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45/2013 22 Die Mutprobe In Deutschland mehren sich die Forderungen, Edward Snowden nicht nur als Zeugen zu befragen, sondern ihm einen gesicherten Aufenthalt in der Bundesrepublik zu ermöglichen. Doch die Spitzen von Union und SPD fürchten den Zorn der USA. Titel H ans-Christian Ströbele ist in die- sem Jahr 74 Jahre alt geworden. Mehr als 50 dieser Jahre hat er dem politischen Kampf gewidmet. Für Gerechtigkeit. Für das Gute in der Welt. Dachte er jedenfalls. Vor kurzem stellte ihm ein Moderator im Fernsehen eine  Frage, Ströbele sollte Bilanz ziehen, ein Resümee seines Lebens: „Jemals auf der falschen Seite gestanden?“ „Politisch?“, fragte Ströbele zurück, sein Blick wanderte zur Decke, zwei Se- kunden lang wirkte es, als müsse er nach- denken, aber das gab sich schnell wieder. Dann die klare Antwort: „Nö.“ Jetzt führt Ströbele wieder einen poli- tischen Kampf, den wohl spektakulärsten seines Lebens. Vorigen Donnerstag traf er in Moskau mit Edward Snowden zu ei- nem dreistündigen Gespräch zusammen,  jenem Mann, dessen Enthüllungen über die Spionagetätigkeit der USA seit Mo- naten die Welt fesseln und sie nachhaltig verändern werden. Der Abgeordnete Ströbele aus dem Wahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg war weltweit der erste Politiker, den Snowden in seinem Moskauer Exil empfangen hat. Snowdens Mission ist nun seine Mission. Er möchte den amerikanischen Whistle- blower als Zeugen eines Bundestags-Un- tersuchungsausschusses nach Deutsch- land holen und ihm so ein gesicherte s Bleiberecht in der Bundesrepublik ver- schaffen. Ströbele weiß, welche Probleme es für das deutsch-amerikanische Verhältnis mit sich brächte, wenn Snowden in Deutsch- land eine Bleibe gewährt würde. Die Amerikaner haben vorsorglich ein Aus- lieferungsbegehren hinterlegt, sollte Snowden jemals deutschen Boden betre- ten. Aber Ströbele ist das egal, er setzt seine Prioritäten selbst, und wieder glaubt er, auf der richtigen Seite der  Geschichte zu stehen, transatlantische Partnerschaft hin, Obama her. „Wenn der  politische Wille da ist, der Mut, auch der Mut vor Präsidententhronen, dann ist das möglich“, sagte Ströbele nach seiner Rückkehr. Deutschland steht jetzt vor einer  Mutprobe. Sie stellt sich dem deutschen Parlament, den Spitzen von Union und SPD, die dieser Tage über ein Regierungs- bündnis verhandeln, sie richtet sich aber vor allem an Angela Merkel, die Kanz- lerin. Soll der Bundestag Edward Snowden also als Zeugen vor einem Untersu- chungsausschuss anhören? Die Antwort scheint leichtz ufallen warum sollte man jenen Mann, auf dessen Enthül - lungen die ganze NSA-Affäre fußt und der sich Ströbele gegenüber klar dazu bereit erklärt hat, nicht als Zeugen be- fragen? Schwieriger ist die zweite, grundsätz- lichere Frage, ob man Snowden in Deutschland oder einem vergleichbaren Land eine Heimat und somit Schutz vor den Amerikanern gewähren sollte. Ge- nau das hat Snowden zur Voraussetzung für seine Zeugenaussage gemacht. Er weiß, dass sein Aufenthaltsrecht in  Russland auf ein Jahr begrenzt ist, also in neun Monaten ausläuft. Er sondiert, wo er in Zukunft sicher leben könnte. Deutschland scheint dabei seine erste Wahl zu sein. Zugleich stellt sich die Frage, ob es klug ist, die Supermacht USA zu brüskieren, von deren Erkenntnissen Deutschland profitiert wie kaum ein anderes Land. Wenn ein Ausschuss des Bundestags Snowden als Zeugen hören will, wäre die Bundesregierung verpflichtet, dem Hei- matlosen in Deutschland einen sicheren Aufenthalt und sogar eine geregelte Ar- beit zu ermöglichen: Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten der Wissenschaft- lichen Dienste des Bundestags im Auf- trag von Abgeordneten der Linken-Frak- tion. Einziger Grund, sich dem Wunsch

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Die MutprobeIn Deutschland mehren sich die Forderungen,Edward Snowden nicht nur als Zeugen zu befragen,

sondern ihm einen gesicherten Aufenthalt in derBundesrepublik zu ermöglichen. Doch die Spitzen

von Union und SPD fürchten den Zorn der USA.

Titel

Hans-Christian Ströbele ist in die-sem Jahr 74 Jahre alt geworden.

Mehr als 50 dieser Jahre hat erdem politischen Kampf gewidmet. FürGerechtigkeit. Für das Gute in der Welt.Dachte er jedenfalls. Vor kurzem stellteihm ein Moderator im Fernsehen eine Frage, Ströbele sollte Bilanz ziehen, einResümee seines Lebens: „Jemals auf derfalschen Seite gestanden?“

„Politisch?“, fragte Ströbele zurück,sein Blick wanderte zur Decke, zwei Se-kunden lang wirkte es, als müsse er nach-denken, aber das gab sich schnell wieder.Dann die klare Antwort: „Nö.“

Jetzt führt Ströbele wieder einen poli-tischen Kampf, den wohl spektakulärstenseines Lebens. Vorigen Donnerstag traf er in Moskau mit Edward Snowden zu ei-nem dreistündigen Gespräch zusammen,

jenem Mann, dessen Enthüllungen überdie Spionagetätigkeit der USA seit Mo-naten die Welt fesseln und sie nachhaltigverändern werden.

Der Abgeordnete Ströbele aus demWahlkreis Friedrichshain-Kreuzberg warweltweit der erste Politiker, den Snowdenin seinem Moskauer Exil empfangen hat.Snowdens Mission ist nun seine Mission.Er möchte den amerikanischen Whistle-blower als Zeugen eines Bundestags-Un-tersuchungsausschusses nach Deutsch-land holen – und ihm so ein gesichertesBleiberecht in der Bundesrepublik ver-schaffen.

Ströbele weiß, welche Probleme es fürdas deutsch-amerikanische Verhältnis mitsich brächte, wenn Snowden in Deutsch-land eine Bleibe gewährt würde. DieAmerikaner haben vorsorglich ein Aus-lieferungsbegehren hinterlegt, sollteSnowden jemals deutschen Boden betre-ten. Aber Ströbele ist das egal, er setztseine Prioritäten selbst, und wiederglaubt er, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen, transatlantische

Partnerschaft hin, Obama her. „Wenn der

politische Wille da ist, der Mut, auch derMut vor Präsidententhronen, dann ist das

möglich“, sagte Ströbele nach seinerRückkehr.Deutschland steht jetzt vor einer

Mutprobe. Sie stellt sich dem deutschenParlament, den Spitzen von Union undSPD, die dieser Tage über ein Regierungs-bündnis verhandeln, sie richtet sich abervor allem an Angela Merkel, die Kanz -lerin.

Soll der Bundestag Edward Snowdenalso als Zeugen vor einem Untersu-chungsausschuss anhören? Die Antwortscheint leichtzufallen – warum sollteman jenen Mann, auf dessen Enthül -lungen die ganze NSA-Affäre fußt undder sich Ströbele gegenüber klar dazubereit erklärt hat, nicht als Zeugen be-fragen?

Schwieriger ist die zweite, grundsätz -lichere Frage, ob man Snowden inDeutschland oder einem vergleichbarenLand eine Heimat und somit Schutz vorden Amerikanern gewähren sollte. Ge-nau das hat Snowden zur Voraussetzungfür seine Zeugenaussage gemacht. Erweiß, dass sein Aufenthaltsrecht in Russland auf ein Jahr begrenzt ist, alsoin neun Monaten ausläuft. Er sondiert,wo er in Zukunft sicher leben könnte.Deutschland scheint dabei seine ersteWahl zu sein.

Zugleich stellt sich die Frage, ob es klugist, die Supermacht USA zu brüskieren,von deren Erkenntnissen Deutschlandprofitiert wie kaum ein anderes Land.

Wenn ein Ausschuss des BundestagsSnowden als Zeugen hören will, wäre dieBundesregierung verpflichtet, dem Hei-matlosen in Deutschland einen sicherenAufenthalt und sogar eine geregelte Ar-beit zu ermöglichen: Zu diesem Ergebniskommt ein Gutachten der Wissenschaft-lichen Dienste des Bundestags im Auf-trag von Abgeordneten der Linken-Frak-

tion. Einziger Grund, sich dem Wunsch

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Whistleblower Snowden in Moskau

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Titel

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T H E G U A R D I A N

/ R E U T E R S

In sehr kurzer Zeit hat die Welt vielgelernt über unverantwortlich ope-rierende Geheimdienste und über

bisweilen kriminelle Überwachungs-programme. Manchmal versuchen dieDienste sogar absichtlich zu vermei-den, dass hohe Offizielle oder die Öf-fentlichkeit sie kontrollieren. Währenddie NSA und (der britische Geheim-dienst –Red.) GCHQ die schlimmstenMissetäter zu sein scheinen – so legenes die Dokumente nahe, die jetzt öf-fentlich sind –, dürfen wir nicht ver-

gessen, dass Massenüberwachung einglobales Problem ist und globale Lö-sungen braucht.

Solche Programme sind nicht nureine Bedrohung der Privatsphäre, siebedrohen auch die Meinungsfreiheitund offene Gesellschaften. Die Exis-tenz von Spionagetechnologie darfnicht die Politik bestimmen. Wir haben

die moralische Pflicht, dafür zu sorgen,dass unsere Gesetze und Werte Über-wachungsprogramme begrenzen undMenschenrechte schützen.

Die Gesellschaft kann diese Proble-me nur verstehen und kontrollierendurch eine offene, ohne Rücksichtengeführte und sachkundige Debatte.Am Anfang haben einige Regierungen,die sich durch die Enthüllungen derMassenüberwachungssysteme bloß-gestellt fühlten, eine noch nie dagewe-sene Verfolgungskampagne initiiert,

die diese Debatte unterdrücken sollte.Sie schüchterten Journalisten ein undkriminalisierten das Veröffentlichender Wahrheit. Zu dieser Zeit war dieÖffentlichkeit noch nicht imstande,den Nutzen dieser Enthüllungen zu ermessen. Sie verließ sich darauf, dassihre Regierungen schon richtig ent-scheiden.

Heute wissen wir, dass dies ein Feh-ler war und dass ein solches Handelnnicht dem öffentlichen Interesse dient.Die Debatte, die sie verhindern woll-ten, findet nun in Ländern auf der gan-zen Welt statt. Und anstatt Schadenanzurichten, wird jetzt der Nutzen die-ses neuen öffentlichen Wissens für dieGesellschaft klar, weil nun Reformenin der Politik, bei der Aufsicht und beiGesetzen vorgeschlagen werden.

Die Bürger müssen dagegen kämp-fen, dass Informationen über Angele-

genheiten von entscheidender öffent-licher Bedeutung unterdrückt werden.Wer die Wahrheit ausspricht, begehtkein Verbrechen.

Diesen Text schrieb Edward Snowdenam 1. November 2013 in Moskau. Er erreichte die SPIEGEL-Redaktion über einen verschlüsselten Kanal.

„Mit seinem Mut, einem scheinbarübermächtigen Gegner entgegenzutreten,ist er ein Vorbild“, sagt Verdi-Chef FrankBsirske über Snowden. „Wir müssen alleein Interesse daran haben, dass diese Auf-klärung weitergeht. Deshalb würde icheinen Asylantrag Snowdens in Deutsch-land immer unterstützen.“

„Snowden ist seinem Gewissen gefolgtund hat Verfolgung auf sich genommen“,erklärt der Journalist Günter Wallraff.„Er ist ein Held. Ein Name für die Ge-schichtsbücher.“

Der Schriftsteller Hans Magnus Enzens-berger fragt empört: „Warum hat nie-mand einen Finger für Snowden gerührt?Viele bewundern ihn, keiner tut was.“Und die Grünen-Vorsitzende Simone Peter sagt: „Die Bundesregierung wäregut beraten, einem solchen Mann Schutzund Aufenthalt zu bieten.“

Der Mann, der Deutschland spaltet,sitzt am Donnerstagnachmittag in einemRaum, dessen Wände mit goldgerahmtenBildern zugepflastert sind. Er hat Ströbeleund dessen Begleiter in einem Wagen mitverdunkelten Scheiben abholen lassen,der Ort des Treffens soll geheim bleiben.Vor der Tür stehen Bodyguards zu seinemSchutz. Snowden trägt ein hellblauesHemd, die oberen zwei Knöpfe sind ge-öffnet, darüber einen schwarzen Anzug.Im Gesicht wächst ein zarter Dreitage-

bart. Er begrüßt seinen Besuch an der

zum Schutz der Rechte deutscher Staats -bürger?

Bislang hat sich die BundesregierungWashington gegenüber wie ein Duck-mäuser verhalten. In der Union galtSnowden noch in den Sommermonatenals Querulant und Verräter, als Störfaktorim deutsch-amerikanischen Verhältnis.Es ist auch nicht lange her, dass Kanz -leramtschef Ronald Pofalla die NSA- Affäre für beendet erklärte und Innen-minister Hans-Peter Friedrich sagte:„Diese Mischung aus Antiamerikanismusund Naivität geht mir gewaltig auf denSenkel.“

Seit der SPIEGEL berichtete, dass dieNSA sogar das Handy der deutschen Bundeskanzlerin abhörte, und seit Strö-beles Besuch in Moskau sind viele in Ber-lin peinlich berührt. Plötzlich sind nach-denkliche, gar selbstkritische Töne von

jenen zu vernehmen, für die Snowdenbislang vor allem eines war: ein Ärgernis.Plötzlich redet selbst Friedrich davon,dass man eine Befragung des Amerika-ners vielleicht ermöglichen sollte. Um dieAsylfrage jedoch drücken sich die Spitzenvon Union und SPD weiter herum.

Dem gegenüber steht ein breites gesell-schaftliches Bündnis aus Bürgern, Promi-nenten und den kleinen Oppositions -parteien, die Snowden Respekt für sei -nen Mut zollen und fordern, ihn nach

Deutschland zu holen.

Ein Manifest für die WahrheitVon Edward Snowden

des Parlaments zu widersetzen: „Schwer-wiegende, das Staatswohl der Bundes-republik gefährdende außenpolitische Belange.“

Wiegt die Furcht vor dem Zorn Ameri-kas über die Aufnahme Snowdens amEnde schwerer als der dringende Wunschnach Aufklärung, den der Bundestag, dieVertretung des deutschen Volkes, äußert?Mit ihrem Selbstverständnis als moderner,aufgeklärter und souveräner Rechtsstaatkönnte die Bundesrepublik dies kaumvereinbaren. Und wenn die Empörungder deutschen Regierung über das Über -wachen deutscher Bürger und ihrer poli-tischen Führung nicht gespielt ist, kannsie jenen Mann, ohne den man all dasgar nicht wüsste, eigentlich nicht ab-weisen.

Angela Merkel muss sich entscheiden,es braucht ein Bekenntnis. Ist sie bereit,den Konflikt mit Barack Obama und des-sen Administration zu riskieren, um einanderes Ziel zu erreichen: die umfassen-de Aufklärung der amerikanischen Spio-nagetätigkeit in Deutschland durch dendeutschen Bundestag?

Sicher ist, dass Merkels Lieblings-methode, die Methode des Abwartens,im Fall Snowden keine Lösung bringenwird. Ihre Regierung muss entscheiden,welches Interesse schwerer wiegt: das Verhältnis zu den USA oder die Auf -

klärung über deren Spionagetätigkeit

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Tür, dann bittet er an einen Tisch, aufdem Käse, Früchte und Fisch warten,dazu Weißwein, Rotwein, Wodka. DerAlkohol bleibt unberührt, das Gesprächkann beginnen.Seit Russland ihm temporäres Asyl gewährt hat, lebt Edward Snowden in einem sogenannten Safe House in Mos-kau. Den genauen Ort kennen nicht ein-mal enge Vertraute. Dort wird er rundum die Uhr von russischen Sicherheits-kräften bewacht. Er kann tun und lassen,was er will, kann das Haus verlassen,wenn auch nie allein, nie ungeschützt.„Die Russen scheinen zu fürchten, dassdie Amerikaner sogar vor einem Zugriffmitten in Moskau nicht zurückschreckenwürden“, sagt einer, der seit MonatenKontakt zu Vertrauten des Whistle -blowers hält.

Nachdem er wochenlang verschwun-den schien, tauchten im Oktober erst-mals aktuelle Bilder von ihm auf. Siezeigten Snowden mit einem Einkaufs-wagen vor einem russischen Supermarktund im Kreis anderer amerikanischerWhistleblower, die ihm bei einem Ban-kett einen Preis verliehen. Äußerlichwirkte der 30-Jährige gelöst und ent-spannt.

Dabei bedeutet sein neues Leben einegewaltige Umstellung. Noch im Aprilwohnte er mit seiner Freundin, einer

hübschen Tänzerin, in einem Holzhaus

auf Hawaii. Nun lebt er im Moloch Mos-kau – wissend, dass sein Asyltitel auf einJahr befristet ist. Die Frage, was danachpassiert, treibt ihn um, sie ist Dauerthe-ma in den Gesprächen mit seinen Ver-trauten.

Snowden ist praktizierender Buddhist.Er ernähre sich vegetarisch, heißt es, trin-ke weder Alkohol noch Kaffee, lese Bü-cher über russische Geschichte und ver-bringe endlose Stunden vor dem Rechner,über den er Kontakt mit der Außenwelthält. Intensiv tausche er sich mit jenenJournalisten aus, denen er Teile seinesMaterials anvertraute.

Dort am Rechner verfolgt Snowdenauch, welche Debatte er weltweit ausge-löst hat. In seinem ersten ausführlichenInterview mit dem „Guardian“ hatte erim Sommer gesagt, er fürchte eigentlichnur eines: dass seine Enthüllungen keineWirkung zeigten und verpufften. DieseFurcht war eher unbegründet.

Interviews und Angebote für Buchver-träge hat Snowden bislang abgelehnt. DieBegründung ist stets die gleiche: Nicht erwolle im Vordergrund der Berichterstat-tung stehen; es gehe ihm um das Material,das er über Monate sammelte und ausdem Allerheiligsten des amerikanischenSicherheitsapparats schmuggelte.

Snowden habe in seinem russischenExil keinerlei Furor auf seine frühere Hei-

mat entwickelt, berichten Leute, die mit

ihm diskutierten. Im Gegenteil, er sehesich nach wie vor als amerikanischen Patrioten, glaube an die Selbstreinigungs-kräfte der USA und sogar daran, einesTages nach Hause zurückkehren zu kön-nen.

Besucher kann Snowden in seinemSafe House nicht empfangen, das ver -bieten seine russischen Bewacher. Werihn sehen will, muss wie Ströbele in lang-wierige Verhandlungen eintreten. Danachist die Prozedur die immer gleiche: Gästewerden in Fahrzeugen zu einem geheimgehaltenen Treffpunkt gebracht, woSnowden sie in Empfang nimmt. So ginges seinem Vater, als er Anfang Oktobernach Moskau kam. Und so ging es in dervorigen Woche auch Ströbeles Dele ga-tion.

Der Grünen-Abgeordnete hatte schonnicht mehr damit gerechnet, Snowdenleibhaftig begegnen zu können. Ganz zuAnfang der NSA-Affäre, als der frühereNSA-Mitarbeiter noch im Transitbereicheines Moskauer Flughafens festsaß, warStröbele über einen Mittelsmann zwarder Kontakt gelungen. Der riss jedochab, als Snowden in sein jetziges Asyl umzog.

Nachdem der SPIEGEL in der letztenAusgabe über den Lauschangriff auf Mer-kels Handy berichtet hatte, kam die Ver-bindung zu Ströbele wieder zustande.

Während des dreistündigen Gesprächs 4 5 / 2 0 1 3 25

D A R M E R / D A V I D S

Grünen-Politiker Ströbele: Wieder glaubt er, auf der richtigen Seite der Geschichte zu stehen

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habe Snowden einen hellwachen undüberlegten Eindruck gemacht, sagte Strö-bele anschließend. Mit am Tisch saß eine

junge Mitarbeiterin mit blonden Locken,die zuletzt auf fast allen Fotos nebenSnowden auftauchte und die in den ver-gangenen Monaten eine seiner engstenBegleiter war. Sie heißt Sarah Harrisonund hat Erfahrung mit Männern, die Ame-rika als Staatsfeind betrachtet. In den ver-gangenen Jahren war sie eine der engstenMitarbeiterinnen von Julian Assange.

Mit dem WikiLeaks-Gründer war sienoch als Mitarbeiterin im Büro für inves-tigativen Journalismus der City Univer -sity in London in Kontakt gekommen –um bald voll für Assange und WikiLeakszu arbeiten. Harrison war gerade zufälligin Australien, als Snowden sich entschied,seinen ersten Fluchtpunkt Hongkong zuverlassen. Sie flog zu ihm und wich seit-her nicht von seiner Seite.

Ströbele erklärte ihnen die Möglichkeiteines freien Geleits, sollte Snowden zu

einer Aussage vor dem geplanten Unter-suchungsausschuss des Bundestags bereitsein. Er könne als wertvoller Zeuge diekomplexe Spionagetätigkeit der US-Dienste erläutern: „Für uns ist das alleseine Frage von einem anderen Stern.Würden Sie uns helfen?“

Snowden ließ keinen Zweifel, dass erdies könne. Allerdings nur zu einem Preis,den die Bundesregierung bislang nicht zuzahlen bereit ist: sicheren Aufenthalt inDeutschland. Nicht anders ist der vorletz-te Satz in dem Brief an „die Zuständigen“zu verstehen, den Snowden seinen Gäs-ten mit auf den Weg gab: „Ich hoffe, dassich, wenn die Schwierigkeiten dieser humanitären Lage beigelegt sind, in derLage sein werde, mich an der verantwor-tungsvollen Aufklärung der Sachverhaltebezüglich der in den Medien getätigtenAussagen, insbesondere im Hinblick auf Wahrheit und Authentizität der Berichte,angemessen und gesetzesgemäß zu be -teiligen.“

Etwas klarer formulierte es Ströbelebei seiner Pressekonferenz am Freitag inBerlin: Snowden habe „erhebliche Vor-behalte“ dagegen, in Moskau von einemErmittlungsbeauftragten des Bundestagsoder einem Bundesanwalt als Zeuge be-fragt zu werden. Aber: „Er kann sich vor-stellen, nach Deutschland zu kommen,wenn gesichert ist, dass er danach inDeutschland oder einem vergleichbarenLand bleiben kann und dort sicher ist.“Das Angebot stehe. Jetzt sei es an derBundesregierung zu springen.

Juristisch ist der Sprung, Snowden nachDeutschland zu holen, kein größeres Problem. Eine Ausreise würde nicht anseinem ungültigen Pass scheitern. DieRussen könnten ihn auch so ein Flugzeugnach Deutschland besteigen lassen. Nachder Ankunft am Flughafen könnte er Asyl

beantragen.26

M

I C H A E L G O T T S C H A L K / P H O T O T H E K

H C P L A M B E C K

Dach der US-Botschaft in Berlin, Parteichefs Gabriel, Merkel: Die Supermacht brüskieren?

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Was dann passieren könnte, wird ihn jedoch beunruhigen: Er würde wohl fest-genommen. Ein Auslieferungsersuchender Vereinigten Staaten liegt bei der Bun-desregierung vor.

Doch das zuständige Gericht könntedie Haft schnell beenden. Wo keineFluchtgefahr besteht, gibt es keinen Haft-grund. Dass Snowden tatsächlich an dieUSA ausgeliefert werden könnte, schlie-ßen Experten nahezu sicher aus. Dasdeutsch-amerikanische Auslieferungsab-kommen gilt nicht für „politische Straf-taten“. Und was darunter zu verstehenist, richtet sich – so das Gutachten derWissenschaftlichen Dienste – danach, wasim „ersuchten Staat“, also in Deutschland,als politisches Delikt gilt. „Zum politi-schen Strafrecht“, so Nikolaos Gazeas,Strafrechtsexperte an der UniversitätKöln, „gehören jedenfalls alle Staats-schutzdelikte im Strafgesetzbuch“ – alsoauch der Verrat von Staatsgeheimnissen,den die Amerikaner Snowden vorwerfen.

Das zuständige Oberlandesgerichtmüsste die Auslieferung für unzulässig er-klären – und intern haben erfahreneOberlandesrichter schon erkennen lassen,dass sie nicht zögern würden, sich demamerikanischen Begehren entgegenzu-stellen.

Weil das allen Kennern der Materiein Berlin klar sein muss, könnte die Regierung dem Asylsuchenden Snowdenam Flughafen viel Ärger ersparen undgleich bindend erklären, dass sie aufeine Auslieferung verzichtet. Dann müss-te das BKA ihn von der Festnahmelistestreichen.

Als Asylantragsteller hätte Snowdenzunächst ein Bleiberecht in Deutschlandwie jeder Flüchtling. Ob sein Antrag al-lerdings Erfolg hätte, ist offen. Nicht jedeVerfolgung einer politischen Straftat istschon „politische Verfolgung“ im Sinnedes Asylrechts. Schon um den eigenenUmgang mit Staatsschutzdelikten nichtzu desavouieren, sind die Gerichte beider Anerkennung fremder „Verräter“ alsAsylsuchende sehr zurückhaltend. Dochein Urteil des Europäischen Menschen-rechte-Gerichtshofs von 2011 könnte einewichtige Rolle spielen. Die StraßburgerRichter haben anerkannt, dass „Whistle-blowing“ vom Menschenrecht auf Äuße-rungsfreiheit gedeckt ist – mehr noch: Dieeuropäischen Rechtsordnungen seien verpflichtet, das Menschenrecht auf Ver-rat vor unangemessener Verfolgung zuschützen.

Noch einfacher wäre es, Snowden eingroßzügiges Bleibeangebot zu machen,das die Bundesregierung jedem Fremdengewähren kann, dessen Aufenthalt siewünscht. „Wo ein Wille ist“, sagt Straf-rechtler Gazeas, „ist auch der rechtlicheWeg.“

Doch dieser Wille ist bei den Verant-

wortlichen von Union und SPD bislang

nicht zu spüren. Es ist nicht lange her,dass insbesondere die KonservativenSnowden wie einen Hochstapler behan-delten, dem man nicht trauen dürfe.

„Bis zur Stunde habe ich keine Hin-weise dafür, dass die Bundesregierungausgespäht worden ist“, hatte Innen -minister Friedrich noch im Juli erklärt.Auch die Kanzlerin äußerte sich sehr zurückhaltend zu Edward Snowden.„Was wir wissen ist, dass er für einenamerikanischen Nachrichtendienst gear-beitet hat und sich entschloss, seine Be-denken im Gespräch mit Medien zu schil-dern und sie nicht zum Beispiel einemKongressabgeordneten oder Senator zuoffenbaren“, sagte sie in einem Inter-view. Auf der Merkel-Skala kritischer

Äußerungen kam das einem herben Ta-

del für Snowden gleich.Als Kanzleramtschef Ronald Pofalladie NSA-Affäre wenige Wochen späterlässig für beendet erklärte, hofften diemeisten in der Union, den StörenfriedSnowden samt seiner nervigen Fest-platten endlich los zu sein. Alle Ver -dächtigungen hätten sich „in Luft aufge-löst“, sagte Friedrich. Sein ParteifreundHans-Peter Uhl verglich die Snowden-Enthüllungen durch den SPIEGEL gar mitden gefälschten Hitler-Tagebüchern im„Stern“.

Jetzt, da sich sogar der amerikanischePräsident bei der Kanzlerin entschuldigenmuss, ist die Blamage groß. Pofalla undFriedrich stehen da wie blutige Anfänger.Die Spitze des deutschen Sicherheits-apparats war naiv genug, den Beschwich-tigungen der Amerikaner zu glauben.

Seit den jüngsten Veröffentlichungendes SPIEGEL ist Snowden plötzlich keinVerräter mehr, sondern ein Helfer, „deruns die Augen geöffnet hat“ (Hans-PeterUhl). Auf einmal sagen Unionisten wieMichael Grosse-Brömer, Erster Parlamen-tarischer Geschäftsführer der Unionsfrak-tion, „dass Snowden eine wichtige De-batte in Deutschland angestoßen hat“.

Auch einen NSA-Untersuchungsaus-schuss sieht die Union jetzt positiver. Bisvor kurzem hoben Unionsjuristen bei die-sem Thema noch zu Impulsreferaten an,warum Snowdens Zeugenaussage an ei-ner ladungsfähigen Adresse scheiternkönne. Jetzt weiß man: An der Adressewird es nicht scheitern. Snowden will aus-sagen.

„Wenn der Bundestag einen NSA-Un-tersuchungsausschuss einsetzen sollte,wäre Snowden ein besonders wichtigerZeuge“, sagt Innenexperte WolfgangBosbach. Allerdings schwebt den meistenvor, Snowden nicht nach Deutschland zu

holen, sondern durch einige Gesandte

des Untersuchungsausschusses in Mos-kau zu befragen. „Dagegen sprichtnichts“, sagt der Parlamentarische Ge-schäftsführer der CSU-Landesgruppe,Stefan Müller. Ähnliche Fälle habe es be-reits gegeben. So wurde der bayerischeRüstungslobbyist Karlheinz Schreiber2002 vom Parteispenden-Untersuchungs-ausschuss im kanadischen Toronto ver-nommen.

Es wäre die feige Variante, um den Är-ger mit den Amerikanern zu umgehen,eine Variante allerdings, die Snowden of-fenbar ausgeschlossen hat.

In der SPD scheint die OffenheitSnowden gegenüber etwas größer zu sein.Zwar steht Fraktionschef Frank-WalterSteinmeier einem Untersuchungsaus-

schuss zur NSA-Affäre skeptisch gegen-

über, wohl auch weil er fürchtet, dass dabei seine frühere Rolle als Chef desKanzleramts und Zuständiger für die Ge-heimdienste unter die Lupe genommenwerden könnte. Inzwischen aber ist derDruck auf ihn gewachsen, auch aus deneigenen Reihen.

Gerade in der SPD-Fraktion wächst derWille, endlich mutiger zu werden. „Es istbeachtlich, dass Hans-Christian StröbeleSnowden getroffen hat“, sagt der Außen-politiker Rolf Mützenich. „Ein Untersu-chungsausschuss kann nun klären, wer inden USA was wusste.“ Anders als Stein-meier hat Mützenich auch keine Angstvor den Amerikanern. „Es wird atmo-sphärische Probleme ähnlich wie bei WikiLeaks geben“, sagt er, „aber damitmüssen wir dann halt umgehen.“

Nun trauen sich die ersten Sozial -demokraten auch in der Asylfrage ausder Deckung. „Deutschland muss daraufhinwirken, dass es eine europäische Lö-sung gibt“, fordert der schleswig-holstei-nische Landeschef Ralf Stegner. Sein Bre-mer Kollege Andreas Bovenschulte ver-langt sogar, Snowden in DeutschlandAsyl zu geben: „Wir sollten es unbedingtprobieren.“ Man müsse sich Gedankenmachen, „ob es nicht doch einen Weggibt, Snowden in Deutschland Asyl an-zubieten“, sagt Bundestags-FraktionsvizeAxel Schäfer. „Snowden ist ein Held,kein Verräter.“ Ähnlich sieht es der Au-ßen- und Verteidigungspolitiker LarsKlingbeil. „Deutschland muss prüfen, obes möglich ist, Edward Snowden Asyl zugewähren.“

Christian Ströbele würde es wohl an-ders ausdrücken: Deutschland muss aufder richtigen Seite stehen.

M A , T D ,M F , P MG R , M R

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Titel

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Die Minister Friedrich und Pofallastehen da wie blutige Anfänger.