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Editorial
Liebe Leserinnen und Leser,
was Ende der 80er Jahre noch etwas Exotisches und Geheimnisvolles war, gehört heute zum Standard. Die Einzelberatung hat eine steile Karriere gemacht. Coaching gibt es heute für alles und jeden und von jedem. Aus der exklusiven Beratung ist ein Massenprodukt geworden. Der Computerfachmann ist heute ein ITCoach, der Sporttrainer FitnessCoach und die Kosmetikerin ein BeautyCoach.
Doch auch das seriöse Coaching hat sich in den Unternehmen etabliert als eine anerkannte Maßnahme der Personalentwicklung, die besser und wirkungsvoller als ein Seminar oder Training auf die aktuellen Probleme eines Mitarbeiters eingehen kann und ihn dabei unterstützt, die notwendigen Kompetenzen aufzubauen. Bei der Landeshauptstadt München ist Coaching ein nachhaltiges Qualifizierungsinstrument, das fest in der Personalentwicklung von Führungskräften verankert ist.
Die Gründe, warum jemand zum Coaching kommt, sind vielfältig. Das kann der Wunsch nach einer Optimierung des Führungsverhaltens sein, die Lösung eines aktuellen Konflikts oder die Vorbereitung auf eine neue Aufgabe. Auch beim Auslandseinsatz kann Coaching dazu beitragen, dass die befristete Entsendung sowohl für den Mitarbeiter als auch für das Unternehmen zum Erfolg wird und der Wiedereinstieg im Heimatland besser gelingt.
Aber Coaching hat auch seine Grenzen. Zwar kann man sein Verhalten in beruflichen Situationen ändern, nicht jedoch grundlegende Persönlichkeitsmerkmale wie die individuelle Motivstruktur. Wer seine Erfüllung in der Bearbeitung von Sachproblemen sieht, wird auf Dauer kaum eine gute Führungskraft werden. Die persönliche Beratung kann helfen, Klarheit über die eigene Motivstruktur zu gewinnen.
Coaching setzt dabei stets auch fundierte psychologische Kenntnisse voraus. Sonst kann es schnell zum Irrweg werden.
Bärbel Schwertfeger, Diplom PsychologinChefredakteurin der „Wirtschaftspsychologie aktuell“
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Inhaltsverzeichnis
Pioniere, Nebenbei-Coachs und Kunsthand werker: Die heterogene Coaching-SzeneW. LoossIst Coaching schon eine Profession? Eine launige Analyse zum Stand des Coachings.
„Denn sie wissen (oft) nicht, was sie tun“: Sechs Thesen zu einer guten Coaching-AusbildungH. Möller, S. Kotte, A. LiebeltDer Markt der CoachingAusbildungen ist mindestens so vielfältig wie der CoachingMarkt selbst. Obwohl verschiedene Verbände Qualitätskriterien definiert haben, ist die Orientierung im Markt noch immer ein anspruchsvolles Unterfangen. Doch an welchen Kriterien lässt sich „gute“ CoachingAusbildung festmachen?
Führung und Persönlichkeit: Wenn Motive und Anforderun-gen auseinanderklaffen J. S. Krug, P. BannierWer ins Coaching kommt, will sich meist verändern. Doch Verhaltensänderungen sind nur sinnvoll, wenn sie zum persönlichen Motivprofil passen.
Mit dem Coachee auf Weltreise: Professionelle Begleitung von Führungskräften K. von Schumann, M. SpörrleCoaching kann dabei helfen, dass ein Auslandseinsatz sowohl für den Mitarbeiter als auch für das Unternehmen zum Erfolg wird und auch der Wiedereinstieg im Heimatland besser gelingt.
Internes Coaching: Die Stadt München baut auf Kompetenz im eigenen HausS. ScholerDie Landeshauptstadt München setzt auf Coaching als nachhaltiges Qualifizierungsinstrument. CoachingAngebote werden gezielt ausgebaut und fest in der Personal entwicklung von Führungs kräften verankert. Dabei setzen die Münchner auf interne Coachs.
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Ist Coaching schon eine Profession? Eine launige Analyse zum Stand des Coa-chings.
Beginnen wir mit einem bekannten Statement des chilenischen Biologen Umberto Maturanas, dass alles, was gesagt wird, von einem Beobachter gesagt wird. Was meinen wir, wenn wir von „Coaching“ sprechen? Eine Population? Eine kollektive Praxis? Eine Sozialtechnologie und ihre Betreiber? Eine Branche im Dienstleistungsbereich? Oft wird das Wort „Szene“ verwendet, um solche Unschärfe und Wandelbarkeit zu signalisieren. Doch auch vom Übergang in eine „Profession“ ist in entsprechenden Fachbeiträgen schon mehrfach die Rede gewesen. Wir behelfen uns einstweilen mit Euphemismen und reden vom „Arbeitsfeld“ Coaching oder von der „Herangehensweise“, die in eine andere, manifest definierte Profession eingebettet ist.
Metaphern helfen nur scheinbar bei der Verständigung. Es wird mehrfach gesagt, die Pionierphase sei nun vorbei. „Coaching“ sei erwachsen geworden oder es befinde sich derzeit im Aufwind, also förderlichen externen Kräften ausgesetzt. Damit wird – immer noch unscharf – eine Art Entwicklungsstadium charakterisiert. Vom „CoachingBoom“ ist oft schon die Rede gewesen, und vor einiger Zeit titelte eine Wirtschaftszeitung gar, dass Coaching nun „salonfähig“ geworden sei. Ob es das wohl vorher nicht war, könnte man da despektierlich fragen.
Pioniere, Nebenbei-Coachs und Kunsthand-werker: Die heterogene Coaching-Szene
W. Looss
Dr. Wolfgang Looss,Diplom-Kaufmann, Aus- und
Fortbildungen in Gestalttherapie, Gruppendynamik, Systemischer
Familientherapie und Organisati-onsberatung und Grandseigneur
der Coaching-Branche [email protected]
Der Blick in die Welt der Quantitäten hilft ebenfalls kaum weiter. Gibt es nun 4000, 20 000 oder gar 40 000 Coachs in diesem Land? Man weiß es einfach nicht. Wie viele „Coachings“ mag es pro Jahr geben? Und wie wären sie zu zählen? Und dennoch ist häufig die Rede vom wachstumsstärksten Personalentwicklungsinstrument, zu dem Coaching mittlerweile geworden sei. Und gefühlt klingt das gar nicht mal falsch. Gleichzeitig nicken alle, wenn jemand sagt, dass die CoachingSzene zersplittert sei. Der Hinweis auf die vielen CoachingVerbände und die vielen CoachingAusbildungsinstitute darf an dieser Stelle nicht fehlen.
Draw a distinction! Einige Segmente des Felds
Der erkenntnistheoretische Schlacht ruf des britischen Mathematikers George SpencerBrown hilft vielleicht auch diesmal etwas weiter. Wenn wir als Beobachter ein wenig näher heranzoomen, können wir Teilbereiche unseres Tuns nach Mustern unterschei
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den. Solch genaueres Hinschauen wird seit einigen Jahren von verschiedenen Personen, Gruppen und Institutionen betrieben. Die CoachingStudien purzeln nur so in das Web und in die Bücherregale, in durchaus unterschiedlicher Qualität, was die methodische Sorgfalt und den Umfang betrifft. An selbstreflexiven Aussagen mit dem Bemühen um Differenzierung fehlt es also nicht. Was können wir ungefähr erkennen? Und wo können wir Grenzlinien ausmachen?
Coaching noch ohne Markt
Da gibt es die niedrigschwellige CoachingPraxis nach dem Motto: „Jeder ist Coach“. So wie Josef Beuys in den 80erJahren jeden zum Künstler deklarierte, so sind auch alle Menschen aufgerufen, sich dem Nächsten beraterisch zuzuwenden, Erfahrungen mitzuteilen und ihr kommunikatives Talent zu üben. Eine solche Einladung zu mehr Austausch, Kontakt und gemeinsamer Wirkung hat ihre sympathischen Anmutungen. Wer wollte etwas dagegen sagen? Weitgehend unbesprochen bleiben in diesem CoachingSegment naturgemäß komplexere Fragen von Bezahlung, Standards, Gefahren oder Wirkungsevaluation. Hier gibt es noch keinen „Markt“.
Aus diesem noch sehr populären und alltäglichen Biotop schälen sich Akteure und Praktiken mit erweitertem und vertieftem Interesse an einem besseren und erfolgreicheren Leben heraus. Der weit gespannte und unübersichtliche Selbsthilfebereich bildet bereits einen Markt mit all seinen Büchern, Heilslehren, Praktiken, Veranstaltungen, Lehrern und Heilern. Er schafft ein Segment, aus dem – in endlos vielen Nuancen und Übergängen – angehende Coachs und als solche auch bezeichnete Coachings entstehen. Menschen werden – indem sie
die Metamorphose vom teilnehmenden Lerner zum weitergebenden Lehrer, vom Klienten zum Behandler, vom Rezipienten zum Anwender durchlaufen – zu beraterisch tätigen Akteuren mit manchmal durchaus ausformulierter Professionalität. Und nicht selten wird diese Entwicklung durch entsprechende Lern und Entwicklungsangebote bereits etablierter Älterer unterstützt, angereichert durch entsprechende Curricula und formulierte Entwicklungspfade. So entstehen gelegentlich durchaus prominente Personen oder Zentren mit hoher Reputation, wenngleich der überwiegende Teil dieses SzeneSegments beraterisch im nebenberuflichen Handlungsmuster verbleibt.
Nebenbei-Coachs mit Insignien
Im Ergebnis finden wir in der CoachingWelt jedenfalls eine erhebliche Population von „Nebenbei“Coachs, die zwar selten und nur sehr wenige Klienten haben, sich aber als der unscharfen Szene durchaus zugehörig fühlen und dies auch mit den entsprechenden Insignien (Website, Visitenkarte, Besuch von Veranstaltungen) manifestieren. Sie sind aus vielerlei Gründen ökonomisch nicht auf ein Einkommen aus ihrer Beratungsarbeit angewiesen und bewegen sich zwischen professionellen Hoffnungen, gelegentlichen Realisierungsschritten, Illusionen und einem komplexen „muddling through“ in einer postmodernen Welt permanenten Netzwerkens. Bei der Frage nach dem Zustand des Arbeitsfelds ist in jedem Einzelfall zu klären, ob und inwieweit solche Akteure und ihre latent bleibende Praxis mitberücksichtigt wird, wenn von „Coaching“ die Rede ist.
Näher am Markt mit seinen geläufigen Spielregeln einer Dienstleistungsgesell
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schaft finden wir dann die große Gruppe jener Coachs, die regelmäßig für Geld arbeiten, ihren Marktauftritt investiv abgesichert haben und sich als einflussnehmende Akteure und Mitgestalter des entstandenen „Berufs“ verstehen. Weil sie in ihrer Arbeit dauerhaft und hinreichend sichtbar sind, werden sie bei CoachingStudien erfasst und bilden damit de ren zentralen Untersuchungsgegenstand. Hier spielen die gängigen Fragen einer Profession „in statu nascendi“ eine Rolle: Methodisches, Honorarhöhe, Arbeitsmenge, Art der Klienten, Marktauftritt, ethische und rechtliche Standards, Vertragsfragen, Verhältnis zu Organisationen, Theorieentwicklung, Kooperation mit Nachbardisziplinen und dergleichen.
Entstehung eines Berufs
Es sind wechselnde Fragen, die in diesem Segment des Arbeitsfelds diskutiert werden, und die Art dieser Fragen kennzeichnet in der Tat so etwas wie einen Entwicklungsverlauf eines womöglich entstehenden Berufs. Bis vor Kurzem war es herrschende Meinung, dass man vom Coaching allein nicht leben kann, ja dass Coaching am besten gar nicht als Beruf zu konfigurieren sei, sondern als Tätigkeit oder Verfahrensweise, die in einen anderen, bereits stärker etablier ten Beruf eingebettet ist. Ganz gleich ob Organisationsberater, Supervisor, Verhaltenstrainer oder gar Manager – die CoachingFunktion erhielt identitätsmäßig gewissermaßen Asyl, und es brauchte lange Diskussionen, ob und wie sich diese „neue“ beraterische Form mit anderen beruflichen Handlungsmustern vertrug. Die Diskussion um den „Vorgesetzten als Coach“ ist dafür das herausragende Beispiel. Inzwischen ist diese Frage weitgehend gegenstandslos geworden. Es
gibt mittlerweile einige, wenn auch wenige Coachs, die nichts anderes (mehr) tun und ausschließlich von ihrer CoachingPraxis leben. Damit aber steht weitere Definitions und Klärungsarbeit bevor, wenn nämlich Coaching eine eigenständige berufliche Identität ausbilden soll.
Mentale Modelle und der Markt
Eine weitere Schlüsselfrage beim Aufbau einer Beruflichkeit ist das Thema der aktiven Marktgestaltung. Dabei zeigen sich unterschiedliche mentale Modelle: Einerseits wird mit Rückgriff auf die langen europäischen Traditionen der „Freien Berufe“ argumentiert, dass eine aktive und direkte Marktbearbeitung für Coachs weder professionsethisch noch rechtlich infrage kommen kann. Andererseits setzt sich langsam ein Denkmuster durch, nach dem Coaching eine „ganz normale“ Dienstleistung für Geschäftskunden sei und Coachs deshalb auch das gesamte Instrumentarium aktiven Dienstleistungsmarketings erlernen und anwenden sollten. Das entspricht eher der angelsächsischen Tradition der „professional service firm“ (Anwälte, Wirtschaftsprüfer, Unternehmensberater), wo Werbung mit entsprechenden Claims der eigenen Leistungsfähigkeit als völlig akzeptabel gilt. Im Moment ist noch unklar, wie sich diese Diskussion weiterentwickelt. Es ist zu vermuten, dass beide Muster für längere Zeit nebeneinander bestehen.
Pioniere und geronnene Ikonen
Die letzte Gruppe, die wir in der CoachingWelt noch ausmachen können, bilden – als Überbleibsel aus der Gründungsphase – die bekannt gewordenen Pioniere des Felds, die einige Zeit als Referenzpunkte und per
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sonale Instanzen gewirkt haben. Für das Entstehen von neuen Arbeitsfeldern sind solche „Einflussführer“ in der Frühphase unerlässlich, später wird ihre Funktion von kollektiv gewordenen Standards, einer allen bekannten „good practice“ und von einem anonymisierten Kodex des „State of the Art“ übernommen. Im CoachingFeld gibt es sie derzeit noch vereinzelt, doch sie verschwinden bereits langsam aus der Wahrnehmung oder gerinnen zu Ikonen.
Schließlich ist auch von Belang, was wir nicht vorfinden. Dazu gehört das fast völlige Ausbleiben organisationaler Zusammenballungen von Coachs in größeren eigenständigen „CoachingUnter neh men“. Anders als bei Anwaltskanzleien, Unternehmensberatungen oder Wirtschaftsprüfern fehlen solche Gebilde (einstweilen) fast völlig. Dies mag damit zusammenhängen, dass die berühmten Skaleneffekte mit Kostendegression beim Coaching zunächst nicht auftreten können, es also keinen nennenswerten Anreiz zu solchen Zusammenschlüssen gibt. Coachs verstehen sich offenbar als Individualisten und lösen die archaische Balance von Freiheit und Bin
dung zunächst einmal ganz überwiegend zugunsten der Freiheitsorientierung. Sie bleiben skeptisch gegenüber den Kontrollmanövern, die mit größeren Verbänden einhergehen würden. Das haben sie mit vielen anderen freien Berufen (Ärzten, Künstlern) gemein, die sich ja auch bestenfalls in kleinen Gruppen (Gemeinschaftspraxis) oder losen Kopplungen (Künstlerkolonie) zusammenfinden.
Was ist an Entwicklung absehbar?
Muster lassen sich einfacher erkennen und ihr Verlauf lässt sich leichter abschätzen, wenn wir eine möglichst grundlegende Betrachtungsebene wählen. Dabei haben sich Berufsarchetypen als geeignet erwiesen, wenn es um ein vertieftes Verständnis jener sich evolutionär herausbildenden Gewohnheiten geht, nach denen sich Berufsgruppen oder ganze Branchen organisieren. Dies gilt besonders, wenn es sich, wie im Fall der noch jungen CoachingSzene, um ein „hybrides“ Konstrukt aus mehreren archetypischen Handlungsmustern handelt. Beratung allgemein und damit auch die CoachingTätigkeit lässt sich – so eine ver
Im Aufwind: Mehrfach heißt es, „Coaching“ sei förderlichen externen Kräften ausgesetzt und erwachsen geworden
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breitete Sicht – als Kunsthandwerk verstehen, also als eine Mischung aus den Tabus und Idealen des Handwerks einerseits und jenen des Künstlertums andererseits. Beide Grundmuster sind ausführlich und klärend beschrieben worden: Richard Sennetts Buch über Handwerk (Sennett, 2008) oder Otto Ranks neu aufgelegter Klassiker über Kunst und Künstler (Rank, 2000) sind den jeweiligen Grundmustern bis in die archetypischen Orientierungen eng auf der Spur.
Für die Zukunftsperspektive hilft solch eine klärende Fokussierung beim Sortieren. Es ist zu vermuten, dass sich die Anlehnung an das eine oder andere Muster unterschiedlich verteilen wird. Wir kennen das aus weiteren HybridBerufen: Kunsthandwerker bilden ein Kontinuum von Schattierungen zwischen ihren Polen. Man denke an disziplinierte Restaurateure einerseits oder kreative Holzbildhauer oder Steinmetze andererseits.
Das Arbeitsfeld Coaching dürfte sich in seinen Erscheinungsformen künftig ebenfalls auf einem solchen Kontinuum verteilen. Die handwerksorientierten Kollektivierungen haben bereits vor eini gen Jahren begonnen. Die Berufsverbände („Zünfte“) haben Standardisierungen („Zunftordnungen“) herausgebracht und wenden Zugehörigkeitskriterien an, um zu regeln, wer mitmachen darf und wer nicht. Demnächst wird wohl Ähnliches für Ausbildungen zu erwarten sein. Dahinter steht das Bestreben, durch Regulation sicherzustellen, dass nicht einige schwarze Schafe oder Scharlatane bei den Abnehmern das Vertrauen in die noch junge Dienstleistung beschädigen. Die zahlreichen Methodenbücher haben ihre Wurzel ebenfalls in dieser Orientierung, entsteht aus ihnen doch ein Kanon von „guten“ oder „richtigen“ Ver
fahrensweisen, lehr und lernbar, erprobt und überprüfbar.
Ganz anders werden sich jene Teile des Felds orientieren, die stärker zum archetypischen Ideal des Künstlers tendieren. Ihnen ist zu viel Regulierung eher suspekt, einen Methodenkanon nach dem Motto „wie es richtig gemacht wird“ halten sie für ungenügend, illusionär und gefährlich. Ihr beraterisches Handeln folgt dem Primat der momentanen, individuellen, krea tiven Entäußerung, situationsgebunden und unwiederholbar. Interventionen sind im Extrem nicht etwas, was man „macht“, sondern was man als Beratungsperson mittels der viel beschworenen Präsenz „ist“. Diese beiden Schattierungen werden ihre Arbeitsformen weiterentwickeln und dürften uns im CoachingBereich noch lang erhalten bleiben.
Mögliche Konsequenzen für Prak tiker: Professionelle Identität klären
Wenn Sie davon ausgehen, dass Sie als Coach in einem Feld arbeiten, das sich gleich sam im jungen Erwachsenenalter befindet, bei professionellen Beobachtern
Um sich der Coach-Szene zugehörig zu fühlen, ist auch ein virtuelles Netzwerken gefordert
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auf dem Schirm ist und nun für das eigene Handeln als Kollektiv auch in Verantwortung genommen wird, dann können Sie daraus einige Hinweise für die eigene Weiterentwicklung ableiten. Zunächst hätten Sie sicherzustellen, dass Ihre „professionelle“ Identität geklärt und mit Ihnen als Person und der von Ihnen gewählten Zielgruppe kompatibel ist. Sie hätten zu entscheiden, ob Sie Standards aus sich selbst heraus und/oder von Kollektiven beziehen, bei denen Sie sich zu Hause fühlen. Weiterhin hätten Sie sicherzustellen, dass Ihre Inszenierung am Markt diese geklärten Haltungen ausdrückt und vermittelt. Wie sehen Ihre Praxisräume aus und warum so? Arbeiten Sie in einer Werkstatt (Geräte, Werkzeuge), einem Büro („Besprechungsecke“), bei sich zu Hause (gemütlich) oder vielleicht in einem Atelier (Ausdruck meines Selbst)? Welche Rolle spielen Formalien in Ihrer Arbeit? Was erzählt Ihre Arbeitskleidung über Ihr Verhältnis zum eigenen Handeln? Arbeiten Sie aus dem inneren Zustand eines exklusivsingulären „Ich“ oder als Teil eines bereits entstandenen und gewählten professionellen „Wir“? Sind Sie als Coach eher wiederherstellend und im weitesten Sinne Ordnung stiftend unterwegs oder liegt Ihnen daran, die Welt aufzumischen, Perspektiven zu erweitern und Innovationen durch den Aufbruch ins Ungewisse zu fördern? Solche individuellen selbst gewählten Muster sind ab sofort nicht mehr Ihre Privatsache allein, sie tragen – gewollt oder nicht – damit zum Erscheinungsbild einer mittlerweile entstandenen Profession bei, dessen Wirkung Sie mitverantworten.
Weiterführende Literatur
Kotler, P. (2010). Grundlagen des Marketing (5. Auflage). München: Pearson Studium.
Michael S. & Gross, P.-P. (2011). Organisa-tion und Marketing von Coaching: Aktuel-ler Stand in Forschung und Praxis. Wiesbaden: VS.
Rank, O. (2000). Kunst und Künstler: Stu-dien zur Genese und Entwicklung des Schaffensdranges (Erstveröffentlichung des deutschen Urmanuskripts von 1932, herausgegeben von Hans Jürgen Wirth). Gießen: Psychosozial.
Sennett, R. (2008). Handwerk. Berlin: Berlin Verlag.
Wegener, R. H., Fritze, A. & Loebbert, M. (2011). Coaching entwickeln: Forschung und Praxis im Dialog. Wiesbaden: VS.
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Der Markt der Coaching-Ausbildungen ist mindestens so vielfältig wie der Coa-ching-Markt selbst. Obwohl verschiede-ne Verbände Qualitätskriterien definiert haben, ist die Orientierung im Markt noch immer ein anspruchsvolles Unter-fangen. Doch an welchen Kriterien lässt sich „gute“ Coaching-Ausbildung festma-chen?
Der Markt an Coaching und anderen BeraterAusbildungen ist in den vergangenen Jahren stark angewachsen, diversifiziert sich weiter und bleibt schwer überschaubar. Die Datenbank von Christopher Rauen umfasst aktuell allein im deutschsprachigen Raum rund 300 CoachingAusbildungen. Obwohl es inzwischen Bemühungen um Qualitätsstandards sowie verschiedene im Internet zugängliche Orientierungshilfen gibt, gilt auch weiterhin das Fazit von Böning und Fritschle (2005): „Trotz einiger recht gut vorstrukturierender Artikel und Websites muss jemand, der eine CoachingAusbildung sucht, am besten selbst über ein gewisses Maß an Vorkenntnissen über Coaching verfügen. Man muss viel über Coaching wissen, bevor man Coaching lernen kann (…) Thematisch und inhaltlich wird fast alles geboten. Komplettausbildung oder Vertiefung einzelner Methoden. Strukturiert oder unstrukturiert. Klinisch ausgerichtet oder nichtklinisch ausgerichtet. Methodenpluralistisch oder me
„Denn sie wissen (oft) nicht, was sie tun“: Sechs Thesen zu einer guten Coaching- Ausbildung
H. Möller, S. Kotte, A. Liebelt
thodensingulär. In Bausteinen und lose verknüpft oder in Form von systematischen Curricula. Wertorientiert oder pragmatisch (…) Die Szene der CoachingAusbilder ist mindestens so bunt wie die CoachingSzene selbst.“ Vor diesem Hintergrund
Andreas Liebelt,Diplom-Psychologe,
Supervisor DGSv/BDP, Mensch & Arbeit Consulting,
Münster [email protected]
Silja Kotte,Diplom-Psychologin,
Supervisorin DGSv, wissenschaftliche Mitarbeiterin
am Lehrstuhl für Theorie und Methodik der Beratung,
Universität Kassel [email protected]
Dr. Heidi Möller,Diplom-Psychologin,
Professorin für Theorie und Methodik der Beratung an der
Universität Kassel und Coach [email protected]
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werden im Folgenden sechs Thesen für eine gute CoachingAusbildung diskutiert und begründet.
These 1: Eine gute CoachingAusbildung muss ein stimmiges TheoriePraxisKonzept vorweisen, das eine Verbindung von den zugrunde liegenden Annahmen bis zum konkreten beraterischen Handeln schafft und angekoppelt ist an aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse.
Schreyögg (2009) hat mit der „Wissensstruktur des Coachings“ vier verschiedene Ebenen differenziert, die im Coaching berücksichtigt und im Rahmen von CoachingAusbildungen expliziert und in einen schlüssigen Gesamtzusammenhang gestellt werden müssen. Dies ist erstens die metatheoretische Ebene, die erkenntnistheoretische und anthropologische Grundannahmen der Ausbildung beinhaltet. An zweiter Stelle folgt die theoretische Ebene, die auf der Grundlage unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen Aussagen sowohl über individuelle, interaktionistische als auch organisationale Phänomene trifft. Daran schließt sich die methodologische Ebene mit Aussagen zum Beispiel zur Erarbeitung von Zielen, zum Interaktionsstil
an. Und letztlich gibt es noch die praxeologische Ebene, die konkrete Methoden umfasst – von der Gesprächsführung über erlebnisaktivierende Methoden bis zur Medienunterstützung. Eine gute CoachingAusbildung muss ihre Wissensstruktur auf allen vier Ebenen verdeutlichen und in einen sinnvollen Gesamtzusammenhang einordnen. Dabei nimmt die Offenheit und Flexibilität von oben nach unten zu: Während einige Grundannahmen im Kontext Coaching nicht verhandelbar sind (etwa dass der Mensch sowohl ein Individuum als auch in die Gesellschaft eingebettet ist, dass Arbeit sowohl existenzsichernd als auch bedrängend ist) und eine theoretische Verankerung keine der drei Ebenen Individuum, Interaktion/ Team und Organisation unberücksichtigt lassen darf, können die Ausgestaltung und Schwerpunktsetzung auf der methodologischen und praktischen Ebene flexibler und freier sein, solange sie an Theorien und Grundannahmen rückgebunden bleiben. Diese Rückbindung widerspricht klar einem eklektischen Vorgehen, das häufig unter dem Stichwort „integrativ“, „methodenpluralistisch“ oder „konstruktivistisch“ propagiert wird, jedoch primär eine unverbundene Addition unterschiedlicher Methoden beinhaltet. Schlimmstenfalls ersetzen Tools die Auseinandersetzung mit zugrunde liegenden Menschenbildern und Werten.
Was heißt dies nun für die Praxis der CoachingAusbildung? Zwei grundlegende Zugangsweisen sind hier denkbar:
Die Ausbildung ist klar verortet in ein oder zwei grundlegenden Ansätzen, etwa psychoanalytischgruppendynamisch oder systemisch oder psychodramatisch, die den Ausbildungsteilnehmern eine klare theoretische und
Eine gute Coaching-Ausbildung bereitet wissenschaftlich fundiert auf beraterisches Handeln vor
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methodische Positionierung vermittelt und darüber eine beraterische Haltung und Identität entwickelt, die in der späteren professionellen Beratungspraxis angereichert wird.
Es wird eine theoriemethodenintegrative Ausrichtung gewählt, die sich allerdings sehr klar von rein eklektischen Zugängen abgrenzen muss. Integration meint gerade nicht Eklektizismus, den der Psychologe Hans Jürgen Eysenck schon 1970 polemisch als unordentliche Sammlung von Prozeduren oder „ResteRagout“ betitelt hat. Es kann also bei der Methodenintegration nicht um eine reine Kombination von beraterischen Interventionen gehen, sondern handelt sich um ein theoretisch und konzeptionell stimmiges Veränderungsmodell. Viele Elemente unterschied licher Schulen sind sicherlich in allen Verfahren zu finden. Gemeint sind hier nicht nur die allgemeinen Wirkfaktoren nach dem Psychotherapieforscher Klaus Grawe, die der Psychologe Siegfried Greif für die CoachingForschung nutzt, sondern auch die Arbeit an handlungsleitenden Überzeugungen. Glaubenssätze sind in jedem Verfahren Thema, und Verstärkung wirkt überall. Über die Notwendigkeit der Ressourcenorientierung wird auch niemand ernsthaft mehr streiten wollen. Allerdings muss dem Coach theoretisch klar sein, warum er bei diesem Klienten Methodiken aus der kognitiven Verhaltenstherapie anwendet und bei einem anderen eine psychodynamische Deutung erwägt. Damit stellt ein solch integratives Vorgehen innerhalb einer Ausbildung deutlich höhere Anforderungen an das Vorwissen und die Komplexitätsbewältigung der Teilnehmer, da hierbei nicht nur das Wissen erworben, sondern
Fragen der Indikationen und Kontraindikationen methodischen Vorgehens gleichzeitig immer mit reflektiert werden müssen. Die vermittelten Ansätze müssen sowohl in ihrer theoretischen Stringenz als auch mit ihren jeweiligen Möglichkeiten und Grenzen bedacht werden.
Die Entscheidung für den einen oder anderen Zugang hängt wesentlich von der Teilnehmerstruktur ab: Haben sich die Teilnehmer bereits in der Tiefe in coachingrelevante Theorien und Modelle eingearbeitet, ist ein integrativer Ansatz sehr gut denkbar. Falls nicht, erscheint es sinnvoller, ein Modell zu vertiefen, um Handlungsfähigkeit und Identitätsbildung als Coach zu ermöglichen.
These 2: Eine gute CoachingAusbildung darf nicht nur Methoden und Tools vermitteln, sondern muss eine beraterische Identität ausbilden. Dazu muss sie auch wesentliche Teile an Selbsterfahrung und Reflexion umfassen.
Das Wort „Tools“ wird häufig als Zauberwort im Coaching verwendet, und manchmal scheint es fast so, als ob die Güte einzelner Ausbildungsmodule an der Anzahl der vermittelten Tools zu messen sei. Nun ist gegen Methodenvielfalt sicher nichts einzuwenden. Sehr wohl aber gegen ein CoachingVerständnis, das in einer Aneinanderreihung von Tools besteht – und gegen ein Ausbildungsverständnis, das die im Coaching vorhandene Unsicherheit mittels eines Methodenkoffers überdeckt oder wegstrukturiert.
Coaching wird seiner Funktion – auch zu einer Steigerung der (Selbst)Wahrnehmungsfähigkeit des Coachee beizutra
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gen – nicht gerecht, wenn es über erlebnisaktivierende Methoden für Intensität sorgt, selbst zum Event wird oder organisationalen Aktivismus fortsetzt, statt Räume für Entschleunigung und Reflexivität zu schaffen. Denn nur ein hohes Maß an Bewusstheit über die eigene äußere und innere Realität kann die Grundlage von sorgsamer Modifikation eigener Deutungs und Handlungsmuster sein. So braucht es Zeit, die eigenen mentalen Modelle kennenzulernen, sie auf ihre Funktion hin zu überprüfen und gegebenenfalls zu modifizieren.
Wird die Rolle von Tools in der CoachingAusbildung nicht kritisch reflektiert, besteht eine Gefahr darin, dass Metho den wirkliches InKontaktTreten ersetzen und zu (gemeinsamen) Abwehrzwecken miss braucht werden. Sicherlich geben Methoden gerade Anfängern zunächst einmal Sicherheit. Sie können aber auch dazu beitragen, dass die Konfrontation mit der eigenen Hilflosigkeit als Coach oder der wahrgenommenen Ratlosigkeit des Coachee überdeckt wird. Eine Überfrachtung mit Methoden vernachlässigt oft die Auseinandersetzung mit der Frage, was es bedeutet, dass der Coach selbst ein zentrales Instrument im Coaching ist und dass die Gestaltung einer tragfähigen CoachKlientenBeziehung als zen traler Wirkfaktor identifiziert wurde (Greif, 2008; Künzli, 2009). Dies erfordert eben auch eine Auseinandersetzung zum Beispiel mit den folgenden Fragen:
Was sind die Motive der „Berufswahl Coach“, etwa im Hinblick auf das eigene Verhältnis zu Organisationen?
Wie sieht eine wirksame/hilfreiche CoachKlientenBeziehung konkret aus? Hier liegen inzwischen erste coachingspezifische Untersuchungen vor, die
einzelne Facetten wie die Bedeutung von Dominanz und Affiliation oder Bedingungen der Vertrauensentwicklung beleuchten.
Welche Konzepte gibt es, sich selbst als Instrument im Coaching zu verstehen und zu nutzen (zum Beispiel Gegenübertragungsanalyse)?
These 3: Eine CoachingAusbildung muss unterschiedliche Lernformen umfassen und eine sinnvolle Lernarchitektur beinhalten, die im Ausbildungsverlauf Theorie, Praxis und Transfer verknüpft, und sie muss einen Integrationsort haben, an dem die vielfältigen Lernerfahrungen verzahnt werden können.
Eine gute CoachingAusbildung sollte unterschiedliche Lernformen umfassen. Die Vermittlung relevanter Theorien auf individueller, interaktionistischer und systemischer Ebene ist dabei ein wesentlicher Bestandteil. Sie sollte zusätzlich das Lernen am Modell erfahrener Coachs fördern und über die Identifikation mit und Abgrenzung von diesen die Herausbildung einer eigenen beraterischen Identität ermöglichen. Dies sollte in unterschiedlichen Set
Handwerkszeug ist nützlich, darf aber nicht der einzige Inhalt von Coaching-Ausbildungen sein
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tings und anhand mehrerer Personen (Ausbildungsleiter oder Lehrcoachs) erfolgen. Um die Übernahme der neuen Berufsrolle und die Notwendigkeit von Akquise und Behauptung am Markt frühzeitig zu befördern, sollten während der Ausbildungszeit echte CoachingProzesse akquiriert, durchgeführt und reflektiert werden. Ein zentrales Lernfeld ist darüber hinaus die gruppendynamische und institutionelle Selbsterfahrung innerhalb der Ausbildung. Man könnte dies als „szenisches TransferLernen“ beschreiben: Die gruppendynamischen Szenen in der Ausbildungsgruppe beziehungsweise die Auseinandersetzungen mit dem Ausbildungsinstitut und dessen Zielen, Strukturen, Prozessen und Kultur sind ein zentrales Lernfeld für die beraterische Arbeit mit Gruppen/Teams und Organisationen. Dies spricht gegen eine übermäßige Flexibilisierung und Modularisierung von Ausbildungen. Diese Lernformen sollten insgesamt in einen fortlaufenden TheorieHandlungsReflexionsfluss eingebettet sein. Dabei sollten Theorie und Praxis in den verschiedenen Ausbildungsabschnitten aufeinander abgestimmt sein und die Komplexität über die Ausbildung hinweg sukzessive erhöht werden, etwa vom Einzelcoaching zu Gruppen und Teamprozessen bis hin zur Organisationsberatung.
These 4: Eine gute CoachingAusbildung muss klare Bezüge zu anderen arbeitsweltlichen Beratungsformaten herstellen und in Übereinstimmung mit dem beratungswissenschaftlichen Diskurs stehen.
Jeder Anbieter einer CoachingAusbildung muss sein eigenes Verständnis von Coaching explizieren – und zwar angekoppelt an die aktuelle berufsverbandliche und beratungswissenschaftliche Diskussion. Es
muss also expliziert werden, wie eng oder weit der CoachingBegriff gefasst wird (zum Beispiel BusinessCoaching, LifeCoaching) und wie dieser im Hinblick auf andere Beratungsfor mate (etwa Organisationsberatung, Team ent wicklung) eingeordnet wird. Dies impli ziert klare Aussagen darüber, was in der Ausbildung vermittelt wird und was auch nicht. Ausbildungen, die diesem Anspruch genügen, bewegen sich in der Regel zwischen zwei Extremen:
einer Beratungsausbildung, innerhalb derer verschiedene Beratungsformate und Settings vermittelt werden (zum Beispiel vom Einzelcoaching über Gruppen/Teamprozesse bis zur Organisationsberatung), wie der Master Mehrdimensionale Organisationsberatung der Universität Kassel;
einer reinen CoachingAusbildung, die Coaching klar auf Einzelberatung eingrenzt (es gleichwohl in Bezug zu anderen Beratungsformaten setzt) und spezifiziert, welche Art von Coaching genau gemeint ist.
Eine Ausbildung, die eine solche Verortung nicht vornimmt, ist kritisch zu beurteilen, da sie insbesondere bei Kandidaten, die als Beratungsneulinge eine CoachingTätigkeit anstreben, eine realistische Einschätzung des eigenen Kompetenzbereichs und seiner Grenzen ausblendet. Ausbildungen, die Coaching auf alle Beratungsanlässe anwenden (Watzlawick: „Wer nur den Hammer kennt, für den ist jedes Problem ein Nagel“), statt eine saubere Diagnose und Indikation beziehungsweise Kontraindikation für unterschiedliche Beratungsformate vorzunehmen, sind besonders problematisch. Ein Coach muss wissen, welche anderen Beratungsformate es gibt, wann welche indiziert sind und
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an welchen Stellen ein Weiterverweis an andere Beratungs oder auch Therapieformen angebracht ist.
These 5: Eine gute CoachingAusbildung muss Aufnahmevoraussetzungen definieren und die Motivation zur Ausbildung im Ausbildungsverlauf systematisch reflektieren.
Zwar gibt es bei CoachingAusbildungen häufig formale Aufnahmevoraussetzungen wie ein Hochschulstudium oder eine Mindestdauer an Berufserfahrung, doch wie sieht es mit den nichtformalen Kriterien aus? Hat irgendein Ausbildungsinstitut schon einmal – aufgrund nichtformaler Kriterien – einen Interessenten abgelehnt, oder darf eigentlich jeder Coach werden, nur weil er Coach werden will? Böning und Fritschle (2005) fanden unter allen befragten Ausbildungsinstituten nur einen einzigen Fall. Hier zeigt sich ein markanter Unterschied zur TherapieAusbildungsszene. Es gibt einen deutlichen Interessenskonflikt, Ausbildungen voll zu bekommen und dabei gleichzeitig einen Kompetenzanspruch an Coachs einzuhalten. Zumindest folgende Fragen müssen aber in der Ausbildung einer intensiven Reflexion unterzogen werden:
Was sind die (vorbewussten) Motive zur Berufswahl Coach? Sind es zum Beispiel oft die eigenen Wünsche nach Partizipation an der Macht der Ratsuchenden? Vermeiden Coachs die eigene Führungsrolle, indem sie sich Dominanz durch den Status ihrer Coachees entlehnen? Auch das Verhältnis zur Organisation sollte thematisiert werden. So gibt eine Organisation zugleich Sicherheit und Bedrängnis. Die Motivation zur Ausbildung zum Coach ist oft genug
die, dieser Bedrängnis für sich selbst zu entkommen. Im Zentrum der Motivation, Coach zu werden, stand in einer explorativen Studie (Stippler & Möller, 2009) vor allem die eigene Persönlichkeitsentwicklung. Der Wunsch, eigentlich selbst gecoacht zu werden, zieht sich als roter Faden durch die Motivationsanalysen. CoachingAusbildungen müssen diesen motivationalen Hintergründen Rechnung tragen.
Auch die angestrebte Gewichtung der CoachingTätigkeit im Gesamtkontext der eigenen Berufstätigkeit sollte in der Ausbildung reflektiert werden. Ist es das Ziel, ein VollzeitCoach zu werden, oder Coaching nur zur Ergänzung oder zur Professionalisierung in der Primärprofession zu nutzen? Das hat sowohl Implikationen für die Professionalität als Coach als auch für das ambivalente Verhältnis zum Broterwerb durch Coaching im Spannungsfeld zwischen notwendiger beraterischer Unabhängigkeit und wirtschaftlicher Existenz sicherung oder dem Reiz hoher Honorare.
These 6: Eine CoachingAusbildung muss von erfahrenen Ausbildern geleitet werden. Erfahrung beinhaltet sowohl umfassende und aktuelle eigene Beratungserfahrung als auch Erfahrung in der Ausbildung von Coachs.
Erfahrung wird sowohl von den Auftraggebern von Coaching, den Coachs selbst (vgl. Böning & Fritschle, 2005) als auch von CoachingVerbänden als wesentliches Qualitätskriterium definiert. Dass diejenigen, die Ausbildungen anbieten, erst recht über umfassende Erfahrung verfügen müssen, ergibt sich von selbst. Welche Erfahrung ist nun für CoachingAusbilder besonders relevant? Auf der inhaltlichen Ebene müs
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sen sie über Beratungserfahrung mit unterschiedlichen Zielgruppen, Settings und Organisationstypen verfügen. Sie sollten sich in verschiedenen Sektoren auskennen (im Gegensatz zu reinem „BusinessCoaching“ oder zu ausschließlicher „Supervision in sozialen Institutionen“) und eine ideologische Offenheit gegenüber unterschiedlichen Organisationstypen und branchen (Business, NonProfit, öffentliche Verwaltung) mitbringen. Erst durch die Vielfalt an Erfahrung wird es möglich, das jeweils Typische herauszukristallisieren und dieses Ausbildungskandidaten zu vermitteln. Angesichts der zunehmenden Beschleunigung der Arbeitswelt sowie der geringen Halbwertszeit von Wissen benötigen Ausbilder nicht nur langjährige, sondern auch aktuelle Beratungserfahrung, um anschlussfähig zu bleiben. Neben Beratungserfahrung ist auch Erfahrung in der Ausbilderrolle zentral und wird von den meisten Verbänden als Zertifizierungsvoraussetzung eingefordert. Ein guter Coach ist noch kein guter Ausbilder, und dass die Ausbilder eine zentrale Rolle für den Lernprozess im Rahmen einer CoachingAusbildung spielen, versteht sich von selbst.
Fazit:
Eine gute CoachingAusbildung steht und fällt mit einem sinnvollen Gesamtkonzept, das sich der kritischen Diskussion und Überprüfung durch Wissenschaft und Praxis stellt. Zentral sind dabei eine klare Wissensstruktur, die Herausbildung einer beraterischen Identität, die Schaffung einer sinnvollen Lernarchitektur, die Verortung im Hinblick auf andere Beratungsformate, die Reflexion von Zugangsvoraussetzungen und Motiven sowie die Erfahrung und Kompetenz der Ausbilder. Die CoachingForschung steht zwar insgesamt noch am
Anfang, sie ist aber dringend nötig, um die Wirkfaktoren von Coaching genauer zu untersuchen und so Qualitätskriterien für gute Ausbildungen empirisch zu begründen.
Weiterführende Literatur
Böning, U. & Fritschle, B. (2005). Coaching fürs Business: Was Coachs, Personaler und Manager über Coaching wissen müssen. Bonn: Managerseminare.
Greif, S. (2008). Coaching und ergebnis-orientierte Selbstreflexion. Göttingen: Hogrefe.
Künzli, H. (2009). Wirksamkeit im Führungs kräfteCoaching. Organisationsbe -ra tung, Supervision, Coaching, 1/2009, 4–18.
Möller, H. (2007). Methodenintegration: Eintopf oder Menu à la carte. Forum Psy-chotherapie, 15 (1), 10–12.
Schreyögg, A. (2009). Die Wissensstruktur von Coaching. In B. Birgmeier (Hrsg.), Coachingwissen: Denn sie wissen nicht, was sie tun? (S. 47–60). Wiesbaden: VS.
Stippler, M. & Möller, H. (2009). „Aber jetzt ist der Zeitpunkt reif für etwas anderes.“ Zur Weiterbildungsmotivation von TeilnehmerInnen einer Coachingausbildung. Organisationsberatung, Supervi sion, Coa-ching, 1/2009, 72–85.
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Wer ins Coaching kommt, will sich meist verändern. Doch Verhaltensänderungen sind nur sinnvoll, wenn sie zum persönli-chen Motivprofil passen.
Führungskräfte, die sich einem Coach anvertrauen, wollen in der Regel ihr Führungsverhalten optimieren, bestehende Konflikte aufarbeiten, Klarheit bei schwerwiegenden Entscheidungen erlangen oder zu einer positiveren WorkLifeBalance finden. Da Verhalten stets das Resultat von Persönlichkeits und Situationsfaktoren ist, lassen sich nachhaltige Effekte nur dann erzielen, wenn das neu aufzubauende Verhalten zur Persönlichkeit und zu den Lebensumständen des Coachee passt oder wenn es gelingt, Persönlichkeit und Lebensumstände so zu verändern, dass sich neues Verhalten entwickeln kann. Situations und Lebensumstände zu verändern ist nicht immer leicht, aber im Prinzip machbar. Doch wie aufwendig und erfolgversprechend ist es, einzelne Persönlichkeitsmerkmale zu modifizieren, um stabile Verhaltensänderungen zu erreichen?
Versucht man, die wesentlichen Persönlichkeitsmerkmale nach Stabilität und der Vielfalt ihrer Ausprägungen zu klassifizieren, ergibt sich in etwa eine Pyramide (siehe Seite 19), in der das Temperament die höchste Stabilität besitzt, Hoffnungen und Ängste im Vergleich dazu die niedrigste. Jemanden in Angst und Schrecken zu versetzen dürfte relativ leicht sein, wäh
Führung und Persönlichkeit: Wenn Motive und Anforderungen auseinanderklaffen
J. S. Krug, P. Bannier
rend der Versuch, aus einem introvertierten Phlegmatiker einen überaktiven „Sponti“ zu machen, wahrscheinlich zum Scheitern verurteilt ist. Die Frage ist, welche tief greifenden und nachhaltigen Veränderungen sich in einem Coaching leisten lassen.
Bei der Sicherstellung nachhaltiger Verhaltenseffekte ist jedoch noch ein weiteres Phänomen zu bedenken. Verhalten wird ja nicht von einzelnen isolierten Persönlichkeitsmerkmalen bestimmt, sondern von einer Vielzahl interagierender Faktoren. Was bringt es, jemandem mit Schwierigkeiten in seiner Führungsrolle die Fähigkeit zu vermitteln, ein gutes Mitarbeitergespräch zu führen, Konflikte angemessen zu bear
Petra Bannier,Diplom-Psychologin, Trainerin
und Coach, Aus- und Weiter- bildnerin für Coachs, Berlin
Dr. Joachim Siegbert Krug,Diplom-Psychologe,
tätig im Bereich Führungs-kräfteschulung und
Organisationsentwicklung, Essen
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beiten oder den eigenen Bereich effektiv zu organisieren, wenn die Person keinen inneren Antrieb verspürt, sich derartigen Führungsaufgaben zu widmen? Verhalten hängt eben nicht nur vom eigenen Können, sondern auch vom Wollen ab, und dieses Wollen wird von unterschiedlichen Motiven, Werten, Interessen und Neigungen bestimmt.
Die Motivationstheorie von McClelland
Da Verhalten nicht nur eine Frage von Fähigkeiten und Fertigkeiten, sondern auch eine Frage der inneren Antriebe ist, bauen wir unser CoachingKonzept auf der Motivationstheorie des amerikanischen Psychologen David Clarence McClelland auf. Dabei handelt es sich zum einen um die theoretisch und empirisch wohl am besten elaborierte Motivationstheorie. Zum anderen fand ihre Überprüfung im Bereich des Managements und der Führung statt, und zudem ist sie eine der wenigen Theo rien, die zur Erklärung von Verhalten nicht nur Personen, sondern auch Situationsvariablen in ihre Betrachtung einbezieht.
Nach den Studien von McClelland sind im Führungsbereich vor allem drei Motive von ausschlaggebender Bedeutung (siehe Krug & Kuhl, 2006). Dies ist zum einen das Leistungsmotiv (das Bedürfnis nach ständigen Herausforderungen auf Sachgebieten), das Gesellungs oder Freundschaftsmotiv (das Bedürfnis nach positiven sozialen Kontakten) sowie das Machtmotiv (das Bedürfnis nach Einfluss, Stärke und Autonomie). McClelland konnte in zahlreichen Untersuchungen nachweisen, dass eine dominante Ausprägung eines dieser drei Motive mit ganz bestimmten motivtypischen Einstellungen, Verhaltensweisen, Berufs und Lebenszielen verbunden ist. Besonders stark treten diese Motivunterschiede im Führungsverhalten hervor und weisen hier eine hohe Stabilität auf.
Leistungsmotivierte sind stark auf der fachlichen Ebene. Sie wollen die Dinge optimieren und arbeiten hart an der Implementierung effektiver Prozesse und Strukturen. Mitarbeiterführung ist jedoch nicht so ihr Ding. Sie kümmern sich um Sachprobleme, vernachlässigen in vielen Fällen jedoch den zwischenmenschlichen Bereich.
Freundschaftsorientierte legen dagegen viel Wert darauf, dass das zwischenmenschliche Klima stimmt, Konflikte gar nicht erst aufkommen und keine zu hohen Leistungsansprüche die Harmonie im Team stören.
Machtmotivierte sind ebenfalls in hohem Maße auf der Personenebene aktiv. Sie lieben es, Einfluss zu nehmen und zu gestalten. Dies kann in egoistischer Art und Weise geschehen, aber auch in gemeinschaftsdienlicher Absicht. Für Machtmotivierte kann ein positives Arbeitsklima von großer Bedeutung sein, Die Stabilität und Variabilität der Persönlichkeitsfaktoren
Tempe-rament
Motive
Werte
Einstellungen
Gewohnheiten
Interessen/Neigungen
Fähigkeiten
Hoffnungen/Ängste
Stab
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Variabilität
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aber nicht als Selbstzweck, sondern als Mittel zum Zweck, um die notwendigen Voraussetzung für effektives Arbeiten zu schaffen.
Nach motivationstheoretischen Erkenntnissen stellt sich Erfolg im Beruf dann ein, wenn das persönliche Motivprofil (das Zusammenspiel aller drei Motive) mit dem motivationalen Anforderungsprofil der beruflichen Tätigkeit übereinstimmt. Das motivationale Anforderungsprofil gibt an, wie stark in einem Beruf die drei Motive gefordert werden.
Doch wie sieht das motivationale Anforderungsprofil einer Führungsposition aus? Und wie sollte das Motivprofil eines Stelleninhabers aussehen, um die motivationalen Anforderungen des Berufs zu erfüllen? Irrigerweise geht man in vielen Fällen davon aus, dass Führungskräfte durch ein hohes Leistungsmotiv getrieben sein müssten. Dies ist jedoch nicht der Fall und sogar oft in hohem Maße kontraproduktiv. Führungskräfte, die sich ständig in die Lösung von Sachproblemen einmischen, alles besser wissen und alles am liebsten selbst machen würden, rufen mehr Frustration als Motivation aufseiten ihrer Mitarbeiter hervor. Auch ein zu starkes Harmoniestreben aufgrund eines hohen Freundschaftsmotivs ist dem Führungserfolg eher abträglich. Führungskräfte müssen führen, das heißt lenken, leiten, motivieren, kontrollieren, und sie müssen Spaß daran haben, Einfluss auszuüben, um zu gestalten. Bestehen große Diskrepanzen zwischen dem persönlichen Motivprofil und dem motivationalen Anforderungsprofil der Tätigkeit (siehe Grafik Seite 22), sind Probleme bei der Bewältigung der Führungsaufgaben programmiert.
Grundlagen des motivations-theoretisch geleiteten Coachings
Dass es überhaupt zu solchen Diskrepanzen kommt, liegt in vielen Fällen daran, dass Beförderungen immer noch häufig aufgrund erbrachter Leistungen erfolgen. Doch nicht jeder Spitzenfußballer wird ein Spitzentrainer, und nicht jeder TopVerkäufer ein erfolgreicher Verkaufsleiter. Gute Fachkenntnisse sind ohne Zweifel notwendige, aber keine hinreichenden Bedingungen, um eine erfolgreiche Füh rungskraft zu werden. Um die Ausprägung des Motivprofils eines Coachee zu erfassen, bedienen wir uns drei verschiedener Verfahren. Zum einen lassen wir ihn den Thematischen Apperzeptionstest (TAT) durchführen, der von McClelland und Nachfolgern speziell zur Erfassung der drei Motive entwickelt wurde. Zum anderen führen wir, eingebettet in die CoachingSituation, ein strukturiertes Interview zur Erfassung der MotivDominanzen durch. Und drittens veranlassen wir den Coachee zu einer Selbsteinschätzung seines persönlichen Motivprofils, nachdem er mit den Grundlagen der Motivationstheorie vertraut gemacht wurde. Das motivationale Anforderungsprofil des Arbeitsplatzes erfolgt ebenfalls über die Analyse eines strukturierten Interviews und getrennt davon durch die Selbsteinschätzung des Coachee. Aufgrund dieser Analysen zeigten sich im Lauf der Jahre drei „Problemtypen“.
Bei Typ A stimmen persönliches Motivprofil und motivationales Anforderungsprofil der Stelle gut überein, es fehlt jedoch noch an der notwendigen Führungserfahrung, entsprechenden Führungskompetenzen und der notwendigen Selbstsicherheit. In dieser Gruppe sind häufig junge Führungskräfte anzutreffen, die vor ihrer ersten
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Führungsaufgabe stehen. Da hier das motivationale Führungspotenzial gegeben ist, genügt es zumeist, im Coaching die entsprechenden Kompetenzen zu vermitteln oder die vorhandenen Kompetenzen zu optimieren.
Bei Typ B stimmen persönliches Motivprofil und motivationales Anforderungsprofil der Stelle gut überein. Es besteht jedoch eine Diskrepanz zwischen den Vorstellungen des Coachee von der Rolle als Führungskraft und den tatsächlichen Anforderungen. Das erleben wir etwa bei weiblichen Führungskräften, die zum ersten Mal eine Führungsaufgabe übernehmen, oder bei Führungskräften, die aus dem Kollegenkreis zum Chef befördert wurden. Beide versuchen, ihre Mitarbeiter durch einen freundschaftsbezogenen Führungsstil zu gewinnen, um als nette, verständnisvolle, umgängliche Führungskraft zu gelten.
Bei Typ C stimmen persönliches Motivprofil und motivationales Anforderungsprofil der Stelle nicht überein (siehe Grafik Seite 22, Abb. rechts). Oft handelt es sich um Experten, deren Leistungsmotiv deutlich höher und deren Machtmotiv niedriger ausgeprägt ist, als es die Stelle eigentlich erfordert. Die Führungskraft verliert sich in technischen, wissenschaftlichen Details und kümmert sich selbst intensiv darum, schwierige Sachprobleme zu lösen. Dass sie so die Motivation ihrer Mitarbeiter untergräbt, ist ihr selten bewusst.
Ablauf eines motivationstheoretisch geleiteten Coachings
Ein motivationstheoretisch basiertes Coachings läuft vom Grundsatz her für alle drei „Problemtypen“ gleich ab.
Der Coachee stellt seine Situation dar und macht seine Erwartungen an das Coaching deutlich.
Falls sich der Problembereich „Führung“ abzeichnet, wird der Coachee gebeten, den TAT zu bearbeiten.
Der Coachee wird mit den theoretischen Grundlagen von Führung und Motivation vertraut gemacht.
Er nimmt aufgrund seines neuen theoretischen Wissens eine Einschätzung seines persönlichen Motivprofils und der motivationalen Anforderung seines Arbeitsplatzes vor.
Er wird mit dem TATErgebnis und den Einschätzungen des Coach zu Motivprofil und Arbeitsplatz konfrontiert, die er seinen Selbsteinschätzungen gegenüberstellt.
Lösungsmöglichkeiten werden erarbeitet.
Die Lösungsansätze werden im Alltag umgesetzt.
Bei Typ A (junge Führungskraft mit Potenzial) steht man meist vor einer relativ leichten Aufgabe. Sobald er durch Theo rie und Selbstanalysen für das Thema sensibilisiert ist, sind auch die weiteren Schritte für ihn evident. Er muss sein Führungsverhalten optimieren, was meist nicht schwerfällt, da es zu seinem Motivprofil kompatibel ist. Die entsprechenden Kompetenzen sind im Coaching leicht vermittelbar und zeigen später in der realen Führungssituation hohe Stabilität.
Bei Typ B (Führungskraft mit Rollenkonflikt) ist die Problemlage ähnlich, jedoch durch das führungshinderliche Rollenverständnis etwas schwieriger. Der CoachingProzess bedarf hier allerdings zusätzlich eines intensiven Diskurses über das Rollenverständnis einer erfolgsorientierten Füh
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rungskraft. Dieser trägt dann Früchte, wenn es gelingt, die Wertvorstellungen des Coachee mit seinen moti vationalen Bestrebungen in Übereinstimmung zu bringen. So war es bei einem jungen Gruppenleiter, der Spaß daran hatte zu lenken und zu leiten, aber zusätzlich dachte, er müsste als Vorbild sein kompetentester Sachbearbeiter sein. Als er schließlich einsah, dass ihm die Bearbeitung solcher Aufgaben keine große Befriedigung verschaffte und er damit seine Mitarbeiter in hohem Maße frustrierte, veränderte sich sein Führungsverhalten schlagartig. Ebenso war es bei einer jungen Gruppenleiterin, die stärker macht als freundschaftsmotiviert war, aber glaubte, über einen sehr freundschaftsorientierten Füh rungsstil die Akzeptanz ihrer Mitarbeiter zu gewinnen. Diese erlebten ihren Führungsstil jedoch als unsicher, inkonsequent und ohne klare Linie.
Weitaus schwieriger gestaltet sich der CoachingProzess bei Typ C. Vor einiger Zeit coachten wir den Verkaufsdirektor eines Großunternehmens, der in seiner Funktion sehr unzufrieden war, obwohl er es aufgrund unglaublicher Umsatzleistungen
in relativ kurzer Zeit vom „kleinen“ Verkäufer bis zum „mächtigen“ Direktor gebracht hatte. Er war ständig hinter seinen Leuten her, verlangte Leistung, Leistung, Leistung, verstand es aber überhaupt nicht, die Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, die es seinen Mitarbeitern ermöglicht hätten, hoch motiviert diese Leistungen zu erbringen. Er wollte, dass wir ihm beibringen, seinen „Führungsjob“ effektiver zu bewerkstelligen.
Unsere ersten Maßnahmen, bei denen wir mit ihm gemeinsam die üblichen Strategien angemessener Mitarbeiterführung erarbeitet haben (zum Beispiel besser kommunizieren, klarere Ziele), brachten nichts. Das meiste kannte er bereits aus Seminaren, fand es zum Teil unsinnig und vor allem zu zeitaufwendig. Wir baten ihn, einen Motivtest (TAT) zu machen. Der Test zeigte ein dominantes Leistungsmotiv, das deutlich über den Ausprägungen seines Freundschafts und seines Machtmotivs lag. Strukturierte Gespräche machten deutlich, dass er aufblühte, wenn es ihm gelungen war, eigene Erfolge einzufahren, und nicht, wenn er es geschafft hatte, seinen
Die Übereinstimmung zwischen persönlichem Motivprofil und motivationalem Anforderungsprofil ist wesentlich
Motivationsprofil des Stelleninhabers
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MachtEinfluss
Gesellung Freundschaft
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MachtEinfluss
Gesellung Freundschaft
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hoch
Typ A Typ C
motivationales Anforderungsprofil der Stelle
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Mitarbeitern Motivation, Mut und Selbstvertrauen zu vermitteln. Unser ursprüngliches Vorgehen war daher kontraproduktiv. Denn die von uns vorgeschlagenen Verhaltensweisen haben für eine leistungsmotivierte Persönlichkeit keinerlei Tätigkeitsanreiz. Sie zwingt sich vielleicht bei hohem Leidensdruck, solche „erfolgversprechenden“ Verhaltensweisen an den Tag zu le gen. Doch niemand führt dauerhaft Tätigkeiten aus, an denen er keinen Spaß hat.
Hier gibt es nur zwei Möglichkeiten: die Person oder die Situation zu verändern. Motive zu verändern hat sich empirisch als wenig erfolgversprechend erwiesen. McClelland und Nachfolger haben es versucht (siehe Krug & Kuhl, 2005). Durchschlagende Effekte ließen sich jedoch nicht erzielen. Im unserem Fall bedeutete dies, für den Direktor eine Funktion zu finden, in der sein hohes Leistungsmotiv kein „Erfolgshindernis“ mehr ist, sondern zum „Erfolgsgaranten“ wird. Er selbst erkannte dabei folgende attraktive Aufgaben: TopKunden betreuen, ein neues Produkt im Markt platzieren oder eine neue Region erschließen. Da derartige berufliche Veränderungen mitunter mit Prestige und Gehaltseinbußen verbunden sind, steht der Coachee in diesem Fall vor der Entscheidung, inwieweit er bereit ist, Abstriche an den extrinsischen Anreizen hinzunehmen, um den Anteil intrinsischer Anreize zu erhöhen.
Grenzen eines motivations theoretisch geleiteten Coachings
Coaching im Führungsbereich ist keine Therapieform, in der es darum geht, einen mehr oder weniger langen Umerziehungsprozess durchzuführen. Coaching ist aber auch kein reines Verhaltenstraining mit dem Ziel, mechanisch einzelne Verhaltens
weisen zu perfektionieren. Entscheidend ist es, wie gut das persönliche Motivprofil und das motivationale Anforderungsprofil des Arbeitsplatzes übereinstimmen. Doch auch wenn das nicht der Fall ist, ist ein Coaching nicht nutzlos. Denn keiner ist seinen Motiven hilflos ausgeliefert. Man kann angemessen und situationsadäquat mit ihnen umgehen, sofern man sich darüber klar wird, was einen zu bestimmten Verhaltensweisen treibt. Dazu ein Beispiel: Frau I. aus einem börsengeführten Unternehmen kam mit dem Ziel ins Coaching, ihre LifeWorkBalance zu verbessern. Sie ist Führungskraft im mittleren Management. Dann wurde ihr die Position ihres Chefs angeboten, was sie zunächst wegen ihrer Familiensituation ablehnte. Sie macht ihre Arbeit sehr gern, steht aber seit der Geburt ihrer zweijährigen Tochter zunehmend unter Zeitdruck, kann kaum abschalten und hat Schlafprobleme. Sie verantwortet die Vorstandsvorlagen für den Bereich Controlling und ist auf hohe Präzision angewiesen, die sie von den ihr zuarbeitenden Mitarbeitern nicht erhält und daher die Aufgaben selbst erledigt. Auch ihr Chef nutzt ihre Perfektion gern, indem er ihr Aufgaben aus seinem Bereich überträgt. Der Tag von Frau I. ist perfekt strukturiert, nur die Wochenarbeitszeit von 70 Stunden fällt auf. In der Motivanalyse findet sich bei Frau I. ein ausgesprochen hohes Leistungsmotiv. Das erklärt ihre Neigung, sich stärker mit Sach als mit Führungsaufgaben zu beschäftigen. Trotz eines mittelhohen Machtmotivs erledigt sie die Aufgaben selbst, statt ihre Mitarbeiter stärker zu fordern. Frau I. konnte so die eigenen Anteile ihres Problems besser verstehen und damit bewusster umgehen. Sie setzte sich zunehmend bei der Delegation von Aufgaben durch und klärte für sich besser, welche Aufgaben ihrer Rolle entsprechen. So konnte Frau I. auch kla
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rer für sich entscheiden, dass eine höhere Führungs position für sie nicht passt. Sie sieht jetzt ihre Möglichkeiten der Weiterentwicklung in einem anderen Bereich, wo sie auch neue fachliche Herausforderungen findet.
Mittel und langfristig wird sich ein unbefriedigtes Leistungsmotiv meist zum Problem entwickeln. Eine höhere Führungsposition verlangt ja nicht nur entsprechendes Führungsverhalten, sondern auch die Auseinandersetzung mit Kollegen oder Machtkämpfe um Mittel und Möglichkeiten. Doch die Ausübung dieser Tätigkeiten, an denen hoch Machtmotivierte ihren Spaß haben, bereitet hoch Leistungsmotivierten zumeist tiefen Frust. Will man sich dies auf Dauer nicht antun, muss man seine Situation verändern, also seinen Arbeitsplatz den eigenen motivationalen Stärken anpassen. Auch hier gilt es im Coaching, die Vor und Nachteile sorgfältig abzuwägen.
Fazit
Ein erfolgreicher CoachingProzess setzt die genaue Kenntnis der Persönlichkeit des Coachee voraus, aber auch die Kenntnis der Besonderheiten und Anforderungen der zu bewältigenden Situation. Nur wenn man weiß, welche Veränderungsmöglichkeiten sowohl auf der Seite des Coachee als auch auf der Seite der Arbeitsanforderungen vorhanden sind, lässt sich ein CoachingProzess sinnvoll und erfolgreich konzipieren und steuern.
Weiterführende Literatur
Krug, S. & Kuhl, U. (2005). Die Entwicklung von Motivförderprogrammen. In R. Vollmeyer & J. C. Brunstein (Hrsg.), Motivati-onspsychologie und ihre Anwendung (S. 167–188). Stuttgart: Kohlhammer.
Krug, S. & Kuhl, U. (2006). Macht, Leistung, Freundschaft. Stuttgart: Kohlhammer.
Beispiel Controllerin: Frau I., die 70 Stunden in der Woche arbeitete, musste lernen zu delegieren
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25eDossier Professionelles Coaching
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Coaching kann dabei helfen, dass ein Auslandseinsatz sowohl für den Mitarbei-ter als auch für das Unternehmen zum Er-folg wird und auch der Wiedereinstieg im Heimatland besser gelingt.
„Ich möchte mich fundiert auf meine neue Aufgabe vorbereiten und meine strategischen Überlegungen mit einem Sparringspartner durchsprechen. Die Erwartungen des Vor-stands an das Start-up in Indien sind enorm.“
„Mein Führungsteam vor Ort in der Türkei zeigt nicht so viel Eigeninitiative, wie es nötig wäre. Alle wichtigen Entscheidungen spreche ich durch, doch es kommt enttäuschend we-nig zurück!“
„In den vier Jahren, die ich im Ausland ver-bracht habe, hat sich mein Konzern zu Hause strukturell und personell enorm verändert. Wie kann ich nach meiner Rückkehr ohne funktionierendes Netzwerk dort wieder an-docken?“
Das sind typische Fragen, die sich bei geplanten, laufenden oder gerade abgeschlossenen Auslandsentsendungen ergeben, und sie gehören heute zum Alltag vieler Unternehmen. Die DAXKonzerne erzielen den Großteil ihrer Umsätze im Ausland, und die Entsendung von Führungskräften ist unverzichtbarer Bestandteil global ausgerichteter Unternehmensführung, um neue Märkte zu erschließen, Joint Ventures oder Startups zu begleiten, Produktions
Mit dem Coachee auf Weltreise: Professionelle Begleitung von Führungskräften
K. von Schumann, M. Spörrle
Professor Dr. Matthias Spörrle,Diplom-Psychologe,
Professor an der Fachhochschule für angewandtes Management
(FHAM) in Erding [email protected]
Dr. Karin von Schumann, Diplom-Psychologin,
Managementcoach und Beraterin, Schumann Coaching & Consulting,
München kvschumann@
vonschumann-consulting.com
stätten aufzubauen oder Standorte zu leiten. Oft ist ein Auslandsaufenthalt auch die erste Bewährungsprobe als Linienmanager. In der Regel verantwortet er im Ausland eine größere Führungsspanne oder muss sich erstmals als Führungskraft von Führungskräften beweisen.
Die Herausforderung für die Personalabteilungen besteht darin, unternehmensbezogene und individuelle Aspekte der Führungskräfteentwicklung und der Auslandsentsendung zu verknüpfen. Es gilt, Führungskräfte so auszuwählen, zu qualifizieren und zu begleiten, dass sie im Ausland erfolgreich sind. Sonst entstehen erhebliche Kosten. So wird durchschnittlich
26eDossier Professionelles Coaching
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ein Drittel der Auslandseinsätze vorzeitig beendet (Rothlauf, 2009). Zudem gilt es sicherzustellen, dass sich die Expatriates persönlich und professionell weiterentwickeln und ihr erworbenes Wissen nach der Rückkehr im Unternehmen einsetzbar ist.
Coaching, Training, Mentoring – was hilft?
Grundsätzlich hält die moderne Personalentwicklung drei Tools für die Unterstützung von Expatriates bereit: Coaching, Training und Mentoring (siehe Tabelle). Coaching ist dabei in vielen, gerade für Expatriates relevanten Aspekten dem Training überlegen. Mit seinem personen und situationsspezifischeren Ansatz kann es die aktuelle Lage des Expatriates besser berücksichtigen. Das Mentoring, die Weitergabe persönlicher und professioneller
Fähigkeiten, Lebenserfahrung und Wissen eines Senior Managers an seinen Mentee, birgt ein hohes Potenzial (vor allem in der Eingewöhnungsphase zu Beginn des Auslandsaufenthalts), aber auch ein gewisses Risiko: Die Qualität des Mentorings kann, in Abhängigkeit vom Engagement und der Eignung des Mentors sowie der Passung zwischen Mentor und Mentee, extrem variieren (vgl. Osula & Irvin, 2009). Neben diesen pragmatischen Aspekten sprechen auch theoretische Überlegungen für das Coaching von Expatriates: Es ist besonders effektiv, weil es zentrale gemeinsame Bestandteile mit einem erfolgreichen Auslandseinsatz hat. Beide Prozesse operieren interaktiv auf der affektiven, kognitiven und der Verhaltensebene und ermöglichen eine Entwicklung der ganzen Person. Zentrale Zielsetzungen des Coachings, die Erhöhung professioneller Kompetenz
Methodisches Charakteristikum
Coaching Training Mentoring
Entwicklung der ganzen Person
Ja, arbeitet direkt mit Gefühlen, Gedanken und Verhalten des Klienten im Kontext
Selten, schwer innerhalb der Grenzen von Trainingsmaßnahmen zu realisieren. Mit Rollenspielen und Simulationen in begrenztem Umfang
Abhängig vom Mentor
Kontext-Sensitivität Ja. Der Coach arbeitet im und mit dem Kontext
Eher nein. Trainings werden übli-cherweise vorab angeboten
Manchmal, abhängig vom Standort des Mentors
Begleitung über die Zeit des Auslandsaufenthalts
Ja. Coaching begleitet üblicher-weise während des Aufenthalts, falls das Unternehmen bereit ist, hier zu investieren
Nicht notwendigerweise. Es besteht aber die Möglichkeit, Trainings in allen Phasen (vor, während, nach dem Aufenthalt) aufzusetzen
Ja, manchmal allerdings nur über Distanz
Unterstützung bei an-fänglichen Anpassungs-schwierigkeiten
Üblicherweise nicht, Vorberei-tungscoaching kann hier helfen, Herausforderungen zu antizipie-ren, aber es gibt selten Coaching in der Einarbeitungsphase
Üblicherweise nicht, vorbereitendes Training kann helfen, Herausforde-rungen zu antizipieren
Ja. Es kann sehr hilfreich sein, gerade in der An-fangsphase, einen erfahre-nen Mentor zu haben
Individuell angepasst Ja Üblicherweise nein – Gruppenbe-dürfnisse müssen im Vordergrund stehen
Manchmal – abhängig vom Mentor
Auf Bedarf des Unterneh-mens zugeschnitten
Ja. Es bedarf eines Dreiecksver-trags zwischen Unternehmen, Coachee und Coach
Ja. Die Trainings sollten und können unternehmensspezifisch konzipiert sein
Ja
Familiäre Situation wird einbezogen
Ja, zumindest bei einem syste-mischen Coaching-Ansatz
Üblicherweise nicht Manchmal, abhängig von der Art der Beziehung
Relative Stärken und Schwächen von Coaching, Training und Mentoring als Entwicklungsmaßnahmen für Expatriates (nach Abbott, Stening, Atkins & Grant, 2006)
27eDossier Professionelles Coaching
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und persönlicher Zufriedenheit, sind auch gängige Erfolgskriterien für Auslandsentsendungen. Der Fokus auf Interaktion und die ganzheitliche Perspektive sind ebenfalls zentrale Charakteristika des Coachings und des Auslandseinsatzes. Coaching kann in allen drei Phasen der Entsendung prozessunterstützend eingesetzt werden (vgl. Donnison, 2008): in der Vorbereitungsphase, während des Aufenthalts und als RepatriateCoaching bei der Rückkehr und Reintegration nach dem Auslandseinsatz.
Vorbereitungscoaching
Ein Beispiel: Dennis K. hat das Projekt „Aufbau Vertrieb Indien“ geleitet. In einem halben Jahr soll er vor Ort die CEOFunktion der neuen Vertriebsniederlassung übernehmen. In seinem Vorbereitungscoaching geht es zunächst darum, die vielen, oft konfligierenden Erwartungen, die an ihn gerichtet werden, bewusst zu machen. Es sind die Erwartungen des Topmanagements im Konzern, der Mitarbeiter in Deutschland und Indien und die der Partnerin und der Familie. Typische und wichtige Inhalte eines Vorbereitungscoachings sind das Erkennen offener und verdeckter Rollenerwartungen, das Lokalisieren von Widerständen und möglichen Bündnispartnern im Vorfeld, das Setzen von Prioritäten und die eigene WorkLifeBalance. Zudem sollten interkulturelle Aspekte beachtet werden. Hierfür kann für einzelne Sitzungen ein spezialisierter Coach oder Trainer hinzugezogen werden. Dennis K. hat in Kalifornien seinen HighSchoolAbschluss gemacht, ein Semester in Singapur studiert und bereits an einem interkulturellen Sensibilisierungstraining teilgenommen. Er könnte höchstens eine individuelle Beratung durch einen IndienExperten brauchen.
Coaching während des Auslandsaufenthalts
Der zentrale Mehrwert des Coachings liegt in der Begleitung international tätiger Manager während des Arbeitsprozesses. Innerhalb Europas kann das Coaching von einem Coach aus dem heimischen Pool übernommen werden. Im Unterschied zum USamerikanischen Raum finden viele Entsendungen zwar in einen anderen Kulturraum, aber nicht auf einen anderen Kontinent statt. Mehr oder weniger regelmäßige Heimflüge stehen auf dem Programm fast jedes Expatriates. Ergänzend oder alternativ kann der Coach an den Auslandsstandort reisen. Ein besonders wertvolles Instrument im interkulturellen Kontext stellt das verbale 360GradFeedback dar, das durch den Coach am Einsatzort des Coachee durchgeführt wird. Während es im angelsäch sischen Raum bereits als StandardTool gilt, gewinnt es in der deutschen CoachingSzene erst allmählich an Bedeutung. Anhand von etwa fünf bis sieben gemeinsam mit dem Coachee ausgewählten Kompetenzmerkmalen führt der Coach persönliche Interviews mit Mitarbeitern, Kollegen und Vorgesetzten vor Ort durch (für eine systematische Zusammenstellung der Kompetenzmerkmale siehe Luthans & Farner, 2002). Wichtiger als eine zahlenbasierte Einschätzung der Führungs, Kommunikations oder Entscheidungsfähigkeit des Coachee sind die Ausführungen und Beispiele der Befragten. Die Beschreibungen auf der Verhaltensebene, was genau Zufriedenheit oder Irritation bei den Mitarbeitern, Kollegen oder Vorgesetzten des anderen Kulturraums auslöst, bieten zahlreiche konkrete Ansatzpunkte für das Coaching.
Michael R. ist ein junger Manager, der schon als Praktikant an dem türkischen Ferti
28eDossier Professionelles Coaching
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gungsstandort seines Unternehmens gearbeitet hat, an dem er nun als Werksleiter tätig ist. Er ist mit einer Türkin verheiratet und ins örtliche Leben integriert. Entsprechend der Konzernkultur pflegt er einen kooperativen und integrativen Führungsstil: „Meine fünf Abteilungsleiter und ich sind ein echtes Team. Alle wichtigen Entscheidungen besprechen wir ausführlich in unseren wöchentlichen Jour fixes und mir ist wichtig, dass wir immer einen Konsens finden.“ Sehr erstaunt ist Michael R. über das Ergebnis seines 360GradFeedbacks: Seine Abteilungsleiter wünschen sich von ihm fast einhellig mehr Durchsetzungskraft. „Er versucht, alle Meinungen einzuholen – das ist nicht gut. Manchmal muss ein Manager auch ein Diktator sein!“, „Er will jedem zuzuhören und kann keine Entscheidungen eigenständig treffen.“ Ob der Wunsch nach mehr Durchsetzungskraft auf Kulturunterschiede zurückzuführen ist, auf Vorerfahrungen des Teams mit einem eher hierarchisch führenden Vorgänger oder darauf, dass manche Teammitglieder Michael R. noch als Praktikanten erlebt haben – das ist eher zweitrangig. Es geht darum, die Erwartungen zu kennen, im Coaching zu reflektieren und entsprechende Handlungsoptionen zu entwickeln. Die ausführliche Reflexion der FeedbackErgebnisse im Rahmen des Coachings ist somit ein wichtiger ProzessSchritt.
Den nächsten Schritt des 360GradFeedbackCoachings stellt das „Sharing and Clarifying Meeting“ – die Präsentation und Klärung der Ergebnisse – mit den Mitarbeitern dar. Hier kann die Brücke zwischen Führungskräfte und Organisationsentwicklung geschlagen werden. In einem vom Coach moderierten Workshop werden die FeedbackErgebnisse mit allen Mitarbeitern diskutiert und Vereinbarungen für die Zukunft getroffen. Dies ist oft ein wichtiger Schritt in Richtung einer offenen Kommunikations und FeedbackKultur und ist somit auch eine organisationsbezogene Entwicklungsmaßnahme. Unterschiedliche Sichtweisen und Erfahrungswelten werden thematisierbar. Dass mit dem Coaching so offen umgegangen wird, hat als solches schon positive Auswirkungen, wird es doch als echtes Inter esse am Umfeld gewertet. Weiter kann in dem Meeting auch die Kommunikation zwischen dem Coachee und seinem sozialen Arbeitsumfeld beobachtet werden. Dies ist eine wertvolle Quelle für das Feedback durch den Coach. Im weiteren Verlauf nimmt der Coachee die Sitzungen mitunter am Heimatstandort wahr, oder der Coach reist zum Auslandsstandort. Wichtige CoachingThemen befassen sich mit dem professionellen Agieren in der Organisationsstruktur. Fast immer gibt es Vorgesetzte vor Ort und in der Unternehmenszentrale. Sich als „Diener zweier Herren“ geschickt zu verhalten, lokale und zentrale Interessen abzuwägen, Diplomatie und politisches Feingefühl zu zeigen sind entscheidende Entwicklungsaufgaben für den Expatriate, die im Coaching besprochen werden. Zudem gilt es, das Netzwerk zu Hause zu pflegen und Selbstmarketing zu betreiben, gerade weil man ab vom Schuss ist. Wer aktiv netzwerkt, bekommt oft lange vor Ablauf der Entsendung interessante Anschlussangebote.
Schwierige, aber wichtige Schritte in Richtung offener Feedback-Kultur helfen dem Unternehmen
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29eDossier Professionelles Coaching
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Repatriate-Coaching
Im RepatriateCoaching, bei der Rückkehr ins Heimatland, spielen individuelle und unternehmensbezogene Aspekte in ihrer Wechselwirkung eine Rolle. Wertvoll für den heimkehrenden Expatriate und das Unternehmen ist es, bewusst zu reflektieren, welche Fähigkeiten, Fertigkeiten, Wissen und Erfahrungen während des Aufenthalts gewonnen und welche Kontakte und Infokanäle aufgebaut wurden. Gleichzeitig werden informelle Instrumente und Foren der Wissensweitergabe bewusst gemacht und deren Nutzung vorbereitet („In welchen Situationen kann ich welche Kollegen informieren oder durch ein Telefonat oder eine EMail an meine Kontakte vor Ort konkret unterstützen?“) So gilt es im Coaching, auch die Chancen bewusst zu machen, sich als Ansprechpartner für interkulturelle Themen und Aktivitäten anzubieten. Da formelle Systeme des Wissensmanagements bezogen auf Auslandseinsätze kaum existieren, ist es für Unternehmen wichtig – und auch für Repatriates befriedigend –, wenn das im Ausland erworbene Wissen nutzbar gemacht wird. Auch die Reintegration in die heimische (Unternehmens)Kultur ist nötig. Oft hat sich während der Abwesenheit viel verändert. Wichtige Schlüsselpersonen haben gewechselt, Abteilungen wurden umstrukturiert. Gleichzeitig sind die Erwartungen an den Rückkehrer, in der neuen Position schnell Erfolge vorzuweisen, meist hoch. Studien im amerikanischen Kulturraum gehen davon aus, dass 30 Prozent aller Expatriates innerhalb eines Jahres nach ihrer Rückkehr kündigen – oft gerade aufgrund ihrer im Ausland erworbenen Kenntnisse und fehlenden Perspektiven im eigenen Unternehmen. Auch wenn diese Zahl nur bedingt übertragbar ist, das Risiko, diese
wichtigen und teuer entwickelten, international erfahrenen KnowhowTräger zu verlieren, ist auch hierzulande beträchtlich. Immer mehr Personalverantwortliche erkennen, dass diese Gefahr durch ein begleitendes Coaching zumindest minimiert werden kann
Weiterführende Literatur
Abbott, G. N., Stening, B. W., Atkins, P. W. B. & Grant, A. M. (2006). Coaching expatriate managers for success: Adding value beyond training and mentoring. Asia Pacific Journal of Human Resources, 44, 295–317.
Chmielecki, M. (2009). Coaching modern day nomads. Journal of Intercultural Management, 1, 135–146.
Donnison, P. (2008). Executive coaching across cultural boundaries: An interesting challenge facing coaches today. De-velopment and Learning in Organizations, 22, 17–19.
Hornstein, E. v., Steiner, E. & Spörrle, M. (2011). Sag mir, wie soll ich sie führen? Professionelle Begleitung von Führungskräften. Wirtschaftspsychologie aktuell, 18 (1), 46–49.
Luthans, K. W. & Farner, S. (2002). Expatriate development: The use of 360degree feedback. Journal of Management Deve-lopment, 21, 780–793.
Osula, B. & Irvin, S. M. (2009). Cultural awareness in intercultural mentoring: A model for enhancing mentoring relationships. International Journal of Leadership Studies, 5, 37–50.
Rothlauf, J. (2009). Interkulturelles Manage-ment. Mit Beispielen aus Vietnam, China, Japan, Russland und den Golfstaaten (3., überarbeitete und aktualisierte Auflage). München: Oldenburg.
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Die Landeshauptstadt München setzt auf Coaching als nachhaltiges Qualifizie-rungsinstrument. Coaching-Angebote werden gezielt ausgebaut und fest in der Personal entwicklung von Führungs-kräften verankert. Dabei setzen die Münchner auf interne Coachs.
Coaching ist kein geschützter Begriff. Jeder darf darunter alles verstehen – und leider auch anwenden. Coaching, das seinen Namen verdient, hat jedoch ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal: In keiner anderen Qualifizierungsform stehen die Selbststeuerung des Lernenden und die Nachhaltigkeit von Lernerfolgen so im Vordergrund. Die Stadt München grenzt Coaching deshalb scharf von anderen Qualifizierungsinstrumenten wie Mentoring, Beratung, Training oder Supervision ab. Die Chancen einer nachhaltigen Verhaltensänderung von Führungskräften sind im Coaching grundsätzlich höher als im Training. Und im Gegensatz zum Mentoring sind im Coaching nicht die Erfahrungen Dritter (Mentor) erfolgsbedingend, sondern allein das Bewusstmachen und die Neusteuerung der Ressourcen, Motive oder Werte des Coachee. Während bei der Supervision die meist fortlaufende Reflexion von Belastungssituationen – in der Regel bei helfenden Berufen – im Vordergrund steht, sind im Coaching die Konzentration auf vorab fixierte Ziele und eine zeitliche Befristung unabdingbar für einen erfolgreichen Prozess.
Internes Coaching: Die Stadt München baut auf Kompetenz im eigenen Haus
S. Scholer
Stefan Scholer,Diplom-Soziologe,
Leiter des Aus- und Fortbildungs-zentrums der Landeshauptstadt
„Coaching ist kein Synonym für Training oder Beratung“, heißt es im CoachingKonzept der Landeshauptstadt München, der größten kommunalen Stadtverwaltung Deutschlands. Das Zulassen beratender Elemente im Coaching hätte eine Beschränkung und im schlimmsten Fall eine Verhinderung der durch Coaching intendierten „SelbstlernOptionen“ zur Folge und würde einer nachhaltigen Erfolgssicherung neu entwickelter Handlungsalternativen im Weg stehen. München folgt hier einer Erkenntnis der Lernforschung: „Für nachhaltiges Lernen ist es von entscheidender Bedeutung, dass der Lernende die erreichten Ergebnisse sich selbst und seinen Bemühungen zuschreiben kann und die Ergebnisse in Übereinstimmung mit den Vorstellungen von der eigenen Person und den eigenen Werten und Überzeugungen stehen“ (Mielke, 2011). Im Unternehmenskontext der Stadt München wird Coaching deshalb als lösungs und zielorientierte Unterstützung von Führungskräften durch professionelle interne oder externe Coachs definiert. Der Coach begleitet die
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Führungskraft bei der Realisierung eines Veränderungswunschs oder der Lösung eines Problems, wenn das mit anderen Instrumenten wie Training, Supervision oder Mediation schwerer oder nur mit höherem Aufwand möglich wäre.
Coaching garantiert Transfer
Was veranlasst die Stadt München dazu, zukünftig massiv in Coaching für Führungskräfte zu investieren und dazu gezielt Fortbildungsmittel umzuschichten? Sie ist überzeugt, mit Coaching auf ein Instrument zu setzen, mit dem Selbstreflexion und Verhaltensänderungen der Führungskräfte fast zwingend verbunden sind. Da innerhalb des Arbeitsumfelds der Führungskraft und an individuell formulierten konkreten Zielen gearbeitet wird, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Transfer neuer Handlungsoptionen in die Praxis ausgegangen werden. Im Gegensatz zu klassischen Seminarformen arbeiten Führungskräfte im Coaching über einen längeren Zeitraum an ihrer persönlichen Veränderungsthematik. Eine zurücklehnende Konsumhaltung wie manchmal in Seminaren ist ausgeschlossen. Nicht zu unterschätzen ist auch der Vorteil, ein persönliches Veränderungsziel in einem geschützten, vertrauensvollen Rahmen zu bearbeiten, was in sonstigen Fortbildungsformaten, außer im Mentoring, nicht oder nur eingeschränkt möglich ist.
Coaching bedient „Markt“-Nachfrage
Nahezu alle Umfragen der jüngsten Vergangenheit bei Unternehmen und Weiterbildungsanbietern ergaben für kein anderes Personalentwicklungsinstrument so hohe Potenziale wie für Coaching. Das zeigte sich auch bei einer Umfrage der
Stadt München, die von ihren Führungskräften unter anderem wissen wollte, welche Qualifizierungsformen sie bevorzugen. Ein Ergebnis der Umfrage, an der sich 848 von rund 2500 Führungskräften beteiligten: Coaching landete mit 69,6 Prozent auf dem ersten Platz. Das überraschte zunächst, da es bisher von den allerwenigsten Führungskräften in Anspruch genommen wurde. Als arbeitsplatznahes, zielgenaues und effizientes Personalentwicklungs und Weiterbildungsinstrument war das Potenzial für Coaching bei Weitem nicht ausgeschöpft, obwohl offensichtlich erhebliche Nachfrage bestand. Dem soll in Zukunft Rechnung getragen werden. Um die Qualität von CoachingProzessen bei der Landeshauptstadt München zu sichern, wurde ein bestehender CoachPool (externe Coachs) aufgelöst, und die Stadt entwickelte neue hohe Qualitätsstandards, auf deren Grundlage der Pool neu ausgeschrieben wurde (siehe Kasten Seite 32).
Persönliche Kompetenz unabdingbar
Neben den im Anforderungsprofil definierten sozialkommunikativen Kompetenzen wird von einem Coach „persönliche Kompetenz“ erwartet. Hierzu wird vor allem die Identifizierung der Werthaltungen und Motive des Coach verlangt. Dass diese Kompetenz gleichwertig neben anderen als unabdingbar definiert wurde, mag verwundern. Dahinter steht die simple Erkenntnis, dass ein Coach, der sich nie der Mühe unterziehen musste, seine eigenen Motive und Werte zu identifizieren, kaum andere dazu anregen kann, sich mit ihren eigenen individuellen Motivstrukturen und Werthaltungen auseinanderzusetzen. Vorausgesetzt wird auch „Feldkompetenz“. Sie wird definiert als „reflektierte branchen, themenspezifische und kulturelle Erfahrung
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beziehungsweise Wissen über den Kontext „öffentlicher Dienst“. Ein Coach, der für die Landeshauptstadt München tätig ist, muss demzufolge auch über integriertes Organisationswissen verfügen, er muss etwas über Unternehmensprozesse innerhalb der Stadtverwaltung, über deren Führungskultur und instrumente, über Entscheidungsabläufe sowie Konfliktmechanismen Bescheid wissen.
Interne Akzeptanz durch Vertrauen
Die Stadt München setzt zukünftig sowohl auf die Arbeit mit externen als auch mit internen Coachs. In Sachen Feld kompetenz haben interne Coachs per se einen großen Vorteil. Eine andere Frage ist die der Akzeptanz. In der Literatur wird meist beschrieben, dass sich bei der obersten Führungsebene ein Coaching durch einen externen Coach empfiehlt, während sich beim mittleren und unteren Management auch internes Coaching eignet. Viele Unternehmen kombinieren beide Varianten. Grundsätzlich wird internes Coaching eher bei gro
ßen Unternehmen angewandt. Dort hat es in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen (vgl. Offermanns, 2006).
Von diesen Befunden ermutigt, hat auch die Landeshauptstadt München mit ihren über 28 000 Mitarbeitern und rund 2500 Führungskräften beschlossen, neben externem zukünftig auch auf internes Coaching zu setzen. Dabei wissen die Personalverantwortlichen: Der Erfolg von internem Coaching setzt voraus, dass es von den Zielgruppen als positives und unterstützendes Instrument wahrgenommen und den internen Coachs vertraut wird. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn grundsätzlich eine offene und auf Vertrauen basierende Unternehmenskultur herrscht.
In München jedenfalls erfreut sich die Arbeit mit internen Coachs mittlerweile reger Nachfrage. Wichtig ist: An externe wie an interne Coachs werden die gleich hohen fachlichen wie persönlichen Anforderungen gestellt. Sowohl interne als auch externe Coachs müssen eine qualitativ hoch
Bei Coachs, die für die Landeshauptstadt München tätig sind, wird Folgendes vorausgesetzt:
Mindestalter 30 Jahre; mindestens siebenjährige umfassende Be
rufserfahrung, möglichst Führungserfahrung;
qualitativ hochwertige CoachingAusbildung mit hohem Anteil von Eigenerfahrung, Mindestdauer von 160 Stunden und möglichst Zertifizierung durch einen großen CoachingVerband (wie Deutscher Verband für Coaching und Training, Deutscher Bundesverband Coaching);
integriertes psychologisches Wissen (nicht nur aus einer psychologischen Schule) sowie Erfahrungen in der Anwendung psychologischer Interventionsverfahren;
systemisches, kontextbezogenes Verständnis von Coaching;
Erfahrungen mit betriebswirtschaftlichen Instrumenten.
Die Grundhaltung, die ein Coach erfüllen muss, ist in einer „Ethik für Coachs“ festgehalten. Sie orientiert sich weitgehend an einem Dokument des Deutschen Verbands für Coaching und Training (www.dvct.de).
Hohe Standards sichern Qualität
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wertige CoachingAusbildung nachweisen. Und für die Auswahl interner Coachs wurde das gleiche AssessmentCenter (strukturiertes Interview und Rollenspiel) durchgeführt wie für externe Bewerber. Die Landeshauptstadt München verfügt bislang über sechs interne Coachs mit entsprechender Qualifikation und CoachingErfahrung. Es handelt sich um städtische Dienstkräfte aus verschiedenen städtischen Referaten.
Mittlere Führungsebene profitiert
Die Stadt setzt vor allem im Hinblick auf die verstärkt als CoachingZielgruppe avisierte mittlere Führungsebene auf die Arbeit mit internen Coachs. Die ersten Erfahrungen zeigen, dass ab einer bestimmten Hierarchieebene in der Regel nach wie vor externe Coachs nachgefragt werden. Für Führungskräfte höherer Ebenen scheint bei der Entscheidung „intern oder extern“ ein gewisser ImageEffekt eine Rolle zu spielen. (Unausgesprochenes) Motto: „Eine in der Hierarchie hoch angesiedelte Führungskraft kann sich kaum von einem internen Coach, der in der Verwaltungshierarchie
gegebenenfalls niedriger angesiedelt ist, unterstützen lassen.“ Nichtsdestotrotz ließen sich auch Führungskräfte höherer Ebenen bereits von internen Coachs begleiten. Die Entscheidung, zukünftig vor allem auf die Arbeit mit internen Coachs zu setzen, ist in erste Linie wirtschaftlich begründet. Sie sind für den Arbeitgeber wesentlich günstiger. Auch vor dem Hintergrund, dass die Stadtverwaltung mit dem CoachingAngebot für Führungskräfte künftig in die Breite geht, wäre ein ausschließlich auf externes Coaching zielendes Konzept wirtschaftlich nicht möglich.
Anreize für internes Coaching
Bei der Stadt München ist man überzeugt: Der Erfolg eines Coachings hängt nicht davon ab, ob ein interner oder externer Coach eingesetzt wird. Entscheidend sind die Persönlichkeit des Coach, seine handwerkliche Professionalität und Kompetenz zum Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zwischen Coach und Coachee. Die Stadtverwaltung setzt gezielt Anreize, um den städtischen Referaten und Dienst
Bei der Stadt München gilt Coaching als Belohnung für Potenzialträger mit hervorragenden Leistungen
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stellen die Zusammenarbeit mit internen Coachs schmackhaft zu machen: Das wird (bis zu zehn Stunden) aus Mitteln des Personalreferats bezahlt und ist so mit keinen Kosten für die Kunden verbunden. Für externes Coaching gibt es einen gedeckelten Zuschuss, der in der Regel etwa 50 Prozent der Kosten ausmacht. Die Differenzbeträge müssen die städtischen Referate aus eigenen Mitteln finanzieren.
Der Vorgesetzte weiß Bescheid
Der oder die Vorgesetzte des Coachee wird stets einbezogen, was die Klärung des thematischen Anlasses und die grobe Zielsetzung des Coachings betrifft. Das Coaching wird gemeinsam vom Coachee und von dessen Vorgesetztem beim städtischen Personal und Organisationsreferat beantragt. Auf einem Formular wird das CoachingAnliegen schriftlich begründet. Hier kann auch angekreuzt werden, ob ein externer oder ein interner Coach gefragt ist oder ob man dazu noch Beratung durch das Personalreferat wünscht. Das Personalreferat wird guten Gewissens bei nahezu allen CoachingAnlässen und Themen auch die Unterstützung durch interne Coachs anbieten.
Zur Verschwiegenheit verpflichtet
Beim Einsatz interner Coachs stellt sich die Frage, wie diese mit Rollenkonflikten umgehen. Zwei der sechs bei der Stadt München eingesetzten Coachs (zu denen auch der Autor zählt) arbeiten zum Beispiel in ihrem „Hauptamt“ im Personal und Organisationsreferat. Sowohl externe als auch interne Coachs haben mit der „Ethik für Coachs“ (siehe Kasten Seite 32) einen Kodex unterschrieben. Wörtlich heißt es: „Von der zu coachenden Person anvertraute
Informationen unterliegen absoluter Vertraulichkeit und Stillschweigen, sofern keine Zustimmung durch die zu coachende Person erfolgt ist oder anderweitig gesetzliche Verpflichtungen zur Offenlegung vorliegen (etwa Bekanntwerden einer Straftat).“ Es ist nahezu ausgeschlossen, dass Informationen über die persönlichen Ziele des Coachee den geschützten CoachingRaum verlassen. Auch interne Coachs mit einer im Vergleich zu externen Coachs größeren Nähe zum Arbeitgeber sind Profis genug, diesen Kodex zu erfüllen.
„Strukturelle“ Erkenntnisse
Etwas anderes ist es mit in Coachings gewonnenen Erkenntnissen struktureller Natur, die für die Personalabteilung hohe Steuerungsrelevanz haben können. Hypothetisches Beispiel: Ein interner Coach erhält in verschiedenen Coachings die Information, dass Mitarbeitergespräche kaum stattfinden. Dann kann durchaus ein Hinweis an die Personalabteilung erfolgen. Denn es heißt in der „Ethik“ auch: „Ein Coach ist grundsätzlich loyal gegenüber den Interessen, Zielen und Strategien sowie der vorhandenen Wertekultur der Landeshauptstadt München.“ Dazu gehört auch ein regelmäßiges Mitarbeitergespräch. Ein interner oder externer Coach darf nicht an die Personalabteilung rückmelden: „Die Personen x oder y oder die Dienststelle z führen nie Mitarbeitergespräche.“ Aber allgemeine Hinweise wie: „Aus meinen Coachings gewinne ich den Eindruck, dass Mitarbeitergespräche von Führungskräften nicht ernst genommen werden“ sind möglich. Fragen nach Quellen wird ein interner Coach nicht beantworten. Die Grenze verläuft dort, wo der persönliche Vertrauensschutz des Coachee nicht mehr gewährleistet ist.
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Neue Führungskultur mit Coaching
Wichtig ist zudem, dass Coaching bei der Stadt München als Belohnung für hervorragende Leistungen und Maßnahme für Potenzialträger und nicht für Problemträger kommuniziert wird. Gute Führungskultur und kompetente Führungskräfte sind ein entscheidender Faktor für den Erfolg auch bei der Landeshauptstadt München. Selbst wenn in dieser Hinsicht noch keine harten Kennzahlen existieren, wird eine breitere Inanspruchnahme von Coaching zumindest mittel und langfristig positive Auswirkung auf die Unternehmenskultur haben. Reflektierte Führungskräfte, die an sich gearbeitet haben, werden ihre aktuellen Herausforderungen besser bewältigen. Zumindest mittel und langfristig aber wird auch das Führungsklima insgesamt einen positiven Schub erhalten. Durch Coaching werden Potenzialträger unterstützt, ihre Posi tion im System zu stärken und dadurch noch bessere Leistungen zu erzielen. Außerdem trägt ein CoachingAngebot für Leistungsträger zur immer wichtigeren Mitarbeiterbindung und zum „Employer Branding“ bei. Im künftig schärferen Wettbewerb um die besten Köpfe wird es viele dieser Köpfe überzeugen, dass die Stadt München in die Personalentwicklung ihrer Führungskräfte investiert und mit internen Coachs auch Kompetenz im eigenen Haus zur Verfügung steht.
Weiterführende Literatur
Mielke, R. (2011). Konsequenzen aus der psychologischen Lernforschung. In R. Meier & A. Janßen, Coachausbildung – ein strategisches Curriculum (S. 391–398). Sternenfels: Verlag Wissenschaft und Praxis.
Offermanns, M. & Steinhübel, A. (2006). Coachingwissen für Personalverantwortli-che. Frankfurt am Main: Campus.
Chefredaktion Bärbel Schwertfeger, Dipl.Psych.
Redaktionsleitung Isabel Nitzsche, M.A. phil., Dipl.Journ. Redaktionsbüro printTV Pettenkoferstr. 24 , 80336 München Telefon: +49 (0) 89 260 266 20 Fax: +49 (0) 89 260 266 31 EMail: redaktion@ wirtschaftspsychologieaktuell.de
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