PDF Vivian Maier:PN 2/09 Seite 4, 5 - Galerie …...Arbeitgebern. Vivian Maier war die Tochter von...
Transcript of PDF Vivian Maier:PN 2/09 Seite 4, 5 - Galerie …...Arbeitgebern. Vivian Maier war die Tochter von...
PHO
TON
EWS
2/11
11
PHO
TON
EWS
2/11
10
#26 Armenian woman fighting, Sept. 1956, Lower Eastside, NY #2 Untitled, September 1953, New York
#71, Untitled, Undated, France#75, Untitled, Undated
#79, Untitled, Undated, New York, NY
#84, Untitled, Undated, Canada #49, Untitled, Undated, New York, NY
#08 Untitled, Fall, 1953
Die amerikanische Fotografin Vi -vi an Maier war eine Einzelgän gerin,die voller Leidenschaft ihr städti-sches Umfeld mit der Kamera fest-hielt. Bisher völlig unbekannt, rücktihr Nachlass jetzt Stück für Stückins Licht der Öffentlichkeit. Einestille Sensation.
Im Dezember 2007 war die Foto -welt elektrisiert von der Nachricht,dass ein Koffer voller Negative imInternational Center of Photographyin New York eingetroffen war. Derlange verschollene „MexikanischeKoffer“ von Robert Capa enthielt,so stellte sich heraus, nicht nurNegative von Capa selbst, sondernauch von Gerda Taro und DavidSeymour. Capa war zwar längstLegende, aber nun konnte eine wei-
Fotografische Fundstücke:
Vivian MaierEin neues Kapitel der Street Photography
tere Facette dem schillernden Lebendes Foto grafenstars hinzugefügtwerden. Die großartige Ausstellungim ICP wurde gerade um weiterevier Monate verlängert. Das Feuil -leton, aber auch das Publikum liebtsolche sensationellen Wiederentde -ckun gen. Vor allem Flohmarkt- oderDachboden funde, die sich als wert-volle Schätze entpuppen, sindimmer dankbare Geschichten.
Ende 2007 gab es noch eine wei-tere Entdeckung. Doch im Fallevon Vivian Maier ist es anders:damals kannte niemand diesenNamen, keine Anthologie oderFotoge schich te führt ihre Biografieauf, keine ihrer Fotografien wurdebis zu diesem Zeitpunkt veröffent-licht. Heute jedoch, knapp zweiJahre nach ihrem Tod, entwickelt
ihre Ge schich te jeden Tag einegrößere Dynamik. Aus größterAnonymität wird ihr Werk in dieÖffentlichkeit katapultiert. Undjeder kann Zeuge dieser Entwick -lung sein: das Internet macht esmöglich. Tippte man frü her ver-geblich den Namen in eine Such -maschine ein, ist das Ergebnis heu-te überwältigend. Täg lich kommenneue Blog-Einträge, Zeitungs artikelsowie Rundfunk- und Fern seh-Berichte hinzu. Jetzt sind ersteArbeiten auch in Museen und Gale -rien zu sehen.
Der Anfang dieser Entdeckung warein Zufall: Der Chicagoer Immo -bilienmakler John Maloof, heute29 Jahre alt, suchte 2007 Illustra -tionsmaterial für einen Artikel überseinen Stadtteil Portage Park. Erersteigerte aus dem Bestand einesLagerhauses bei einem lokalenAuktionshaus für 400 Dollar einenKarton mit rund 30.000 Negativen.Schnell stellte er fest, dass er zwarnicht das gefunden hatte, was erursprünglich gesucht hatte, aber die-ser Fund veränderte sein Leben
gewaltig. Erst allmählich begriff derKäufer, welcher Schatz ihm in dieHände gefallen war, aber auch wel-che Verantwortung er übernommenhatte. Nachdem Maloof die erstenNegative eingescannt hatte, wollteer mehr über diesen Nachlass wis-sen. Das Auktionshaus konnte ihmnur mitteilen, dass sein Karton ausdem Bestand einer kranken Fraustammte. Die Detektivarbeit be -gann; Maloof erwarb weitere foto-grafische Teilbestände und im April2009 gab es eine erste konkreteSpur: in einem Karton fand sichauf der Fototasche eines Nega tiv -films der Name Vivian Maier. Dochdie Euphorie wurde jäh wiedergestoppt. Nach Eingabe in die Inter -net-Suchmaschine fand er schnelldie Todesanzeige einer Frau glei-chen Namens, die wenige Tage zu -vor verstorben war. Fotografin undunfreiwilliger Nachlass ver walterkonnten sich also nicht mehr per-sönlich kennen lernen.
Maloof nutzte das Internet aberauch, um die Bedeutung seines Fun -des zu hinterfragen. Ohne eigene
fotohistorische Kenntnis hatte ereinige Bilder auf die Internet platt -form Flickr und das dortige Forumzur Street Photography ge stellt.Dieser Blog brachte ihm schon amnächsten Tag über 200 Reaktionenaus der ganzen Welt ein, die ihnnicht nur bestätigten weiter zu for-schen, sondern auch dazu führten,selbst auch einen Blog einzurich-ten, der bis heute den Stand sei-ner Arbeit zum Werk aktualisiert(www.vivianma i er.com). Nun fander nach und nach mehr über sei-nen Bilderschatz heraus, die Bio -grafie von Vivian Maier konnterekonstruiert werden, nicht zuletztdurch Kontakte zu ehemaligenArbeitgebern. Vivian Maier war dieTochter von französischen undösterreichischen Einwanderern.1926 in New York geboren, ver-brachte sie ihre Kind heit in Frank -reich, den leichten französischenAkzent sollte sie sich immer bewah-ren. 1951 kehrte sie zurück in dieUSA und arbeitete die meiste Zeitihres Lebens als Kindermädchen.Als Autodidaktin hatte sie in den
fünfziger Jahren zunächst in NewYork und später in Chicago mitdem Fotografieren angefangen. Diewenigen Zeitzeu gen beschreibensie als Einzel gängerin, ein wenigexzentrisch, die fast nur mit denvon ihr betreuten Kindern kom-munizierte. Eine Art Mary Poppinsmit starkem Charakter. Ihre eigent-liche Leiden schaft, die Fotografie,war für ihr Umfeld nur anhand dervielen Fotoschachteln und Bücherabzulesen, die sie besaß. MarenBay laender, die sie ab 1989 fürvier Jahre als Kinderschwester enga-giert hatte, erinnert sich an denEinzug Maiers in ihr Haus: „Siebrachte einen ganzen kleinen Last -wagen voller Schachteln mit sichund sagte: Das ist mein Leben unddas muss bei mir bleiben. Sie gingnie aus dem Haus ohne ihre Kameraum den Hals.“ (Aus einem Beitragbei Deutschlandradio Kultur / Fazit,5.1.11) Die letzten Lebensjahrewaren von großer Armut geprägt,nach einem Sturz lebte sie zuletztin einem Altenheim in Chicago,wo sie am 20. April 2009 starb,
ohne erfahren zu haben, was ausihrem Lebenswerk wurde. Zu die-ser Zeit steckte John Maloof aberschon längst in der Aufar bei tung.
Es gibt nur ganz wenige Papier -abzüge, weder hatte Maier jemalseine eigene Dunkelkammer nochhatte sie genügend Geld für Prints.Vielleicht waren ihr die Ergebnisseder Arbeit auch gar nicht wichtig,sondern es zählte vor allem dasFest halten der Zeit als Selbstver -gewisserung. Für Maloof scheint dieFotografie für Maier das „emotio-nale Ventil“ gewesen zu sein. Injeder freien Minute muss die Foto -grafin mit ihrer Rolleiflex durch dieStraßen von New York und spätervor allem von Chicago gezogensein. Ihr Interesse galt den Men -schen auf der Straße, den alltägli-chen Begebenheiten. Durch denFilter der Kamera war sie Teil desöffentlichen Lebens, das sie in ihrenBildern dokumentierte. Ihr Stil istdabei ganz stark von der Tradi tionder amerikanischen Street Photo -graphy geprägt. So werden bei-spielsweise Helen Levitt, Lisette
Model oder auch Diane Arbus ver-gleichbare Größen zu ihrem Werk.Neben Alltagsszenen mit Haus -frauen und Händlern, zufälligenPassanten und immer wieder spie-lenden Kindern, treten besondersAufnahmen heraus, die als dichtePorträtstudien gelten können. IhrInteresse galt dem unverstelltenLeben. Aus leichter Untersicht auf-genommen, treten die Porträtiertenmeist in ernster Miene und stren-ger Pose in Kommu nikation zurFotografin. Dabei ge staltete sie ihreBilder sehr genau, der gewählteAusschnitt brachte die Dargestelltenin den Mittelpunkt, ließ aber nochgenügend Raum für das erzähleri-sche Umfeld der Stadt und derStraße. Trotz aller Spon taneität hat-te Maier einen geschulten Blick fürdas Wesentliche, für die gelunge-ne Komposition. Und immer wie-der tauchen Selbstpor träts auf. InSpiegeln oder reflektierendenSchau fenstern fixiert eine ernsteFrau, mit gleichzeitig sanften undabweisenden Gesichts zügen, ihreNachwelt. Die Ent deckung ihrer
subjektiven Welt hat gerade erstbegonnen. Hundert tausende ihrerBilder wurden noch von nieman-dem gesehen.
Nach ihrem Tod vervollständigenimmer neue Aspekte aus dem Werkdie Biografie der Foto grafin. So fandMaloof heraus, dass sie 1959 einesechsmonatige Weltreise unter-nommen hat: die Negativstreifenbelegen bisher ihre Reise nachÄgypten, Bang kok, Thailand, Tai -wan, Viet nam, Frankreich, Italien,Indonesien und vermutlich wird dieListe noch länger. Auch sind ersteKurzfilme aufgetaucht, die MaiersStadtimpres sionen um das beweg-te Bild erweitern.
Die Fotografien Maiers sind mitt-lerweile nicht nur virtuell zu besich-tigen, sondern auch wieder im wirk-lichen Leben angekommen: Am 7.Januar wurde im Chicago CulturalCenter unter dem Titel „FindingVivian Maier“ eine Ausstellungeröffnet. Und auch in Deutschlandsind jetzt erste Bilder von VivianMaier zu sehen: Die Hamburger
Galeristin Hilaneh von Kories warim Sommer letzten Jahres durcheinen Zeitungsartikel auf das Werkaufmerksam geworden, sie nahmKontakt zu John Maloof auf undpräsentiert nun seit Ende Januarunter dem Titel „Twinkle, twinkle,little star...“ eine Auswahl von über80 Foto grafien in ihrer Galerie. Diesist nur ein Anfang, denn nach derEntdeckung folgt nun die mühsa-me Aufarbeitung des gesamtenNach lasses. Eine Aufgabe, für dieJohn Maloof Unterstützer brauchenwird. Denn es gilt noch rund 90.000Negative zu sichten und zu scan-nen, dazu kommen hunderte nochnicht entwickelter Schwarzweiß-und Farbfilme... Dieser Prozess wirdJahre brauchen. Eine umfas sendeRetro spektive ist ge plant, ebensoein Dokumentar film. Eine weltweiteÖffentlichkeit wird die weiterenEntdeckungen verfolgen.
Ulrich Rüter
Die Ausstellung in der Galerie Hilanehvon Kories ist noch bis zum 28. April zusehen. www.galeriehilanehvonkories.de