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Journal für Literatur
Journal littéraire
Herausgeber: LKS Literarischer Kreis e. V. Vol | 07
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3
L
Journal littéraire
Journal für Literatur
4
Herausgeber:
Verein LKS Literarischer Kreis e. V. c/o Susanna Bur Blumenstr. 20 66111 Saarbrücken
Kontakt:
[email protected] www.lksev.wordpress.com
Redaktion:
Stefan Weigand Susanna Bur
Grafische Gestaltung:
Stefan Weigand Susanna Bur Titelbild: Fotografie von Erwin Altmeier
Erscheinungstermine:
Das Journal erscheint vierteljährlich. Nächste Ausgabe: 15. März 2015
ISSN 2197-9316
Copyright©:
Für die Inhalte der jeweiligen Texte sowie grammatikalische und stilistische Feh-ler sind die Autorinnen und Autoren selbst verantwortlich.
Das vorliegende Werk ist in all seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte und Pflichten verbleiben bei den Autorinnen/Autoren sowie Fotografinnen/Fotografen.
Ungeachtet der Sorgfalt, die auf die Erstellung von Text, Abbildungen und Pro-
grammen verwendet wurde, können weder die Autorinnen/Autoren oder Heraus-
geber für mögliche Fehler und deren Folgen eine juristische Verantwortung oder
irgendeine Haftung übernehmen.
Impressum
5
Inhaltsverzeichnis
Vorwort ..................................................................................................... 7
Eingefangener Herbst, Barbara Würtz ...................................................... 8
Herbstgedichte
Elfchen, Haiku, Senryu, Barbara Würtz ................................................... 9
Auf der Terrasse, Barbara Würtz ............................................................ 13
Ganz unverhofft, Robert Bruckart .......................................................... 14
Herbstzeit, Heinz-Josef Scherer .............................................................. 26
Novembersplitter, Heinz-Josef Scherer ................................................... 27
Zeit des Abschieds, Heinz-Josef Scherer ................................................ 28
Das leere Blatt, Heike S. Rogg ................................................................ 30
Manchmal, Elin Bell ................................................................................ 34
Geschlagen, Elin Bell .............................................................................. 35
So still, Elin Bell...................................................................................... 36
Hey Du!, Erwin Altmeier ........................................................................ 38
Sprachä, Erwin Altmeier ......................................................................... 40
Bescheidenheit, Birgit Burkey ................................................................. 42
Fremdbestimmt, Birgit Burkey ................................................................ 43
Schneeblüten, Birgit Burkey .................................................................... 44
Bombenleger, Marlin Wall ...................................................................... 46
Ein Dienstag im Mai, Werner Thöne ...................................................... 54
Das Weihnachtsbäumchen, Hans-Joachim Grötschel ............................ 56
Selbstgespräch Hans-Joachim Grötschel ................................................ 57
Ich bin treu, Hans-Joachim Grötschel .................................................... 58
Hopp und Topp, Hans-Joachim Grötschel ............................................. 59
Das Grau, Barbara Wehlen-Leibrock...................................................... 62
O, du fröhliche, Susanna Bur .................................................................. 64
Im Wald, da sind die Schweine, Tina Kraus ........................................... 68
Verzeichnis, Redaktion, Fotografen, AutorInnen ................................... 75
6
VOR
WORT
pixabay.com
7
Es ist in jedem Jahr das Gleiche:
Die Sehnsucht danach, dass ein wei-
teres hektisches Jahr zu Ende geht,
dass das Chaos und die Belastungen
irgendwie einen Abschluss finden.
Mit Schlag Mitternacht zu Sylves-
ter erhalten wir eine neue Jahreszahl,
eine reine, unbelastete Zeit liegt vor
uns, die wir ganz so prägen wollen,
dass es am Ende ein gutes Jahr gewe-
sen sein wird.
Ein herrliches Gefühl!
Von allem trennen, was uns über-
lastet, den ein oder anderen guten
Vorsatz leben.
Mit dem Rauchen aufhören - na ja,
heute Nacht noch nicht unbedingt.
Weniger essen - aber doch nicht im
Winter, da braucht der Körper Kraft,
um sich gegen die Kälte zu wehren.
Keinen Alkohol mehr - nur gerade
jetzt schmeckt der Irish Coffee so gut.
Sich weniger um Arbeitsstress küm-
mern, das Sozialleben verbessern -
aber zur Zeit sind halt alle Telefonlei-
tungen besetzt, da kann man nieman-
den anrufen. Überhaupt wird alles an-
ders, besser, schöner, lebenswerter.
Beginnen wir das neue Jahr doch
einfach damit, dass wir uns nicht
selbst enttäuschen.
Susanna Bur
8
Vier Wochen schon ist es Herbst
Regen, Gewitter, Kälte
in den letzten 14 Tagen
Heute ein gefühlter Sommertag
Früh am Morgen scheint die Sonne
Wandergruppen sind unterwegs
Am Nachmittag flanieren Besucher
durch die Fußgängerzone und bewundern
das barocke Ensemble der Altstadt
Fast alle Plätze am Eiscafé sind besetzt
Sommerlich gekleidet genießt man
die warmen Sonnenstrahlen
Dazu schlemmt man
einen der köstlichen Eisbecher
oder eine warme Waffel
mit heißen Kirschen, Eis und Sahne
Überall herrscht Urlaubsstimmung
am Sonnenherbsttag in Blieskastel
Eingefangener Herbst Barbara Würtz
9
Blätter
werden älter
Licht und Farben
bunt ihre letzten Tage
Herbst
Garten
Blühender Frühling
Ernte im Spätsommer
Blätter tanzen im Wind
Herbst
Frühling
voller Blüten
Reifen der Früchte
Jedes Blatt eine Blüte
Herbst
Herbstgedichte (Elfchen) Barbara Würtz
10
Im Frühling Blüten
Im Sommer reife Früchte
Im Herbst Blatt-Blüten
Junges Blätter-Grün
Kraftvolles Laub im Sommer
Lichtfarben im Herbst
Herbstgedichte (Haiku) Barbara Würtz
Erwin Altmeier
12
Laub voller Farbe
Wind weht bunte Blätter auf
Der Weg ein Teppich
Veilchen im Frühling
Mildes Wachsen im Sommer
Reifes Obst im Herbst
Blüten im Frühjahr
Bald entwickeln sich Früchte
Obsternte im Herbst
Blüte, Frucht, Ernte
Frühjahr –Sommer – Herbst - Winter
Ablauf des Lebens
Der milde Frühling
Erfreut unsere Sinne
Der Herbst ernährt uns
Herbstliche Milde
Sommeratem in der Luft
Frühlings-Vorboten
Herbstgedichte (Senryu) Barbara Würtz
13
Die Herbstsonne scheint
dazwischen der Himmel weint
Die Wolken ziehen weiter
Das Wetter wird heiter
Die Sonne erwärmt Land und Leute
Die Menschen genießen voller Freude
Man kann sitzen auf der Terrasse
neben einer schnurrenden Katze
Am Strauch, dem blattlosen
hängen die letzten beiden Rosen
Noch blüht die Tomatenpflanze
Gelbe Minitomaten zieren das Ganze
Zarte Winde wehen
lass´ es geschehen
Denk an den Sommer
denn bald wieder kommt er
Auf der Terrasse Barbara Würtz
14
Putlik wohnte in der Erdgeschosswohnung. Unten links, wie
alle im Haus sagten. Er war der Hausmeister und jeder im Anwe
-sen kannte ihn. Doch nicht nur in seinem Wohnanwesen kannte
man ihn. Schließlich betreute er die Nachbaranwesen auch. Die
Häuser gehörten der Siedlungsgesellschaft und die Wohnungen
darin waren vermietet. Wann und wo auch immer etwas nicht
funktionierte, undicht war oder klemmte, Putlik richtete es. Da-
für war er da. Sein Lebensinhalt bestand darin, morgens in der
Frühe aufzustehen und zunächst die Außenanlage in Augen-
schein zu nehmen. Mal waren um diese Zeit die Mülltonnen pa-
rat zu stellen, mal die Papiertonnen, mal zu fegen und zu be-
stimmten Zeiten auch Schnee zu schaufeln, Wege zu räumen
und abzustreuen. Putlik kümmerte sich von Montag bis Freitag.
Dafür bekam er sein Geld und am Wochenende kümmerte er
sich auch, aber nur deshalb, weil ihm sonst langweilig gewesen
wäre. Für diese Sonderdienste erhielt er allerdings kein Geld,
doch das war Putlik egal. Die Hauptsache war für ihn, dass sein
Einkommen zum Leben reichte. Dies war der Fall und so be-
schwerte er sich nicht und teilte sich seine Arbeit über die ge-
samte Woche so ein, wie er es für richtig hielt. Putlik war immer
gleich gestimmt, trug immer das gleiche gelangweilte Gesicht
durch die Gegend und bewegte sich nicht schneller, als er unbe-
dingt musste. Er fand selber, dass er ein langweiliger Mensch
war und oft fragte er sich, wie langweilig die anderen ihn erst
finden mussten. Sein Leben verlief absolut gleichmäßig, Tag für
Tag. Jeden Morgen stand er um die gleiche Zeit auf, ging ins
Ganz unverhofft
Robert Bruckart
15
Bad und setzte sich auf die Toilette. Anschließend wusch er sich
die Hände, das Gesicht und die Achselhöhlen, putzte die Zähne
und danach schäumte er sich das Gesicht mit Rasierschaum ein.
Nach dem Bad kochte er sich Kaffee, trank zwei Tassen davon
und zog sich dabei an. Die Tasse spülte er unter dem fließenden
Wasser aus und stellte sie in die Spüle. Er nahm seinen Kittel
vom Garderobenhaken und streifte ihn über, schlüpfte in die Si-
cherheitsschuhe, band diese zu, richtete sich auf und nahm die
Schiebermütze von der Hutablage an der Garderobe. Sein Blick
fiel in den Spiegel, während er sich die Mütze aufsetzte, denn
damit war er ganz eigen. Seine Hand drehte den Schlüssel im
Türschloss, zog den Schlüssel aus dem Schloss heraus, um ihn
anschließend von außen wieder in gleiches einzuführen und die
Tür abzusperren. Sogleich verschwand der Schlüssel in der
rechten Hosentasche und seine Schritte wandten sich dem Aus-
gang zu, wo er entweder nach dem Besen oder dem Schnee-
schieber griff. Es war tagein tagaus die gleich Prozedur und es
spielte sich in jedem Jahr auf die gleiche Weise ab. Langweilig,
wie Putlik selber fand. So war das schon immer in seinem Le-
ben und wahrscheinlich würde es sich nie ändern. Allenfalls
während des Tages gab es etwas Abwechslung, weil mal an der
Elektrik in einem Anwesen etwas zu reparieren war und ein an-
deres Mal lag es an den Wasser- oder Abwasserinstallationen.
Wenn Putlik sein Tagewerk vollbracht hatte, dann zog er sich in
seine Wohnung zurück. Meist war seine bezahlte Arbeitszeit
dann schon lange überschritten, aber das störte Putlik nicht. Für
ihn blieb am Abend sowieso nur das Fernsehprogramm und die
Katze, denn eine Frau, mit der er sich eventuell hätte unterhalten
können, die gab es in seinem Haushalt nicht. Also erzählte er all
seinen Kummer und seine Nöte Paula, seiner Katze. Paula hatte
16
er sie nach seiner Lieblingstante benannt und der hatte er als
Kind auch immer all das anvertraut, was er sonst niemandem
sagen wollte oder konnte. Zumindest nach seiner damaligen
Einschätzung. Paula zog er jeder Frau vor, denn mit Frauen kam
er nicht zurecht, wie er fand und das war so, seit Elvira.
Elvira war eine junge Frau, mit einem für Putlik sehr anzie-
henden Körper. Ihre Taille war sehr schmal, ihr Hinterteil auffal-
lend rund und vorne schien es, als trage sie zwei vollkommen
gleichmäßig geformte Bälle in ihrer Bluse. Sehr groß war Elvira
eigentlich nicht und trotzdem erschien es so, als habe sie endlos
lange Beine. Ihr Gesicht war nicht hübsch und ihre Haare zeig-
ten oft ein glanzloses Aschblond und trotzdem strahlte sie für
Putlik unglaubliche Reize aus. Für ihn verkörperte Elvira die
Frau schlechthin.
Putlik war damals sechzehn und Elvira war fast dreißig. Sie
war in die Wohnung im ersten Stock des Nachbarhauses einge-
zogen. Putlik hatte sie beobachtet, vom Fenster aus, als sie mit
einem kleinen Transporter ankamen, sie und mehrere junge
Männer. Die Jungs schleppten alles in die kleine Wohnung und
Erwin Altmeier
17
bis zum Abend war aus der Wohnung Gerumpel und Geklapper
zu hören. Danach war es einige Zeit still und plötzlich hörte
man das Quietschen von Elvira. Putlik wurde mit jedem Quiet-
schen nervöser und neugieriger und schließlich hielt er es nicht
mehr aus, stieg in die Schuhe, streifte die Jacke über und ging
nach draußen. Er begab sich hinter die Anwesen, dort an die Bö-
schung, die genau gegenüber von Elviras Fenstern lag und stieg
ein Stück die Böschung hinauf, so dass er in die Fenster zu ihrer
Wohnung Einblick nehmen konnte. Sie und die Jungs alberten
herum, spielten wohl Nachlauf und Putlik wunderte sich, dass
dieses Quietschen der fremden Frau ihn so sehr in ein Gefühl
versetzt hatte, welches ihm bis dahin sehr fremd war, nun aber
irgendwie einschneidend in sein Leben eingriff. Er wollte es im
Innersten seines Herzens nicht, dass diese Kerle das mit ihr
machten. Er selbst wollte vielmehr mit ihr Spaß haben. Einige
Zeit stand er dort an der Böschung und schaute. Mit einem
Schlag wurde ihm bewusst, dass er schon eine Ewigkeit da ste-
hen musste, denn die Jungs waren längst weg und er hatte auch
irgendwie wahrgenommen, dass der Motor des Transporters ge-
startet worden war. Elvira wandelte in der Wohnung herum, ver-
schob Möbelstücke, trug Bilder durch die Gegend und hielt sie
gegen Wände. Irgendwann war sie im Bad verschwunden, hatte
das Fenster gekippt und Putlik hörte das Wasser der Dusche lau-
fen. Er stapfte die Böschung hinunter und kehrte in die Woh-
nung zurück. Seine Mutter sah ihn ganz merkwürdig an.
»Wo warst du um diese Zeit noch, Franz?«
Er gab ihr keine Antwort, streifte Schuhe und Jacke ab und
ging in sein Zimmer. Dort schaltete er das Tonbandgerät ein,
spulte das Band ein gutes Stück zurück, setzte den Kopfhörer
auf und hörte Creedence Clearwater Revival. Looking out my
18
backdoor. Putlik vibrierte mit.
Als ihn am Morgen der Wecker aus dem Schlaf riss, blieb er
zunächst einen Moment auf der Bettkante sitzen. Dies hatte
zwei Gründe. Der erste Grund war der, dass ihm bewusst wurde,
in der Nacht einen sehr aufregenden Traum gehabt zu haben, in
dem es um Elvira und ihn ging und der zweite Grund war, dass
er eine frische Unterhose brauchte, da jener Traum sehr feucht
verlaufen war. Er erinnerte sich an einzelne Szenen des Traums,
jedoch nicht an das ganze Traumgeschehen und das ärgerte ihn.
Putlik machte eine Lehre, wollte Elektriker werden, doch als er
sich bewarb, war diese Lehrstelle bereits vergeben und so blieb
ihm nur eine Lehrstelle als Installateur. Als er die Lehrstelle an-
getreten hatte und sich erstmals danach mit seinen Kumpels traf,
fragte ihn einer, was er denn nun für eine Lehre begonnen habe.
Putlik sagte:
»Ich mache eine Ausbildung zum Installateur.«
Einer in der Runde lachte laut auf und gab dann zum Besten:
»Heißt das bei uns hier auf dem Land nicht, du lernst Gas,
Wasser, Scheiße?«
Alle lachten und Putlik zahlte sein angetrunkenes Bier und
ging beleidigt. Er nahm sich fest vor, nie wieder würde er sich
mit diesen Idioten treffen und er hielt sich daran. Zu Mädchen
hatte er sowieso keinen Kontakt und er fragte sich, was die an-
deren machten, um ein Mädchen kennenzulernen. Putlik war
sehr unglücklich darüber, dass er kein Mädchen traf, das auf ihn
zukam, denn er selbst hatte längst erkannt, dass er viel zu
schüchtern war in dieser Hinsicht. Nun zog im Nachbarhaus die-
se Elvira ein und machte ihn ganz verrückt. Den ganzen Tag
während seiner Arbeit hatte er über diese Frau nachgedacht und
auch darüber, dass er am Abend dort an der Böschung gestanden
19
und sie beobachtet hatte. Als er am Nachmittag nach Hause
kam, begab er sich zunächst hinter die Häuser, weil ihm einge-
fallen war, dass es dort noch das alte Baumhaus gab. Er blickte
hinauf und fragte sich, ob die Konstruktion wohl noch stabil ge-
nug war, ihn zu tragen, doch er wagte es einfach und kletterte
hinauf. Als er schließlich oben war, überprüfte er alles sehr ge-
nau, denn er hatte Zeit, weil es in Elviras Wohnung noch nichts
zu sehen gab. Das Holz hatte an der ein oder anderen Ecke et-
was gelitten, aber insgesamt würde das Häuschen dem Wetter
noch einige Zeit trotzen. Er konnte in die Wohnung von Elvira
hineinschauen, und genau das wollte er auch, aber um etwas er-
kennen zu können, dafür war die Entfernung doch zu groß. Es
fiel ihm allerdings etwas ein. Sein Vater hatte in den Urlaub
stets ein Fernglas mitgenommen und er wusste genau, wo in der
Wohnung dieses Teil verstaut war. Also nahm er es bei nächster
Gelegenheit mit ins Baumhaus.
Sehr aufgeregt nahm er das erste Mal das Fernglas mit. Es
war schon dunkel als er in seinen Ausguck kletterte und als er
das Glas an seine Augen setzte, da zuckte er zunächst einmal
kräftig zusammen. Elvira stand in ihrem Schlafzimmer, dessen
Fenster noch immer keine Gardinen trugen und hatte sich kom-
plett entkleidet. Putlik konnte ihren Körper genau sehen und er
schaute sich mit dem Glas alles ganz genau an. Dabei zitterte er
so sehr, dass das Bild vor seinen Augen ständig verwackelte und
er wäre vor Aufregung fast aus dem Häuschen gestürzt. Doch
mit der Zeit gewöhnte er sich an ihren Anblick. Wann immer
sich die Gelegenheit bot, Putlik kletterte in seinen Beobach-
tungsstand und erkundete die Wohnung von Elvira und ihren
Körper, wenn sie ihm diesen denn zeigte. Aber er hatte zwi-
schenzeitlich schon ein sicheres Händchen dafür entwickelt,
20
wann Elvira so wichtige Dinge wie duschen und sich anschlie-
ßend im Schlafzimmer einzucremen, absolvierte. Putlik war
dann in seinem Baumhaus parat und auch schlechtes Wetter
konnte seine Pläne nicht durcheinander bringen. Doch an die-
sem Abend war alles anders.
Er hatte gehofft, sie würde, ihren Gewohnheiten folgend,
auch diesmal und um diese Zeit unter die Dusche steigen, doch
er hatte sich getäuscht. Offensichtlich war sie schon damit fer-
tig, als er sie mit dem Rund des Fernglases erfasste. Sie hatte
sich zurecht gemacht und sie machte auf ihn den Eindruck, als
erwarte sie jemanden. Kurz darauf verschwand sie aus dem
Zimmer, um recht bald wieder in Begleitung einer Person das
Zimmer erneut zu betreten. Putlik fiel fast aus dem Baumhaus,
als er wahrnahm, wer bei Elvira in der Wohnung weilte. Es war
der alte Putlik, sein Vater. Franz Putlik begann augenblicklich zu
zittern und er hatte keine Ahnung, warum das so war. Er war
sich auch nicht sicher, ob er weiter beobachten oder lieber vom
Baum steigen und in sein Zimmer gehen sollte. Er hatte bereits
einen Fuß auf die oberste Sprosse der Leiter gesetzt, als er es
sich doch noch einmal anders überlegte.
Er setzte sich wieder auf das Holzstück, das im Baumhaus
lag, führte das Glas vor die Augen und schaute. Sein Vater bohr-
te Löcher, steckte Dübel ein und drehte Schrauben in die Wand.
Elvira kam und hängte Bilder an den Schrauben auf. Immer wie-
der verlor er die beiden aus den Augen, immer wieder weilten
die beiden Objekte der Beobachtung außerhalb des Bereichs,
den Putlik einsehen konnte. Die Abstände, in denen er sie nicht
sehen konnte wurden immer länger und die Verweildauer der
beiden innerhalb seines Sichtbereiches immer kürzer. Putlik
wurde nervös. Er fragte sich, was die beiden dort taten. Sein
21
Blick konzentrierte sich auf das Wohnzimmer, doch mit einem
Mal wurde seine Aufmerksamkeit auf das Fenster des Schlaf-
zimmers gelenkt, als dort das Licht anging. Putlik drehte den
Kopf und das Fernglas gleich mit. Elvira fiel rücklings auf das
Bett und Putliks Vater beugte sich über sie. Putlik spürte, wie
ihm plötzlich eiskalt wurde. Etwas schnürte ihm die Kehle zu,
doch er wich nicht von der Stelle. Er registrierte, wie sein Vater
sich noch weiter nach unten beugte und Elvira küsste.
»Putlik, klettere die Leiter hinunter und geh in dein Zimmer.
Was du da siehst, das ist nicht gut für dich. Das kannst du nicht
verkraften, also verschwinde endlich. Mach dich vom Baum und
geh und vergiss diese Elvira. Sie ist eine Hure, sonst nichts und
deinen Vater vergiss einfach auch. Du hast keinen Vater, es gab
nie jemanden, den du als Vater bezeichnet hast. Geh endlich in
dein Zimmer Putlik!«
Leise murmelnd hatte er dies vor sich hin gesagt, ehe er noch-
mals das Glas ansetzte und hinüber schaute. Er sah Elviras
hochgestreckte Beine und er nahm die Bewegungen seines Va-
ters über ihr war. Das nächste, was ihm bewusst wurde war, dass
Erwin Altmeier
22
ihm Tränen übers Gesicht rannen und er nichts mehr durch das
Fernglas sehen konnte.
Er hatte die Tür zu seinem Zimmer verschlossen, das Ton-
bandgerät eingeschaltet und im Schrank nach der Flasche ge-
sucht. Der erste Schluck waren eigentlich drei Schlucke. Die
Flasche aus der er trank war eckig und trug ein Etikett mit der
Aufschrift Jim Beam. Nachdem er dreimal an der Falsche ge-
nippt hatte, spürte er den Alkohol sehr deutlich. Trotzdem setzte
er den Kopfhörer auf und hörte Musik, trank immer weiter und
spürte schließlich, dass es allerhöchste Zeit für ihn war, endlich
ins Bett zu gehen. Die Flasche war halb geleert und Putlik streif-
te sich die Kleider vom Leib und ließ sich auf sein Bett fallen.
Er hatte den ganz großen Schraubendreher mitgenommen und
er hoffte, es würde ihn niemand hören. Da die Häuser zusam-
mengebaut waren, gab es eine Möglichkeit, durch den Keller in
das andere Gebäude zu gelangen. In seiner Hosentasche befand
sich die Taschenlampe und er schlich sich die Treppe hinunter
bis in den Keller. Dort lauschte er zunächst einmal, ehe er sich
weiter den Gang entlang schlich und schließlich am Treppenauf-
gang im Nachbaranwesen stand. Noch vorsichtiger stieg er Stufe
um Stufe hinauf und lauschte an jeder Wohnungstür, doch es
war nichts zu hören. Alle schienen zu schlafen und so kam er
unbemerkt vor der Tür an, hinter der Elvira nun wohl schlum-
merte. Er wollte es ihr zeigen, wollte es sich auf gar keinen Fall
gefallen lassen, dass sie, für die er doch so viel empfand, ihn mit
seinem eigenen Vater betrogen hatte. Putlik musste nicht viel
Gewalt anwenden, das Schloss und der Türrahmen gaben dem
großen Schraubendreher in Windeseile nach und Franz Putlik,
der noch immer vor Eifersucht kochte, stand in der Diele von
Elviras Wohnung. Er drückte die Wohnungstür hinter sich zu
23
und seine Hand suchte den Türgriff der Schlafzimmertür, den er
vorsichtig herunterdrückte. Im fahlen Licht, das von draußen in
den Raum drang, konnte er Elvira sehen. Sie hob den Kopf und
blickte in seine Richtung. Noch bevor sie etwas sagen konnte,
hatte er sich auf sie gestürzt, den Schraubendreher vor sich hal-
tend und sie dort irgendwo zwischen ihren wunderschönen
Brüsten getroffen. Nicht einmal geschrien hatte sie, nur kurz ge-
quietscht. Der Schraubendreher stach bis zum Griff in ihrer
Brust. Putlik überlegte einen Moment, dann entschloss er sich,
das Werkzeug wieder aus Elvira herauszuziehen und mitzuneh-
men. Als er dies jedoch tat, spritzte das Blut ihm entgegen und
tränke alles in rote Farbe. Putlik spürte, wie ihm die Flüssigkeit
auch vom Gesicht rann und an seinem Kinn abtropfte. Für einen
Moment blieb er noch vor dem Bett stehen und sah Elvira an. Er
richtete die Taschenlampe auf ihr Gesicht und schaltete sie für
einen Augenblick ein.
Elviras Mund war leicht geöffnet, ihre Augen hatten einen
starren Blick und schon jetzt erschien die Farbe ihrer Haut ge-
nauso aschfahl wie das Licht, das von draußen in ihr Schlafzim-
mer drang. Er war sich ganz sicher, dass sie nicht mehr lebte
und so wandte er sich ab, um zu gehen, als er die Schritte in der
Diele wahrnahm. Er fuhr auf. Schweißperlen liefen ihm übers
Gesicht und sein Herz überschlug sich regelrecht in seiner
Brust. Seine Hand fasste nach dem Lichtschalter und er knipste
das Licht neben dem Bett an. Seine Füße berührten den Boden
und er rang nach Luft.
»Putlik, es war nur ein Traum. Beruhige dich, es war ganz
einfach nur ein Albtraum, sonst nichts. Elvira lebt und es geht
ihr gut. Beruhige dich also Putlik! Du hast gar nichts Schlimmes
getan.«
24
Immer wieder sprach er so mit sich, flüsternd, damit bloß
kein fremdes Ohr es wahrnehmen sollte.
Es war um die Mittagszeit, als es plötzlich an seiner Tür klin-
gelte. Putlik hatte sich an den Tisch gesetzt, zwei Scheiben Brot
mit etwas Wurst und Käse belegt und Paula schlich ihm um die
Beine. Putlik fühlte sich in seiner Mittagsruhe gestört und des-
halb maulte er, doch trotzdem erhob er sich von dem Küchen-
stuhl und machte sich auf den Weg zur Tür. Er öffnete diese und
blickte in ein Augenpaar, das ihm irgendwie sehr bekannt er-
schien, aber zunächst wusste er nicht, wer die Person war, die
gerade vor ihm stand. Doch irgend etwas in ihm sagte, dass er
diese Frau kannte. Auch sie blickte unsicher und schien zu rät-
seln.
»Ich wollte fragen, ob die Wohnung noch frei ist, die letzte
Woche inseriert war.«
Putlik fing an zu lachen und schlug sich mit der flachen Hand
auf den Oberschenkel. Er lachte immer weiter und konnte sich
gar nicht beruhigen. Schließlich schnappte er nach Luft und eine
Träne rann ihm über die Wange. Er versuchte ruhig zu werden.
»Ja, die Wohnung im ersten Stock des Nachbarhauses, die
man vom Baumhaus einsehen kann. Jaja, ganz recht, die ist
noch frei, Elvira!«
Wieder begann er zu lachen und schlug sich auf den Schen-
kel.
Elvira blickte ihn ganz ernsthaft an. Man hätte denken kön-
nen, sie wollte ihn mit ihren Augen röntgen.
»Putlik, bist du das? Franz Putlik, wenn du das bist, dann sag
doch einen Ton und hör endlich auf, so fürchterlich zu lachen!«
25
Gesichter der Zweisamkeit Robert Bruckart
ISBN: 978-3-944306-06-3
Seitenanzahl: 270
€ 9,90
www.amazon.de
Auch als E-Book erhältlich
Nichts beschäftigt uns Menschen in unserem Leben wahrscheinlich mehr, als in glückli-cher Zweisamkeit zu leben und trotzdem stellen wir immer wieder fest, dass es nicht gerade einfach ist, eine solche zu finden. Dabei entgeht uns oft, dass wir es meist selbst sind, die einer solchen Zweisamkeit hinderlich im Weg stehen. Und noch eins sei ge-sagt; Zweisamkeit ist nicht gleich Zweisamkeit.
Der Kurzgeschichtenband mit dreizehn verschiedenen Lebensabschnitten erzählt Episo-den aus den Leben von Menschen, bei denen Zweisamkeit und die Suche nach ihr, wie auch das Ende einer Zweisamkeit, eine wesentliche Rolle spielt.
26
Es ist die Zeit der sich bunt färbenden Blätter,
des mehr und mehr den Boden füllenden und unter den Schritten ver-
nehmbaren raschelnden Laubes,
der kürzer werdenden Tage und länger währenden Nächte –
die Zeit der Tempodrosselung, des Herunterfahrens, der Reduktion,
der Introspektion –
die Zeit der Romantiker und Träumer,
der Sommerverdrossenen und Herbst-,
Wintergeneigten,
der Innen- statt Außengeleiteten –
die Zeit des Abschiednehmens, der Hoffnung auf und des Glaubens
an Wiedererwachen, Wiedergeburt –
irgendwann.
Herbstzeit Heinz-Josef Scherer
Heinz-Josef Scherer
27
Novembernebel verkündet Vergehen, Ende
Blick zurück - Erinnern in Melancholie
Bäume - todeskahl spät - mahnen Reduktion
Ankommen ermöglicht Glück.
Novembersplitter Heinz-Josef Scherer
Heinz-Josef Scherer
28
Jahresausklang fordert Abschied
Außen trüb - Nebel richtet Blick nach innen
Dominanz der Dunkelheit lässt Binnenraum zu
Extra- weicht Introversion
Vergehen, Erwachen, Neubeginn in Erinnerung
Hoffnung schafft Vertrauen, Zuversicht in
Zukünftiges
Wechsel
Fortbestand
Gesetz des Lebens.
Zeit des Abschieds Heinz-Josef Scherer
Heinz-Josef Scherer
29
Sehnsucht nach dem innern Land - Kurzgeschichten/Erzählungen/ Stories/Gedichte/Aphorismen/Beobachtungen/ Ansichten/Autobiographisches/ Photographien von
Heinz-Josef Scherer’
ISBN 978385438102-0 172 Seiten, € 18,40€
erhältlich beim Autor oder über den Verlag www.united-pc.eu ‘Belletristik-Sonstiges/Allerlei’ sowie bei Amazon
30
Da sitze ich nun.
Vor mir ein leeres Blatt. So leer wie mein Kopf. Dennoch soll
ich es füllen, dieses blütenweiße Stück Papier. Noch ist es mein
Feind. Jemand, der was von mir will. Etwas von mir einfordert.
Was will es von mir? Ein Wort? Einen Satz? Eine Kurzgeschich-
te? Eine Kolumne? Eine Satire? Einen vollständigen Roman?
Ich weiß es nicht, es antwortet nicht auf meine stumme Frage.
Wie hypnotisiert starre ich auf die weiße Fläche. In der Hoff-
nung, dass wie von Geisterhand eine Antwort auftaucht. Aber
nichts passiert. Außer, dass es vorwurfsvoll zurück stiert. Das
Einzige, was es zu mir sagt, ist: »Füll mich! Schenk mir deine
Gedanken, deine Fantasie, deine Buchstaben, Worte und Sätze.«
Nein, es ist kein Freund von mir. Ein Freund würde mir hel-
fen, mich unterstützen, mir sagen, was ich tun soll. Dieses Blatt
aber stellt nur eine Forderung - Mach!
Dabei wäre es vielleicht schon von Nutzen, stünde dort eine
Überschrift. Etwas woran ich mich entlang hangeln kann. Was
meine Fantasie anregt. Aber da steht - Nichts!
Minuten verrinnen, Stunden vergehen und noch immer ziert
kein einziges Wort diesen Bogen. Ich könnte ihn zerknüllen und
an die Wand werfen, aber dazu ist er zu schade, denn er ist ja
ungebraucht. Ich könnte etwas darauf zeichnen, doch mir fehlt
das Talent.
Ich greife zum Äußersten. Ich stehe auf, verlasse meinen
Gegner, lasse ihn allein auf dem Schreibtisch zurück. Das ist
Das leere Blatt Heike S. Rogg
Susanna Bur
32
meine Rache, meine Antwort auf seine unverschämte Forde-
rung.
Da liegt es nun, einsam und nackt, ein weißes Papier, wie je-
des andere, das noch in der Schublade wartet. Ich werde es jetzt
nicht mit Worten über die übrigen erheben. Ich lasse es genauso
uniform zurück, wie die fünfhundert weitere. Eine kurzzeitige
Befriedigung überkommt mich. Ich verfüge über die Macht, es
liegt in meiner Hand, es zu beschreiben. Aber nicht lange bleibt
mir dieser Triumph, es scheint mich magisch anzuziehen. Dau-
ernd zieht es meinen Blick auf sich. Es scheint zu schreien:
»Lass dir was einfallen!« Aber noch immer leistet es keine Hil-
festellung. Ich verlasse den Raum, aber es verfolgt mich, steckt
im Kopf fest. Ich lenke mich ab, unternehme etwas, beschäftige
mich mit anderen Dingen. Aber es bleibt in meinen Gedanken
gegenwärtig. Ein weiteres Mal ruft es: »Ich liege hier und rühre
mich nicht von der Stelle.«
»Toll, dann bleib liegen, bis du verrottest«, will ich antwor-
ten. Aber ich weiß genau, dass ich wieder davor sitzen werde.
Ich will es ja füllen, mit meinen Gedanken, meiner Fantasie,
meinen Worten. Warum nur begreift es nicht, dass exakt das
nicht auf Befehl funktioniert? Es kann nicht einfach rufen und
ich gehorche. Es versteht nicht, dass außer ihm und mir noch
mehr dazugehört. Wir können nur dann Partner werden, wenn
beide es wollen. Nur dann, wenn mir endlich etwas einfällt ...
Aber meine Rache ist fürchterlich! Ich schalte den PC an, ru-
fe ein Textprogramm auf und sitze - vor einer leeren
Seite ...
33
Einmal Dresen - nicht zurück
Heike S. Rogg
Ein Busfahrer Hannes Krimi …
Website: www.busfahrer-hannes.de
IBSN 978-3-945600-26-9 Elvea Verlag 2014
Dresden ist eine Reise wert. So sieht es auch eine saarländische Reisegruppe und bucht eine Fahrt in die sächsische Hauptstadt. Zusammen mit Busfahrer Hannes und seiner Frau Susanne erleben sie eine informationsreiche Woche, bis … Ja, bis plötzlich ein Fahrgast spurlos verschwindet. Sofort begeben sich Han-nes und Susanne auf Spurensuche, werden aber von der zuständigen Polizei ausgebremst. Das wiederum hindert sie nicht daran, den Fall auf ihre Art weiter zu verfolgen. Die Spur, die sie dabei entdecken, führt in die Abgründe. Gelingt es Busfahrer Hannes trotz allem, seinen vermissten Fahrgast lebend wieder zu fin-den?
Fragen Sie sich vielleicht, was Eierschecke und Frauenkirche verbindet?
… ich wünsche Ihnen ein unterhaltsames Lesevergnügen, Ihre Heike S. Rogg
34
Manchmal
Bewirft mich das Leben
Mit Steinen
Ich hebe sie auf und baue etwas
Manchmal
Eine hohe Mauer um meine Seele
Manchmal
Eine Treppe in meine Dunkelheit
Manchmal
Einen Leuchtturm in mondloser Nacht
Manchmal
Eine Brücke zu meinem Herzen
Manchmal
Aber möchte ich die Steine
Dir überlassen
Damit du daraus ein Haus
Für uns baust
Manchmal Elin Bell
35
Ein weiteres Gefecht
In dieser sinnlosen Schlacht
Dass wir uns
Nicht einigen können
Ist das Einzige
Worüber wir uns einig sind
Verbale Messer sind scharf
Verletzen tief und
Erinnerungen bluten lange
Aus vielen Wunden
Du wirst mich bezwingen
Doch auch ich werde gewinnen
Geschlagen
Besiegt
Steht am Ende nur das „wir“
Mit dem Rücken zur Wand
Bittet mit einer weißen Fahne
Um Kapitulation
Geschlagen Elin Bell
36
In tiefer Nacht
Leise
Klingen wehmütig
Knisternde Melodien
Erinnerungen
Tanzen
Kann sie nicht mehr
Doch schließt sie ihre Augen
Fühlt sie ihr Herz
Behutsam noch
Im Rhythmus schlagen
Hört das Flüstern
Hauchzarter Seide
Nichts bleibt
Ihre Liebe
Wartet auf der anderen Seite
Wenn die Dunkelheit
Dem Tag weicht
Wird es
So still
So still
So still Elin Bell
Adinavoicu, pixabay.com
38
Es ist schon ein Jammer mit der neuen deutschen Recht-
schreibung, die ja mittlerweile gar nicht mehr sooo neu ist. Auch
wenn man grundsätzlich die Reform beim Schreiben umsetzt -
in EINEM Punkt habe ich immer ein Problem, nämlich bei den
Anredepronomen „du“/“dich“/“dein“/“ihr“/“euch“/“euer“!
Doch nein, eigentlich habe ich selbst KEINE Schwierigkeiten
damit, aber ich weiß, dass viele LESER ein Problem haben. Wa-
rum? Weil sie denken, dass ich etwas falsch geschrieben habe,
was eigentlich richtig ist.
Während früher ALLE Anredepronomen groß zu schreiben
waren, ist die Sache heute anders geregelt. Wenn man eine Per-
son oder mehrere Personen „siezt“, wird das entsprechende An-
redepronomen nach wie vor groß geschrieben. Also: „Ich begrü-
ße Sie!“/„Wie geht es Ihnen?“
„Duzt“ man sich aber, so ist die Kleinschreibung der Anre-
depronomen die EMPFOHLENE Schreibweise. Das bedeutet,
die Großschreibung ist weiterhin erlaubt (wenn man z.B. Ange-
schriebenen gegenüber seine besondere Hochachtung ausdrü-
cken möchte). Die Großschreibung ist also richtig bzw. nicht
falsch, aber die Kleinschreibung ist empfohlen will sagen:
“RICHTIGER”! ;-) Leider wissen dies aber viele nicht und sind
evtl. verwundert darüber, wenn sie in einem ansonsten einwand-
frei geschriebenen Text plötzlich vermeintliche Fehler bei den
Anredepronomen entdecken.
Ich versuche oft (z.B. bei SMS oder Facebook-Messages),
dieses Problem durch die totale Kleinschreibung zu umgehen.
Hey Du! Erwin Altmeier
39
Wenn ich dies jedoch nicht für angemessen halte, muss ich eben
damit leben, dass manche denken: „Wow, der Erwin weiß noch
nicht einmal, dass man „Du“ groß schreibt!“
Und wenn ich absolut nicht möchte, dass das gedacht wird,
dann greife ich halt zur alten und immer noch erlaubten Rege-
lung. Vielleicht könnte ich ja auch in allen künftigen Schreiben
einen Link zu dieser Seite anbringen, damit klar ist, warum ich
geschrieben habe: „Hey du, wie geht es dir?“
Erwin Altmeier
40
Sie kennen das ja sicher: Wenn man eine Rede halten muss,
interviewt wird oder im beruflichen oder privaten Kreis etwas
sagen will, kommt es vor, dass man – um Lücken zu überbrü-
cken – ein mehr oder weniger lang gezogenes „ä” einfügt.
Diese kleine Denkpause nutzt man dann, um sich den Fol-
getext zu überlegen. Nur wenige schaffen es, fließend zu spre-
chen, ohne das besagte „ä” zu verwenden.
Was mir allerdings seit geraumer Zeit immer häufiger auffällt,
wenn ich im Fernsehen Politikern, Reportern und Moderatoren
beim Sprechen zuhöre, ist ein ganz besonderes Phänomen: Man
fügt das „ä” nicht als Denkpause ein, sondern hängt es direkt an
ein Wort an, so als ob es zu diesem gehören würde. Es ist offen-
sichtlich chic geworden so zu sprechen und der Nachahmungs-
effekt ist mittlerweile so groß geworden, dass es nur noch weni-
ge Statements ohne „ä” an so manchem Wortende gibt bzw. gib-
tä.
Es istä also gewissermaßenä eine Erscheinung der Zeitä, die
hoffentlich baldä (gesprochen: baltä) vorübergehtä. Denn mir
wirdä (gesprochen: wirtä) immer ganz schlechtä, wenn ich so
etwas zu oftä hören mussä. Natürlichä übertreibe ich hier et-
wasä, aber wenn Sie einmal daraufä achten, werden Sie merken,
dassä diese Artä des Redensä offensichtlich eine Modeerschei-
nung geworden undä so manches Wortä davon betroffen istä.
Ich will mich jetzt aber mäßigen und Sie nicht länger nerven.
Achten Sie einmal darauf, wenn in Radio oder Fernsehen Politi-
ker interviewt werden, Auslandskorrespondenten berichten oder
Sprachä Erwin Altmeier
41
Moderatoren zu Ihnen sprechen – Sie werden z.B. kaum noch
ein “und” hören, sondern viel häufiger ein „undä” (gesprochen:
„untä”).
Ich habe mir einmal den Spaß gemacht und ä-Wörter notiert,
die ich bei Fernsehdarbietungen aufschnappte. Hier eine kleine
Auswahl: hatä, istä, kommtä, gutä, zumindestä, auchä,
schwachä, vonä, Dienstagä, dassä, aufä, Herzä, bisä … Die Liste
könnte spielend leicht fortgesetzt werden.
Ich sehne mich jedenfalls nach einem baldigen Ende dieses
Sprachsspuksä!
Erwin Altmeier
42
Wir trinken Hoffnung,
bis zur Selbstaufgabe,
für Bescheidenheit
fehlen die Gründe.
Wir suhlen uns
im seichten Überfluss,
die Zukunft auf dem Schoß,
dennoch fließen Zweifelgedanken.
Bescheidenheit Birgit Burkey
43
Mit deinem Schatten
löschst du mein Licht,
quälend verglimmen
letzte Funken Leben.
Während ich
durch aufdiktierte Zeit treibe,
verliere ich meine Gedanken,
und begrabe Erinnerungen
an die letzten,
in Freiheit geborenen Atemzüge.
Fremdbestimmt Birgit Burkey
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An einem stillen Dezembermorgen dreht sich der Winter träumend
noch einmal um in seinem Wolkenbett, blinzelt neugierig hinunter
auf braune Felder, wirft einige Schneeblumen, wie Samen, übers
Land.
Ihre Saat trägt reiche Früchte, Weiß überzieht Bäume und Wiesen,
Sterne erkeimen an Fensterscheiben, Häuser tragen ein Wattekleid
und Kindernasen tanzen mit Flockennixen einen Reigen.
Schlitten erobern Waldwege, mit verwegenen Kufen gleiten Eisköni-
ginnen über frostige Seen. Schneemänner flanieren am Ufer, trinken
Punsch, erfreuen sich am Blütentreiben in der Wintermärchenzeit.
Staunend blicken Kinderaugen auf die Zauberwelt in ihren Händen,
schütteln die Schneekugeln, wieder und wieder, damit das Wirbeln
der fruchtbaren Kristalle niemals endet.
Schneeblüten
(Miniaturgedichte in 100 Worten) Birgit Burkei
Susanna Bur
46
Prolog
Nr. 2 sah von seinem Sudokurätsel auf, als er die Geräusche
aus dem Obergeschoss hörte. Die Musik des Filmabspanns en-
dete abrupt, der Fernseher verabschiedete sich mit einem Klin-
gelton. Er folgte dem schwerfälligen Tritt über seinem Kopf, litt
fast mit unter dem Schmerz, den jeder Schritt ihr bereitete. Nun
würde seine Frau ins Bad gehen, die Zähne putzen, sich zur
Nacht umziehen. Noch immer war sie eitel, wollte erhalten, was
die Zeit noch nicht zerstört hatte, für ihn. Dabei liebte er dieses
Gesicht noch heute wie vor vierzig Jahren; jede ihrer Falten
schien eine Geschichte des gemeinsamen Lebens zu erzählen.
Er stand ebenfalls auf, räumte seinen Block und den Stift in
die Schublade der Eckbank, begann mit der Vorbereitung für das
Frühstück am nächsten Morgen. Füllte Wasser in den altmodi-
schen Kessel, maß die Wassermenge anhand des Gewichts ab.
Genau einen Liter; das hatte er im Gefühl.
Die Schäferhündin, die neben dem Kachelofen geschlafen
hatte, sah auf; ihr fast fragender Blick ließ ihn lächeln und er
nickte ihr zu. Ja, sie würden noch eine Runde drehen, ein Depot
überprüfen, sobald er Marie für die Nacht warm zugedeckt hat-
te.
Das Summen der elektrischen Zahnbürste oben erstarb, nun
folgte ihre letzte Aufgabe des Tages. Das Ablegen der Kleidung,
diese alltägliche Routine, verstärkte den Schmerz in ihren Glie-
dern, doch sie wollte sich nicht helfen lassen; musste ein winzi-
ges Stück Würde bewahren.
Bombenleger Marlin Wall
47
Nr. 2 stellte Tassen und Teller auf den Frühstückstisch, suchte
ihren Lieblingseierlöffel aus der Schublade, nahm den Salzs-
treuer aus dem Regal und stellte ihn genau in die Mitte des Ti-
sches. Eine Blume würde er ihr aus dem Garten mitbringen,
morgen nach dem Frühspaziergang. Er wandte sich um, öffnete
die Tablettenschachteln und legte die Medikamente auf das klei-
ne Tablett, stellte ein Glas Milch dazu, maß die Tropfen des
Schmerzmittels ab.
Die Badezimmertür oben öffnete sich; durch die Holzdecke
hörte er sie langsam ins Schlafzimmer gehen, stellte sich ihr er-
leichtertes Seufzen vor, wenn sie sich aufs Bett setzte.
»Bertrand?«, rief sie.
»Ich bin schon unterwegs!«
Er balancierte das Tablett die Treppe hinauf, wandte sich nach
rechts und betrat das Schlafzimmer. Wie jeden Abend traf ihn
ihr bittender Blick und er nickte. Er stellte das Nachtmahl auf
den Tisch, schlug die Bettdecke zurück, drehte sie mit geübtem
Griff ins Bett. Während sie die Tabletten einnahm, schloss er die
Rollläden, kippte das Fenster und deckte sie sorgfältig zu, küsste
sie auf die Stirn. »Bonne nuit, Marie!«
Sie lächelte ein wenig. »Gehst du noch einmal los?«
»Ja, Losa wartet schon.«
»Bleib nicht so lang fort«, bat sie.
»Nein, heute nicht.« Er fuhr ihr übers Haar. »Träume´ schön,
mein Schatz!«
Sie streckte sich wohlig. »Erst, wenn du wieder zurück bist.«
Er nickte und schaltete die Nachttischlampe aus.
Losa erwartete ihn bereits am Fuß der Treppe. Er legte ihr das
Halsband an, nahm die Joppe vom Haken und zog die Taschen-
48
lampe aus einer der Taschen. So leicht sie auch in der Hand lag,
so zuverlässig warf sie ihren Strahl fast 100m weit.
Solche Materialien hätten wir uns früher gewünscht, dachte
er. Die alten Weitstrahler waren echte Batteriefresser, die Birnen
so unzuverlässig, dass man immer Ersatz mit sich herumtragen
musste. Doch am Asselscheuerhof hatte auch die alte Lampe ih-
ren Dienst getan, fast wäre die tödliche Falle zugeschnappt.
Heute war er froh über den glücklichen Zufall, der damals zwei
Menschen gerettet hatte. Nein, dieser Krieg gegen Gegner, die
nie existiert hatten, musste endlich beendet werden.
Er zog seine Mütze über, öffnete die Haustür, trat in den Re-
gen. Die Werkstatt lag quer zum Wohnhaus; aus Gewohnheit
kontrollierte er das alte Schloss: Alles in Ordnung. Losa zog ihn
weiter, wollte laufen, drüben im Wald.
»Ruhig, Mädchen!«, ermahnte er sie. »Erst die Kontrolle.«
Sie umrundeten die Halle, er ließ den Strahl der Taschenlam-
pe über das Brachgelände wandern, auf dem der Neubau entste-
hen sollte. Seit zwei Jahren lagen die Architektenpläne in sei-
nem Schreibtisch, doch die Baugenehmigung wurde durch mie-
se Tricks verzögert.
Er seufzte, als Losa aufgeregt umher tänzelte, folgte ihrem
Ziel. Sie erreichten die Barriere am Ende der Stichstraße und er
ließ sie von der Leine. Sie stürzte in den Wald, während er in
seinen Wanderschritt fiel.
An der zweiten Wegbiegung sah er sich prüfend um, dimmte
die Taschenlampe und verließ den Waldweg. Ein Strauch ver-
barg den Trampelpfad, dem er in leichten Kehren folgte; der di-
rekte Aufstieg forderte zu viel Kraft. Früher wäre er den Hügel
im Laufschritt mit schwerem Gepäck hinauf gehetzt, aber auch
seine Kondition hatte nachgelassen. Kurz vor dem Gipfel wand-
Gwalter, pixabay.com
50
te er seinen Schritt nach rechts, eiliger jetzt, denn er hatte das
leichte Knurren von Losa gehört.
Sie wartete am Eingang des Depots, die Ohren wachsam auf-
gestellt. Er ging auf sie zu und tätschelte ihren Kopf. »Was ist
denn, mein Mädchen? Stimmt etwas nicht?«
Er schaltete die Lampe aus und horchte in die Dunkelheit,
vernahm nur die Laute des Waldes. »Such, Losa«, wies er die
Schäferhündin leise an.
Sie lief in den Wald, folgte einer Spur den Hügel hinauf, die
er nicht sah. Er pfiff kurz und sie kehrte zu ihm zurück. »Gleich
gehen wir dort hinauf und dann zeigst du mir den Weg.«
Die Taschenlampe flammte auf kleinster Stufe wieder auf und
in ihrem schwachen Schein überprüfte er den Waldboden, fand
nur frische Spuren von Wildschweinen. Trotzdem sah er sich
noch einmal um, bevor er die mit Farn bewachsene Bodenklap-
pe des Depots vorsichtig öffnete, die Stütze ausklappte und die
wenigen Stufen hinunterstieg.
Der Strahl seiner Lampe wanderte über mehrere Kisten auf
einem Regal am Ende des Unterstandes. Alle waren verschlos-
sen und wirkten unberührt. Er ging auf einen Tisch an der linken
Seite zu, öffnete die Schublade und hob eine Metallkassette her-
aus. Der Deckel sprang auf, nachdem er den Code am Ziffern-
block eingestellt hatte. Die Unterlagen waren geordnet; er sah
das Kürzel des letzten Kontrolleurs. Nr. 4 führte die Aufsicht
über dieses Depot, das kleinste von allen.
Unter dem Schreibblock befanden sich die beiden Armeepis-
tolen und das Geld, das er vor Jahren nach der Währungsreform
von DM und Franc in Euro umgetauscht hatte. Er legte es zur
Seite und blätterte durch das Codebuch mit dem Natostern. Die
Ziffern und Buchstaben hatten ihre Bedeutung schon vor Jahren
51
verloren, waren nie zum Einsatz gekommen. Er erinnerte sich an
all die Übungen für den Ernstfall, der nie eingetreten war, des-
sen vage Möglichkeit jedoch sein ganzes Leben überschattet
hatte. Nun musste alles ein Ende haben.
Er legte das Buch zurück, verschloss die Kassette und kon-
trollierte die Kisten. Dynamit, Sprengkapseln, Zündschnüre,
Batterien, Drähte, Quecksilberschalter. Sogar die Metallwäsche-
klammern lagen noch am Platz, wie er erleichtert feststellte.
Nein, dieses Waffenlager war unentdeckt und hier würde er in
den nächsten Tagen mit dem Aufräumen beginnen.
Er verließ den kleinen Unterstand, legte die Bodenklappe auf,
tarnte die Ränder mit Laub.
Losa wartete geduldig, doch ihr leises Winseln ließ ihn wie-
der aufmerken. Sie war ein erstklassiger Spürhund, selbst auf
ihre alten Tage. Eine Witterung von Nr. 4 hätte sie nicht anschla-
gen lassen.
Er nickte ihr zu. »Nun zeig mir den Weg!«
Sofort sprang sie auf, nahm die Spur durch das Unterholz des
Waldes auf.
Langsam folgte er ihr, bemerkte den Richtungswechsel nach
Westen. Auf diesem Weg würden sie den Wald bald wieder ver-
lassen, über die Wiesen nach Orscholz gelangen. Dort lag ein
weiteres Depot versteckt und noch nicht einmal Nr. 3 kannte sei-
ne Lage. Kein Mitglied seines Kommandos kannte alle Unter-
stände; eine Sicherungsmaßnahme für den Fall, dass der Feind
sie angreifen würde.
Losa hatte den Waldrand fast erreicht, als er einen weiteren
Lichtpunkt sah. Wer trieb sich hier mitten in der Nacht herum?
Er löschte seine Lampe sofort. Waren die Jäger schon so früh
unterwegs? Nein, die kamen zu dieser Jahreszeit nicht vor 5 Uhr
52
am Morgen. Und das Leuchten schien ihm statisch, etwa einein-
halb Meter über dem Waldboden. Langsam und vorsichtig nä-
herte er sich, versuchte, zu Losa aufzuschließen.
Der Geruch stieg ihm plötzlich in die Nase; dieser Gestank,
den er nie wieder riechen wollte. Ätzend und unverwechselbar.
Sie mussten sofort hier weg!
Er pfiff nach Losa, nun jegliche Deckung aufgebend. Sah sie
im plötzlichen Lichtblitz auf ihn zu laufen, dachte an Marie, die
nicht schön träumen würde.
Dann traf ihn die Druckwelle der Explosion mit aller Wucht,
löschte seine Gedanken aus.
...
53
Marlian Wall: Bombenleger
Kriminalroman
Ein Bombenanschlag tötet einen Spaziergänger am Kewels-
berg. Während die Polizei zunächst von einem zufälligen Opfer
in einem Krieg der Jäger gegen die Umweltschützer ausgeht,
verfolgt das Team um Theodora und Falk auch die Spur eines
Geheimkrieges, der vor vielen Jahren begann. Ein zweiter An-
schlag bringt den jungen Polizisten Tim 'Viggi' Feldmann bei
seinen Ermittlungen in höchste Gefahr.
Erscheinungsdatum: 15.1.2015
Auf Amazon und als Ebook
Marlian Wall hat in verschiedenen Bereichen gearbeitet, be-
vor das Schreiben zur Leidenschaft wurde. Bombenleger ist
nach ‚Schwesternmorde‘ der zweite Fall des Teams um Theodo-
ra und Falk, Gloria und Viggi.
54
Es geschah an einem Dienstag im Mai. An diesem milden,
sonnigen Tag sollte mein Alltag mal wieder um eine Facette be-
reichert werden. Ich war dazu auserkoren, einem lieben weibli-
chen Mitmenschen…die Haare zu färben!
Nun war es ja schon länger mein Wunsch, ihr mal gründlich
den Kopf zu waschen, aber färben? Mit Männerhänden einem
weiblichen Wesen Farbe in die Haare massieren? Bei dem Ge-
danken lief mein Gehirn zur Höchstform auf. Was würde sie
später beim Blick in den Spiegel sehen. Würde sie sich noch er-
kennen? Hätte sie etwa danach farblich eine gewisse Ähnlich-
keit mit einer südamerikanischen Papageienart? Mit welcher Re-
aktion müsste ich rechnen? Reichte meine Sportlichkeit, um
mich geschickt wegzuducken, wenn sie mir eine ihrer schönen
Tonskulpturen nachwarf, die sie einst mit viel Liebe angefertigt
hatte? Wie weit ist es bis zur Haustür, um schnell verschwinden
zu können?
Eine Menge Fragen die sich mir in diesem Moment aufdräng-
ten. Na ja, ich hatte in ihrem Hause ja schon das eine oder ande-
re hingekriegt, aber jetzt stand die Reifeprüfung an. Eine neue
Herausforderung, die jetzt auf mich zukam. Und mutig ließ ich
mich auf das Wagnis ein.
Bei mildem Sonnenschein wurde im Garten auf einem Tisch
alles Nötige aufgestellt. Dann streifte ich mir Plastikhandschuhe
über und bereitetete mich auf das Experiment vor. Ihre etwas
misstrauischen Blicke galt es auszuhalten und dann ging man
zügig ans Werk. „Knie dich vor mich!“ lautete genüsslich meine
Ein Dienstag im Mai Werner Thöne
55
erste Anweisung. Nein, nein, nein, nicht das, was ihr womöglich
denkt und ich mir vielleicht wünschte, sollte jetzt kommen, son-
dern ich musste ja bequem ihren Kopf in Händen halten, um für
sie und auch für mich in möglichst bequemer Position das Haar-
färbemittel einmassieren zu können. Erst zaghaft, dann immer
kräftiger knetete ich die Paste ein und achtetete natürlich darauf,
ihr nicht weh zu tun oder dass von dem Mittel etwas auf die üb-
rigen Hautflächen gelangte.
Während des ganzen Prozedere machte es mir immer mehr
Spaß, ihren kleinen zarten Kopf zu massieren und nach ihren
Anweisungen hier und da noch etwas Paste aufzutragen. Dabei
hatte ich das Gefühl als würde ihr Kopf permanent schrumpfen.
Nach getaner Arbeit zog ich schweißgebadet wie ein Chirurg
nach einer schwierigen Operation, die dünnen, mit Haarfarbe
bemusterten Latex-Handschuhe aus. Wenn die Haare nachher so
ausschauten wie die Handschuhe... ich wagte nicht weiterzuden-
ken.
Nach einer halben Stunde Einwirkzeit ging sie ins Bad um
sich die Haare gründlich auszuwaschen.
Mir wurde dann doch ein wenig mulmig. Sollte ich mich mor-
gen vorsichtshalber krank melden, den Tag im Bett verbringen,
das Handy ausschalten und keine Pressenachrichten hören? Am
anderen Tag dann der erlösende Anruf. Sie war mit dem Ergeb-
nis zufrieden. Die Floskel „Alles im grünen Bereich“ wäre an
dieser Stelle unpassend. Ihre Zufriedenheit ersparte mir glatt ei-
nen Migräneanfall. Ich musste den Tag nicht im Bett verbringen
und schmunzelnd schaute ich auf meine Hände.
56
Das Bäumchen da, es war sehr schön,
tat geschmückt, in ‘ner Kapelle steh‘n.
Ich hab’s bewundernd angeseh‘n,
konnt‘ nicht grad‘ so vorüber geh‘n.
Drum geb‘ ich zu, ich hab’s geklaut,
damit auch ihr den Christbaum schaut.
Das Weihnachtsbäumchen Hans-Joachim Grötschel
Lanur, pixabay.com
57
Ich denke grad‘, mein lieber Alter,
dir fehlt ein Nachttisch-Brillenhalter.
Ach, wär‘ so ein Brillenhalter fein,
denn ich schlaf‘ öfters mit der Brille ein;
Des Morgens ist sie dann verschmiert,
wenn ich durchschau, bin leicht irritiert.
Ob sich der Nebel lichten mag?
Hauptsache, es wird ein schöner Tag!
Selbstgespräch Hans-Joachim Grötschel
58
Im Lied „Treu sein, das kann ich nicht!“
dabei man nicht die Wahrheit spricht.
Die Lieb‘, das Leben ist so wunderschön
und ihr wollt wissen wie ‘s tut gehen.
Mein liebstes Hobby sind die Frauen,
ich tu‘ so gern‘ nach ihnen schauen.
Und lächeln sie mir lieb zurück,
werd‘ ich zum Giacomo im Glück.
Ein Casanova bin ich dann,
die Frauen sind in meinem Bann.
Ich nehm‘ sie gerne in den Arm,
dann wird es mir ums Herz so warm.
Ihr glaubt mir nicht, wie ich mich freu‘,
bin einer Jeden, einzeln treu!
Ich bin treu Hans-Joachim Grötschel
59
Oma Lotte, 78 wird angerufen:
…
»Hier ist der Glücksbote von MMS.
Halli, Hallo, ich habe eine freudige Nachricht für Sie, sie ha-
ben gewonnen und dazu darf ich sie erst einmal herzlich be-
glückwünschen und noch alles Gute zum Geburtstag und ein
langes Leben wünschen.«
»Guter Mann, ich danke für die guten Wünsche, aber für
mich ist das, da wir uns nicht kennen nur Larifari, wenn ich nun
schon mal gewonnen habe, will ich auch wissen was mein Preis
ist.«
»Liebe Frau, das wird erst am Wochenende ausgelost. Jeden-
falls sind sie bei den letzten fünf Gewinnern.«
»Toll, und was kann ich gewinnen?«
»Ja sehen sie, der 1. Preis ist ein Goldbarren oder 90.000 €.
Hätten sie lieber den Goldbarren oder das Geld?«
Oma Lotte pfiffig: »Natürlich den Goldbarren!«
»Nun, der 2. Preis ist ein Auto oder 45.000 €.«
Oma Lotte eifrig: »Natürlich das Auto!«
»Aber gnädige Frau, haben sie denn noch einen gültigen Füh-
rerschein?«
Oma Lotte leicht gereizt: »Das geht sie doch einen feuchten
Kehricht an!«
»Oh, Entschuldigung, natürlich haben sie recht, also der 3.
Preis wäre ein TV-Gerät oder 1.000 €.«
Hopp und Topp Hans-Joachim Grötschel
60
»Dann das Fernsehgerät!«, sagte Oma Lotte schnell.
»Okay, der 4. Preis wäre ein ganz modernes Handy oder
500€«, sagte der Glücksbote in der Hoffnung, dass Oma Lotte
vor der modernen Technik zurückschrecke.
Doch Oma Lotte antwortete wie aus der Pistole geschossen:
»Dann wünsche ich mir das Handy um mit meiner Enkelin zu
telefonieren«
»Womit wir dann beim 5. Preis wären, es geht um einen
Geldpreis in Höhe von 200 €. Wohin dürfen wir Ihnen das Geld
überweisen?«
»Guter Mann, sie haben mich im Telefonbuch gefunden, dann
wissen sie auch meine Adresse. Jetzt dürfen sie wählen, entwe-
der schicken sie mir einen Verrechnungsscheck oder sie können
sich den Preis sonst wohin stecken!
Tschüss!«
Susanna Bur
62
Er liebte es ,wenn es nieselte.
Dieser feine Regen, der durch und durch ging.
Dann ging er hinaus und wurde eins mit der grauen Natur.
Grau war auch seine Lieblingsfarbe. Es war nicht schwarz, es war
nicht weiß.
Grau war immer richtig. Es war nicht JA, es war nicht NEIN.
Das passt immer, da legt man sich nicht fest.
Da schwimmt man mit, da eckt man nicht an.
Sie war ganz anders. Sie war blau, sie war gelb, sie war grün, sie war
rot.
Sie eckte an, sie vertrat ihre Meinung.
Sie hatte Blessuren, sie war ohne Kompromisse.
Es schüttelte ihn, so wollte er nicht sein.
Warum bist du nicht grau, fragte er sie.
Warum bist du nicht glücklich, fragte sie ihn kess.
Sein Grau war lau, es bot ihm Schutz.
Und das Leben gab ihm recht, denn er überlebte sie.
Das war schade, denn insgeheim hatte er sie bewundert.
Das Grau Barbara Wehlen-Leibrock
63
Doch er traute sich nicht, etwas zu ändern.
So blieb er bei seinem Grau, bis es eines Tages im Grau der anderen
verlief.
Aber das fiel niemandem auf.
Cafepampas, pixabay.com
64
Ja, das 'o' schreibt man wirklich ohne 'h', einfach nur 'o', es ist
das kürzeste Wort in der Deutschen Sprache.
Darüber machten wir uns damals keine Gedanken, an Heilig-
abend 1968. Wir Kinder aus der Nachbarschaft überlegten uns
vielmehr, wie wir es unseren Eltern beibiegen konnten, dass wir
uns unbedingt abends noch treffen wollten. War gar nicht so ein-
fach, in unserer Clique waren 12-16jährige, und die hatten an
Heiligabend gefälligst zu Hause zu sein.
Ein plausibler Grund musste her und war auch schnell gefun-
den: Wir mussten dringend zur Mitternachtsmette! Die Eltern
verstanden das und waren ja so stolz auf unser Vorhaben. Außer-
dem waren wir zu siebt, das war auch ganz und gar ungefährlich
für uns 'Kinder'. Meine jüngere Schwester durfte auch mitgehen.
Endlich war es halb zwölf, nichts wie raus aus dem Familien-
fest, denn draußen lag die schönste Weihnachtswelt im Schnee.
Wir hakten uns unter und stapften singend den Berg hinab Rich-
tung Dorfmitte.
Plötzlich kramte Klaus eine Flasche unter seinem Mantel her-
aus: »Jägermeister, habe ich mitgehen lassen, hat niemand ge-
merkt«.
Die Flasche - es war eine etwas größere - wurde von einem
zum anderen gereicht, wir wollten den Alkohol dringend probie-
ren.
Nach ein paar Schluck waren wir alle sehr 'o, du fröhliche …'.
Für die meisten war es der erste Kontakt mit Alkohol, er wirkte
allzu schnell.
O, du fröhliche … Susanna Bur
65
Jetzt noch den Berg rauf bis zur Kirche, das Gegackere ein-
stellen und brav einen Platz in der ersten Reihe der Empore ein-
nehmen. In Kirchen wird nicht gelacht, schon gar nicht in pro-
testantischen! Aber das hielten wir nicht durch. Selbst die Texte
der Weihnachtslieder brachten uns zum Lachen.
Der ernste Pfarrer Gräber warf uns ab und zu einen bösen
Blick zu. Das ein oder andere spießig ernste Gemeindemitglied
gesellte sich dazu.
Die Noten und Buchstaben der Texte aus den Gesangbüchern
tanzten vor unseren Augen. Die sich ewig hinziehende Predigt
des Pfarrers wurde mit geflüsterten Kommentaren etwas lustiger
gestaltet, worüber wir wieder lachten.
Was konnte ein Besuch in der Kirche lustig sein!
Rausgeworfen hat uns niemand, aber all die bösen Blicke, als
Erwin Altmeier
66
wir die Kirche verließen. War uns aber alles egal, wir gingen
wieder fröhlich singend durch den Schnee nach Hause.
Jedenfalls versuchten wir es. War gar nicht so einfach, denn
die Jägermeisterflasche musste dringend ganz geleert werden.
Der Heimweg wurde lang und länger, unterbrochen durch
Schneeballschlachten und immer wieder dem Gesang von Weih-
nachtsliedern, deren Texte wir nach Lust und Laune veränder-
ten.
Was hatten wir für einen Spaß!
„Advent, Advent, ein Lichtlein brennt.
Dann eins, dann zwei, dann drei, dann vier
Und wenn das fünfte Kerzlein brennt, dann hast du Weih-
nachten verpennt.“
Als meine Schwester und ich an unserer Haustür klingelten,
öffnete uns Oma - bereits im Nachthemd. Sie war leicht sauer
und schimpfte mit uns.
Ob das wohl morgen Ärger gibt?
Die Strafe ereilte mich am nächsten Tag von ganz alleine:
Was war mir übel!
67
Der Orangenkrieg
wie aus einer Mücke ein Elefant wird
Satire
Susanna Bur
ISBN 978-3-944306-08-7
Seitenzahl: 96
€ 6,50
Auch als E-Book für 1€ erhältlich
Was passiert, wenn sich ein Ehepaar scheiden lassen will. Nur so, aus Spaß, weil es ihnen wie ein Abenteuer erscheint, eine Abwechslung in ihrem Ehealltag bedeutet.
Während Olivia und Lukas verliebt wie eh und je diesen Schritt geplant in Angriff neh-men und so gar keine Probleme damit haben, lösen sie in ihrem sozialen Umfeld, ja sogar in der halben Welt ein Chaos aus.
Der Grund dafür sind ihre 16 Orangenbäumchen, die sie selbst gezogen haben aus ei-ner wohl nicht ganz ungefährlichen Orange aus Málaga.
68
[1] Nini
Im Wald, da sind die Schweine,
’s gibt große und ’s gibt kleine,
Als wir 1984 in das große, alte Haus mit den hohen Decken
zogen, war ich schon eine ganze Weile elf. Eigentlich war ich
also schon halb zwölf. Ich war eine ganze Menge halb, wenn ich
mir´s recht überlegte. Also war ich in dem Sinn eine ganze Men-
ge Halbes und noch nichts Ganzes. Zum Beispiel war ich halb
Türkin, halb Deutsche.
Das war die Schuld meines Vaters, der ganz Türke war. Gut,
genaugenommen war es auch die Schuld meiner Mutter, die ih-
res Zeichens ganz Deutsche war. Aber das fiel nicht so stark ins
Gewicht, da ich die Deutsche Hälfte an mir lieber mochte, weil
sie nicht so laut, gefühlvoll und einfach weniger auffällig war.
Meinen Bruder mochte ich nicht so.
Manchmal dachte ich, das wäre, weil er auch das Vorrecht
hatte, ein richtiger Deutscher zu sein. Er hieß Thomas, war
schlaksig, dreizehn und blond wie ein Engel und mein Papa war
nicht seiner. Meine Mutter sagte, ich solle nicht traurig sein dar-
über, dass ich türkisches Blut habe, denn auf so einen Papa, wie
Thomas ihn hat oder eigentlich niemals hatte, müsse man nicht
neidisch sein. Das Einzige, was er gut könne, sei sich vom
Acker machen, wenn es brenzlig würde. So einen könne sie echt
nicht mehr gebrauchen, da kriege sie Plaque, meinte sie immer,
Im Wald, da sind die Schweine Tina Krauss
69
während sie mir einen Kuss auf die Stirn gab. Ich dachte, meine
Mutter wüsste, dass ich dann und wann unter meinem Halb-Sein
litt und ab und zu unter meinem Halb-Bruder ganz besonders.
»Na, wie geht´s denn unserem kleinen Äffchen heute?«, fragte
er oft am Frühstückstisch und zog mich an meinen schwarzen
Haaren. Nicht so doll zwar, aber fest genug, dass ich mich ärger-
te und meine Mutter ihm einen abschätzigen Blick zuwarf, der
ihn verstummen ließ. Trotzdem sah er mich dann immer so selt-
sam an. Meine Mutter jedenfalls machte außer mir normaler-
weise keine halben Sachen. So hatte sie meinen Vater Kerim ge-
heiratet und war bei dieser Gelegenheit gleich zum Islam über-
getreten, was man daran erkennen konnte, dass sie seitdem tat-
sächlich ein Kopftuch trug. Ich sagte es bereits, sie machte keine
halben Sachen.
Draußen auf dem großen Platz spielten ein paar Kinder. Zwei
Mädchen schlugen ein Seil und eines mit langen blonden Zöp-
fen sprang darüber. Das machte sie gar nicht so übel. Jedenfalls
war sie bisher nicht hängengeblieben. Die Fensterscheibe war
etwas blind vor Dreck, man konnte darauf schreiben. Mein Fin-
ger zogen ein N, I, N, I, V, schließlich ein E. Als meine Mutter
mit einem Umzugskarton ins Zimmer schneite, wischte ich
schnell mit dem Handrücken über die Buchstaben.
»Ach, die muss ich bald mal putzen! Aber nicht heute und so
wie es aussieht auch nicht morgen.«, sagte sie während sie einen
Karton auf die alten Holzdielen knallte.
»Würden wir nicht so oft umziehen, hättest du mehr Zeit zum
Putzen!«
»Mir ist klar, dass es für dich nicht leicht ist. Aber denk doch
mal, hier hat Papa einen guten Job. Und du weißt, seit dieser
70
dummen Geschichte mit dem Führerschein, ist es wichtig, dass
er mit dem Bus dorthin kommt!«
»Ja, ja schon klar, es ist ja alles wichtig, nur ich nicht!«
»Ach, Nini!«, sagte sie nur und sie hatte dabei einen so trauri-
gen Klang in der Stimme und fuhr sich so müde über die Stirn,
dass mir das Gesagte gleich leid tat. Dennoch drehte ich mich
einfach um und hörte nur, wie sie die Tür zuzog.
Rebecca Brill
71
[2] Lutz
’s gibt dicke und ’s gibt dünne.
Sie gründeln in der Rinne ...
Da saßen wir nun in der Herbstsonne und alles brummte und
summte. Alle wuselten um mich rum, nur ich, ich konnte nicht
und ich mochte nicht, denn mir tat auf Deutsch gesagt der Arsch
weh. Aber das war ja nix Neues.
Neulich hatte die Frau Hantel mich nach der Stunde gefragt:
»Sag mal Lutz, wo holst Du dir denn immer diese blauen Fle-
cke?« Da hatte ich gesagt: »Ach Frau Hantel. Das kommt vom
Ringen, da geh‘ ich doch immer mit meinem Cousin hin. Das
macht Spaß!« Und ich hatte dabei so toll gegrinst wie es nur
ging mit meiner geschwollenen Backe. »Na sieht aber so aus,
als ob du noch üben musst«, hatte sie gemeint und mir liebevoll
über den Kopf gestreichelt. »Versprochen!« In diesem Moment
hätte ich ihr am liebsten alles gesagt. Es tat so gut, wie sie mir
die Hand auflegte. Doch, was hätte sie getan? Und was, wenn
sie mich dann von Leon trennen würden? Nein, dann ertrag ich
das lieber weiter. Ich musste auch an Mama denken.
Sehnsüchtig beobachtete ich Leon. Ich war etwas neidisch auf
ihn. Wie er immer wieder den roten Eimer mit Sand füllte und
auskippte, als ob es nichts um ihn gäbe. Als sei dies sein Sand-
kastenuniversum und selbst ich käme dort nicht mehr hinein.
Niemand täte das, der älter als fünf ist. Es sei denn er stellte
Asyl und Grund genug hätte ich ja. Es war ihm gelungen eine
beachtliche Sandburg aufzutürmen.
»Toll gemacht!«, lobte ich ihn, und er strahlte über sein paus-
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bäckiges Kindergesicht. Leon bedeutet 'Löwe' und natürlich sind
Löwen auch gute Kämpfer. Mein Bruder machte seinem Namen
alle Ehre. Er kämpfte für sein Sandreich und strich mit Eifer die
Seitenwände seiner Burg glatt. Ich half ihm dabei, wie ein gro-
ßer Bruder hilft, was Leon nicht wusste: Am liebsten wäre ich in
seine Sandburg eingezogen, hätte eine Sandprinzessin geheiratet
und alles wäre gut. Leider wäre mein Asyl sicherlich abgelehnt
worden. Es gab keines für Kinder über fünf, denn dann fängt es
an. Oder konnte man sich dann nur daran erinnern.
Versonnen spielte ich das Spiel, das ich immer spielte, - ich
mache mich unsichtbar: »Ich bin die Strahlen der Sonne - fass
mich nicht an. Ich bin der Wind den niemand fangen kann. Ich
bin das Rascheln der Blätter, hab die Augen zu, flieg durch die
Welt und wer dagegen bist du?« Immer wieder sagte ich mir
diesen Zauberspruch, ich versuchte mich zu lösen aus meinem
Körper und rief: »Bitte lieber Gott, schicke mir jemanden, der
mich versteht!«
Aber ich war schlecht in meinem Spiel. Niemand beachtete
mich, niemand sah mich, außer mein Vater! »Aber ich übe wei-
ter Frau Hantel! Versprochen
73
[3] Nini
Sie grunzen und sie schaben.
Sie wälzen sich im Graben.
Mittlerweile hatte ich ein Loch in den Staub der Scheibe ge-
kratzt. Es fühlte sich besonders angenehm an, die Außenwelt zu
beobachten und selbst absolut geschützt zu sein, selbst wenn es
nur von Staub war. Müßig spähte ich zu den Hüpfern hinaus, die
sich endlich abgewechselt hatten. Ein Mädchen von etwa acht
Jahren im mausgrauen Sommerkleid sprang. Nicht nur der Wind
machte ihr Unterfangen fast unmöglich, er blies das unpassende
Kleidungsstück, wohin es ihm gefiel. Auch ihre Beine schienen
ihr nicht wirklich zu gehorchen.
Da sah ich ihn unter der großen Eiche, deren Blätter schon
begannen sich herbstlich zu färben, obgleich die Sonne unbeein-
druckt brüllend heiß vom Himmel schien. Unscheinbar war er,
dunkelblondes, zipfeliges Haar auf denen die Sonne schimmerte
und der Wind spielte. Die Haare harmonierten gut mit seiner ge-
bräunten Haut und dem hellen, ärmellosen Hemd. Ich sah den
Jungen, der etwas älter als ich zu sein schien, nur von hinten.
Und doch; etwas in sagte mir, dass sich unser beider Schicksale
verflechten würden. Sei es für einen Sommer oder für ein gan-
zes Leben. Wer wusste das schon? In dem Moment, als ich mich
näher an die Scheibe drückte, beugte er sich vor und steckte ein
Zweiglein sehr sorgfältig in eine Sandburg. Das Kleinkind in
meinem Augenwinkel war nur schemenhaft zu erkennen und ich
beschloss meinen Beobachtungsposten zu verlassen.
...
74
Im Wald, da sind die Schweine
Jugendroman
Tina Kraus
ISBN 978-3-944306-16-2
www.bur-verlag.de
Auch als E-Book Erscheinungstermin: 15. Januar 2015
Wenn es Lutz schlecht geht, spielt er sein Spiel, das ihn unsichtbar macht. Hätte er nicht seinen kleinen Bruder, wäre er schon längst abgehauen. Denn wenn sein Vater betrunken ist, dann schlägt er Lutz brutal. Das allerdings darf niemand erfahren, selbst Nini nicht, in die er sich Hals über Kopf verliebt. Und als ob Lutz nicht schon genug Probleme hätte, muss er bald herausfinden: Warum faselt der Gärtner ,Jupp ständig von gefährlichen Schweinen? Und was hat er zu verheimlichen?
http://imwalddasinddieschweine.wordpress.com/
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Barbara Würtz
Malerin, Grafikerin, Autorin,
Kalligrafin
Heike S. Rogg
Autorin
Robert Bruckart
Autor
Marlian Wall
Autor [email protected]
Hans-Joachim Grötschel
Dipl. Des. / Innen- / Architekt AKS
Werner Thöne
Verwaltungsangestellter, Autor
Erwin Altmeier
Fotograf, Autor
www.erwinaltmeier.com
Birgit Burkey
Autorin, Poetin
Susanna Bur
Redakteurin, Autorin, Layout
www.bur-verlag.de
Elin Bell
http://elinbell.wordpress.com
Heinz-Josef Scherer
Dipl.-Soziologe/Systemischer
Therapeut und Berater
Autor, Poet
Verzeichnis: Redaktion,
Autorinnen und Autoren
Stefan Weigand
Redaktion, Layout
www.bur-verlag.de
Barbara Wehlen-Leibrock
Rechtsanwältin, Autorin
Tina Krauss
Erzieherin, Autorin
www.imwalddasinddieschweine.
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