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„Suicide Prediction“Was soll das?
Konrad Michel, Prof. em. Dr. med.
IPSILON FachtagungUpdate Suizidprävention 2017
PZM 23. Mai 2018
JAMA Psychiatry. 2015;72(1):49-57.
JAMA Psychiatry. 2015;72(1):49-57.
• Retrospektive Analyse der Risikofaktoren• 61 Suizide innerhalb von 12 Monaten nach Hospitalisation-> Statistische Methode zur Berechnung der möglichen prädiktiven Faktoren (multivariate Analyse)
45 Seiten!
Meta-Analyse von 365 PublikationenEinleitung
• Suizidtheorie -> Ursachen -> Behandlung -> Prävention
• Keine Theorie kann bis jetzt suizidales Verhalten vollständig erklären
• Ebenso sind Risikofaktoren – bis jetzt -schwache und unzuverlässige predictors für suizidales Verhalten
Ziel: Verbesserung der „prediction“
16 Kategorien von Risikofaktoren untersucht
Biologisch (Genetik, Hirnphysiologie); kognitive Tests; demographisch: Alter, Geschlecht, Arbeit, Ausbildung, etc.; Verhalten (Aggression); Persönlichkeitstyp; Psychopathologie; somatische KH; frühere Suizidversuche; Kindheitstrauma, etc.
Bsp. Prädiktion von Suizidversuchen
Kategorien von Risikofaktoren
Frühere SV und SG
Versch. Screening InstrumentePsychopathologie
Odds Ratios 2 – 2,3
Schlussfolgerungen (1)
The limited ability of this meta-analysis to inform suicidetheory, prediction, and treatment emanates from one majorsource: the methodological limitations of the existingliterature.
Die begrenzte Fähigkeit dieser Meta-Analyse, Aussagen über Suizidtheorien, Risikoabschätzung und Behandlung zu machen, hat einen hauptsächlichen Grund:
Die methodologischen Schwächen der bestehenden Literatur.
Schlussfolgerungen (2)
• Mehr Studien nötig, mit mehr Variablen
• Neue Technologien nötig („machine
learning“), Internet-basiert, mit Einsatz von
Algorithmen, Hunderten von Variablen
The Human Brain Project
Scientific American March 28, 2017
Die andere Sicht der Dinge
Meta-Analyse von Kohorten-Studien (d.h. Gruppen von Patienten über gewisse Zeitspannen verfolgt)37 Studien, 315‘309 Fälle, Follow-up mean > 5 Jahre
2 Gruppen: High risk vs low risk
Die Sensitivität bzw. Spezifizität der Risikokategorisierung ergab, dass • ca. 50% aller Suizide in der low-risk Gruppe geschehen • und 95% der high-risk Gruppe nicht Suizid begehen.
Meine Interpretation
Es geht hier um das langfristige Risiko und die Frage welche Patienten eine Therapie erhalten sollten.
Gibt es überhaupt Therapien, die langfristig das Suizidrisiko reduzieren können?
„Die Idee der Risikoabschätzung für die Voraussage ist ein Trugschluss. Wir sind ganz einfach nicht in der Lage zu sagen, wer welchen outcome haben wird.“
6 Studien, Suizidversuche, klinische Risikoeinschätzung (Guidelines)Notfallstationen, psychiatrische KlinikenRisikoeinschätzung auf Grund von Guidelines-> Outcome: Suizidversuche
SuizidversucheSpecificity: 70% der low-risk Gruppe falsch
-> „Die Risikozuordnung der Kliniker war zu fehlerhaft um praktisch von Bedeutung zu sein“.
SummarySignificant efforts have been made to identify risk factorsassociated with suicide. However, the evidence suggests that risk categorisation may be of limited value, orworse, potentially harmful, confusing clinical thinking.
...the widespread use of suicide risk assessment divertsclinicians from real engagement with patients....der verbreitete Gebrauch von Risikoskalen lenkt den Kliniker vom wirklichen Engagement mit Patienten ab.
Suicide Risk Assessment: Tools and ChallengesOquendo, Bernanki, 2017
• Therapeutische Beziehung (Allianz) herstellen• Autonomie respektieren (shared or collaborative
decision-making)• Psychoedukation: Aufklärung über Risiko• Prozess-orientierte Therapie, Entwicklung von
Sicherheits-Strategien• Skalen zur Risikoeinschätzung, wenn möglich interaktiv. (z.B.: SSF, Jobes 2005; Prism-S, Harbauer et al. 2012)
State - Risikofaktoren innerhalb der letzten 30 Tage vor dem Suizid von 157 Patienten
Aus 35 Jahren Tätigkeit als forensischer Gutachter (!)
Klinische Risikofaktoren, Berman 2017
• Vorgeschichte von Suizidversuchen oder Suizidgedanken• Aktuell Angst, innere Spannung und Schlafprobleme• Psychiatrische Diagnose• Aktuell Konflikte und finanzielle Probleme• Isolation• Familiäre Belastung mit Suizid
2/3 der Patienten verneinten bei der letzten Kons. Suizidabsichten, und die Hälfte dieser Patienten begingen innerhalb von 2 Tagen Suizid.
Diese Patienten unterschieden sich in nichts von denjenigen, die Suizidabsichten angaben.
Crisis 2016
„... zunehmendes Interesse an Formen der Risikoabschätzung, die auf einer klientenzentrierten, auf die Bedürfnisse der Person ausgerichteten und gemeinsam (collaborative) erarbeiteten Einschätzung der Suizidalität basiert“.
„The Aeschi Working Group – founded in 2000 –strongly emphasized the client-oriented approach, putting the client at the center of the stage as expert of his/her story, to tell about their own suicidality(Michel & Jobes, 2010)“.
Die Kunst, den Draht zum Menschen im Patienten finden
Der narrative Zugang:„Erzählen Sie mir doch bitte .....“
Meine Schlussfolgerungen
• Eine klinisch sinnvolle Voraussage („prediction“) suizidalen Verhaltens mit Hilfe einer Risikoskala gibt es nicht
• Risikofaktoren und Skalen geben immer nur Hinweise auf ein langfristig erhöhtes Risiko
• Der „menschliche Draht“ zum Patienten erlaubt am ehesten eine gemeinsame („shared“) Einschätzung des aktuellen Risikos
Danke für die [email protected]