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10/1/13 6:05 PM Haydn in Kurdistan — Kolja Reichert — Autor & Journalist Page 1 of 4 http://koljareichert.de/artikel/haydn-in-kurdistan/ Kolja Reichert Autor & Journalist Rezensionen / Reviews Reportagen / Reports Essays & Kommentare / Essays Interviews / Interviews Porträts / Portraits Katalogtexte / Catalogue Texts Kunst / Art Musik / Music Kulturökonomie / Culture Economy Architektur / Architecture Literatur / Literature Reise / Travel Welt am Sonntag Der Tagesspiegel frieze d/e Die Welt Frankfurter Allgemeine Zeitung Süddeutsche Zeitung Katalog der 6. Berlin Biennale Weltkunst monopol vonhundert Zeit Online Spex Haydn in Kurdistan Das Jugendorchester des Irak lernt über das Internet und trifft sich nur einmal im Jahr zum Proben. Jetzt spielt es beim Beethovenfest in Bonn. Ein Werkstattbesuch in Kurdistan Wenn Washaq vor drei Jahren zur Schule ging, rannte er von Haus zu Haus, um kein Ziel für die Scharf- schützen abzugeben. Wenn Tuqa zur Orchesterprobe wollte, verstaute sie ihr Cello so schnell es ging im Taxi, um es vor den Blicken der Nachbarn zu verbergen. Wenn Frand Trompetenstunden wollte, dann blies er seine Übungen vor einer Webcam. Funktionierte das Internet, dauerte es oft einen Tag, bis das Video im schottischen Manchester ankam. "Halte die Trompete aufrecht", schrieb Jonathan Thomson zurück. "Achte auf die Dynamik." In Bagdad gibt es seit dem Krieg keine guten Musiklehrer mehr. Heute testet Washaq auf einem Sofa in der Lobby des Hotel Geneva im nordirakischen Arbil seine fri- schen Deutschkenntnisse. Tuqa navigiert hochkonzentriert durch die Partitur von Beethovens Violinkon-

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Welt am SonntagDer Tagesspiegelfrieze d/eDie WeltFrankfurter Allgemeine ZeitungSüddeutsche ZeitungKatalog der 6. Berlin BiennaleWeltkunstmonopolvonhundertZeit OnlineSpex

Haydn in Kurdistan

Das Ju gend orches ter des Irak lernt über das In ternet und trifft sich nur ein mal imJahr zum Pro ben. Jetzt spielt es beim Beet hoven fest in Bonn. Ein Werk stattbesuchin Kurdistan

Wenn Was haq vor drei Jahren zur Schule ging, rannte er von Haus zu Haus, um kein Ziel für die Scharf-schützen abzugeben.

Wenn Tuqa zur Orches ter probe wollte, verstaute sie ihr Cello so schnell es ging im Taxi, um es vor denBlicken der Nachbarn zu verbergen.

Wenn Frand Trompeten stunden wollte, dann blies er seine Übungen vor einer Webcam. Funktionierte dasInternet, dauerte es oft einen Tag, bis das Video im schottischen Manches ter ankam. "Halte die Trompeteauf recht", schrieb Jonathan Thomson zurück. "Achte auf die Dynamik." In Bagdad gibt es seit dem Kriegkeine guten Musiklehrer mehr.

Heute tes tet Was haq auf einem Sofa in der Lobby des Hotel Geneva im nordirakischen Arbil seine fri-schen Deutschkenntnis se. Tuqa navigiert hoch konzentriert durch die Partitur von Beethovens Violinkon-

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zert in D- Dur. Und der 17jährige Frand sitzt mit seiner Trompete im Ho telzimmer, vor ihm auf der Bett-kante Jonathan, und als Frand eine Partie aus einer Haydn-Sinfonie beendet hat, springt Jonathan auf undgibt Frand five: "Super, das war fantas tisch."

Jonathan Thomson, 26, ist freischaffender Trompeter, das heißt, er spielt heute Dvo?ák in London undmorgen Balkanbeats in Hamburg. Als einer von zwölf Tutoren ist er zum zweiten Mal nach Kurdis tan ge-flogen, um dem Natio nalen Jugendorches ter des Irak unter die Arme zu greifen. Dies mal ist der Anspruchbesonders hoch: Am ers ten Oktober spielt das erst zwei Jahre alte Orches ter, das sich nur einmal im Jahrzum Pro ben treffen kann, beim Beethovenfest in Bonn.

Jedes Jahr wird ein Jugendorches ter aus dem Aus land nach Bonn geflogen und im Orches tercampus derDeutschen Welle auf den Auftritt vor bereitet. Es waren junge Musiker aus Peking da, aus Johannes burgund letztes Jahr aus São Paulo. Doch einen so wahnwitzigen organisatorischen Kraftakt wie dieses Malgab es noch nie. Es treten auf: Ein schottischer Dirigent. George Bush. 43 Musikfanatiker. Ein pensionier-ter Oberstudienrat aus dem Rheinland. Und der Hofkomponist der Queen.

"Das wichtigs te ist die Atmung", erklärt Thomson beim Mittages sen. "Oft sitzen die Bläser nicht aufrechtoder sie pres sen, so dass sie nur einen Teil der Lunge nutzen."

Die Atmung: Damit kämpft wohl jeder Anfänger. Aber wenn der Anfänger aus dem Irak kommt, dann istdas mit der Atmung eine verdammt gute Metapher. Wie soll man auch frei atmen lernen, wenn auf demWeg zur Schule oder zur Probe ein Extremist lau ern kann, der keine Männer mag, die Haydn mögen undkeine Frauen, die Hosen tragen und Klavier spielen kön nen.

Zuhal Sultan war Pianis tin des irakischen Symphonieorches ters und 17 Jahre alt, als sie den Plan fass te,ein eigenes Orches ter zu gründen. Es sollte junge Leute aus allen Teilen des Irak zusammen bringen unddie Gräben zwischen Kurden, Shiiten und Sunniten über winden. Aber wie baut man in einem politisch in-stabilen Land ein Orches ter auf? Das gleicht der Aufgabe, das Land selbst aufzubauen. Und der Zusam-menhang ist mehr als nur symbolisch.

Mohammed Amin Ezzat ist Chef dirigent des Natio nalen Symphonieorches ters in Bagdad. Er hat in denAchtzigern in Rumänien studiert, und wenn er mit blitzenden Augen und Grinsen im Vollbart kulturelleGemeinsamkeiten zwischen dem Ceauces cu- und dem Saddam-Regime feststellt, spricht daraus eine ge-wisse Großzügigkeit gegenüber der Vergangenheit. Tatsächlich muss te Ezzat 2002 ins schwedische Exilgehen. Dort erreichte ihn 2003, nach der US-Invasion im Irak, eine Ein ladung nach Washington.

Ezzat hat einen Ordner mit Zeitungs artikeln und Fotos mitgebracht: Er mit George W. Bush im WeißenHaus, er mit Condo leeza Rice nach einem Konzert. Der US-Präsident wollte wis sen, was man im Irak fürdie Klas sik tun könne. 1200 US-Dollar verdient nun mo natlich jeder Musiker des Symphonieorches ters,in dem auch viele Teilnehmer des Jugendorches ters spielen, darunter Frand, Tuqa und Was haq. Trompe-ter Frand verdient also, gemes sen an der Arbeits zeit, mehr als sein Tu tor Jonathan. Dafür hat er auch dengefähr licheren Job.

Frand spricht auch fast bes ser Englisch als der Besuch aus Deutschland. Warum, verrät sein Simpsons-T-Shirt.

Überhaupt scheinen hier alle gebildet, einigermaßen vermögend und internatio nal orientiert. Armut ist imIrak, der die größten bekannten Ölreserven der Erde hält, nicht so das Pro blem. In der autonomen RegionKurdis tan, die ihrerseits die größten Ölreserven des Irak hält, herrscht sogar relative Stabilität, wes halbdie Pro ben in der kurdischen Hauptstadt Arbil stattfinden, unter den Augen ein geladener Journalis ten. Dieüber 4000 Jahre alte Stadt erlebt einen Bauboom, vor allem türkische Inves toren ziehen Hotels und Büro-

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häuser hoch. Die türkischen und iranischen Angriffe gegen die PKK, nur hundert Kilometer entfernt, sindwährend der Probentage kaum Thema.

Zwei ter Tag im ocker-braunen Konferenzraum des Hotels, die Ventilatoren kreisen, der Beethoven klingtso naja. Ein Dolmetscher übersetzt die Kritik des Dirigen ten ins Arabische, ein anderer ins Kurdische."Ihr müsst Euch immer an der Solovio line orientieren. Die Solis tin in Bonn wird etwas ganz anderes ma-chen." Das steht zu erwarten, denn die Solis tin in Bonn heißt Arabella Stein bacher. Der Solist in Arbilspielt wie ein Aufziehvogel.

Zuhal Sultans Orches terpläne fanden bald das Interes se einer britischen TV-Firma, und als sie die Pres se-mitteilung "Irakische Jugendliche sucht Musiker" verschickte, meldete sich der Schotte Paul MacA lindin."Zuhal erfand für mich die Stelle des musikalischen Direktors", erzählt MacA lindin, der in Köln lebt,amüsiert. Keinen Moment lässt er den Ein druck entstehen, es gin ge ihm primär um Ju gendarbeit oderNächs tenliebe. Er teilt den britischen Sinn für's Absurde, und besonders scheint er es zu lieben, wenn dasAb surde Wirklichkeit wird. Als sein alter Freund Peter Maxwell Davis vom Projekt hörte, ernannte ersich selbst zum "Ehrenkomponis ten in residence". Nach drei Jahren hat Davis endlich ein Stück geliefert,das in Bonn als Zugabe geplant ist. Es heißt "Reel of Spin drift, Sky" und ist Kate und William gewidmet.Davis ist nämlich Hofkomponist der Queen.

Das ungleiche Paar aus einem er grauenden Schotten und einem Teenager aus Bagdad trieb das Projektnun gemeinsam voran. Sultan warb dem irakischen Vizepremier über Twitter eine 50 000 Dollar-Spendeab, MacA lindin gewann die Unter stützung durch das British Council. Auf einen Aufruf im Internet hinbewarben sich 53 irakische Musiker mit Youtube- Videos. Dieses Jahr gingen schon 130 Bewerbungenein. Die meis ten Musiker sind Auto didakten. Aber, so MacA lindin: "Das hier sind die bes ten Musiker desIrak. Sie sind die künftigen Musikleh rer."

Cellist Hus sam Amin Ezzat, der Sohn des Dirigenten in Bag dad, stockt sein Gehalt vom Nationalorches -ter schon jetzt mit Unterricht auf. Er ist 23, er ist schön, er hat Geld, aber er ist un zufrieden. "Ich möchteschwimmen gehen", sagt er. "Aber wir haben in Bagdad kein richtiges Schwimmbad. Ich möchte Mäd-chen treffen, aber die haben zuviel Angst, auf die Straße zu gehen. Ich möchte andere Leute sehen. Ichmöch te neue Sachen lernen, irgend was."

Hus sam heißt Säbel, und kon zentriert wie ein Kämp fer führt er auch den Bogen. Viele spielen hier, alsgälte es etwas zu erobern. Die Musiker wis sen, dass sie mehr verdienen, als das was sie haben, und siesind entschlos sen, es für sich und ihr Land zu holen. Die Tu toren sind beeindruckt über die Geschwindig-keit der Fortschritte.

Nach zwei Wochen in Arbil leben die Musiker bei Bonner Gastfamilien und werden weitere zwei Wochenvon Tutoren des Bundes jugendorches ters betreut. Beim Kon zert, das unter der Schirmherrschaft des Bun-des präsidenten steht, werden sie durch 16 Mitglieder des BJO unterstützt.

In der ers ten Proben woche in Arbil ist aller dings noch gar nicht klar, ob alle aus reisen können. Es fehlenUrlaubs befreiungen des Bildungs minis teriums für die Staats angestellten. Manchen wurde mit Kündigunggedroht. Ein Empfehlungs schreiben des deutschen Generalkonsuls sollte helfen, ging aber auf dem Wegins Minis terium, das auf der gegenüber liegenden Straßenseite liegt, ver schollen. Auftritt Karl-WalterKeppler.

Beige Freizeithose und braun gerin geltes Polohemd fügen sich farbig ins Dekor des Hotels. Keppler, pen-sionierter Englisch- und Geschichts leh rer, hat in Köln den Freundes kreis des National Youth Orches tra ofIraq gegründet. Er hat Spenden gesammelt und eine Orches tertrommel aus Wien geliehen. Nun läuft erüber die staubigen Straßen der kurdischen Hauptstadt, wischt sich den Schweiß von der Stirn und klopft

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an Minis terientüren. Als er endlich mit einer neuen Kopie des Konsulats schreibens im zuständigen Büroangekommen ist, ist das alte Schreiben schon da.

"Hier läuft vieles intuitiv", er klärt Dirigent MacA lindin. "Der Irak besteht aus Sammes kulturen, man kannhier nur mit Emotionen kommu nizieren, mit Augenkontakt." Aber mit Stammes kulturen kennt MacA lin-din sich ja aus: Er dirigiert Orches ter. "Ich erlebe hier nichts, das ich nicht auch schon wo anders erlebthätte."

Zana Jalal Ali und Rezhwan Ahmed Othman aus Sulaimaniyya spielen seit zwei Jahren beim Orches ter.Inzwi schen haben sie geheiratet und das "Kurdis tan String Quartet" gegründet. Es bemüht sich um dieVerbreitung kurdischer Musiktradition und hat auch schon in Wien gespielt. "Wir sind Kurden", stelltZana klar. "Wenn mich jemand einen Iraker nennt, gibt es Streit." Letztes Jahr habe es Probleme mit denarabischen Musikern gegeben. Jetzt lau fe es schon bes ser.

"Die Kurden sind anders, als mir erzählt wurde", sagt Oboist Ahmed aus Bagdad. "Sie sind wirklichcool." Vielleicht ist es nicht schlimmer als wenn ein Schwabe über Sachsen spottet, wenn man in diesenTagen auch Sätze hört wie: "Kur disch ist eine dumme Sprache."

Was aber Kurden und Araber trennt, lässt die Geschichte ahnen, die Geiger Rebaz Sadiq Fathallah ausHalabdscha erzählt. Er war vier Monate alt, als zum Ende des Krieges gegen den Iran 5000 Bewohner sei-ner Stadt in einem Giftgas angriff durch Saddams Truppen starben. Fathallahs Familie gehört zu denen,die rechtzeitig fliehen konnten. "Meine Mutter war kurz davor, mich zurück zu las sen, weil sie zuschwach war." Rebaz ist das Erzählen ein Anliegen, seine Arbeit gegen das Verges sen. "Unter Araberngibt es noch immer Hass auf Kurden", sagt Rebaz. "Ich mache Musik, um den Hass aus meinem Herzenzu spielen."

Querflötist Waleed Ahmed Assi kommt aus der lange unterdrückten kurdischen Grenzstadt Kirkuk, dienoch heute von Arabern für das Kernland beansprucht wird. "Immer wenn ich spiele, kommen schlechteErinnerungen hoch", sagt Waleed. "Im Spielen verwandle ich sie in Musik."

Waleeds Gesicht ist es auch, das noch lange nachstrahlt, hat man ihn ein mal tanzen sehen, auf der Rück-fahrt vom Abendes sen ins Hotel, der Beethoven klang heu te richtig gut, der Bus fahrer dreht das schep-pernde Radio laut, dreißig Hände nehmen den Takt auf, Waleed steht als ers ter, und alle reihen sich ein,Kurden, Araber und zögerlich auch die Tu toren aus Manches ter und New York. Wild schwankend stehtder Bus an einer Ampel, aus den Nachbarautos winken erstaunte Familien, und man bekommt eine Ah-nung davon, was 43 Musikbegeis terte gemein sam erreichen können.

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