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Sonderdruck für private Zwecke des Autors Das Genom und seine Regisseure Grundlagen der Genetik und Epigenetik The Genome and its Controllers The Foundations of Genetics and Epigenetics Autor P. Spork Institut Neurobiologe und Wissenschafts-Journalist Schlüsselwörter " Humangenomprojekt " epigenetischer Code " epigenetische Schalter " DNA-Methylierung " Histoncode " nichtcodierende RNA " Mikro-RNA " epigenetische Landschaft " Yellow-Agouti-Mäuse Keywords " Human Genome Project " epigenetic code " epigenetic switch " DNA methylation " histone code " non-coding RNA " micro-RNA " epigenetic landscape " yellow agouti mice Bibliografie DOI http://dx.doi.org/ 10.1055/s-0032-1332814 Aktuel Ernahrungsmed 2013; 38, Supplement 1: S2S6 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York ISSN 1862-0736 Korrespondenzadresse Dr. Peter Spork Neurobiologe und Wissenschafts-Journalist Gneisenaustraße 34 20253 Hamburg Tel.: 040/42912986 [email protected] www.peter-spork.de Übersicht S2 Am 26. Juni 2000 fand im Weißen Haus in Wash- ington eine historische Pressekonferenz statt: US- Präsident Bill Clinton, Francis Collins, Sprecher des Humangenomprojekts, und Craig Venter, Di- rektor der Firma Celera Genomics, stellten die Rohfassung des Textes eines Humangenoms vor. Damit läuteten sie das Ende des genomischen Zeitalters ein, das 1953 mit der Aufklärung der Doppelhelixstruktur der DNA durch James Wat- son und Francis Crick begonnen hatte. Exakt fünf Jahrzehnte später lag das entschlüsselte Human- Spork P. Das Genom und Aktuel Ernahrungsmed 2013; 38, Supplement 1: S2S6 Zusammenfassung ! Im Jahr 2003 wurde die erste Basensequenz eines Humangenoms vorgestellt. Seitdem konzentriert sich die Wissenschaft vermehrt auf den For- schungszweig der Epigenetik. Dieser Zweig er- kundet molekulare Strukturen, die nahe bei oder direkt an den Genen sind, die Genregulation be- einflussen und von Zellen an deren Tochterzellen weitergegeben werden. Epigenetische Marker wirken wie Schalter, die die Aktivierbarkeit der Gene dauerhaft verändern können. Sie verleihen einer Zelle ihre Identität, indem sie Genaktivitäts- muster fixieren. Epigenetische Veränderungen sorgen für die Ausdifferenzierung von Zellen, können aber auch eine Reaktion auf Umweltsig- nale sein. Diese Erkenntnisse der Epigenetik er- klären, warum Einflüsse wie Ernährung, Stress, Erziehung oder Lebensstil den Menschen prägen, besonders vor der Geburt und in der frühesten Kindheit, wenn die Organe sich entwickeln. Die Bedeutung der mütterlichen Ernährung in der Schwangerschaft für die spätere Gesundheit der Nachkommen unterstreicht das Modell der Yel- low-Agouti-Mäuse. Sie haben eine Gen-Mutation, die für ein gelbes Fell, Übergewicht und Krank- heitsanfälligkeit verantwortlich ist. Eine gezielte Ernährung unterstützt die epigenetische Maschi- nerie so, dass das Yellow-Agouti-Gen bei vielen Mäusen abgeschaltet wird und die Jungtiere mit braunem Fell und schlank zur Welt kommen. Das Zeitalter der Epigenetik beendet die alte Diskus- sion, was ererbt und was anerzogen ist: Die Um- welt beeinflusst die Gene und umgekehrt. Abstract ! The first base sequence of the human genome was presented to the public in 2003. Since then, sci- ence has increasingly concentrated on epigenetics as a branch of research subject. Epigenetics explo- res molecular structures close by or directly on the genes that influence gene regulation and are passed on from cells to their daughter cells. Epige- netic markers act like switches that switch genes permanently on or off. They give a cell its identity by fixing gene activity patterns. Epigenetic chang- es lead to the differentiation of cells but can also be a reaction to environmental signals. Insights gleaned from epigenetics explain why factors such as diet, stress, upbringing and education, or lifestyle shape humans, especially before birth and during the earliest stages of childhood, when organs develop. The importance of maternal nu- trition during pregnancy for the later health of the offspring is illustrated by the yellow agouti mouse model. These mice have a gene mutation that is responsible for a yellow pelt, overweight, and susceptibility to diseases. Targeted nutrition supports the epigenetic mechanisms so that the yellow agouti gene is switched off in many mice and their offspring are born with a brown pelt and a slim shape. The era of epigenetics puts an end to the age-old discussion of nature versus nurture: the environment influences the genes, and vice versa.

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Das Genom und seine RegisseureGrundlagen der Genetik und Epigenetik

The Genome and its ControllersThe Foundations of Genetics and Epigenetics

Autor P. Spork

Institut Neurobiologe und Wissenschafts-Journalist

Schlüsselwörter●" Humangenomprojekt●" epigenetischer Code●" epigenetische Schalter●" DNA-Methylierung●" Histoncode●" nichtcodierende RNA●" Mikro-RNA●" epigenetische Landschaft●" Yellow-Agouti-Mäuse

Keywords●" Human Genome Project●" epigenetic code●" epigenetic switch●" DNA methylation●" histone code●" non-coding RNA●" micro-RNA●" epigenetic landscape●" yellow agouti mice

BibliografieDOI http://dx.doi.org/10.1055/s-0032-1332814Aktuel Ernahrungsmed 2013;38, Supplement 1: S2–S6© Georg Thieme Verlag KGStuttgart · New YorkISSN 1862-0736

KorrespondenzadresseDr. Peter SporkNeurobiologe undWissenschafts-JournalistGneisenaustraße 3420253 HamburgTel.: 040/[email protected]

ÜbersichtS2

Am 26. Juni 2000 fand im Weißen Haus in Wash-ington eine historische Pressekonferenz statt: US-Präsident Bill Clinton, Francis Collins, Sprecherdes Humangenomprojekts, und Craig Venter, Di-rektor der Firma Celera Genomics, stellten dieRohfassung des Textes eines Humangenoms vor.

Damit läuteten sie das Ende des genomischenZeitalters ein, das 1953 mit der Aufklärung derDoppelhelixstruktur der DNA durch James Wat-son und Francis Crick begonnen hatte. Exakt fünfJahrzehnte später lag das entschlüsselte Human-

Spork P. Das Genom und… Aktuel Ernahrungsmed 2013; 38, Supplement 1: S2–S6

Zusammenfassung!

Im Jahr 2003 wurde die erste Basensequenz einesHumangenoms vorgestellt. Seitdem konzentriertsich die Wissenschaft vermehrt auf den For-schungszweig der Epigenetik. Dieser Zweig er-kundet molekulare Strukturen, die nahe bei oderdirekt an den Genen sind, die Genregulation be-einflussen und von Zellen an deren Tochterzellenweitergegeben werden. Epigenetische Markerwirken wie Schalter, die die Aktivierbarkeit derGene dauerhaft verändern können. Sie verleiheneiner Zelle ihre Identität, indem sie Genaktivitäts-muster fixieren. Epigenetische Veränderungensorgen für die Ausdifferenzierung von Zellen,können aber auch eine Reaktion auf Umweltsig-nale sein. Diese Erkenntnisse der Epigenetik er-klären, warum Einflüsse wie Ernährung, Stress,Erziehung oder Lebensstil den Menschen prägen,besonders vor der Geburt und in der frühestenKindheit, wenn die Organe sich entwickeln. DieBedeutung der mütterlichen Ernährung in derSchwangerschaft für die spätere Gesundheit derNachkommen unterstreicht das Modell der Yel-low-Agouti-Mäuse. Sie haben eine Gen-Mutation,die für ein gelbes Fell, Übergewicht und Krank-heitsanfälligkeit verantwortlich ist. Eine gezielteErnährung unterstützt die epigenetische Maschi-nerie so, dass das Yellow-Agouti-Gen bei vielenMäusen abgeschaltet wird und die Jungtiere mitbraunem Fell und schlank zur Welt kommen. DasZeitalter der Epigenetik beendet die alte Diskus-sion, was ererbt und was anerzogen ist: Die Um-welt beeinflusst die Gene und umgekehrt.

Abstract!

The first base sequence of the human genomewaspresented to the public in 2003. Since then, sci-ence has increasingly concentrated on epigeneticsas a branch of research subject. Epigenetics explo-res molecular structures close by or directly onthe genes that influence gene regulation and arepassed on from cells to their daughter cells. Epige-netic markers act like switches that switch genespermanently on or off. They give a cell its identityby fixing gene activity patterns. Epigenetic chang-es lead to the differentiation of cells but can alsobe a reaction to environmental signals. Insightsgleaned from epigenetics explain why factorssuch as diet, stress, upbringing and education, orlifestyle shape humans, especially before birthand during the earliest stages of childhood, whenorgans develop.The importance of maternal nu-trition during pregnancy for the later health ofthe offspring is illustrated by the yellow agoutimouse model. These mice have a gene mutationthat is responsible for a yellow pelt, overweight,and susceptibility to diseases. Targeted nutritionsupports the epigenetic mechanisms so that theyellow agouti gene is switched off in many miceand their offspring are born with a brown peltand a slim shape. The era of epigenetics puts anend to the age-old discussion of nature versusnurture: the environment influences the genes,and vice versa.

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genom in der beinahe vollständigen Fassung von 3,3 MilliardenBasen vor.Die Entschlüsselung dieses „ersten“ Codes des Lebens war einewissenschaftlicheMeisterleistung, die viele Geheimnisse der Ver-erbung aufdeckte. Alle Zellen speichern codierte biochemischeInformationen, die an Nachkommen weitergegeben werden. DieWeitergabe erfolgt durch zwei unterschiedliche Arten der Zelltei-lung: Mitose und Meiose. Bei der Mitose entstehen aus einer Zel-le zwei Tochterzellen mit identischem Genom. Dazu wird derChromosomensatz verdoppelt und beide Chromosomenpaarewerden auf zwei Tochterzellen verteilt. Meiose ist die geschlecht-liche Fortpflanzung in der Keimbahn. Diese Zellteilung beinhalteteinen Zwischenschritt, durch den vier Zellen mit einfachen Chro-mosomensätzen entstehen. Verschmelzen Samen- und Eizellebei der Befruchtung, erlangt die neue Zelle wieder den vollstän-digen, doppelten Chromosomensatz.

Der genetische Code!

Oft wird übersehen, dass sich Genetik und Epigenetik auch mitder Mitose befassen. Sie findet ständig in Geweben statt, die sichregenerieren und erneuern. Daher betrifft sie nicht dieWeiterga-be von Informationen an Nachfahren, sondern beispielsweise voneiner Blutstammzelle an die davon abstammenden Blutzellen.In jedem der winzigen Zellkerne befinden sich zwei Meter DNA,verteilt auf 46 Chromosomen. Bei rund zehn Billionen Zellen imKörper sind dies 20 Billionen Meter DNA. Proteinbündel namensNukleosomen sortieren und verpacken die DNA im Zellkern: DieDNAwickelt sich um diese Gebilde wie ein Kabel um Kabeltrom-meln. Gemeinsam bilden Nukleosomen und DNA das Chromatin.Der genetische Code besteht aus vier „Buchstaben“, die für dieBasen Adenin (A), Thymin (T), Guanin (G) und Cytosin (C) stehen.In ihrer Abfolge steckt der Bauplan des Lebens, die codierte Struk-tur für alle Proteine im menschlichen Organismus. Dabei enthältjeweils ein Basentriplett den Code für eine Aminosäure in einemProtein.Jede Zelle produziert genau die Proteine, die sie benötigt. Die Pro-teinbiosynthese funktioniert nach folgendem Schema: Im Zell-kernwird der DNA-Code auf eine Boten-RNA (mRNA) übertragen(Transkription). Diese verlässt den Zellkern nach einigen Um-wandlungen und bindet an ein Ribosom. Dort wird der Code inein Protein übersetzt (Translation). Das Geheimnis der Vererbungliegt im simplen, aber genialen Aufbau des DNA-Moleküls. Indemes wie ein Reißverschluss auftrennbar ist, kann der fehlendeStrang ersetzt werden und es entstehen zwei identische DNA-Moleküle. Auf diese Weise kann eine Zelle ihre Informationen anTochterzellen weitergeben.

Der Gipfel des Genhypes!

All diese Kenntnisse über Vererbung haben Genetiker in den fünfJahrzehnten zwischen 1953 und 2003 gewonnen. Schon im Jahr2000 war die Euphorie grenzenlos: Man dachte, die Kenntnis desDNA-Codes sei das Substrat für alle essenziellen Lebensvorgängeund der Schlüssel zur Behandlung jeder Krankheit. Das Schicksalschien genetisch determiniert zu sein; an den Einfluss der Um-welt und die Bedeutung der Genregulation dachte damals kaumjemand. Heute sagt Craig Venter: „Im Rückblick waren wir sonaiv, dass es fast schon peinlich ist.“ Hinter dieser Feststellungstehen viele unerfüllte Versprechungen und unbeantwortete Fra-

gen: Wo sind die vielen versprochenen Medikamente? Warumsind Menschen und Schimpansen so unterschiedlich, obwohl siegenetisch zu98,7% identisch sind?WarummachenGenenur 1,5%unseres Erbgutes aus, sind die restlichen 98,5% tatsächlich über-flüssig? Und warum hat der Mensch so wenig Gene wie einFadenwurm? Fadenwürmer haben 20000 Gene, der Mensch hatetwa 21500 Gene und den Weltrekord hält der Wasserfloh mit31000 Genen [1, 2].

Der epigenetische Code!

Heute weiß man, dass nicht die Anzahl der Gene über die Kom-plexität eines Organismus entscheidet, sondern deren Regulationund gegenseitige Beeinflussung. In diesem Punkt unterscheidetsich der Mensch vom Schimpansen und ist demWasserfloh deut-lich überlegen.Bei der Genregulation spielen epigenetische Schaltersystemeeine große Rolle. Leber-, Nerven- oder Darmzellen sind genetischzwar identisch, haben aber unterschiedliche Funktionen. DieseUnterschiede sind auf der Ebene der Epigenetik gespeichert, dieman als Neben-, Über- oder Zusatzgenetik übersetzen könnte.IhreWerkzeuge sind epigenetische Schaltersysteme. Die Gesamt-heit der epigenetischen Schalter einer Zelle nennt man ihr Epige-nom. Es bestimmt, welche Gene in einer Zelle dauerhaft aktivier-bar sind oder nicht und gibt ihr im Lauf der biologischen Ent-wicklung eine Identität [3].Außerdemverleihen epigenetische Schalter der Zelle eine Art Ge-dächtnis: Umwelteinflüsse jeder Art können bewirken, dass dieZelle einen bestimmten Zustand speichert, indem sie Schalterumlegt. Dieser Zustand bleibt auch dann erhalten, wenn derReiz wegfällt. Beispielsweise entscheidet die Umwelt, ob eineZelle zur Leberzelle wird. In diesem Fall entspricht die Umweltdem Körper und der nächsten Umgebung der Zelle. Hormoneoder Botenstoffe aus der Nachbarzelle sind aus deren Sicht diemaßgeblichen Umweltsignale. Ähnlich wirken aber auch äußerli-che Umwelteinflüsse, etwa traumatische Erlebnisse oder eine be-stimmte Ernährung. Epigenetische Schalter können darüber hi-naus im Rahmen der mitotischen Zellteilung an Tochterzellenvererbt werden. Auf dieseWeise kann sich eine befruchtete Eizel-le während der frühkindlichen Entwicklung zum fertigen Orga-nismus an die Umwelt anpassen, und diese Information wird analle Tochterzellen weitergegeben. Das erklärt, warum epigene-tisch manifestierte frühkindliche Erfahrungen bis ins hohe Altererhalten bleiben können. So entscheidet beispielsweise die Er-nährung der Mutter in der Schwangerschaft mit darüber, ob einKind später ein erhöhtes Risiko hat, an Diabetes zu erkrankenoder nicht.Anders als genetische Mutationen sind epigenetische Verände-rungen jedoch potenziell reversibel. Der Mensch kann seine Um-welt gezielt verändern, sich anderen Situationen aussetzen,einen anderen Lebensstil wählen und damit zumindest theore-tisch einige epigenetische Schalter zurückstellen [1, 3].

Die epigenetischen Schaltersysteme!

Ein Organismus besitzt ein Genom, aber tausende Epigenome. Esgibt etwa 200 verschiedene Zelltypen, und jeder Zelltyp sowieviele Zellen innerhalb eines Gewebes sind unterschiedlichen Um-welteinflüssen ausgesetzt. Aus einem Genom mit seinen assozi-ierten Strukturen entstehen daher unzählige Epigenome.

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Autors Für das epigenetische Programm einer Zelle sind nach heutigem

Wissen drei biochemische Schalterstrukturen besonders wich-tig:

1. DNA-MethylierungEnzyme namens DNA-Methyltransferasen (DNMTs) können CH3-Gruppen an Cytosinbasen der DNA anlagern (●" Abb.1). Dies er-folgt zumeist in Regionen der DNA, in denen sich die Basen Cyto-sin und Guanin abwechseln. Diese Regionen heißen CpG-Inseln.Beide Basen kommen immer gepaart vor. Lautet die Sequenz deseinen DNA-Strangs CGCGC, heißt der andere GCGCG. Die DNA istdamit immer an beiden Strängen methyliert – ein Mechanismus,der garantiert, dass das Muster der Methylierung vollständig ver-erbt wird. Denn wenn sich der DNA-Strang teilt, geht die epige-netische Information auf beide Tochterzellen über, die jeweilseinen der Stränge erhalten. Im Allgemeinen sorgen DNA-Methy-lierungen an der betroffenen Stelle für eine Unterdrückung derGenaktivität. Sie wirken wie Riegel, die Gene abschalten. DieseRegel gilt jedoch nicht immer. Inzwischen wurden potenzielleWirkstoffe gefunden, die DNA-Methyltransferasen hemmen(DNMT-Hemmer) und sich beispielsweise für den Einsatz in derKrebstherapie eignen bzw. eignen könnten.

2. HistoncodeDas zweite wichtige epigenetische Schaltersystem ist der Histon-code. Die DNA ist auf Eiweißkügelchen namens Nukleosomenaufgewickelt, die aus acht Histonmolekülen zusammengesetztsind. Zwei Typen dieser Histone haben Schwänze, die aus demMolekül herausragen. Sie können biochemisch an verschiedenenStellen mithilfe von Enzymen methyliert, phosphoryliert, acety-liert oder anderweitig verändert werden. Bisher sind etwa 50verschiedene Modifikationen an den Histonen bekannt und lau-fend werden neue entdeckt. Neben anderen Aufgaben beeinflus-sen sie die Packungsdichte der DNA. Je enger diese an einer be-stimmten Stelle ist, desto schlechter können dortige Gene abge-lesen werden.Dicht verpacktes Chromatin heißt Heterochromatin; hier befin-den sich reichlich methylierte Histone. Locker aufgewickeltes

Chromatin heißt Euchromatin; hier tragen die Histone besondersviele Acetylgruppen. Entfernt ein Enzym aus der Gruppe der His-tondeacetylasen (HDACs) die Acetylgruppen, entsteht dichtesHeterochromatin, an dem kein Gen mehr abgelesen werdenkann. Auch hier gibt es erste Ansätze für Medikamente, die His-tondeacetylasen hemmen (HDAC-Hemmer) und damit stillgeleg-te Gene wieder aktivieren können.

3. Nichtcodierende RNA98,5% der DNA sind keine Gene und wurden lange für Junk, alsoAbfall gehalten. Dies war ein Irrtum: Wissenschaftler entdeckenimmer mehr Abschnitte, deren Code anderen Stellen im Genomähnelt. Diese Abschnitte codieren für Nichtcodierende RNA. Beiihrem Ablesen entsteht keine mRNA, die später in Eiweiß über-setzt wird, sondern Mikro-RNA. Diese kurzen, DNA-ähnlichenMoleküle bilden nach einigen Zwischenschritten gemeinsammit spiegelbildlich dazu passenden mRNAs eine doppelsträngigeRNA, die aussieht wie das Erbgut eingedrungener Viren. Die Zellebehandelt sie entsprechend und zerstört damit nicht nur die Mi-kro-RNA, sondern auch die passenden mRNAs. So behindern Mi-kro-RNAs gezielt die Übersetzung eines Gens in ein Protein. Eshandelt sich genau genommen also um keine Hemmung derTranskription wie bei den anderen epigenetischen Schaltern,sondern um eine posttranskriptionale Hemmung.Für die Entdeckung dieser Kontrollmöglichkeit der Genaktivitätwurde 2006 der Nobelpreis fürMedizin verliehen. Die PreisträgerCraig Mello und Andrew Fire nannten denMechanismus RNA-In-terferenz, weil sich Boten- und Mikro-RNA gegenseitig ausschal-ten. Inzwischen weiß man, dass das Prinzip der RNA-Interferenzin fast allen Organismen vorkommt. Hunderte von Mikro-RNAssind seit Jahrmillionen im Einsatz, um die Genaktivität nicht nuran- oder auszuschalten, sondern fein abgestuft herauf- oder he-runterzuregeln.Auch hier gibt es medikamentöse Ansätze: Erprobt werden bei-spielsweise künstliche Mikro-RNAs, die in einer Zelle ein Gen ge-zielt abschalten oder herunterregulieren. Alternativ kann die Bil-dung einer Anti-Mikro-RNA körpereigene Mikro-RNAs stummschalten und Gene heraufregulieren, deren Übersetzung der Kör-per behindert.

Von der Raupe zum Schmetterling!

In der Natur gibt es viele Meisterstücke des epigenetischen Sys-tems. Eines ist die Verwandlung der Raupe zum Schmetterling.Beide haben das gleiche Genom, aber unterschiedliche Epigeno-me. Während der Metamorphose erfolgt in den meisten Zellenein epigenetischer Umbau im großen Maßstab: Viele Schalterwerden umgelegt, bis der Schmetterling entsteht.Die Metamorphose von der Raupe zum Schmetterling folgteinem festen, immer ähnlich ablaufenden Entwicklungspro-gramm (ontogenetisches Programm) (●" Abb.2). Es gibt aberauch viele Beispiele, die auf einer Interaktion zwischen Erbe undUmwelt beruhen.Weltmeister in puncto phänotypischer Plastizität ist der Wasser-floh. Das bedeutet: Er vermag sein Aussehen je nach Umweltbe-dingungen in mehrfacher Weise zu verändern. Sinkt beispiels-weise der Sauerstoffgehalt im Wasser, verändert sich sein Blut-farbstoff so, dass er mehr Sauerstoff binden kann. Und befindensich viele Fressfeinde, etwa Mückenlarven, im Wasser, wachsender nächsten Generation Dornen. Mit dieser Erweiterung sindsie zu groß, um von den Mückenlarven gefressen zu werden. Die

Abb.1 Bei der DNA-Methylierung bauen Enzyme Methylgruppen (leuch-tende Punkte) an Cytosin-Basen der DNA an. Dies geschieht meist an CpG-Inseln, wo beidseitig Cytosin-Basen sind. Das garantiert, dass beide DNA-Stränge methyliert werden (Christoph Bock, MPI für Informatik Saarbrü-cken).

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Dornenbildung ist jedoch energieaufwendig und erfolgt nur solange wie nötig. Sinkt die Zahl der Mückenlarven im Wasser, istdie nächste GenerationWasserflöhewieder dornenfrei, um Ener-gie zu sparen [2].Weitere Beweise, dass Umweltreize die Aktivierbarkeit von Ge-nen dauerhaft verändern können, liefert die Kastenbildung beiden Ameisen. Obwohl sie genetisch identisch sind, leben in je-dem Staat verschiedene hoch spezialisierte Arten von Arbeiterin-nen. Vermutlich programmieren Signale wie Duftstoffe, Tempe-ratur oder Luftfeuchtigkeit das Epigenom der jungen Ameisenund bestimmen, zu welcher Kaste eine Ameise später gehört [4].

Gelée Royale für die Königin!

Paradebeispiel für den Einfluss von Nahrung auf einzelne Epige-nome sind die Honigbienen: Wenn sie schlüpfen, sind sie gene-tisch identisch und haben alle das Potenzial, Arbeiterin oder Kö-nigin zu werden. Die Entscheidung fällt drei Tage später. Bis da-hin werden alle mit Gelée Royale gefüttert, danach bekommt dergrößte Teil zusätzlich Pollen und Nektar. Nur wenige Larven be-kommen weiterhin ausschließlich Gelée Royale – und diese wer-den später Königinnen. Damit gehen dramatische epigenetischeVeränderungen einher: Arbeiterinnen sind kurzlebig, bleiben un-fruchtbar und haben ein anderes Verhalten als Königinnen. Un-tersuchungen zufolge sind rund 1500 Gene in Gehirnzellen derKönigin anders methyliert als bei Arbeiterinnen. Das beweist ne-benbei, dass Umweltsignale auch psychische Veränderungenauslösen können, die sich molekularbiologisch in Form epigene-tischer Veränderungen an der DNA bestimmter Gehirnzellenfestmachen lassen [5].

Erbe und Umwelt bestimmen den Phänotyp!

Solche Prozesse finden – weniger dramatisch – auch beim Men-schen statt. Sehr viele Umwelteinflüsse, die von der Zeugung biszum Tod auf die Zellen einwirken, schlagen sich vermutlich ir-gendwo epigenetisch nieder. Diese These bestätigen Epigenetik-Studien an eineiigen Zwillingspaaren: Je älter sie sind, desto stär-

ker unterscheiden sie sich. Und je verschiedener die Lebensum-stände, desto unterschiedlicher sind ihre Epigenome. Das hatteils drastische Folgen für die Gesundheit: Bei einem untersuch-ten Zwillingspaar war die eine an Brustkrebs erkrankt, die anderegesund. Bei einem anderen Paar hatte die eine Typ-2-Diabetes,die andere nicht [6].Gut erklären kann man solche Beobachtungen mit dem altenKonzept der epigenetischen Landschaft, das der Entwicklungs-biologe Conrad Waddington bereits in den 1940er-Jahren ent-worfen hat (●" Abb.3). Es veranschaulicht den Einfluss von Erbeund Umwelt auf die Entwicklung eines Lebewesens: Demnachrollt der Mensch im Lauf des Lebens wie eine Murmel eine ab-schüssige Landschaft mit vielen Tälern herab. Das Landschaftsre-lief wird von den Genen vorgegeben, aber wohin die Murmelrollt, ist abhängig von Umwelteinflüssen [7].Dabei können Umwelteinflüsse aller Art den Menschen dauer-haft verändern. Ein starkes Umweltsignal ist zum Beispiel das Kli-ma: Bei der Geburt haben alle Babys die gleiche Zahl an Anlagenfür Schweißdrüsen in der Haut. Wie viele davon aktiviert werdenund wie viele abgeschaltet bleiben, hängt vom Klima in den ers-ten drei Jahren ab.Wer in heißem Klima aufwächst, schwitzt spä-ter mehr als Menschen aus kühlen Regionen – eine epigeneti-sche, sinnvolle Anpassung. Ziehen überfürsorgliche Eltern ihremKind auch im Sommer Wollsocken an und heizen die Wohnungbesonders gut, ist allerdings zu erwarten, dass die Kinder späterSchweißfüße haben.Der Genforscher Rudolf Jaenisch vomWhitehead Institute in Bos-ton, USA, bringt es auf den Punkt: „Das Epigenom ist die Sprache,in der das Genom mit der Umwelt kommuniziert.“ Die Erkennt-nisse zur Epigenetik beenden die jahrhundertealte Diskussion,ob Erbe oder Umwelt denMenschen prägen. Beide sind keine Ge-gensätze, sondern beeinflussen sich wechselseitig. Das erklärt,warum es beispielsweise so entscheidend ist, was und wie vielder Mensch isst, wie häufig er sich entspannt und ob er ausrei-chend schläft (●" Abb.4). Solche Umweltsignale prägen den Zell-stoffwechsel vor allem in Phasen, in denen die Organe noch rei-fen, also imMutterleib, nach der Geburt und bis zur Pubertät. Ausdiesem Grund können präventive Maßnahmen in diesen Zeit-fenstern besonders effektiv sein [1].

Abb.3 Die epigenetische Landschaft: Schon 1940 entstand die Idee, dengemeinsamen Einfluss von Genen und Umwelt auf den Phänotyp in Formeiner Landschaft darzustellen (Conrad H. Waddington, verändert nachBernhard Horsthemke, Essen.)

Abb.2 Gleiche Gene – anderes Aussehen: Während eine Raupe zumSchmetterling wird, arbeiten die epigenetischen Systeme auf Hochtouren:Methylgruppen werden eingebaut, Histone verformt, Mikro-RNAs produ-ziert. Danach hat fast jede Zelle andere Aufgaben als vorher (Fotolia).

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Ernährung beeinflusst das epigenetische System!

Der GenforscherMoshe Szyf, Universität Montreal, beschreibt dieBedeutung der Epigenetik so: „Wir können eine Brücke schlagenzwischen sozialen und biologischen Prozessen. Das ändert unse-re Sicht des Lebens total.“ Anders ausgedrückt sorgen positiveepigenetische Weichenstellungen für einen gesunden Stoffwech-sel und unterstützen eine ausgeglichene Persönlichkeit, vor al-lem wenn sie früh im Leben fallen. Was dies konkret heißt, for-mulierte Randy Jirtle von der Duke University in Durham, USA:„Die meisten Krankheiten entstehen nicht erst im Erwachsenen-alter. Ihr Ursprung liegt oft in den frühesten Entwicklungssta-dien, direkt nach der Befruchtung.“Randy Jirtle war zusammen mit Robert Waterland der verant-wortliche Wissenschaftler bei einem erfolgreichen epigeneti-schen Experiment. Er arbeitete mit Yellow-Agouti-Mäusen: siebesitzen eine Gen-Mutation, die sie gelb, übergewichtig undkrankheitsanfällig werden lässt. Jirtle fütterte einen Teil trächti-ger Yellow-Agouti-Mäuse mit großen Mengen bestimmter Nah-rungsergänzungsmittel, der andere Teil erhielt normales Futter.Tatsächlich kamen die genetisch identischen Jungen der beidenGruppen mehrheitlich unterschiedlich gefärbt zur Welt. Die Jun-gen, deren Mütter Nahrungsergänzungsmittel erhalten hatten,waren überwiegend schlank und hatten braunes Fell. Die Mütterohne Spezialdiät brachten dagegen fast nur gelbe und dicke Mäu-se zur Welt. Das Experiment zeigt: Eine bestimmte Ernährungkann die epigenetische Maschinerie so unterstützen, dass siedas ungünstige Yellow-Agouti-Gen abschaltet. Offenbar hat espositive Effekte, wenn man dem epigenetischen System die rich-tigen Grundsubstanzen zur Verfügung stellt, damit zum Beispielausreichend Methylgruppen vorhanden sind und die beteiligtenEnzyme gut arbeiten können. Es ist also tatsächlich entscheidendfür die spätere Gesundheit des Kindes, was die Mutter in derSchwangerschaft gegessen hat [8].Besonders hilfreich für die epigenetische Maschinerie sind Sub-stanzen wie Folsäure, Vitamin B12, Cholin, Betain, Genistein, Met-hionin und Zink. Bisphenol A wirkt dagegen negativ. Es ist imklassischen Sinne vermutlich kaum krebsauslösend, aber es be-hindert bereits in geringen Konzentrationen das epigenetischeSystem und kann auf diesemWeg vermutlich sogar zur Krebsent-stehung beitragen [9].

Sind epigenetische Strukturen generations-übergreifend vererbbar?!

Epidemiologische Daten weisen darauf hin, dass erworbene An-passungen an Umweltbedingungen unter bestimmten Umstän-den sogar an folgende Generationen vererbt werden können. Indem nordschwedischen Ort Överkalix werden seit sehr langerZeit Daten zur Gesundheit und zur Qualität der Ernten erhoben.Interessante Zusammenhänge zeigten sich in Zeiten, in denen dieErnten schlecht waren und die Menschenwenig zu essen hatten:Männer, die zu dieser Zeit in der Vorpubertät waren, hatten spä-ter männliche Enkel mit einer statistisch leicht erhöhten Lebens-erwartung und einem verminderten Herz-Kreislauf-Risiko. Er-klärbar ist diese Beobachtung vielleicht durch die kalorienredu-zierte Ernährung, deren lebensverlängernde Wirkung in vielenTiermodellen nachgewiesen ist. Scheinbar wurde dieser Effektan folgende Generationen weitergegeben – möglicherweise,weil die Epigenome der sich gerade gebildeten Samenvorläufer-zellen durch die Umweltbedingungen beeinflusst wurden [10].Bei Tieren wurde die Vererbung epigenetischer Merkmale we-sentlich detaillierter beschrieben: Bei Fruchtfliegen ist der Nach-weis bis in die achte Generation gelungen [11], bei Fadenwür-mern findet man Veränderungen des Histoncodes, die über de-ren Langlebigkeit entscheiden, noch drei Generationen späterwieder [12].Das Zeitalter der Epigenetik bringt einen neuen Blick auf die Prä-vention, gibt der Stammzellforschung wichtige Impulse, ver-spricht neue Medikamente und Diagnostika und stellt der Bio-medizin mit der Epigenomik ein neues Werkzeug zur Verfügung.

Interessenkonflikt!

Der Autor ist Herausgeber und Autor des „Newsletter Epigene-tik“, der von der Firma Celgene GmbH finanziert wird.

Literatur1 Spork P. Der zweite Code. Reinbek: Rowohlt; 20092 Colbourne JK et al. The ecoresponsive genome of Daphnia pulex. Sci-

ence 2011; 331: 555–5613 Allis CD, Jenuwein T, Reinberg D, Hrsg. Epigenetics. Cold Spring Harbor:

Cold Spring Harbor Laboratory Press; 20074 Bonasio R et al. Genetic comparison of the ants Camponatus floridanus

and Harpognathos saltator. Science 2010; 239: 1068–10715 Lyko F. The Honey Bee epigenomes: Differential methylation of brain

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diseases. Pediatr Res 2007; 61: 38R–42R7 Slack JMW,Waddington CH. The last Renaissance biologist? Nature Re-

views Genetics 2002; 3: 889–8958 Waterland RA, Jirtle RL. Transposable elements: Targets for early nutri-

tional effects on epigenetic gene regulation. Mol Cell Biol 2003; 23:5293–5300

9 Dolinoy DC et al. Maternal genistein alters coat color and protects Avymouse offspring from obesity by modifying the fetal epigenome. Envi-ron Health Perspect 2006; 114: 567–572

10 Kaati G et al. Transgenerational response to nutrition, early life cir-cumstances and longevity. Europ J Hum Gen 2007; 15: 784–790

11 Cavalli C, Paro R. The Drosophila Fab-7 chromosomal element conveysepigenetic inheritance during mitosis and meiosis. Cell 1998; 93:505–518

12 Greer EL et al. Transgenerational epigenetic inheritance of longevity inCaenorhabditis elegans. Nature 2011; 479: 365–371

Abb.4 Alle denkbaren Umwelteinflüsse können das Epigenom verändernund den Menschen fürs Leben prägen (Peter Spork, Hamburg).

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