

dem Fallschirm, der die Kapsel später unver-sehrt zu Boden bringen wird.

Take-off1. Der Kran gibt die

Kapsel frei.2. Red Bull Stratos

hebt ab.

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HELIUM Leichter als LuftHelium (He) ist ein farb- und geruchloses ungiftiges Edelgas, das im Periodensystem der Elemente ganz oben steht. Helium ist das nach Wasserstoff zweithäufigste Element im Universum. Der größte Teil Helium ist schon beim Urknall entstanden.

Die kommerzielle Gewinnung von Helium basiert auf fraktionierter Destillation von Erdgas. Ein Kubikmeter Helium wiegt 179 Gramm, während ein Kubikmeter Luft rund 1,3 Kilogramm wiegt (abhängig von Tempe-ratur und exakter Zusammensetzung).

Helium

Jedes Loch im Ballon, und sei es noch so klein, ist verboten. Jede Berührung, jedes Bewegen der Hülle ist eine Risikoquelle.

sich unschwer vorstellen kann, eine hoch-präzise Aufgabe, die keinerlei Fehler ver-zeiht. Außerdem gilt es, die kleine Fleiß-aufgabe einzuarbeitender reflektierender Bänder zu erfüllen, damit die leere Hülle, die nach der Trennung von der Kapsel zu Boden schwebt, jederzeit am Radar geortet werden kann. Jedes Loch in der Hülle, und sei es noch so klein, ist verboten. Aus genau diesem Grund wird der gesamte Ballon, bevor er von dem langen Tisch, auf dem die einzelnen Bahnen verklebt werden, in die Transportbox verladen wird, mit speziellem schwarzem Licht durchleuchtet. Red Bull Stratos besitzt zwei dieser Ballons, einfach um sicher-zugehen (mehr zum Thema Redundanz in letzten Ausgabe des Red Bulletin).

Damit der hauchdünne Ballon beim Auslegen am Asphalt nicht verletzt wird, kommt eine Schutzschicht aus Herculite zwischen Boden und Ballon, ein speziell ausgesuchter Industrie-Kunststoff. Für die rund 15 Mann, die den Ballon auf-breiten und starten, gelten strenge Klei-dervorschriften: Baumwollhandschuhe. Keine Zipps. Keine Ösen. Keine scharfen Gegenstände. Und keine Gewalt: Jede Berührung, jedes bloße Bewegen des Bal-lons ist ein Risiko, kann eine potenzielle Schwachstelle verursachen. Dabei wäre die Verlockung, kräftig anzuziehen, um die Polyethylenbahnen in die gewünschte Richtung zu bringen, für Laien riesig, wiegt doch allein die Ballonhülle 1682 Kilo, so viel wie ein Mittelklassewagen.

Liegt der schlafende Riese endlich fertig ausgebreitet am Boden, werden die Trennungsmechanismen scharf gemacht, die, nachdem Felix sicher am Boden ge-landet ist, die Kapsel vom Ballon kappen. Im Zuge dessen reißt auch die Ballonhülle entlang einer fix definierten Linie auf, das Helium entweicht ins All. Die Ballonhülle beginnt ihren langsamen Abstieg, wird von der Bodencrew aufgesammelt und per LKW zurück nach Roswell gebracht.

So weit sind wir aber noch lange nicht: Zuerst muss Felix’ Luftschiff erst einmal abheben.

Eine Stunde vor dem Take-off kommt das Okay der Mission Control für die Startvorbereitungen.

55 Minuten vor dem Take-off beginnt die Befüllung mit Helium. Dazu benötigt man zwei Trucks mit Helium, von denen jeder 5000 Kubikmeter fasst. Um den Bal-lon so spät wie irgend möglich befüllen zu können, hat man sich für eine duale Befüllungsart entschieden, das heißt, dass das Helium aus zwei Schläuchen gleichzeitig in das obere Ende des trans-parenten Riesen strömt.

Irgendwann erhebt dieser sein Haupt und richtet sich als gigantische Blase vom Boden auf. In den folgenden Minuten wird die Blase größer und fester, und der Arm, der den Ballon am Boden hält und von einem LKW gebändigt wird, gibt zenti-meterweise mehr Ballonlänge frei.

Am anderen Ende dieser gigantischen, noch immer am Boden liegenden Poly-ethylenwurst sitzt Felix bereits in seiner Kapsel. Diese wird von einem Mobilkran in die Luft gehalten. Und in diesem LKW sitzt ein verdammt guter Truckie.

In dem Moment, da der Launch-Arm den Ballon freigibt, steigt jener endgültig auf, und sein Auftrieb hebt auch den un-befüllten Teil vom Boden. Noch steht der Ballon schräg im Himmel, aber an Felix’ Kapsel liegt schon Zug an. Hat der Ballon nur noch etwa 10 bis 20 Grad Schräglage – ein Erfahrungswert der routinierten Ballonstarter von ATA Aerospace um Launch-Crew-Chief Ed Coke –, kommt Be-wegung in den Mobilkran. Er muss jetzt präzise unter den Ballon gebracht werden (in etwa so, wie man einen Besenstiel auf der Fingerspitze balanciert, freilich in ganz anderem Maßstab), während der Ballon von oben an seiner Last zieht.

Ed dirigiert den Kran, dazu steht er in geringer Entfernung auf dem Flugfeld: „Eine seitliche Position gibt dir eine bessere Übersicht, wie du die Kapsel optimal unter das Zentrum des Auftriebs bugsierst.“

Gut, dass es beim Start windstill sein wird: Selbst auf einem Flugfeld ist nicht unbeschränkt Platz, und der Moment, in dem Ed den Befehl zum Ausklinken gibt, sollte eher früher als später erfolgen.

In den langen, langen Augenblicken vor jenem Moment, in dem sich Felix Baumgartner in den morgenklaren Him-mel von Roswell erhebt, wird keiner der Beteiligten zu atmen wagen.

„Auch wenn wir im Moment des Abhebens schon sehr viel erreicht haben: Geschafft haben wir da noch gar nichts“, sagt Felix Baumgartner. „Das ist erst der Anfang.“

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Um aus 36 Kilometern runterzuspringen, muss man zuerst rauffahren. Wie bei jedem Verkehrsmittel gilt auch beim Ballon: Zum Fahren braucht man eine Lizenz. Der Weg dahin kann manchmal ziemlich abenteuerlich sein.Text: Felix Baumgartner

3.2Felix lernt Ballon fahren

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ie steuert man Ballons? Grob gesprochen geben Winde die Richtung vor, und als erfahrener wie gut

vorbereiteter Ballonfahrer weiß man, in welcher Höhe sie wann wie wehen. Sanf-ter Nordwind in 200 Meter Höhe kann durchaus reschen Südwind in 400 Meter bedeuten. Du reist mit gut und gern 40 km/h oder mehr, was du in der Gon-del allerdings nicht mitkriegst, weil du dich ja mit dem Wind bewegst. Erst wenn der Wind dreht, spürst du ihn.

Die Reisehöhe eines Heliumballons justierst du mittels eines Ventils, das Gas entweichen lässt – du sinkst –, oder durch Ablassen von Ballast – du steigst. Das funk-tioniert sehr präzise, allerdings mit einer Verzögerung von 30 Sekunden. Sich darauf einzustellen ist Teil der Ballonfahrkunst. Keinesfalls wirft man Sandsäcke ab wie in schlechten Abenteuerfi lmen: Das wäre ein höllisch grobes Werkzeug. In der Regel reicht es zum Steigen, wenn man das Ge-wicht des großen Sandsacks in der Gondel schäufelchenweise reduziert.

Ballast ist das Gold des Ballonfahrers. Hast du sämtlichen Ballast abgeworfen, kannst du nicht mehr steigen – etwa wenn du einen Berg überwinden musst – und die höheren Luftschichten nicht mehr zum Steuern verwenden. Im Notfall bliebe nur noch, Ausrüstung abzuwerfen.

Bloß weil ich bei Red Bull Stratos mit dem Ballon nur one-way fahre, blieb mir die Ballon-Ausbildung nicht erspart.

Es ging los mit dem Befüllen von 25, 30 Sandsäcken, und nach dem vierten habe ich meinem Ballonlehrer versichert,

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dass ich das System durchaus schon verstanden hätte. Doch er kannte keine Gnade: Sandschippen bis zum Ende.

Nächster Schritt war die Kommunika-tion mit dem Meteorologen, das Um und Auf guter Vorbereitung. Ein Meteorologe kennt die Windverhältnisse in den ver-schiedenen Höhen. So legst du dir deine Route zurecht, von A nach B und retour oder einen Dreiecksfl ug. Das sind die drei Grundtypen der Ballonfahrt.

Der Ballon selbst steht schon parat; Helium wird normalerweise nicht aus-gelassen, nur fehlendes Gas nachgefüllt. Gasballons sind im Betrieb teurer als Heißluftballons, allerdings steht der Gas-ballonfahrer in der Hierarchie auch weiter oben. (Für Red Bull Stratos ist ein Gas-ballon wegen der fehlenden Atmosphäre da oben sowieso die einzige Option.)

Ballonfahren ist ein Frühaufstehersport. Um drei Uhr beginnst du mit der Vorberei-tung, um airborne zu sein, wenn bei Son-nenaufgang der erste Wind aufkommt.

Ich habe meine Ausbildung in Albu-querque, New Mexico, gemacht, und zufällig landete ich dabei inmitten der Action: Drei Tage nach Kursbeginn wurde der Luftraum gesperrt, weil sich Präsident Obama angesagt hatte. Somit blieben mir zwei Tage, Ballon fahren zu lernen und die vorgeschriebenen Starts und Landungen zu absolvieren. Das Spiel mit den Winden und die Windrichtungen in den unter-schiedlichen Höhen zu bemerken, hatte ich fl ott heraus. Ohne überheblich klingen zu wollen: Luft ist einfach mein Element.

Nach diesen zwei Tagen fühlte mich durchaus fi t für die Prüfung.

aus, und wir rasierten einem der gepark-ten Autos einen Außenspiegel ab, was die beiden aber nicht sonderlich zu beeindru-cken schien. Immerhin schafften wir es über den Zaun. Mir war mulmig, aber die zwei: „War ein false lift, Felix. Don’t worry.“ Ballonlizenz ist nicht Führerscheinprü-fung, das war mir spätestens jetzt klar.

False lifts sind nichts Ehrenrühriges und kommen immer wieder vor. Sie ent-stehen, indem Winde auf die Unterseite der Ballonkugel drücken und dadurch Auftrieb erzeugen. Du machst die Lei-nen los im Glauben, soliden Auftrieb zu haben. Der endet allerdings, sobald der Ballon die Geschwindigkeit des Windes erreicht hat. In unserem Fall war das ge-nau auf Höhe des Außenspiegels.

In der Luft bemerkte ich, dass eine Ka-mera, die wir auf einem Ausleger am Korb befestigt hatten, sich ausgeschaltet hatte. Ich wollte rausklettern, um die Kamera wieder einzuschalten, doch der Mann von der FAA hielt mich zurück: Er wollte wohl die Schlagzeile „Prüfling bei Ballonfahrt aus Korb gefallen“ vermeiden.

Nach einer Weile näherten wir uns ei-nem Berg. Der Prüfer empfahl, ein wenig Sand abzuwerfen, ich darauf: „We should be okay.“ Wir wetteten um eine Flasche

Man hatte mir im Vorfeld versichert, ich müsse keine schriftliche Prüfung ab-legen, darum war ich doch einigermaßen überrascht, als mich der Prüfer, ein groß-gewachsener weißhaariger, sehr korrek-ter Mann von der FAA (Federal Aviation Administration, der US-Luftfahrtbehörde) ins Obergeschoss zitierte.

Ich bin einer, der Dinge ganz oder gar nicht macht. Keine Fleißaufgaben, aber was ich können muss, kann ich perfekt. Ich hasse es, unvorbereitet zu sein. Und ich bin radikal ehrlich. Ich habe dem Prü-fer gleich gesagt, dass ich blank bin.

Ich habe das Projekt erklärt und ver-sichert, dass ich nicht vorhabe, danach noch Ballon zu fahren. Erstaunlicherweise hat er mir zugehört und eine Flugkarte für eine Route vorgelegt. Flugkarten sind beim Hubschrauberfl iegen mein täglich Brot, und die eingebaute Fangfrage (auf dem Weg lag eine controlled area, also braucht man Funk an Bord, um mit dem Tower Kontakt aufzunehmen, außerdem einen Transponder mit Code) habe ich locker gelöst. Viele Fragen des Luftrechts sind gleich, egal ob du mit dem Hub-schrauber, Flugzeug oder Ballon unter-wegs bist. Ich war gut genug, dass mich der gestrenge Herr tags darauf zur prakti-schen Prüfung zugelassen hat.

Der Ballon war auf einem eingezäun-ten Footballfeld festgezurrt, am Zaun standen Leihautos. Ein bisschen nahe für meinen Geschmack, aber Prüfer und Lehrer sagten unisono: „Geht sich aus.“

Wir hoben auch problemlos ab, doch nach ein paar Metern setzte der Auftrieb

Für eine Ballonlizenz gelten geringfügig andere Bedingungen als beim Führerschein.

Was ich gelernt habe: Ballonfahren hat durch-aus seine abenteuerliche Komponente.

Ich hatte genau zwei Tage Zeit, um Ballon fahren zu lernen. Dann kam Präsident Obama.

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Wein. Es war knapp, aber wir schafften es ohne Abwerfen. Ich bildete mir ein, allmäh-lich ein Gespür für die Sache zu kriegen.

Auf der Rückseite des Berges gerieten wir in gröbere Winde: 80 km/h. Es wurde richtig turbulent. Weiter hinten gab es nichts mehr, wo man hätte landen können. Besser schnell runter mit uns.

Ich ließ kräftig Gas ab und brachte den Ballon inmitten der Starkwinde rasch zum Sinken. Leider waren die Bodenwinde noch immer 40 km/h schnell. Mir wurde ein wenig mulmig. Wir bereiteten uns auf die Landung vor, setzten die Helme auf und räumten alle Sandsäcke ins Innere, damit sie bei einer schrägen Landung nicht aufgerissen würden (und wir folglich wie-der aufgestiegen wären). Der Landeplatz war eine von Stacheldraht durchzogene Wiese. Es gab nicht viele Möglichkeiten, eine fehlerhafte Landung auszubessern. Ich sollte es besser sofort richtig machen.

Wenn du mit 40 km/h zu Boden rauschst, fühlt sich das echt schnell an. Es rumpelte gehörig. Der Korb kippte um, wir und die Sandsäcke wurden nach unten ge-worfen, dann ging es dahin über die Äcker. Wir zogen zu dritt wie wild am Ventil, um das Gas aus dem Ballon zu lassen und den Ritt zu beenden. Nur ja keine Gliedmaßen aus dem Korb ragen lassen! „Pull, pull, pull!“, schrie der Prüfer, dazu das scha-bende Geräusch des Korbes, der über den Boden geschleift wird, überall Sandsäcke, du bist wie einzementiert, endlich ist das Seil ganz eingeholt, das Helium entweicht, die Fuhre kommt zum Stillstand.

Stille.„Are you guys okay?“Wir krabbeln ins Freie und sehen eine

80 Meter lange Schleifspur in der Wiese. Ballonfahren hat durchaus eine abenteuer-liche Komponente.

Immerhin: Prüfung bestanden.www.redbullstratos.com

Ich habe meine Lizenz in Albuquerque, New Mexico, gemacht – und Joe

Kittinger war auch dabei.

Ballonfahren ist ein Sport für Frühaufsteher. Der Start erfolgt, bevor die Sonne aufgeht.

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Der Traditions-anzug

Der Stratos-Anzug von Felix Baumgartner steckt voll praktischer

Details: So etwa gibt es integrierte

Rückspiegel, die das durch den Helm ein-

geschränkte Sichtfeld kompensieren.

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Seit über fünfzig Jahren ist die David Clark Company Inc. ein Herren-ausstatter für besondere Anlässe. Das Unternehmen hat die Raum-anzüge für Generationen von Astronauten und Piloten geschneidert. Für das Projekt Red Bull Stratos liefert es nun die entscheidende Schutzschicht zwischen Felix Baumgartner und dem eisigen Weltraum.Text: Werner Jessner & Robert Sperl

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IN DIESEM KAPITEL geht’s um Baumgartners Garderobe – seinen Raumanzug (4.1) und um die Geschichte des Raumanzugs insgesamt (4.2).

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orcester, 50 Meilen westlich von Boston, ist mit Sicherheit jene US-Stadt, die am häu-figsten falsch ausge-

sprochen wird. (Das liegt an Worcester in den englischen Midlands, der Heimat der gleichnamigen Sauce.) Verwirrend auch, obwohl Worcester nur 200.000 Einwoh-ner hat: Egal aus welcher Richtung der Reisende ankommt, er verheddert sich im Weichbild aus Parkplätzen, Supermärkten, Wohnblocks und Fabriken. Letztgenannte verstecken sich gerne hinter anonymen Ziegelfassaden, auch die David Clark Company Inc. in der Franklin Street.

Das Hauptgeschäft von DCCI ist der Bau von Kopfhörern und Sprechanlagen für Fliegerei und Raumfahrt – etwa für Apollo 11, das 1969 die ersten Amerika-ner auf den Mond transportierte. Clarks Einstieg in dieses Business ergab sich 1941, als Firmengründer David M. Clark, ein Strickwarenfabrikant, sich auf Anti-Schwerkraft-Anzüge (anti-g suits) für Piloten spezialisierte. Daraus wurden die erwähnten Kopfhörer sowie Druckanzüge und Helme für Piloten und Astronauten der U.S. Air Force bzw. der NASA. BI

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WDie Angebotspalette fällt vorbehalt-

los in die Kategorie Hightech, doch von außen wirkt DCCI so unscheinbar wie eine Fabrik, die Holzspielzeug herstellt. Der Eindruck hält sich auch noch hinter der schmalen Eingangstür. Einzige Sicher-heitsschleuse ist der Portier, der offen-sichtlich alle 300 Mitarbeiter persönlich kennt. Doch mit jedem weiteren Moment wird spürbar, dass sich diese Company mit etwas Speziellem befasst. Besucher kriegen einen Assistenten zur Seite ge-stellt, in dessen Schlepptau es in einem kahlen Stiegenhaus nach oben geht. Es ist so still wie in einer Schule während der Ferien, man erschrickt vor den eigenen Schritten. Man folgt dem Lotsen durch Büros mit von halbhohen Holzwänden

getrennten Kojen für die Techniker und Aquarien für die höheren Chargen, vor-bei an schlichten Metallschränken und Schreibtischen, hinter denen freundlich grüßende Menschen sitzen.

Tür um Tür öffnet sich, dann steht man im Allerheiligsten, einem zehn mal zehn Meter großen, fensterlosen Raum, mit dunklem Holz getäfelt, Linoleumboden. Wer jetzt ein Aha-Erlebnis erwartet, das einen in grellem Neonlicht in die Zukunft stößt, der ist überrascht. Das Herzstück der David Clark Company Inc., welche die Anzüge für Shuttle-Astronauten geschnei-dert hat, einer Firma, die alle Spezialpilo-ten eingekleidet hat, die als Aufklärer und Testpiloten in ultraschnellen, geheimen Jets unterwegs waren, dieses innerste Uni-versum ist ein Zimmer, in dem das einzig Digitale das Mobiltelefon in der Hosen-tasche unseres Reiseführers ist.

Doch der Besucher lässt sich längst nicht mehr täuschen. Auch wenn die schrankgroßen Gerätschaften, gewandet in olivgrünes Blech, allesamt analog mit chromglänzenden Zeigern, Skalen, Mano-metern und Messgläsern bestückt sind. Auch wenn ein simpler Flaschenzug von

David Clark wies den Weg bei der Herstellung von Anti-g-Anzügen: Jeder Astronaut im Space Shuttle trug ein Modell von DCCI.

IM EPIZENTRUM DER DAVID CLARK COMPANY INC. Die Ziele der Reisenden liegen außerhalb dieser Welt, bisweilen auf anderen Planeten. Die dafür erforderliche Garderobe – hier der Anzug von Felix Baumgartner – wird im Testraum ganz bewusst nach traditionellen Methoden aller-letzten Checks unterzogen.

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der Decke baumelt – zum Simulieren ei-nes Fallschirmabsprungs – und auf einer Ablage eine Küchenwaage steht, Inventar-nummer DC1452. Man spürt, dass hier Genie und Geschick, Erfahrung und Aufbruchsstimmung koexistieren – wie in traditionsreichen Uhrenmanufakturen, nur dass es in Worcester nicht um das Zerhacken von Minuten in Sekunden geht, sondern um die Reise in den Weltraum.

Eine kleine Galerie dokumentiert die Kompetenz der DCCI-Mannschaft: An den Wänden hängen zwei Dutzend gerahmte Fotografien – Piloten an der Gangway ihrer Jets, Astronautenteams vor Raum-schiffen, oft mit Widmung, als Dankeschön der Crews für klagloses Funktionieren.

Dominiert wird der Raum von einem Podest mit darauf montiertem Pilotensitz. Dieser ähnelt „Old Sparky“, wie die Ame-rikaner den elektrischen Stuhl nennen: Hier sitzen die künftigen Aeronauten, werden vermessen oder unterziehen ihre frisch gelieferten Anzügen letzten Funk-tionschecks und Dichtheitsprüfungen. Erst danach geben die DCCI-Ingenieure ihr fi nales Placet, und die Anzüge dürfen außer Haus gebracht werden. (Manche

kehren nach den Missionen zurück; sie hängen in einem Archiv, in Nylonsäcken verpackte Trophäen samt Namensschil-dern, wie im Kostümverleih. Taucher-anzüge sind auch dabei, die von DCCI als eine Art Fingerübung entwickelt wurden.)

Felix Baumgartner saß im Jänner 2008 das erste Mal in diesem „Test Room“, um sich drei Stunden lang vermessen zu las-sen. Die erste, kritische Kennenlernphase hatte er damals bereits hinter sich. Den Kontakt zu DCCI hatte Art Thompson her-gestellt, der technische Gesamtleiter des Projekts Red Bull Stratos und in der Bran-che wohlbekannt. Es war kühl gewesen am Verhandlungstisch, als Baumgartner das erste Mal dem DCCI-Management gegenübersaß, gespannte Erwartungen auf beiden Seiten.

Die Bereiche Aviation und Space be-stimmen präzise ausformulierte Projekte und Verträge, abgeschlossen auf einer für Außenstehende irritierend unemotionalen Ebene. Doch in diesem Business wird bloß absolute Fehlerlosigkeit toleriert, und Gefühle haben hier nichts verloren. Für Baumgartner eine neue Erfahrung:

„Red Bull ist einfach eine wärmere Welt, es rennt der Schmäh, lachende Gesichter, keine Krawatten, alles ist leger.“

Auf der anderen Seite des Tischs saß John W. Bassick, zu dieser Zeit Executive Vice President von DCCI, und beschrieb die Vorbehalte seiner Firma gegenüber zivilen Projekten. Mitte der 1960er Jahre hatte DCCI das letzte Mal mit Zivilisten kooperiert: Damals wollte der Lastwagen-fahrer Nick Piantanida aus New Jersey Joe Kittingers Rekordsprung übertrump-fen. Doch bei seinem Versuch im Mai 1966 gab es in 19 Kilometer Höhe einen Zwischenfall. Wegen Sauerstoffmangel fi el Piantanida ins Koma, vier Monate später war er tot. Bassick klingt immer noch ernst, wenn er sagt: „Ich habe ihn hier in diesem Zimmer kennengelernt.“

FREUND MIKE Suit Handler Mike Todd sorgt dafür, dass Felix Baumgartners Anzug perfekt sitzt und alle Sicher-heits- und Kommunikations-systeme funktionieren. In diesem Job ist Todd der Letz-te, den Felix sieht, ehe der die Kapsel besteigt, und der Erste, der ihn nach der Lan-dung empfängt. Diese Nähe macht die zwei zu Freunden.

In einem Abstellraum hängen, in Nylon verpackt, einige gebrauchte Anzüge, wie im Kostümverleih.

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Page 43: The Red Bulletin_Stratos Special_DE

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BildeR: BalazS GaRdi/Red Bull STRaToS (2), Sven Hoffmann/Red Bull STRaToS

Page 44: The Red Bulletin_Stratos Special_DE

Die ersten Raumanzüge gehen auf die 1930er Jahre zurück und basierten auf Taucheranzügen. Der Zweite Weltkrieg beschleunigte die Entwicklung von Raum- und Anti-Schwerkraft-Anzügen, der nächste Katalysator war das sogenannte „Space Race“ der USA und der UdSSR ab den 1950ern. Von diesen Erfahrungen profi tiert man noch heute. All die Jahre an vorderster Front dabei: die David Clark Company.

Die Geschichte des Raumanzugs

1965 Dieser Anzug wurde im raketenbetriebenen, bis zu Mach 6,72 schnellen Experimentalflugzeug X-15 getragen. Er ist der erste, dessen Druck-schicht komplett aus Link-Net besteht. David Clark hat dieses Material entwickelt, das sich seither vom ersten Spacewalk (US-Astronaut Ed White, 1965) bis heute bewährt hat: Auch Felix Baum-gartners Druckanzug besteht aus Link-Net.

APOLLO-RAUMANZUG mit thermischem Mikrometeo-

riten-Schutz (TMG), gebaut von der International Latex

Corporation. Besonders interessant ist der Polycar-bonat-Helm mit Kommuni-

kationseinheit, entwickelt und gebaut von Air-Lock Inc.,

gegründet von David Clark und heute Teil der David

Clark Company.

1950ER In den Fünfzigern experimentierte eine Vielzahl von Firmen mit Raumanzügen, darunter BF Goodrich, General Electric, US Rubber, Arrowhead, ILC und natürlich David Clark. Der Hersteller dieses Anzugs ist unbekannt, vermutlich wurde mit diesem Anzug auch nie geflogen.

1965 Dieser „Capstan“-Anzug für einen Hund stammt aus sowjetischer Pro-duktion und wurde in frühen Raumfahrts-Entwicklungs-programmen verwendet. Bei Capstan-Anzügen wird der Druck auf das menschliche Gewebe direkt über Seilzüge erzeugt. Das Prinzip wurde von Dr. Jim Henry (University of Southern California, um 1940) entwickelt, die David Clark Company baute später die Anzüge für Piloten des X-1-Test-fl ugzeugs nach diesem Muster. Die Technologie gelangte 1960 infolge des Abschusses von Francis G. Powers’ U-2 über sowjetischem Territorium in die UdSSR, wo sie noch sehr lange eingesetzt wurde.

1965 Diesen Gemini-G-4C-Anzug trug Ed White beim

ersten US-Spacewalk 1965. Zu sehen ist die

zusätzliche äußere Schutzschicht aus TMG

und ein goldgetöntes Visier gegen die Son-

nenstrahlung. Eine Evo-lutionsstufe trugen Frank

Borman und Jim Lovell während ihres 14-tägigen Rekordflugs mit Gemini VII.

RUSSISCHER SOKOL-RAUMANZUG,

wie er für Reisen zur Internationalen Raum-station ISS verwendet

wird. Wird für seinen Träger maßgeschneidert und im Gegenzug zu den

wiederverwendbaren NASA-Space-Shuttle-

Anzügen von David Clark nur einmal getragen.

Von diesen Erfahrungen profi tiert man noch heute. All die Jahre an vorderster Front dabei: die David Clark Company.

1965 Dieser „Capstan“-Anzug für einen Hund stammt aus sowjetischer Pro-duktion und wurde in frühen Raumfahrts-Entwicklungs-programmen verwendet. Bei Capstan-Anzügen wird der Druck auf

APOLLO-ANZUG mit Polycarbonat-

Blasenhelm. Das Helm-design stammt aus den 1960ern und wird noch

heute auf der ISS bei Außenarbeiten verwendet.

DIESER ANZUG löste gegen Ende der 1970er den ersten

Pilotenanzug für die Lock-heed SR-71 „Blackbird“

ab und diente der NASA für High-Speed-Flugtests. Dazu wurde ein Anti-g-Anzug ins Innere eingearbeitet. Interessant auch: Eine Vielzahl von Mikrofonen

und Microswitch-Drucksensoren sollte

die Atemgeräusche in der Kommunikation eliminieren.

EIN MERCURY-ANZUG, hier getragen

von Alan Shepard (1961). Basiert auf dem Modell

Mark IV, das BF Goodrich für die U.S. Navy erdacht

hat. Im Zuge dieser Entwicklung wechselte

ein Stab hochqualifizier-ten Personals von der

U.S. Navy zur NASA.

SEIT EINEM halben Jahrhundert experimentiert die Menschheit mit „weichen“ Anzügen für Spaziergänge auf fremden Planeten. Könnte man diese Anzüge am Äußeren des Landefahrzeugs (Rover) transportieren und über eine Schleuse direkt an- und wieder ausziehen,

würde das die Problematik der Kontaminierung des Rovers

minimieren. Mehrere solcher Konzepte liegen

der NASA im Moment zur Evaluierung vor.

EIN ANZUG aus jener Zeit, in der der U.S. Air Force

die Verantwortung für alle Druckanzüge übertragen wurde (das gilt übrigens

bis heute). Die Basis dieses Anzugs stammt von der

Mark-Serie von BF Good-rich, hat allerdings statt ei-nes diagonalen Front-Zipp schon den U-Zipp, wie ihn

David Clark für die X-15 ge-baut hat. Vermutlich zeigt

das Foto einen Prototyp, den David Clark noch für

die Navy gebaut hat.

DIESER ANZUGEnde der 1970er den ersten

Pilotenanzug für die Lock-heed SR-71 „Blackbird“

Vielzahl von Mikrofonen und Microswitch-

Drucksensoren sollte die Atemgeräusche in der Kommunikation eliminieren.

VERMUTLICH DER PROTOTYP eines Hard Upper Torso für die Space Shuttle Extravehicular Mobility Unit (EMU) von Hamilton Standard. Diese „Ritter-rüstung“ trug bei Ausflügen ins All den Tornister mit Überlebens- und Kontrollsystemen und bot außerdem eine Möglichkeit, das Werkzeug für Außen-arbeiten zu befestigen.

unbekannt, vermutlich wurde mit

VERMUTLICH DER PROTOTYP eines Hard Upper Torso für die Space Shuttle Extravehicular Mobility Unit (EMU) von Hamilton Standard. Diese „Ritter-rüstung“ trug bei Ausflügen ins All den Tornister mit Überlebens- und Kontrollsystemen und bot

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4.2

Page 45: The Red Bulletin_Stratos Special_DE

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Doch Baumgartner und Thompson hatten gute Argumente: Die Idee, mit Hilfe des Teams von Red Bull Stratos einen Prototyp für die nächste Genera-tion von Full Pressure Suits entwickeln zu können, Raumanzügen, die künftigen Astronauten das Leben retten können, überzeugte DCCI, und am Abend saß die Runde schon zum Dinner im Golfclub, im Brookline Country Club. Das war nicht unkomisch, herrscht in diesem klassischen Country Club doch ein stren-ger Dresscode, und wie jeder weiß, trägt Felix meist (zerrissene) Jeans. Auch hier half Thompson. Demzufolge waren die geborgten Hosen Felix deutlich zu groß, „ich bin da gesessen wie ein bulgarischer Autoverkäufer“ (Baumgartner).

Die ersten Anzugtests bestritt Felix mit einem Modell ähnlich jenen, wie sie Piloten von Aufklärungsflugzeugen tragen, erzählt Mike Todd, der Felix seit damals begleitet. Der Amerikaner ist Life Support Engineer und als solcher für alle Sicherheits- und Kommunikationssysteme verantwortlich. Dass er Felix als Suit Handler vor den Sprüngen in den Anzug hilft – vor allem, um Felix’ Energie zu spa-ren und den optimalen Sitz aller Flappen, Verschlüsse und Manschetten zu garan-tieren –, ist nur ein Teil seines Jobs.

Baumgartners Erfahrung mit Anzügen ist groß: Fallschirmspringen, BASE-Jum-ping, Ärmelkanalüberquerung, und: „ich war auch schon auf Hochzeiten“, aber hier ist alles diffiziler. Von komfortabler Beweglichkeit keine Spur, das Sichtfeld

eingeschränkt. Dann das Gefühl von Klaustrophobie, eingeschraubt in eine Enge, die Atmen erschwert. Felix: „Du atmest immer gegen einen Widerstand. Es ist, als würde man sich ein luftdurch-lässiges Tuch vor den Mund halten und schnell gehen – du kriegst noch genug Sauerstoff, aber du hast das Gefühl, dass das zu wenig ist.“ Wie lautet dazu Joe Kittingers simpler Rat? „Verbringe so viel Zeit wie möglich in diesem Anzug, er muss zu deiner zweiten Haut werden.“

(Felix benötigte dazu psychologische Hilfe, nachzulesen in der Februarausgabe des Red Bulletin und am iPad.)

Abschließende Führung durch jene Ab-teilung, wo ein Dutzend Spezialistinnen die Anzüge endfertigen. Auch in den niedrigen Hallen der Schneiderei ordnet DCCI Fortschritt, Hightech und Sicherheit sehenden Auges der Tradition unter, weil Letztere über die Jahrzehnte ihre Perfek-tion bewiesen hat.

Die Zeit scheint hier bewusst ein we-nig angehalten zu werden, und in dieser wunderbaren Atmosphäre entsteht auch das Netting, die Schicht zwischen luft-dichter Unterschicht und Außenstoff, auf

Maschinen, die seit vierzig, fünfzig Jahren klaglos klappernd ihren Dienst verrich-ten. Das Netting verhindert, dass sich die Unterhaut unkoordiniert aufbläst, und sie schafft es als komplizierte Häkelarbeit, deren Ergebnis aussieht wie das Ketten-hemd eines Samurai. Firmengründer David M. Clark kam ja aus dem Knitting Business, er hat die mechanischen Wun-derwerke persönlich mitentwickelt, die das Netting noch immer weben, Zeile für Zeile, zu komplexen Spinnennetzen.

Die Anzugstoffe sind hochmodern, atmungsaktiv und feuerbeständig, doch zurechtgeschnitten werden sie nach ab-gegriffenen Schablonen auf großen Holz-tischen: Die Frauen, die hier arbeiten, regieren virtuos mit Schere, Maßband und Schneiderkreide. Zusammengenäht werden die zig Einzelteile mit mechani-schen Singer-Nähmaschinen, Stich für Stich wird gesetzt, jede Naht mehrfach überprüft, jede Kontrolle per Formular dokumentiert. Es braucht viele hundert Stunden, ehe ein Anzug fertig ist, wie Felix Baumgartner einen trägt.

Und DCCI garantiert, dass es so gar bei Stromausfall zu keiner Produktions-verzögerung kommt. Die Damen zünden Kerzen an und sticheln auf ihren Singer-Maschinen einfach weiter.www.redbullstratos.com

45

LIMITED EDITION Bei David Clark entste-hen Raumfahrtanzüge in Handarbeit. Das braucht Zeit: Für ein Exemplar, wie Baum-gartner es trägt, braucht es einen Monat.

Stich für Stich Handarbeit: High- tech ordnet sich bei DCCI bewusst der Tradition unter.

Page 46: The Red Bulletin_Stratos Special_DE

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Was passiert mit dem menschlichen Körper, wenn er die Schallmauer durchbricht? Was isst man am Tag vor der Mission? Warum muss man reinen Sauerstoff atmen? Wie profi tiert die Wissenschaft von Red Bull Stratos? Wir fragen den medizinischen Direktor Jonathan Clark. PLUS: Sci-Fi-Autor Leo Lukas nimmt uns mit nach Überworld.

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Was passiert mit dem menschlichen Körper, wenn er die Schallmauer

Body & Mind

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Page 47: The Red Bulletin_Stratos Special_DE

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IN DIESEM KAPITEL sprechen wir mit Jonathan Clark, dem medizinischen Direktor von Red Bull Stratos, über die Gefahren für Felix Baumgartners Körper (5.1) und unter-nehmen mit Sci-Fi-Autor Leo Lukas einen Trip nach Überworld (5.2).

Page 48: The Red Bulletin_Stratos Special_DE

R : Aus Medizinersicht – welche Phasen bei Red Bull

Stratos sind am gefährlichsten? : Ganz heikel ist der Start. Unter 300 Metern hat der Fallschirm nicht die Möglichkeit, sich zu öffnen und den Fall zu bremsen. Reißt etwa die Bal-lonhülle beim Start, hat Felix schlechte Karten: Er braucht 13 Sekunden, um die Kapsel zu verlassen – in dieser Höhe zu lang. Darum ist er mit Sicherheitsgurten in einen modifi zierten Race-Truck-Sitz fest-geschnallt, um die Sache so sicher wie möglich zu machen. Beim Launch sind alle Rettungsteams direkt am Startplatz. Ich halte die Phase von 0 bis 300 Metern sogar für die gefährlichste überhaupt.

5.1

Jonathan Clark ist der medizinische Direktor von Red Bull Stratos. Ein Interview über erwartete und unerwartete Risiken, wie man ihnen begegnet und wie die Menschheit von diesem Projekt profi tiert.

I Flachtrudeln

Ab welcher Höhe könnte er aussteigen?Ab 1200 Meter hätte er genügend Zeit, die Kapsel zu verlassen, selbst wenn die Ballonhaut aufreißen würde.Weiter oben warten andere Probleme ...Ab der Armstrong-Linie in 19 Kilometer Höhe wird der Druck so gering, dass das Wasser im Blut quasi verdampfen würde. Genau das ist mit Joe Kittingers Hand bei dessen Sprung passiert, ebenso einem Mann bei einem Raumanzug-Test, einem anderen in einer Vakuumkammer. Das hat 1971 auch das Schicksal der Besatzung des sowjetischen Raumschiffs Sojus 11 besiegelt: Die Kosmonauten hatten keine Druckanzüge an, die Kapsel verlor Druck, und binnen fünf Minuten waren sie tot.Was genau ist tödlich?Der Mensch besteht zu 70 Prozent aus Wasser. Man kann Wasser auf zwei Arten zum Kochen bringen: indem man Tem-peratur zuführt oder Druck reduziert. Verdampfendes Wasser jenseits der Arm-strong-Linie ist also nicht thermisch heiß, es ist das Gas, das den Schaden anrichtet:

Entzündungen, Blasen im Blut. Den größ-ten Schaden richtet es in den Lungenbläs-chen an, wo der Sauerstoffaustausch ins Blut stattfi ndet. Man nennt es Ebullismus.Könnte man trotzdem überleben?Wir wissen, dass Felix in Gefahr ist, und es ist unsere Pfl icht, alles zu unternehmen, um ihm im Falle von Ebullismus eine gute Überlebenschance zu bieten. Wir haben zwei dieser Atemgeräte, mit denen man selbst bei einer zerstörten Lunge den Gas-austausch mit dem Blut sicherstellen kann.Wie geht das?Der Mensch braucht eine gewisse Menge an Sauerstoff. Grundsätzlich ist es egal, ob ich ihn in großen Amplituden viel Luft oder in winzigen Amplituden mit geringen Mengen versorge. Mit diesen Inhalatoren hier „atmet“ man zwölfmal pro Sekunde. Dadurch gibt es keine Luftwelle in der Lunge, sie wird wie von Zauberhand bei-nahe oszillierend mit Sauerstoff versorgt. Wie fühlt sich das an?Bizarr. Hirn und Körper wollen atmen, aber es ist de facto nicht notwendig. Die-

DREHACHSE Je tiefer die Dreh-achse, desto mehr Blut wird ins Gehirn gedrückt – was töd-lich endet. Wird das gesamte Blut hin-gegen in die Beine gedrückt (hohe Dreh-achse), wird Baum-gartner ohnmächtig.

GESCHWINDIGKEIT UND DAUEREin G-force-Sensor löst automatisch den Brems-

fallschirm aus, wenn Baumgartner mindestens 6 Sekunden lang 3,5g oder mehr ausgesetzt ist.

In der Stratosphäre ist die Luft so dünn, dass Felix Baumgartner

nicht damit arbeiten kann. Sein Körper könnte unkontrol-

lierbar zu trudeln beginnen.

Interview: Werner Jessner

„Wir wissen, dass Felix in Gefahr ist“

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II Schockwelle

ser Inhalator ist tatsächlich einer der größ-ten wissenschaftlichen Fortschritte, die mit Red Bull Stratos zusammenhängen. Man hat das Gerät zuvor schon auf Frühchen-stationen verwendet, weil bei extremen Frühgeburten die Lungenfl ügel noch zu-sammenkleben. Außerdem kann man es bei schweren Verbrennungen einsetzen, wo die Lungen der Patienten zusammengefal-len sind. Jetzt haben wir den Anwendungs-bereich um Vakuumschäden erweitert.Wie lang würde es dauern, bis Felix wieder der Alte wäre?Ein paar Wochen, sofern die Lunge nicht voller Blut ist. Sobald ich Sauerstoff in den Körper bekomme, kann er mit der „Reparatur“ beginnen.Bei ersten Tests hat Felix über extreme Kälte geklagt …Probleme, die man durch bessere Hand- und Fußwärmer in den Griff kriegen muss.Welche Gefahren lauern während des Sprungs?Aus medizinischer Sicht zwei: Die eine ist

Flat-Spin, eine schnelle, unkontrollierbare Rotation um die eigene Achse, die zweite ist die Schockwelle, die während des Durchbrechens der Schallmauer entsteht. Wir nennen es Schock-Schock-Reaktion.Beginnen wir mit dem Flat-Spin …Da weiß man glücklicherweise schon eini-ges durch Dummie-Abwürfe, welche die Air Force in den 1950ern und 1960ern von Ballons aus getätigt hat: Bei Abwürfen aus neun Kilometer Höhe lag die Rota-tionsgeschwindigkeit zwischen 20 und 120 Umdrehungen pro Minute, von noch weiter oben steigerte sich die Rotations-geschwindigkeit. Danach hat die Air Force Tiere und Menschen in Zentrifugen, ge-steckt um herauszufi nden, wie der Körper darauf reagiert. Neben Rotationsdauer und -geschwindigkeit ist die Achse, um die der Körper rotiert, ganz entscheidend. Dreht man sich um die Körpermitte, geht die eine Hälfte des Bluts in den Kopf, die andere in die Füße. Blut unten heißt: Das Herz kriegt zu wenig, man wird ohnmäch-

KörperkontrolleDie Körperfunktionen von Felix Baumgartner werden während der gesamten Mission aufge-zeichnet. Der Screenshot unten stammt von sei-nem ersten Sprung aus 21,8 Kilometer Höhe im März 2012. Jonathan Clark: „Rennautos haben Armaturen, die den Zustand präzise anzeigen. Der Körper eines Athleten ist ebenso eine Hoch-leistungsmaschine. Zu wissen, was sie tut, ist wichtig und wird im Profi sport immer wichtiger. Red Bull ist mit dieser Technologie ganz weit vorn. Dieses System ist sehr neu, kaum getestet – und jetzt waren wir damit in der Stratosphäre. Cool, oder? Wir arbeiten mit der University of Texas Medical Branch und dem Baylor College of Medicine, um die Daten noch besser zu analysie-ren.“ Weltraumgetestete Sensoren überwachen Baumgartners Körperposition (alle drei Achsen), messen Körpertemperatur, Atem- und Herzrate, zeigen zwei EKGs und die Atemfrequenz. Nach erfolgreicher Mission werden diese Daten der Wissenschaft zur Verfügung gestellt.

Was passiert, wenn Felix Baum-gartner die Schallmauer

durchbricht?

SCHALL-MAUER

Erreicht Felix Baumgartner Über-schallgeschwindig-

keit, gibt es einen Überschallknall

(er selbst wird ihn allerdings nicht hören können).

tig. Wird die Drehung schnell genug ge-stoppt, überlebt man das. Deutlich unan-genehmer ist ein Zuviel an Blut im Kopf, da zerreißt und zerdrückt es nämlich Hirn und Augen. Das sieht gar nicht gut aus. Aus diesem Grund wollen wir, dass Felix’ Rotationsachse möglichst hoch liegt.Wann wird es kritisch?Unser Skydive-Consultant Luke Aikins hat in Selbsttests herausgefunden, dass er ohnmächtig wird, wenn er länger als sechs Sekunden über 3,5g abkriegt. Also hat er einen Sensor entwickelt, der den Drogue-Chute auslöst, wenn dieser Wert überschritten wird. Dieser Mini-Fall-schirm hat die Form eines Donuts und bremst die Rotation – allerdings auch die Fallgeschwindigkeit, und das ist ja nicht im Sinne des Projekts.Was passiert beim Durchbrechen der Schallmauer?Das ist einer jener Bereiche, die wir noch nicht komplett verstehen: Was passiert, wenn eine Schockwelle mit sich selbst kollidiert? Daher haben wir für diesen Fall das gleiche medizinische Protokoll vorbereitet wie für Ebullismus.Besteht bei einer Rotation nicht die Gefahr, dass sich Felix übergibt?Eine sehr reale Gefahr. Wenn das Erbro-chene in die Lunge gerät, verursacht es massive Schäden. Das schlimmste Szena-rio aber ist, dass das Erbrochene in die

SCHOCK-SCHOCK-REAKTIONUnklar ist, was passiert, wenn eine Schockwelle mit sich selbst kollidiert. Es besteht die Gefahr, dass der Druckanzug beschädigt und Felix ungeschützt der lebensfeindlichen Atmosphäre ausgesetzt wird.

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Erbrechen im Raum-anzug ist ein ernsteres Problem, als man meint. Augen gerät und Felix blind bis in atem-bare Atmosphäre fallen muss. Er müsste also versuchen, es so lang wie möglich im Mund zu behalten und dann seitlich raus-rinnen zu lassen. Auf diese Art bleibt we-nigstens noch ein Auge funktionsfähig. Er-brechen im Raumanzug ist ein ernsteres Problem, als man meint. Die NASA hatte einst einen solchen Zwischenfall während eines Space-Walks. Das Erbrochene ist dabei in den CO²-Neutralisator geraten, hat chemisch reagiert und beinahe die gesamte Mission zum Scheitern gebracht.Ist Strahlung eine Gefahr?Nein, und zwar aus mehreren Gründen: Wir sind zu kurz oben, wir sind nicht hoch genug, und Roswell liegt weit entfernt von den großen Magnetfeldern an den Polen. Ein massiver Solarsturm könnte das Pro-jekt verzögern – allerdings nicht aus medi-zinischen Gründen, sondern weil er das GPS zu stark beeinträchtigen könnte.Bei Testsprüngen hat Felix Haargel verwendet, obwohl das angeblich doch wegen des Alkohols verboten ist …Klar: Sauerstoff und Alkohol können ge-meinsam lustige Feuerchen verursachen. Andererseits: Das bisschen Alkohol in ein wenig Haargel ist im Nu verdampft. Der Helm sitzt sehr knapp, da kommt nicht sonderlich viel Sauerstoff hin … Die Haar-gel-Nummer ist irgendwann in die Presse gelangt und hat sich verselbständigt.Dass ihn Bohnen im Darm explodieren lassen würden: auch nur heiße Luft?Bei geringerem Außendruck dehnen sich die Gase im Körper aus: im Ohr, im Darm, in den Nebenhöhlen. Das ist ernst. Gerade im Verdauungstrakt löst sich das Problem in der Regel allerdings von selbst: Man, pardon, rülpst oder furzt es raus. Nach jedem Druckkammertest riecht es wie in einer Kläranlage! Würde man das nicht tun, bestünde tatsächlich die Gefahr eines „intestinalen Barotraumas“, einer Darm-explosion. Die Losung heißt also: Nichts schnell Verdauliches vor dem Sprung.

Jon Clark betreute sechs Space-

Shuttle-Missionen medizinisch und

ist medizinischer Direktor von Red

Bull Stratos.

Astronauten haben am Tag vor dem Flug gern Steak und Eier gegessen. Warum beginnt Felix zwei Stunden vor dem Start reinen Sauerstoff zu atmen?Sein Körper ist mit Stickstoff gesättigt, der sich bei abnehmendem Druck so verhält wie Kohlensäure in einer Flasche: Wenn man sie öffnet, perlt sie aus. Analog würde sich der im Blut gelöste Stickstoff ver-halten und Blasen bilden: Man nennt das Dekompressionskrankheit. Indem er rei-nen Sauerstoff atmet, wird der Stickstoff aus dem Blut „gewaschen“. Mit unserer Prozedur erwischen wir gut 80 Prozent, womit wir auf der sicheren Seite sind.Was kann die Wissenschaft von Red Bull Stratos lernen?Wir brauchen Raumanzüge, mit denen man einen Ausstieg aus der Stratosphäre überleben kann. Weltraumtourismus läuft gerade an, da braucht es verlässliche Aus-sagen und Gewissheiten, nicht nur, aber auch der Versicherungen wegen. Es gibt immer jemanden, der einen anderen in solchen Fällen verklagt. Red Bull Stratos wird die Referenz dafür sein. Wichtiger noch: Wie kann man aus einem Raum-schiff aussteigen und dabei überleben? Viele Astronauten wie Kosmonauten könn-ten noch leben, hätte es dieses Wissen früher gegeben. Wie behandelt man Opfer von Druckabfall in einer Raumstation oder in einem Raumschiff? Red Bull Stra-tos hat das medizinische Protokoll dafür entwickelt. Wir generieren enorme Daten-mengen, die man so noch nie erhoben hat: Felix ist während der gesamten Mission verkabelt. Diese Daten stellen wir der For-schung zur Verfügung. Der wissenschaft-liche Wert von Red Bull Stratos ist enorm.Würden Sie mit Felix tauschen?Sofern man mir einen Anzug schneidert, in den ich reinpasse: Keine Sekunde würde ich zögern.

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Felix sprang. Es kostete ihn nicht die geringste Überwindung. Er tat es

einfach. Stand auf, sobald die Tür zur Seite geschwungen war. Stieg mit ruhigen, hundertfach geübten Bewegungen aus der Kapsel auf die schmale Schwelle. Funkte Klarmeldung an die Missionskontrolle. Neigte sich vor. Und sprang in die Tiefe.

Jetzt. Jetzt fi el er. Stürzte der Erde zu, im freien Fall, aus größerer Höhe als je ein Mensch vor ihm. Aber daran zu denken, verbot er sich. Sein Kopf musste kühl blei-ben; frei von Zweifeln, Nervosität, Eupho-rie oder sonstigem Ballast. Vollkommen konzentriert, wie er es trainiert hatte …

Er stieß an ein Hindernis.Unmöglich. Das konnte nicht sein. Ge-

wiss täuschte er sich. Hier oben, nahe der Grenze zum Weltall, gab es nichts, konnte es nichts geben, was seinen Sturz verlang-samte, kaum zehn Sekunden nach dem Absprung. Die Beschleunigungsphase hatte eben erst begonnen. Sie sollte ins-gesamt rund eine Minute dauern. Bis Felix, jenseits der Schallmauer, seine Höchstgeschwindigkeit erreichte.

Stattdessen spürte er, dass er abge-bremst wurde – von etwas Weichem, Elas-tischem, Unsichtbarem – und zum Still-stand kam. Als habe sich die Luft um ihn zu Gelee verdickt, hing er in der Schwebe, keiner Regung fähig.

Dann hörte er Stimmen.„Na, was sagst du jetzt? Habe ich ihn

erwischt oder nicht?“„Du spinnst, Julie. Lass den Mann sofort

wieder los. Wenn das jemand spitzkriegt!“„Ich hab ihn erwischt und die Wette

gewonnen. Du schuldest mir drei Unzen Ambrosin.“

5.2„There is a place where you can go … Where Marilyn still dances with DiMaggio … And the name of the place is …“Kinky Friedman, „Marilyn and Joe“

ÜberworldText: Leo Lukas*

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„Himmel, ich dachte, du machst bloß Spaß.“

„Der Spaß fängt grad erst an. Was meinst du, sollen wir dem Kerl die un-kleidsame Montur ausziehen?“

„Ich glaube, das ist ein Druckanzug.“„Natürlich. Zu gern würde ich über-

prüfen, ob sich so ein Vormensch wirklich zum doppelten Volumen aufbläht, wenn seine Körperfl üssigkeiten verdampfen.“

„Julie! Wir dürften gar nicht hier sein.“Richtig. Niemand durfte hier oben sein

außer ihm, dachte Felix. Ihn fröstelte. Halluzinierte er? Litt er

unter dem Break-off-Phänomen? Bislang war alles perfekt nach Plan gelaufen. Er hatte keinerlei Warnzeichen bemerkt, auch nicht für Hypoxie. Die Sauerstoff-versorgung arbeitete fehlerfrei. Oder?

Keine Panik. Er wollte beim Kontroll-zentrum nachfragen, ob alles in Ordnung sei, und stellte fest, dass die Verbindung gestört war. Keine Panik!, schärfte er sich ein: Sicherlich gibt es eine rationale Erklärung. Vielleicht Refl exionen von Schallwellen oder Funksignalen in den oberen Schichten der Atmosphäre, eine Art akustische Fata Morgana; und mein Gehirn, depriviert mangels gewohnter Sinneseindrücke, zugleich überreizt von der Ausnahmesituation, bezieht die Wort-fetzen auf sich. Mich. Oder so. Irgendwie.

Verdammt, er war ganz schön verwirrt. Was ging hier ab? Wieso hatte er das Ge-fühl, dass Geisterfi nger an den Verschlüs-sen seines Anzugs zerrten?

„Hör auf, Julie. Das ist nicht mehr wit-zig. Und garantiert verboten.“

„Ich tu doch nix. Ich will nur ein biss-chen spielen. Verlier keine Exkremente, Romilein.“

Felix schrie, als sich die Hülle des Anzugs öffnete und die komprimierte Luft entwich. Sein Schrei klang dünn, verwehend, und erstarb, überdeckt vom anschwellenden Rauschen in den Ohren. Er vermochte nicht mehr zu atmen. Die Kälte lähmte ihn. Er sah nichts außer Schwärze, die immer rasender pochte.

M usik weckte ihn. Jemand sang: „Muss i denn, muss i denn zum

Städtele …“ Felix schlug die Augen auf und schloss

sie, geblendet, gleich wieder. Er blinzelte, bis er sich an die Helligkeit gewöhnt hatte.

„Hi“, sagte Elvis. „Willkommen in Überworld. Dich an Bord zu nehmen war ursprünglich nicht vorgesehen. Aber wir konnten dich schwerlich deinem Schick-sal überlassen nach dem, was die Gören mit dir angestellt hatten.“

Er lehnte die Gitarre, eine schlichte

Martin D-28, behutsam an die fl uoreszie-rende Wand und trat ans Krankenbett. Der Mann trug ein verwaschenes T-Shirt und schlabberige Jogginghosen, wirkte nicht sonderlich gepfl egt, hatte säuerlichen Mundgeruch und war unrasiert, jedoch eindeutig …

„Elvis?“„Ja, das ist die positive Nachricht: Wir

leben, du und ich. Ab da wird’s allerdings komplizierter.“ Er blickte zur Seite, um violett glühende, holografi sche Anzeigen abzulesen. „Du erholst dich bewunderns-wert fl ott. Hast dich ordentlich vorbereitet auf dein Wahnsinnsunternehmen, hm?“

„Jahrelang“, krächzte Felix. „Trotzdem zu wenig, offensichtlich. Sonst würde ich nicht von dir träumen.“

Elvis seufzte, beugte sich über Felix und kniff ihn in die Wange. „Tut das weh?“

„Au! – Trotzdem kein Beweis. Man kann sich Schmerzen genauso einbilden wie alle anderen Wahrnehmungen.“

„Mir doch egal, ob du deinen Sinnen traust. Jedenfalls, solltest du dich dazu durchringen, diese Realität zu akzeptie-ren, führe ich dich ein wenig rum.“

Felix überlegte. Etwas war gewaltig schiefgelaufen. Er hatte eine Vision, wahr-scheinlich die letzte seines Lebens. Was sprach dagegen, sie ein Weilchen zu genie-ßen? Zumal es ihm momentan beim besten Willen nicht gelang, das absurde Trugbild zu verscheuchen, geschweige denn festzu-stellen, in welchem Zustand er sich tatsäch-lich befand. „Okay. Wo sind wir noch mal?“

„In Überworld“, sagte Elvis heiter,

während er Felix auf die Beine half. „Wo sich die guten Kräfte sammeln. Perfekt versteckt, weil nach gängiger Lehrmei-nung der Bodenständigen hier oben nichts dauerhaft existieren kann.“ Abwehrend hob er den Arm. „Frag mich bitte nicht nach der Technologie. Ich weiß bloß, dass sie funktioniert. Irgendwas mit Antigravi-tation und sämtlichen Konsequenzen, die sich daraus ergeben.“

„Und wie kamst du nach …? Ich mei-ne, auf welchem Weg? Per Ballon wohl nicht. Und vor allem, wann?“

„Zeit ist hier relativ. Mir wurde ein unwiderstehliches Angebot unterbreitet.“ Elvis zwinkerte. „Man könnte sagen, I left that building way before.“

D as Habitat war sehr weitläufi g und überaus stilvoll eingerichtet, in

einer berückenden, nachgerade schwingen-den Balance von Bauhaus und Art déco: elegante Linienführungen, durchbrochen von aparten Ornamenten aus Messing und rotem Gold. Gediegen war das Wort, das sich Felix aufdrängte. Er fühlte sich fehl am Platz, wie ein blinder Passagier, oder eher noch ein Schiffbrüchiger, den man aus dem Meer gefi scht hatte, des-orientiert vor Erschöpfung.

In einer schummrigen Bar tanzte ein überirdisch schönes Paar. „Die Monroe“, fl üsterte Felix. „Und ihr Partner ist …?“

„Giuseppe Paolo DiMaggio, der beste Baseballspieler aller Zeiten, bisherig und zukünftig. 361 Homeruns in 13 Saisonen.

Ihn fröstelte. Hallu-zinierte er? „Hör auf, Julie. Das ist nicht mehr witzig. Und garantiert verboten.“

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Er hat sich diesen Tanz redlich verdient. Unten kamen Marilyn und er nicht so toll zurecht. Sie ließen sich nach nur neun Monaten scheiden. Inzwischen haben sie sich entschlossen, den Moment ihres höchsten Glücks zu genießen. Auf ewig und immerdar.“

„Sie tanzen? Sonst nichts?“„Solange dieses Universum währt. Du

bist doch deutscher Muttersprache. Goe-thes ‚Faust‘ sollte dir ein Begriff sein. Ich zitiere: ‚Oh Augenblick, verweile …‘“

„Das passiert hier? Ihr friert Leute ein, an einem Höhepunkt ihres Lebens?“

„Wie bereits erwähnt, ist alles viel komplizierter“, beschwichtigte ihn Elvis.

„Wen haben wir denn da?“, flötete er, sich geziert die Hände am Kittel ab-wischend. „Lass dich umarmen, Herr Baumgartner! Ich liebe waghalsige Flug-pioniere.“

Eine Wolke schweren, nach Minze und Menthol riechenden Parfüms hüllte ihn ein. Felix schnappte nach Luft, nachdem er die allzu herzliche Begrüßung ausge-standen hatte. „Woher kennst du meinen Namen?“

„Oh, wir beobachten dich schon seit Jahren. Uns entgeht nicht viel von Belang. Glaub mir, wir wachen gut über euch da unten und kümmern uns fürsorglich um euer Wohlergehen.“

Felix runzelte die Stirn. Zwar war es sinnlos, mit einer skurrilen, fast durch-scheinend dünnhäutigen, engelhaft androgynen Traumgestalt zu diskutieren, doch übertriebener Enthusiasmus reizte ihn stets zum Widerspruch. „Na ja. Son-derlich rosig sind die weltweiten Verhält-nisse derzeit nicht.“

„Das kommt auf die Perspektive an, mein Freund. Von hier oben aus, mit einer gewissen Distanz betrachtet, schreitet die Menschheit passabel voran.“ Leonardo fuhr sich durch die schlohweiße Locken-mähne. „Ich könnte dich in beträchtlich üblere Epochen versetzen, so es dich da-nach gelüstet.“

„Ihr habt eine Zeitmaschine.“ Klar, die fehlte noch. Und ein Perpetuum mobile.

Leonardo drohte Elvis neckisch tadelnd mit dem Zeigefinger. „Böser King! Hast du ihm denn rein gar nichts erläutert?“

„Für die großen Offenbarungen bist du zuständig.“

„Hunger, Kriege, Naturkatastrophen“, zählte Felix verärgert auf. „Aids, Arten-sterben, Erderwärmung. Et cetera. Das nennt ihr fürsorglich?“

„Wir tun unser Bestes, die Kollateral-schäden in Grenzen zu halten. Aber ver-wechsle uns nicht mit Göttern. Wir sind keineswegs allmächtig. Sonst wären wir nicht auf die planetaren Ressourcen an-gewiesen.“

„Warte mal.“ Wenn Felix sich auf etwas einließ, zog er es durch. „Der frappant steigende globale Energieverbrauch. Die zyklisch scheinbar im Nichts verschwin-denden Finanzmittel … Das alles fl ießt nach Überworld?“

Der Albino räusperte sich. „Indirekt. Selbstverständlich steuern einige aus-gewählte Angehörige der aktuellen Füh-rungselite das Ihrige bei. Quasi als Inves-tition. Schließlich möchten sie an Bord sein, wenn wir dereinst zu den Sternen aufbrechen.“

„Darum geht’s? Ihr plündert die Erde aus, eines Hirngespinsts wegen? Für eine

Arche, mit der ein paar Popstars und Superreiche den Kosmos erobern wollen?“

„Vierzigtausend“, warf Elvis ein, „wer-den es beim Start sein. Damit dort, wo und wann immer wir eine geeignete Kolonial-welt fi nden, höchstmögliche genetische Vielfalt gewährleistet ist.“ Er deutete auf das Logo an Felix’ Unterhemd. „Dein Sponsor, der Saftbaron, hat übrigens keine schlechten Chancen.“

„Ich fasse es nicht. Die verbleibenden sieben Milliarden bezahlen teuer für diesen Irrwitz! Wer von euch hat das aus-gehirnt? Ein irrer Diktator?“

Leonardo tätschelte Felix die Schulter. „Krieg dich wieder ein, Junge. Sei ehrlich – würdest du, grad du!, nicht trotzdem begeistert mitfl iegen, gesetzt den Fall, du hättest die Wahl?“

H atte er aber nicht.Ungeachtet seiner Verdienste um

die Guerilla-Aeronautik, erklärten sie Felix, müssten sie ihn leider zurück zum Ballon schicken. Die anhand dieser heroi-schen Mission gewonnenen Erkenntnisse würden eine Ereigniskette in Gang setzen, welche für jenen Zweig des Zeitwipfels von ursächlicher Bedeutung war. Letztendlich hing das Gelingen des gesamten Projekts davon ab, wie sehr sein Weltrekord die zukünftige Forschung befl ügelte.

„Angenommen, ich wollte euch sabo-tieren“, sagte Felix, während man ihn auf den Halterungen der Zeitmaschine fest-schnallte. „Beispielsweise, indem ich nicht rechtzeitig die Reißleine meines Fall-schirms ziehe. Würde das einen Unter-schied machen?“

Elvis verneinte. „Leonardo hat’s ge-sehen, wieder und wieder. Er stammt aus einer Zukunft, in der du sehr berühmt bist. Und völlig ahnungslos – der Über-schallknall wird deine Erinnerung an unsere Begegnung rückstandsfrei gelöscht haben.“

„Selbst wenn ich ab jetzt nur noch Blödsinn veranstalte?“

„Selbst dann. Ob du willst oder nicht, du landest heil am Boden.“

Felix sprang.Es kostete ihn nicht die geringste

Überwindung. www.redbullstratos.com

„Leonardo stammt aus einer Zukun� , in der du sehr berühmt bist.“

„Niemand altert, wenn er nicht will; nicht einmal pubertierende Bengel wie Romeo und diese unausstehliche Julie.“

Klicketiklick. Endlich fi el der Groschen. Der Rekordversuch war, weshalb auch immer, gescheitert. Fatal. Felix hatte ein Nahtoderlebnis: weißes Licht am Ende des Tunnels, und so. Bloß phantasierte er sich stattdessen ein jenseitiges Paradies, einen bizarren, von teils historischen, teils fi kti-ven Persönlichkeiten bewohnten Olymp in der Stratosphäre. Er lachte. „Dann hängt Jesus wohl ebenfalls hier ab.“

„Bedaure. Die Fahndung nach ihm ver-lief ergebnislos. Ché Guevara könnte ich dir vorstellen, falls du auf Märtyrer stehst. Oder Königin Nofretete. Sie erzählt recht amüsante Anekdoten. Über die langfristige Planung erkundigst du dich am besten bei Leonardo.“

„DiCaprio? Aber der …“„Da Vinci, Scherzbold.“

D as Laboratorium besaß die Aus-maße eines Jumbojet-Hangars.

Dennoch platzte es aus allen Nähten, bis zur Decke rammelvoll gepfropft mit den unterschiedlichsten Kunstwerken und Ge-rätschaften. Unübersehbar war Leonardo sowohl leidenschaftlicher Sammler als auch Chaot. Und Albino. Und schwul.

* Leo Lukas ist Kabarettist und einer von elf Autoren der weltweit erfolgreichsten Science-Fiction-Serie „Perry Rhodan“. Seit 1961 wurden über eine Milliarde Hefte verkauft.

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Wenn Felix Baumgartner die Tür seiner Kapsel öffnet, wird es ernst.

Jahre der Planung kulminieren in wenigen

Minuten freien Falls: Red Bull Stratos tritt in

die entscheidende Phase.

Der Sprung

ins Leere

IN DIESEM KAPITEL springen wir mit Skydiver Luke Aikins (6.1), berech-nen Felix’ Geschwindig-keit (6.2) und begleiten ihn beim Testsprung aus 22 Kilometern (6.3).

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r sprang. Zog den Reserve-schirm, und als der sich geöffnet hatte, trennte er ihn ab und verließ sich darauf, dass sich der Hauptschirm

öffnen würde. Das nächste Mal sprang er, öffnete den Stabilisierungsschirm (drogue chute) und dazu den Reserveschirm. Oder er sprang und begann sich um seine eigene Achse zu drehen, schneller, immer schnel-ler, bis ihm schwindlig wurde und der Horizont ihm vor den Augen verschwamm. Luke Aikins machte alles falsch, was man nur falsch machen kann – und lotete damit sämtliche Eventualitäten aus, die Felix Baumgartner bei Red Bull Stratos drohen könnten.

Kommen dir nie seltsame Gedanken von Angst und Risiko, Luke? Der Hüne mit dem breiten Lachen schüttelt den massigen Kopf: „In dem Moment, wo mir vor dem Absprung seltsame Gedanken kämen, würde ich sofort aufhören.“

Luke Aikins, 38, ist ein Kind der Lüfte. Er wuchs buchstäblich auf dem Kapowsin Airfi eld in Kapowsin, Washington, auf, wo sein Großvater eine Sky diving-Firma ge-gründet hatte, die später von Lukes Onkel und Tante übernommen wurde.

Lukes Vater ist Pilot, sämtliche Ge-schwister fl iegen: Andere Familien gingen

fi schen oder tauchen, die Aikins’ gingen in die Luft. Mit zwölf absolvierte Luke seinen ersten Tandemsprung, für den ersten Solo-sprung musste er aus gesetzlichen Grün-den leider bis zu seinem 16. Geburtstag warten. Inzwischen füllen Lukes Sprung-bücher mit rund 15.000 Fallschirmsprün-gen ein halbes Bücherregal.

Neben den Wissenschaftlern, die hinter Red Bull Stratos stehen, sind sportliche Vollprofi s die entscheidenden Puzzlesteine zum Gelingen des Projekts. Typen, die die Berechnungen und Prototypen der Wis-senschaftler und Techniker dann tatsäch-lich in der Praxis ausprobieren. (Ein ande-rer „Kunde“ von Luke sind übrigens die Elitesoldaten der United States Navy SEALs, denen er die Feinheiten des Sky-diving beibringt.)

Ursprünglich hätte Luke Aikins bei Red Bull Stratos keine sonderlich große Rolle spielen sollen. Er war bloß als Luft-Foto-graf gebucht und sollte Felix Baumgartner bei dessen Kennenlernen des Druckanzugs im Windtunnel und später bei den ersten Sprüngen aus dem Flugzeug fotografi eren. Das ursprüngliche Design des Fallschirms für Red Bull Stratos gefi el Luke Aikins gar nicht – aber er hielt den Mund und sich selbst als fl iegender Schutzengel bereit, falls Felix sich in dem relativ unübersicht-lichen Layout verirren würde.

Die ersten Testsprünge im April 2009 waren topsecret. In California City stan-den zwei Helikopter bereit, um Felix’ erste Sprünge im Druckanzug zu dokumentie-ren. Darüber hinaus hatte man Luke eine 15 Kilogramm schwere RED-HD-Kamera auf den Helm geschnallt, damit sollte er Felix während des Falls fi lmen.

Die Mission stand allerdings unter keinem guten Stern: „Es war viel zu windig da draußen. Eigentlich wenig überraschend: Nicht von ungefähr ist die Gegend um Cal City voller Windmühlen.“ Zwei Helis und eine Cinefl ex-Kamera warteten am Boden, die Crew drehte nervös Daumen, Felix wurde unrund. Der Wurm war drin. Das Warten zehrte, die Helis kosteten Geld, die Zeit verrann.

Was machte Luke? Er rief einen Kum-pel in Taft an, kaum 30 Minuten mit dem Heli entfernt. Taft liegt hinter einer Hügel-kette, und Luke wusste: In Taft würde es windstill sein. Er erzählte dem Typen vom dortigen Flugplatz irgendwas vom Dreh eines Red Bull-Werbevideos. 500 Dollar, sagte der Mann aus Taft, und ihr könnt kommen.

Felix und die Crew waren happy: Der Film-und-Foto-Typ löste Probleme ganz einfach im Vorbeigehen, da schau her.

Der Tag war gerettet, doch nicht ganz:

6.1Wie man wieder runterkommt: Skydive-Spezialist Luke Aikins hat alle Fehler ausprobiert, um Felix Baumgartners Sprung aus der Strato-sphäre so sicher wie möglich zu machen.

Luke in the Sky

Text: Werner Jessner

Aus der Strato-sphäre zu sprin-gen fühlt sich an „wie Autofahren mit vier platten Reifen“.

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Equipment für unsicher. Wenn ihr mich an Bord haben wollt, müssen wir das Sys-tem der Fallschirme umbauen.“

U rsprünglich hätte der Drogue Chute an den Schultern befestigt sein sollen. Luke war nicht begeis-

tert: „Ich hielt das Risiko, dass sich die Seile um Felix’ Hals verheddern könnten, für viel zu hoch.“ Die einen rechneten und tüftelten noch, da war Luke schon wieder in der Luft und wagte einen Selbstversuch: „Am nächsten Tag befestigte ich einen Drogue Chute simple and dirty an meinem Schirm, nahm ihn in die Hand und sprang damit aus dem Flugzeug. Es funktionierte super. Das Video schickte ich an die Jungs von Red Bull Stratos.“

Darauf basierend und durch Ideen von Suit Handler Mike Todd ergänzt, bastelte

„Ich halte euer Equip-ment für unsicher. Wir müssen das System der Fallschirme umbauen.“

Beim ursprünglichen Fallschirmdesign öffnete sich auch der Drogue Chute, der Stabilisierungsschirm, und fl og davon, wenn Felix den Hauptschirm zog. Luke bedeutete also, bereits in der Startluke stehend, dem zweiten Hubschrauber, nicht direkt in einen Sinkfl ug zu gehen, um sich nicht im Fallschirm zu verhed-dern. Eigentlich gehört es nicht zu den Kernkompetenzen eines Skydivers, sich um die Sicherheit des Heli Gedanken zu machen. Luke tat es trotzdem. Dann sprang er raus und fi lmte Felix.

Für Luke Aikins ist es normal, mitzu-denken und Dinge einfach zu erledigen. Art Thompson, Mike Todd und Felix Baumgartner waren von der Performance des vermeintlichen Kameramanns so an-getan, dass sie ihn ins Team holen wollten. Doch der zierte sich: „Ich halte euer

Luke Aikins ein rohes Modell für das Fall-schirm-Rig. Luke ist, wie er selbst gerne zu-gibt, „nicht der Mann für den Feinschliff. Meine Stärke sind Ideen.“ Die Detailarbeit wurde an Kelly Farrington übertragen, den Gründer des Fallschirmspezialisten Velocity Sports. Der baute in mehreren Monaten jenes Schirmsystem, das Felix bei Red Bull Stratos verwenden wird.

Mit seiner immensen Freifall-Erfah-rung kann sich Luke Aikins wohl am ehes-ten vorstellen, was Felix Baumgartner bei seinem Sprung aus der Stratosphäre er-wartet: „Während der ersten halben Minu-te wird er keinen Wind spüren. Für einen Skydiver ist das so, als ob du ein Auto mit vier platten Reifen fährst. Ich glaube, dass er sich während der ersten 30 Sekunden ein paar Mal überschlagen wird: Es gibt zu wenig Luft, als dass er damit arbeiten könnte. Sobald er genug Luft unter dem Körper fühlt, wird er seine normale Sprungposition einnehmen können. Ich meine, Felix sollte ganz oben erst gar nicht versuchen, die Überschläge zu vermeiden. Nichts, was du machst, ob Rudern mit den Armen oder Kicken mit den Beinen, kann die Position verändern. Das ist für einen Skydiver schwer zu akzeptieren, aber in einer Atmosphäre, die so dünn ist, dass eine Feder so schnell zu Boden fällt wie eine Bleikugel, kannst du Überschläge nur ausreiten und auf dickere Luft warten.“

Bei Tests zu Red Bull Stratos wurde ein Metallzylinder aus 120.000 Fuß abge-worfen, um zu sehen, wie er reagiert. (Das Team nannte den Flugkörper „Felix Bomb-gartner“.) Dass der zu taumeln begann, irritiert die Techniker, nicht jedoch Sky-BI

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Page 58: The Red Bulletin_Stratos Special_DE

6.2

Heftige Diskussionen im Internet: Kann ein Mensch im freien Fall die Schall-mauer durchbrechen? Wir lassen Physiker DDr. Martin Apolin von der Wiener Fakultät für Physik nachrechnen – und gelangen zu erstaun-lichen Ergebnissen.

Geschwin-digkeits-kontrolle

Text: Martin Apolin

Warum kann Felix Baumgartner die Schallmauer durch-brechen, wenn ein Fallschirmspringer

kopfüber (in Head-down-Position) „bloß“ etwa 300 km/h erreicht? Die kurze Ant-wort: Erstens ist in großen Höhen die Luftdichte geringer, weshalb die Fallge-schwindigkeit höher werden kann. Zwei-tens ist die Schallgeschwindigkeit dort oben aufgrund der tiefen Temperaturen geringer. Beide Effekte zusammen ermög-lichen das Durchbrechen der Schallmauer. Das ist die Kurzversion. Will man es aller-dings genauer wissen und konkrete Zah-len berechnen, muss man tiefer in die Physik eintauchen. Kompressibilitäts-effekte durch Druckwellen lasse ich bei meiner Analyse unberücksichtigt.

Zunächst überlegen wir, wovon die erreichbare Maximalgeschwindigkeit abhängt. Dazu muss man die zwei Kräfte kennen, die auf eine fallende Person wirken. Erstens die Gravitationskraft FG = –m g, wobei m die Masse des Sprin-

diver Aikins: „Wo es Luft gibt, die dich taumeln lässt, gibt es Luft, mit der du arbeiten kannst. Wir können in der Luft mehr, als sich viele Aerodynamiker vor-stellen können. 1960, als Joe Kittinger sprang, hatte er gerade einmal 33 Fall-schirmsprünge hinter sich, Felix steht bei über 3000. 1960 lag der Rekord für For-mations-Freifall bei acht Springern, heute sind wir bei knapp 500 Springern, die sich im freien Fall die Hand reichen.“

Und trotzdem: „Aus so großer Höhe wie Felix bei Red Bull Stratos ist noch kei-ner gesprungen. Um wirklich zu erfahren, was bei einem Freifall aus einer solchen Höhe passiert, gibt es nur eine Möglich-keit: Jemand muss es ausprobieren.“

Luke Aikins’ Job ist es, alle Eventualitä-ten zu bedenken, Probleme vorherzusehen und dafür Lösungen zu erarbeiten. Luke hat mit dem Red Bull Stratos-Schirmsys-tem über 100 Sprünge absolviert und jede

Aikins (re.) und Baumgartner während eines Testtags mit einem Wingsuit.

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gers samt Ausrüstung (in unserem Fall 140 kg) ist und g die Erdbeschleunigung. Weil FG nach unten zeigt, verpasst man ihr ein negatives Vorzeichen. Bewegt sich der Springer durch die Luft, tritt eine brem-sende Kraft auf, die Luftwiderstandskraft: FL = ½ v² cw A. ist die Luftdichte, cw der Strömungswiderstandskoeffizient, A die Anströmfläche und v die momentane Ge-schwindigkeit. Die Gesamtkraft, die auf den Springer wirkt, ergibt sich dann durch Ftotal = FL + FG = ½ v² cw A – mg.

Auf Meeresniveau beträgt die Fall-beschleunigung 9,81 m/s², in 36,5 Kilo-meter Höhe ist sie nahezu gleich hoch. Anders verhält es sich mit der Luftwider-standskraft, die ja proportional mit dem Quadrat der Geschwindigkeit wächst: FL ~ v². Verdoppelt sich die Geschwindig-keit, vervierfacht sich also FL. Die Maximal-geschwindigkeit wird dann erreicht, wenn Luftwiderstandskraft und Gravitations-kraft einander die Waage halten, Ftotal also null wird. Deshalb spricht man auch von der Gleichgewichtsgeschwindigkeit, weil sich dort beide Kräfte die Waage halten. Man kann in diesem Fall die Gleichung für die Gesamtkraft null setzen, nach v auf-lösen und erhält v = √ 2mg/ cw A.

Das bestätigt die eingangs aufgestellte Behauptung: Bei gleicher Körperhaltung und Masse sind alle Werte bis auf die Luftdichte konstant und v daher propor-tional zu √ 1/ . Weil die Luft nach oben

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Page 59: The Red Bulletin_Stratos Special_DE

da ist es einfach hilfreich, einen Skydiver an der Seite zu haben, der einem die Test-arbeit abnimmt. Auch im Rennsport gibt es Testfahrer. Der Missions-Pilot kann sich nicht um alles persönlich kümmern.“

Bei einem Trainingssprung in Taft ging ein Sprung mit dem alten Schirmsystem beinahe schief: „Felix hat am falschen Griff gezogen, der Schirm hat sich nicht geöffnet. In solchen Situationen sind schon etliche Springer gestorben: Sie sind in Panik verfallen und haben so lange an dem einen Griff gezerrt, bis es zu spät war. Felix hingegen hat einen halben Atemzug lang nachgedacht und cool eine neue Entscheidung getroffen – für den richtigen Griff. Er wartete nicht, dass ihm jemand half, sondern er agierte. Er trifft

also Entscheidungen, schnell und richtig. Das ist das Besondere an ihm. Echte Champions sehnen sich nach Situationen, in denen man versagen kann. Sie wollen zeigen, dass sie bestehen können. Die einen Fußballer fürchten sich vor dem Elfmeter, andere freuen sich aufs Schie-ßen. Felix gehört zur zweiten Gruppe.“

Aikins sieht an Red Bull Stratos vor allem den sportlichen Wert, die Rekorde, das Bestreben, die Grenzen seines Sports ein Stück zu verschieben: „Wir wollen zei-gen, dass es möglich ist, mit Raumanzug und Fallschirm aus der Stratosphäre zu springen, Überschall zu erreichen und danach sicher und kontrolliert zu landen.“

Wann würde Luke Aikins Red Bull Stratos als Erfolg werten?

„Wenn sich der Fallschirm öffnet und Felix sich bewegt, dann ist alles gut.“

„Die einen Fußballer fürchten sich vor dem Elfmeter. Andere freuen sich aufs Schießen.“

hin dünner wird, wächst die Gleich-gewichtsgeschwindigkeit mit der Höhe. Springt Felix Baumgartner aus 36,5 Kilo-metern ab, wird er seine Maximalgeschwin-digkeit in etwa 28.000 Meter Höhe er-reichen. Dort beträgt die Luftdichte nur etwa 2 % des Normalwerts. Nimmt man die normale Luftdichte mit 1 an, beträgt der Wert in dieser Höhe also 0,02. Für die Gleichgewichtsgeschwindigkeit ergibt sich daher √ 1/ = √ 1/0,02 7. Felix Baumgartner kann rund die siebenfache Geschwindigkeit wie in der dichten Atmo-sphäre erreichen.

Aber der Teufel steckt im Detail. Zu-nächst einmal ist es unmöglich, die An-strömfläche A und den Luftwiderstands-beiwert cw zu jedem Zeitpunkt exakt zu wissen, weil diese stark von der Körper-position abhängen und sich dadurch ständig verändern können. Man kann die durchschnittlichen Werte für Baum-gartner und seinen Druckanzug aber ab-schätzen, wenn man den Probesprung vom 15. März 2012 auswertet. Damals sprang Felix aus 21.818 Meter Höhe und erreichte eine Maximalgeschwindigkeit von 587 km/h. Nun kann man die Werte für A und cw in der Simulation so lange verändern, bis man auch hier auf genau diese Geschwindigkeit kommt. In unse-rem Fall ergibt sich für das Produkt aus A und cw der Wert 1,07. Diesen durch-schnittlichen Wert kann man nun für

nur denkbare Fehlfunktion ausprobiert. Angenommen, Felix springt und der Reserveschirm öffnet sich irrtümlich: Das würde er nicht überleben, da er zu wenig Sauerstoff für den langsamen Abstieg mit sich führt. Also muss es eine Möglichkeit geben, den Reserveschirm zu kappen – etwas, das beim normalen Skydiving ein absolutes No-Go ist. Und es braucht einen, der im Selbstversuch herausfindet, ob das alles auch tatsächlich funktioniert wie gewünscht.

Luke sieht sich dennoch nicht als Ver-suchskaninchen, er ist kein Waghals, im Gegenteil. Er ist vielleicht der erfahrenste und coolste Skydiver der Welt. Und sein Respekt vor Felix Baumgartner ist riesig: „Felix hat bei dieser Mission so viel zu tun,

Bei seinem Testsprung aus 21,8 Kilometern erreichte Felix Baumgartner eine Maximalgeschwindigkeit von 587 km/h.

Abb. 2 Erstaunlich: Die Beschleunigung ist während der ersten rund 15 Sekunden nahezu unab-hängig von der Absprunghöhe.

Abb. 1 Die Luftdichte nimmt in großer Höhe massiv ab und macht so den Rekordversuch erst möglich.

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Höhe in km

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y = 1,5906e–0,151x

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weitere Simulationen verwenden – natür-lich nur unter der Voraussetzung, dass die anderen Sprünge in ähnlicher Körper-position ablaufen.

E in wirklicher Knackpunkt ist aber die Abschätzung der Luftdichte. Diese verringert sich mit der Höhe,

weil die unten liegende Luft durch die oberen Schichten zusammengedrückt wird. Dummerweise sinkt zusätzlich die Temperatur in den oberen Schichten stark ab, was die Dichte zusätzlich beeinflusst. Außerdem ändert sich die Luftdichte und hängt vom Tag, der Jahreszeit, der Luft-feuchtigkeit und vom Ort ab. Kurz: Man kann sie für den Zeitpunkt X niemals exakt bestimmen.

Daten aus der Troposphäre (bis 10 km) gibt es zur Genüge. Bei Daten aus der Stratosphäre (zwischen 15 und 50 km Höhe) wird aber die Luft ist wahrsten Sinn des Wortes dünn. Nimmt man die spärlichen Rohdaten für große Höhen als Basis, kann man sich der Luftdichte im Be-

ABSPRUNG-HÖHE

Sekunden bis Schallge-schwindigkeit

Höhe bei Schall-geschwindigkeit

Sekunden bis Maximal-geschwindigkeit

Maximalge-schwindigkeit (vmax)

Höhe bei Maxi-malgeschwin-digkeit

Temp. in °C in dieser Höhe

Schall-geschw. in dieser Höhe

vmax in Mach

33.528 m

(110.000 Fuß)– – 43 Sekunden 1028 km/h 26.000 m –50,7 °C 1076 km/h 0,96

36.576 m

(120.000 Fuß)37 Sekunden 30.500 m 46 Sekunden 1157 km/h 27.600 m –49,1 °C 1080 km/h 1,07

39.624 m

(130.000 Fuß)34 Sekunden 34.200 m 50 Sekunden 1289 km/h 29.000 m –47,7 °C 1084 km/h 1,19

Werte gerundet (außer Höchstgeschwindigkeit und Temperatur).

geringsten und dem aus der größten simulierten Höhe besteht dann schon ein Unterschied von 100 km/h. Bei der Maximal geschwindigkeit beträgt dieser Unterschied bereits über 260 km/h. Bei dem geplanten Sprung aus 120.000 Fuß wird in dieser Simulation eine Maximal-geschwindigkeit von 1157 km/h erreicht. Wie viel Mach sind das aber?

Hier tritt noch eine letzte Schwierigkeit auf. Die Schallgeschwindigkeit wird land-läufig mit 1235 km/h angegeben und als Mach 1 bezeichnet. Demnach hätte Felix beim geplanten Sprung aus 120.000 Fuß nur 0,94 Mach erreicht. Der Standard-wert gilt aber für 20 °C. Die Schallge-schwindigkeit ist nämlich von der Tempe-ratur abhängig und kann mit der Formel vSchall = 72 km/h · √ T°C + 273,15 berechnet werden, wobei T die Temperatur in Grad Celsius ist. (Die Umrechnung zwischen Celsius und Kelvin lautet TK = T°C + 273,15.) Wenn wir also wissen wollen, ob Felix die Schallgeschwindigkeit in dieser Höhe durchbricht, müssen wir die dort herr-schende Temperatur kennen. Wie schon oben erwähnt ist es nicht leicht, Daten für die Stratosphäre zu bekommen. Und wenn man diese hat, dann handelt es sich natürlich nur um Durchschnittswerte, die an diesem Tag nicht exakt gelten müssen. Das ist eine weitere Quelle der Unsicher-heit bei der Voraussage.

S etzt man die Durchschnittswerte für die jeweiligen Höhen ein und berechnet die Schallgeschwindig-

keit, dann bekommt man die Daten in den letzten beiden Tabellenspalten. Demnach würde bei einem Sprung aus 110.000 Fuß (33.528 m) die Schall-geschwindigkeit gerade angeritzt. Bei 120.000 Fuß (36.576 m) hat man einen Polster von rund 7 %. Ginge man rein theoretisch noch einmal 10.000 Fuß (3048 m) höher, wäre man mit +19 % auf der sehr sicheren Seite.

reich zwischen 20 und 40 Kilometern sehr gut durch die Gleichung = 1,5906e–0,151h annähern (Abb. 1), wobei h die Höhe in Kilometern ist. Aus wissenschaftlicher Sicht muss man aber festhalten, dass es sich dabei nur um eine Annäherung an sich ständig ändernde Werte handelt.

N un sind wir bereit für die Simula-tionen (Abb. 2). Ich habe diese nur für die ersten 100 Sekunden

durchgeführt, weil später die verwendete Formel für die Luftdichte eventuell nicht mehr exakt genug ist. Aber das Wichtigste ist sowieso nach etwa 50 Sekunden vorbei! Für die Simulationen habe ich neben der tatsächlichen Starthöhe von 120.000 Fuß (36.576 m) eine um 10.000 Fuß darunter (110.000 Fuß/33.528 m) und 10.000 Fuß darüber (130.000 Fuß/39.624 m) liegen-de gewählt, um durchzuspielen, was dann passiert. Abweichungen um einige Prozent sind durch veränderte Rahmen-bedingungen möglich.

Interessanterweise unterscheiden sich die Sprünge in den ersten 10 bis 15 Sekun-den nur unwesentlich. Das liegt an der extrem geringen Luftdichte in der Start-höhe. Zu Beginn ist diese so klein, dass in allen drei Fällen praktisch ein ungebrems-ter freier Fall vorliegt. Die Geschwindig-keit wächst dann linear mit der Zeit. Der fehlende Luftwiderstand zu Beginn wird auch gut durch ein Zitat von Joe Kittinger nach seinem Sprung 1960 dokumentiert: „Am Ende des Countdowns mache ich einen Schritt ins Leere. Kein Wind pfeift, meine Kleidung bläht sich nicht. Ich habe nicht die geringste Empfindung von der zunehmenden Geschwindigkeit.“

Weil man bei Sprüngen aus geringeren Höhen schneller in die dichtere Luft kommt, unter-

scheiden sich die Geschwindigkeiten be-reits bei 30 Sekunden empfindlich (siehe Abb. 2). Zwischen dem Sprung aus der

„Felix kann in der Stratosphäre die siebenfache Geschwindigkeit wie in der dichten Atmosphäre erreichen.“

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Page 61: The Red Bulletin_Stratos Special_DE

Ein Gefühl, auf das das Team jahrelang hingearbeitet hat:

Felix Baumgartner springt aus der Stratosphäre.

Der Himmel ist tiefschwarz. Du siehst die Erdkrüm-mung. In diesem Moment ist dir bewusst, wie privile-giert du bist, hier heroben

stehen zu dürfen, auf der Plattform der Kapsel in beinahe 22 Kilometer Höhe, und gleich zu springen. Du bist erleich-tert, endlich hier zu stehen. Erleichtert, endlich zeigen zu können, wofür wir fünf Jahre gearbeitet haben. Erleichtert, den Menschen, die immer an uns geglaubt haben, etwas zurückzugeben.

Dann lässt du die Handläufe los und springst ab, genau wie du es dir millionen-fach ausgemalt hast.

Der Moment des Frei-Stehens und Los-springens, die ersten sechs Sekunden Frei-fall, wo du noch nicht genau weißt, wie dir geschieht: Das war richtig geil. Nach sechs Sekunden bin ich vornüber gekippt, bis ich am Rücken lag. Der hohe Schwerpunkt mit den Sauerstoffflaschen, dem Fallschirm und dem massiven Chest Pack hat mich in diese Lage gebracht. Ich hatte mir vor-genommen, nicht gegen die ungewohnte und eigentlich falsche Sprunghaltung zu kämpfen. Weiter unten, wenn die Luft dicker wird, würde ich Möglichkeit genug haben, meine Position zu korrigieren. „Just ride it out“, nennt es Luke Aikins, und tatsächlich konnte ich kurz danach eine stabile Sprungposition einnehmen.

Ein Sprung aus der Stratosphäre ist wie die Besteigung des Mount Everest: Felix Baumgartner über seinen Sprung aus 72.000 Fuß (ca. 22 km), die Unmöglichkeit, Über-schallflug zu trainieren, und seine echten Sorgen.Von Felix Baumgartner

7 Minuten, 52 Jahre

6.3

Nach sechs Sekunden freien Falls hat-ten wir also bereits ein Rätsel gelöst, näm-lich jenes, in welche Position ich nach dem Absprung geraten würde. Das hatten uns unsere Bungee-Testsprünge nicht sagen können, denn am Seil ist der Spaß bereits nach zwei Sekunden vorbei.

Für den Rekordsprung bedeutet das, dass es mir unter Umständen passieren kann, dass ich die Schallmauer in Rücken-lage durchbreche, blind und hilflos. Nichts, was man sich wünscht, aber dieses Horrorszenario ist nicht auszuschließen. Was beim Durchbrechen der Schallmauer genau passiert, weiß auch die Wissen-schaft nicht. Antizipieren ist schwierig, weil ich nicht weiß, was ich vorwegneh-men soll. Dazu kommt der Druckanzug, der meine Reaktionsschnelligkeit zunichte-macht. Springen mit dem Druckanzug ist

wie Gehen unter Wasser, sehr langsam und anstrengend. In einer Umgebung, die vom Athleten hundert Prozent fordert, limitiert ihn das überlebensnotwendige Equipment auf dreißig Prozent seiner Fähigkeiten. Überschall zu fliegen kann man nicht trainieren.

Wenn ich nach ganz oben aufbreche, werde ich bei meinen beiden Testsprün-gen gerade sieben Minuten Trainingszeit im Freifall aus großer Höhe gesammelt haben: drei beim ersten Sprung, vier beim zweiten. Sieben Minuten Erfah-rung, um einen 52 Jahre alten Rekord zu brechen: Das muss man einmal in Rela-tion setzen. Ich muss mir mein Rüst-zeug für die große Höhe schnell holen: erstens, wie sich das Fliegen anfühlt, zweitens mit der psychischen Belastung jenseits der Armstrong-Linie umzugehen,

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wo du weißt, dass du von tödlicher Gefahr umgeben bist, unsichtbar, aber darum um nichts weniger real. Selbst wenn der erste Testsprung so gut verlau-fen ist: Wir waren erst bei gut der Hälfte. Auf einen Viertausender klettert bald ein-mal ein Bergsteiger. Der Mount Everest ist ein anderes Kaliber.

Oft fragen mich die Menschen, ob ich mich vor dem Sprung fürchte. Ganz im Gegenteil: Ich freue mich darauf. Ab dem Moment, wo ich abspringe, komme ich der sicheren Mutter Erde näher. Auch das kann man mit dem Bergsteigen verglei-chen: Auf den Bergsteiger wartet nach dem Gipfel das Basislager, auf mich atem-bare Atmosphäre. Die Luft wird mit jeder Sekunde manövrierbarer, ich kann meine Position kontrollieren, und das größte Problem ist relativ banal, nämlich grim-mige Kälte in den Händen.

Der restliche Sprung wird dann keine große Aufregung mehr bieten: Das kann ich, das liebe ich, das ist meine Welt.

W ir haben das alles so oft geübt, aus unterschiedlichsten Höhen, mit aufgeblasenem Anzug und

ohne, vom Bungee-Seil und im Windkanal. Darum hat der Sprung auch mit nahezu beängstigender Präzision funktioniert. Wenn du zum hundertsten Mal auf den gleichen Berg gehst, ist er nicht mehr so spannend wie beim ersten Mal.

Die Geschwindigkeit spürst du nicht. Ich war bei diesem Testsprung zwar 587 km/h schnell, die dritthöchste Freifall-geschwindigkeit, die je ein Mensch erreich-te, doch für mich hat sich das wie ein ganz normaler Sprung angefühlt. Es fehlen die Referenzpunkte, wegen des Druckanzugs spürst du nichts vom Tempo – das sich übrigens nicht einmal akustisch bemerk-bar macht: Weiter oben rauschst du schnell durch wenige Luftmoleküle, unten langsamer durch mehr. Unterm Strich macht das keinen Unterschied.

Was mir beim ersten Sprung Sorgen gemacht hat, war der Funkausfall. Nicht, weil ich unbedingt quasseln muss, son-dern weil eines unserer Missionsziele lau-tet: Kommunikation im freien Fall. Funk-ausfall ist gefährlich, wie man bei der Landung gesehen hat: Da ich die Hub-schrauber mit den Brandfackeln an Bord nicht dirigieren konnte, bin ich mit dem Wind gelandet und mit 4 g aufgeschlagen. Mit Anzug wiege ich 140 Kilo, also musste ich zwei dicke Harley-Davidson mit mei-nen Sprunggelenken abfedern.

Funk heißt Information, Information heißt Reaktionszeit. Selbst wenn es nur ein gebrochenes Bein wäre: Du willst da-mit nicht in der Wüste rumliegen. Was, wenn ich unfähig sein sollte, das Helm-visier zu öffnen? Der Sauerstoff geht aus, ich ersticke in meinem Anzug, und das alles nur, weil der Bordfunk nicht funktio-niert hat? Das darf und das wird nicht passieren. Ich bin Profi, und ich steige erst dann wieder in die Kapsel, wenn der Funk funktioniert.

Der Fehler, das wissen wir heute, steckte im Chest Pack, das neben ver-schiedenen Kontroll- und Dokumentati-onsfunktionen auch den Funk beinhaltet. Das Ding wird jetzt neu gebaut, und die Spezialisten des deutschen Kommunika-tionskonzerns Riedel werden das in den Griff bekommen.

Ich bin inzwischen sehr zuversichtlich, was meine Ausrüstung betrifft. Kapsel, Anzug, Ballon und Fallschirm sind mitter-weile so perfektio niert, dass ich wirklich

Vor dem Rekordsprung wird es einen weiteren

Testsprung (diesmal aus 90.000 Fuß/

27.432 Meter) geben.

„Ob ich mich vor dem Sprung fürchte? Im Gegenteil: Ich freue mich darauf. Ab dem Moment, wo ich abspringe, komme ich der sicheren Mutter Erde näher.“ B

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happy damit bin. Wir sollten auf alle Pro-bleme da oben eine Antwort haben. Die Unbekannte bleibt das Durchbrechen der Schallmauer. Es gibt nur eine Möglichkeit herauszu finden, was dann passiert: Man muss es ausprobieren. Und genau das werde ich diesen Sommer tun.www.redbullstratos.com

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Page 63: The Red Bulletin_Stratos Special_DE

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Diesen Sommer wird Felix Baumgartner aus 36.576 Meter Höhe springen und dabei versuchen Schallgeschwindigkeit zu erreichen – um so die Wissenschaft weitervoranzutreiben.

Windgeschwindigkeit und -richtung werden seine Flugbahn und die Landeposition inder Wüste New Mexikos erheblich beeinfl ussen. Benutz die Hinweise von Wetter und Landschaft, markier die Position, an der du denkst, dass Felix landen wird und teil dasmit deinen Freunden auf Facebook und Twitter. Derjenige, der sich am Nächsten zur tatsächlichen Position befi ndet, gewinnt das selbe Modell der Uhr, das Felix während seiner rekordbrechenden Reise trägt – eine Zenith El Primero Stratos Flyback Striking 10th. Die fünf Nächstplatzierten gewinnen attraktive Red Bull Stratos Merchandising Artikel, die im August offi ziell veröffentlicht werden.

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Page 64: The Red Bulletin_Stratos Special_DE

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Roswell, New Mexiko: der Start-platz von Red Bull Stratos aus der Vogelperspektive.

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IN DIESEM KAPITEL schauen wir uns in Roswell um (7.0), jener Stadt, in der Red Bull Stratos abheben (und Felix hoffentlich wieder sicher landen) wird.

Klapperschlangen und Skipisten, Revolverhelden und Außerirdische, Dünen aus weißem Gips und ein Fluss

namens Felix: Wir haben uns die möglichen Landeplätze für Red Bull Stratos rund um den Startort Roswell,

New Mexico, vorab schon einmal angesehen.

Rund um Roswell

Text: Werner Jessner

65

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65Jahre nach dem an-geblichen UFO-Ab-sturz, durch den die fünftgrößte Stadt New Mexicos bis heute

berühmt ist, steht Roswell dank Red Bull Stratos erneut im Fokus der Weltöffent-lichkeit. Derzeit wird aber noch haupt-sächlich das UFO-Thema durchdekliniert, und zwar auf breiter Front. Ein schnelles Mitzählen bei der Fahrt durch die Main Street ergibt 57 Außerirdische, beim nächsten Mal sind es sicher um drei, vier mehr. Alles, aber wirklich alles wird mit kleinen grünen Männchen beworben: Essen, Schlafen, Trinken, Autos, Schuhe, Musik, dazu ist selbstverständlich die komplette Merchandising-Kavallerie vertreten, vom T-Shirt mit schlauen Sprüchen („What if we don’t believe in you?“) bis hin zum Briefbeschwerer.

Etwas zwiespältig gibt sich allein der Bäcker in einer Seitengasse neben dem UFO-Museum, das sich recht vollmundig „International UFO Museum and Research

Center“ nennt: Der glaubt sicherheits-halber zusätzlich auch an Jesus, friedlich kleben Aufgefahrener und Abgestürzter nebeneinander an der Fassade.

Das alles, weil William „Mac“ Brazel im Sommer 1947 seltsame Dinge auf seiner Farm gefunden hatte, 50 Kilometer nörd-lich von Roswell. Schrott, Ballonfetzen, deren Herkunft ihm schleierhaft erschien. Zwischen einem Anruf bei der örtlichen Zeitung und einem weltweiten, mehrere Jahrzehnte anhaltenden und kultivierten UFO-Fieber lag eine völlig missglückte Kommunikationspolitik der U. S. Air Force: Je mehr sie dementierte, verschleierte und versteckte, desto interessanter wurde die Geschichte für die Öffentlichkeit. Amerika, ohnehin ein dankbarer Boden für Verschwörungstheoretiker, hatte ein großes Thema gefunden, das sich sehr schön immer wieder neu befeuern ließ.

Das International UFO Museum and Research Center auf Roswells Main Street hat dennoch den unschlagbaren Charme der Siebziger. Fein säuberlich auf Kartons

Zum ersten Test-sprung war Felix mit einer Jacke aufgetaucht, auf der „Alien Hunter“ stand. In Roswell hat man ihn dafür geliebt.

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Page 67: The Red Bulletin_Stratos Special_DE

kaschiert, erzählen Tafeln in Schreib-maschinenschrift von dem, was war oder eben vielleicht auch nicht. Immer vage genug, um sich nicht vollends lächerlich zu machen, aber in der Summe seiner Puzzlesteinchen doch wirkmächtig genug, um jene, die daran glauben wollen, dass es Aliens bis auf die Erde geschafft haben, nicht zu enttäuschen.

Was fand Mac Brazel nun wirklich? Jon Clark, Missionsarzt von Red Bull Stratos: „Teile eines Ballons, ganz ähnlich jenem, wie wir ihn für Red Bull Stratos verwen-den.“ Und die vermeintlichen Aliens? Clark, lachend: „Instrumentierte Dummys, ähnlich wie sie bei Crashtests in der Auto-industrie zum Einsatz kommen. In den 1940ern waren solche Dummys neu, wie hätte ausgerechnet New Mexicos Land-bevölkerung sie kennen sollen?“

Roswell lebt gut von UFO-Zinnober: Eine Stadt hat ihr Alleinstellungsmerkmal gefunden, sie profitiert davon, sie wächst, und man wird hier genauso wenig Einhei-

mische finden, welche die Existenz von Aliens leugnen, wie Agnostiker im Vatikan.

Was aber wäre Roswell, was wäre New Mexico ohne Außerirdische? Die Wahr-heit ist: trotzdem eine verdammt span-nende Gegend.

Wir nehmen den Highway 380 Rich-tung Osten. Keine Stunde von Roswells Stadtzentrum entfernt liegt der Bottom-less Lakes State Park. Gnadenlos brennt die Sonne vom Himmel, Schilder ermah-nen Besucher, genügend Trinkwasser mit-zunehmen. Das bisschen Vegetation, das es gibt, ist hart, grau, ledrig. Diese Pflan-zen sind gewohnt, mit wenig Feuchtigkeit auszukommen, wie sich hier überhaupt Spezialisten für die einzigartigen Bedin-gungen herausgebildet haben.

Bei den Bottomless Lakes treffen die nördlichsten Ausläufer der Chihuahua-Wüste auf die Prärie, dazu kommen Gips-vorkommen im Boden. Wasser löst den Gips, es entstehen sogenannte Sinkholes, Krater im Boden, die sich mit Wasser fül-len: Das sind die Bottomless Lakes. Die türkise Wasserfarbe hat Cowboys dazu verleitet, die Seen für endlos tief zu halten (in Wahrheit sind es maximal 27 Meter). Auf wenigen Quadratkilometern findet B

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Die White Sands waren bis vor 150 Jahren das Territorium der Mescalero-Apachen. Und heute? Tourismus, Raketen.

In Roswell leben knapp 50.000 Menschen (und zahllose Aliens). Aber auch für Milch ist die Stadt bekannt.

Roswell und seine nähere Umgebung: Es gibt eine Menge

zu entdecken.

ROSWELL

Bottomless Lakes State Park

Red Bull Stratos

Apache Ski Resort

LINCOLNFOREST

WhiteSands

CARLSBAD

HAGERMAN

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Felix River

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man Süß- und Salzwasser, fließend und stehend. Im Wasser leben Fische und Frö-sche, die es sonst nirgendwo gibt, und an Land wird vor Klapperschlangen gewarnt.

Hinter jeder Biegung vermeint man, auf den Wohnwagen von Michael Madsen alias Budd aus Quentin Tarantinos Meister-werk „Kill Bill 2“ zu stoßen, vor dem dieser hinreißende De Tomaso Mangusta aus dem Jahr 1969 geparkt ist. Dann ist es aber doch nur ein Pensionistenehepaar aus dem Norden mit seinem gigantischen brandneuen Wohnmobil. Linda und A. J. machen hier Urlaub wie jedes Jahr, der guten trockenen Luft wegen: Linda hat es mit den Bronchien, ihren wortkargen Mann plagt eine Arthritis (erzählt Linda).

Wir nehmen eine Seitenstraße, gon-deln mit 50 Meilen pro Stunde durch diese Calexico-Fototapete von Landschaft. Eine Brücke, ein Schild: Felix River. Sollte Felix Baumgartner mit seiner Kapsel von den Winden nach Süden getragen werden, könnte es tatsächlich passieren, dass er am Fluss landet, der seinen Namen trägt. Die nächstgelegene Stadt heißt seit 1905

Hagerman, was insofern schade ist, als sie 1894 doch unter dem schönen Namen Felix gegründet worden war. Warum die Änderung? Man ehrte damit James John Hagerman, der die Eisenbahnlinie von Roswell ins heutige Carlsbad, New Mexico, gebaut hatte (Carlsbad hieß damals übri-gens Eddy; in New Mexico scheint man seinerzeit eine Vorliebe für Vor- als Stadt-namen gehabt zu haben).

Bahnlinien wie diese änderten das Leben der Menschen dramatisch. Waren die Rinderherden früher von Cowboys in wochenlangen Märschen vom Süden in den Norden getrieben worden, wurde um die Jahrhundertwende ein ganzer Berufs-stand obsolet. Die Eisenbahn trieb dem Wilden Westen das Wilde aus.

Viele klassische Wildwest-Geschichten haben in genau dieser Gegend gespielt.

Man wird in Roswell eben- so viele Ein-heimische finden, welche die Existenz von Aliens leugnen, wie Agnostiker im Vatikan.

Aliens treffen den Wilden Westen: Beim alljährlichen UFO-Festival in Roswell geht es in etwa so zu. Slogan: „A Great Place to Crash“.

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Was Roswell die Aliens sind, ist Lincoln der jugendliche Outlaw, Revolverheld und Viehdieb Billy the Kid (berühmt aus Film, Comic und TV), später von seinem Ex-Kumpan und Neo-Sheriff Pat Garrett er-schossen, 1973 von Sam Peckinpah ver-filmt und vor allem wegen des grandiosen Soundtracks von Bob Dylan Fixbestand-teil im Kanon der endgültigen Western.

Hier, in der Gegend von Lincoln, hat William H. Bonney, so der vermutliche Klarname von Billy the Kid, gelebt, ge-schossen, gemordet, geliebt, sich versteckt, hier wurde er festgenommen, und überall dort, wo sich seine Spuren festmachen lassen, tut man das auch. Das Grenz-gebiet zwischen den USA und Mexiko hat stets zwielichtige Gestalten angezogen, Menschen haben die Seiten gewechselt, sind untergetaucht. Die Grenze als Trenn-linie zwischen zwei Welten, zwischen zwei Leben. Die Viehdiebe aus der nahen Prärie, die sich hier versteckten, „Black Jack“ Pershing gegen Pancho Villa, der arme Schmuggler, die unglückliche Liebe zur mexikanischen Señorita, die Pueblos, die Mescaleros und andere Apachen, die

Zuñi: Indianergebiete erkennt der Durch-reisende zuallererst an den Casinos am Straßenrand, seit dem sogenannten India-nischen Glücksspielregulationsgesetz von 1988 eine lukrative Einnahmequelle für die Indianerstämme. Meist ist auch der Liquor Store nicht weit. Es ist eine pitto-reske, wenn auch etwas traurige Gegend.

Sollte der Wind Felix Baumgartner in seiner Kapsel ein klein wenig weiter gen Norden treiben, eine schwache Autostun-de nur, er könnte glauben, in Österreich gelandet zu sein. Das Apache Ski Resort in Mescalero ist ein ausgewachsenes Wintersportgebiet, selbst für mitteleuro-päische Verhältnisse: neun Lifte, mehr schwarze als blaue Pisten, der Sierra Blanca Peak liegt auf 3652 Meter Seehöhe. Durchschnittliche jährliche Schneemenge: viereinhalb Meter. Am Horizont sieht man die knochentrockene Chihuahua-Wüste. Mehr Abwechslung auf weniger Platz ist fast nicht denkbar. Wäre New Mexico eine Wohnung, sie läge im Stadt-zentrum von Tokio und wäre voller schwedischer Einbaumöbel.

Sollte der Südostwind nur ein klein wenig schwächer sein, würde Felix eben-falls in weißem Pulver landen, nur dass es diesmal Gipssand wäre: Die White Sands sind mit 700 Quadratkilometern die größte Gipswüste der Welt, spektakulär nicht nur wegen der riesigen weißen Dünen, son-dern auch wegen der Pflanzen und Tiere, die es geschafft haben, hier zu überleben.

Allerdings sollte sich Felix Baumgart-ner seinen Landeplatz gut aussuchen. Ein Teil der White Sands ist Testgelände der U. S. Army für Drohnen und Raketen. Hier wurde am 16. Juli 1945 die erste Atombombe des „Manhattan Project“ gezündet, hier landete vor dreißig Jahren das Space Shuttle „Columbia“, weil das Wetter am eigentlichen Landeort, der Edwards Air Force Base im benachbarten Kalifornien, zu schlecht war. Aber eigent-

Das International UFO Museum and Research Center auf Roswells Main Street hat den unüberbiet-baren Charme der Siebziger.

Der Felix River fließt durch Hagerman, das früher selbst Felix hieß. Gäbe es einen besseren Landeplatz für Herrn Baumgartner?

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lich ist es ohnehin unwahrscheinlich, dass Felix Baumgartner so weit nach Westen abgetrieben wird.

Was aber, wenn er genau dort wieder runterkommt, wo er gestartet ist? Der Flughafen von Roswell, auf dessen Ge-lände Red Bull Stratos abhebt, ist die ehe-malige Walker Air Force Base, am 30. Juni 1967 vom Militär an die Stadt übergeben.

Der Flughafen von Roswell und die Walker Air Force Base haben eine beweg-te Geschichte hinter sich. Während des Zweiten Weltkriegs wurden hier Piloten ausgebildet. Die beiden Bomber, welche die Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abwerfen sollten, waren hier stationiert. Als das Militär abzog, nahm es alles mit. Was blieb, waren die Runways: über 5000 Acres (ca. 2000 Hektar) allein innerhalb des umzäunten Geländes.

Wie bewirtschaftet man so viel Asphaltfläche mit Fluganbindung? Die cleveren Menschen von Roswell machten im Jahr 1991 einen Flugzeug-Parkplatz daraus. Im Frühling 2012 standen 200 Maschinen in Roswell, in Zeiten, da die Konjunktur völlig am Boden war, waren es auch schon 350, sagt Jennifer Brady, „und wir hätten noch mehr Platz, wenn es nötig wäre“. Brady arbeitet seit 1983 am Flughafen von Roswell, heute ist die zarte Dame Air-Center-Managerin.

Ein paar Flugzeuge parken tatsächlich schon seit 1991 hier, die angefallenen Gebühren müssen inzwischen quasi strato-sphärisch sein. Das Verrechnungssystem funktioniert wie im Parkhaus: „Wir kas-sieren pro Tag und in drei Tarifen je nach Flugzeuggröße“, erläutert Brady das Ge-schäftsmodell. Es ist ein Saisongeschäft: Im Frühling, wenn die Urlaubssaison be-

ginnt, werden viele Flugzeuge ausgelöst, nur um im Herbst wieder hier zu landen.

Frau Brady und ihr Team sind relativ unerschrocken und Sonderwünschen ge-genüber aufgeschlossen. Als Joe Kittinger, der Joe Kittinger, vor drei Jahren mit einem Teil der Crew von Red Bull Stratos in ihrem Büro im ersten Stock des Haupt-gebäudes zur Tür hereingestiefelt kam, war man dennoch überrascht. Da aber der Flughafen ein Teil der Stadtverwal-tung ist, war rasch klar: „Wir wollen die Host City für Red Bull Stratos werden.“

Man einigte sich auf ein Areal im hinte-ren Teil des Flughafengeländes mit zwei leerstehenden Hangars. Perfekt für Red Bull Stratos und weit genug weg von den geparkten Flugzeugen, dem normalen Flugbetrieb und den UFO-Freaks, die alle nur ein Ziel haben: Hangar 84, wo die ver-meintlichen Aliens nach ihrem Absturz im Jahr 1947 untersucht wurden.

Geht alles glatt, bekommt Roswell diesen Sommer neben den UFOs eine weitere Attraktion. „Wir haben am Flug-hafen durchaus noch Platz für ein Red Bull Stratos-Denkmal“, sagt Brady. Und Felix Baumgartner, ein Mann mit Gespür für die Einheimischen, kreuzte zu seinem ersten Testsprung mit einer Bomberjacke auf, die statt seines Namens die Aufschrift „Alien Hunter“ trug.

Roswell hat ihn geliebt dafür.www.redbullstratos.com

Als das Militär von der Walker Air Force Base abzog, nahm es alles mit. Was blieb, waren die Runways.

DROP ZONE COMPETITION

Wo wird Felix nach seinem Sprung aus der Stratosphäre wirklich landen? Fans kön-nen seine Landeposition in der Drop Zone Competition auf www.redbullstratos.com tippen. Unterstützung gibt es dabei vom Wissenschaftsteam. Außerdem gilt es, Wind-richtung, -stärke und Temperatur zu berück-sichtigen. Nadel in der Landkarte versenken (Drop Zone arbeitet mit voller Google-Maps-Funktionalität), Identität via Facebook oder Twitter verifizieren und mit Freunden teilen. Zu gewinnen gibt es etwas, das man mit Geld nicht kaufen kann: ein Souvenir von der Mis-sion. Mehr auf www.redbullstratos.com

Derzeit parken 200 Flugzeuge am Airport von Roswell, in wirtschaftlich schlechteren Zeiten waren es auch schon 350.

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Felix Baumgartner über Red Bull Stratos

„Wir wollen die Grenzen der Menschheit ein kleines Stück nach außen verschieben.“

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THE RED BULLETIN Special Edition: Herausgeber und Verleger Red Bull Media House GmbH Chefredaktion Robert Sperl, Alexander Macheck (Stv.) General Management Print Mag. Alexander Koppel Verlagsleitung Franz Renkin Art Director Kasimir Reimann Chefi n vom Dienst Marion Wildmann Autoren Martin Apolin, Felix Baumgartner, Werner Jessner, Leo Lukas, Robert Sperl, Herbert Völker Design Kevin Goll, Esther Straganz Foto redaktion Fritz Schuster (Ltg.), Ellen Haas, Catherine Shaw, Rudi Übelhör Lektorat Hans Fleißner Lithografi e Clemens Ragotzky (Ltg.), Karsten Lehmann, Josef Mühlbacher Herstellung Michael Bergmeister Produktion Wolfgang Stecher (Ltg.), Walter Sádaba Finanzen Siegmar Hofstetter, Simone Mihalits Marketing & Country Management Barbara Kaiser (Ltg.), Stefan Ebner, Nicole Glaser, Klaus Pleninger, Elisabeth Salcher, Lukas Scharmbacher, Peter Schiffer, Julia Schweikhardt Anzeigenverkauf Alfred Vrey Minassian (Ltg.), Thomas Hutterer, Romana Müller; [email protected] Firmensitz Red Bull Media House GmbH, Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15, A-5071 Wals bei Salzburg, FN 297115i, Landesgericht Salzburg, ATU63611700 Sitz der Redaktion Heinrich-Collin-Straße 1, A-1140 Wien Telefon +43 1 90221-28800 Fax +43 1 90221-28809 Kontakt [email protected] Web www.redbulletin.com Erscheinungsweise Red Bulletin Stratos ist eine einmalige Sonder nummer des Red Bulletin

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