MITTELLATEINISCHES JAHRBUCH · Din al-Kätib al-Isfahäni (Wiesbaden 1952) 34 Anm. 16; vgl. auch...

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MITTELLATEINISCHES JAHRBUCH Internationale Zeitschrift für Mediävistik International Journal of Medieval Studies Revue internationale des etudes medievales Rivista internazionale di studi medievali UNTER MITWIRKUNG VON PETER DRONKE . COLA MINIS· PETER VON MOOS JÜRGEN STOHLMANN . JOSEF SZÖvERFFY HERAUSGEGEBEN VON KARL LANGOSCH UND FRITZ WAGNER BAND 19 (1984) ANTON HIERSEMANN . VERLAG STUTTGART

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MITTELLATEINISCHESJAHRBUCH

Internationale Zeitschrift für MediävistikInternational Journal of Medieval StudiesRevue internationale des etudes medievales

Rivista internazionale di studi medievali

UNTER MITWIRKUNG VON

PETER DRONKE . COLA MINIS· PETER VON MOOS

JÜRGEN STOHLMANN . JOSEF SZÖvERFFY

HERAUSGEGEBEN VON

KARL LANGOSCH UND FRITZ WAGNER

BAND 19 (1984)

ANTON HIERSEMANN . VERLAG

STUTTGART

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HANNES MOHRING

Zu der Geschichte der orientalischen Herrscherdes Wilhe1m von Tyrus

Die Frage der Quellenabhängigkeiten

In der auf den Wunsch König Amalrichs I.von Jerusalem geschriebenen 'Historia rerumin partibus transmarinis gestarurn" des Wilhe1m von Tyrus besitzen wir eines der Mei-sterwerke christlich-mittelalterlicher Geschichtsschreibung. über diese Chronik ist viel ge-handelt worden, und die neueren Forschungen haben ergeben", daß bei aller Anerkennungvon Wilhe1ms historiographischer Leistung hinsichtlich der einstmals hochgepriesenenObjektivität der Darstellungsweise doch einige erhebliche Abstriche zu machen sind", Weitweniger dagegen hat man sich mit einem anderen Geschichtswerk befaßt, das Wilhe1m vonTyrus nach eigener Aussage ebenfalls auf Wunsch Amalrichs geschrieben hat", das uns je-doch verloren ist. In der 'Historia' wird es als 'De gestis orientalium principum', 'De prin-cipibus orientalibus' und 'De orientalibus principibus et eorum actibus' angeführt". Da derTitel nicht genau zu ermitteln ist, nenne ich das Werk im folgenden 'Gesta orientaliumprincipum' oder kurz 'Gesta'.

Intensiv und mit eigenen Ideen hat sich mit diesem Werk vor nunmehr hundert Jahrenlediglich Prutz auseinandergeserzt". Alle späteren Forscher, die sich zu den 'Gesta' geäu-

1 Wilhelm von Tyrus, Historia rerum in partibus transmarinis gestarum, Prolog und XIX 21 (RHCoce. I), Paris 1844,Sund 917.

2 Vgl, Rudolf HIESTAND,Zum Leben und zur Laufbahn Wilhe1ms von Tyrus, in: DA 34 (1978)345 -380 nebst der 345 -347 angegebenen Literatur; ferner Wolfgang GIESE,Stadt- und Herr-seherbesehreibungen bei Wilhe1m von Tyrus, in: DA 34 (1978) 381-409; Ralph-Johannes LILIE,Byzanz und die Kreuzfahrerstaaten. Studien zur Politik des byzantinischen Reiches gegenüber denStaaten der Kreuzfahrer in Syrien und Palästina bis zum vierten Kreuzzug (1096-1204) (TIOI-KIAA BYZANTINA 1), München 1981,284-316; Hannes MOHRING,Heiliger Krieg und politi-sche Pragmatik: Salahadinus Tyrannus, in: DA 39 (1983) 417-466.

3 Vgl, dazu HIESTAND(Anm. 2) 347. Neuerdings ist es Rainer Christoph SCHWINGES,Kreuzzugsideo-logie und Toleranz. Studien zu Wilhelm von Tyrus (Monographien zur Geschichte des MA.s 15),Stuttgart 1977, gelungen, die Dinge auf den Kopf zu stellen, indem er die von politischer Pragmatikbestimmte Haltung Wilhe1ms von Tyrus als Toleranz interpretiert und seine These darin gipfelnläßt, Wilhe1m habe den muslimischen Herrscher über Aleppo und Damaskus, Niiraddin, als Mit-glied des augustinischen Gortesstaates betrachtet; vgl. die Kritik von Hans Eberhard MAYER,in:DA 34 (1978) 255-257; LILIE(Anm. 2) 290-295; MOHRING(Anrn. 2) 439-466.

4 Wilhe1m von Tyrus, Hist., Prolog (Anm. 1) 5.5 Wilhe1m von Tyrus, Hist. 13, XIX 15 und 21 (Anm. 1) 15,907 und 917.6 Hans PRUlZ, Studien über Wilhelm von Tyrus, in: NA 8 (1883) 91-132, bes. 107-114.

Mittellateinisches Jahrbuch, Band 19 (1984)<Cl Anton Hiersemann, Verlag, D-7000 Stuttgart 1

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ßert haben, sind seinen Ausführungen kritiklos gefolgt", Dabei ist die Forschung seit denTagen von Prutz - nicht zuletzt durch die Edition und Erschließung seinerzeit noch unbe-kannter Quellen - zu Erkennmissen gekommen, die es zu den 'Gesta' in Beziehung zu set-zen gilt.

Nach den Erwähnungen zu schließen, die sich in der 'Historia' finden", scheint Wilhe1mvon Tyrus die 'Gesta' gleichzeitig mit dem uns erhaltenen Werk geschrieben und beide bisin das Jahr 1184 fortgeführt zu haben", Zum Inhalt der 'Gesta'läßt sich vorerst festhalten:Wilhelm hat dort Mohammeds Biographie, seine Religionsstiftung sowie die Entstehungund Ausbreitung des Kalifats behandelt'", Dabei dürfte er sich nicht nur mit den ersten vier«rechrgeleiteten .. sowie den Kalifen aus den Häusern der Umaiyaden und der auf diese fol-genden Abbasiden beschäftigt haben!", sondern auch mit den Fatimiden'P, die den Abba-siden die Kalifenwürde streitig machten und als Herrscher Ägyptens und Palästinas für dieKreuzfahrer von ungleich größerer Bedeutung waren als die inzwischen weitgehend ent-machteten Abbasiden in Bagdad, und endlich mit der zu Wilhelms eigener Zeit bereitswieder im Niedergang befindlichen Macht der türkischen Selgüqen, den selbsternanntenSchutzherren der Abbasiden ",

Im folgenden soll der Frage der Quellenabhängigkeiten nachgegangen werden, um da-durch möglicherweise weitere Aufschlüsse über Inhalt und Charakter der 'Gesta' sowieüber Wilhe1ms Rang als Historiograph zu gewinnen. Zunächst eine methodische Vorbe-merkung: Selbst bei erhaltenen Quellen bereiten uns die Fragen nach der möglichen Ab-hängigkeit einer Quelle von einer ihr in manchem ähnlichen anderen und deren beiderVerhältnis zu einer dritten, die für beide gemeinsame Vorlage gewesen sein könnte, häufiggenug größtes Kopfzerbrechen. Um wieviel schwerer aber wird die Klärung derartigerProbleme im vorliegenden Falle einer uns nicht erhaltenen Quelle wie den 'Gesta' Bei derFrage nach ihrer Abhängigkeit von anderen Quellen bietet lediglich der Umstand Hilfe,daß wir durch die oben angegebenen Passagen der 'Historia' einige Anhaltspunkte für ei-nen Textvergleich mit anderen Quellen besitzen - wenn auch nur dem Inhalt, nicht demWortlaut nach. Bei der Frage der umgekehrten Abhängigkeit, d. h. der Abhängigkeit ande-rer, späterer Quellen von den 'Cesta', ist freilich selbst dieser Umstand wenig hilfreich,

7 Vor allemin der Frageder angeblichenBenutzungder 'Gesta' durch Jakob vonVitry und Wilhe1mvon Tripolis, vgl. dazu unten S. 180-182.

8 Vgl, obenAnm. 5; außerdemwird auf die 'Gesta' noch Bezuggenommenin Hist. I 1 (Anm.1) 11:alibi disseruimus diligenter.

9 Wilhelmvon Tyros, Hist., Prolog (Anm.1) 5.10 Wilhe1mvon Tyros, Hist. 11 und XIX 21 (Anm.1) 9-11 und 915-916.11 Dies ergibt sich aus der Benutzungder 'Perlenschnur' des Eurychios,vgl. unten S. 175.12 Wilhe1mvon Tyros, Hist. IV 24, IX 17-18, XVIII4, XIX 15 und 20-21 (Anm.1) 191-192,

389-392, 823, 906-907 und 914-917.13 Wilhe1mvon Tyros, Hist. 17 (Anm.1) 21-25. Eskann keineRede davon sein, daß innerhalb derForschung die Meinungen darüber auseinandergehen,wer in den 'Gesta' mit·den orientalischenHerrschern gemeintist, wieKar!JAHN,DieFrankengeschichtedesRasid ad-Din (DenkschriftenderOsterr. Akademieder Wiss.,philos.-histor.KI. 129 = Veröffentlichungender iranischenKommis-sion4), Wien 1977, 17Anm. 50 schreibt.Das Argument,daß es sichdabei eher um die christlichenFürsten der Kreuzfahrer-Staatenals um arabischeHerrscher handeln müsse,weilman dieseanders,nämlich etwa als ..heidnische- Fürsten bezeichnet habe, sticht nicht, denn die Geschichte derKreuzfahrer-StaatenerzähltWilhe1mvon Tyros in der 'Historia', überdies ergibt sich aus demZu-sammenhangder Erwähnung der 'Gesra' in der 'Historia' eindeutig, daß islamischeHerrscher ge-meint sein müssen. /'

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weil niemals ausgeschlossen werden kann, daß bei eventuellen Ähnlichkeiten der entspre-chende Verfasser allein die 'Historia' benutzt hat, ohne jemals ein Exemplar der 'Gesta' inden Händen gehalten zu haben. Notgedrungen kann es deshalb im folgenden nur darumgehen, verschiedene Möglichkeiten ins Auge zu fassen und gegeneinander abzuwägen. Diedadurch zu gewinnenden Aussagen bleiben hypothetisch.

Welche Quellen also könnte Wilhe1m von Tyrus für die 'Gesta' und damit indirekt auchfür die 'Historia' herangezogen haben? Beginnen wir mit der Prüfung der lateinischen!Schwinges behaupter'", ..daß Wilhe1m sein Wissen über Mohammed und den Islam aus ei-ner Quelle des orientalisch-byzantinischen Raumes bezogen haben" müsse, weil die latei-nisch schreibenden Autoren des Abendlandes zu Beginn der Kreuzzüge außer in Spanienund Süditalien-Sizilien kaum «auch nur den Namen Mohammeds gehört, geschweige dennKenntnis von seiner Lehre erhalten" hätten. Zumindest das von Schwinges selbst mehrfachangeführte Beispiel des päpstlichen Bibliothekars Anastasius, der mit der lateinischenübersetzung der Weltchronik des Byzanriners Theophanes auch dessen Angaben zu Mo-hammed und der islamischen Religion im Abendland bekannt gemacht hat sowie das beiSchwinges nicht erwähnte Beispiel des Embricho von Mainz und der von ihm verfaßtenMohammed-Biographie stehen einer solchen Behauptung entgegen", und bis zum Beweisdes Gegenteils ist nicht einzusehen, warum Wilhe1m von Tyrus nicht auch diese Werkeherangezogen haben könnte. Die in seiner 'Historia' fallenden Äußerungen über Moham-med ständen zu einer solchen Annahme jedenfalls nicht in Widerspruch, im Gegenteil: FürWilhe1m ist Mohammed ein seductor und subuersor, ja der primogenitus Sathanae, der dieTollheit besessen habe, sich als von Gott gesandter Prophet auszugeben"; Die islamischeReligion bezeichnet Wilhe1m als dogma pestijerum, dogma peruersum und doctrina pesti-lens'", Die von ihm vorgenommenen Wertungen entsprechen gänzlich den gängigenabendländischen. Abgesehen von der Unsicherheit über die möglichen Quellen speziell zurGeschichte Mohammeds und der von ihm gestifteten Religioa'", ist auf jeden Fall sicher,daß Wilhe1m von Tyrus bei der Darstellung des Verhältnisses Karls des Großen zu Härünar-Rasid, über das sich die orientalischen Quellen ausschweigen, in der 'Historia' - alsoauch in den 'Gesta' - auf eine lateinische Quelle zurückgegriffen hat, nämlich Einhards'Vita Karoli Magni'J", Für die eventuelle Benutzung noch weiterer lateinischer Werke inden 'Gesta' fehlen alle Anhaltspunkte.

Welche fremdsprachlichen nicht-lateinischen Quellen aber könnte Wilhe1m von Tyrusbenutzt haben? Da er vielleicht Griechischkennmisse besaß20, wäre es möglich, daß er

14SCHWINGFS(Anm.3) 109 und 97, vgl. auch 68.IS SCHWINGFS(Anm.3) 103-104, 106, 119, 120. Embrichovon Mainz, LaViedeMahomet, ed. Guy

CAMBIER(CollectionLatomus 52), Bruxelles 1962.16Wilhe1mvonTyrus, Hist., Prolog, 11 und 3, X 17,XIX 21, XX 29 (Anm.1)5, 9-10 und 15,424,

915,996.17Wilhe1mvon Tyrus, Hist. I 1, V 11 (Anm.1) 9 und 11,221.18 VgI. dazu auch unten S. 178 die Diskussionum die möglicheBenutzungder 'Collectio Toletana'

durch Wilhe1mvon Tyrus.19Wilhe1mvon Tyrus, Hist. I 3 (Anm.1) 13-15; Einhard, Vita Karoli Magni 16 und 27, ed. O.HOLDER-EGGER(MGHSSrer. Germ.), HannoverILeipzig61911,19 und 31-32.

20 Vgl,PRUTZ (Anm.6) 96. DerartigeKenntnissekönnteWilhe1mdurchaus erst nach seinenin Europabetriebenen zwanzigjährigen Studien in Akkon erworben haben, vgl. HIFSTAND(Anm.2)363-365. Auch der berühmte Burgundiovon Pisa scheint- und das ist für den Kenntnisstand im.

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auch griechische Werke herangezogen hat - so denkt Schwinges etwa an diejenigen desTheophanes (aber nicht auf dem Weg der lateinischen Übersetzung des Anastasius?) undJohannes von Damaskus". Konkrete Anhaltspunkte fehlen allerdings. So bleibt nur dieHoffnung, daß wenigstens auf die Frage, inwieweit sich Wilhelm von Tyrus auf arabischeQuellen zu stützen vermochte, eine befriedigendere Antwort gelingt. Sicherlich ist dieseFrage vom Thema der 'Gesta' und der allgemeinen Kulturgeschichte her von besonderemInteresse.

Im Prolog der 'Historia' gibt Wilhe1m von Tyrus an22, während der Abfassung der 'Ge-sta' arabische Bücher herangezogen zu haben. Heißt das, daß er die arabische Sprache ver-standen bzw. gut genug beherrscht hat, um über eventuelle Kenntnisse des Alltags-Arabi-schen hinaus" auch diese in Hocharabisch geschriebenen Quellen direkt, also ohne dieHilfe von Übersetzern bzw. Übersetzungen, benutzen zu können? Gestützt auf das Urteilvon Prutz, hat dies die bisherige Forschung angenommerr", Einzig Kraemer legte bei dieserFrage eine gewisse Reserve an den Tag25• Tatsächlich können die teilweise durch Wilhe1mvon Tyrus in korrekter lateinischer Übersetzung und weniger korrekter Umschrift gegebe-nen arabischen Wörter, Person en- und Ortsnamen schwerlich als Beweis gelten. Zweifelwerden zum Beispiel bei der «blurvollen- Wiedergabe des Namens Zengi wach, desHerrschers von Aleppo und Mosul, den Wilhe1m Sanguinus/Sanguineus nennt - gekonntesWortspiel, wie Schwinges meinr", oder eher mißlungene Eryrnologie'F)

Wenden wir uns einer Textpassage ZU28

, die in diesem Zusammenhang noch niemalsdiskutiert worden ist: Wilhe1m von Tyrus nennt in seiner ausführlichen Darstellung derEinnahmeJerusalems durch die Araber (637) als Erbauer des Felsendomes den zweiten Ka-lifen 'Umar (634-644) und glaubt sich bei dieser Angabe auf die Inschriften des Bauwerks

Abendland bezeichnend - seine Griechischkennmisse nicht in Westeuropa, sondern in Konstanti-nopel erworben zu haben, vgI. Peter Q.AsSEN, Burgundio von Pisa. Richter, Gesandter, Übersetzer(SBHeidelberg 1974,4) 13.

21 SrnWINGES(Anm.3) 109.22 Wilhe1m von Tyrus, Hist., Prolog (Anm. 1) 5.23 SrnWINGES(Anrn, 3) 41 verkennt die Schwierigkeiten des Arabischen völlig, wenn er schreibt: Wil-

helm «war •.• wahrscheinlich der arabischen Landessprache mächtig oder konnte sie zumindest le-sen». In diesem Zusammenhang ist an eine Äußerung Roger Bacons zu erinnern, daß «im Abend-lande viele Männer zu finden seien, die imstande sind, griechisch, arabisch und hebräisch zu spre-chen, jedoch nur sehr wenige, die sich einige Kennrnis in der Grammatik der genannten Sprachenangeeignet haben», vgl. Berthold ALTANER,Die Kenntnis des Griechischen in den Missionsordenwährend des 13. und 14. ]h.s, in: ZKG 53 (1934) 436-493, hier 440; ergänzend hier die Rezen-sion von R. LOENERlZ,in: Archivum Fratrum Praedicatorum 5 (1935) 387-391.

24 VgI. PRUlZ (Anm. 6) 97-98, der die Möglichkeit der Hilfe durch Übersetzer und Übersetzungennicht einmal erwägt. Ihm ist die Benutzung arabischer Quellen durch Wilhe1m von Tyrus schon Ar-gument genug. S. auch A. C. KREY,William of Tyre. The Making of an Historian in the MiddleAges, in: Speculum 16 (1941) 150; SrnWINGES(Anm. 3) 32, 41,156,175; HIESTAND(Anm. 2) 363;Hannes MÖHRING,Saladin und der Dritte Kreuzzug. Aiyubidische Strategie und Diplomatie im.Vergleich vornehmlich der arabischen mit den lateinischen Quellen (Frankfurter Historische Ab-handlungen 21), Wiesbaden 1980, 119.

25 Jörg KRAEMER,Der Sturz des Königreichs Jerusalem (583/1187) in der Darstellung des 'Imäd ad-Din al-Kätib al-Isfahäni (Wiesbaden 1952) 34 Anm. 16; vgl. auch MÖHRING(Anm.24) 119.

26 VgI. SrnWINGES(Anm. 3) 174.27 Nach heutigem, wohl nicht nach mittelalterlichem Verständnis.28 Wilhe1m von Tyrus, Hist. I 2 (Anm. 1) 13.

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selbst zu stützen - ein Umstand, der ihn offenbar sogar die richtige Angabe der von ihmbenutzten Annalen des Eurychios'" verwerfen läßt, der neunte Kalif 'Abdalmalik(685 -705) sei der Erbauer des Felsendoms geweserr". Tatsächlich aber ist in der Inschriftnicht 'Umar, sondern der aus dem Hause der Abbasiden stammende Kalif al-Ma'mün(813-833) angegeben, der den Namen des ihm verhaßten Umaiyadenkalifen 'Abdalmalikdurch seinen eigenen ersetzen ließ, freilich vergaß, auch das auf 'Abdalmalik weisendeBaudatum der eigenen Regierungszeit anzupassen, so daß die Inschrift heute wie zur ZeitWilhe1ms von Tyrus lautet: «Der Knecht Gottes, der Imäm al-Ma'mün, der Beherrscherder Gläubigen, hat im Jahre zweiundsiebzig (= 691/692 A.D.) diesen Kuppelbau errichtet... ,.31. Nicht nur der Name, sondern auch das hier genannte Datum spricht also gegen'Umar als Erbauer des Felsendoms. Zudem gibt Wilhe1m von Tyrus an, die Inschrift ent-halte das Datum sowohl des Baubeginns als auch der Fertigstellung - tatsächlich findetsich aber nur ein einziges. Im Gegensatz zur 'Historia' ist schließlich in der Inschrift über-haupt keine Rede von den für den Bau aufgebrachten Mitteln.

Da Wilhe1m von Tyrus den Felsendom mit eigenen Augen gesehen haben dürfte, folgtaus seinen abweichenden Angaben, daß er die große und deutliche Inschrift nicht hat ver-stehen bzw. lesen können und auf die Aussage von anderen (wohl schwerlich Muslimen)angewiesen war. Wie er selbst anmerkt, ist die Inschrift entsprechend ihrer Entstehungszeitin einem alten Stil, nämlich dem Kufischen, gehalten. Obwohl sie weder vokalisiert nochmit diakritischen Zeichen versehen ist, bietet sie doch längst nicht die Schwierigkeiten derverschlungenen arabischen Kalligraphie späterer Tage, die Wilhe1m sogar bei guten Ara-bischkenntnissen vor nicht lösbare Probleme rein des Lesens hätte stellen können. Sofernihm auch nur das Schriftbild des Namens 'Umar und die arabischen Zahlen in ausge-schriebener Form vertraut gewesen wären, hätte er nicht einem solchen Irrtum unterliegenkönnerr'".

29 Vg!. unten S. 175.30 Allerdings gibt Eutychios ein falsches Baudatum an, indem er das Jahr 65 islamischer Zeitrechnung

nennt. Oder meint er damit nicht die Fertigstellung, sondern den Baubeginn? Vg!. Eurychios, Anna-les, ed. L. OIEIKHo/B. CARRADEVAuxlH. ZAYYAT,11 (Corpus SS Christ. Orientalium, SSArabici,SeroIII 7), Beirut/Paris/Leipzig 1909,39. Die lat. Übersetzung von Edward POCOCKEaus dem Jahre1658 ist leicht zugänglich in MlCNEPG 111, hier 1117-1118. Die Angaben bei Hans EberhardMAYER,Bibliographie zur Geschichte der Kreuzzüge (Hannover 1960) 66 Nr, 1288 sind teilweisefalsch: Die arabische Edition ist von keiner Übersetzung begleitet, und die lat. Übersetzung findetsich nicht in PG 57.

31 Vg!. zur Inschrift Melchior DEVOGÜE,Le temple de Jerusalem (paris 1864) 85 mit der sehr ~chönenWiedergabe auf Tafel 21, sowie Christel KESSLER,'Abd al-Malik's Inscription in the Dome of meRock: A Reconsideration, in: Journal of me Royal Asiatic Society (1970) 2-14.

32 Jeder Arabist wird sich auch fragen, wann Wilhe1m von Tyrus überhaupt das Arabische erlernt undes über umgangssprachliche Kenntnisse hinaus zur erforderlichen Perfektion gebracht haben soll.Auch wenn er bereits als Kind einige Grundkennmisse und Geläufigkeit besessen hätte, dürfte erdas Erlernte während seines zwanzigjährigen (!) Aufenthalts in Frankreich und Italien (nicht etwaim islamisch beeinflußten Spanien oder Sizilien) mangels Anwendungsmöglichkeiten wieder ver-gessen haben. So bliebe nur die Möglichkeit, daß Wilhelm nach seiner Rückkehr um 1165 im Altervon immerhin schon etwa 35 Jahren (nochmals?) mit Arabisch-Studien begonnen hätte, wie diesauch hinsichtlich eventueller Griechisch-Kennmisse nicht auszuschließen ist (vg!. Anm. 20). Selbstwenn dies zuträfe, könnte er zu der Zeit, als ihn Amalrich I. mit der Abfassung der 'Gesta' betraute,darin kaum sehr weit gekommen sein. Zu den hier gegebenen Daten vg!. HIESTAND(Anm.2)347-348 und 352 Anm. 31.

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Angesichts dieser Beobachtung darf nicht länger ohne weitere Begründung davon ausge-gangen werden, daß Wilhe1m von Tyrus über mögliche Kenntnisse der Alltagssprache hin-aus auch die allein zum Studium arabischer Werke befähigende hocharabische Schriftspra-che beherrscht hat. Für einen Mann aber, der auf die Hilfe von übersetzern und Überset-zungen angewiesen ist, dürfte die Auswahl aus dem arabischen Schrifttum kleiner sein alsfür einen, der selbst sich die Originale vorzunehmen in der Lage ist. Es kommt hinzu, daßWilhelm von Tyrus vor der Abfassung der 'Gesta' nicht näher mit der islamischen Ge-schichte vertraut gewesen zu sein scheint. Wie anders erklärte es sich sonst, daß ihm KönigAmalrich I. die dazu nötigen arabischen Bücher beschaffen mußte33, bevor er die gestellteAufgabe in Angriff nehmen konnte? Offenbar waren es also weniger Spezialkenntnisse derarabischen Sprache und islamischen Geschichte als vielmehr allgemeine Fähigkeiten, dieAmalrich veranlaßten, Wilhelm von Tyrus zum Verfasser einer Geschichte der orientali-sehen Herrscher zu wählen.

Nach diesen Vorbemerkungen nun zu der Frage direkt, welche arabischen Quellen Wil-helm von Tyrus im einzelnen benutzt hat bzw. benutzt haben könnte. Er selbst gibt nureine einzige arr", nämlich seine Hauptquelle: das 'Perlenschnur' genannte Annalenwerk"des Arztes Eutychios, des späteren melkitischen Patriarchen von Alexandria+", Es ist biszum Jahre 938 geführt und behandelt die Geschichte der Menschheit nach dem Alten Te-stament sowie die Profan- und Kirchengeschichte seit Christus. Die Entwicklung des Islamist unter Benutzung islamischer Quellen zur Darstellung gebracht'? und macht etwa einViertel des gesamten Werkes aus, wobei sich Eutychios über Mohammed und die islami-sche Religion so gut wie gänzlich ausschweigt. Er erwähnt lediglich die Higra Mohammedsvon Mekka nach Medina im Jahre 622 und seinen Tod zehn Jahre später",

Welche arabischen Quellen über Eutychios hinaus Wilhe1m von Tyrus herangezogenhaben könnte, darüber scheint bisher noch niemand konkret nachgedacht zu haben.

In seiner 'Historia' macht Wilhelm von Tyrus unter Hinweis auf die zu diesem Themaausführlicheren 'Gesta' vor allem zur Entstehung des fatimidischen Kalifats in Ägypten,das in Konkurrenz zu dem abbasidischen in Bagdad trat, erstaunlich genaue Angaberr'",die er nicht den Annalen des Eutychios entnommen haben kann, weil dieser den Fatimidenkeinerlei Beachtung geschenkt hat''", Damit ist uns eine der wichtigsten Textpassagen der

33 Vgl. Wilhe1m von Tyrus, Hist., Prolog und XIX 21 (Anm, 1) 5 und 917. Dabei muß offen bleiben,ob Wilhelm in der Lage war, die benötigten Titel anzugeben.

34 Wilhe1m von Tyrus, Hist., Prolog (Anm. 1) 5. Für die 'Historia' lassen sich freilich nur vage An-klänge an das Werk des Eurychios entdecken, vg!. PRUTZ (Anm, 6) 109.

35 Vg!. Georg GRAf, Geschichte der christi. arabischen Literatur, 11 (Studi e Testi 133), Cittä del Vati-cano 1947, 32-34.

36 Eutychios lebte von 877 bis 940 und war von 933 an Patriarch. Sein arabischer Name ist Sa'id ibnBitriq.

37 Vg!. Michael BREYDY, La conquete arabe de l'Egypte, Un fragment du traditionniste Uthman ibnSalih (144-219 A. H. = 761-834 A. D.) idenrifie dans les Armales d'Eutychios d'Alexandrie(877-940 A. D.), in: Parole d'Orient 8 (1977/78) 379-396.

38 Eutychios (Anm, 30) 11 1 und 7 (lat, Obers.: M1GNE PG 111, 1086 und 1091).39 WilheIm von Tyrus, Hist. XIX 15 und 21 (Anm. 1) 906-907 und 916-917.40 SCHWINGES(Anm. 3) 110 schreibt, Wilhelms Kennmisse der Geschichte des fatimidischen Kalifats

hätten «gewiß nicht allein auf der Vermittlung des Eutychius- beruht. Offenbar ist SCHWINGESwe-der mit dem Text des Eutychios - obwohl ihm bekannt ist (41), daß die 'Perlenschnur' nur bis in

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'Historia' zur islamischen Geschichte gegeben, die Vergleiche mit anderen Quellen ermög-licht und Rückschlüsse auf die verlorenen 'Gesta' zuläßt.

In diesem Zusammenhang ist der Blick auf die 'Buch des Anhangs' genannte Chronikdes Christen Yabyä ibn Sa'id von Anriochien (geb. um 980 in Ägypten) zu richten, der alsVerwandter des Eutychios dessen Annalen zeitlich unmittelbar anschließend fortgesetzthat. Yahyiis Chronik reichte wahrscheinlich bis in sein Todesjahr 1066, ist jedoch vomJahre 1028 an unvollständig überliefert und bricht 1034 beim Tode des Kaisers RomanosIII. ab. Sie zeichnet sich unter anderem durch Angaben zur Geschichte der Farimiden aus,die teilweise auf denjenigen des ägyprisch-muslimischen Chronisten al-Musabbihi (gest.1029) zu gründen scheinen'", Dabei ergeben sich einige interessante Parallelen zu Wil-helms 'Historia':

1. Der Gründer des fatimidischen Kalifats, 'Ubaidalläh, hatte nach Yai)yäs Bericht folgende Ah-nenreihe: Muhamrnad ibn Isrna'il ibn Cä'far ibn Muhamrnad ibn 'All ibn al-Husain ibn 'Ali ibn AbiTälib42• Wilhe1m von Tyrus schreibtAbdalla statt 'Ubaidalläh - d. h. er gibt eine sehr ähnliche, in un-vokalisierter arabischer Schrift nur durch den Buchstaben yä (= i) unterschiedene Namensform - undweicht auch in der Filiation nur wenig ab. Vielleicht durch das Verschulden eines späteren Kopisten istIsma'Il ausgelassen, und Mohammeds Vetter und Schwiegersohn 'Ali ibn Abi Tälib wird in korrekterAbkürzung HaU major genannt43•2. Als Ausgangspunkt von 'Ubaidallähs Lebenslauf gibt Wilhe1m wie Ya~yä die syrische Stadt Sa-

lamiya an44•3. Wie Yai.Jyäberichtet auch Wilhelm ganz zutreffend'", 'Ubaidalläh habe sich al-Mahdi genannt,

sich also als der für das Ende der Zeiten erwartete Mahdi ausgegeben und dementsprechend die vonihm im heutigen Tunesien gegründete Hauptstadt al-Mahdiya genannt.4. In unmittelbarem Anschluß daran schildern Ya1;tyäund Wilhelm die Eroberung Siziliens durch

fatimidische Streitkräfte'".5. Wilhelm von Tyrus schreibt, 'Ubaidalläh habe eine neue Art, das Gebet zu verrichten, einge-

führt. Möglicherweise meint er damit den Gebetsruf «Auf zur besten Tat! .., den Yai.Jyäerwähnr", Diein diesem Zusammenhang außerdem noch von Wilhe1m berichtete Herabsetzung Mohammeds zu-gunsten 'Alis durch 'Ubaidalläh findet bei Ya1;tyäfreilich keine Entsprechung.

6. Die Eroberung Ägyptens im Jahre 358 A.H.l969 A.D. durch {;auhar, den Oberbefehlshaber derStreitkräfte des vierten fatimidischen Kalifen al-Mu'izz li-Din AlIäh ist dagegen wieder ausführlich beiYai)yä und dementsprechend bei Wilhelm erzählt48•

das Jahr 938 reicht - noch mit den Daten der fatimidischen Geschichte sonderlich vertraut; der 940gestorbene Eutychios hat über die Fatimiden nichts geschrieben, vermutlich weil diese seine HeimatÄgypten erst 969 eroberten.

41 Vg!. Wolfgang FELIX, Byzanz und die islamische Welt im früheren 11. ]h. Geschichte der politi-schen Beziehungen von 1001 bis 1055 (Byzantina Vindobonensia 14), Wien 1981, 28-30 mit wei-terer Literatur. Bei MAYER (Anm. 30) hat Yai.Jyäs Chronik keine Aufnahme gefunden. Sie ist zu-nächst zusammen mit den Annalen des Eutychios (Anm. 30) ediert worden: Yai.Jyävon Antiochien,Annales, ed. L. OIEIKHOIB. CARRA DE VAuxlH. ZAYYAT,11 (Corpus SS Christ. Orientalium, SSArabici, SeroIII 7), BeirutlParislLeipzig 1909,89-273,298-363. Für die Zeit bis 1013 ist aber dievon einer französischen Übersetzung begleitete Edition zu benutzen: Ya~yä von Antiochien, Hi-stoire, ed. I. KRATOiKOVSKy/A.VASIUEV,in: Patrologia Orientalis 18 (1924) 699-833 und 23(1932) 345-520.

42 Patrologia Orientalis 18 (1924) 748.43 Wilhelm von Tyrus, Hist, XIX 21 (Anm. 1) 916.44 Wilhe1m von Tyrus, Hist. XIX 21 (Anm. 1) 916; Patrologia Orientalis 18 (1924) 748.45 Wilhe1m von Tyrus, Hist., XIX 21 (Anm. 1) 916; Patrologia Orientalis 18 (1924) 762.46 Wilhelm von Tyrus, Hist. XIX 21 (Anm. 1) 916; Patrologia Orientalis 18 (1924) 762.47 Wilhe1m von Tyrus, Hist. XIX 21 (Anm. 1) 916; Patrologia Orientalis 18 (1924) 754-755.48 Wilhe1m von Tyrus, Hist. XIX 15 und 21 (Anm. 1) 906-907 und 916-917; Patrologia Orientalis

18 (1924) 818-821.

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Zu der Geschichte der orientalischen Herrscher des Wilhe1m von Tyrus 177

7. Schließlich berichtet Yabyä ausgiebig über die gegen die Christen gerichteten Maßnahmen desberühmt-berüchtigten Fatimiden-Kalifen al-Hakim und die Zerstörung der Grabeskirche in Jerusa-lem. Er erwähnt unter anderem auch den deswegen an den Gouverneur von Ramla, Yärüh, ergange-nen Befehl al-Häkims. Diese Einzelheit findet sich ebenfalls bei Wilhelm49• Auch sein allgemein nega-tives Urteil über al-Häkim mag auf Yahyas Darstellung gründen.

Möglicherweise ließen sich die gezeigten Textparallelen auch durch die Benutzung fati-midischer Quellen wie etwa al-Musabbihis erklären. Ohne diese Möglichkeit ausschließenzu wollen - warum sollte Wilhe1m zu nur einem Themenkreis nicht mehrere Quellen her-angezogen haben? -, berechtigt doch die Ähnlichkeit der 'Gesta' mit dem 'Anhang' desYahya von Antiochien zu der Annahme, daß der Autor der 'Gesta' die Chronik des Yabyäverwendet hat, weil dieser sein Werk als Fortsetzung zu der von Wilhe1m unzweifelhaftbenutzten 'Perlenschnur' des Eutychios schrieb und Wilhelm sie deswegen nicht als eigen-ständiges und eigens zu erwähnendes Werk betrachtet haben mag. Es ist also der zwischenEutychios und Ya1nä bestehende innere Zusammenhang, der mich in der Chronik desYabyä eine von Wilhe1m benutzte Quelle sehen läßt - selbst im Falle der Verwendung auchmuslimischer Quellen zu demselben Themenkreis. Dies würde bedeuten, daß WilheIm vonTyrus in den 'Gesta' - vom Ende der 'Perlenschnur' des Eutychios an gerechnet - einenZeitraum von weiteren rund 100 Jahren mit einer wertvollen Quelle überbrückt und damitfast schon den Anschluß an die Zeit des Ersten Kreuzzugs gewonnen hätte.

Eine Äußerung Wilhe1ms von Tyrus über den Parimiden-Kalifen al-Häkim läßt uns fürdie 'Gesta' noch eine weitere arabisch-christliche Quelle in Betracht ziehen. Wilhelmschreibt", al-Häkim habe die Grabeskirche zerstören lassen, um dem angeblichen Vor-wurf seiner muslimischen Untertanen zu begegnen, er sei in Wahrheit ein Christ, weil ereine christliche Mutter habe, deren Bruder Orestus an der Spitze der Kirche stehe. Abgese-hen von dem al-Häkim unterstellten Motiv für die Zerstörung der Grabeskirche findensich ähnliche Angaben in der 'Geschichte der Patriarchen der ägyptischen Kirche' des kop-tischen Bischofs Säwirus (= Severus) ibn al-Muqaffa' und seiner zahlreichen Portsetzer":es heißt dort, al-Häkims Mutter sei eine Griechin gewesen, die ihren Bruder Arsäni zummelkitischen Patriarchen gemacht habe. Auch könnte die allgemein negative Charakteri-sierung al-Häkirns, die Wilhe1m von Tyrus gibt, ebensogut der 'Patriarchengeschichte' desSäwirus wie dem 'Anhang' des Yabyä entstammen. Natiirlich ist dies kein Beweis dafür,daß Wilhe1m die 'Patriarchengeschichte' tatsächlich herangezogen hat. Erwähnung ver-dient die gezeigte Parallele vielmehr vor allem deshalb, weil sie - soweit von der 'Historia'auf den Inhalt der 'Gesta' geschlossen werden kann - vollends deutlich werden läßt, daßWilhe1m hinsichtlich seiner schriftlichen Quellen so gut wie alle Informationen lateini-schen, griechischen oder arabisch-christlichen Werken entnommen haben könnte, ohne eineinziges islamisches zu benutzen. Dem widerspricht es nicht, daß er in den 'Gesta' nach der

49 Wilhe1m von Tyrus, Hist. I 4 (Anrn. 1) 16; Patrologia Orientalis 23 (1932) 491-492.so Wilhe1m von Tyrus, Hist. 14 (Anm. 1) 16." Säwirus ibn al-Muqaffa', History of the Patriarchs of the Egyptian Church, Known as the History

of the Holy Church, 11 2, ed. Aziz Suryal AllYA/Yassa ABoAL-MASII;I/O.H.E.BURMESTER(Le Caire1948) 113 und 170-171 (engl. Ubers.), Wenn Arsäni bei Wilhe1m von Tyrus Orestus genanntwird, so könnte der Grund dafür in einer leicht abweichenden Vokalisierung nebst Verdopplungdes Punktes auf dem letzten Konsonanten, die das Nün zum Tä' macht, liegen; wir hätten dannUrisäti (= Orestus?). -Säwirus lebte in der 2. Hälfte des 10. jh.s, vgl. GRAF(Anm. 35) 11300-306.

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178 Hannes Möhring

islamischen Zeitrechnung datiert zu haben schein~2, denn auch die Christen Eutychiosund Yabyä haben sich nach ihr gerichtet.

Natürlich ist mit dieser bloßen Möglichkeit nicht schon die Benutzung islamischer Quel-len durch Wilhe1m von Tyrus ausgeschlossen, und zweifellos kann er für einen einzigenThemenkreis sowohl christliche als auch islamische Werke herangezogen haben. Gilt dies,wie gesehen, für die Geschichte der Fatimiden, so nicht weniger auch für die Darstellungvon Mohammeds Leben und der Grundzüge des islamischen Glaubens, über die Wilhe1mnach Auskunft der 'Historia' in den 'Gesta' ausführlich gehandelt ha~3. Die von religiöserUnduldsamkeit zeugenden Epitheta, mit denen Wilhe1m von Tyrus Mohammed belegt";sagen möglicherweise nur etwas über die Tendenz aus, mit der er seine Quellen benutzthat, nicht aber über deren Tendenz selbst; damit ist also keineswegs von vornherein dieBenutzung islamischer Quellen ausgeschlossen. Auch kann Wilhe1m von Tyrus weder beiEurychios'" noch bei YaQyä von Antiochien längere Ausführungen zur Geschichte Mo-hammeds und zu seiner Lehre gefunden haben. Möglich wäre es aber, daß Wilhe1m hierzuauf islamische Werke zurückgegriffen hat, die dank der Initiative des Petrus Venerabilisseit Anfang der vierziger Jahr~ des 12. Jahrhunderts sogar in lateinischer Übersetzung vor-lagen: ich meine drei Werke, die zu der 'Collectio Toletana' gehören und unter ihren latei-nischen Titeln als 'Doctrina Mahumet', 'Liber generationis Mahumet et nutritia eius' und'Fabulae Saracenorum' bekannt sind. Im ersten Fall handelt es sich offenbar um die über-setzung der 'Masä'il' des 'Abdalläh ibn Saläm; die Schrift gehört in die Kategorie jüdisch-islamischer Kontroversen und zielt darauf ab, Mohammed als den wahren Propheten undden Islam als die wahre Religion zu erweisen'". Im zweiten Fall dürfte das arabisch-islami-sche Original in dem 'Kitäb Nasab rasül Alläh' zu sehen sein, das eine Anzahl jüdisch-is-lamischer Schöpfungslegenden, Patriarchen- und Prophetengeschichten sowie die Genea-logie Mohammeds enthälr", Im dritten Fall ist die Identifizierung des arabischen Originalsangesichts einer überfülle von Exemplaren dieser Literaturgattung kaum möglich; nebenlegendarisch verfärbten jüdisch-islamischen Traditionen nehmen die Geschichte Moham-meds sowie biographische Skizzen der ersten sieben Kalifen einen breiten Raum ein58•

Auch auf dem Gebiet der Länderkunde könnte Wilhe1m von Tyrus auf die reiche ara-bisch-islamische Literatur zurückgegriffen haben: Man vergleiche etwa, was er in seiner

52 Vgl. Wilhe1mvon Tyrus, Hist., Prolog, XIX 15 und 21 (Anm.1) 5, 906-907 und 917; PRU1Z(Anm.6) 108; SCHWINGES(Anm.3) 41 Anm.20; HIESTAND(Anm.2) 371 Anm. 116. An dieserStelleist darauf hinzuweisen,daß Wilhe1mvon Tyrus vielfachgar nicht in der Lagegewesenseindürfte, eineUmrechnungnach christlicherJahres- und Monatszählung vorzunehmen.

S3 Wilhelmvon Tyrus, Hist. I 1 und 3, XIX 21 (Anm.1) 10-11 und 15, 915-916.S4 Vg!. oben S. 172.ss Vgl. oben S. 175.56 Text in: MachumetisSaracenorumprincipis eiusquesuccessorumvitae, doctrina, ac ipseAlcoran,

ed. Theodor BIBLlANDER(0. O. 1550) 189-200. VgI. dazu James KRrrzECK,Peter the Venerableand Islam (Princeton Oriental Studies 23), Princeton 1964, 89-97; Ludwig HAGEMANN,DerKur'an in Verständnis und Kritik bei Nikolaus von Kues. Ein Beitrag zur Erhellung islamisch-christlicherGeschichte (Frankfurter Theo!. Studien 21), Frankfurt am Main 1976,46-50.

57 Text in: BIBLlANDER(Anm.56) 201-212. VgI. dazu KRrrzECK(Anm.56) 84-88; HAGEMANN(Anm.56) 40-42.

58 Text in: BIBLlANDER(Anm.56) 213-223 unter demUntertitel: lndpit chronica mendosa et ridicv-losa Saracenorum, Vgl. dazu KRITZECK(Anm.56) 75-83; HAGEMANN(Anm.56) 42-46.

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Zu der Geschichteder orientalischenHerrscher des Wilhe1mvon Tyrus 179

'Historia' und al-Idrisi in seinem für Roger 11. von Sizilien geschriebenen geographischenWerk59 über den alttestamentlichen Joseph von Ägypten berichten, der der ägyptisch-isla-mischen Tradition entsprechend die bedeutende ägyptische Oase al-Faiyiirn mit ihrenWunderwerken der Bewässerungstechnik angelegt haben soll'", Der Gedanke ist verlok-kend, daß gerade das Werk al-Idrisis zu jenen Büchern gehört haben könnte, die AmalrichI. für seinen Autor hat beschaffen lassen - etwa durch eine Initiative am Königshof von Pa-lermo. Aber die sonstigen Ägypten betreffenden Angaben Wilhe1ms von Tyrus sind mit Si-cherheit nicht dem Werk al-Idrisis entnommen. Fragen wir nun nach anderen Quellen, sobrauchen sie nicht einmal der schriftlichen, sondern können ebensogut der mündlichenÜberlieferung entstammen; daran darf man wegen der unter den Muslimen äußerst popu-lären Patriarchen- und Prophetenlegenden gerade im Falle des Joseph von Ägypten den-ken?'. Mündliche Überlieferungen sind übrigens auch für die vielleicht auf orientalischeMärchen zurückgehenden Bemerkungen Wilhe1ms über den abbasidischen Kalifen Härünar-Rasid zu erwägen; bei Einhard und Eutychios jedenfalls sucht man vergleichbare posi-tive Äußerungen vergeblich62•

Abschließend ist darauf hinzuweisen, daß die Beschaffung zuverlässiger Quellen überdie Verhältnisse bei den muslimischen Gegnern für Wilhe1ms eigene Zeit keineswegs leich-ter gewesen zu sein braucht als diejenige von Büchern, die längst vergangene Zeiten be-handelten. Als Kanzler des Königreichs Jerusalem mochte Wilhe1m von Tyrus über die denKreuzfahrerstaaten benachbarten Mächte wie Ägypten, Aleppo und Damaskus noch hin-reichend informiert gewesen sein, aber wohl kaum über die Vorgänge am entfernteren Sitzdes abbasidischen Kalifen in Bagdad. Will man nicht an die rein zeitlich immerhin mögli-che Benutzung der Werke älterer Zeitgenossen wie des Damaszeners Ibn al-Qalänisi oderdes Aleppiners al-'A~imi glauben, dann dürfte neben der Einsichtnahme in offizielle Do-kumente der mündlichen Überlieferung besondere Bedeutung zugekommen sein. So hatWilhe1m einen wohl nur mündlich gegebenen Bericht Hugos von Caesarea über die Zu-stände am Fatimiden-Hof zu Kairo eingearbeitet'", von denen sich Hugo anläßlich der1167 zwischen Amalrich I.und dem Kalifen al-'Äqid geführten Verhandlungen ein unge-fähres Bild hatte machen können. Weitere Informationen mochten Wilhe1m von Tyrus ausden Erzählungen von Männern wie des ihm persönlich verbundenen Raimund Ill. von Tri-polis'" zufließen, die lange Zeit in muslimischer Gefangenschaft gewesen waren'". DieNachricht freilich, Saladin habe den letzten Fatimiden-Kalifen al-'Aqid 1171 eigenhändig

59 Vgl. G. OMAN,al-Idrisi, in: The Encyclopaediaof Islam. New Edition, III (1971) 1032-1035.60 Wilhe1mvon Tyrus, Hist. XIX 24 (Anm, 1) 923-924; al-Idrisi, Description de l'Afrique et de

I'Espagne,ed. R. Dozy/M. J. DEGoEjE(Leiden1866) 146-148 und 175-177 (franz.Obers.);zuJoseph als Schöpferdes Faiyümvgl. auch Hans PruEBATSCH,DieJosephsgeschichtein derWeltlite-ratur. Eine legendengeschichtlicheStudie (Breslau1937) 161 und 163. BeiEurychios (Anm.30) I26-28 (lat, Obers.:M1GNEPG 111,927-928) findet sich nichts dergleichen.

61 Vgl. dazu allgemeinTilman NAGEL,Die qisas al-anbiyä'. Ein Beitrag zur arabischen Literarurge-schichte,Diss.Bonn 1967;Jan PAWNY,Zur Rolleder qu~Sä~beider Entstehungund Oberlieferungder populären Prophetenlegenden,in: Asian and African Studies 10 (1974) 125-141.

62 Vgl. oben Anm. 19; Eurychios (Anm.30) II 51-53 (lar. Obers.: M1GNEPG 111, 1127-1128);SCHWlNGFS(Anm.3) 156.

63 VgI.Wilhe1mvon Tyrus, Hist. XIX 17-19 und 29 (Anm. 1) 908-913 und 934-936, bes, 910,913,936; SCHWINGFS(Anm.3) 170 und 182.

64 Vgl. HIFSTAND(Anm, 2) 354-358.65 VgI.SCHWINGFS(Anm.3) 133, 170-171.

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180 Hannes Möhring

mit einer Keule erschlagen'", scheint ohne konkreten Gewährsmann (dicitur) einem allge-mein verbreiteten Gerücht zu entstammen, das den Zeitgenossen nicht unplausibel er-scheinen mußte. Ähnliches lesen wir auch in der 'Patriarchengeschichte' des Säwirus undseiner Fortsetzer: Einer der Brüder Saladins soll in seinem Auftrag al-'Ägid mit dessen ei-genem Turbantuch erdrosselt haben"? - ein Bild von vergleichbarer Brutalität.

Zu der Frage, welche späteren lateinischen Geschichtsschreiber auf die 'Gesta' des Wil-helm von Tyrus zurückgegriffen haben, herrscht in der Forschung die Meinung, Prutz habedies für Jakob von Vitry und Wilhelm von Tripolis «nachgewiesens ". Von einer zwingen-den Argumentation aber kann schon von der Quellenlage her nicht die Rede sein, die einenTextvergleich Wort für Wort unmöglich macht'".

Zunächst zu Jakob von Vitry: Er gibt an 10, ex antiquis orientalium historiis geschöpft zuhaben. In der bei Bongars gedruckten Vorrede sprichtjakob außerdem von regum orienta-lium historiae, die ihn auf den Gedanken der Abfassung einer eigenen 'Historia orientalis'gebracht härten?'. Dem Zusammenhang nach ist damit aber nicht etwa ein einzelnes Werkwie die 'Gesta orientalium principum' gemeint12•

Prutz hat zeigen könnerr", daß zwischen der 'Historia orientalis' des Jakob von Vitryund der 'Historia' des Wilhelm von Tyrus Textparallelen bestehen. Er hat daraus abernicht etwa auf die nicht zu leugnende Benurzung'" von Wilhelms Werk durch Jakob ge-schlossen, sondern behauptet, Jakobs Darstellung beruhe an einigen Stellen ebenso aufWilhelms 'Gesta' wie dessen eigene 'Historia', Prutz hat dies aus der "Art der Überein-srimmung» und den "in anderen Punkten vorhandenen Abweichungen- herauslesen wol-len, obwohl ihm so wenig wie anderen der Vergleichstext der 'Gesta' zur Verfügung stand- ein methodisch sicherlich fragwürdiges Unterfangen. Außerdem hat Prutz als Argumentfür seine These den Umstand zu nehmen versucht, "dass Jakob seine kurze Darstellung vonMohammeds Leben und Lehre gerade da einfügt, wo Wilhe1m sich mit einem kurzen Hin-weis auf seine frühere Arbeit darüber begnügt- ". Tatsächlich aber ist mit dieser Beobach-tung nicht gesagt, daß Jakob hier auf keine andere Quelle als die 'Gesta' zurückgegriffenhaben kann.

Ebensowenig zwingend im Sinne der von ihm aufgestellten These ist es, wenn Prutz be-obachtet"', Jakob nenne den vierten Kalifen 'All, der sowohl Vetter als auch Schwieger-

66 Wilhe1m von Tyrus, Hist. XX 11 (Anm. 1) 958.6' Säwirus ibn al-Muqaffa', History (Anm. 51) III 2, ed. Antoine KHATER/O.H.E. BURMFSTER(Le

Caire 1970) 66-67 und 111-112 (engI. Übers.),68 Vgl. PRUTZ(Anm. 6) 109 und seinen Schüler Gustav ZACHER,Die Historia Orientalis des Jaeob von

Vitry. Ein quellenkritischer Beitrag zur Geschichte der Kreuzzüge (Diss. Königsberg 1885) 18, auchSCHWlNGES(Anm, 3) 42; vorsichtiger formuliert Philipp FUNK,Jakob von Vitry. Leben und Werke(Beiträge zur Kulturgeschichte des MA.s und der Renaissance 3), LeipziglBerlin 1909, 134-135.

69 Zur allgemeinen methodischen Problematik vgl. oben S. 171-172.70 Jakob von Vitry, Historia Orientalis I 11, in: J. BONGARS,Gesta dei per Franeos, I (Hanau 1611)

1061.71 Jakob von Vitry (Anm.70) 1047.71 Das glauben freilich PRUTZ(Anm. 6) 111, ZACHER(Anm. 68) 7 und FUNK(Anm. 68) 134.73 VgI. PRUTZ(Anm. 6) 110-111.74 VgI. ZACHER(Anm. 68) 15-23 und 33.75 PRUTZ(Anm, 6) 111; vgl. auch ZACHER(Anm. 68) 18 und FUNK(Anm. 68) 134.76 PRUTZ(Anm.6) 111; vgl. ZACHER(Anm. 68) 19.

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Zu der Geschichte der orientalischen Herrscher des Wilhe1m von Tyrus 181

sohn Mohammeds war, in Kapitel7 socer Machometi, Achali nomine (wobei dann alsosocer und gener verwechselt wären), in Kapitel8 aber patruelis Machometi, nomine Haly;aus dem Zusammenhang ergebe sich, daß Jakob offenbar der Ansicht gewesen sei, es han-dele sich bei den Genannten um zwei verschiedene Männer namens 'Ali. Wieso aus dieserrichtigen Beobachtung nach Prutz jedoch folgen soll, daß Jakob in Kapitel 7 wiederum ein-zig aus den 'Gesta' geschöpft haben kann, während er sich in Kapitel8 auf die 'Historia'gestützt haben mag?", bleibt unklar. Nach Lage der Dinge kommt man also nicht an derFeststellung vorbei, daß Jakob von Vitry sehr wohl die 'Gesta' Wilhe1ms von Tyrus be-nutzt haben könnte, es aber nicht tatsächlich getan haben muß.

I

Dies gilt auch für Wilhelm von Tripolis und seinen 'Tractatus de statu Saracenorum':Der Autor nennt keine Quelle für seinen Bericht über Mohammed und die Ausbreitung desIslam; Prutz freilich möchte aus der Gliederung der Geschichte Mohammeds im 'Tracta-tus' und dem in diesem Punkt den Angaben der 'Historia' zufolge ähnlichen Aufbau der'Gesta' auf eine direkte Abhängigkeit schließen'", Beweiskräftig ist diese Gegenüberstel-lung jedoch nicht, weil selbst Darstellungen verschiedener Herkunft bei einiger QualitätGleiches berichten und bei chronologischem Aufbau auch einander ähnliche Gliederungenaufweisen können.

Prutz mag um die Schwäche seiner Argumentation gewußt haben, denn als ausschlagge-bend für sein Urteil bezeichnet er eine textliche Parallele zwischen dem 'Tracratus'?" undder - durch Wilhelm von Tyrus in den 'Gesta' ja benutzten - 'Perlenschnur' des Euty-chios'" über das Verhalten des Kalifen 'Umar nach der Eroberung Jerusalems und die Vor-gänge, die zum Bau des Felsendoms geführt haben sollen. Dem ist aber entgegenzuhalten,daß die bloße Ähnlichkeit zweier Quellen vom Text her noch keinen Beweis für eine di-rekte Abhängigkeit der einen der beiden ('Tractatus') von einer dritten ('Gesta') bildet, dievon der anderen der beiden ('Perlenschnur') abhängt, zumal nicht einmal die Abhängigkeitder beiden voneinander ausgeschlossen werden kann: Wilhe1m von Tripolis könnte die'Perlenschnur' nämlich durchaus direkt gelesen haben, weil er der arabischen Sprachemächtig gewesen zu sein scheint'", und muß sie nicht, wie Prutz und Voerzio möchten'",aus Gründen der Bequemlichkeit mittels der 'Gesta' benutzt haben. Außerdem übersiehtPrutz, daß wir gar nicht wissen, auf welche Weise Wilhe1m von Tyrus das Annalenwerkdes Eutychios im einzelnen herangezogen hat, d. h. was er etwa übernommen oder was erausgelassen hat.

Die von Prutz vorgeführte Argumentation hat Voerzio noch auszubauen versucht'", in-

77 Vgl, Wilhelm von Tyrus, Hist. XIX 21 (Anm. 1) 915. Es kann keine Rede davon sein, daß Jakobvon Vitry sein 8. Kapitel mit den Wonen der 'Historia' beginnt, wie ZACHER(Anm. 68) 19 schreibt;die Gemeinsamkeit besteht lediglich in dem Won patruelis! .

78 PRlITZ(Anm.6) 111-114.79 Wilhe1m von Tripolis, Tractatus de statu Saracenorum et Mahomete pseudopropheta et eorum lege

et fide, ed. Hans PRlITZ,in: (ders.), Kulturgeschichte der Kreuzzüge (Berlin 1883) 575-598, hier580. I

80 Eutychios (Anm.30) 11 17-19 (lat, Obers.: MIGNEPG 111, 1099-1101).81 Vgl. Benhold ALTANER,Zur Kenntnis des Arabischen im 13. und 14. Jh., in: Orientalia Christiana

Periodica 2 (1936) 437-452, hier 443.82 PRlITZ(Anm. 6) 114; Marco VOERZIO,Fra Guglielmo da Tripoli, Orientalista Domenicano del sec.

XIII, in: Memorie Domenicane 71 (1954) 73-113,141-170 und 209-250, hier 230; 72 (1955)127-148.

83 VOERZIO(Anm. 82) 228-230.

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182 Hannes Möhring

dem er weitere, nichts beweisende Parallelen zwischen der 'Perlenschnur' des Eutychiosund dem 'Tractatus' des Wilhe1m von Tripolis aufgezeigt hat. Auch glaubt Voerzio anhandvon zwei Abweichungen zwischen den beiden Autoren besser als Prutz zeigen zu können,daß Wilhe1m die 'Perlenschnur' nicht direkt, sondern nur über die 'Gesta' Wilhe1ms vonTyrus benutzt haben kann. Dafür aber fehlt jeglicher Beweis: Woher weiß Voerzio, daß die'Gesta' in den beiden von ihm angeführten Fällen die Angaben des Eutychios nicht enthal-ten haben? Einmal mehr kann mangels der Möglichkeit eines Textvergleichs nicht ausge-schlossen werden, daß Wilhelm von Tripolis die 'Perlenschnur' direkt benutzt und dabeieine andere Auswahl getroffen hat als Wilhe1m von Tyrus.

Auch der Verfasser einer zeitgenössischen englischen Chronik des Dritten Kreuzzugs'"könnte neben der 'Historia' Wilhe1ms von Tyrus zugleich dessen 'Gesta' benutzt haben'",Er scheint gut über die Geschichte Ägyptens unterrichtet und weiß sowohlzu ihr als auchzur Biographie Saladins Einzelheiten zu berichten, die in der 'Historia' nur teilweise eineParallele haben'"; freilich können sie auch eigener Anschauung und Unterrichtung ent-sprungen sein, da der Verfasser wahrscheinlich Augenzeuge des Dritten Kreuzzuges war'",

Ziehen wir abschließend ein Resume: Wilhe1m von Tyrus hat trotz mangelnder odermangelhafter eigener Arabisch-Kenntnisse hinsichtlich der islamischen Geschichte überweit bessere Informationen als die Abendländer verfügt. Bei der Frage nach der Benutzungschriftlicher arabischer Quellen lassen sich mit einiger Bestimmtheit freilich nur arabisch-christliche annehmen - neben der 'Perlenschnur' des Eutychios vor allem deren Fortset-zung durch Yahyji von Antiochien -, was nicht ausschließt, daß Wilhe1m von Tyrus auchislamische Quellen herangezogen haben könnte, denn immerhin existierten zur GeschichteMohammeds und seiner Lehre seit der Mitte des 12. Jahrhunderts auch Übersetzungenarabisch-islamischer Werke ins Lateinische.

84 Der Text ist ediert unter dem Titel: Das Itinerarium peregrinorum. Eine zeitgenössische englischeChronik zum dritten Kreuzzug in ursprünglicher Gestalt, ed. Hans Eberhard MAYER(Schriften derMGH 18), Stuttgart 1962; zur Verfasserfrage vgl. zuletzt Hannes MOHRING,Eine Chronik aus derZeit des Dritten Kreuzzugs: das sogenannte Itinerarium peregrinorum 1, in: Innsbrucker Histori-sche Studien 5 (1982) 149-167; und (ders.), joseph Iscanus, Neffe Balduins von Canterbury, undeine anonyme englische Chronik des Dritten Kreuzzugs. Versuch einer Identifikation, in: Mlat, Jb.19 (1984) 184-190.

85 Vgl. MÖHRING,Eine Chronik (Anm, 84) 155.86 Vgl. Itinerarium, ed. MAYER(Anm. 84) 84-85, bes. 249-250 zu Saladin: Fuit itaque de genere

Mirmuraeni. Wie MAYERgegen johannes HARTMANN,Die Persönlichkeit des Sultans Saladin imUrteil der abendländischen Quellen (Hist, Studien 239), Berlin 1933,23-24, zu Recht einwendet,kann mit Mirmuraenus = arab. amir al-mu'minin, einem Kalifentitel also, nicht der Herrscher überAleppo und Damaskus, Nüraddin, gemeint sein. Eine Verwandtschaft Saladins mit den Kalifen ausdem Hause der Abbasiden kommt nicht in Frage; wie aber, wenn wir hier einen Hinweis auf die in-nerhalb der kurdischen Familie Saladins geführte Diskussion über ihre Abstammung von den Kali-fen aus dem Hause der Umaiyaden vor uns hätten? Zur Diskussion um den arabischen bzw.umaiyadischen Ursprung der Aiyubiden vgl. G. R. SMI1H,The Ayyübids and Early Rasülids in theYemen (567-694/1173-1295), II (E. J. W. Gibb Memorial Ser., NS 26), London 1978, 17-18;ergänzend dazu Rudolf SEllHEIM, Arabische Handschriften. Materialien zur arab. Literaturge-schichte, I (Verzeichnis der orientalischen Hss. in Deutschland 17, Reihe A), Wiesbaden 1976,112-113. Tatsächlich hat sich eine ganze Reihe kurdischer Stämme auf umaiyadische Abstam-mung berufen, vgl. Roger LESCOT, Enquete sur les Yezidis de Syrie et du Djebe! Sindjär (Memoiresde l'Institut Francais de Damas 5), Beyrouth 1938,20-21.

87 Vgl. MOHRING,Eine Chronik (Anm. 84) 154.

Page 15: MITTELLATEINISCHES JAHRBUCH · Din al-Kätib al-Isfahäni (Wiesbaden 1952) 34 Anm. 16; vgl. auch MÖHRING(Anm.24) 119. 26 VgI. SrnWINGES(Anm. 3) 174. 27 Nach heutigem, wohl nicht

Zu der Geschichte der orientalischen Herrscher des Wilhe1m von Tyrus 183

Sofern man Rückschlüsse auf den Inhalt der 'Gesta' ziehen möchte, sollte dies, abgese-hen von der 'Historia', über die Chroniken des Eutychios und Yahya geschehen. DieWerke Jakobs von Vitry und Wilhe1ms von Tripolis scheinen für diesen Zweck ungeeignet,da es zu unsicher ist, ob Jakob und Wilhe1m die 'Gesta' benutzt haben. Selbst wenn das derFall wäre, bliebe unklar, ob im mutmaßlichen Titel der 'Gesta' mit «orientalischen» Herr-schern ausschließlich die islamischen gemeint sind, ob Wilhelm von Tyrus sein Werk alsoerst mit der Geschichte Mohammeds hat beginnen lassen oder ob er etwa auch die persi-schen Sassaniden-Könige in seine Darstellung einbezogen hat. Inwieweit Wilhe!m die Ge-schichte von Byzanz behandelt hat, d.h. vor allem die militärischen und diplomatischenAuseinandersetzungen mit den Muslimen zwischen dem 7. und 11. Jahrhundert, bleibtebenfalls eine offene Frage. Quellen wie Eutychios und Yahyä sowie Sprachkenntnisse, dieihm vielleicht die Benutzung auch griechischer Geschichtswerke gestatteten, dürften demGeschichtsschreiber dies freilich nahegelegt haben.So wenig wir über den Umfang der 'Gesta' wissen, so wenig wissen wir auch über ihre

Wirkung und Verbreitung. Der Umstand, daß nicht eine einzige Handschrift auf uns ge-kommen ist, scheint für sich zu sprechen. Sicherlich aber ist mit den 'Gesta' ein Kultur-denkmal von höchstem Rang verloren gegangen. Noch für einen Geschichtsschreiber wieOtto von Freising war die Beschäftigung mit der Geschichte der Heiden unmöglich88; nichtvie! anders sah es auf Seiten der Muslime aus: Nach dem derzeitigen Forschungsstand fin-det sich bei ihnen nur ein - ebenfalls verlorenes - Gegenstück'", ein Werk des Harndan ibn'Abdarrabim, das offenbar von dem Ersten Kreuzzug und den sich anschließenden christli-chen Eroberungen im Vorderen Orient gehandelt hat'",So betrachtet, ist die durch die 'Gesta' bewiesene Leistung Wilhelms von Tyrus noch

über diejenige seiner 'Historia' zu stellen. Schwinges freilich geht zu weit, wenn er aus derTatsache, daß Wilhe1m von Tyrus die 'Gesta' schrieb, auf des Autors ..Identifikation auchmit der islamischen Vergangenheit (und Gegenwart) seines Vaterlandes» schließt?',Schließlich ist es fraglich, ob Wilhe1m überhaupt Arabisch konnte und vor Beginn seinerArbeit verläßliche Kenntnisse der islamischen Geschichte besaß, nicht zu vergessen auch,daß er keineswegs aus eigenem Antrieb, sondern auf Anregung Amalrichs I. hin geschrie-ben hat, dem deshalb nicht weniger als Wilhe1m von Tyrus das Verdienst zukommt, alteBetrachtungsweisen durchbrochen zu haben.

88 Vg!. SCHWlNGES(Anm. 3) 118.89 Francesco GABRIEU,Die Kreuzzüge aus arabischer Sicht (Zürich/München 1973) 14-15, erwähnt

das Werk nicht.90 Vg!. Claude CAHEN,La Syrie du Nord a l'epoque des croisades et la principaute franque d' Antioche

(Paris 1940) 42.91 SCHWINGES(Anm. 3) 247.