Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

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Av.C-Tos Mezzotinto Brackmann

RICHARD WAGNER

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HOUSTON STEWART CHAMBERLAIN

RICHARD WAGNER

Prometheus soil von seinem Sitz erstehen

Und dem Geschlecht der Welt verkiindigen:

„Hier ward ein Mensch, so hab' ich ihn gewoUt!"

Heinrich von Kleist

NEUE ILLUSTRIERTE AUSGABE

ZWEITER BAND

^PMUNCHEN

F. BRUCKMANN A.-G.

1911

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ALLE RECHTE, BESONDERS DAS DERREPRODUCTION VON ABBILDUNGEN

VORBEHALTEN

Copyright 1911 by F. Bruckmann A.-G., Munchen

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Library

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DRITTES KAPITEL

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE

Und nun fragt euch selber, ihr Ge-

schlechter jetzt lebender Menschen!

Ward dies fiir euch gedichtet? Habt

ihr den Mut, mit eurer Hand auf die

Sterne dieses ganzen Himmelsgewolbes

von Schonheit und Giite zu zeigen und

zusagen:esistunserLeben, das Wagner

unter die Sterne versetzt hat?

Nietzsche.

21^

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EINLEITUNG

d

Allem Gesagten zu Folge ist nun der Begriff,

so niitzlich er fiir das Leben, und so brauchbar,

notwendig und ergiebig er fiir die Wissenschaft

ist, fiir die Kunst ewig unfruchtbar. Hingegen

ist die aufgefasste Idee die wahre und einzige

Quelle jedes ecliten Kunstwerkes.

Schopenhauer

Mit absichtlicher Ironie habe ich am Schlusse des vorigen oiewerkede

Kapitels die Frage aufgeworfen, ob wir Wagner's eigene Werke ^'"'"

als vollgiiltige Beispiele des von ihm gelehrten vollkommensten

Dramas betrachten durfen. Denn an einem solchen Paradoxon

wird man gewahr, wie eitel und nichtssagend alles kritische

Systematisieren und alle vergleichende Wertschatzung sind,

^ sobald man einem lebendigen Meisterwerk gegeniibersteht. Be-

5 deutet Shakespeare einen Fortschritt iiber Sophokles, Wagner' einen Fortschritt iiber Shakespeare? Wer fiihlt nicht, dass eine

4 solche Fragestellung sinnlos ist? Uber die Jahrhunderte hin-

i weg reichen sich die schopferischen Geister die Hande und

^ bilden eine einzige Familie. Denn die Naturkraft „Genie"

X tritt erst dann in die Erscheinung, wenn in einem Individuum

zu einer seltenen Macht der Empfindung die souverane Be-

herrschung der technischen Mittel hinzukommt; aus dieser Ver-

einigung von Gaben entstehen Werke, denen das Pradikat

„vollkommen« gebiihrt, nicht weil sie einem theoretischen „ab-

solut Schonen" sich nahern, auch nicht weil ein Mehr oder

Weniger an Ausdrucksmitteln ihnen zu Gebote steht, sondern

weil in ihnen vollendete Harmonic zwischen dem Ziel und dem

Werke, der Empfindung und dem Ausdrucke herrscht — und

das ist in der Tat ein Absolutes, nicht ein Relatives. Wie

Schopenhauer treffend von genialer Kunst sagt: „Sie ist uber-

all am Ziele". Es bleibt sich nun gleich, ob wir mit Carlyle

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332 DRITTES KAPITEL

in dem genial Wirkenden ein andersgeartetesWesenalsdieiibrigen

Menschen erkennen wollen, ein Wesen, das sich gewissermassen

auf diesen Planeten verirrt hat, oder ob wir jener trostreichen

Anschauung Wagner's beipflichten ^) und das Genie als den

Zeugen einer schopferischen Kraft betracliten, die das ganze

Geschlecht der Menschen sein eigen nennt, einer Kraft, die bei

einer anderen Gestaltung der menschlichen Gesellschaft zu noch

ungeahnt machtigen „gemeinsamen" Ausserungen gelangen wiirde,

die jetzt aber nur in einzelnen hoch emporschiesst; es bleibt

sich, sage ich, gleich, wie wir das Genie erklaren wollen: sicher

ist, dass seine Werke ein vollkommen Abgesondertes, Unver-

gleichliches bilden, das man als ein Naturphanomen ansehen

muss. An diesen Werken verliert darum die Kritik — im

ublichen, beschrankten Sinne des Wortes — ihre Rechte; denn

es fehlt ihr hier jedes Kriterium zu einer vergleichenden Be-

urteilung mit Lob und Tadel. „Durch das Genie gibt die

Natur der Kunst die Kegel", sagt Kant; nur wo Genie frei

gestaltet, lernen wir folglich die Kegel kennen, und wir konnen

das Geniale nur an seinem eigenen Massstab messen. Zwarwird der Vergleich der genialen Werke verschiedener Zeiten

untereinander von hochstem Interesse sein; er kann aber in

nichts anderem bestehen als in der Erwagung der verschiedenen

Mittel, durch die jene voUendete Harmonic zwischen Empfindung

und Ausdruck je nach den Epochen und den Volkern hergestellt

wurde.

Bel einer Betrachtung der Werke des Genies werden

wir also die iibliche „Kritik" verwerfen; wir werden unseren

kritischen Scharfsinn dazu benutzen, das Unterscheidende und

Unvergleichliche an ihnen klar zu erkennen, uns von ihnen

belehren zu lassen, des Goetheschen Wortes eingedenk: „Wasdas Genie geleistet hat, sehen wir allenfalls; wer will sagen,

was es leisten konnte oder sollte?" Heutzutage nennt man

ein solches einsichtsvolles Verfahren „Anbeterei"; und doch

gehort keine sehr hochgradige Schwarmerei zu der Einsicht,

Wagner habe besser gewusst, wie sein Tristan zu schreiben

sei, als die vielen Herren, die ihn seitdem dariiber belehrt

haben; ich mochte dies sogar ein „Minimum" an Verstand

') Vergl. S. 282.

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 333

nennen, wie man es bei jedem denkenden Geschopf sollte

voraussetzen konnen. Jedenfalls ist einer, der ein Maximuman kritischer Begabung besass, mit gutem Beispiel voran-

gegangen, Aristoteles. Die Werke des kiinstlerischen Geniesnimmt dieser grosse Denker gegen die Tadelsucht der damals

schon grassierenden Kritikaster und Dramaturgen energisch in

Schutz, und alie seine beriihmten — und so viel missbrauchten— Regeln folgert er aus den Kunstwerken, nicht umgekehrt.Genau ebenso hat es Richard Wagner in seinen Kunstschriften

gemacht; nichts ist hier abstrakt oder theoretisch, alles ist aus

lebendiger Kunst gefolgert; wie er selber sagt: „Es ist gar nicht

Spekulation, sondern im Grunde nur Darlegung der Natur derDinge und ihres richtigen Verhaltnisses zu einander" (U. 188).

Solchen Beispielen diirfen wir bei der Besprechung von Wagner'seigenen Werken getrost folgen.

Eine tiefe Einsicht in das Wesen dieses neuen Kunstwerkes— des Wort-Tondramas — konnen wir durch die genaue Be-trachtung von Wagner's kunstlerischem Entwickelungsgange unddurch ein liebevolles Versenken in die Meisterwerke seiner

vollen Reife eriangen. Hier ist — wie schon gesagt — kritischer

Scharfsinn recht wohl am Platze; er dient aber einer konstruk-

tiven, nicht einer zersetzenden Kritik.

Nur stellen sich auch hier gleich am Anfang Hinder-

nisse in den Weg. Bei der Entwickelung des Kiinstlers wirken

viele aussere Momente storend auf unsere sichere und klare

Erkenntnis des stattfindenden inneren Vorganges; Zufaile des

Schicksals, Not und Druck konnen doch manches bestimmen,

und sobald man zu sehr ins Einzelne geht, lauft man be-

standig Gefahr, das Unwesentliche mit dem Wesentlichen

zu verwechseln. Man lese nur Jahn's klassische Mozart-

biographie und sehe, wie manches, was eine kritiklose Kritiker-

welt bewundern zu miissen glaubt, gegen jenes Meisters bessere

Einsicht — aus Not — entstand. Bei Wagner ist aller-

dings die Unabhangigkeit des schaffenden Genius vom ausseren

Zwange bewundernswert; von Tannhduser Sitiy kann man sagen,

haben aussere Riicksichten gar keinen, auch nicht den minde-

sten Einfluss auf die kiinstlerische Gestaltung ausgeiibt; dazu

die Beschrankung auf ein einziges Ziel; dies alles tragt zur

Ubersichtlichkeit bei. Gerade aber wie der Damon des Sokrates

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334 DRITTES KAPITEL

diesen nur warnen konnte, so verhinderte allerdings Wag-

ner's Damon den Meister, auf Kompromisse einzugehen und

seiner kiinstlerischen Uberzeugung Gewalt anzutun; nichts-

destoweniger klaffen die gahnenden Lucken dessen, was

der Meister niclit schuf, weil er in seinem unaufliorlichen

Kampfe gegen eine feindlich gesinnte Welt nicht die Musse

dazu gewann. Vorsiclit ist also geraten, wollen wir uns

nicht ein imaginares Bild von Wagner's Entwickelungsgang

machen. Aber auch das Versenken in die Kunstwerke ist

ein von wirklichen Gefahren begleitetes Unternehmen. Eigent-

lich sollte man Kunstwerke nur sehen und horen — sie

erleben — nicht sie besprechen; hierin wird mir jeder echte

Kiinstler beipflichten. Kunstwerke des Genies sind nur

mit OfFenbarungen zu vergleichen; ihr Geheimnis konnen wir

nie ergriinden, und es erfordert ungemein viel Takt, das-

jenige herauszufinden, woriiber mit Nutzen gesprochen werden

kann. Ein Schritt zu nahe an das Kunstwerk heran — und

schon streifen wir den zartesten Reif ab; bald bleibt ein blosses

anatomisches Geriist in unseren Handen. Uber dieses „Ge-

heimnis" sagt Wagner: „Wer dariiber laut und breit sprechen

konnte, miisste eben nicht viel in sich aufgenommen haben".

Und ahnlich aussert er sich beziiglich der „Lehren", die manso sehr versucht ist aus Kunstwerken abzuleiten: „Nur an

dieses Kunstwerk und seinen Eindruck auf uns, der am Ende

doch wiederum ein individueller ist, konnen wir uns halten;

was sich als allgemeingultig von Kunstregeln daraus abstrahieren

lasst, ist im ganzen immer blutwenig, und diejenigen, die viel

daraus machen wollen, haben von der Hauptsache eigentlich

gar nichts begriffen" (Uber Franz Liszfs symphonische Dich-

tungen V, 251).

Musikaiische Mchr als andere Werke laufen gerade die Wagner's Gefahr,Exegetik einer endlosen Exegetik zum Opfer zu fallen: Mythos, Legende,

Geschichte, Politik, Soziologie, Philosophie, Religion — alles

wird herangeschleppt zur vermeintlichen Erklarung von Werken,

die gar nichts anderes erfordern, um begriffen zu werden, als

offene Sinne und ein empfangliches Herz. Dass die Ge-

lehrten aus Wagner's Werken alle viel lernen konnen —die Mythologen, die Sprachforscher, die Philosophen, sie alle

— das bezweifle ich keinen Augenblick; ich bezweifle aber

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 335

sehr, dass sie uns das Allergeringste uber das Kunstwerk lehren

konnen. Selbst die staunende Verwunderung, in die wir durch

solche Betrachtungen versetzt werden, ist fiir die Kunst kein

unbedenklicher Gewinn; durch rein kiinstlerische Empfangnis

kiimen wir jedenfalls weiter; durch sie wiirden wir am Ende

selber Kiinstler und taten selber kleine Wunder!^) Das er-

barmlichste Opfer der exegetischen Wut ist natiirlich die Musik

dieser Dramen geworden. Denn ist auch die Musik ebenso-

wenig befliigelte Mathematik, wie die Architektur „gefrorne

Musik" ist, so ist doch ihre Gestalt eine arithmetische : Be-

wegungen von starren Korpern bilden die Grundlage ihrer

Wirkungen. Hier liegt also das Formelwesen — oder vielmehr

Unwesen — sehr nahe. Die Wiederholung bestimmter Figuren,

verbunden meistens mit ihrer vielfachen Variation, war von

jeher die notwendige Form aller Tonkunst; kunstvolle Musik

warf verschiedene Figuren zusammen, Hess sie sich ineinander

verschlingen und sich umgestalten, erweiterte sie, verein-

fachte sie, loste sie in ihre Bestandteile auf, fiigte sie anein-

ander. Mochte nun diese Handhabung des Tonmaterials zu-

letzt durch Beethoven und Wagner zu einem unvergleichlich

biegsamen, dramatischen Ausdrucksmittel ausgebildet worden

sein, das Grundgewebe ihrer Symphonien musste dennoch

nicht weniger aus Themen und Gegenthemen und deren

Variationen bestehen als eine Fuge Bach's. Und schrieen die

ersten Kritiker iiber Wagner's „Formlosigkeit" (genau so, wie

sie es seiner Zeit bei Beethoven getan hatten), so war es ein

verdienstvolles Beginnen, wenn Liszt und andere Musiker dar-

auf hinwiesen, dass Wagner's Partituren wahre Wunderwerkeder Formvollendung seien. Das war denn schliesslich fiir Fach-

kundige so unleugbar, dass des Meisters Feinde umsattelten

und nunmehr behaupteten, bei ihm komme nichts aus demHerzen, er sei ein mathematisches Genie, das mit Tonen operiere.

Beides — „Formlosigkeit* und „mathematisches Genie" — so

*) Wer sich fiir solche Fragen interessiert, weiche jedenfalls demDilettantismus wie der Pest aus; fiir Sage und Mythologie in Wagner's

Werken wende er sich an Prof. Golther, Dr. Meinck und Wolzogen, fiir

Sprache an Wolzogen, Meinck und Glasenapp (die Arbeiten dieses letzteren

auf philologischem Gebiete sind noch unveroffentlicht), fiir Geschichte und

Legende an Prof. Muncker, Golther, Hertz usw. usw.

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336 DRITTES KAPITEL

alberne Vorwiirfe, dass sie schon langst haben verstummen

miissen. Was aber nie verstummte, das ist, was man die

„Motivsucht" genannt hat, ein Leiden, an dem schon mancher

sein bisschen Kunstverstand verlor. Diese Neigung artet sogar

immer mehr in das Formelhafte aus; die Motive werden nicht

mehr bloss als die einzelnen Gliedmassen eines bestimmten

symphonischen Korpers gesucht, aufgestellt und benamst, son-

dern die Untersuchung wird auf samtliche Werke des Meisters

ausgedehnt, und wir erfahren, dass eine bestimmte — erst

sinkende, dann steigende — Figur Wagner's „Frageformel" ist,

eine andere, chromatisch aufsteigende seine „Sehnsuchts-

formel" u. s. w. Alles das ist aber doch im besten Falle nur,

was Beethoven so treffend „musikalisches Gerippe" nannte. In

seiner Schrift Uber das Dichten und Komponieren macht

Wagner darauf aufmerksam, wie „gar nichtssagend, ja fast

liicherlich unbedeutend" das Beethovensche Motiv

ist, wenn man es eben als „Gerippe" ansieht; warum be-

deutet es dennoch so viel? Weil Beethoven das Schicksal mit

diesen Tonen hatte an die Pforte klopfen horen. Ebenso sind

Wagner's Motive darum von so zwingender Gewalt, well sie

nicht willkiirlich musikalisch erfunden, sondern ihm von den

Gestalten einer bereits bis zur hochsten Lebhaftigkeit gereiften

dichterischen Konzeption vernehmlich zugefliistert wurden

(siehe die schone Stelle X, 226). Die musikalischen Motive

verdienen es also in hohem Masse, unsere Aufmerksamkeit zu

fesseln; es ist ein Wunderbares urn diese Gebilde, in denen die

Einheit des Kunstwerkes zugleich nach innen und nach aussen

Gestalt gewinnt; wir miissen aber vor allem einsehen, dass diese

Motive nicht das Erste, Urspriingliche an dem musikalischen

Aufbau sind, sondern das Endergebnis des eigentlichen dichte-

rischen Schopfungsaktes. Reisst man ein solches Gebilde aus

dem Zusammenhang heraus, so bleibt eine blosse „Formel"

;

an und fiir sich ist eine Phrase wie

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 337

ebenso nichtssagend wie das ggg— es aus Beethoven's C-moll-

Symphonie; denn seine Bedeutung erhalt das Motiv erst durch

das Drama. Das musikalische Motiv entbliiht, wie Wagner in

Oper and Drama auseinandersetzt, den wichtigsten Motiven der

Handlung; mit der Handlung organisch verbunden ist es eine

Bliite, ohne die Handlung ein Gerippe. Mag also der ausiibende,

fachmannisch gebildete Musiker die Technik der musikalischen

Struktur studieren, wenn es der Vortrag erheischt — er lauft ]a

dabei nicht Gefahr, in das Griibelnde zu verfallen, da beim

tatsachlichen Vortrag die kiinstlerische Seele zu ihrem Recht

kommt — hiiten wir uns aber davor, der logischen Analyse der

Musik einen Wert beizumessen, den sie nicht besitzt. Immerwieder muss man auch daran erinnern, dass Wagner niemals

Musik auf Worte gemacht oder „Dichtungen komponiert" hat,

sondern dass das ganze symphonische Gewebe jedes seiner

Dramen die poetische Atmosphare ist, in welcher dieses Dramageboren wurde, in welcher es allmahlich reifte und von welcher

umhiillt es dann in die Welt — deren Luft ihm Gift ware —hinaustrat.

Ein Beispiel, um das Gesagte zusammenzufassen.

Erst jahrelang nach der Vollendung seines Lohengrin ent-

deckte Wagner selber, dass er gewisse musikalische Phrasen

darin symphonisch und motivisch angewandt hatte (vergl.

U. 145). So sollten, meine ich, auch diejenigen, die tiefer in

das Geheimnis seiner Werke eindringen wollen, nur nach und

nach, von dem bestimmenden Allgemeineindruck moglichst voU-

kommener Auffiihrungen ausgehend, gewissermassen absichts-

los in das Innere vordringen. Hier werden sie allerdings dann

nie auslernen, da die Formvollendung und der Reichtum an

Schonheiten, die man bisher nicht ahnte, der staunenden Be-

trachtung unerschopflichen Stoff bieten. Das Beste und Kost-

barste bleibt aber eine tiefinnerliche Erfahrung, die sich in

Worten nicht mitteilen lasst.

In diesem Kapitel beabsichtige ich also nur die Haupt- zweck dieses

linien von Wagner's kiinstlerischem Entwickelungsgang zu

skizzieren und dann an der Hand seiner Meisterwerke einige

Anregung zu einem tleferen Erfassen dieser herrlichen Dramen

zu geben; auch das ware kaum notig, hatten wir nicht — und

wahrscheinlich noch auf lange hinaus — die Behandlung dieser

Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 22

Kapitels

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338 DRITTES KAPITEL

Werke als „Opern" vorauszusehen, ihre Auffiihrung auf Opern-

theatern, im gewohnlichen Opernrepertoire und durch einfache

Opernsanger zu gewartigen. Einer solchen Verunstaltung gegen-

iiber hat allerdings eine theoretische Erorterung noch einige

Berechtigung. Um Wagner's Werke wirklich kennen zu lernen,

gibt es aber nur ein Mittel: den Auffiihrungen in Bayreuth

beizuwohnen.

Von grosserer Bedeutung wird das Ergebnis dieses Kapitels

fiir eine mehr innerliche Erfassung von Wagner's Individualitat

sein. „Durch dichterische Arbeiten hat man den besten Zu-sammenhang mit andern", meint Goethe an einer Stelle, woer von dem Wunderbaren und fast Unmittelbaren alles In-

dividuellen spricht (Bf. an Schiller vom 3. Marz 1799). Undin der Tat, aus Gottfried von Strassburg's Tristan und Isolde

steigt das Bild des unbekannten Verfassers lebhafter vor

unserem inneren Auge auf, als dies nach der ausfiihrlichsten

Schilderung seiner Lebensumstande der Fall sein wiirde; genau

das selbe gilt von Richard Wagner's Tristan und Isolde. Wennsamtliche Angaben iiber Wagner's Lebensschicksal durch einen

Kataklysmus verloren gingen und allein seine Kunstwerke

erhalten blieben, so wiirden wir diesen grossen Mann besser

kennen, es wiirde sich seine Individualitat kraftiger in unserem

Bewusstsein abheben als jetzt, wo die „historischen Dokumente"

die Gestalt ebenso verschiitten, wie der Wiistensand die agyp-

tische Sphinx. Ohne dass ein ungehoriger Nachdruck darauf

gelegt wird, soil fiir die folgende Besprechung die Einsicht

bestimmend sein, dass das Herz des Kiinstlers sich gerade in

den Schopfungen seiner Phantasie offenbart.

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KUNSTWERKEDER ERSTEN LEBENSHALFTE

Die Oper kann das gr6sste und wichtigste

aller dramatischen Schauspiele sein, weil darln

alle schonen Kunste ihre Krafte vereinigen: aber

eben dieses Schauspiel beweist den Leichtsinn der

Neueren, die in demselben alle diese Kunste zu-

gleich erniedrigt und verachtlich gemacht haben.

Sulzer

1. Jugendversuche

Bei Wagner's Anlagen und bei der bestandigen Anregung, Die aiteunddie

die er vom Theater aus erhielt, kann es nicht wundernehmen, "^"® sprache

wenn seine Versuche, auf kiinstlerischem Gebiete sich produktiv

zu betatigen, sehr friihzeitig begannen und zahlreiche Formen

annahmen. Natiirlich reagiert jedes Kind den Eindriicken ge-

mass, die es empfangt, und man ist wohl kaum berechtigt, sehr

weitgehende Folgerungen aus der besonderen Art von Wagner's

ersten Ausserungen zu Ziehen ausser allenfalls der Feststellung,

dass dieses Gemiit ein ungewohnlich empfangliches war und

dass der alien gemeinsame Nachahmungsinstinkt sich hier bis

zum schopferischen Trieb gesteigert kundtat. Mozart und

Beethoven hatten nicht als Kinder schon komponiert, waren

ihre Eltern nicht Musiker gewesen; Wagner hatte wahrschein-

lich nicht schon in den unteren Gymnasialklassen „TrauerspieIe

nach dem Vorbild der Griechen** entworfen (Autobiographische

Skizze, I, 8), ware er nicht auf der Biihne aufgewachsen. So-

bald aber ein Knabe recht verschiedene Eindriicke zu empfangen

beginnt, so bekommen wir genaueren Aufschluss iiber die

Richtung, in die ihn seine naturlichen Anlagen treiben. Bei

Wagner's so entschiedenem und impulsivem Charakter zeigt

sich sehr fruhzeitig diese Richtung.

22*

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340 DRITTES KAPITEL

Bereits im ersten Kapitel') habe ich darauf hingewiesen,

dass Wagner schon in den fruhen Schuljahren fur ein Fach

eine ungewohnliche Begabung an den Tag legte: fiir Sprache.

Mit Absicht schreibe ich Sprache und nicht Sprachen; denn in

der Folge hat es sich herausgestellt, dass er zum Polyglotten

nicht die geringste Anlage besass und dass nicht die formale

Vergleichung, die das Wesen unserer Philologie ausmacht,

sondern das tiefe, kiinstlerische Erfassen des lebendigen Sprach-

organismus ihn so auffallend begeisterte. Nicht also fiir Sprachen,

wohl aber fiir Sprache zeigte Wagner schon als Kind eine be-

sondere Beanlagung. Das ist nun gewiss bemerkenswert und

verleiht der sonst nicht besonders auffallenden Tatsache, dass

er sich schon in der Schulzeit mit Gedichten und Trauerspielen

abgab, eine besondere Bedeutung; denn zu der grossen Emp-

fanglichkeit fur Eindriicke und zu dem ausgesprochenen

Schaffenstrieb geselit sich hier eine ungewohnliche Anlage, sich

in die Geheimnisse des ersten und unerlasslichsten Ausdrucks-

mittels fiir unsere Empfindungen zu versenken und sie sich zu

eigen zu machen. Hier, genau an diesem Punkt, liegt die ur-

kundliche Gewahr fiir die unzweifelhafte Genialitat der Anlage;

denn hier ruht der Keim zu jener„Harmonie zwischenEmpfindung

und Ausdruck", von der ich in der Einleitung gesprochen habe.

Vielejahre spaterschrieb Wagner: „Die unerlassliche Grundlage

eines vollendeten kiinstlerischen Ausdruckes ist die Sprache"

(IV, 262); aber — wie er an einem anderen Orte treffend aus-

fiihrt — „die Sprache gehort ja nicht uns, sondern wird uns als

ein Fertiges von aussen gegeben" (V, 238); um diese Grundlage

eines vollendeten kiinstlerischen Ausdruckes zu beherrschen,

muss man also die Sprache erringen, erkampfen, und hierzu

trieb den Knaben schon friih sein kiinstlerischer Instinkt. Dass

sein Ringen wirklich nach „Ausdruck" ging und dass die Lehrer

des Dresdener Gymnasiums sich gewaltig getauscht hatten, als sie

die auffallende sprachliche Begabung des jungen Wagner fur eine

philologische Anlage hielten, das zeigte sich bald unzweideutig:

es zeigte sich an der Art, wie er dazu kam, Musik zu studieren.

Eine ausgesprochene Begabung fur Musik hat Wagner

allerdings als kleines Kind schon gezeigt; denn trotzdem er

') S. 49.

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 341

wenig Oder gar keinen Unterricht genossen hatte, spielte er

nach dem Gehor und vom Blatte. Das Technische des Klavier-

spiels war ihm jedoch zuwider, und ein tieferes Interesse zeigte

er erst dann fiir Musik, als er in seinem 16. Jahre sein erstes

grosses Trauerspiel — aus Hamlet und Lear zusammengesetzt —vollendet hatte. Auch hier war natiirlich ein ausserer Eindruck

entscheidend gewesen. Die Familie war von Dresden nach Leipzig

gezogen; hier horte der Jiingling zum erstenmale symphonische

Musik: „Wahrend ich mein grosses Trauerspiel vollendete",

schreibt Wagner, „lernte ich in den Leipziger Gewandhaus-konzerten zuerst Beethovensche Musik kennen; ihr Eindruck

auf mich war allgewaltig. Auch mit Mozart befreundete ich mich,

zumal durch sein Requiem. Beethoven's Musik zu Egmontbegeisterte mich so, dass ich um alles in der Welt mein fertig

gewordenes Trauerspiel nicht anders vom Stapel laufen lassen

wollte, als mit einer ahnlichen Musik versehen. Ich traute mir

ohne alles Bedenken zu, diese so notige Musik selbst schreiben

zu konnen, hielt es aber doch fiir gut, mich zuvor iiber einige

Hauptregeln des Generalbasses aufzuklaren. Um dies im Fluge

zu tun , lieh ich mir auf acht Tage Logier's Methode des

Generalbasses und studierte mit Eifer darin. Das Studium trug

aber nicht so schnelle Friichte, als ich glaubte; die Schwierig-

keiten desselben reizten und fesselten mich; ich beschloss,

Musiker zu werden" (I, 9). Aus diesem Vorgang lernen wir

manches iiber des Meisters Anlagen. Ebensowenig wie Wagner's

Interesse fiir Sprache aus einer analytisch-philologischen Neigungentsprang, ebensowenig reizte ihn die Musik, solange er sie

nur als ein Spiel schoner Formen kannte und solange er

selber als Dichter noch nicht nach Ausdruck rang. Die Er-

fahrung einer leidenschaftlich dramatischen Musik, verbunden

mit diesem eigenen Bediirfnis, mehr zu sagen, als er mit Wortenallein hatte sagen konnen, war es, was ihn dazu trieb, die Be-

herrschung auch dieses zweiten Ausdrucksmittels zu erstreben.

Es war ein Dichter, der Musiker wurde. Auch hier finden

wir in Oper und Drama Worte, die sich wie ein Stiick Auto-

biographic ausnehmen. Nachdem der Meister ausgefiihrt hat,

wie unsere Wortsprache immer konventioneller, immer armer

an Gefiihlsinhalt wurde, fahrt er fort: „Wir konnen nach unserer

innersten Empfindung in dieser Sprache gewissermassen nicht

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342 DRITTES KAPITEL

mitsprechen, denn es ist uns unmoglich, nach dieser Empfindung

in ihr zu erfinden; wir konnen unsere Empfindungen in ihr

nur dem Verstande, nicht aber dem zuversichtlich versteiienden

Gefiihle mitteilen; und ganz folgericlitig suclite sicii daher in

unserer modernen Entwicklung das Gefiihl aus der absoluten

Verstandessprache in die absolute Tonsprache, unsere lieutige

Musik, zu fliichten". Die Musik ist „die erlosende und ver-

wirkliciiende neue Sprache, in welclier der Dichter schliesslich

den tiefsten Inhalt seiner Absicht am iiberzeugendsten einzig

kundtun kann« (IV, 122 und 125). Fur Wagner ist also

die Musik eine „neue Sprache". Mit dem selben Eifer und

dem selben Erfolg, mit dem er sich auf die „alte Sprache" ge-

worfen hatte, warf er sich nun auf die „neue". Die Familie

und die Lehrer schiittelten bedenklich den Kopf; sie hielten

den Jiingling fiir fliichtig; er aber verfolgte mit heftigem Eigen-

sinn den Weg, den ein unfehlbarer, unbewusster Instinkt ihn

wies. „Das Machtigste im Dichter, welches seinem Werden die

gute und die bose Seele einblaset, ist gerade das Unbewusste*,

bemerkt Jean Paul.

Einige Zeit lang studierte und komponierte Wagner im

geheimen allerhand. Sein interessantester Versuch war ein

Schaferspiel, zu welchem er „gar keinen dichterischen Entwurf

machte, sondern Musik und Verse zugleich schrieb und so die

Situationen ganz aus dem Musik- und Versemachen entstehen

Hess". Dann aber empfand er die Notwendigkeit, griindliche

Studien zu betreiben; er tat es mit grossem Erfolg, und der

Thomaskantor Weinlig konnte ihn als vollendeten Kontra-

punktiker aus der Lehre entlassen. Die eigentliche Technik

der Komposition erlernte Wagner dann durch zahlreiche eigene

Versuche. Der Meister selber legte auf diese Versuche, die

in seinem kiinstlerischen Entwickelungsgange nur die Bedeutung

von Studien zur Beherrschung der „musikalischen Sprache"

besitzen, so wenig Wert, dass sie ganzlich verschollen waren und

erst in letzter Zeit aufgefunden wurden. Unbedeutend waren

diese Erstlingswerke des 18- und 19jahrigen Junglings gewiss

nicht; denn |abgesehen von der bekannten Sonate, die Breit-

kopf schon 1831 verlegte, und von einigen anderen Kleinig-

keiten fiir Klavier, sehen wir, dass seine Orchesterkompo-

sitionen fast alle entweder im Theater oder im Gewand-

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 343

haus zur Auffiihrung kamen, so z. B. im Jahre 1830 die

B-dur-Ouverture mit Paukenschlag, 1832 die D-moll-Konzert-ouverture und die C-dur-Ouverture mit Fuge sowie die Ouver-ture zu Konig Enzio, die Symphonie in C-dur, eine Scene undArie u. s. w.

Im Jahre 1832, als Wagner genau 19 Jahre alt war, schrieb wagner's erst*

er seine erste Oper, Die Hochzeit Dieses Werk wurde nie^^"

vollendet, da er es auf Wunsch seiner Schwester Rosalie,

welcher die gliihend sinnliche Dichtung nicht gefiel, vernichtete.

Dennoch hat es fiir uns ein sehr grosses Interesse; ein Frag-

ment dieser Oper hat sich in Wiirzburg erhalten, wo es vondem bekannten Musikgelehrten Wilhelm Tappert vor einigen

Jahren entdeckt wurde; aus diesem ziemlich umfangreichen

Fragment ersehen wir, dass Wagner in seinem allerfriihesten

Biihnenwerk schon charakteristische musikalische Phrasen

symphonisch beniitzte, also die Einheit der Form, die seine

Werke von der sonstigen „Oper« unterscheidet, schon damals

erstrebte. Ausserdem ist die scharfe Plastik an dem einen vonTappert mitgeteilten Beispiel sehr auffallend:

Beide Telle dieses Motivs gemahnen direkt an den Nibe-

lungenring. Die Hochzeit bildet also ein nicht unwichtiges

Dokument iiber Wagner's echte und urspriingliche Eigenart.^)

In den nun folgenden Jahren, wo er

„der Irrnis und der Leiden Pfade"

wandeln musste, erscheint diese Eigenart doch manchmal nach

einer oder der anderen Richtung hin etwas verwischt und un-

kenntlich. Das ist aber das Unvergleichliche der musikalischen

„Sprache«, dass ein einziger Takt Unendliches enthalten kann.

Wir wissen nicht, aus welchem „wichtigsten Motiv der Hand-

') Vgl. Musikalisches Wochenblatt, 1887, S. 337.

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344 DRITTES KAPITEL

lung" jenes musikalische Gebilde in der Hochzeit „entbluht"

ist; jedenfalls bildet aber diese stolz sich aufbaumende und

zugleich weiche Figur im Basse, verbunden mit den Accorden

im Diskant, die an das „WeheI wehe!" des Rheingoldes er-

innern, ein unzweifelhiaftes ^Richard Wagner-Motiv".

2. Die Feen und Das Liebesverbot

Die Dichtung Diese zwei Werke entstanden schnell nacheinander amund die Musik

3ggij^i^ jenef ersten Wanderjahre an deutschen Provinzialbiihnen.

Wie ich bereits im ersten Kapitel berichtet habe, kamen Die

Feen zu Lebzeiten des Meisters niemals zur Auffiihrung,

Das Liebesverbot ein einziges Mai. Es sind vergebliche Ver-

suche, den Zugang zur Biihne zu erzwingen; biographisch sind

sie hauptsachlich als Zeugnisse der merkwurdigen Elasticitat

von Wagner's Geist von Wert. Nichts Verschiedeneres kann

man sich denken als die schwarmerisch-romantischen Feen unddas komische und manchmal recht derbe Liebesverbot. Soeisern unnachgiebig dieser Mann auch sein kann, und so un-

verriickbar er das einmal als richtig Erkannte festhalt, ebenso

geschmeidig ist er sowohl in seinem Suchen nach diesem

Richtigen als in seiner Gabe, sich gegebenen Verhaltnissen

Oder Eindrucken anzupassen. Schon die Wahl des StofFes und

auch die Art, wie der gewahlte Stoff dichterisch bearbeitet wird,

lassen es im ersten Augenblick kaum glaubhaft erscheinen, dass

Das Liebesverbot von dem selben Verfasser wie Die Feen her-

riihrt und gar noch in so unmittelbarer Folge; und doch, am

1. Januar 1834 war der letzte Federzug an den Feen getan

worden, und im Mai des selben Jahres entstand schon die

Dichtung des Liebesverbotes. Die musikalische Ausfiihrung

der beiden Werke bietet einen mindestens ebenso auffallenden

Kontrast wie die poetische. Zwar kennen wir von der Partitur

des Liebesverbotes nur einige Fragmente, da es bisher nicht im

Druck erschienen ist; aber dieStelle, die in der ersten illustrierten

Ausgabe dieses Werks (eingeheftet zwischen S. 220 und 221) dem

Leser im Klavierauszugmitgeteilt wurde, geniigt um so mehr, den

Charakter dieser Musik zu bezeichnen, als sie das ergreifendste

Moment der ganzen Dichtung ist — jene Stelle namlich, wo die

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Fakslmlle aus der Origiatl-P&rtitur der Feen (Akt III, Szene 2).

r

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 345

hochherzige Isabella um ihres Bruders Leben fleht — die

keusche Jungfrau fiir den sundigen Mann. Ausdruckslos wird mandiese Arie nicht finden; doch kommt eine derartig opernhafte

Behandlung der Stimme in den Feen nicht ein einziges Mai

vor. Ausserdem haben wir Wagner's eigenes Zeugnis; er

schreibt: „Wer die Komposition des Liehesverbotes mit der der

Feen zusammenhalten wiirde, miisste kaum begreifen konnen, wie

in so kurzer Zeit ein so auffallender Umschlag der Richtungen

sich bewerkstelligen konnte; die Ausgleichung beider sollte

das Werk meines weiteren kiinstlerischen Entwickelungsganges

sein" (IV, 316).

Sieht man diese beiden Dichtungen nun etwas naher an;^)

blickt man durch die flimmernde Opernschale hindurch und

erfasst den poetischen Kern: so erkennt man recht wohl, dass

sie von dem selben Dichter herriihren und dass sie sogar mit

den Werken seiner Reife durch manchen Zug nahe verwandt

sind. In beiden Werken bildet die Erlosung durch die Liebe

das Grundmotiv; in beiden Werken finden wir auch die Siinde

und die Gnade als gestaltende Momente. Allerdings werden

im Liebesverbot (das den Titel „Grosse komische Oper" fuhrt)

diese Motive mehr angedeutet als ausgefiihrt; wie toll aber auch

diese jugendliche Komodie sich gebarden mag, die Errettung

des sundigen Mannes durch die keusche Jungfrau, seine

Schwester, bildet doch ihr Thema, wodurch das Werk einer-

seits Rienzi, andrerseits dem Fliegenden Hollander und Tann-

hduser verwandt erscheint. Das fruhere Werk aber, Die Feen,

') Die genaue Bekanntschaft mit Wagner's Dichtungen darf bei jedem

Gebildeten vorausgesetzt werden; nur bei diesen fruhesten Werken ware ein

Unwissen zu entschuldigen. Das Liebesverbot ist fast genau nach Shakespeare's

Mass fiir Mass gedichtet; den Inhalt der Feen erzahlt Wagner folgender-

massen: „Eine Fee, die fiir den Besitz eines geliebten Mannes der Unsterb-

lichkeit entsagt, kann die Sterblichkeit nur durch die Erfiillung barter Be-

dingungen gewinnen, deren Nichtlosung von seiten ihres irdischen Geliebten

sie mit dem hartesten Lose bedroht; der Geliebte unterliegt der Priifung, die

darin bestand, dass er die Fee, moge sie sich ihm (in gezwungener Ver-

stellung) auch noch so bos und grausam zeigen, nicht unglaubig verstiesse.

Die in einen Stein verwandelte Fee wird durch des Geliebten sehn-

siichtigen Gesang entzaubert, und dieser Geliebte dafiir vom Feenkonig mit

der Gewonnenen in die unsterbliche Wonne der Feenwelt aufgenommen."

(Vgl. Eine Mitteilung an meine Freunde, IV, 313.)

Page 30: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

346 DRITTES KAPITEL

fiihrt jene tiefen poetischen Momente so ergreifend schon vor,

dass nur das viele opernhafte Beiwerk es — als Ganzes —verunstaltet. Wie tragisch ist die Szene, wo Arindal das Liebste,

was er auf der Welt besitzt, sein Weib Ada, verflucht, wie

ergreifend der Hohepunkt des Dramas, die Wahnsinnszene,

mit ilirer reichen Skala der verschiedensten menschlichen Em-pfindungen, wie herrlich erdacht jene Entzauberung des Steines

durch den sehnsiichtigen Gesang des Geliebten! vja," ruft

Arindal, „ich besitze Gotterkraft! Ich kenne ja der holden

Tone Macht, der Gottheit, die der Sterbliche besitztl« Er

singt; der Gesang entzaubert den Stein; sein geliebtes Weib

sinkt ihm in die Arme. Keine Stelle lasst uns aber den ganzen

Wagner so zweifellos erraten wie die, welche in der ersten

Ausgabe (S. 218) im Faksimile vorliegt. Arindal hat eine

Hirschin erjagt:

„Ich zielte gut! Ha, Ha! Das traf ins Herz!

O seht! das Tier kann weinen!

Die Trane glanzt in seinem Aug';

O! wie's gebrochen nach mir schauti

Wie schon sie istl"

Nicht bloss gemahnt dieses Betonen des Mitleides mit dem Tier

an Parsifal:

gebrochen das Aug', siehst du den Blick!*

sondern vor allem verraten diese wenigen Verse die besondere

poetische Beanlagung des Wort-Tondichters. Kein blosser

Wortdichter hatte es unternehmen diirfen, mit den einfachen

Worten „0 sehtl das Tier kann weinen I" eine so tiefe Em-pfindung auszusprechen und sie ohne Ubergang an das „Ha,

Ha! das traf ins Herz!" anzureihen; kein blosser Tondichter

hatte sich mit den wenigen Takten und der ergreifend-einfachen

Deklamation zufrieden gegeben. Hier wird uns klar: der

Poet, der uns da plotzlich aus dem Werk des Zwanzig-

jahrigen entgegentritt, wird der Welt eine neue Kunst ofFen-

baren.

Was die Musik dieser beiden Werke anbelangt (Das

Liebesverbot beurteile ich nur nach einigen Fragmenten), so

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 347

scheint mir das Charakteristische daran — wenn man zunachst

das Ganze ins Auge fasst — dass sie iiberall, wo der Musiker

nicht entweder ganz frei ist oder voriibergehend von der Dich-

tung zu eigener Erfindung angeregt wird, eine nicht abzu-

leugnende Unselbstandigkeit verrat. "Wo das dagegen der Fall

ist, da tritt uns schon der authentische Richard Wagner entgegen.

Im Liebesverbot finden wir z. B. in dem Kirchenchor der

Nonnen eine deutliche Vorahnung der Gnadenmelodie^) in

Tannhduser:

n >nC^ * 9 » g' »

^ w bSal - ve re

1^7=^ -^T=:: ±=:

gi li! Sal

Die Partitur zu den Feen enthalt Stileigentiimiichkeiten, die

sogar unmittelbar auf Parsifal hinweisen. Man vergleiche z. B.

bei der Stelle im ersten Akt:

„Dein Auge leuchtet mir nicht mehr!

Dein Busen, ach, erwarmt mich nicht!

Kein Kuss stillt meiner Lippen Durst!

Dein Arm umfangt mich nimmermehr!"

die musikalische Figur, die jeden Vers von dem folgenden trennt:

#• •-•• •#- b-*"»-^ •-*I— ^ ^ -t— "4—4—#.^ ^ .*,•- +-#••••

und die abwechseind von Violoncell, Violine, Bratsche und

Flote vorgetragen wird, mit der Figur in Parsifal:

-1—U^-^̂=±=^

-t^^iT-

die eine ahnliche Anwendung bei der Stelle im zweiten Akt

findet:

*) Akt III: „Und Tausenden er Gnade gab, entsiindigt

er Tausende sich froh erheben hiess".

Page 32: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

348 DRITTES KAPITEL

„Ja! Diese Stimme! So rief sie ihm; —und diesen Blick, deutlich erkenn' ich ihn — usw.

In den Feen aber sind auch die reinmusikalischen Telle einer

besonderen Beachtung wiirdig: die Ouvertiire ist aus den wichi-

tigsten dramatischen Motiven aufgebaut und von echt Wagner-

scliem Geist durchwelit; die Einleitung zum zweiten Akt ge-

mahnt durch die stiirmische Leidenschaftlichkeit und die prag-

nanten Themen an weit spatere Kompositionen, z. B. an die

Einleitung zum zweiten Aufzug der Walkiire; die Einleitung

zum dritten Aufzug (Siegesreigen), obwohl weniger bedeutend,

hat schon etwas von jenen gesattigten Farben und von jenem

unnachahmlich stolzen Ausdruck, die Wagner spater oft zur

Schilderung des Erhaben-Majestatischen anwandte, z. B. in Rienzi,

in Tannhduser (Einzug der Gaste), im Huldigungsmarsch fiir

Konig Ludwig II. usw. Dagegen lasst sich nicht leugnen, dass

die Nachahmung fremder Muster oder zum wenigsten der

vielleicht halb unbewusste Einfluss von Meistern, die auf ihn

Eindruck gemacht hatten, die eigene Individualitat des Kompo-

nisten immer wieder bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Das

ware ja an und fiir sich nichts besonders Auffallendes:

interessant dagegen und von Bedeutung fiir die Kenntnis

von Wagner's kiinstlerischer Entwickelung ist die Feststellung,

dass sich der junge Autor nicht einem Meister, nicht einer

Schule anschliesst, sondern alles Beste kennt, alles beherrscht

und — je nach dem Charakter der vorliegenden eigenen Dich-

tung — sich dem Eindruck der verschiedensten Stilarten iiber-

lasst. Von der Musik zum Liebesverbot sagt der Verfasser

selber, sie sei unter dem Einfluss der „neueren Franzosen"

(Auber's namentlich) und der Italiener entstanden; von den

fast gleichzeitig entstandenen Feen dagegen berichtet er: „Nach

den Eindriicken Beethoven's, Weber's und Marschner's auf

mich setzte ich den Text in Musik." Wie sehr er andrerseits

sich der Fiihrung Mozart's anvertraute, beweist ein Aufsatz

aus diesem selben Jahre 1834, in dem er schreibt: „Wir haben

uns immer mehr von dem Wege entfernt, den Mozart zumHeil fiir unsere dramatische Musik einschlug". Bedenkt mannun ausserdem, wie eingehend Wagner sich mit Gluck be-

schaftigte, wie willig er sich durch die von ihm besonders

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 349

hochgehaltenen Meister der alteren franzosischen Schule

Cherubini, Mehul und Spontini belehren Hess, so sieht

man, wie umfassend und wie vielseitig die dramatisch-musi-

kalische Schule dieses grossen Tondichters war.') Inwiefern

sich die genannten Einfliisse in dem Liebesverbot fiihlbar

machten, konnen wir nicht genauer feststellen, da nur wenige

Bruchstiicke bekannt sind. In den Feen scheinen die Fach-

musiker einstimmig das Vorwalten des Weberschen Einflusses

fiir das Bezeichnendste zu halten. Ich wage es nicht, dem zu

widersprechen; manches scheint mir aber weit eher auf Beet-

hoven hinzudeuten; der Schluss der Wahnsinnszene diirfte z. B.

eher von Beethoven's Malinconia als von irgend einer Kompo-sition Weber's angeregt sein. Und von ganz besonderer Be-

deutung ist die Anlehnung an Beethoven in der Deklamation

fast iiberall dort, wo poetisch Tiefes zu deklamieren ist. Manvergleiche z. B. folgende Stelle:

^^^_ II iii/«)ri \]iEj: M»iii

Aa

C)

N^

(im Diskantschliissel geschrieben, der erste Ton e, der zweite h)

mit Leonore's

1) Friedrich Pecht, der Wagner Ende der dreissiger Jahre begegnete,

berichtet: „Seine Vertrautheit mit der gesamten musikalischen Produktion

aller Zeiten war fiir einen so jungen Mann fast unbegreiflich. Die friihesten

Italiener wie Palestrina, Pergolese und andere kannte er ebenso genau wie

die alteren Deutschen; von Sebastian Bach bekam ich durch ihn iiberhaupt

erst einen BegrifF; Gluck beschaftigte ihn damals schon unaufhorlich; Haydn's

Naturmalerei, Mozart's Genie, wie die ungliicklichen Einfliisse seiner Stellung

in Salzburg und Wien, die Eigentiimlichkeiten der Franzosen, des Lully,

Boieldieu, Auber, endlich seines Lieblings Weber wunderbar volkstiimliche

Art, Beethoven's sie samtlich iiberragende Gestalt, Mendelssohn's zierliche

Salonmusik, sie alle schilderte er uns, immer einzelne Melodien vorsingend,

mit einer solchen Lebendigkeit, solcher plastischen Kraft, dass sie mir bis

heute so im Gedachtnis geblieben sind, wie er sie vor uns hingestellt."

(Beilage zur Allgem. Zeitung vom 22.Marz 1883. In seinen 1894 erschienenen

Erinnerungen weiss Pecht viel weniger Interessantes uber Wagner zu

erzahlen.)

Page 34: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

350 DRITTES KAPITEL

i t -\? M WZtr.

Tot' erst sein Weib!

und man beachte solche Wendungen wie in der schonen Stelle

„Was, o was ist die Unsterbiichlceit? Ein grenzenloser, ew'ger

TodI« — das

i 'X^

.. ^j^i^r^^i^j SI ±

ger Tod!

Jedenfalls ergibt sich eins mit Sicherheit aus dem Stu-

dium der zwei ersten Buhnenwerke Wagner's: war hier un-

zweifelhaft die Riicksicht auf die Musik — auf die „Oper« —das bestimmende Moment bei der Wahl und der Ausfuhrung

der Texte, so erwies sich diese Riicksicht als ein zweischneidiges

Schwert. Indem sic namlich der dichterischen Erfindung Fesseln

anlegte, hatte sie auch die musikalische Erfindung beschrankt.

Denn Wagner ist und bleibt immer und iiberall ein Dichter.

Wo in den Feen die Dichtung grosse Momente herbeifiihrt und

ihnen den passenden Wortausdruck verleiht, da treffen wir be-

deutende Musik an; wo sie zum „Operntext« wird, da geht dem

Verfasser der musikalische Atem aus. Es gilt hier von Wagner

selber, was er einmal iiber das Liederkomponieren schrieb:

„Es gibt uns von der gesunden Stellung des Musikers zum

Dichter das beste Zeugnis, wenn seine Tongebilde ganz in demGrade auch musikalisch werden, als sie von einem bedeutenden

Inhalt des Gedichtes angeregt sind"^).

«'ortdichter und In meincr Schrift Das Drama Richard Wagner's habeTondiehter

j^j^ eincn bcsondcrcn Nachdruck auf das „paarweise Auftreten"

der Werke aus Wagner's erster Lebenshalfte gelegt. In der

Tat, das Phanomen ist ein auffallendes. Hier sehen wir

Die Feen und Das Liebesverbot unmittelbar nacheinander ent-

stehen; dann folgen nach mehrjahriger Pause die ebenso stark

') Ober Wilhelm Baumgartner's Lieder.

Page 35: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 351

kontrastierenden Werke Rienzi und Der Fliegende Hollander^

welche zeitlich so eng miteinander verkniipft sind, dass es wirk-

lich nur Zufall ist, wenn Rienzi vor dem Fliegenden Hollander

vollendet wurde; auch die Gestalten des Tannhduser und

Lohengrin stiegen gleichzeitig vor der Phantasie des Meisters

auf, und die dramatisch-musikalische Ausfiihrung des einen

Werkes folgte auch hier so schnell auf die des anderen, als

die vielfachen Pflichten der amtlichen Kapellmeisterstellung es

nur erlaubten. In jener Sclirift, wo nicht das Leben Wagner's,

sondern die von ihm verwirklichte neue Form des Dramas,

das Wort-Tondramay meinen einzigen Zielpunkt bildete, habe

ich diese auffallende und zunachst ratselhafte Erscheinung als

die Folge eines Konfliktes zwischen dem Dichter und demMusiker, oder besser noch zwischen dem Wortdichter und

dem Tondichter, im Busen des Meisters gedeutet. Ich habe

dort darauf aufmerksam gemacht, dass zwischen Die Feen,

Rienzi und Lohengrin eine gewisse Verwandtschaft bestehe, die

man als ein relatives Vorwiegen des musikalischen Ausdrucks

bezeichnen konne, wogegen dann solche Werke wie Das Liebes-

verbot und Der Fliegende Hollander als — allerdings sehr ver-

schieden geartete — Reaktionen des Dichters gegen jenes Uber-

gewicht zu betrachten seien. Wenn man einzig die dramatische

Form im Sinne hat; wenn man das Werden dieser dramatischen

Form von ihrer bewussten, vollkommensten Gestaltung aus

bis zu ihren ersten Anfangen zuriick verfolgt: so ist diese Auf-

fassung nicht nur berechtigt, sondern geboten. Einer jeden

solchen Deutung haftet jedoch etwas Kiinstliches an; immererinnert sie an die Wiederholung von Naturphanomenen im

physikalischen Laboratorium, wo die Eliminierung aller Neben-

umstande zwar das einzelne Phanomen, den einen Bestandteil

irgend eines Naturvorganges ausserordentlich deutlich hervor-

treten lasst, dagegen aber die vielgestaltige Wirklichkeit zugleich

wesentlich entstellt. Hier zumal, in einem Buche, welches demLeben Wagner's gilt, welches iiberall den Menschen ins Augefasst und auch seine Werke weniger an und fiir sich betrachtet

denn als Kundgebungen, die uns dazu verhelfen sollen, den

kiinstlerischen Lebensgang dieses Menschen noch genauer zu

erfassen, hier ware eine noch so vorsichtig verklausulierte Unter-

scheidung zwischen dem Dichter und dem Musiker in Wagner

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352 DRITTES KAPITEL

unstatthaft, weil zu willkurlich. Der jugendliche Verfasser der

Feen und des Liebesverbotes ist der selbe, den wir vor kurzem

als Knaben Tragodien und Schaferspiele schreiben sahen, wobei

der Starke poetische Nachahmungstrieb uns weniger individuell

charakteristisch erschien als jenes „Ringen nach Ausdruck",

welches sich darin bekundete, dass der kleine Dichter sich

mit so auffallendem Eifer erst auf die Beherrschung der Wort-

sprache und nachher auf die der Tonsprache stiirzte. Es ist

eben der eine, selbe Mann, der sich zur erschopfenden Mit-

teilung seiner poetischen Absicht aller Ausdrucksmittel bedient

und bedienen muss, der ebensowenigder „unerlasslichen Grund-

lage" der Wortsprache als der „verwirklichenden Mitwirkung"

der Tonsprache entbehren kann. Geht man also auf die

schopferische Seele zuriick, so ist hier jede Unterscheidung

zwischen dem Dichter und dem Musiker rein kiinstlich: der

Musiker ist der „den tiefsten Inhalt seiner Absicht kundtuende

Dichter"; der Dichter kann aber diese Absicht uberhaupt nur

fassen — die Absicht, einen so tiefen Gefuhlsinhalt unmittelbar

kundzutun — insofern und weil er im Herzen ein Musiker ist.

Je vollkommener nun Wagner's Meisterschaft wird, urn so un-

moglicher ist es, einen Strich zu Ziehen und zu sagen: bis hierher

geht das Werk des Dichters, hier beginnt das Werk des

Musikers. Eine Dichtung wie die zum Tristan z. B. ist sowohl

in ihrer ganzen Konzeption und in alien Hauptlinien der dra-

matischen Ausfiihrung als auch in den intimsten Einzelheiten

der Versbildung und der Wortwahl ebenso aus Musik hervor-

gegangen wie Aphrodite, die Gottin der vollendeten Schonheit,

aus den Wellen des Meeres. Ob wir also das Schaferspiel des

Jiinglings oder die Meisterwerke des gereiften Mannes in Be-

tracht Ziehen, Wortdichter und Tondichter sind bei Wagner

ein und das selbe Wesen. Um aber solche friihen Werke wie

Die Feen und Das Liebesverbot richtig zu verstehen — ich

meine, um ihre Bedeutung und ihren Sinn in der Lebens-

entwickelung Wagner's mit Verstandnis zu deuten — darf

folgende sehr einfache Erwagung nicht iibergangen werden.

Die Wortsprache lernt sich gewissermassen von selbst; von der

Geburt an wird sie stundlich geiibt, und unsere Schulbildung

bezweckt zum grossen Teil nichts weiter als die Befestigung

in der Handhabung dieses Ausdrucksmittels; die Tonsprache

Page 37: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BRUSSEL 1860

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 353

dagegen bedingt zu ihrem vollkommenen Gebrauch die Be-

herrschung einer ausserst komplizierten Technik, die ebenso

ausserhalb des gewohnlichen menschliclien Gesichtskreises liegt

wie die hohere Mathematik. Man hat grosse Dichter mit sehr

geringer Schulbildung gesehen: niemals hat ein Komponist gelebt,

der nicht die Technik des musikalischen Apparates durch lange

miihsame Studien erworben hatte. Die Musik erfordert eben

eine Technik. Zur Erreichung absoluter Meisterschaft im Ge-brauch des technischen Apparates — ich spreche nicht von

der dichterischen Vertiefung — haben die unzweifelhaftesten

musikalischen Genies, ein Mozart, ein Beethoven, viele Jahre

gebraucht. Darum sahen wir auch Wagner, als er ernstlich

an das Studium der Tonkunst schritt, ganz Musiker werden,

sahen wir ihn eine Zeitlang rein musikalische Werke, Ouver-

tiiren und Sonaten und Symphonien, schreiben. Aber auch jetzt,

wo er mit den Feen und dem Liebesverbot zu seinem eigent-

lichen Gebiet, zur Buhne, zuriickkehrt, wahet der Musiker

unverkennbar vor — oder, besser gesagt, der Wort-Tondichter

Richard Wagner ist am meisten um den rhusikalischen Ausdruck

besorgt: die Sorge, hierin das Richtige zu treffen, bestimmt ihn

fast durchweg, sowohl in der Wahl des Stoffes als in seiner

Ausfiihrung. Wenn man aber — was gewohnlich geschieht —die Sache so darstellt, als sei Wagner damals „Musiker" —einfach „Opernkomponist" — gewesen und erst spater sei er

nach und nach zum „Dichter" geworden, so stellt man offenbar

den Kegel auf den Kopf. Nicht well Wagner vorwiegend

Musiker war, bildet die Musik in diesen friihen Werken das

vorherrschende Element, sondern im Gegenteil, well er noch nicht

ein so grosser, ein so gewaltiger Musiker war wie spater. Manwird wohl kaum im Ernst zu behaupten wagen, es sei mehrMusik in den Feen als in Tristan und Parsifal? In den friihen

Werken ist eben der Musiker noch nicht ganz fliigge, beherrscht

der spatere Meister den musikalischen Ausdruck noch nicht

unbedingt; er wagt es noch nicht, sich der Musik als seinem

heimischen Element vollkommen sorglos anzuvertrauen. Die

schwierigsten Aufgaben des Kontrapunktes loste er freilich

schon spielend — dies Zeugnis hatte ihm der Thomaskantor

ausgestellt; seine Beherrschung des polyphonen Satzes war

zwar schon bewundernswert, seine Kenntnis der menschlichen

Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 23

Page 40: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

354 DRITTES KAPITEL

Stimme und der Orchesterfarben auffallend; was ihm aber noch

fehlte, war das unbedingte Vertrauen auf die poetische Allmacht

der Musik. Nicht aus ihrer Fulle bestimmt hier die Musilc

das Gedicht — wie in Tristan — sondern die Sorge um den

musiicalischen Ausdruck wirkt bestimmend und vielfach hem-

mend auf die Dichtung. Die Entwickelung Wagner's kann von

diesen ersten Versuchen an als ein progressives Erstarken des

Musikers betrachtet werden. Und wollen wir das wirklich

charakteristische Merkmal der Feen und des Liebesverbotes

in dieser Evolution bestimmen, so diirfen wir nicht die Be-

hauptung aufstellen: hier war Wagner noch ein blosser Musiker,

sondern wir miissen vielmehr sagen: hier spielt die Musik

eine iiberwiegende Rolle und verleiht diesen dramatischen Ver-

suchen den Stempel reinmusikalischer, opernhafter Werke,

bloss weil der Wort-Tondichter des musikalischen Ausdruckes

(wie er dessen fur sein Ziel bedarf) noch nicht vollkommen

Herr ist: die ihr noch anhaftende Unselbstandigkeit macht die

Musik zum ausserlich vorherrschenden Element.

Daten

3. Rienzi und Der Fliegende Hollander.

Geschichtiiche Die Idec, den romischen Tribunen zum Helden einer Oper

zu erwahlen, scheint bei Wagner so weit zuriickzureichen, dass

sie zeitlich wohl unmittelbar an die Ausfiihrung des Liebes-

verbotes ankniipft. Den endgiiltig bestimmenden Anstoss gab

aber der bekannte Roman Bulwer's, den der Meister im Sommer1837 las. Im Januar 1838 entstand der erste ausfiihrliche Entwurf

des Rienzi und im Sommer des selben Jahres die Dichtung.

Trotz der grossen Unterbrechung durch die Reise nach Paris

im Sommer 1839 und durch die vielen Plackereien, die dann

angingen, war die Partitur im November 1840 vollendet. In

jenem Fruhjahr 1838 aber, gerade als Wagner an die Aus-

fiihrung seiner Rienzi-Dichtung ging, trat auch die Gestalt des

Fliegenden Hollanders — durch eine zufallige Lekture an-

geregt — lebhaft vor seine Phantasie; der Meister schreibt

von jenem ersten Eindruck: „Dieser Gegenstand reizte mich,

und pragte sich mir unausloschlich ein". Einstweilen wich

Page 41: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 355

jedoch die Gestalt des Hollanders vor der des Rienzi zuriick.

AIs nun Wagner im Sommer 1839 auf einem kleinen Segel-

schiff bei Sturm und Wetter von Pillau nach London reiste, wobei

das Schiff einmal an der Kuste Norwegens vor Anker gehen musste,

„da tauchte der Fliegende Hollander wieder auf: an Wagner's

eigener Lage gewann er Seelenkraft; an den Stiirmen, denWasserwogen, dem nordischen Felsenstrande und dem Schiff-

getriebe Physiognomie und Farbe" (IV, 321). In Paris ange-

kommen,reichte Wagner einenEntwurfzumF/i^^enrf^n/foZ/ander

bei der Grossen Oper ein, noch ehe qt Rienzi vollendet hatte;

der Entwurf wurde ihm abgekauft, die Dichtung und Komposition

jedoch andern iibergeben! Bald nach der Vollendung des Rienzi

(im Mai 1841) dichtete dann der Meister seinen eigenen Textund vollendete in sieben Wochen die ganze Komposition (in der

Skizze), also wenige Monate nach Rienzi. Dass Rienzi undDer Fliegende Hollander bald darauf (im Winter 1842—43)

wenige Wochen nacheinander in Dresden zur ersten Auf-

fuhrung gelangten, ist schon im ersten Kapitel berichtet worden.

Der grosse Erfolg dieser Werke war es, was zu Wagner's Er-

nennung zum Hofkapellmeister in der sachsischen Hauptstadt

fiihrte.

Es ware wohl nicht schwer, der kiinstlerischen Entwicke- oasQuidpr

lung des Wort-Tondichters schrittweise von jenem Schaferspiel''"°

an, bei dem er Worte und Musik zugleich schrieb, bis zumRing und zu Tristan mit Verstandnis zu folgen, triigen wir nicht

vor dem geistigen Auge gleichsam gefarbte Brillen, namlich

die fertigen Begriffe, die uns alle Erscheinungen in bestimmten

unabanderlichen Farben erblicken und somit die feineren —oft wesentlichsten — Abstufungen iibersehen lassen. In diesemFalle ist es der Begriff „Oper", der das Verstandnis er-

schwert. Wagner sagt einmal: „Die unlosbarsten, qualendsten

und entwiirdigendsten Belastigungen, Sorgen und Demiitigungen

sind fiir mein Leben aus diesem einen Missverstandnis hervor-

gegangen, welches mich der Welt und alien in ihr enthaltenen

asthetischen und sozialen Beziehungen, durch die Notigung der

ausseren Lebensgestaltung und der Lage der Dinge, eben nurals ,Opernkomponisten' und ,Opernkapellmeister' hinstellte.

Dieses sonderbare Quid pro quo hat mich in eine stete Konfusionaller meiner Beziehungen zur Welt und namentlich meiner

23*

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356 DRITTES KAPITEL

Haltung gegeniiber ihren Anspriichen an mich bringen miissen"

(VIII, 238). Dieses selbe Quid pro quo wirkt aber noch heute

ebenso storend auf das voile, freie Verstandnis von Wagner's

dichterischer Anlage und von dem Wesen seiner Werlce. Schon

dass Wagner ohne weiteres zu der Kaste der ausubenden Fach-

musilcer gezahlt wird, ist irrefuhrend; denn nur etwa zwolf

Jalire war er als Kapellmeister tatig, also nur ein Sechstel

seines ganzen und nicht ein Viertel seines offentlichen Lebens.

Wagner ist nicht in Musikerkreisen aufgewachsen ; seine musi-

kalischen Fachstudien hat er, wahrend er Student der Philo-

sophie war, auf dem Wege des Privatunterrichts absolviert

und ohne jemals den Fuss in eine irgendwie geartete „Musik-

schule" gesetzt zu haben; das Weitere hat er dann durch uner-

miidliches Studium von Partituren, namentlich denjenigen

Beethoven's (er hat mit 20Jahren die Neunte schon auswendig

gewusst!) und durch zahlreiche eigene Kompositionsversuche

sich erworben. Dann ging er zur Biihne. Schon diese ganze

Entwickelung zeigt einen Mann, dem die Musik nicht Selbst-

zweck, sondern ein Mittel des Ausdrucks ist. Man beachte

auch, dass Wagner's musikalische Technik eine — wenn ich

so sagen darf — rein geistige war; auf mechanische Technik,

d. h. auf die Beherrschung irgend eines Instruments, hat er

keine Stunde seines Lebens vergeudet. Auch seine unvergleich-

lichen Leistungen als Kapellmeister sind nicht als das Ergebnis

einer seltenen technischen Virtuositat aufzufassen, sondern als

das einer lebensvoUen, iiberall das Richtige intuitiv treffenden

Auffassung des poetischen Inhaltes bedeutenderTonwerke seitens

eines grossen Dichters — welcher allerdings den gesamten

technischen Aufbau souveran beherrschte. In Wahrheit gehorte

aber Wagner nicht in das Kapellmeisteramt, und nur die Not

hat ihn zeitweilig zur Annahme dieser Stellung bestimmt. Solche

^poetischen" Kapellmeisterleistungen konnen nicht allabendlich

wiederholt werden. Und dann, Wagner war Dramatiker: sein

Platz war auf der Biihne zur Leitung der gesamten dramatischen

Darbietung, einschliesslich des musikalischen Teiles; so hat er

es bekanntlich in Munchen und in Bayreuth gehalten. Wagner

durch die Brille des „Opernkapellmeister-Begriffes" ansehen,

heisst also seine ganze Gestalt verzerren. Denn nennt man

z. B. Moliere einen Schauspieler, so betont man etwas Wahres

Page 43: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 357

und fiir seinen Genius durchaus Bezeichnendes; wird Wagnerdagegen unter den Begriff eines Fachmusikers subsumiert, so

begeht man damit den logischen Fehler, einen untergeordneten

Begriff zum Hauptbegriff zu erweitern. Es ist das selbe, als

wenn man Schiller zu den „Historikern" rechnen und seine

dichterische Tatigkeit dadurch als ein Nebensachliches be-

zeichnen wollte. Uber den „Opernkapellmeister Wagner"sollte fiiglich ein Missverstandnis nicht mehr denkbar sein.

Schwieriger ist die Verstandigung uber den »Opernkomponisten«.Denn die Biihnenwerke aus seiner ersten Lebenshalfte werdenvom Meister selber als Opern betitelt: Die Feen und Lohengrinz. B. heissen „Romantische Oper«, Das Liebesverbot „Grossekomische Oper", Rienzi „Grosse tragische Oper", ja, sogar

Siegfried's Tod, der erste Versuch einer Dramatisierung des

Nibelungenmythos (aus dem Jahre 1848) heisst noch im urspriing-

lichen Manuskript „Eine grosse Heldenoper in drei Akten".

Speziell von Rienzi bekennt Wagner: „Ich sah meinen Stoff

nur durch die ,Oper' hindurch"; Ahnliches berichtet er vonanderen Werken aus diesem Lebensabschnitt. Und dennochhorten wir ihn sich bitter iiber das Missverstandnis beklagen,

welches ihn der Welt als Opernkomponisten hinstellt: Manbeachte aber wohl, dass der Meister in jenem oben (S. 331)

angefiihrten Satz das Wort „nur" anwendet: das Missverstandnis

bestehe darin, „ihn nur als Opernkomponisten hinzustellen".

Wagner leugnet nicht, dass er zu einer Zeit seines Lebens Opern-komponist war, im Gegenteil, er spricht oft davon und nennt

die Oper „gleichsam die Brille, durch die er unbewusst seine

Stoffe erblickte". Er war aber niemals nur Opernkomponist,sondern er war, wir wir gesehen haben, von Hause aus Dichter,

und die naive Verwunderung dariiber, dass dieser Komponist„selber seine Texte geschrieben habe", wiirde allerdings nicht

minder naiv, doch logisch besser begriindet sein, wenn sich die

Menschen dariiber verwunderten, dass dieser Dichter selber

seine Musik geschrieben hat. Schon Die Feen und Das Liebes-

verbot sind beachtenswerte dichterische Leistungen — wenn auch

nicht in den Einzelheiten der Ausfiihrung, wo die Riicksicht

auf die „Oper" hemmt und verunstaltet, so doch in der Anlage

des Ganzen, in der Weise, wie der Verfasser sich der Stoffe,

die ihm Gozzi und Shakespeare darreichen, bemachtigt, um

Page 44: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

358 DRITTES KAPITEL

sie fur eine anders geartete kiinstlerische Gestaltung umzu-

arbeiten. Gerade hierin zeigt sich die dichterische Grundkraft.

Die Art z. B., wie Wagner Gozzi's Donna serpente zu einem Dramader Erlosung durch die Liebe umgewandelt hat, nicht aber der

Erlosung des Weibes bloss aus ihrer Verzauberung, sondern vor

allem des treuen Geliebten aus irdischem Jammer zur himm-lischen Seligkeit, ist hochst bemerkenswert; und dass er hier-

durch die uralte indische Sage ganz unbewusst in ihrer ursprung-

lichen, reinen Gestalt wieder herstelite, beweist uns die unge-

heure Tiefe seines poetischen Blickes.^) Auch die Art, wie im

Liebesverbot der Statthalter und Isabella von Shakespeare's

Typen abweichen, um der musikalischen Charakteristik mehrBoden zu geben, wie das Innere ihrer Seelen — das man bei

Shakespeare mehr erraten muss — hier, wo ein neues kunst-

lerisches Ausdrucksmittel zur Verfugung steht, gewissermassen

blossgelegt wird, verleiht selbst dieser Arbeit, die einer ober-

flachlicheren Stimmung entsprang, ein tieferes Interesse. Wennich mir also Wagner's Worte zu eigen mache und mit Nach-

druck darauf verweise, dass man unmoglich seine fruhen

Werke auf ihren Wert schatzen und ihre Bedeutung fiir des

Meisters eigene kiinstlerische Entwickelung richtig deuten kann,

wenn man sie nur als Opern betrachtet, so handelt es sich mir

wahrlich um keine eitle Wortklauberei, sondern um eine Ein-

sicht, die ohne etwas kritischen Scharfblick nicht leicht zu er-

langen ist. Ich will hiermit darauf aufmerksam machen, dass

ausser dem Textverfertiger und dem Tonsetzer, die beide in-

folge der dominierenden Opernabsicht stark befangen bleiben,

hier ein gestaltender Dichter am Werke ist, der unsere voile

Beachtung verdient. Dieser Dichter ist jener Seher, von dem

ich in der Kunstlehre gesprochen habe;^) die kiinstlerische

Meisterschaft — der Kiinstler — wird erst nach und nach immer

vollkommener, denn hier gibt es eine Materie, die der Geist

erst iiberwinden muss; der Seher aber ist schon von An-

fang an da, seine Kraft ist eine angeborene; und ich meine,

wir machen von unserem kritischen Scharfsinn einen niitzlicheren

Gebrauch, wenn wir in Wagner's „Opern" mit seiner Hilfe

*) Vergl. Rigveda X, 95 und Qatapatha Brdhmana XI, 5, 1.

*) Vergl. S. 288 fg.

Page 45: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 359

den Poeten aufdecken, der nach Ausdruck ringt, als wenn wir

auf Unzulanglichkeiten hinweisen, die jeder halbwegs verniinftige

Mensch sofort selber bemerken kann.

Von keiner „Oper" Wagner's gilt das alles mehr als von Rienzi

Rienzi, und infolgedessen diirfte wohl keines seiner Werkebis zur Stunde so ganzlich unverstanden geblieben oder viel-

mehr so falsch verstanden worden sein. Und da nun ausserdem

die Strichpraxis an samtlichen Biihnen Rienzi dermassen ver-

unstaltet hat, dass Wagner's Drama in seiner Entwickelung,

Motivierung und Katastrophe vollkommen unverstandlich wurde,

so musste man glauben, man habe es hier einfach mit Scribe-

Meyerbeer'schen Effekten zu tun, die Wagner so treffend als

„Wirkung ohne Ursache" festgenagelt hat. Und in der Tat,

ganz allgemein gilt Rienzi2\s eine „Oper in Meyerbeerschem Stile"

Oder gar als „aus der Schule Meyerbeer's". Nun ist zunachst eine

Erinnerung hier am Platze: als Wagner Rienzi dichtete unddie zwei ersten Akte der Oper ausfiihrte (wodurch die ubrige

musikalische Gestaltung bestimmt war), kannte er von Meyerbeernur Robert den Teufel; denn Die Hugenotten sind erst 1836

in Paris herausgekommen, und bis nach Konigsberg und Riga,

wo Wagner in den folgenden Jahren weilte, drang diese Opernicht so bald. Wer aber dartun wollte, Rienzi sei aus Robert

dem Teufel hervorgegangen, wiirde selbst dem phantasievollsten

Leser zu viel zumuten!^) An welche Operngattung dagegen

Rienzi in Wahrheit anlehnt, konnte jeder sofort erkennen,

wenn nicht die grossen Meisterwerke der echten franzosischen

Schule, die wirkliche „heroische Oper", von unseren Biihnen

ganzlich verschwunden waren. Zum Gluck wissen wir aus

des Meisters Erinnerungen ganz genau, dass es namentlich der

Eindruck einer Auffiihrung von Fernando Cortez unter Spon-tini's personlicher Leitung war, was ihn zu der Konzeption des

Rienzi begeisterte, und auch von der Musik schreibt er: „ImRienzi bestimmte mich iiberall da, wo mich nicht bereits schon

der Stoff zur Erfindung bestimmte, der italienisch-franzosische

Melismus, wie er mich zumal aus den Opern Spontini's ange-

^) Meyerbeer's Prophet, auf dessen „Einfluss" man ebenfalls schon ofters

hingewiesen hat, wurde zum ersten Male im Jahre 1849 aufgefiihrt, zweijahre

nach der Vollendung des Lohengrin! Dass Rienzi die ganze Konzeption des

Propheten beeinflusst habe, ist dagegen als hochst wahrscheinlich anzunehmen-

Page 46: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

360 DRITTES KAPITEL

sprochen hatte." Das sei also zunachst festgestellt. Denn

horen wir auch Wagner mit der ihm eigenen Natiirlichkeit

und Aufrichtigkeit gestehen: „Bei der Textverfertigung des

Rienzi fiel mir im wesentlichen noch nichts anderes ein, als

ein wirkungsvolles Opernbuch zu schreiben; die „grosse Oper"

mit all ihrer szenischen und musikalischen Pracht, ihrer effekt-

reichen, musikalisch-massenhaften Leidenschaftlichkeit, stand

vor mir", so macht es doch einen gewaltigen Unterschied,

ob die „musikalische Pracht" und die „effektreiche Leiden-

schaftlichkeit", die einen jungen Komponisten zur Nachahmung

reizen, diejenigen Meyerbeer's sind oder dagegen diejenigen

Spontini's. Betrachtet man Rienzi bloss als Oper, so diirfte

man wohl sagen, Rienzi sei das letzte Werk aus jener fran-

zosisch-italienischen Schule der grossen heroischen Oper; in-

folge der angeborenen Bedeutung seines Verfassers ist es auch

das grosste — wenngleich ohne Zweifel nicht das reifste.

Rienzi ist aber nicht bloss eine Oper. Um sich davon zu

iiberzeugen, lese man den Text, den Wagner in den ersten Band

seiner Gesammelten Schriften aufgenommen hat, und man nehme

darauf den vollstandigen Klavierauszug durch, damif man auch

die Tondichtung als Ganzes kennen lerne.^) Rienzi ist in

Wirklichkeit ein gewaltiges dramatisches Werk, eine gross-

artige Tragodie; der Meister hatte recht, hier von einer „grossen

tragischen Oper" zu sprechen. Ich behaupte, dass als Schopfer

von Gestalten Wagner in Rienzi fast schon auf der Hoheseiner Meisterschaft steht. Namentlich der Held, Rienzi, kann

den Vergleich mit jeder spateren Schopfung Wagner's getrost

bestehen. Will man die schopferische Kraft, die der 25jahrige

Dichter hier betatigt hat, voll ermessen, so lese man Bulwer's

Roman und vergleiche seinen Helden mit dem Wagner's!

Man sehe auch genau zu, wie Wagner den grossen, iiber-

reichen Stoff bewaltigt und zu einem einfachen, leicht iiber-

sichtlichen Vorgang verdichtet hat.^) Das ist das Werk eines

') Nur in Karlsruhe und neuerdings auch in Berlin und Miinchen

kann man eine Auffiihrung von Rienzi erleben, aus der eine Kenntnis von

Wagner's Drama zu entnehmen ist. (Nachtrag. — Die sinnloseste Verun-

staltung des Werkes ist inzwischen allerorten wieder eingefiihrt worden.)

^) Naheres hieriiber in einem vorziiglichen Aufsatz von Eduard Reuss

in den Bayreuther Bldttern, Jahrgang 1889, S. 150.

Page 47: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 361

Dichters, eines wirklich grossen Dichters. Wahrend Scribe-

Meyerbeer nur auf Theatereffekte, auf packende Situationen aus-

gehen, findet hier nicht eine Bewegung statt, die nicht zur Schilde-

rung des Charakters des Helden beitriige. „Der Deutsche baut

von innen", sagt Wagner; der Deutsche will auch im Drama vor

allem die Seele — das Innere, Verborgene — erkennen;

darum konnte auch der kiinstlerische Genius dieses Volkes

nicht eher ruhen, als bis er durch die neue Form des Wort-

Tondramas bis in das innerste Herz der Handelnden einge-

drungen war. Das Innere aber ist vie! einfacher als das

Aussere: tausend Zufalligkeiten verschwinden hier; alles, wasKonvention und Mode ist, was nur lokalen oder historischen

Sinn besitzt, ist seelisch ohne Bedeutung. Dadurch erhalten

die Gestalten in Wagner's Werken bei aller Warme und Leiden-

schaft doch etwas Typisches, Symbolisches, wie es die Kunst

seit den Griechen nicht wieder erlebt hatte. Hierauf kommeich bei anderer Gelegenheit zuriick; hier wollte ich zunachst

nur andeuten, dass Wagner's Rienzi anders sein musste als

der Bulwer's und dass zu einer derartigen Neuschopfung eine

sehr bedeutende Dichterkraft gehort. Ich mochte aber auch

noch darauf aufmerksam machen, wie sehr infolge des beriihrten

Umstandes Wagner's Rienzi den Bulwer's iibertrifft. Bulwer

konnte im Roman nicht anders, er musste uns ausser demHelden, der auf Gott vertraut, den praktischen Politiker, den

Forderer der Industrie, den aberglaubischen Katholiken, den

Liebhaber einer reichen Dame usw. zeigen ; er hat seine

Aufgabe vorziiglich gelost. Wagner dagegen zeigt uns nur die

wesentlichsten Ziige: die unbedingte, glaubensfrohe Ergebung

in Gottes Willen, die begeisternde, aufopfernde Liebe zumVaterland, die Grossmut gegen den Feind, die Strenge gegen

sich und die Seinen Aber auch dort, wo Rienzi's

Individualitat sich im Widerspruch offenbart — die Prachtllebe

und zugleich die Einfalt, der Hochmut gepaart mit Demut usw. —weiht uns Wagner durch wenige Ziige in diese Geheimnisse des

innersten Wesens ein. Wer sollte nun nicht fuhlen, dass wir

den Menschen Rienzi besser kennen und einen weit tieferen

Blick in seine Seele getan haben durch Wagner's Dramaals nach der ausfiihrlichen Schilderung und nach alien In-

triguen des Romans? Wagner hat uns hier, wie Schiller in

Page 48: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

362 DRITTES KAPITEL

seiner Jungfrau von Orleans, eine wirkliche Geschichtsstunde

gegeben. Denn es ist einfach unmoglich, Geschichte— ich meine

hier Seelengeschichte — nach Dokumenten zu konstruieren;die

ausseren Vorgange sind nur Reflexe, sie kreuzen sich nach

alien Richtungen, und nirgends kommt eine Willensbewegung

ganz rein zum Ausdruck; nur der Dichter blickt in die Tiefen

der Seele und kann uns die einfache, grosse Wahrheit zeigen.

Und nun die Musik als Ausdrucksmittel in den Handen dieses

Dichters! Gewiss sagt uns das Gebet Rienzi's am Anfang

des funften Aktes mehr iiber diesen grossen Mann als zehn

Bande archivarischer Forschungen. Wenn nun trotz alledem

gerade in Rienzi eine so „auffallige Vernachlassigung der

Diktion und des Verses* stattfindet, dass Wagner selber offers

die Aufmerksamkeit darauf lenkt, so macht dieser Umstand

das Werk zu einer um so besseren Schule fiir das Verstandnis

von "Wagner's poetischer Bedeutung. Uns gelten namlich ge-

wohnlich die Zierlichkeit des Verses, die Wahl der Metaphern,

die Verkettung schoner Gedanken als die Grundbedingungen

einer bedeutenden Dichtung; aber sehr mit Unrecht. Die Grund-

eigenschaft des grossen Dichters ist seine Gestaltungskraft.

Hier nun haben wir den eigentiimlichen Fall, dass in einer

absichtlich operntextmassig ausgefiihrten, ziemlich achtlos ver-

sifizierten Dichtung dennoch eine grossartige Tragodie zur

Gestaltung gelangt. Das mag uns wohl zu denken geben. Die

tiefere Erklarung fiir diese auffallende Tatsache ist in der

poetischen Macht der Tonsprache zu suchen.

Wagner sagt in der Einleitung zum ersten Bande seiner

Schriften: „Der i?/^nzim6ge somit als das musikalische Theater-

stuck angesehen werden, von welchem meine weitere Aus-

bildung zum musikalischen Dramatiker ihren Fortgang nahm.«

Und in der Tat, das unterscheidende Merkmal des Rienzi in

Wagner's Lebenswerk ist, dass fast der gesamte „Ausdruck"

hier der Musik anvertraut wird. Durch seine ersten Biihnen-

erfahrungen belehrt, glaubte der Meister in jenem Augenblick,

c^G sei unmoglich, das Wort in Verbindung mit der Musik zur

Geltung zu bringen (vergl. 1, 2); darum vernachlassigte er die

Diktion (worauf er in seinen friihesten Versuchen Sorgfalt ver-

wendet hatte); der Gesamtausdruck litt aber hierunter nicht,

sondern er wurde jetzt vorwiegend in die Musik gelegt. Mit

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 363

den Worten gab der Dichter nur eine allgemeine Umrisszeich-

nung; alles, was er eigentlich zu sagen hatte, sagte er in Tonen.

Offenbar kniipft also Rienzi direkt an die vorausgehenden

Werke Die Feen und Das Liebesverbot an, bei denen eben-

falls der musikalisclie Ausdruck das stark vorwiegende Element

war. Nur ist bei Rienzi ein grosser Schritt geschehen „aus

dem Unbewusstsein zum Bewusstsein" (um ein Wort Wagner's

iiber Lohengrin auf dieses in mancher Beziehung nahe ver-

wandte Werk anzuwenden), weil hier, mit voller Absicht und

Uberlegung der Musik der gesamte Ausdruck aufgeburdet und

dafiir die Diktion vernachlassigt worden ist. Wir seiien also hier

den bereits mit voller Meisterschaft gestaltenden Dichter dennoch

behufs des Ausdrucks fast absoluter Musiker werden: das ware

etwa die „Formel" des Rienzi, wenn sich ein lebendiges Werkjemals in eine Formel einzwangen Hesse.')

Will man aber Rienzi richtig beurteilen, namentlich auch

in seinem Verhaltnis zu Wagner's gesamter kiinstlerischer

Entwickelung, so versaume man niemals, das mit ihm zu-

gleich entstandene Werk Der Fliegende Hollander daneben

zu halten.

Die mir gesteckten Raumgrenzen gestatten mir nicht, den oer Fuegende

Hollander so ausfCihrlich wie Rienzi zu besprechen. Es ist"°"^'"i«''

auch nicht notig; denn in diesem zweiten, in Paris vollendeten

Werk — „mit dem sich Wagner", wie er schreibt, „aus allem

Instrumental-Musik-Nebel zur Bestimmtheit des Dramas erloste"

(U. 248) — tritt der Dichter doch zu scharf hervor, als dass

er ijbersehen und sein Werk — zur Abwechslung — etwa der

Marschnerschen Schule zugezahlt werden konnte. Das Merk-

wurdige, fast IrrefUhrende ist aber hier zunachst, zwei so ganz-

lich verschiedene Werke wie Rienzi und der Hollander unmittel-

bar aufeinanderfolgen zu sehen, und zwar so schnell, dass „die

erste Oper kaum beendigt war, als die zweite fast fertig schon

vorlag" (I, 4). Diesen Vorgang zu verstehen, halte ich fiir das

einzig Notige; denn hiermit ist das voile Verstandnis der bio-

graphischen oder „entwickelungstheoretischen" Bedeutung beider

Werke gegeben; alles Ubrige, Tiefere, Individuelle muss der

•) Eingehenderes iiber das Verhaltnis von Dichtung und Musik in

Rienzi in meinem Drama R. Wagner's, S. 41fF.

Page 50: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

364 DRITTES KAPITEL

unmittelbaren Wirkung des Kunstwerkes von der Buhne herab

iiberlassen bleiben.

„Vom Hollander an beginnt meine Laufbahn als Dichter,

mit der ich die des Verfertigers von Operntexten verliess*'; so

berichtet der Meister (IV, 328). Ein solcher herausgerissener

Satz kann aber zu grossen Missverstandnissen fuhren, und

gerade bei diesem Satz aus der Miiteilung an meine Freunde ist

das haufig geschehen. Man meint, Wagner gestehe selber

durch diese Worte, er sei friiher nicht Dichter, sondern nur

Musiker gewesen, wahrend offenbar das Wort „Dichter" hier

in einem eng beschrankten Sinne genommen ist, als Gegensatz

zu „Operntextverfertiger". Von nun an stellt Wagner an die

Wortdichtung als solche dichterische Anspriiche; die Wort-

dichtung, welche bisher durch die Riicksicht auf Opernbediirf-

nisse und durch die Sorge urn den musikalischen Ausdruck

nach alien Seiten hin beschrankt war, tritt von nun an mehr

in den Vordergrund. Wie wenig hierdurch eine prinzipielle

Anderung angedeutet wird, geht zur Genuge aus der Tatsache

hervor, dass Wagner nach Vollendung des Hollanders eine

historische Oper im Stile RienzVs entwarf. Die Sarazenin!

Der Vorgang ist also nicht so aufzufassen, als sei Wagner plotz-

lich durch irgend ein Hexenkunststiick aus einem „Musiker"

zu einem „Dichter" umgewandelt worden, sondern es kommtdarin zuvorderst und zuoberst das Erstarken des Musikers

zum Ausdruck. Die Ausfiihrung des „Musikdramas« Rienzi,

diese grossartigste Kraftausserung des Musikers, war es, die

zur endgultigen Befreiung des Dichters — im Hollander —gefiihrt hatte. Das setzt auch der Meister an einer anderen

Stelle seiner Mitteilung, wo er wieder auf den Hollander zu

sprechen kommt, sehr klar auseinander: „Ich war von nun an

in bezug auf alle meine dramatischen Arbeiten zunachst Dichter,

und erst in der vollstandigen Ausfuhrung des Gedichtes ward

ich wieder Musiker. Allein ich war ein Dichter, der des

musikalischen Ausdrucksvermogens fiir die Ausfuhrung seiner

Dichtungen sich im voraus bewusst war; ich hatte dieses Ver-

mogen soweit geiibt, dass ich meiner Fiihigkeit, es zur Ver-

wirklichung einer dichterischen Absicht zu verwenden, voll-

kommen inne war, und auf die Hilfe dieser Fahigkeit beim

Fassen dichterischer Entwiirfe nicht nur sicher rechnen, sondern

Page 51: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 365

in dem Wissen hiervon diese Entwiirfe selbst freier nach

dichterischer Notwendigkeit gestalten konnte, als wenn ich sie

mit besonderer Absicht fiir die Musik gestaltet hatte. Zuvor

hatte ich die Fahigkeit des musikalischen Ausdruckes mir in

der Weise anzueignen gehabt, wie man eine Sprache eriernt.

Wer eine fremde, ungewohnte Sprache noch nicht vollkommen

innehat, muss in allem, was er spricht, auf die Eigenart

dieser Sprache Riicksicht nehmen; um sich verstandlich aus-

zudriicken, muss er fortwahrend auf diesen Ausdruck selbst

bedacht sein, und was er sprechen will, absichtlich fiir ihn be-

rechnen Jetzt hatte ich aber die Sprache der Musikvollkommen eriernt; ich hatte sie jetzt inne, wie eine wirkliche

Muttersprache" (IV, 386). Man sieht, der iiberraschende Abstand

zwischen Rienzi, der pomphaften, „musikalisch-massenhaften",

fiinfaktigen Oper, und dem „einaktigen", schmucklosen, herben

Hollander verhindert doch nicht, dass gerade diese zwei Werkeinnigst nahe verwandt sind.

Auf den Hollander werde ich in Verbindung mit Tann-

hduser und Lohengrin noch zuriickkommen; hier habe ich es

fiir wichtig gehalten, den ganzlich verkannten Rienzi — der

mit Recht als „ein Markstein in der Geschichte der Kunst"

bezeichnet worden ist — ausfuhrlicher zu besprechen und einzig

auf die Abhangigkeit des ersten „Dichterwerkes" des Meisters

(des Hollanders) von seinem ausschliesslichsten „Musikwerke«

(Rienzi) den Nachdruck zu legen. Rienzi ist der Angelpunkt

in Wagner's kiinstlerischer Entwickelung. Aus der richtigen

Auffassung dieses Werkes ergibt sich ein voiles und zugleich

kritisches Verstandnis aller "Werke aus der ersten Lebenshalfte,

sowohl der ihm vorangehenden als der nachfolgenden.

4. Tannhauser und Lohengrin

Auch diese zwei Werke hangen durch den Zeitpunkt ihrer ceschichtiiche

allerersten Konzeption eng zusammen. Gleich nach der Voll- ^*'^"

endung seines Hollanders traten die Gestalten des Tannhauser

und des Lohengrin bestimmend vor des Meisters dichterische

Phantasie; es war in Paris, im Sommer 1841. Diese Gestalten

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366 DRITTES KAPITEL

waren ihm nicht neu, er kannte sie seit seiner Kindheit; wenn

sie gerade jetzt wieder vor seinem Blicke auftauchten, urn nun-

mehr so innig mit seinem eigenen Seelenleben zu verwachsen,

dass sie nach wenigen Jahren als „neuerfundene und neu-

gestaltete Mythen" in zwei unverganglichen Meisterwerken der

Welt geschenkt werden konnten, so kommt hier unzweifelhaft

ein innerer Vorgang zum Ausdruck. Im Lebensgang sahen wir

ja auch, wie der Aufenthalt in der Fremde die Sehnsucht nach

allem Deutschen weckte. Nicht der Zufall hat Wagner alte

Sagenbucher in die Hand gespielt, sondern der selbe kiinst-

lerische Entwickelungsgang, der zur Wahl des Fliegenden Hol-

landers als Stoff fUhrte, brachte ihn auch dazu, „sich fur die

Wahl des Stoffes vom historischen Gebiet ein fur allemal zum

Gebiete der Sage zu wenden" (VII, 161). Welch geringfiigigen

Wert die ausseren Momente fur den aus innerer Not schaffenden

Kiinstler besitzen, beweist die auffallende Tatsache, dass Wagner,

dessen erstaunliche Gedachtniskraft bis ins Alter ungeschwacht

blieb, Verschiedenes iiber seinen Tannhduser berichtet, was

unsere Germanisten nicht anders erklaren konnen als durch

die Annahme eines Gedachtnisfehlers. Er sagt namlich in

seiner Mitteilung vom Jahre 1851, das ^Deutsche Volksbuch

vom Tannhauser" habe ihm die erste Anregung zu seinem

Drama gegeben; es gibt aber gar kein Volksbuch vom Tann-

hauser!^) Ausserdem schreibt er: „Was mich aber vollends

unwiderstehlich anzog, war die, wenn auch sehr lose Ver-

bindung, in die ich den Tannhauser mit dem „Sangerkrieg auf

Wartburg" in jenem Volksbuche gebracht fand"; nirgends aber,

so versichern die Fachmanner, findet eine noch so lose Ver-

bindung dieser beiden Sagenmomente statt, und jener fiir die

gesamte Gestaltung von Wagner's Tannhduser so entscheidende

Zug ware des Meisters ureigene, freie Schopfung. Das erwahne

ich nur nebenbei, um die verschwindend geringe Bedeutung

aller solcher „Quellenforschungen" an einem drastischen Beispiel

darzutun; die Quelle des Kunstwerkes ist des Kiinstlers Herz;

mogen die Germanisten und Mythologen sich von Wagner be-

lehren lassen, das ist gewiss weise von ihnen — man bilde

sich aber nicht ein, seine Kunstwerke bediirften irgend einer

*) Prof. Dr. Wolfgang Golther in den Bayreuther Bldttern, 1889, S. 141.

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 367

wissenschaftlichen Exegese, weder beziiglich ihrer Entstehung,

noch damit sie ihre voile Wirkung ausiiben. Noch ehe die

Proben zu Rienzi begannen, vollendete Wagner (im Sommer1842) den ersten Entwurf zu seinem Tannhduser. Auch diese

Tatsache ist von grossem Interesse und verdient als Beweis,

wie rein innerlich die ganze Entwickelung vor sich ging, be-

sonders betont zu werden. Denn wir sehen, dass Wagner nicht

allein seine vier ersten Buhnenwerke mit ihrer so scharf aus-

gepragten Individualitat und stark kontrastierenden Eigenart

vollendet, sondern dass er auch den vollstandigen Entwurf zu

seinem fiinften Werk, Tannhduser, zu Papier gebracht hatte

und die Gestalt des Lohengrin schon im Kopfe trug, ehe er

zum erstenmale ein Werk von sich auffiihren und somit auch

„ausserlich" erleben durftel Die gesamte Kunsttatigkeit dieser

ersten Lebenshalfte, die schrittweise Annaherung an ein nur

geahntes, noch nicht klar erfasstes Ziel — von den Feen bis

zu Lohengrin — ist folglich ein innerer Vorgang, ein Vorgang

im Herzen und im Kopfe des grossen Dichters. Darin diirfte

auch zum Teil die beispiellose Klarheit des Entwickelungsganges

ihre Erklarung finden. Wir konnen dem Himmel danken, dass

das Schicksal keine Beriihrung zwischen diesem kraftigen, makel-

losen Kunsttrieb und der Welt zuliess, bis der Kiinstler zumMann erstarkt und sich seiner kiinstlerischen Bestimmung be-

wusst war. Jetzt trat diese Beriihrung ein : am 20. Oktober 1842

fand die erste Auffiihrung des Rienzi statt, am 2. Januar 1843

die erste Auffiihrung des Fliegenden Holldnders; am 1. Februar

1843 wurde Wagner zum Kapellmeister an der Hofoper in

Dresden ernannt; wenige Wochen spater war die Dichtung zu

Tannhduser vollendet. Die Pflichten des neuen Amtes scheinen

die weitere Ausfiihrung des Tannhduser ein Jahr lang unter-

brochen zu haben; im Jahre 1844 sehen wir aber den Meister

bereits am Werke, und im Friihjahr 1845 ist die Partitur

fertig. Die erste Auffiihrung fand am 19. Oktober 1845 statt,

genau drei Jahre nach der des Rienzi. Im Sommer 1845,

noch vor dieser ersten Auffuhrung des Tannhduser, war aber

Lohengrin schon entworfen worden; im Friihjahr 1846 entstand

die Dichtung und vom Sommer 1846 bis zum Sommer 1847 die

Musik. Nicht vor dem Jahre 1861 (in Wien) sollte Wagner dieses

Werk selber erleben, nachdem er inzwischen Tristan und Isolde

ilS3S0

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368 DRITTES KAPITEL

und die HaUte des Nibelungenringes geschaffen hatte; auch hier

also hatte die Entwickelung — jener letzte Schritt vom Un-bewusstsein zum Bewusstsein — innerlich stattgefunden.

Die Gescliichte der allmahlichen Verbreitung dieser beiden

Werke — Tannhduser und Lohengrin — bis sie, in viele fremde

Sprachen iibersetzt, fast die ganze Welt erobert batten, gehort

zur Geschichte des 19. Jahrhunderts, kaum aber zur Biographie

Wagner's, und zwar um so weniger, als die Opern, die zu

so beispielloser Popularitat gelangt sind, mit den Dramen, die

der Meister beabsichtigt hatte, durchaus nicht identisch sind.

Wer Tannhduser und Lohengrin nur auf Opernbiihnen ge-

sehen hat, kennt diese Werke gar nicht, denn er kennt nur

ein Zerrbild von ihnen. Hiermit spreche ich nicht eine eigene

Ansicht aus, sondern ich wiederhole nur, was Wagner haufig

selber gesagt hat. Von den ersten Auffuhrungen seines Tann-

hduser in Dresden gesteht er, die Erinnerung daran sei ihm

„ein Grauen" (U. 233); von anderweitigen Auffuhrungen dieses

Werkes berichtet er Band IX, S. 253: „Ich glaube bescheiden

anerkennen zu miissen, dass der Erfolg meines Tannhduser

auf den deutschen Theatern bisher nur noch auf einem Ge-fallen an lyrischen Details beruhte, wahrend mir bei den von

mir gekannten Auffuhrungen dieser Oper stets noch der in

einem gewissen Sinne beschamende Eindruck verblieb, den

Tannhduser, wie ich mir ihn gedacht, gar nicht zur Dar-

stellung gebracht zu sehen, sondern nur dies und jenes aus

meiner Partitur, von welcher das meiste, namlich eben das

Drama, als iiberflussig beiseite gelassen wurde." An Roeckel

schreibt Wagner, die Auffuhrungen des Tannhduser und Lohen-

grin „blieben fiir ihn kiinstlerisch ohne alles Interesse"; an

Liszt: „Als ich Tannhduser und Lohengrin dem Theaterschacher

ubergab, habe ich sie verstossen: sie sind von mir verflucht

worden, fiir mich zu betteln und — nur noch Geld zu bringen!"

Immer wieder bittet Wagner seine Freunde, ihm nichts iiber

Auffuhrungen seiner Werke zu berichten; am 1. Miirz 1870

sagt er: „Nichts wenigstens zu erfahren, ist jetzt meine einzige

Stellung zu alien Auffuhrungen meiner Werke"; und im Jahre

1878 schreibt der Meister aus Bayreuth: „Wenn jene da aussen

durch Auffuhrungen meiner Werke in ihren grossen Stadten

geargert werden, so mogen sie dagegen versichert sein, dass

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PARIS 1861

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 369

dies nicht zu meinem Vergniigen geschieht" (X, 33). Aus der

Verbreitung und Beliebtheit dieser Werke konnen wir also nur

auf die zaubermachtige Wirkung ihrer Musik schliessen sowie

auf die unnennbare, geheimnisvolle Macht vollendeter, harmo-

nischer Schonheit, die wie das Auge Siegfried's „selbst durch

die Liigengestalt leuchtend zu uns strahlt". Erst in allerletzter

Zeit (1891, 1892 und 1894) haben auf der Bayreuther Festspiel-

biihne Auffiihrungendes Tannhduser und Lohengrin stattgeiundeny

„wie der Meister sie sich gedacht hatte"; auf sie komme ich

im vierten Kapitel zuriick. Zur Illustration dieses — vielleicht

nicht alien Lesern sofort begreiflichen — Verhaltnisses konnen

Wagner's eigene Erfahrungen in Zurich dienen. Auf Wunschder dortigen Theaterleitung brachte er im Jahre 1852 seinen

Fliegenden Hollander zur Auffiihrung; hieriiber berichtet er

an Uhlig: „Die erste Auffiihrung klarte mich bereits dariiber

auf, dass ich alle Illusionen fiir das Drama aufgeben und mich

einzig damit begniigen musste, dass ich das Stuck „Oper",

das noch im Fliegenden Hollander steckt, gehorig zur Geltung

brachte". Und in einer weiteren Stelle des selben Briefes

erklart er, er gebe zu, dass der Hollander „auch als Operwirken konne* (U. 184). War das nun des Autors eigene

Erfahrung, konnte er selber unseren Operntheatern nicht ein-

mal das viel einfachere Drama Der Hollander zum Verstandnis

bringen, so kann man sich leicht vorstellen, wie es auf alien

Theatern seinem Tannhduser und seinem Lohengrin erging,

welche von Kapellmeistern einstudiert und von Regisseuren in

Szene gesetzt wurden, die von Wagner's dramatischen Absichten

keine Ahnung hatten. Nicht also den Triumph dieser Werke

ist es notig hier zu betonen, sondern viel eher die Tatsache,

dass, wie Wagner selber sagt, „ihr Erfolg auf einem Miss-

verstandnis beruht", die Tatsache, dass die Welt diese zwei

gewaltigen Dramen eigentlich noch gar nicht kennt, meistens

sogar kaum ahnt. Vielfach hort man noch heute die friiher

weitverbreitete Redensart: „Ich gehe bis zu Lohengrin mit, weiter

nicht". Das ist eine pure Illusion unschuldiger Seelen. Werdas sagt, geht nicht bis zu den Feen^ wer weiss, vielleicht nicht

einmal bis zum Schaferspiel „mit"! Er ist einfach ein von der

Opernseuche infizierter Mensch, der sich an Melodien berauscht,

gleichviel unter welcher Marke sie ihm dargereicht werden; der

Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 24

Page 58: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

370 DRITTES KAPITEL

verunstaltete, verkriippelte Lohengrin ist gerade noch gut genug

fiir ihn. Das hehre Drama Lohengrin aber, das Werk Richard

Wagner's, das zu den ewig schonen, unverganglichen Schopfungen

des menschlichen Geistes gehort, das ahnt er gar nicht, sonst

konnte er das banale, sinnlose und emporende Wort nicht

sprechen.

verhaiten der Noch eins muss ich aber beziiglich dieser enormen Popu-^"^'^

laritat Tannhdusefs und Lohengrin's bemerken. Die jetzige

Generation glaubt meistens, nur die spateren Werke Wagner's

seien auf Widerstand gestossen, die friiheren nicht; aus dieser

angeblichen Sachlage werden dann die verschiedensten Argu-

mente iiber Schwerverstandlichkeit usw. gezogen. Es ist aber

eher das Gegenteil wahr. Bei dem unbeeinflussten Publikum hat

allerdings jedes gut aufgefiihrte Werk sofort Begeisterung er-

weckt, Tristan ebenso wie Tannhdaser, Die Meistersinger

ebenso wie Lohengrin; gegen die Kritik und gegen die Urteile

der Zunftmusiker haben aber Tannhdaser und Lohengrin einen

viel harteren und langeren Strauss auszufechten gehabt als die

spateren Werke. Ja, nicht einmal der „Oper« Rienzi erging es

besser; als sie in Berlin 1847 gegeben wurde, berichtete die

„Neue Zeitschrift fiir Musik" iiber den grossen Erfolg, fiigte aber

hinzu: „Gleichwohl wird sich die Oper schwerlich lange auf

unserem Repertoire halten; denn die Kritiker sind mit aller

Macht dagegen zu Felde gezogen." Will man nun wissen, wie

die Kritik zu Felde zog? „Die Leute werden jetzt

durch Gendarmen ins Opernhaus getrieben, damit die Oper

Rienzi nicht vor leeren Banken gegeben werde. Man hat bereits

den Vorschlag gemacht, die gefangenen Polen in den Rienzi zu

schicken Myroslawsky soil ganz blass vor Schreck

geworden sein, als man ihm den Entschluss verkiindet hat, ihn

durch Rienzi zum Gestandnis zu bringen. Auf diese Art ware

Rienzi doch zu etwas guti" (Signale, im November 1847.) Das

sollte 30 Jahre lang der Ton der Presse in bezug auf Wagner

bleibeni Der beruhmte Musiktheoretiker Moritz Hauptmann

urteilte iiber die Tannhduser-OwYtnnvt: „Ich halte sie fur ein

ganz verungliicktes, ungeschickt konzipiertes Produkt

ganz grasslich, unbegreiflich, ungeschickt, lang und langweilig

wer so ein Ding machen und stechen lassen kann wie

diese Ouverture, dessen Kiinstlerberuf scheint mir sehr wenig

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 371

entschieden". Noch im Jahre 1870 bezeichnete die selbe „Autori-

tat« Wagner's Buhnenwerke als „Kunstnichtse« und „absurdes

Herumgefasel im Metrischen und Harmonischen".^) Und iiber

Lohengrin — dieses Weri-;, welches Liszt „ein einziges unteil-

bares Wunder das hochste und voUendetste Kunstwerk"

nannte — durfte noch im Jahre 1866, also 20 Jahre nach seiner

Vollendung, die gesamte Berliner Presse Urteile wie die fol-

genden fallen: die Musik zu Lohengrin sei „die zum Prinzip

erhobene Formlosigkeit ein frostiges, Sinn und Gemiit

gleichmassig erkaltendes Tongewinsel ein Abgrund der

Langeweile melodisch-leer (I) jedes Gefuhl fiir

das Edle und Wurdige in der Kunst reagiere gegen eine solche

Verhohnung des innersten Wesens der Musik usw." Trotz

des Andrangs des Publikums behauptete ein Kritiker: „Weder

fur die mystischen Beziehungen der Handlung, noch fiir die

kindlich stammelnde Sprache der Musik hat sich ein grosser

Kreis von Verehrern gefunden".^) Mehr als 30 Jahre lang

begegnen wir auch iiberall der selben stereotypen ironischen

Redensart: „Nur eine kleine Schar Auserwahlter ist befahigt,

alle die gepriesenen Schonheiten des Werkes aufzufinden und

zu geniessen"; zuerst tauchte diese Redensart in der „Neuen

Zeitschrift fiir Musik" vom Jahre 1846 auf und bezieht sich

auf Tannhduser! Zuletzt musste in bezug auf Tannhduser die

Kritik nachgeben; dann hiess es aber: „Die wirkliche Gunst,

in der Tannhduser steht, iibertragt sich insoweit auch auf den

Lohengrin, dass trotzdem usw." Dann gibt die

Kritik zu, auch Lohengrin sei ein Meisterwerk, sogar ein

„geniales Meisterwerk". Zur Erlangung dieser Einsicht haben

die grossten deutschen Blatter allerdings durchschnittlich 25Jahre

gebraucht. Aber Tristan! das sei dagegen eine entschiedene

Verirrung. Spater bekommt Tristan den Stempel des Meister-

werkes; der Ring ist aber ganz unleugbar eine Monstrositat.

*) Die „Grenzboten" waren es, die sich die Verbreitung dieses Blod-

sinns angelegen sein liessen. (Nachtrag. — Die Nennung des Jahres 1870

beruht, wie ich erfahre, insofern auf Irrtum, als die betreffenden Ausserungen

zwar damals erst veroffentlicht wurden, doch von friiher datieren und Privat-

mitteilungen entnommen sind.)

'^) Noch ausfiihrlichere Zitate findet man in Tappert's Richard Wagner,

S. 57PF.; sie sind alle aus den grossten Berliner Zeitungen.

24*

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372 DRITTES KAPITEL

Und SO geht es weiter. Unter dem Einfluss dieser leitenden

Zeitungen stimmten die meisten Menschen in den selben Ton

ein. Wilhelm Liibke z. B., der vielgenannte Kunsthistoriker,

horte zufallig in Heidelberg eine Auffiihrung der Meistersinger,

eine einzige; sofort verkiindete er in einem der gelesensten

Blatter deutscher Zunge, „die ganze Partitur sei nicht so viel

wert wie ein einziges Lied von Gumpert!" Diese beschamende

Jammerlichkeit erwahne ich hier zunachst, um darzutun, dass

der Widerstand gegen Wagner nie vom Publikum, sondern

immer von der Kritik und von den leitenden „Kunstkreisen"

ausgegangen ist; die Stimmung gegen Wagner, die dann bei so

vielen Gebildeten gefunden wurde, die unsinnigen Behauptungen,

die noch heute iiber seine Werke und iiber seine Person im

Gange sind, das ist alles nur das kunstliche Produkt jenes

Federkrieges; hoffentlich tragt diese Einsicht mit dazu bei, uns

alien iiber den Wert unserer Presse die Augen zu offnen. Es

ist aber ausserdem wichtig zu wissen, dass, wahrend Lohen-

grin z. B. etwa ein Vierteljahrhundert heftig bekampft wurde,

Tristan zehn Jahre nach den namenlosen Schmahungen, die

sein Erscheinen begriisst batten, die „Lieblingsoper" der Mun-chener geworden war; der Ring des Nibelungen war schon

fiinf Jahre nach seiner ersten Auffiihrung nicht nur iiber alle

grosseren Biihnen Deutschlands, sondern fast ganz Europas im

Triumph gezogen; zu Parsifal schliesslich stromten von Anfang

an die Menschen aus alien Weltteilen nach Bayreuth. Manschenke also der Mare von dem leichteren Erfolg der friiheren

Werke keinen Glauben.

Diese Behauptung hangt namlich mit jener zweiten, ebenso

haltlosen zusammen, Wagner habe bis zu Lohengrin sehr schone

Opern geschrieben, nach seiner Verbannung jedoch sei er

in „nebelhafte Theorien" beziiglich eines „Gesamtkunstwerkes"

hineingeraten, er sei auf einmal von einer Reformwut erfasst

worden usw. usw. Das alles ist vollkommen aus der Luft

gegriffen; es gibt gar keinen Bruch, keinen Sprung, keine

plotzliche Abschwenkung in Wagner's kiinstlerischer Entwicke-

lung. Wir haben gesehen, wie er in seinen vier ersten Biihnen-

werken, einem ganz instinktiven Triebe folgend — der Sehn-

sucht namlich, genau das zum Ausdruck zu bringen, was es

ihn als Dichter auszusprechen drangte — wir haben gesehen,

Page 61: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 373

wie er Schritt fur Schritt seinem Ziele naher kam: nicht zwei

dieser Werke sind sich ahnlich, jedes ist ein besonderes, neues

Glied in der Entwickelungsreihe. Mit Tannhdiiser und Lohen-

grin wurde diese Entwickelung nunmehr abgeschlossen: „Erst

an dem vollendeten Tannhduser und endlich an dem vollen-

deten Lohengrin bin ich mir iiber eine Richtung vollkommenklar geworden, in die mich unbewusster Instinkt trieb" (Bf. an

Liszt vom 22. Mai 1851). Diese ganze Entwickelung hat —trotzdem sie instinktiv und nur von einer positiven Erfahrung

zur anderen fortschritt — nach den strengsten Gesetzen der

Logik stattgefunden; ich wtisste nicht, wo man in der Ge-schichte der Kunst etwas Ahnliches fande; zu erklaren ist das

Phanomen wohl nur durch die ungewohnliche Energie von

Wagner's Charakter, die ihn gewissermassen von der Welt

abschied und ihn mit der Atmosphare seines eigenen Tuns undHoffens umgab. Es findet aber ebensowenig eine Anderung in

der Richtung statt zwischen Lohengrin und den folgenden grossen

Werken der zweiten Lebenshalfte; jetzt ist sich der Meister

„vollkommen klar geworden", nicht aber klar iiber ein neues

Ideal, iiber eine neu zu erstrebende Kunstgattung, sondern

klar iiber das, was er erreicht hat. Jene angeblich spatere

„Richtung" batte er ja mit seiner Tragodie aus den Gymnasial-

jahren und mit dem darauffolgenden Schaferspiel eingeschlagen.

Mit Bewusstsein blickt er aber jetzt erst, nach Vollendung des

Lohengrin — ja sogar, wie wir sehen werden, erst etwas spater

— iiber die ganze Reihe zuriick; jetzt erst versteht er sich

selber und wird er infolgedessen Herr jener inneren Not-

wendigkeit, der er zwar auch fernerhin gehorchen muss, vonder er sich aber nicht mehr blind lenken lasst, sondern der

er nunmehr mit vollbewusster Meisterschaft die Wege weist.

Es ware hochst sonderbar, wenn wir die Werke seiner ersten

Lebenshalfte um so mehr bewundern wollten, je mehr sie sich

der bewussten, freien Meisterschaft nahern, dann aber das

vollendete Werk seiner Mannesreife geringer schiitzten. Ebensosonderbar ist allerdings jene andere, jetzt namentlich in Frank-

reich sehr verbreitete Auffassung, nach welcher alle Werke,die Tristan vorangehen, nur historischen Wert besitzen sollen;

es ist das ein engherziger, widerlich unkiinstlerischer Dogma-tismus, wie wenn man dekretieren wollte, die Blume set schoner

Page 62: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

374 DRITTES KAPITEL

als die Knospe, das lachende Kind und der begeisterte Jiing-

ling verdienten keine Beachtung neben dem Manne. Wagner

sagt irgendwo, es sei leichter Die Meistersinger gut aufzufiihren

als Tannhduser ; vielleicht ist es auch leichter, die Schonheiten

seiner letzten Werke voll zu empfinden als die der friiheren.

Die friiheren sind eben wirklich Knospen ahnlich: manches

ruht da verborgen, unentwickelt. In Tannhduser und Lohengrin

beginnt aber diese Knospe aufzubliihen; gerade diese beiden

Werke vereinigen die Vorziige der noch unbewussten Jugend

mit denen der eriangten Meisterschaft.

Biographische Mit Tunnhduser und Lohengrin betreten wir ein literarischBedeutung

^j^j ^ebautes Gebiet. AUe friihesten Wagnerschriftsteller —Liszt, Muller, Pohl — haben Broschiiren iiber Tannhduser

geschrieben. Von 1849 bis heute haben die sagenwissenschaft-

lichen, historischen, musikalischen, poetischen Kommentare nie

zu erscheinen aufgehort. Eine solche Tatsache ist hochst be-

achtenswert; denn hat es in der Masse auch manches Minder-

wertige gegeben, mischt sich heutzutage auch geschaftliche

Spekulation haufig darein — von Liszt bis Ferdinand Pfohl

wurde doch vieles Schone und Tiefe iiber Tannhduser ge-

schrieben. Ahnliches gilt fiir Lohengrin. Vielfach spottet maniiber die Wagnerliteratur; man sollte eher daraus einsehen

lernen, wie tief und anhaltend die Anregungen sind, die aus

des Meisters Kunstwerken geschopft werden und die den

Wunsch nach weiterer Belehrung, nach tieferem Eindringen

wecken. Hier habe ich mich mit diesen exegetischen Ver-

suchen nicht welter abzugeben; ich begniige mich damit, fiir

Tannhduser und Lohengrin noch einmal vor allem auf Liszt

hinzuweisen.^) Ungleich wichtiger als alle solche Versuche ist,

was uns Wagner selber uber die Entstehung dieser Werke

in seiner Mitteilung an meine Freunde sagt. Er verkniipft

hier das rein Kiinstlerische mit den innersten Seelenerfahrungen

und entrollt dabei ein Bild seines Werdens, wie eben nur er

es konnte; ich werde nicht die herrliche Schrift — vielleicht

die ergreifendste aus seiner Feder — zerpfliicken, sondern ver-

weise den Leser darauf. Mir bleibt nur iibrig, in Anknupfung

') Gesammelte Schriften, Bd. Ill, 2. Abteilung „Richard Wagner" (Leipzig,

bei Breitkopf & Hartel, 1881). Dieser Band ist einzeln zu haben.

Page 63: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 375

an das friiher Ausgefiihrte einige Worte iiber die Bedeutung

des Tannhduser und des Lohengrin in dem Jtiinstlerischen

Entwickelungsgange des Meisters zu sagen.

Nicht lange nach der Vollendung des Lohengrin schrieb

Wagner in einem Briefer „Meine Richtung habe ich einge-

schlagen als Musiker, der von der Uberzeugung des uner-

schopflichsten Reichtumes der Musik ausgehend, das hochste

Kunstwerk, namlich: das Drama, will".^) In jener Stelle iiber

den Fliegenden Hollander, die ich am Schluss des vorigen

Abschnittes zitierte, sagte er dagegen: „Ich war ein Dichter,

der des musikalischen Ausdrucksvermogens fiir die Ausfiihrung

seiner Dichtungen sich im voraus bewusst war". Man sieht

deutlich ein, Musiker und Dichter sind eine Person; der

grossere Nachdruck liegt aber entschieden auf dem Worte„Musiker", und in jenem selben Briefe erklart der Meister,

warum: „Seitdem in unserer Zeit die Helden der absoluten

— dass heisst: von der Dichtkunst losgetrennten — Musik, und

endlich namentlich Beethoven die Ausdrucksfahigkeit dieser

Kunst, zumal durch das Orchester, zu einer vollig neuen,

friiher, und selbst von Gluck kaum noch geahnten, kiinst-

lerischen Potenz erhoben haben, wird allerdings der Einfluss

der Musik auf das Drama von Wichtigkeit geworden sein, da

sie natiirlicherweise Anspruch auf Entfaltung ihres Reichtumes

zu machen hat. Das Drama selbst musste also fur den Aus-

druck sich erweitern und diese, dem Reichtum musikalischen

Ausdruckes entsprechende Fahigkeit in ihm zu entdecken und

fortzubilden, schien mir lediglich dem Musiker selbst moglich

zu sein." In diesen Worten: „das Drama musste fiir den Aus-

druck sich erweitern" liegt zugleich die Bedeutung dieser

letzten Periode der Entwickelung eingeschlossen.

Vollkommen naiv — also rein kiinstlerisch — war Wagner

von der gegebenen Form der Oper ausgegangen; dass er Dra-

men — wirkliche Dramen — schaffen wollte, haben wir aus

seiner friihesten Entwickelung und auch aus seiner ganzen Art,

dichterisch und musikalisch zu gestalten, deutlich entnommen;

die konventionelle Form der hergebrachten Oper — mit ihren

') Bf. vom 17. Januar 1840 an Freiherrn von Biedenfeld.

Page 64: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

376 DRITTES KAPITEL

Aden, Kavatinen, Ritornellen, Duetten, Terzetten, Choren am

Anfang und am Schluss jedes Aktes — hatte er aber als

ein Gegebenes, Feststehendes angenommen. Hierdurch wurde

jedoch offenbar seinem Drange nach dichterischer Gestaltung,

nach Vermahlung des Gedankens mit der Empfindung Gewalt

angetan; der Dichter war beschrankt und — mehr als bloss

das — er sah sich auf eine gerade fur die „Entfaltung des

musikalischen Reichtumes" gefahrliche Bahn gedrangt. Denn

die Musik kann nichts Spezielles, Zufalliges, Ausserliches aus-

drucken, sondern nur die Seele, das Innere. Damit also die

Dichtung dem einzig naturlichen Drange der Musik nach „Ent-

faltung ihres Reichtumes" entgegenkomme, muss die Hand-

lung nicht reicher, sondern im Gegenteil einfacher, dafur aber

tiefer gestaltet werden. Hier allerdings, in den geheimsten

Tiefen der Seele, eroffnet sich dem Dramatiker— aber „lediglich

wennerMusikerist" — ein unermessliches, bisher verschlossenes

dramatisches Gebiet; dagegen sind alle die pomphaften Aufzuge

und die sensationellen Szenen wie sie, dem Melodrama ent-

nommen und auf das ausserste getrieben, die stehende Faktur

der Oper geworden sind, gar nicht der fur die Entfaltung der

Musik geeignete Stoff. Beim Anhoren des Rienzi sagte auch

sofort der alte Spontini von Wagner: „C'est un homme de

genie, mais deja il a plus fait qu'il ne peut faire"; eine wirklich

treffende Kritik, da der „Mann von Genie" hier der Musik als

Organ des Ausdrucks eine Tat zugemutet hatte, welche sie

nicht imstande ist, allein zu vollbringen; sie hatte ja eigentlich

das ganze Drama geben sollen, wenigstens den ganzen „Aus-

druck". Insofern hatte auch gewiss die Entwickelung bis Rienzi

nach einer falschen Richtung hin stattgefunden, dafiir aber, wie

wir schon gesehen haben, nicht nur die Erfahrung des Kunstlers

bereichert, nicht nur ihm nahegelegt, dass dieser Weg nicht

der richtige sei, sondern sie hatte ihm den positiven Dienst

geleistet, seine Handhabung des musikalischen Ausdruckes bis

zur vollen Meisterschaft ausreifen zu lassen. Und erst diese

Meisterschaft in der Handhabung des musikalischen Ausdruckes

verlieh ihm die Macht, nunmehr „das Drama zu erweitern",

nunmehr die „dem Reichtum musikalischen Ausdruckes ent-

sprechende Fahigkeit im Drama zu entdecken und fortzubilden".

Erst als Wagner ganz Musiker geworden war, konnte er mit

Page 65: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 377

Erfolg „das hochste Kunstwerk, namlich: das Drama" wollen;

denn das vollendetste Drama, das deutsche Drama, kann „ledig-

lich der Musiker wollen".

Ich glaube nun, wir geraten keineswegs in das kiinstlich

Systematische, wenn wir die drei auf Rienzi folgenden Werke— Der Fliegende Hollander, Tannhduser und Lohengrin —als die Werke betrachten, in welchen jene vom Musiker entdeckte

„Fahigkeit des Dramas" fortgebildet, in welchen das Drama —noch halb unbewusst und darum gewissermassen mehr tastend

als prinzipiell — erweitert wurde. Sehen wir von dem inneren

und eigenen Wert eines jeden dieser Werke ab, da wir ja

diesen Kunstwert als ein Absolutes zu erachten haben, so er-

scheint mir diese allmahliche Erweiterung des Dramas als ihre

klare Bedeutung in dem Entwickelungsgange des Meisters.

Wir konnten uns auf Wagner selbst berufen, um die Be-

hauptung aufzustellen, Tannhduser sei ein grosser Fortschritt

iiber den Fliegenden Holldnder und Lohengrin ein merklicher

Fortschritt iiber Tannhduser. Allzu grosses Gewicht mochte

ich allerdings auf diese Auffassung nicht legen — jenes schonen

Wortes Schopenhauer's eingedenk: „Die Kunst ist iiberall amZiel." Jedoch, die allmahliche formale Vervollkommnung, das

heisst also die allmahlich stattfindende Entfernung von der

vorgefundenen Opernschablone zu der neuen, freien, vom jedes-

maligen Stoff abhangigen Form des neuen Dramas ist zu auf-

fallend, als dass sie geleugnet werden konnte. „Das unwill-

kiirliche Wissen von jener traditionellen Opernform", schreibt

Wagner, „beeinflusste mich noch bei meinem Fliegenden

Holldnder so sehr, dass jeder aufmerksam Priifende erkennen

wird, wie sie mich hier oft noch fur die Anordnung meiner

Szenen bestimmte; und erst allmahlich, mit dem Tannhduser^

und noch entschiedener im Lohengrin, also nach immer deut-

licher gewonnener Erfahrung von der Natur meiner Stoffe

und der ihnen notigen Darstellungsweise, entzog ich mich

jenem formellen Einflusse ganzlich und bedang die Form

der Darstellung immer bestimmter nur nach der Erfordernis

und der Eigentiimlichkeit des Stoffes und der Situation"

(IV, 392). Diese Form der Darstellung zergliedert sich von

selbst in zwei Bestandteile: die Wortdichtung und die Ton-

dichtung.

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378 DRITTES KAPITEL

Wie sich die Wortdichtung allmahlich von der festgesetzten

Opernform entfernte, ist besonders deutlich zu sehen. In der

ersten Handschrift der Dichtung zum Fliegenden Hollander

(datiert Meudon 18. Mai bis 28. Mai 1841),*) die fast wortlich

mit der bekannten endgiiitigen Fassung iibereinstimmt,-) ist

nicht bloss die aussere, sichtbare Einteilung in Szenen beibe-

halten, sondern die drei Szenen des ersten Aktes z. B. sind

betitelt „Indroduktion", „Arie« und „Szene, Duett und Chor«;der Schluss des zweiten Aktes vom Eintritt des Hollanders

an ist iiberschrieben „Szene, Duett und Terzett", usw. Wiefrei auch der Meister sich innerhalb der sich selbst gesteckten

Grenzen bewegen mag, in diesen Titeln kommt doch eine Be-

fangenheit zum Ausdruck. Auch dass jeder der drei Akte mit

einem Chor beginnt, ist eine alte Operngewohnheit; nach demHollander hat Wagner fast nie mehr einen Chor am Anfang

eines Aufzuges angebracht. Von weit eingreifenderer Bedeutungals diese rein formelle Unselbstandigkeit ist aber eine andere

Eigenschaft der Holldnder-Dichtungy die der Meister ebenfalls

als Befangenheit bezeichnet. Zwei Eigenschaften liegen namlich

einem guten Drama zugrunde: die haarscharfe Bestimmungseines Gegenstandes und die erschopfende Darstellung dieses

Gegenstandes. Wagner meint nun, in seinem Hollander sei

„vieles noch unentschieden, das Gefiige der Situationen meist

noch verschwimmend . . ." es sei alles nur „in weitesten,

vagesten Umrissen gezeichnet", usw. Dieses Urteil diirfte

manchen etwas hart erscheinen: tritt doch wenigstens das

Hauptmotiv — die Erlosung des Sunders durch die Liebe der

keuschen Jungfrau „treu bis in den Tod" — in scharfem Relief

hervor. Unleugbar ist dagegen, dass dieses gewaltige dramatische

Motiv nicht erschopfend behandelt wird, und dies ist die eigent-

liche Befangenheit des Dichters. Dieser wusste noch nicht,

was er spater so klar erkannte, dass die Mitwirkung der Ton-

kunst „den Atem der Dichtkunst zu ungeahnter Fiille aus-

1) Die Einsicht in diese Handschrift verdanke ich dem freundlichen

Entgegenkommen des Herrn Alexander Ritter.

") Nur spielt das Stiick an der schottischen, nicht an der norwegischen

Kiiste, was einige Namenanderungen erklart: Daland hiess Donald und Erik

Georg. In einem noch fruheren Prosaentwurf wird die Tragerin der Haupt-

rolie Anna — nicht Senta — benannt!

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 379

dehnen wurde" (II, 185). Der Fliegende Hollander ist echte,

tiefe Dichtkunst; das Werk ist ein Drama im vollsten Sinne

des Wortes, und die Gestait des „bleichen Seemannes" stelit

so gross und plastiscli greifbar vor uns da wie irgend eine

spatere des Meisters — und wie irgend eine friihere der

dramatischen Kunst. Das Ganze ist aber doch nur eine Skizze;

denn das Bezeichnende des neuen Dramas ist, dass es die Vor-

gange in der innersten Seele — jenen kiinstlerisclien Gehalt

der „Gedanken" — ersciiopfend darstellen kann, und in demHollander geschieht das nicht. Der innere Mensch und mit

ihm die Musik kommt hier wirklich zu kurz: der Dichter

entwirft Gestalten ganz nach ihrem Herzen, unterlasst aber

dann deren weitere Ausfiihrung. Es liatte sich eben dieser

Dichter aus den Windein der Oper erst halb losgewunden und

wagte noch nicht, sich auf seinem eigenen Gebiete frei zu be-

wegen. Die „dem Reichtum des musikalischen Ausdruckes ent-

sprechende Fahigkeit des Dramas" — dessen notwendige „Er-

weiterung"— wurde von ihm erst geahnt— noch nicht klar erkannt.

Zu einem kritischen Verstandnis der Dichtungen zu Tannhduser

und Lohengrin in ihrer Bedeutung als Entwickelungsstufen

zum bewussten neuen Drama ist nun vor allem die ganz klare

und scharfe Auffassung der besprochenen Vorzuge und Mangel

des Fliegenden Hollanders vonnoten. Sie geniigt sogar voll-

kommen und macht ein analytisches Zergliedern jener herrlichen

folgenden Werke iiberfliissig. In ihnen sehen wir den Dichter

sich immer mehr von der Opern-Schablone entfernen und sich

immer mehr der vollkommenen kiinstlerischen Form des Wort-

Tondramas nahern. Das Prinzip dieser Form ist aber, „die

Kraft der Darstellung auf wenige, immer wichtige und entschei-

dende Momente der Entwickelung zu konzentrieren; bei diesen

wenigen Szenen aber, in denen jedesmal eine entscheidende

Stimmung sich zur vollen Geltung zu bringen hat, darf der

Dichter in der Ausfiihrung mit einer bereits in der Aniage wohl

berechneten, den Gegenstand erschopfenden Ausdauer verweilen"

(vgl. IV, 391). Wenige Momente und diese wenigen Momenteerschopfend behandeln: dieses Prinzip kommt in den drei vor-

liegenden Werken immer bewusster zur Anwendung. Die Redu-

zierung auf wenige Momente ist gleich im Fliegenden Hollander

um so auffallender, als der iiberreiche Rienzi unmittelbar voran-

Page 68: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

380 DRITTES KAPITEL

gegangen war; dagegen fehlt hier, im Hollander, dieerschopfende

Behandlung. Im Tannhduser sind die dramatischen Momente

wieder viel zahlreicher; wir finden aber hier in dem zweiten

und dritten Ai^t eine erschopfende Behandlung dieser Motive,

dieser inneren Handlung, wie sie der Meister friiher nie

gewagt hatte.^) Der Fortschritt in der Entfernung von den

Opernformeln ist auffallend: in dem ganzen Werke kommt ein

einziges Duett vor; die Chore erhalten eine hohe dramatische

Bedeutung und treten nicht ein einziges Mai unmotiviert opern-

haft auf, wie z. B. der Spinnerinnenchor im Holldnder. In

Lohengrin konnte man zuerst geneigt sein, eine riicklaufige

Bewegung anzunehmen, namentlich wenn man die vielen Chore

auf unseren Operntheatern aufgeliihrt sieht. Bei der Auffuhrung

in Bayreuth bekommt man allerdings einen wesentlich anderen

Begriff von der dramatischen Absicht dieser Chore. Undwenden wir uns der Betrachtung des Ganzen zu, so miissen

wir gestehen, hier wurde ein Wunder vollbracht: eine Hand-

lung, die viel mehr Nebenmotive mit sich fiihrt, als Wagnerspater geduldet hatte — ich meine, eine Handlung, die schon

durch ihre Konzeption eine sehr reiche „opernmassige" Erschei-

nung bedingt, wird hier auf so wenige und so plastisch deut-

liche Momente reduziert, dass ein Kind sie sofort auffasst. Vonallerkompetentester Seite ist behauptet worden, die gesamte

Weltdichtung besitze keine so klare, einfache und zugleich

drastisch-dramatische Exposition wie den ersten Akt des

Lohengrin! Und hier muss ich, wenn auch nur im Vorbei-

gehen, auf das Moment der Sichtbarkeit in Wagner's Dramendie Aufmerksamkeit lenken. Ein Stocktauber versteht die

Handlung des Lohengrin in alien ihren Hauptziigen voll-

kommen durch den blossen Eindruck der Biihnenbilder. Das

hiingt mit der wesentlichsten Eigenschaft der neuen dramatischen

Form zusammen. Die Musik kann namlich nichts Zufalliges,

durch Intriguen Gekniipftes, auf willkiirlichen Konventionen

Beruhendes zum Ausdruck bringen, sondern allein das „Rein-

menschliche", das alien Menschen Gemeinsamej dieses „Rein-

^) Die erschopfende Behandlung des Motivs im ersten Akt fand erst

durch die im Jahre 1860 neu komponierte Venusbergszene statt; hierdurch

wurde also das dramatische Gleichgewicht hergestellt.

Page 69: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 3S1

menschliche" ist aber auch alien Menschen ohne Erklarung un-

mittelbar verstandlich. Je mehr also ein Drama auf die ein-

fachen, reinmenschlichen Motive beschrankt wird, um so „sicht-

barer" wird die dargestellte Handlung werden. Gesicht undGehor erganzen sich hier; wir lernen Wagner's Wort verstehen:

„Ich hatte meine Dramen gern als ersichtlich gewordene Taten

der Musik bezeichnet" (IX, 364). Auf das „Reinmenschliche"

als einzigen legitimen Gegenstand des Wort-Tondramas kommeich bald zuriick; hier wollte ich nur — ohne irgend welche

theoretische Betrachtung daran zu kniipfen — auf die Tatsache

hinweisen, dass Wagner's Dramen immer sichtbarer, immerplastischer werden. Er ist der „Seher«, der bei allmahlich

wachsender Kiinstlerschaft das Bild in seinem Innern immervollkommener auf die Biihne zu projizieren versteht.') Mansieht auch, wie schlecht es um die Weisheit jenes beriihmten

kritischen Urteils steht, Wagner sei weder ein grosser Dichter

noch ein grosser Musiker, wohl aber ein „dekoratives Genie";-)

denn um jene Reihe von Bildern, die den sichtbaren Leib des

Lohengrin-Dramas ausmachen, auf die Biihne werfen zu konnen,

muss man sie erst mit dem inneren Auge erschaut haben, undwer das kann, besitzt die allerhochste dichterische Kraft: die

Gestaltungskraft. Alles wahre Dichten — von Homer bis zu

Dickens — ist „Sehen"; von einem Manne zu sagen, er sei ein

Genie in bezug auf das Sehen, dennoch aber kein Dichter, ist

also eine contradictio in adjecto, wie sie schreiender gar nicht

gedacht werden kann. In Lohengrin erleben wir nun, wie ge-

sagt, die Zuriickfiihrung eines an das Historische und Massen-hafte streifenden Dramas auf seine einfachsten, reinmenschlichen

Motive, die dann auch eine fast erschopfende Behandlung erfahren.

Und wir sehen, wie in diesen drei Werken — Der Fliegende

Hollander, Tannhduser und Lohengrin — der Musiker jene „demmusikalischen Ausdruck entsprechende Fahigkeit des Dramas"nach und nach „fortbildet''.

Betrachten wir nun die spezielle Tondichtung, so werden

wir eine ahnliche Progression vom Hollander an wahrnehmen;

') Vgl. den Abschnitt „Kunstlehre% S. 290.

') Dieses Urteil wurde gelegentlich der ersten Auffiihrung des Lohengrin

in Wien (1859) ausgesprochen; seitdem hat sein Urheber es zuriickgezogen;

es lebt aber das gefeite Leben solcher „geistvollen" Aphorismen.

Page 70: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

382 DRITTES KAPITEL

es ist auch gar nicht anders moglich, da Musiker und Dichter

der eine, selbe, nach Ausdruck ringende Poet sind. Wir horten

Wagner sagen: „Vom Hollander an beginnt meine Laufbahn

als Dichter, mit der ich die des Verfertigers von Operntexten

verliess".') Mit genau dem selben Recht hatte er aber erklaren

konnen: „Von hier an beginnt meine Laufbahn als dramatischer

Musiker, mit der ich die des Verfertigers von Opernmusik

verliess". In beiden Behauptungen liegt etwas Einseitiges, nur

bedingt Aufzufassendes. Denn Wagner war von allem Anfang

an Dichter, und von allem Anfang an hatte er die Neigung,

seiner Tondichtung die einheitliche symphonische Form zu

geben. Schon in jenem friihen Versuch, Die Hochzeit, sahen

wir ein ausgesprochen musikalisch-dichterisches und zur

symphonischen Verwertung vorziiglich geeignetes Motiv;^) in

Rienzi hatte diese instinktive Anlage bereits eine hohe Aus-

bildung erfahren. Es war aber noch immer kein iiber das

ganze Drama ausgebreitetes symphonisches Gewebe, welches

zugleich die aussere Einheit bewerkstelligt und die innere Ein-

heit der Handlung dem Gefiihl unmittelbar dartut. Wie die

weitere Ausbildung hier geschah, will ich in des Meisters eigenen

Worten erzahlen: „Auch auf dieses Verfahren, das in seiner

beziehungsvollen Ausdehnung iiber das ganze Drama nie zuvor

angewandt worden ist, bin ich nicht durch Reflexion, sondern

einzig durch praktische Erfahrung und durch die Natur meiner

kiinstlerischen Absicht hingeleitet worden. Ich entsinne mich,

noch ehe ich zu der eigentlichen Ausfiihrung des Fliegenden

Hollanders schritt, zuerst die Ballade der Senta im zweiten

Akte entworfen und in Vers und Melodie ausgefiihrt zu haben;

in diesem Stiicke legte ich unbewusst den thematischen Keimzu der ganzen Musik der Oper nieder: es war das verdichtete

Bild des ganzen Dramas, wie es vor meiner Seele stand; und

als ich die fertige Arbeit betiteln sollte, hatte ich nicht iibel

Lust, sie eine „dramatische Ballade" zu nennen. Bei der end-

lichen Ausfiihrung der Komposition breitete sich mir das

empfangene thematische Bild ganz unwillkiirlich als ein voll-

standiges Gewebe iiber das ganze Drama aus; ich hatte, ohne

') Siehe S. 364.

2) Siehe S. 343.

Page 71: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 383

weiter es zu wollen, nur die verschiedenen thematischen Keime,

die in der Ballade enthalten waren, nach ihren eigenen Rich-

tungen hin weiter und vollstandig zu entwickeln, so hatte ich

alle Hauptstimmungen dieser Dichtung ganz von selbst in be-

stimmten thematischen Gestaltungen vor mir. Ich hatte mit

eigensinniger Absicht willkiirlich als Opernkomponist verfahren

miissen, wenn ich in den verschiedenen Szenen fiir dieselbe

wiederkehrende Stimmung neue und andere Motive hatte er-

finden wollen; wozu ich, da ich eben nur die verstandlichste

Darstellung des Gegenstandes, nicht aber mehr ein Konglomerat

von Opernstiicken im Sinne hatte, naturlich nicht die mindeste

Veranlassung empfand. Ahnlich verfuhr ich nun im Tann-

hduser und endlich im Lohengrin; nur dass ich hier nicht von

vornherein ein fertiges musikalisches Stiick wie jene Ballade

vor mir hatte, sondern das Bild, in welches die thematischen

Strahlen zusammenfielen, aus der Gestaltung der Szenen, aus

ihrem organischen Wachsen aus sich selbst erst schuf, und in

wechselnder Gestalt uberall da es erscheinen Hess, wo es fiir

das Verstandnis der Hauptsituation notig war. Ausserdem

gewann mein Verfahren, namentlich im Lohengrin, eine be-

stimmtere, kiinstlerische Form durch eine jederzeit neue, demCharakter der Situation angemessene Umbildung des thema-

tischen Stoffes, der sich fiir die Musik als grossere Mannig-

faltigkeit der Erscheinung auswies, als dies z. B. im Fliegenden

Hollander der Fall war, wo das Wiedererscheinen des Themasoft noch nur den Charakter einer absoluten Reminiscenz (in

welchem Sinne dies schon vor mir bei anderen Komponisten

vorgekommen war) hatte" (IV, 393). Das ist die Entstehung

und das Werden des symphonischen Gewebes in Wagner's

Werken mit seinem wunderbaren Unterbau von thematischen

Gebilden, so ungliicklich „Leitmotive" getauft und durch Analyse

so grausam ihres poetischen Duftes beraubt. Von genau der

selben Wichtigkeit war die Ausbildung eines anderen Ele-

mentes des Tonkorpers: der Sprachversmelodie, wie Wagner

es nannte. „Die Melodie musste ganz von selbst aus der Rede

entstehen; fur sich, als reine Melodie, durfte sie gar keine Auf-

merksamkeit erregen, sondern dies nur so weit, als sie der

sinnlichste Ausdruck einer Empfindung war, die eben in der

Rede deutlich bestimmt wurde" (IV, 396). Auch hier geschah

Page 72: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

384 DRITTES KAPITEL

die Befreiung aus der konventionellen Opernmelodie nur allmah-

lich; im Hollander, gesteht Wagner, habe ihn der gewohnte

Melismus fiir den Sprachausdruck noch sehr beeinflusst, in

Tannhduser und Lohengrin habe er sich diesem Einflusse immer

bestimmter entzogen. Hand in Hand mit diesen Errungen-

schaften, nicht willkiirlich ersonnen, sondern bedingt durch den

mit organischer Notwendigkeit fiir das neue Drama sich aus-

bildenden neuen Stil, entwickehen sich nun auch nach und nach

Prinzipien der harmonischen Charakteristik, der Bedeutung der

Tonarten und der Instrumentation, die in eben dem selben

Masse von den in der „absoluten Musik" geltenden Gesetzen

abwichen, wie die Regeln des gesprochenen Dramas sich von

denen der stummen Pantomime entfernen.

Zur naheren Belehrung iiber diese die musikalische Technik

interessierenden Fragen verweise ich auf Wagner's Schriften^)

und fiir Tannhduser und Lohengrin im besonderen auf das

schon ofters genannte Buch Franz Liszt's, in welchem selbst

der musikalische Laie durch die eingehende Analyse von Instru-

mentation, Harmonisation und Melodiefiihrung fiir die wunder-

bare Struktur des Tongebaudes Verstandnis gewinnt. Fines

wird auch der in musikalischer Technik gar nicht Bewanderte

verstehen, namlich, dass diese verschiedenen und so tief ein-

greifenden Neuerungen zu einer immer grosseren Formvoll-

endung der Tonschopfungen fiihren mussten. Denn eine Form

ist um so voUendeter, je weniger sie aus der Willkur des

schaffenden Kunstlers hervorgeht und je zwingender sie seiner

Phantasie von dem Stoff als die ihm einzig entsprechende Ge-

staltung aufgenotigt wird. In der Oper herrscht aber die Willkiir

fast unbeschrankt; ihr Gesetz ist: car tel est mon bon plaisir.

Die sogenannte „Opernform" war eine Schablone, eine durch

willkurliche Annahmen festgesetzte Schablone; eine wirklich

1) Vor alien auf die hier oft angefuhrte Mitteilung an meine Freunde

(1851) und dann besonders auf den Aufsatz Ober die Anwendung der Musik

auf das Drama (1879). Von den sog. „Wagnerforschern" ist wohl M. Alfred

Ernst derjenige, der auf diesem Gebiete am weitesten vorgedrungen ist und

das grosste Vertrauen verdient; sein Hauptwerk L'Art de Richard Wagnet

(Bd. I: L'oeuvre poetique, Bd. II: L'oeuvre musicale) ist alien auf das wiirmste

zu empfehlen, die gern in das Innere des musikalisch-dichterischen Gewebes

von Wagner's Dramen weiter eindringen wollen.

Page 73: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

ST. PETERSBURG 1863

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Page 75: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 385

kunstlerische Form war sie nie. Die Form musste nun Wagner

fiir sein Wort-Tondrama von Grund aus schaffen — nicht er-

finden, wohl aber auffinden. Man nennt Wagner einen „Refor-

mator der Oper"; eine irrigere Bezeichnung ist kaum denkbar

fiir den Mann, der schon in jungenjahren erkannt hatte: „Nur

aus der vollstandigen Umkehrung des bisherigen Verfahrens

bei der Oper, konnte einzig das Richtige geleistet werden".

Dagegen hatte er bereits in Lohengrin seine eigene, durchaus

neue, von der „Oper" nie auch nur vorgeahnte Form zu solcher

Vollkommenheit ausgearbeitet, dass Liszt schreiben konnte:

„Die Musik dieser Oper hat als Hauptcharakter eine solche

Einheit der Konzeption und des Stils, dass es in derselben

keine melodische Phrase und noch viel weniger ein Ensemble-

stiick Oder iiberhaupt irgend eine Stelle gibt, welche getrennt

vom Ganzen in ihrer Eigentiimlichkeit und in ihrem wahren

Sinne verstanden werden kann. Alles verbindet, alles verkettet,

alles steigert sich. Alles ist mit dem Gegenstand auf das engste

verwachsen und kann nicht von demselben losgelost werden."*)

Je einheitlicher aber Wagner's Werke wurden, je mehr sich

ihre Form einer geradezu unbegreiflichen Vollendung naherte,

um so mehr klagten die Musiker iiber Formlosigkeit, Willkiir,

Ikonoklasm usw. Ich habe schon die grotesk-monstrosc Dumm-heit zitiert, die Musik zu Lohengrin sei „die zum Prinzip er-

hobene Formlosigkeit"! Hierbei berief man sich nicht bloss

auf die alleinseligmachende Schablone der Oper, deren „ge-

schlossene Formen" (d. h. also deren Formlosigkeit als Ganzes)

man schmerzlich entbehrte, sondern namentlich auf den Kodexder absoluten Musik, von dem Wagner so entschieden abwich.

Und diese Kritiker wollten und konnten gar nicht begreifen,

dass gerade hier, bei Wagner, das Gesetz herrschte, dort aber,

in der absoluten Musik, nur die zur Tyrannei erhobene Willkiir!

Dass bei Wagner jede Modulation nicht allein dramatisch ge-

rechtfertigt, sondern auch dramatisch geboten war, konnten Leute

allerdings nicht einsehen, die sich eigensinnig darauf versteiften,

das Drama als ein Nebensachliches zu betrachten. Wenn ich

nun auf diesen mit Blindheit geschlagenen Unverstand hin-

weise, so geschieht das mit dem Zweck, den Leser darauf auf-

') a. a. O. S. 161.

Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 25

Page 76: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

386 DRITTES KAPITEL

merksam zu machen, dass nichts bei Wagner bewundernswerter

ist als gerade die Vollkommenheit der Form. In dem Wesender Sache liegt es aber bedingt, dass diese Vollkommenheit sich

am unwiderleglichsten in der Tondichtung offenbart. Wagnerist vielleicht der einzige, der als echter Geistesverwandter

Johann Sebastian Bach's bezeichnet werden konnte, weii wir

bei diesen beiden Mannern die selbe ungeheure — bis zur

Schroffheit sich steigernde — Kiihnheit in der Anwendung des

musikalischen Ausdrucks finden, zugleich aber eine derartige

technische Vollendung bis in die letzte, scheinbar gleichgiiltigste

Einzelheit, dass ihre Partituren uns mehr wie Wunderwerke der

Natur als wie Erzeugnisse eines menschlichen Gehirns an-

muten. Man hat fast die Illusion, als sei das Element der

Willkiir hier ganz aufgehoben.

Vom rein biographischen Standpunkt aus kann man also

Tannhduser und Lohengrin als die Werke betrachten, in denen

die durch den Fliegenden Hollander eingeschlagene „neue Rich-

tung" — namlich die Richtung auf die bewusste „Erweiterung

des Dramas" — fur den dichterischen und den musikalischen

Ausdruck fortgebildet und zu hoher Vollkommenheit gebracht

wurde. Hierbei war, wie schon von den Feen an, der Musiker

stets dem Dichter um etwas voraus. In dem folgenden Ab-schnitt werde ich zeigen, wie erst nach Vollendung des Lohen-

grin dem Meister die letzte voile Aufkliirung iiber die Wahlund die Behandlung der dichterischen Stoffe im Tondrama zu

teil wurde. Dieser letzte Schritt des Dichters zum bewussten

Erfassen einer neuen dramatischen Form konnte eben erst ge-

schehen — das wird der Leser jetzt schon ohne weitere Er-

klarung verstehen — als der Tondichter die vollendete Meister-

schaft erreicht hatte; dieses geschah aber durch Lohengrin.

Page 77: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

DIE VIER GROSSEN ENTWURFE

Wo der Kiinstler vermittelt und auswiihlt, ist

das Werk seiner Tatigkeit noch nicht das Kunst-

werk ; sein Verfahren ist vielmehr das der Wissen-

schaft, der suchenden, forschenden, daher will-

kiirlichen und irrenden. Erst da, wo die Wahl

getroPfen ist, wo diese Wahl eine notwendige war

und das Notwendige erwahlte, — da also, wo der

Kiinstler sich im Gegenstande selbst wiederge-

funden hat, wie der vollkommene Mensch sich in

der Natur wiederfindet, — erst da tritt das Kunst-

werk in das Leben, erst da ist es etwas Wirk-

liches, sich selbst Bestimmendes, Unmittelbares.

Richard Wagner

Im August des Jahres 1847 hatte der Meister seinen ist die .Oper*

Lohengrin vollendet. Auch hier noch war er sich durchaus "i°g''<='»?

nicht bewusst, dass er sich mit diesem Werke von der alten

Opernform losgesagt und eine neue Gestalt des Dramas ge-

schaffen hatte. Noch wahrend der Komposition des dritten

Aktes schrieb er an einen Freund: „Meine jetzigen und nachsten

Arbeiten gelten mir nur als Versuche, ob die Oper moglich sei".

Jedoch, wie dieser Satz zeigt, der Zweifel war schon aufgekeimt!

Der Frage, „ob die Oper moglich sei", kann unmoglich eine

andere Bedeutung beigelegt werden als diese: „ob das Werk,

das ich ersehne und erstrebe, innerhalb des Opernrahmens

moglich sei". Gerade der vollendete Lohengrin scheint Wagner

in diesem Zweifel sehr bestarkt zu haben; denn nun begann fiir

ihn eine mehrjahrige Ubergangszeit. Der Drang zur schopfe-

rischen Tatigkeit erlahmte nicht etwa — im Gegenteil, kraftiger

als je machte er sich fiihlbar — die Art aber, in der dieser Drang

sich ausserte, gleichsam nach den verschiedensten Richtungen

hin tastend, deutet auf eine ungewohnliche innere Erregung.

„Mit Lohengrin nimmt die alte Opernwelt ein Ende; der Geist

schwebt iiber den Wassern, und es wird Licht!" Das sagte

Liszt im Jahre 1858; inzwischen war es ja Licht geworden, und

ein so klarer Geist wie Liszt erkannte leicht diese hohe Be-

deutung des Lohengrin. So ganz von selbst war aber die Er-

25*

Page 78: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

388 DRITTES KAPITEL

leuchtung nicht gekommen. Ehe dem Meister der Entschluss

reifte, sich endgiiltig von der Oper hinwegzuwenden, ehe er

die Grundbedingung des neuen Kunstwerkes klar erfasste, fuhr

er auch nach Lohengrin noch fort zu versuchen, „ob die

Oper moglich sei" — und aus der fieberhaften Art, in der das

geschati, empfinden wir die Verzweiflung des Kiinstlers, welcher

taglich deutliclier erkennt, sein Kunstwerk sei als „Oper" un-

moglich und dennoch erfordere es unbedingt die Mitwirkung

der Tonsprache, das heisst also des ganzen nur auf der Opern-

biihne vorhandenen Apparates. Fiir den dramatischen Dichter

bedeutete diese Zeit die Krisis seines Lebens.

In dem einen einzigen Jahre 1848 — jenem selben Jahre,

in welchem er seinen ausfiihrlichen Entwurf zur Organisation

eines deutschen Nationaltheaters ausarbeitete und in welchem

er auch politischen Fragen seine Aufmerksamkeit widmete und

seine Beredsamkeit lieh — sehen wir Wagner mit nicht weniger

als vier verschiedenen dramatischen Planen in vier ganz ver-

schiedenen Richtungen beschaftigt: Friedrich der Rothart, Sieg-

fried's Tod, Jesus von Nazareth, Wieland der Schmied.

Friedrich der Rotbart war als grosses historisches Drama

gedacht, „das in fiinf Akten Friedrich vom ronkalischen Reichs-

tage bis zum Antritt seines Kreuzzuges darstellen sollte". Dieser

Entwurf ist in Wagner's Gesammelte Schriften nicht auf-

genommen worden; nur der Niederschlag der weitausholenden

historischen Studien, zu denen der Plan Veranlassung gegeben

hatte, ist uns in der Schrift Die Wibelungen: Weltgeschichte

aus der Sage aufbewahrt. Siegfried's Tod ist ein grosses

mythologisches Drama, das Bruchstuck eines Versuches, den

ganzen Nibelungenmythos dramatisch zusammenzufassen. „Ehe

ich Siegfried's Tod dichtete, entwarf ich den ganzen Mythos

in seinem grossartigen Zusammenhang", berichtete Wagner spater

an Uhlig, „jene Dichtung war nun der — unserem Theater

gegeniiber von mir als zu ermoglichen gedachte — Versuch,

eine Hauptkatastrophe des Mythos mit der Andeutung jenes

Zusammenhanges zu geben" (U. 118). Beides, sowohl den voll-

stiindig ausgefiihrten Text zu dieser „Grossen Heldenoper"')

') Nach der im Besitze der Familie Ritter befindlichen Handschrift

wurde die Dichtung am 12. November 1848 begonnen und am 28. November 1848

vollendet.

Page 79: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 3S9

als auch die Skizze zur Dramatisierung des ganzen Mythos vomRaub des Rheingoldes an, findet der Leser im zweiten Bandder Gesammelten Schriften. Jesus von Nazareth liegt uns in

einer hochst interessanten Gestalt vor:^) nach einer ziemlich

ausfijhriiciien Prosa-Skizze des fiinfai^tigen Sciiauspiels folgen

„Ausfuhrungen« des Meisters, die weniger den Charakter drama-tischer Einfalie haben als den ausfiiiirlicher Dissertationen iiber

alle in diesem Stiicke beriihrten Probleme, z. B. iiber die Liebe,

iiber Gesetz und Siinde, iiber die Bedeutung des Todes, iiber

das Gottliche im Menschen usw.; zuletzt finden wir die vielen

eigenhiindig aus der Bibel abgeschriebenen Zitate, die ftir ein

eingehendes Studium der Heiligen Schrift Zeugnis ablegen. Mansieht, es handelt sich hier um ein ausgesprochen philosophi-

sches und religioses Drama.^) Ganz anderer Art wiederum ist

Wieland der Schmied, ein Werk, welches erst im Jahre 1849

festere Gestalt gewann und erst 1850 ausfuhrlich entworfen

wurde. Gleichviel ob Wagner diesen Stoff nach den alteren

skandinavischen Quellen oder nach Simrock's neuer und sehr

freier Umdichtung gestaltet haben mag,-^) es handelt sich hier

nicht um einen umfassenden Mythos, wie bei Siegfried's Tod,

sondern um eine jener sagenhaften Gestalten, bei denen der

symbolische Untergrund — wie beim Hollander, Tannhduserund Lohengrin — der scharfen Individualisierung keinen Ab-bruch tut.

1) Bei Breitkopf & Hlirtel 1887 erschienen. (Neue Ausgabe 1895.)

2) Uber dieses Werk vgl. Hebert, Le sentiment religieiix dans Voeuvre

de Richard Wagner, ch. Ill, wo sich zwar manche falsche Angabe und Schluss-

folgerung findet, die aus einer noch unvollkommenen Kenntnis des Meislers

herzuleiten ist, zugieich aber die aufrichtige Bewunderung eines katholischen

Priesters — namentliuh fiir die Art, wie Wagner „rauguste personnalite du

Sauveur" gezeichnet hat — die denjenigen zu denken geben sollte, welche hier

schlechthin ein „anarchistisches Drama" zu entdecken wahnen. Sehr schon

schreibt auch Professor Muncker: „Was den anderen alien nie gelingen

wollte, davon erwies Wagner mit uberlegener dichterischer Einsicht und

Kraft die Mogiichkeit, dazu zeigte er den Weg: er skizzierte ein nach alien

Regeln der Kunst gebautes, wahrhaftes Drama vom Tode Christi, das die

hochste sittliche und poetisch-dramatische Wirkung ausiiben musste usw."

(Richard Wagner, S. 44).

') Vgl. Rud. Schlosser, Wieland der Schmidt (Bayreuther Blatter, 1895

S. 43). Die beiden Fassungen Wagner's findet der Leser im dritten Bandder Gesammelten Schriften.

Page 80: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

390 DRITTES KAPITEL

Es beschaftigten also des Meisters Phantasie zu gleicher

Zeit ein historisches, ein mythologisches, ein philosophisches

und (wie Wagner friiher gesagt hatte) ein „romantisches" Drama!

Und dazu kamen noch Projekte, die, wie es scheint, bis zu der

festeren Gestalt geschriebener Entwiirfe nicht ausreiften, vor

allem ein Achilleus, also ein klassisches Drama, und ausser-

dem mehrere komische Stoffe. Man sieht, wie wenig — oder

vielmehr wie ganz und gar nicht — theoretisch und systematisch

Wagner zu Werke ging. Zwischen einem Theoretiker und

Wagner ist genau der selbe Unterschied wie zwischen einem

Professor der Geographie und einem Entdeckungsreisenden.

Wagner suchte und suchte und suchte — bis er fand. Dann

allerdings, als er ^gefunden" hatte, als zu der reichen Erfahrung,

die sich aus seiner umfassenden Kenntnis der Werke der grossten

Dramatiker und Musiker und aus seiner eigenen schopferischen

Tatigkeit ergab, noch die neue Erfahrung hinzugekommen war,

welche ihm aus der inneren Verarbeitung dieser zahlreichen

Entwiirfe erwuchs — dann empfand er das Bediirfnis, sich voile

logische Klarheit zu verschaffen. „Schlagen wir die Kraft der

Reflexion nicht zu gering an*, schreibt der Meister in einem

Briefe aus dem Jahre 1847, „das bewusstlos produzierte Kunst-

werk gehort Perioden an, die von der unseren fernab liegen:

das Kunstwerk der hochsten Bildungsperiode kann nicht

anders als im Bewusstsein produziert werden. Dass nur die

reichste menschliche Natur die wunderbare Vereinigung dieser

Kraft des reflektierenden Geistes mit der Fiille der unmittel-

baren Schopferkraft hervorbringen kann, darin ist die Seltenheit

der hochsten Erscheinung bedingt.*'^) Dem Verfasser des Lohen-

grin war diese „reichste menschliche Natur" zuteil geworden.

Und als der Kiinstler alle jene dramatischen Entwiirfe einen

nach dem andern hatte verwerfen miissen, verlor er nicht den

Mut, wollte auch nicht dem blinden Zufall sein kiinstlerisches

Schaffen iiberlassen; vielmehr raffte er sich gewaltsam zu-

sammen und richtete „die Kraft seines reflektierenden Geistes"

auf die Erzeugnisse, welche aus „der Fiille seiner unmittelbaren

Schopferkraft" so reich hervorgegangen waren. Schon 1849—1851

') Vgl. das Wagner- Lexikon von Glasenapp und von Stein, Artikel

.Reflexion".

Page 81: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 391

entstand die glanzende Reihe seiner grundlegenden Kunst-

schriften von Die Kunst und die Revolution an bis zu Eine

Mitteilung an meine Freunde. Das Hauptergebnis dieser schrift-

stellerischen Tatigkeit fUr des Meisters eigenes Leben war,

wie er selber sagt, nicht ihre Wirlcung nach aussen, sondern

dass „er sich selbst dabei vollkommen klar wurde" (U. 187).

Man sieht, wie eng die dramatischen Entwiirfe aus der Krisis

des kiinstlerischen Lebens und die Schriften aus dieser selben

Zeit zusammenhangen. „Meine scliriftstellerischen Arbeiten",

schreibt Wagner an Roeckel, „waren Zeugnisse fiir meine Un-

freiheit als kiinstlerischer Mensch: nur im hochsten Zwange

verfasste ich sie — es miisste mich toten, wollte ich darin fort-

fahren" (R. 10). Die Oberwucherung der Schopferkraft war

es gewesen, was den KUnstler gezwungen hatte, die (im

Goetheschen Sinne) beschrankende Gewalt der Reflexion walten

zu lassen; den Stoff zu dieser Reflexion lieferten aber gerade

jene Entwiirfe.

Wenn wir also dem Prinzip, das ich in diesem BucheAus unbewusst-

aufgestellt habe, treu bleiben und von einer kritischen Be-^'^"J^.^ej^'"

urteilung des absoluten Kunstwertes dieser Entwiirfe absehen

— wozu wir um so eher uns veranlasst fiihlen diirfen, als hier

kein fertiges Kunstwerk vor uns steht — so bleibt ihre bio-

graphische Bedeutung eine besonders klare und interessante

und diese Bedeutung hangt, wie man sieht, eng mit derjenigen

der Ziiricher Schriften zusammen. Wagner sagt von diesen

Entwiirfen: „Gerade hier war es, wo mein bisher unbewusstes

Verfahren in seiner kiinstlerischen Notwendigkeit mir zum Be-

wusstsein kam", und wahrend er mit der Vollendung von Oper

und Drama beschaftigt war, bemerkt er einem friiheren Kommen-tator gegenuber, der von seiner „vorausgeeilten Wissenschaft"

gesprochen hatte: „Noch jetzt eben musste ich erfahren, dass

ich die wichtigsten Momente fur die Gestaltung des Dramas

der Zukunft nicht gefunden hatte, wenn ich nicht in meinem

Siegfriede zuvor als Kiinstler mit vollem Unbewusstsein auf

sie gefallen ware" (Bf. an Uhlig von Februar 1851). In dem

gerade wahrend dieser vier Jahre — von Ende 1847 bis Ende 1851

— sich vollziehenden Vorgang der Entwickelung „aus Unbewusst-

sein zum Bewusstsein", d. h. aus dem unbewussten Streben nach

einer neuen, vollkommeneren, den Bediirfnissen des deutschen

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392 DRITTES KAPITEL

Geistes voll entsprechenden Form des Dramas zu dem be-

wussten, klaren, vernunftmassigen Erfassen dieser Form spielen

folglich diese Entwurfe eine entscheidende Rolle.

Wie geschah das aber?

Schon die Tatsache, dass so viele und namentlich so

verschiedenartige dramatische Plane den Meister zu gleicher

Zeit beschaftigten, deutet auf die wahre Natur des inneren

Vorganges. Wir sahen, dass Wagner, als er in seinen Gym-nasialjahren sein erstes grosses Trauerspiel vollendet hatte,

bemerkte, dieses Weric bediirfe noch des musikalischen Aus-

druckes. Die dramatische Empfindung fordert eben bei Wagner

unbedingt das Zusammenwirken von Wort und Ton. In seinem

eigenen Herzen bildeten auch diese beiden Ausdrucksmittel

eine einzige organische Einheit. Wortsprache und Tonsprache

konnen aber nur in zwei verschiedene Sprachen zergliedert in

die Erscheinung treten, und einzig eine vollendete Auffiihrung

des Kunstwerkes kann die geschiedenen wieder zur Einheit

zusammenfassen. Nun fand aber Wagner gar keine Muster

vor: was er woUte, war niemals versucht worden. Auf der

einen Seite fand er das rezitierte Drama, auf der anderen —bei Beethoven — die zum Drama gewordene Musik, dazwischen

ein „namenlos Unsinniges" (IX, 363), die Oper, jene Form,

von der Wagner meinte, „sie beleidige groblich alien deutschen

Sinn fur Musik wie Drama" (VI, 394), uber die E. T. A. Hoff-

mann spottete, „sie veranstaltete Konzerte auf der Biihne mit

Kostiimen und Dekorationen", und gegen die Herder sich er-

eiferte, well sie „den Dichter zum Diener des Musikers er-

niedrige". Nur in der nebelhaften Feme langstvergangener

Zeiten erblickte der jugendliche Kiinstler — im griechischen

Drama — ein Ideal, das dem seinigen verwandt erschien.

Hochstens Mozart, der uns insofern als der wahre Vorlaufer

Wagner's diinken muss, durfte ihm wohl in Bruch-

stucken seiner Werke wirklich als ein Muster gelten; hier

wurde hin und wieder die Oper iiber sich selbst hinausgehoben;

denn sie bot nicht bloss ein ergreifendes Schauspiel — was auch

Gluck haufig gelungen war — sondern die Musik verschmolz

formlich mit der Dichtung; sie blies diesem Erdenkloss eine

Seele ein wie Jehovah dem ersten Menschen, und nun war

sie nicht mehr ein blosser Schmuck, sie diente auch nicht

Page 83: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 393

bloss „der Erhohung des Ausdrucks", sondern sie belebte das

dramatische Gebilde von innen heraus.^) Das Unerhorte war aberbei Mozart unbewusst und absichtslos geschehen; wie schnell

verfiel er immer wieder in absolute Musik und in opernhafte

Formeln; das Werk dieses „zarten Licht- und Liebesgenius"

vvirkte also eher verwirrend als anleitend. Wagner blieb folglich

auf sich selbst angewiesen. Wahrscheinlich hatte er auch viel

eher, viel miiheloser und ganz ohne Reflexion das Richtige ge-

funden, ware ihm nicht von Anfang an eine fertige Form aufge-

notigt worden, von der er nicht — wenigstens ausserlich nicht —weit abweichen konnte, ohne seine Werke als totgeboren zur

Welt zu bringen (vgl. VII, 125). Jetzt aber musste er ver-

suchen, „ob die Oper moglich sei«, d. h. ob in der Oper jene

organische Verschmelzung von Wort und Ton, von Dichtung

und Musik zu erreichen sei. Ein jedes seiner Werke aus

der ersten Lebenshalfte kann als der Versuch zu einer Antwort

betrachtet werden. Dem jungen Kiinstler musste es zunachst

diinken, als handle es sich hier urn ein technisches Problem,

und solange er noch nicht die Meisterschaft erlangt hatte,

durfte er glauben, die Unzulanglichkeit seiner eigenen Be-

herrschung der Mittel sei die Ursache, dass seine Werke demBild in seinem Innern noch immer nicht ganz entsprechen

wollten. Mit Tannhduser und Lohengrin hatte er jetzt aber

die voile Meisterschaft erlangt; darum war er nicht mehr fahig,

in naiver Unbefangenheit „m6glichst gute« Opern welter zu

schreiben. Liszt hatte richtig erkannt: „Mit dem Lohengrinnimmt die alte Opernwelt ein Ende": jetzt oder nie musste

das Problem gelost werden. In Lohengrin war ahnlich wie

in Rienzi, obwohl mit ungleich grosserer Meisterschaft in der

rein poetischen Gestaltung, fast der gesamte Ausdruck in die

Musik gelegt worden; die Gedanken sind unendlich tief undergreifend; sie haben aber so sehr alles von sich abgestreift,

was nicht reiner Empfindungsgehalt ist, dass dieses Werk das

eigentlich „esoterische" unter alien Werken des Meisters bleibt;

die Handlung triigt hier etwas ausgesprochen „Symbolisches«

an sich: man fiihlt, dass nicht allein der Held, sondern auch

der Dichter jede Frage verbietet und das Geheimnis seines

') Vgl. s. 410.

Page 84: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

394 DRITTES KAPITEL

innersten Herzens in der fiir das Wort unzuganglichen

Tonsprache — gleichsam als „schweigendes Bild" — vor unser

Auge heraufbeschwort. Das macht auch das ewig Un-vergleichliche an diesem unsterblichen Werke aus. Aufdiesem Punkte durfte aber der Meister nicht verweilen:

einen zweiten Lohengrin konnte er nicht sclireiben. Dersiegreiche Tondichter- musste jetzt dem Wortdichter die

Tore zum Drama der Zukunft weit offnen: er musstein ihm jene „dem Reichtum musikalischen Ausdruckes ent-

sprechende Fahigkeit" entdecken. Er tat es durch diese Ent-

wurfe der Ubergangszeit und durch das von ihnen angeregte

Denken.

Zunachst wurde sich der Meister uber einen Hauptpunktklar. Sein Friedrich der Rotbart sollte nicht ein musikalisches

Werk — Oder etwa gar eine „Oper" — sondern ein rezitiertes

Drama werden. „Es fiel mir nicht im entferntesten ein, einen

historisch-politischen Gegenstand anders als im gesprochenen

Schauspiele auszufuhren" (IV, 384). „An diesem Stoffe aber,"

fiigt Wagner an einer anderen Stelle hinzu, „der mich der

Musik ganzlich vergessen gemacht hatte, ward ich der Gehungwahrer dichterischer Stoffe iiberhaupt inne; und da, wo ich

mein musikalisches Ausdrucksvermogen unbewusst hatte lassen

miissen, fand ich auch, dass ich meine gewonnene dichterische

Fahigkeit der politischen Spekulation unterzuordnen, somit

meine kiinstlerische Natur iiberhaupt zu verleugnen gehabt

haben wiirde" (IV, 390). Es war hier bei dem fiinfunddreissig-

jahrigen Manne eine Wiederholung dessen eingetreten, was er

schon als funfzehnjahriger Knabe erfahren hatte: seine poetische

Inspiration forderte gebieterisch den musikalischen Ausdruck.

Das erkannte er jetzt mit endgiiltiger Klarheit. Er fiihrte den

Entwurf nicht aus. Ebensowenig fiihrte er aber die „grosse

Heldenoper" Siegfried's Tod aus; gerade an diesem Stoffe, der

ihn am gewaltigsten anzog und aus dem er bald, aber in

wesentlich anderer Auffassung, sein Nibelungenwerk gestaltete,

erkannte er deutlich, dass die Oper „unm6glich sei". Ausdiesem selben Grunde blieb auch Wieland unausgefiihrt. Fiir

die schone Erzahlung, die er so wirksam dramatisiert hatte,

behielt Wagner eine grosse Vorliebe, gern hatte er sie von

einem anderen in Musik setzen lassen, — er selbst konnte

Page 85: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 395

es nicht mehr, fiir ihn war es zu spat^). Jesus von Nazareth

nannte ich ein philosophisches Drama, und wohl mit Recht,

da Wagner selber „die Verneinung der lieblosen Allgemein-

heit" als Inhalt angibt, Es ist nlcht ganz leicht sich vor-

zustellen, in welcher Weise dieses Drama ausgefuhrt werden

sollte; denn die vielen Dissertationen, die der Entwurf ent-

halt, deuten auf ein gesprochenes Schauspiel bin; dagegen

lassen die szenischen Dispositionen und viele einzelne Mo-

mente der Skizze die geplante Mitwirkung der Musik nicht

bezweifeln. Ich bin der Meinung, dass diesem Werke fiir des

Meisters klare Erfassung der im Wort-Tondrama zu erstre-

benden und zu ermoglichenden „Erweiterung der dichterischen

Fahigkeit" eine weit grossere Wichtigkeit zukommt, als mangemeinhin annimmt. Als nun Wagner diese so verschieden

gearteten Entwiirfe alle verwerfen musste, da „ward es Licht"

in seinem Innern; gerade an diesen selbstgeschaffenen Beispielen

erkannte er, dass das Problem des Wort-Tondramas den Stojf

hetrejfe, nicht die Form. Er erkannte, dass er sich nicht fragen

diirfe: „Wie konnen Wort und Ton zu einem hochsten, er-

schopfenden Ausdruck im Drama zusammenwirken?" sondern

vielmehr einzig: „Was ist der Gegenstand, der eines so er-

habenen Ausdruckes bedarf und der dadurch, dass er seiner

bedarf, ihn auch erheischt?"

Die Antwort gaben ihm seine eigenen friiheren Werke,Das Grundgesea

sobald er sie nunmehr mit der „Kraft des reflektierenden '^^^Z^^^

Geistes" betrachtete. Namentlich aber durch die Einsicht des

Grundes, aus welchem ein jeder dieser vier neuen Entwiirfe

fUr sein Drama ungeeignet war, wurde ihm die letzte Klarheit

zuteil; durch diesen echt kiinstlerischen Ausscheidungsprozess,

nicht durch abstrakte a priori Konstruktionen entdeckte er das

Grundgesetz des neuen Wort-Tondramas. — Bei Friedrich der

Rotbart war die Sache besonders klar: das Historische ist

kein moglicher Gegenstand fiir den musikalischen Ausdruck.

Siegfried's Tod hingegen wurde jeder Opernkomponist un-

zweifelhaft als einen prachtigen Vorwurf fur musikalische

Ausfuhrung betrachtet haben. Doch als Wagner an die

') Seinen Entwurf bot er in dringendster Weise Liszt, Berlioz, Roeckel

und anderen an.

Page 86: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

398 DRITTES KAPITEL

musikalische Auffiihrung ging, bemerkte er, dass in diesem

Werke die „epische Erzahlung, die Mitteilung an den Ge-

danken" einen grossen Platz einnahm (U. 119). In diesem ersten

Entwurf haben wir doch lediglich eine dramatisierte Mytho-

logie vor uns; zwar ist ein solcher Stoff einem pragmatisch-

historischen bei weitem vorzuziehen; zugrunde liegt aber in

der Mythologie iiberall das Symbol, und infolgedessen wendet

sich gar vieles vorwiegend an die kombinierende Vernunft und

gelangt erst von hier aus durch Widerspiegelung ins Herz.

In Jesus von Nazareth bestand der Fehler nicht in dem langen

Verweilen bei den einzelnen Momenten, sondern auch hier

wiederum in der Tatsache, dass so vieles „einzig dem Ver-

stande fasslich ist". Weit weniger diirfte dieser Einwurf die

zuletzt ausgearbeitete dramatische Skizze Wieland der Schmied

treffen; sie besitzt aber nicht die monumentale Einfachheit der

letzten Werke des Meisters: die Handlung enthalt viel zahl-

reichere Momente als Tristan oder als irgend ein einzelnes

Drama aus dem Nibelungenzyklus. Das Vielseitige ist jedoch

schon an und fur sich das Gebiet des Verstandes. Aus

diesem Ausscheidungsprozess ergab sich nun das Grundgesetz

des neuen Dramas: „Ein Inhalt, der einzig dem Verstande

fasslich ist, bleibt einzig auch nur der Wortsprache mitteilbar;

je mehr er aber zu einem Gefiihlsmomente sich ausdehnt, desto

bestimmter bedarf er auch eines Ausdruckes, den ihm in ent-

sprechender Fiille endlich nur die Tonsprache ermoglichen kann.

Hiernach bestimmt sich ganz von selbst der Inhalt dessen, was

der Wort-Tondichter auszusprechen hat: es ist das von aller

Konvention, von allem Historisch-formellen losgeloste Rein-

menschliche" (IV, 388).

Der Ausdruck „das Reinmenschliche" erkliirt sich von

selbst; in dem Abschnitt „Kunstlehre" habe ich ausserdem mit

einiger Ausfiihrlichkeit an der Hand von Wagner's Erlaute-

rungen und denen anderer Autoren dariiber gesprochen.^) Die

ungeheure Bedeutung dieses Gesetzes liegt darin, dass in ihm

nicht die Sorge um eine aussere Form, die man ein fur allemal

als die allein seligmachende erklaren will, auch nicht irgend

') Vgl. S. 295—299. Ausfiihrlicheres in meinem Drama R. Wagner's.

Kapitel II.

Page 87: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 397

eine abstrakt-asthetische Schrulle zum Ausdruck kommt, sonderndass im Gegenteil das innere Lebensprinzip des neuen Dramasunvergleichlich pragnant und zugleich erschopfend dadurchbestimmt wird. Wie man deutlich einsieht: nicht nur durchdie Wahl der Ausdrucksmittel unterscheiden sich Wagner'sDramen von den anderen Formen des Dramas, sondern vorallem und wesentlich durch ihren — jene Ausdrucksmittel be-

dingenden — Inhalt! Diesen Inhalt genauer zu bestimmen, das

war die Tat, von der Wagner so richtig erkannt hatte, dass

lediglich ein Musiker sie wiirde vollbringen konnenJ) Undals nun diese Tat vollbracht war, als der Kunstler kraft seiner

erstaunlichen Produktivitat das gesamte Gebiet des Dramas selbst-

schopferisch durchforscht und der Denker wiederum mit klarem

Auge diese gesamte Tatigkeit iiberblickt hatte, da durfte Wagnerbekennen: ,Jetzt hatte ich eine neue und entscheidende Periode

meiner kiinstlerischen und menschlichen Entwickelung angetreten,

die Periode des bewussten kiinstlerischen Wollens auf einer

vollkommen neuen, mit unbewusster Notwendigkeit von mir

eingeschlagenen Bahn, auf der ich nun als Kunstler und Menscheiner neuen Welt entgegenschreite" (IV, 390).

') Vgl. S. 375.

Page 88: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

KUNSTWERKEDER ZWEITEN LEBENSHALFTE

Der vollkommen Besonnene heisst der Seher.

Novalis

Einieitendes jn seincF zwcitcn Lebenshalfte hat Richard Wagner den

vierteiligen Ring des Nihelungen^ Tristan and Isolde, Die

Meistersinger und Parsifal geschaffen.

Richtet man nun das Auge auf das speziell Biographische,

so gerat man wirklich in Verlegenheit, wie man diese Werkein irgend eine Beziehung zur Chronologie des Lebens bringen

soil. Einige Daten habe ich schon in der Einleitung zum„Lebensgang" gegeben;^) aus diesen geht hervor, dass diese

vier Werke gewissermassen zugleich und „durcheinander"

entstanden sind. Ehe irgend eines von ihnen vollendet wurde,

waren schon alle in der Phantasie des Meisters gestaltet. Im

November 1851 schreibt Wagner an Uhlig — es war gerade

am Schlusse der Ubergangszeit: j,Meine kiinstlerischen Plane

dehnen sich jetzt immer reicher, erfreulicher und zuversicht-

licher vor mir aus, und mit einem wahren Wonnezittern ge-

denke ich sie nachstens anzufassen/' In welcher Reihenfolge

diese einzelnen Plane aber dann zur Ausfiihrung gelangten,

scheint mehr eine Laune des Schicksals als die Folge einer

inneren Notigung gewesen zu sein. Der Ring sollte urspriing-

lich zuerst ausgefiihrt werden. Wenn nun der Meister vomJahre 1857 an eine lange Unterbrechung bei dieser Arbeit ein-

treten Hess, so war nicht allein — vielleicht gar nicht in erster

Reihe — Ermiidung bestimmend, sondern die Hoffnungslosig-

keit, gerade dieses Werk jemals zur Auffiihrung bringen zu

•) Vgl. S. 41.

Page 89: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 399

konnen, namentlich jetzt, wo nach der Berufung Dingelstedt's

als Intendant die Verhaltnisse an der Weimarer Biihne — der

einzigen, wo Wagner auf Unterstiitzung hatte hoffen konnen —so ungiinstig geworden waren, dass selbst der Rienzi dort als

eine kaum zu bewaltigende Aufgabe erschien. Verleger und

Theaterdirektoren verlangten allerdings nach einem neuen WerkeWagner's; es miisse aber „kurzer und leichter" als der Ring

sein. Und da berichtet der Meister sehr unumwunden an Liszt:

„Ich hatte — wie Du ja weisst! — so gar kein Geld, und da

der Rienzi (in Weimar) fehlschlug, sah ich keinen anderen Aus-

weg, als mit Hartels ein „Geschaft" zu machen; dazu erwahlte

ich den kaum noch begonnenen Tristan, well ich nichts andres

hatte;*) sie erboten sich, mir die Halfte des Honorars (zwei-

hundert Louisd'or) — also einhundert Louisd'or — nach Empfang

der Partitur des ersten Aktes auszuzahlen: somit eilte ich mich

iiber Hals und Kopf, diesen fertig zu machen. Das war der

Grund der geschaftlichen Eile in der Forderung dieser armen

Arbeit" (Bf. vom 2. Juli 1858). An andrer Stelle erzahlt Wagner,

wie eine Aufforderung des Kaisers von Brasilien, eine Operfiir die italienische Truppe in Rio de Janeiro zu schreiben, ihn

„bei der Konzeption des Tristan mit einiger Lebhaftigkeit be-

einflusste!" (VI, 380.) Wiederum berichtet man von einer

heftigen Liebesleidenschaft, welche die wahre Urquelle der

Tristan-Wort- und Tondichtung sein soil, wobei die Frage

ungelost bleibt, warum ein Mann, der mehr als einmal im

Leben leidenschaftlich geliebt haben wird, nur einmal einen

Tristan geschrieben hat. Man sieht, wie ganzlich haltlos der-

artige chronistische Kombinationsspiele sind. Das Auge der

schonen Frau, das — vielleicht — an Wagner vorbeizog, wird

auf die Ausfiihrung der „armen Arbeit", jenes „Wunders aller

Kunst", Tristan und Isolde's, genau so viel Einfluss ausgeiibt

haben wie der Kaiser von Brasilien — etwas weniger als die

hundert Louisd'or der Herren Breitkopf & Hiirtel. Ahnliches

liesse sich von jedem anderen Werke Wagner's ausfiihren.

Die Meistersinger wurden zu einer Zeit in Angriff genommen(Beginn der sechziger Jahre), wo man alles eher als ein heiteres

') Nichts anderes, was schon so weit gefordert gewesen ware; denn

der vollstandige Entwurf zu den Meistersingern war schon lange da und zum

Parsifal mindestens die Idee.

Page 90: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

403 DRITTES KAPITEL

"Werk erwartet hatte, well — nun, einfach wieder, weil ein

Verleger sich fur sie gefunden hatte! Parsifal wurde (1865)

entworfen, weil Konig Ludwig es wiinschte; dQV Nibelungenring

wurde vollendet, als der Bau des Festspielhauses in Bayreuth

weit genug fortgeschritten war, die Moglichkeit einer Auffiihrung

nahe zu riicken; mit der Vollendung des Parsifal verhielt es

sich ahnlich. Kurz, Werke des „innewohnenden" Genies stehen

nicht zu den Vorgangen eines Menschenlebens in dem Ver-

haltnis von Wirkung zu Ursache und auch nicht in irgend einem

anderen engeren Verhaltnis; das aussere Leben verhalt sich zum

inneren wie ein Damm zum reissenden Strom: wo das Hindernis

uniibersteiglich ist, da bleibt das Element unsichtbar und — nach

aussen — wirkungslos, wo jenes weicht, da stiirzen die Natur-

krafte urgewaltig hervor.

Dazu kommt noch eine andere Uberlegung: die Werke

aus Wagner's zweiter Lebenshalfte gehoren — nicht allein zeit-

lich, sondern auch poetisch und ihrem Gedankeninhalt nach

— so eng zusammen, dass sie ein Ganzes bilden. Tristan und

Isolde bezeichnete der Meister selber als einen Erganzungsakt

zum Nibehingenringy und Parsifal ist das Gegenstiick zu diesen

beiden. Diese drei Dramen bilden gewissermassen eine riesige

„Trilogie", und das — auf das allerengste mit dieser Trilogie

verwobene — „heitere Satyrspiel" sind Die Meistersinger.

Das gesamte Werk von Wagner's letzten dreissig Lebensjahren

ist also, wie gesagt, ein einziges unzertrennbares Ganze. In

welcher Reihenfolge der einzelne Teil zur Vollendung gelangte,

ist fast gleichgiiltig, da im schopferischen Herd das Ganze vor-

gebildet lag und die ausfiihrliche Gestaltung dieses und jenes

Teiles einfach unter Beriicksichtigung ausserer Konvenienz und

praktischer Moglichkeiten erfolgte.

Wollten wir nach Riicksichten rein dichterischer Ange-

messenheit eine Reihenfolge bestimmen, so miissten wir die

Werke folgendermassen ordnen: Der Ring des Nibelungen,

Tristan^ Parsifal, Die Meistersinger. Das Datum der end-

giiltigen Vollendung eines jeden Werkes ergibt dagegen eine

andere Reihenfolge: Tristan, Die Meistersinger, Der Ring des

Nibelungen, Parsifal. Wiederum anders gestaltet sich die

Aufeinanderfolge, wenn man sich nach dem Datum der ersten

dichterischen Konzeption richtet; dann erhalt man folgende

Page 91: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

MUNCHEN 1865

Page 92: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)
Page 93: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 401

Reihe: Die Meistersingery Der Ring des Nibelungen, Tristan

und Isolde, Parsifal. In einem biographischen Werke ist

diese letzte Reihenfolge vorzuziehen, da sie das bestimmende

Moment der Konzeption zum Ausdruck bringt; ausserdem sind

Die Meistersinger und Der Ring des Nibelungen zwei Werke,

die durch das Datum ihrer urspriinglichen Entwiirfe in die erste

Lebenshalfte zuriickreichen; mogen diese Entwiirfe spater auch

die eingreifendste Umgestaltung erfahren haben, gleichviel:

hier besieht eine verbindende Briicke zwischen den so scharf

geschiedenen Lebenshalften.

Da ich nun der Uberzeugung bin, das chronistische Detail

sei bei diesen Werken ganzlich belanglos und konne getrost

den Anekdotenkramern und Memoirenverfassern uberlassen

bleiben, so will ich bei den folgenden — nur leider allzu kurzen

— Besprechungen meine Aufgabe darin erblicken, dass ich die

Aufmerksamkeit des Lesers nicht auf die bunte Oberflache der

begleitenden Lebensumstande richte, sondern auf den innersten

dramatischen Mittelpunkt, von wo aus das Leben dieser Werkeausstrahlt. Ohne Zweifel ist das zugleich das punctum vitae

der Individualitat Richard Wagner's.

DIE MEISTERSINGER VON NURNBERG

Je grosser der Mann, um so tiefer seine Liebe.

Leonardo da Vinci

Im Sommer 1845, unmittelbar nach Vollendung der Tann- Die erste

hauserpartitur, verfasste Wagner den ersten Entwurf zu den''""""^

Meistersingern von Niirnberg. Cute Freunde hatten gemeint,

„eine Oper leichteren Genres" wurde ihm zu grosseren Er-

folgen verhelfen, und gerade der Sangerkrieg auf Wartburg gab

ihm die Idee zu diesem heiteren „Werb- und Wettgesang" ein

(IV, 349). Die innere Notigung — ohne welche Wagner nichts

schaffen konnte — war aber damals nicht vorhanden, und die

Art und Weise, wie dieser Stoff sich dem Meister dargestellt

und gestaltet hatte, widerte ihn sofort heftig an: an Stelle der

Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 26

Page 94: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

402 DRITTES KAPITEL

Meistersinger schuf er Lohengrin. Erst im Jahre 1861 griff

Wagner diesen Stoff wieder auf und vollendete das Werk,

durch viele Unterbrechungen gestort, im Laufe der folgenden

sieben Jahre.

Wie kommt es nun, dass ein Stoff, den der Verfasser des

Tannhduser verwarf, von dem Verfasser des Tristan mit solcher

Begeisterung inmitten von Kummer und Sorge und Elend jeder

Art zu einem glorreichsten Meisterwerk gestaltet wurde? DerVergleicli zwischen dem ersten Entwurf und dem spateren Ge-diclit lasst uns das sofort erkennen.

Der Entwurf aus dem Jahre 1845 — iiber den in der

Mitteilung an meine Freunde ausfiihrlich berichtet wird (IV,

349—353) — ist beziiglich der Reihenfolge der Begebenheiten

mit der spateren Dichtung identisch. Eine nahere Betrachtung

fiihrt jedoch zur Entdeckung einer inneren Abweichung: in

jenem ersten Entwurf finden wir keine Andeutung von Sachsens

Liebe zur Eva; von einem inneren Konflikt im Herzen des

Schuster-Poeten horen wir folglich nichts! Sachs wird hier

rein als historische Gestalt, als „die letzte Erscheinung des

kiinstlerisch produktiven Volksgeistes aufgefasst"; er erkennt

das Talent des jungen Ritters Walter von Stolzing und ver-

hilft ihm — in der bekannten Weise — zu der Hand Eva's;

zum Schluss verteidigt er die Meistersingerschaft:

„Zerging' das heil'ge romische Reich in Dunst,

Uns bliebe doch die heil'ge deutsche Kunst.**

Diese Figur Hans Sachsens ist gross gezeichnet, auch der

tiefe humoristische Zug fehlt ihr nicht; sie bildet aber mehrden dekorativen Schmuck des Dramas als dessen Mittelpunkt.

Der Mittelpunkt, die eigentliche „Handlung« des Stiickes war, wie

Wagner dies selber hervorhebt, die Ironisierung des Natur-

widrigen in unseren offentlichen Zustanden. Der Meister unter-

scheidet aber in tiefsinniger Weise zwischen der Kraft der echten

Heiterkeit— der „erhabenen, Schmerzen losenden Heiterkeit" —und der Ironie, die sich einzig auf die Form, niemals auf den

Kern des Lebens bezieht. Und „durch Ironie sich des Inhaltes

der Kraft seines Heiterkeitstriebes zu entaussern, gegen diesen

Versuch reagierte augenblicklich Wagner's Natur" (IV, 353).

Indem aber der Meister gegen diese Anwandlung, die blosse

Page 95: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 403

Form zu ironisieren, sich emporte, folgte er zugleich unbewusst

jenem kiinstlerischen Instinkt, der ihn empfinden liess, im Wort-

Tondrama konne nicht die aussere Erscheinung, sondern nur

der Vorgang im innersten Herzen zur Darsteilung gelangen.

Auch jene Gestalt des Hans Sachs war zwar gross, aber noch

nicht so aufgefasst und geformt, dass die Musik sie — wie das

Blut den Korper — bis in das letzte died durchdringen und

somit zu vollem, warmem Leben hatte erwecken konnen.

In der neuen Dichtung wurde das nun alles mil einem ^'* ^*^''^

Schlage anders. Hans Sachs ist hier nicht bloss als historischer

Charakter und infolge seiner geistigen Bedeutung die Haupt-

figur des Dramas, sondern sein innerstes Herz bildet jetzt den

Mittelpunkt der Handlung; um einen bequemen Ausdruck zu

gebrauchen: die ganze Handlung ist nach innen verlegt. Die

ausseren Ereignisse, dieses gerade in den Meistersingern so

vielgestaltige, bunte Durcheinander, dienen bloss zur Wider-

spiegelung der inneren, reinmenschlichen Vorgange, „welche

einzig uns die Handlung als notwendig erklaren sollen, undzwar dadurch, dass wir selbst im innersten Herzen an diesen

Motiven sympathisch teilnehmen*. Der historische Hans Sachs

hat bekanntlich in vorgeriicktem Alter ein blutjunges Madchen

gefreit und in glucklichster Ehe seine Tage beschlossen. Bei

Wagner liebt nun — in der neuen Dichtung — Sachs „so

manches Jahr schon" Eva, deren Hand „als hochsten Preises

Kron" beim Wettgesang ausgesetzt ist. Diese Liebe wird im

reichsten Masse erwidert; das holde Kind hat es als eine aus-

gemachte Sache betrachtet, Sachs „werde sie fiir Weib und

Kind ins Haus nehmen", und spater ruft sie in tiefster Er-

griffenheit:

„Ich war doch auf der rechten Spur:

denn, hatte ich die Wahl,

nur dich erwahlt' ich mir:

du warest main Gemahl,

den Preis nur reicht' ich dirl"

Wie nun das Drama anhebt, ist man schon am Vorabenddes grossen Tages, des Johannisfestes, wo der herrliche Mann-- ein Meister der Worte und der Tone, ein wahrer Meister-

singer — auf die schonste und stolzeste Art in den Besitz

26*

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404 DRITTES KAPITEL

dieses letzten Lebensgliickes gelangen soil, namlich durch den

glanzenden Sieg als Kunstler; frei, vor allem Volke wird er

im Werbgesang mit den Jiingeren — er, dem die unverwiist-

lichejugend des heiter Schaffenden zuteil wurde — den Preis

davontragen. Da tritt der junge Ritter auf! Zufallig war er

am Tage vorher Eva in Niirnberg begegnet; sie lieben sich.

Wie Eva gesteht:

»Doch nun hat's mich gewahlt

zu nie gekannter Qual:

und werd' ich heut' vermahlt,

so war's ohn' alle Wahl!

Das war ein Mussen, war ein Zwang!"

Pogner, Eva's Vater, hat schon sein Wort gegeben, er kann

es nicht zuriicknehmen: nur ein Meistersinger darf Eva freien,

und zwar muss er sie im offenen Wettbewerb „ersingen". So-

bald Sachs den jungen Ritter erblickt, sobald er sein unerhortes

Anliegen, in die biirgerliche Meisterzunft aufgenommen zu werden,

vernimmt, errat er den Zusammenhang, und wahrend die

meisten anderen Meister — Beckmesser (der ebenfalls den

Rivalen wittert) an der Spitze — allerhand formelle Bedenken

gegen die Aufnahme Walters vorbringen, tritt er mutig fiir

ihn ein; denn Sachsens Entschluss ist gefasst; er wird nicht

singen!

„Vor dem Kinde lieblich hehr,

mocht' ich gern wohl singen;

doch des Herzens siiss' Beschwer

gait es zu bezwingen.

's war ein schoner Abendtraum:

dran zu deuten wag' ich kaum."

Einzig durch Sachsens kluges Verhalten werden alle

Schwierigkeiten, die dem Gliicke des jungen Paares im Wegestehen, „gegen der Meister Zunft und die ganze Schul'" iiber-

wunden. — Man sieht, welche tragische Grosse die Handlung

durch die einfache Tatsache gewinnt, dass Sachs Eva liebt und

„seines Herzens Beschwer bezwingen muss". Wie ich schon

vorhin sagte, Sachs ist jetzt der Mittelpunkt des Dramas, und

zwar nicht so sehr durch seine uberwiegende geistige Grosse,

Page 97: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 405

als weil diese Grosse sich in seinem Herzen widerspiegelt,

als weil sie uns zwar auch zu denicen, vor allem aber zu fiihlen

gibt. Und nun, in dieser neuen Dichtung tritt alles, was

friiher in der Gestalt von bitterer Ironie sich gab, als jene „er-

habene, Schmerzen losende Heiteri^eit" (X, 195) auf; dennSachsens Seele ist nunmehr der Punkt, von wo aus wir die

Welt mit ihren Konventionen und Formen und Lacherlichkeiten

und Vorurteilen betrachten — und dieser Standpunkt ist der

eines wirklich erhaben grossen und guten Mannes, der selber

zu bedeutend ist, als dass irgend etwas auf der Welt ihmunbedeutend erscheinen konnte, und der, um sein eigenes „Be-schwer" niederzukiimpfen, mit genialer Herzensgiite alles nach-

empfindet, was die Herzen anderer beschwert. Nicht ver-

spottet wird hier die Form (die Konvention), sondern ihre

Nichtigkeit wird durch einen tiefen, iiberall bis auf den rein-

menschlichen Kern vordringenden Blick offenbar.

Fine solche Auffassung des Dramas war nur durch die

Mitwirkung der Musik durchfiihrbar; nein, das ist zu weniggesagt: das Drama iiberhaupt so zu konzipieren, war „lediglich

dem Musiker moglich".^) Der Dichter musste ein Tondichtersein. Denn dieser Sachs konnte unmoglich als Wortheld,namentlich nicht als Klageheld vor uns hingestellt werden. Undin der Tat, nur ein einziges Mai horen wir ihn ganz leise sich

selbst zufliistern: „Vor dem Kinde lieblich hehr, mocht' ich

gern wohl singen**; sonst schweigt sein Leid, und nur durch

seine humoristischen Bemerkungen Eva gegeniiber und aus

Eva^s Gestandnissen erfahren wir den genaueren Sachverhalt.

Wie beredt, wie unfehlbar bestimmend ist dagegen die Spracheder Tone, die uns das innerste Herz des Helden offenbarti

Gleich, als Hans Sachs in der Singschule zum ersten Malefiir Walther eintritt:

„HaltI Meister! Nicht so geeilt!"

da steigt schon aus dem Orchester die tiefe Klage auf:

m^^^^^^^^^^.^-^^n') Vgl. S. 375 ff.

Page 98: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

406 DRITTES KAPITEL

welche dann im zweiten Akt in dem Gesprach mit Eva von

den Worten an: „Ja, Kind I eine Freiung maclite mir Not"

immer ergreifender an das Ohr dringt. In diesem zweiten Alct

erklingt auch sclion — zum lustigen Schusterlied, durch welches

der schlaue Sachs zugleich Beckmesser's Vorhaben und die

unbesonnene Flucht der jungen Leute vereitelt — das wunder-

bare, herzerschiitternde Thema:

:i^

welches in der Einleitung zum dritten Akte seine voile drama-

tische Entwickelung erfahrt und dort erst seinen ganzen Sinn

enthiillt. Wie der Meister spater sagte: „Es driickt die bittere

Klage des resignierten Mannes aus, welcher der Welt ein heiteres

und energisches Antlitz zeigt." Diese Einleitung zum dritten

Akte muss als der Hohepunkt des Dramas bezeichnet werden:

die Situation ist uns jetzt bekannt, in Sachsens Herz haben

wir schon manchen tiefen Blick getan, und jetzt — wahrend

der Vorhang vor dem bunten Bilde noch gesenkt bleibt —lauschen wir mit geschlossenen Augen dem letzten Kampf im

innersten Herzen des Helden. Zuerst tritt die Klage auf; dann

wird sie von der Erinnerung an die eigenen kiinstlerischen

Schopfungen ubertont; es ist, als erhebe sich der „ewige" Teil

in dieser grossen Menschenbrust gegen den verganglichen: mit

tiefem Mitleid schaut Sachs auf sich selbst herab; mit lachelndem

Blick und tranenerfiillten Augen zu seinem hoheren Selbst

wieder hinauf; nochmals ertont jenes klagende Thema, aber zu

majestatischer Breite und Kraft entfaltet, mit dem machtigen

Ausdrucke der Erschiitterung einer tief ergriffenen Seele: „be-

ruhigt und beschwichtigt erreicht es die ausserste Heiterkeit

einer milden und seligen Resignation" (vgl. Entwurfe, S. 104).

Noch eigentiimlicher, noch neuer und unerwarteter ist viel-

leicht die Bedeutung, zu welcher die Musik in der Schluss-

szene des Dramas erhoben wird, wo die verschiedensten Haupt-

themen, zu einem wunderbaren polyphonen Gewebe verflochten,

Sachsens Anrede: „Ehrt eure deutschen Meister!" umwinden

und umranken, als ob alle Menschen sich sehnten, „in der

Nahe dieses Grossen und Guten aus aller Misere des Lebens

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Pakstmile aus der Original-Partitur der M (Akt HI, letzte Szene).

m

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RICHARD WAGNER'S .KUNSTWERKE 407

aufzutauen und zu tauchen",^) als ob alle durch seinen Blick

und durch sein weises Wort sich geadelt und iiber sich selbst

hinausgehoben fuhlten. Gerade diese Stelle wirkt auf der

Biihne hinreissend und uberwaltigend, namentlich dann, wenn

das ganze Volk in die nur lialbverstandenen Worte leise mit

einstimmt. Wir empfinden, wir erleben es ja unmittelbar, wie

der grosse Mann iiber seine ganze Umgebung und auch auf

feme Zeiten liinaus, Segen spendend, die magische Gewalt

seiner Personlichkeit ausstrahlt. Sowohl das Wort wie der

Ton erzielen an solchen Stellen Wirkungen, die keine friihere

Kunst uns alinen Hess.

An dieser Stelle geniigt es mir, auf diesen Mittelpunkt Em vergwcb

des Dramas hingewiesen zu haben. Eine Zergliederung des

Dramas und der Musik, um festzustellen, wie sich nun von

hier aus das musikalische, dramatische Leben iiber das Ganze

ergiesst, fiihrt leicht, wenn man die Analyse zu weit treibt, zu

sehr abstrakten Erorterungen.^) Von grosserem Wert wird es

sein, wenn wir die klare Erkenntnis der neuen „Fahigkeiten«,

welche der Tondichter im Drama „entdeckt und fortgebildet

hat« — eine Erkenntnis, die wir nunmehr aus einem prak-

tischen Beispiel, nicht aus theoretischen Erwagungen herleiten

— dazu beniitzen, einen vergleichenden Riickblick auf das

Drama zu werfen, wie es Wagner in seiner ersten Lebenshalfte

gestaltete. Hierdurch wird klar werden, worin die Bedeutung

jenes Ubergangs aus dem unbewussten zum bewussten kiinst-

lerischen Wollen bestand, von dem der Meister so haufig als von

dem Eintreten in eine „neue Lebensperiode" redet. Mit Ab-

sicht vermeide ich es, bei der folgenden Betrachtung auf Die

Meistersinger hinzuweisen; denn dieses Beispiel haben wir

jetzt vor Augen und die Anwendung auf den besonderen Fall

ergibt sich von selbst.

Wagner selber behauptet, er habe „einen weiteren Schritt

gemacht" von den letzten Werken seiner ersten Lebenshalfte

») Siehe S. 152.

*) Wer sich dafiir interessiert, wird manche Anregungen In meinem

Drama Richard Wagner's in dem Abschnitt uber Die Meistersinger finden. —Der Kuriositat halber sei auch auf die Schrift der Bruder Bonnier Le Motif-

Organe des Maitres Chanteurs hingewiesen, in welcher die gesamte Partitur

der Meistersinger auf ein einziges musikalisches Motiv zuruckgefuhrt wird I

Page 102: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

408 DRITTES KAPITEL

zu den Werken der zweiten als von den Feen bis zu Tann-

hduser (VII, 175). Wichtig ist nun vor allem die Einsicht, dass

dieser Fortschritt nicht irgendwie durch eine Steigerung der

technischen Meisterschaft Oder durch die Entdeckung einer

gliicklichen Neuerung bewirkt wurde, sondern einfach durch

die bewusste Erfassung jenes Gesetzes der notwendigen Be-

schrankung des Wort-Tondramas auf das Reinmenschliche als

Gegenstand. Es ist dies — wie ich schon dargelegt habe^) —keine kiinstliche, willkiirlich ersonnene Regel, sondern ein

Naturgesetz, das sich aus dem Wesen der Tonsprache ergibt,

Welchen Einfluss aber diese einfache Einsicht auf die Ge-staltungen des „tonvermahlten Dichters" ausiiben musste; wie sie

ihn mit einem Schlag aus qualender Not und Sklaverei zu der

Freiheit eines Herrschenden erloste: das zeigt uns der Meister

sehr einfach und uberzeugend, indem er (in seinem Brief

y,Zukunftsmiisik'^) auf Lohengrin als Vergleich zuriickweist.

Zugleich sehen wir hier mit einem einzigen Blick, was das

unbewusste Meisterwerk von dem bewussten Meisterwerk

unterscheidet.

„Das ganze Interesse des Lohengrin', schreibt "Wagner

(VII, 163), „beruht auf einem alle Geheimnisse der Seele be-

riihrenden inneren Vorgang im Herzen Elsa's". Gerade die Vor-

gange im Innern sind aber das alien Gemeinsame, das Rein-

menschliche. Jedestiefere Drama— gleichviel welcherGattung

zielt auf das innere Leben; die ausseren Vorgange nehmenjedoch im gesprochenen Drama — und mit Recht — einen

grossen Teil des Interesses in Anspruch, in unbedeutenderen

Werken sogar das ganze. Die Musik aber kann nur das

Innere schildern; der „innere Vorgang" ist ihr einziges

Gebiet. „Die Musik ist in ihrer unendlichsten Steigerung doch

immer nur Gefiihl", sagt Wagner (Das Kunstwerk der Zukunft,

III, 112); „die Fahigkeit der Musik zur Losung jeder denk-

baren Aufgabe ist unbegrenzt, sobald sie eben nur das ganz

und allein zu sein braucht, was sie wirklich ist — Kunst des

Ausdruckes" (Oper und Drama, III, 343). Soil also das

Wort-Tondrama (im Gegensatz zur Oper) ein einheitliches,

wahres Kunstwerk sein ohne Riss noch Sprung, so muss das

') Vgl. S. 295 ff.

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LUZERN 1868

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 409

ganze Interesse auf die „inneren Vorgange im Herzen" konzen-triert werden. Diese selbe Musik, welche die einschrankendeBedingung stellt, gibt uns aber zugleich die Mittel — und somitdie Moglichkeit — das Interesse in einem fruher ungeahntenMasse nach innen zu verlegen. „Uber alle Denkbarkeit desBegriffes hinaus ofFenbart uns der tondichterische Seherdas Unaussprechbare" (X, 321); dieses Unaussprechbare tritt

jetzt — zum ersten Male — nicht bloss als Endergebnis,

sondern als ein organischer, ja, sogar als ein architektonischer

Bestandteil des Dramas auf. Insofern also als in Lohengrindas ganze Interesse auf einem inneren Vorgang beruht,

entspricht dieses "Werk dem obersten Gesetze des Wort-Tondramas. Urn diesen inneren Vorgang herum werden aberhier noch aussere Vorgange mit ziemlicher Umstandlichkeit

behandelt; der Stoff ist von Anfang an vom Dichter derartig

aufgefasst, dass das nicht zu umgehen war. Man denkenamentlich an jenen dramatischen Hohepunkt, den ganzenSchluss des zweiten Aktes, wo der innere Konflikt im HerzenElsa's nur mit Zuhilfenahme eines ausserst komplizierten

Apparates in die Erscheinung treten kann; samtliche Handelndeund alle Chore fiillen die Buhne an; hier ist es Einemformlich, als empfande man die Not jenes „tondichterischen

Sehers" mit, der, um das Unaussprechbare zu offenbaren,

woran ihm gerade in diesem Augenblick einzig liegt, eine ganzeLast von Ausdrucksmaterial mitschleppen muss.^) Der vollbe-

wusste Wort-Tondichter gestaltet dagegen seinen Stoff, gleichviel

woher er diesen nehmen mag, derartig, dass der allergrosste

Raum des Gedichtes auf die Kundgebung der inneren Motiveder Handlung verwendet werden kann; das ist sein ganzesGeheimnis, das Geheimnis des Wort-Tondramas. Und Wagnerlasst uns klar einsehen, was hierdurch gewonnen wurde, indemer nach der Erwahnung des Lohengrin auf ein Werk derzweiten Lebenshalfte hinweist: „Die ganze ergreifende Hand-lung kommt hier nur dadurch zum Vorschein, dass die innerste

Seele sie fordert, und sie tritt so an das Licht, wie sie voninnen aus vorgebildet ist".

') Ich erinnere hier als Beispiel an den herrlichen Gesamtchor: „Inwildem Bruten muss ich sie gewahren".

Page 106: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

410 DRITTES KAPITEL

Die Hiermit ist nun das Bezeichnende der von Wagner in

.Handiung" imggjj^gj, zwcltcn Lcbenshalfte geschaffenen Dramen klar for-

neuen Drama .,.tth j i-i.^muliert: in ihnen tntt die Handlung so an das Licht, wie sie

von innen aus vorgebildet ist. Und durch dieses Bilden „von

innen nach aussen" wird nicht allein die allgemeine Gestaltung

des Werkes, sondern alles bis in die letzte Einzelheit be-

stimmt. In jedem einzelnen der vier grossen Bulinenwerke

aus dieser Periode finden wir z. B. eine eigenartige, nur fur

dieses eine Werk gultige Behandlung des Orchesters (von der

Einfachheit der Meistersinger bis zu der verschwenderischen

Pracht des Nibelungenringes) ^ eine eigenartige Auffassung

der polyphonen Architektonik (von dem kunstvollen, vielver-

schlungenen Kontrapunkt der Meistersinger bis zu den ge-

schlossenen Harmonienfolgen des Parsifal), eine eigenartige

Anwendung der Modulation (von der Chromatik des Tristan

bis zu den fast Mozartschen Farben des Siegfried) usw.

usw. Genau in dem selben Masse weichen die Dichtungen

voneinander ab: im Versbau, in der Anwendung von Assonanz,

Alliteration und Endreim (von den stabgereimten, wuchtigen

Versen des Hinges bis zu der leichtfliessenden Diktion der

Meistersinger mit ihrer blendenden, verbliiffenden Reimkunst),

in ihrem psychologischen Charakter (von dem weltentriickten

Mystizismus des Tristan bis zur derben Unmittelbarkeit des

Nibelungenringes), in ihrem Gedankeninhalt (von dem in

symbolischerGedrungenheit einenWeltgedanken umspannenden

Parsifal bis zu der schlichten Tiefe der Meistersinger). Alles

das sind die Wirkungen jenes Schaffens, welches von innen

nach aussen gestaltet. Ja, diese Wirkungen lassen sich noch

weiter verfolgen: nicht bloss wird jeder an einem einzelnen

Takte Wagnerscher Musik sofort erkennen, welchem Werkees entnommen ist, gerade so, wie wir die Menschen an ihrer

Stimme unterscheiden, sondern bei gewissen Werken, Siegfried

z. B. und Parsifal, dringt die poetische Stimmung jedes ein-

zelnen Aktes so sehr bis in die feinste Einzelheit durch, dass

man von dem einfachsten musikalischen Gebilde, oft von einem

vereinzelten Akkord sagen kann, welchem Akt sie angehoren

und angehoren miissen. Das ist nicht allein das Werk hochster

kiinstlerischer Besonnenheit, sondern eine Folge davon, dass

hier „die aussere Form aus dem intimsten Zentrum der Welt

Page 107: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGN ER'S KUNSTWERKE 411

gestaltet wird", wie Wagner sagt. Das Kunstwerk strahlt hier

von einem Mittelpunkt aus, anstatt dass — wie sonst im Drama— erst zahlreiche Faden einer nach dem anderen gesammelt

und zum Schluss auf den Mittelpunkt hingeleitet werden.

Moglich aber wird diese Art der Gestaltung erst durch die

Mitwirkung der Musik; nur durch sie wird es dem Dramatiker

ermoglicht, zuerst die zugrundeliegende reinmenschliche Emp-findung zu erwecken und spater erst das bestimmte Wort zu

geben, zuerst die allgemein giiltige Idee heraufzubeschworen

und spater erst das besondere Bild zu zeigen. Hierin, in

dieser bestimmenden Macht der Musik, liegt aber ausserdem

das bisher ungeahnte Einheitsprinzip des neuen Dramas; denndas Gestalten von innen nach aussen bedeutet fiir den Wort-Tondichter das Gestahen des ganzen Dramas von der Musikaus. Die Musik ist das „Innen" (wie wir das so iiberzeugend

bei Hans Sachs erfuhren), die Dichtung — als Wort undBild — das „Aussen*. Das meint auch Wagner, wenn er im

Vorwort zu seinen Gesammelten Schriften sagt: „Die Musikwird uns die Gesetze fiir eine wahrhafte Kunst geben". Finden

wir z. B. in den Wortdichtungen Wagner's, wie ich vorhin

andeutete, eine reiche, ewig wechselnde Skala des poetischen

Ausdrucks,^) so muss man sich klar dariiber sein, dass es

die Musik ist, welche die Gesetze fiir diesen Ausdruck ge-

geben hat, jene Musik namlich, welche erst als Allerletztes —nach Vollendung des ausfiihrlichen Gedichtes — ihre voile,

tonende Gestaltung erhalten und den Duft reinster Poesie uber das

ganze Werk ausbreiten konnte, welche aber in der Seele des

schaffenden Dichters von allem Anfang an als Gegenbild oder

vielmehr als leibhaftige Verkorperung seines Dramas — jenes

„Vorganges in den Tiefen der inneren Seele" — gelebt hat.

Das selbe gilt fiir jede Gebarde und fiir das gesamte Biihnen-

bild in seiner wechselvollen Beleuchtung. Jene schon friiher

angefijhrten Worte des Meisters,-) er hatte seine dramatischen

Werke gern als „ersichtlich gewordene Taten der Musik" be-

zeichnet, haben uns jetzt also ihren vollen Sinn enthiillt. Dazugeniigte die verstandnisinnige Betrachtung eines einzigen Dramas

*) Auf diesen interessanten Gegenstand komme ich bei der Besprechung

von Tristan und Isolde noch zuruck.-) Vgl. S. 305.

Page 108: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

412 DRITTES KAPITEL

aus der zweiten Lebenshalfte. Wollen wir einen mehr logischen,

mehr vernunftgemassen Ausdruck fiir das „deutsche Drama",

das uns Wagner geschenkt hat, so miissen wir es als „das

reinmenschliche Drama" bezeichnen; das eigentlich Kiinstlerische

aber wird dadurch ausgesprochen, dass man es mit Wagner

„eine ersichtlich gewordene Tat der Musik" nennt. Auf der

einen Seite stehen der innere Mensch und sein Ausdrucks-

organ, die Musik, „jene alles klagende, alles sagende, alles

tonende Seele", auf der anderen der aussere Mensch und seine

ganze sichtbare Welt; zwischen beiden schwebt der Gedanke,

dessen kunstlerische Tatigkeit in der Phantasie sich kundgibt.

Das Bezeichnende des neuen Dramas ist nun, dass die Ge-

staltung des ganzen Kunstwerkes von dem inneren Menschen

ausgeht, von ihm ihre Gesetze erhalt. Somit wird namlich

(dies ist sehr wichtig!) der Gedanke nicht von ausseren Ein-

driicken bestimmt, die er dem inneren Menschen erst mitteilt,

urn dadurch eine dramatische Handiung entstehen zu lassen;

sondern der Gedanke — und mit ihm die Phantasie — tritt

hier, im Wort-Tondrama, gleich von Beginn an im Dienste

des inneren Menschen auf, von ihm geleitet, bestimmt, befehligt.

Wie der Meister an der vorhin zitierten Stelle weiter bemerkt:

„Die ganze Bedeutung der ausseren Welt hangt hier allein von

der inneren Seelenbewegung ab".

Eine eingehende Anwendung des eben Ausgefiihrten auf

Die Meistersinger ist um so weniger notig, als es ja gerade

das tiefere Verstandnis dieses Dramas war, was uns zu unserer

grundlegenden Betrachtung die Veranlassung gab. Nur eines

muss ich bemerken: ich habe von Sachs allein gesprochen,

well er in der Tat der lebengebende Mittelpunkt des grossen

Dramas ist. Um ihn herum stehen aber zahlreiche andere

Charaktere, ein jeder scharf individualisiert. Hier gilt nun,

was Herder uber Kunstwerke im allgemeinen ausfiihrt: ,Jede

reine Idee, die ein vollendetes Bild gibt, teilt nachbarlichen

Ideen Klarheit mit". Hans Sachs ist in den Meistersingern das

vollendete Bild; um ihn gruppieren sich in zunehmender

perspektivischer Entfernung die anderen Figuren des bunten

Ganzen; auch den fernsten teilt er Klarheit mit.

Page 109: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

DER RING DES NIBELUNGEN

Voluntas superior intellectu.

Joh. Duns Scotus

Den Abschnitt iiber Die Meistersinger habe ich mit einem ^er Emwurf

Hinweis auf Herder geschlossen; diesen iiber den Nibelungen-°"'^^^^'^ ^^^^

ring mochte ich mit einem solchen beginnen. „Wann aber undwie", sagt Herder in einer Betrachtung iiber die verwirrende

Menge der germanischen Mythen und Sagen, „wird aus diesen

vermischten Sagen und Abenteuermarchen so verschiedenerVolker in so verschiedenen Gegenden und Umstanden eine

Ilias, eine Odyssee erwachsen, die alien gleichsam den Kranzraubte und jetzt als Sage der Sagen gelte*'?^) Diese "Worte

fielen vor ungefahr 100 Jahren, 1795. Seitdem hat es an Ver-suchen, Herder's Wunsch zu erfiillen, nicht gefehlt. Dasepische „Nibelungenlied" aus dem 13. Jahrhundert und — in

geringerem Masse — der nordische Mythos, wie er durch die

Ubersetzungen der Edden und der Heldensagen aus dem Islan-

dischen und Norwegischen ins Deutsche bekannt wurde, das

sind die zwei Grundpfeiler, auf denen im Laufe des letzten Jahr-

hunderts zahlreiche dichterische Gebaude aufgefiihrt wurden.-)

Mit Ausnahme von Hebbel's Trilogie und Jordan's Epos (beide

erst nach der Veroffentlichung von Wagner's Nibelungenring

entstanden) sind die Versuche alle schon langst verschollen;

selbst Geibel's Schauspiel Brunhild (1857), in welchem manWagner's Einfluss wohltuend verspiirt, diirfte nur wenigen

bekannt sein — als „Drama" und zugleich doch nicht biihnen-

fahig, bekundet es sich ohnehin als ein nicht zum Lebengeborenes Zwitterwesen. Ausserordentlich bezeichnend fiir

Wagner's unfehlbaren Buhnenblick ist es nun, dass er — under allein — sofort erkannte, das mittelalterliche Nibelungenlied,

welches in seiner ersten Halfte Siegfried's Tod und in seiner

^) Ideen zur Geschichte und Kritik der Poesie und bildenden Kunste,

Abt. 34.

^) Die voUstandigeZusammenstellung und eine sachkundigeBesprechung

dieser iiberreichen Nibelungen-Literatur findet man in H. von Wolzogen's

Schrift Der Nibelungenmythos in Sage und Literatur, bei Weber (Berlin, 1876).

Page 110: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

414 DRITTES KAPITEL

zweiten Chriemhilde's Rache bringt, eigne sich nur fiir epische

und durchaus nicht fiir dramatische Behandlung. Aus demverfitzten Knauel diplomatischer Intrigen und Gegenintrigen,

aus der Uberfiille ritterlicher Taten, wie sie die Hofe des

Mittelalters zu ihrer Unterhaltung verlangten, aus der Ver-

mischung halbhistorischer Vorgange mit nur halbverstandenen

mythischen Ziigen lasst sich kein klares, kraftiges Drama ge-

stalten, namentlich aber kein reinmenschliches Drama, wie die

Musik es erfordert. Und da entwarf Wagner schon imjahre 1848,

als er den Stoff durch mehrjahrige Beschaftigung mit den ein-

schlagigen Dichtungen voUstandig beherrschte und sich assimiliert

hatte, die Skizze zu einer Dramatisierungdes Nibelungen-Mythos. ^)

Dieser Entwurf unterscheidet sich schon dadurch von samtlichen

anderen Versuchen, dass hier Siegfried's Tod das Ende, den

Kulminationspunkt der ganzen Handlung, nicht den Anfang oder

die Mitte bildet. Nur der Schluss also von Wagner's Dramaberiihrt sich mit dem Nibelungenlied, und zwar nur mit dessen

erstem Buche. Gleich in diesem ersten Entwurf ist Siegfried

der Held, Briinnhilde die Heldin; Gunther und Chriemhilde-

Gutrune sind untergeordnete Personlichkeiten, die nur insofern

interessieren, als sie fiir das tragische Schicksal des Helden-

paares in Betracht kommen. Mit einem Worte, Wagner wendet

sich vom Gebiet der Sage weg zu dem des Mythos. Gerade

diese Tatsache, dass er das mittelalterliche, halbhistorische

„Lied" verwarf und dafiir die nordischen Gotter- und Helden-

gestalten erwahlte, ist fiir des Meisters Leben von epoche-

machender Wichtigkeit; denn hiermit hatte er als Kiinstler eine

Tat vollbracht, deren Bedeutung seine Vernunft erst einige

Jahre spater voll begriff. Spater erkannte er namlich: „Das

Unvergleichliche des Mythos ist, dass er jederzeit wahr und

sein Inhalt bei dichtester Gedrangtheit fiir alle Zeiten uner-

schopflich ist« (IV, 81).

Will man nun den hohen Wert jenes ersten Entwurfes

ermessen, so vergleiche man ihn mit dem besten anderweitigen

Versuch, diesen Sagenkreis musikalisch-dramatisch zu gestahen.

Und als den besten kann man wohl ohne Zweifel den Entwurf

des bekannten Asthetikers F. Th. Vischer bezeichnen, den

') Vgl. S. 388.

Page 111: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 415

man in dessen Kritischen Gdngen, Band II, findet. Hier haben

wir es wenigstens mit dem ernsten Versuche eines Mannes zu

tun, der den gesamten Stoff beherrschte, was von solchen unter-

geordneten Werken wie Dorn's Nibelungenoper nicht behauptet

werden kann.

Vischer's Entwurf ist ein wunderbares Gemisch von

richtiger Einsicht und kiinstlerischer Unfahigkeit. Die allge-

meinen Bemerkungen sind auffallend scharfsinnig und treffend:

„Es muss mich alles triigen, oder es ist noch eine andere,

eine neue Tonwelt zuriick, welche sich erst offnen soil

Die Musik soil noch ihren Schiller und Shakespeare bekommen.Wir wollen eine heimische, eine eigene, eine nationale

Welt von Empfindungstonen in der Musik usw." Vortrefflich

ist es auch, wie er dann auf „die Nibelungensage" als auf einen

geeigneten Stoff fur die Betatigung dieser „neuen Tonwelt"

hinweist: „Wir haben diese Musik noch nicht gehabt, welche

ein solcher Stoff fordert, und wir haben einen solchen Stoff in

unserer Musik noch nicht gehabt, sowie wir in unserer Poesie

noch keinen Shakespeare gehabt haben". Naher auf das Neue,

was er von dieser Musik fordert, eingehend, meint Vischer:

„Die Recken der alten Heldensage und ihr gigantisches Schick-

sal wollen eine andere Zeichnung als Jagerbursche ihre

Grosse ist von ihrer Wortkargheit unzertrennlich", dies alles

widerspreche aber nicht dem Wesen der Musik, im Gegenteil:

„Die Musik fordert einfache Motive, einfache Handlung"

Sobald nun aber Vischer an die Gestaltung herantritt, welcher

Abfall! Da ist es nicht mehr die Nibelungensage, sondern das

Nibelungenlied, welches „fur die Oper wie gemacht ist"! Ge-

riihmt wird an diesem Liede namentlich, dass es „reichliche

Gelegenheit zu festlichen Aufziigen biete"! Und nun drama-

tisiert der Asthetiker das ganze Nibelungenlied Schritt fur

Schritt und erhalt eine monstrose, fiinfaktige „heroische Oper",

in welcher 17 mannliche Solisten auftreten, ohne dass es moglich

ware zu erraten, wer der eigentliche Held dieser Hydra aller

Biihnenkunst sei: Siegfried stirbt schon in der Mitte des zweiten

Aktes („in herrlicher Jagdkleidung"!); Gunther, Hagen, Gemot,

Dankwart, Rudiger, Dieterich, Hildebrand dagegen bleiben alle

gleichmassig im Vordergrund; Chriemhilde allein hebt sich

aus der Masse kraftiger hervor; ihre Rache bildet namlich

Page 112: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

416 DRITTES KAPITEL

den eigentlichen Inhalt des Dramas. Der ganze letzte Akt ist

eine einzige, ununterbrochene Metzelei, welche zuletzt zu einer

»Schluss-Katastrophe: ungeheurer blutiger Durchbruch des

Schicksals im entfesselten Sturme aller musikalischen Krafte"

fiihrt. Es ware wohl schwer, etwas Unmoglicheres fiir die Musik

zu erdenken. Nun hore man aber, wie dieser grundgescheite

Mann, der erste, der an vielen Orten das Richtige erblickte,

es dennoch verstand, nicht allein in seinem ganzen Entwurf,

sondern auch im einzelnen iiberall an diesem Richtigen knapp

vorbeizugehen, so dass sein Musikdrama mehr durch das Unter-

lassene als durch das VoUbrachte fesselt: „Nach der Darstellung

der Edda ist in dem ganzen tragischen Gange der Begebenheit

ein alter Fluch wirksam, den der Zwerg Andvari auf den

Nibelungenhort legte, im Nibelungenlied ist dieser Zug ver-

wischt, in der Klage tritt er schwach angedeutet wieder hervor.

Man kann aber diese Beziehung in der Oper nicht brauchen"!

Des weiteren klagt Vischer iiber die Unklarheit vieler Motive,

namentlich in bezug auf Briinnhilde, lost aber hier und iiberall

die Schwierigkeit auf eigentiimliche Weise: ^Briinnhilde darf

keine Walkiire sein" I Der Vergessenheitstrank ist zwar unent-

behrlich, „muss aber verworfen werden"! Siegfried darf Brunn-

hilde's Anklage nicht abschworen, denn „diese Szene ist fiir

den raschen dramatischen Gang miissig"! Dass Siegfried nur

im Riicken verwundbar ist (worin sowohl das Furchtbare des

Racheschwurs als auch die ganze Motivierung des verraterischen

Mordanschlags begriindet liegt), „muss ebenfalls wegbleiben"!

„Die Zwerge und Riesen fallen natiirlich auch weg." Und so

geht es weiter; es fallt jeder charakteristische Zug weg, einer

nach dem andern, bis richtig nur eine „Oper" iibrig bleibt

— eine Oper mit vielen festlichen Aufziigen und reichlichem

Massenmord. Es bleibt unbegreiflich, was die so deutlich und

richtig geahnte „neue Tonwelt" hier soli, diese Tonwelt, von

der Vischer selbst gesagt hatte, „sie verlange einfache Motive,

einfache Handlung." Wahrlich, Wagner hatte mit Recht vor-

ausgesagt, lediglich ein Musiker werde das Drama so erweitern

konnen, wie es die Fahigkeiten des musikalischen Ausdrucks

erforderten.*)

') Siehe S. 375, 397, 405.

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 417

Und nun sehe man Wagner's Entwurf aus dem Jahre 1848

an. Wer des Meisters Gesammelte Schriften nicht zur Handhat, kann sich die Art, wie hier die Aufgabe aufgefasst undgliinzend gelost ist, dennoch leicht vorstellen, wenn er erfahrt,

dass der Gang der ausseren Begebenheiten in jenem ersten

Entwurf fast genau der selbe ist wie derjenige der jetzigen

Dichtung. Die Handlung beginnt mit dem Raub des Goldesdurch Alberich; dieser schmiedet daraus den verhangnisvollen,

machtverbiirgenden Reif; als Wotan ihm diesen gewaltsam ent-

reisst, verflucht Alberich den Ring, „er solle das Verderbenailer sein, die ihn besitzen". Um den Besitz dieses Ringes,

des Symbols der Weltmacht, dreht sich nun das ganze Drama.Aus der tragischen Liebe der Wotanskinder Siegmund undSieglinde wird Siegfried geboren; Siegfried totet den Wurmund wird dadurch, ohne den Wert des Besitzes zu ahnen, Herrdes Ringes; er erweckt die herrliche Walkiire Brunnhilde, die

seinen Vater Siegmund gegen Wotan's Geheiss — aus Mitleid —geschiitzt hatte, und gewinnt sie zum Weibe. Dann zieht er

aus auf Abenteuer und gelangt an den Gibichiingenhof amRhein; dort begegnet er Hagen, dem Sohne Alberich's undHalbbruder Gunther's, der auf ihn und den Ring schon lange

lauert. Siegfried trinkt den Vergessenheitstrank^) und wirbt

fiir Gunther sein eigenes Weib Brunnhilde zur Gemahlin;

Brunnhilde schwort Rache; sie verrat Hagen, wo Siegfried einzig

verwundbar ist; Hagen ersticht Siegfried auf der Jagd.^) Briinn-

hilde, der das „himmlische Wissen" zuriickkehrt, besteigt Sieg-

fried's Scheiterhaufen und weist den durch das Feuer gelauterten

Ring wieder den Rheintochtern zu. — In diesem Drama haben

wir also als grossartigen Hintergrund den allgemeinen Kampfum Macht und Weltherrschaft; damit dieser Kampf die ganze Welt

^) Der „Vergessenheitstrank", und zwar genau in diesem Zusammen-hang, ist ein uralter Zug der indo-germanischen Sagen; auch die Wieder-

erweckung der Erinnerung durch den Anblick eines Ringes findet man z. B.

in Cakuntala.

-) Das Titelblatt der „grossen heroischen Oper" findet der Leser auf

S. 241 der ersten Ausgabe dieses Buches, und hierneben eingeheftet findet

er ein nocii interessanteres Stuck aus dem selben Manuskript: die erste

Niederschrift der letzten Worte Siegfried's und der Buhnenweisungen fiir

den Trauerzug sowie am Rande des namlichen Blattes den Entwurf zu einer

Trauermusik. Da diese Handschrift am Anfang vom 12. November 1848,

Chamberlain, Ricbard Wagner ill. Ausg. 27

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418 DRITTES KAPITEL

umfasse, tritt er in symbolisierten Gestalten auf: die emsigenZwerge entreissen den unschuldigen Wasserfrauen das Gold,die geistig iiberlegenen Cotter bemachtigen sich seiner durchList, die plumpen Riesen trotzen es diesen wieder durch pliysische

Kraft ab, die stolzen Menschenfiirsten strecken gierig die Handdanach aus Alle trifft aber der Flucli, der auf dem Goldevon jenem Augenblicke an lastet, wo es dem Wasser, in welchemes rein, als „strahlender Tand« geruht hatte, entrissen wurde,

urn Maclitgelusten zu dienen. Auf diesem Hintergrunde erhebensich nun die grossen Gestalten Siegfried's und Brunnhildens.

Diese, die Gottestochter, zugleich die Tochter der weisen MutterErde,^) opfert zuerst ihre Gottheit aus Mitleid, sodann ihr

Wissen aus Liebe; sie ist der zum Menschen gewordene Gott,

der von seiner friiheren Art die Macht und die Weisheit ver-

loren, dafiir aber sich das weltumfassende Herz und die Fahig-

keit, iibermenschlich zu leiden, bewahrt hat. In denkbarscharfstem Kontrast zu Briinnhilde steht Siegfried, der Proto-

typ des „reinen Toren", in welchem man — wenn ich michso ausdriicken darf — das Gottwerden des Menschen erlebt,

der Held, dessen Seele, „ledig des Neides, liebesfroh", wedervon Furcht noch von Gold und Gier beriihrt werden kann.

„In ihm«, sagt "Wagner, „sah ich den Menschen in der natur-

lichsten, heitersten Fiille seiner sinnlich belebten Kundgebungvor mir; kein historisches Gewand engte ihn mehr ein; kein

am Ende vom 28. November 1848 datiert ist und da sie ferner nur diese

einzige musikalische Skizze enthalt, so ist diese ohne Zweifel der allererste

Kompositionsentwurf zu dem grossen Nibelungenwerk! Unter dem Eindruck

einer plotzlichen Inspiration scheint der Meister sein Papier umgewendet,schneli zwei Notensysteme gezogen und diese acht Takte hingeworfen zuhaben. Der Gebrauch des Tenorschlussels lasst wohl auf die beabsichtigte

Anwendung der Posaunen schliessen. Fiir die Leser dieser Ausgabe folgt

hier eine Transkription:

*) „Des Menschen Mutter ist eine leibhafte Erscheinung der Erde"

(Bhagavata-Purana).

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 419

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Page 116: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

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Page 117: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 419

ausser ihm entstandenes Verhaltnis hemmte ihn irgendwie in

seiner Bewegung, die aus dem innersten Quell seiner Lebens-lust jeder Begegnung gegeniiber sich so bestimmte, dass Irrtum

und Verwirrung, aus dem wildesten Spiele der Leidenschaften

genahrt, rings um ihn bis zu seinem offenbaren Verderben sich

haufen konnte, ohne dass der Held einen Augenblick, selbst

dem Tode gegeniiber, den inneren Quell in seinem wellenden

Ergusse nach aussen gehemmt, oder je etwas anderes fiir

berechtigt iiber sich und seine Bewegung gehalten hatte, als

eben die notwendige Ausstromung des rastlos quillenden inneren

Lebensbrunnens. Mich hatte Elsa diesen Mann finden gelehrt:

er war mir der mannlich verkorperte Geist der ewig und einzig

zeugenden Unwillkiir, des Wirkers wirklicher Taten, des

Menschen in der Fiille hochster, unmittelbarster Kraft undzweifellosester Liebenswurdigkeit. Hier, in der Bewegung dieses

Menschen, war kein gedankenhaftes Wollen der Liebe mehr,

sondern leibhaftig lebte sie da, schwellte jede Ader und regte

jede Muskel des heiteren Menschen zur entziickenden Betati-

gung ihres Wesens auf" (Eine Mitteilung an meine Freunde,

IV, 399).

Mit diesen kurzen Andeutungen sind nur einige der auf-

fallendsten Ziige in der Wagnerschen Neudichtung genannt,

genug aber, glaube ich, empfinden zu lassen, nicht allein

wie gross der Abstand zwischen diesem Entwurf und alien

ubrigen Versuchen ist, sondern dass hier eine dichterische Tat

voUbracht ward, wie sie nur den allergrossten Dichtern gelingen

kann. Je mehr man sich in das Studium der nordischen Dich-

tungen, der deutschen Mythologie und Sagenwelt vertieft, um so

mehr lernt man das hier Geleistete mit Ehrfurcht bewundern.

Wagner hat selber voUbracht, was er einmal als „das hochste

denkbare Vermogen des Dichters" bezeichnete, er hat „den

aus dem klarsten menschlichen Bewusstsein gerechtfertigten,

der Anschauung des immer gegenwartigen Lebens entsprechend

neu erfundenen Mythos im Drama zur verstandlichsten Dar-

stellung gebracht." Die unerschopfliche Wahrheit der von

ganzen Volkern intuitiv empfundenen Beziehungen zwischen

dem Menschen und der umgebenden Welt — jene Natur-

symbolik, welche „gelebte Philosophie" ist im Gegensatz zu

der nur gedachten — hat Wagner mit der vollen Klarheit des

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420 DRITTES KAPITEL

bewusst schaffenden Poeten oder Sehers zu einem formvoll-

endeten Kunstgebilde gestaltet. Und indem er das tat, hat er

Herder's Wunsch erfullt: aus dem undurchdringlichen Gewirre

der „vermischten Sagen und Abenteuermarchen" ist hier ein

Gedicht „erwachsen«, welches uns Germanen jetzt als „Sage

unserer Sagen gelten kann"! Dabei darf nie vergessen werden,

dass Tristan und Isolde sowie Parsifal, beide, organisch zum

Ring des Nibelungen gehoren. Die vollige Gleichheit des Ver-

haltnisses zwischen Tristan und Isolde mit dem zwischen Sieg-

fried und Briinnhilde war schon langst niichtern forschenden Ge-

lehrten aufgefallen, und Wagner sagt ausdrucklich, sein Tristan-

drama sei „ein Erganzungsakt des grossen, ein ganzes Welt-

verhaltnis] umfassenden Nibelungenmythos" (VI, 379). Die

Verwandtschaft zwischen den beiden „reinen Toren" —Siegfried und Parsifal — ist aber mindestens ebenso augen-

fallig: Parsifal ist zwar kein ^Erganzungsakt"; der christliche

Mythos ist aber eine notwendige, uberall im Ring vorgeahnte,

herbeigesehnte und durch Brunnhildens Tod geradezu geforderte

Erganzung.i) Einen treffenden Beleg fur diese intuitiv empfun-

dene kiinstlerische Notwendigkeit bietet uns die Tatsache, dass

der Dichter im Jahre 1848 fast in einem und dem selben Atem-

zuge seinen Nibelungen-Mythos als Entwurf zu einem Drama

und seinen Jesus von Nazareth verfasstel

Die .Phasen"- Nur ungem unterbreche ich eine Darstellung durch Polemik.

Es gehort aber zu den Pflichten des Biographen, der unhalt-

') Von grosstem Interesse in bezug hierauf sind die neusten Ergeb-

nisse der Wissenschaft, aus denen hervorgeht, dass der ganze „grossartige

Hintergrund der nordischen Mythologie: die Welttragodie, die Schopfungs-

geschichte und der Weltbrand, keine altgermanischen Anschauungen, sondern

junge, vom Christentum beeinflusste sind". Es wird jetzt als erwiesen be-

hauptet, dass die deutsclien Stamme niemals etwas von Wotan, von Walhall

und von den Walkiiren gewusst haben; vielmehr sollen diese nordischen

Dichtungen zur Wikingerzeit — in Anlehnung natiirlich an den herrschenden

Volksglauben — als das Werk einzelner Manner aus den vornehmsten Ge-

schlechtern, die auf den britischen Inseln mit Ciiristen und sogar mit

Monchen in Beriihrung gekommen waren, entstanden sein. Der Untergang

der Welt durch Feuer z. B. — die „G6tterddmmerung"^ — soil nicht eine

altgermanische, sondern eine altchristliche Vorstellung sein. (Vgl, die Be-

sprechung von Prof. Sophus Bugge's Schriften durch Prof. Wolfgang Golther,

Bayreuther Blatter 1890, S. 205 fg., und andere Mitteilungen des selben Ge-

Irrlehre

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 421

baren Behauptung entgegenzutreten, als seien diese drei so eng

und unzertrennlich zusammengehorenden Werke — Der Ring,

Tristan und Parsifal — die Symptome eines inneren Wand-lungsvorganges im Herzen des Kiinstlers. Indem man sich an

zufallige Daten und an eine allzu oberflachliche Kenntnis von

Wagner's Personlichkeit hielt, ist es — in dicken und in diinnen

Biichern — gelungen, plausibel zu machen, der Meister habe

alle paar Jahre seine „Weltanschauung" gewechselt, etwa wie

ein Wallache sich jedes Lustrum in eine neue Haut einnahen

lasst.*) BiszumHerbst 1847 (Lohengrin) ist Wagner— wenigstens

vorwiegend — Christ gewesen, so behauptet man. Nun huldigte

er aber auf einmal einem „heidnischen Naturalismus", und diese

Weltanschauung legte er in seinem Ring des Nibelungen nieder.

Einige Jahre spater fiel der Meister dem Einfluss des philo-

sophischen Pessimismus anheim, selbst den kargen Rest heid-

nischen Glaubens schwor er ab, und — er schrieb Tristan undIsolde. In diesem Reiche der ungemutlichen Verneinung des

Willens zum Leben war ihm jedoch auf die Dauer nicht wohl:

yyDie Meistersinger (1861 bis 1867) zeigen uns, wie die pessi-

mistische Phase allmahlich uberwunden wurde und wie ge-

siindere Ideen zu dammern begannen" (Hebert, S. 67); endlich

wurde ihm die Gnade des Himmels zu teil: Saulus verwandelte

sich in Paulus, und in dieser neusten, letzten Verwandlung,

in der „Phase des religiosen Glaubens" verfasste WagnerParsifal! Wenn solche Auffassungen auf die Professoren der

Philosophie beschrankt blieben, so ware der Schade nicht

gross; diese wissen ihren Gedanken so unendlich zahlreiche

und feine Niiancen abzugewinnen, dass keine Behauptung ihnen

lehrten in dem Literaturblatt fur germanische und romanische Philologie).

Unerwartet ist Qbrigens dieses „neuste Ergebnis" durchaus nicht: schon

vor 20 Jahren schrieb Mannhardt von der Edda, „sie sei die bewusste Arbeit

von Kunstdichtern der hoheren Gesellschaft; der Vorrat alter echter Volks-

mythen sei darin ein nur beschrankter". (Antike Wald- und Feldkulte,

Berlin 1877, S. XII.)

^) Am meisten Beachtung verdient des Abbe Hebert Trois momentsde la Pensee de Richard Wagner (Fischbacher 1894). Hebert ist Professor

der Philosophie an dem weltbekannten College Fenelon; seine Schriften

zeichnen sich durch Gediegenheit und durch eine Fiille trefFender Be-

merkungen vor den anderen Schriften aus, in denen diese These ver-

fochten wird. (191 1. Inzwischen trat Hebert aus der katholischen Kirche aus.)

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422 DRITTES KAPITEL

zu gewagt zu erscheinen braucht.*) Wir anderen erhalten aber

durch derartige Darstellungen ein ganzlich verzerrtes, ja, ein

karikiertes Bild von Wagner's Leben und Schaffen; denn weder

chronistisch noch biographisch noch psychologisch noch —vor allem — kiinstlerisch eignet ihnen ein Atom von Wahrheit.

Chronistisch nicht, denn man muss wie ein Taschenspieler

mit den Zahlen gaukeln, um die synchronistische Entstehung

dieser Werke aus der zweiten Lebenshalfte wegzuleugnen;

biographisch gewiss nicht, wie der Leser dieses Buches be-

zeugen kann; psychologisch nicht, weil ein Mann seine „Weh-

anschauung" ebensowenig andern kann wie die Farbe seiner

Haare — allerdings kann er sie wie diese aus praktischen

Rucksichten „farben«, also andere dariiber irre fuhren; aber

weit reicht auch diese List nicht; denn seine Weltanschauung

ist ihm angeboren, und ehe sie ihm von der Welt zuruckge-

strahlt wird, „schaut" sie ihm selber zu den Augen heraus;

kunstlerisch nicht, weil gerade hier das schopferische Genie

sich vom Talent unterscheidet. Das Genie ist wie das mythen-

bildende Volk: es legt in seine Gestaltungen unendlich viel

mehr hinein, als es selber jemals geahnt hat. „Der Kunstler

steht vor seinem Kunstwerke, wenn es wirklich ein solches ist,

wie vor einem Ratsel", bezeugt Wagner. Shakespeare schrieb

seinen Heinrich VI. mit der schlichten Absicht, die Geschichte

eines sehr mittelmassigen Konigs biihnenmassig zu bearbeiten,

und schuf damit eine Trilogie von unergrundlichem Tiefsinn;

Johann Sebastian Bach dachte ein Ubungsbuch fur angehende

Pianisten zu verfassen und — siehe da! — es entstand das

Wohltemperierte Klavier; bei Wagner wurde eines Tages eine

Oper fiir Brasilianer bestellt, und er schrieb Tristan und Isolde!

Aber auch die Begriffe, die Vernunftansichten, denen ein genialer

Kunstler im Augenblicke des Schaffens huldigen mag, sind diesem

Schaffen gegenuber etwas Ausserliches; selbst dort, wo er

ihnen zu folgen glaubt, tut er es doch nicht. Das ist, was

jene „Phasen-Autoren" nicht verstehen. Wagner selber dagegen

unterscheidet mit Recht und sehr scharfsinnig zwischen „Welt-

^) Man vgl. z. B. Hebert's zweites, sehr lesenswertes Buch Le senti-

ment religieux dans I'oeuvre de Richard Wagner (Fischbacher 1895), wo die

„Phasen-Lehre" schon bedeutend gemildert auftritt. (Deutsche Ausgabe:

Das religiose Gefiihl im Werke R. Wagner's, bei Schupp in Miinchen.)

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 423

anschauung" und „Weltbegriff". Von dem Nibelungenring

hatte er, wahrend er die Dichtung entwarf, gemeint: „Meine

ganze Weltanschauung hat in ihm ihren vollendetsten kiinstle-

rischen Ausdruck gefunden" (U. 192). Nichtsdestoweniger stellt

er fest, dass seine kiinstlerischen Gestaltungen gerade in diesem

Werke seine philosophischen Versuche zur Erklarung der Welt

„immer wieder vollstandig uber den Haufen warfen. Schon

mit der Anlegung des Planes folgte ich unbewusst einer ganz

anderen, viel tieferen Anschauung, und anstatt einer Phase

der Weltentwickelung, hatte ich das Wesen der Welt selbst in

alien seinen nur erdenklichen Phasen erschaut und in seiner

Nichtigkeit erkannt, woraus naturlich, da ich meiner Anschauung,

nicht aber meinen Begriffen treu blieb, etwas ganz anderes zu

Tage kam, als ich mir eigentlich — gedacht hatte" (R. 67).

Man pflegt iiberhaupt allgemein den Einfluss des abstrakten Den-

kens auf das kiinstlerische Schaffen zu iibertreiben: als Wagnerseinen Nibelungenring zuerst entwarf (zugleich mit SQinem Jesus

von Nazareth), kannte er weder Feuerbach noch Schopenhauer;

die spatere Gestaltung des Ringes, als der Meister angeblich unter

Feuerbachschem Einfluss stand, ist nun weit weniger „heidnisch-

naturalistisch" als die friihere: viel eher konnte sie die Be-

zeichnung „christlich-pessimistisch" verdienen. Und Parsifal —aus der „Phase des religiosen Glaubens" — hat alles dogmatisch

und historisch ^Christliche" des Jesus von Nazareth bis auf die

letzte Spur abgestreift. Gewiss stand Wagner's philosophisches

Denken zu einer gewissen Zeit unter dem Einfluss Feuerbach's,

zu einer andern unter dem Schopenhauer's; sehr tief ging zwar

der Einfluss Feuerbach's nicht, und sogar Schopenhauer wirkte

mehr klarend als umgestaltend; aber selbst wenn man diese

letzten Entwickelungsstufen zur vollen, festen Gestaltung im

Denken des bereits vierzigjahrigen Mannes als jjPhasen" auf-

fassen will — womit man mehr Schatten als Licht auf den

wahren Vorgang wirft — so ist man doch durchaus nicht be-

rechtigt, dieses Denken in seinen Kunstwerken auffinden und

nachweisen zu wollen. Die Weltanschauung, die aus Parsifal

zu uns redet, ist genau die selbe, welche der Ring des Nibe-

lungen birgt: in ihr spiegelt sich jener Kern der Indivi-

dualitat des Kunstlers wider, auf den nicht einmal ein Schopen-

hauer ummodelnd einzuwirken vermochte. Als Wagner seinen

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424 DRITTES KAPITEL

Ring zuerst skizzierte, zwang sich ihm sofort die Vorstellung

auf, der heilige Gral sei eine Idealisierung des Nibelungen-

hortes;') das Gralsdrama und das Nibelungendrama, fur seine

^Weltanschauung" gehorten sie zueinander! Die Gestalt des

„tumben« Parsifal dagegen drangte sich ihm erst einige Jahre

spater auf, und zwar als er sich mitten in der Arbeit an der

Walkiire unterbrach, urn Tristan und Isolde zu skizzieren. Hatte

sich das durch des Heilands Blut geweihte „Heilsgefass« der

Phantasie Wagner's als Gegenstuck zum „Gold« bemiichtigt, so

trat jetzt — in der ersten Skizze zum dritten Akt des Tristan —Parsifal, der durch Mitleid wissend gewordene reine Tor,

zu dem aus Liebe Sterbenden heran. Wohl aus tiefen kunst-

lerischen Bedenken verwarf Wagner bald diese Auffassung;

Parsifal wurde die mittlere Figur eines neuen Dramas, dessen

erster Entwurf im Fruhjahr 1857 entstand, mitten in der Kom-

position des Siegfried, kurz vor der ausfuhrlichen Dichtung des

Tristan. Man sieht, wie viele geheime, fur keinen anderen zu

entwirrende Faden diese drei Dramen in des Meisters schopfe-

rischer Phantasie verbinden! Man ahnt auch, was Wagner sagen

wollte, als er behauptete, Parsifal konne man erst verstehen,

wenn man „den Tristan verdaut habe".-) Neben solchen ent-

scheidenden Erwagungen ware es fast kindisch, auf allerlei

Kleinigkeiten Nachdruck legen zu wollen, wie z. B. darauf, dass

Wagner wahrend der „Phase des dunklen Pessimismus" eine

Madonna iiber seinem Arbeitstisch hangen hatte (siehe L. II, 142)

und in der „Phase des religiosen Glaubens" an ihrer Stelle

Schopenhauer's Bildnis.

Doch kehren wir zum Nibelungenring zuruck.

DieTriiogievcm Bls jctzt habc ich nur von dem ersten Entwurf (aus demJahre 1852

jgj^^g ig48^ gcsprochcn ; diese poetische Tat verdient auch die

grosste Aufmerksamkeit. Man entsinnt sich, wie Wagner da-

1) Siehe in der Schrift Die Wibelungen (vom Jahre 1848) den Ab-

schnitt „Aufgehen des idealen Inhaltes des Hortes in den Heiligen Gral".

2) Wagner schreibt namlich an Liszt (II, 137): „Erst miisset Ihr auch

meinen Tristan verdaut haben, namentiich seinen dritten Akt mit der schwarzen

und der weissen Flagge. Dann wurden erst Die Sieger deutlicher werden."

Die Sieger war der Titel eines Entwurfs, den der Meister nicht ausfuhrte,

dessen Gedanken-Inhalt aber in Parsifal uberging, das Drama des „Siegers".

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 425

mals, nachdem er den ganzen Mythos in seinem grossartigsten

Zusammenhang entworfen und somit „die Sage der Sagen"

gestahet hatte, sich nun bemiihte, „eine Hauptkatastrophe" des

Mythos mit der Andeutung jenes Zusammenhanges biihnen-

massig zu bearbeiten, weil es ihm damals unmoglich schien,

„unserem Theater gegeniiber" mehr zu erreichen. Diese Haupt-

katastrophe war Siegfried's Tod. Dadurch aber, dass in dieser

dramatischen Handlung so vieles einer vergangenen Zeit an-

gehorte, haftete der Dichtung ein Fehler an, der das Gegen-

stiick zu den Unzulanglichkeiten aller iibrigen Nibelungengedichte

bildete: in diesen anderen wird man sich gerade uber das Ver-

haltnis zwischen Briinnhilde und Siegfried, namentlich in ihren

Beziehungen zu Gunther und Gutrune (Chriemhilde), nie klar;

bei Wagner bildete umgekehrt gerade die Liebe Siegfried's und

Briinnhildens sowie der an beiden geiibte Verrat und ihr Tod

das ganze Drama. Dagegen blieb „der grosse Zusammenhang,

der den Gestalten erst ihre ungeheure, schlagende Bedeutung

gibt" (U. 119), jener alle Wesen umfassende Kampf um die

Weltherrschaft, verhaltnismassig verschwommen; denn nur

durch Erzahlungen wurde er bekannt. Die Nornen, die Wal-

kiiren und Alberich (in seiner Szene mit Hagen) waren es, die

uns im Verlaufe des Dramas mit dessen Vorgeschichte bekannt

zu machen hatten. Diese „Mitteilung an den Gedanken" er-

kannte Wagner als einen entschiedenen Fehler; er empfand das

Bediirfnis nach deutlicher Darstellung des ganzen Zusammen-hangs an die Sinne von der Biihne herab. Das bestimmte ihn,

ein zweites Drama, Der Jange Siegfried, auszufiihren. Auch

da blieb jedoch noch vieles zu erzahlen iibrig; gerade durch

dQnJungen Siegfried wurde die Walkilre so nahe herangeriickt,

dass sie eine dichterische Notwendigkeit wurde. Den Schluss-

stein des stolzen Gebaudes bildete endlich das Vorspiel Das

Rheingold. Man darf aber nie iibersehen, dass Wagner nicht

— wie bisweilen behauptet wird — in einem krebsartigen Riick-

wartsschreiten sein Werk geschaffen hat, sondern dass er zu-

erst jenen vollstandigen Entwurf ausgefiihrt hatte, vom Raube

des Goides durch Alberich bis zum Tode Siegfried's und Briinn-

hilde's. Die eigentiimliche Entstehungsgeschichte der ausfuhr-

lichen Dichtung zur Trilogie beruht einzig darauf, dass der

Meister anfangs das gewohnliche Operntheater im Auge behielt

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426 DRITTES KAPITEL

und sein Vorhaben demgemass enger umgrenzte, spater aber,

von der Grossartigkeit seines eigenen Werkes hingerissen, jede

Hoffnung auf dieses Theater aufgab, damit aber zugleich alle

beengenden Rucksichten von sich warf und seine Dichtung so

schuf, wie er sie urspriinglich konzipiert hatte.

Die ^Handiung" Nun war aber in Wagner's kiinstlerischer Entwickelungim Nibeiungen-ggjj ^^^ Jahrc 1848 etwas sehr Wichtiges vorgegangen: das

Grundgesetz des Wort-Tondramas war ihm zum Bewusstsein

gekommen! Und genau so wie er bei den Meistersingern den

aiten Entwurf beibehalten, trotzdem aber die ganze Handlung

„nach innen" verlegt und erst dadurch der Allmacht der musi-

kalischen Gestaltung zugefiihrt hatte, genau so verfuhr der

Meister hier, beim Nibelungenring. Hatte er mit seinem ersten

Dramatisierungsentwurf alle seine Vorganger und Nachfolger

weit iibertroffen, so iibertraf er sich selber durch seine zweite

dichterische Bearbeitung fast um ein Gleiches.

Ich miisste daran verzweifeln, in dem knappen Raum, der

mir fiir die Besprechung des Ringes noch zur Verfiigung steht,

klarzulegen, wie Wagner das vollbracht hat, stunde dem Leser das

Beispiel der Meistersinger und des Hans Sachs nicht aus demvorigen Abschnitt vor Augen. Dort wurde die absolute kiinst-

lerische Einheit vielbewegter dramatischer Vorgange — die sich

der Hauptsache nach ausserlich als ein Konflikt zwischen

Walter und Beckmesser darstellen — dadurch bewirkt, dass

der tragische Kampf im innersten Herzen Hans Sachsens zumMittelpunkt der ganzen Handlung gemacht wurde, zum „in-

timsten Zentrum", wie Wagner sich ausdriickt. Etwas durch-

aus Analoges ist hier, im Ring, geschehen. Wotan, der im

ersten Entwurf eine wichtige Figur des Dramas war, mehr

nicht, ist hier, in der Dichtung vom Jahre 1852, der Mittel-

punkt des gewaltigen Werkes geworden.

Das erfordert aber eine Erklarung, damit die Sache nicht

oberflachlich aufgefasst werde.

Im vollkommenen Wort-Tondrama muss die Handlung so

zum Vorschein kommen, wie die innerste Seele sie fordert, sie

muss von innen aus vorgebildet seinJ) Um das nun zu be-

wirken, geniigte es nicht, Wotan in die Mitte der streitenden

•) Vgl. S. 409.

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 427

Machte zu stellen und dafiir zu sorgen, dass alle Faden durch

seine Hande liefen; das war so ziemlich schon in dem ersten

Entwurf geschehen. Nein, es musste an Stelle des blossen

Kampfes zwischen verschiedenen Personen um Besitz und Welt-

herrschaft ein innerer Konfliict erfunden werden, ein Konflikt,

der im eigenen Herzen entsteht und ausgefochten wird. Zubemerken ist noch, dass, mag auch das Streben nach Besitz

allgemein menschlich sein, der Wert des Goldes dennoch ein

rein konventioneller ist; der Tondichter musste tiefer greifen

und ein rein menschliches Motiv, jenseits aller Konventionen,

als den dramatischen Kernpunkt aufdecken. Das gelang Wagnerdurch einen einzigen Zug: nur wer der Liebe entsagt, vermag

durch das Gold zur Weltherrschaft zu gelangen. „Hier hast

du«, schreibt der Meister an Uhlig, „das gestaltende Motiv bis

zu Siegfried's Tod^; und dieses gestaltende Motiv war hier —gerade wie in den Meistersingern — eingefuhrt worden, ohne

dass die Reihe der ausseren Begebenheiten eine auffallende

Modifizierung zu erleiden gehabt hatte. Die eigentliche Hand-

lung des Dramas hingegen ist hierdurch vollkommen umge-

staltet worden. Jetzt ist der Fluch, den Alberich seinem ge-

raubten Ring „als Segen" mitgibt, nur ein ausseres Moment;

als solches dient er einzig der sichtbaren Gebarde, welche nun-

mehr durch die Mitwirkung der Musik zu so hoher Bedeutung

im Drama gelangt ist.^) Der Ring ist aber schon an und fur

sich fluchschwanger, well er durch ein Verbrechen gegen das

Heiligste im Menschenherzen, gegen die Liebe, errungen wurde:

„Wie durch Fluch er mir geriet,

verflucht sei dieser Ring!*

Wer je nach Macht strebt, macht sich des selben Verbrechens

wie Alberich — in grosserem oder geringerem Grade —schuldig. „Alberich und sein Ring konnten den Gottern nichts

schaden, wenn diese nicht bereits fur das Unheil empfanglich

waren" (R. 35).

„Ich beriihrte Albrich's Ring —gierig hielt ich das Gold!

Der Fluch, den ich floh,

nicht flieht er nun mich: —') Vgl. den Abschnitt uber Tristan und Isolde.

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428 DRITTES KAPITEL

was ich liebe, muss ich verlassen,

morden, was je ich minne.

triigend verraten

wer mir vertraut!" (Wotan.)

Und wer, ohne nach Macht zu streben, das fluchbeladene

Symbol erfasst, verfallt ebenfalls dem furchtbaren Verhangnis.

Der Mensch steht eben nicht allein auf der Welt: hatte das

tiefste Denken die Arier zu der Erkenntnis gefuhrt, die Vor-

stellung der Individualitat sei die betriigerische Maya, so sagt

uns jede grosse Tragodie das selbe, aber auf kiinstlerische,

unmittelbar uberzeugende Weise; denn gerade die Individualitat

offenbart sie uns in ihrer hochsten Potenz, sie zeigt sie uns

als das einzig Wirkliche, Grosse, als „hochstes Gliick der

Erdenkinder" — zugleich aber sehen wir in ihr die grosse

Individualitat unbewusst, absichtslos aus dem ununterschied-

lichen Ozean der Menschheit hervorgehen; wir sehen, wie sie

nie einen Augenblick die tausend Beriihrungspunkte mit der

Umgebung abschiitteln und sich zu wahrer Freiheit hinauf-

schwingen kann und schliesslich — wie die gewaltigste Welle

in die Flut — in das Namenlose, Gestaltlose zuriicksinken muss.

Und so verfallen hier dem Fluche nicht nur die Gotter, die

Riesen, die Zwerge, die Gibichungen, die nach dem Golde

gegeizt haben, nicht allein Briinnhilde, Siegmund und Sieglinde,

die von Wotan in unmittelbarer Verfolgung seiner Weltherr-

schaftsplane gezeugt wurden, sondern auch Siegfried, der Held,

„ledig des Neides" und „fremd dem Gotte, frei seiner Gunst".

„So ist eine tiefsinnige, in den alten Sagenresten nurschwach und

zerrissen noch durchschimmernde Idee: von dem Fluche des

Goldes in der Hand der Liebe hier zu ihrer klar bewussten

Bedeutung erhoben worden."^) In diesem riesigen Werke haben

wir also gewissermassen eine Vereinigung der Willenstragodie

und der Schicksalstragodie: Wotan ist der Held der Willens-

tragodie, Siegfried der Held der Schicksalstragodie. Briinnhilde,

deren Leben mit dem jener beiden auf das engste verwoben

ist, wird zur Heldin einer Doppeltragodie: ihr Wille fiihrt sie

zum Verlust ihrer Gottheit und zum Versinken in den „Todes-

') Wolzogen, Der Nibelungenmythos, S. 136.

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 431

gisst die „erl6sende Weltentat zu wirken", den Ring von Sieg-

fried's Finger zu nehmen und ihn den Rheintochtern zuriick-

zugeben; sie gedenkt nicht des Vaters und seiner Not, gluhende

Liebe hat alle ihre Sinne erfasst:

„Himmlisches Wissen

stiirmt mir dahin,

Jauchzen der Liebe

Jagt es davoni"

Und jetzt — seiner letzten Macht, seines letzten Hoffens

beraubt —»auf hehrem Sitze

stumm und ernst"

schaut der Gott dem unaufTialtsam dahinrasenden Schicksal zu,

welches das Hehrste und Hochste, was seinem „Gedanken"entbiiihte — Siegfried und Briinnhilde — durch namenlose

Leiden in grausames Verderben und in den Tod hinabstiirzt.

Was der Gott hier erschaut, ist jene „Hauptkatastrophe«,

die Wagner in seinem ersten Entwurf Siegfried's Tod betitelt

hatte, die er aber jetzt, da sie nunmehr die Schlusskata-

strophe der Tragodie in Wotan's Herzen bedeutet,. Goiter-

ddmmerung nannte. Wotan betritt hier nicht mehr die Biihne:

die Nornen aber sagen uns von ihm, und Waltraute erscheint

als seine Botin; vor allem die Musik, nunmehr durch die voran-

gehenden Dramen so innig mit Wotan's Gestalt (aus der alle

Hauptthemen hervorgehen) verwoben, die Musik hat hier eine

Gewalt, verbunden mit einer inzisiven Bestimmtheit, erreicht

wie sonst in keinem Werke der Welt und lasst uns empfinden,

als erschauten wir alle diese Vorgange durch Wotan's Auge —von dem herrlichen:

„0 heilige Gotter,

hehre Geschlechterl

weidet eu'r Aug'

an dem weihvollen Paar"!

am Anfang der Gotterddmmerung bis zu dem Augenblick, woBriinnhilde, an Siegfried's Leiche stehend, feierlich hinaufblickt:

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432 DRITTES KAPITEL

„0 ihr, der Eide

heilige Hiiterl

lenkt eu'ren Blick

auf mein bluhendes Leid:

erschaut eu're ewige Schuld!

Meine Klage hor',

du hehrster Gott!

Durch seine tapferste Tat,

dir so tauglich erwunscht,

weihtest du den,

der sie gewirkt,

des Verderbens dunkler Gewalt!"

Mit Wotan's Traum von

»Mannes Ehre

ewige Macht" (Wotan Im Traume, leist)

hatte das Nibelungen-Drama angehoben; es endet mit der „bang-

ersehnten Botschaft"

„RuheI Ruhe! du Gott!*

Fiir eine eingehendere Darlegung des Ganges der Hand-lung und fiir eine Betrachtung iiber die Musik dieses Dramasin ihrer Beziehung zu der Handlung verweise ich auf meine

schon ofters erwahnte Schrift Das Drama Richard Wagner's.

Hier muss es geniigen, wenn es mir gelungen ist, dem Leser

deutlich zu machen, zu welcher nie zuvor geahnten Be-

deutung Wagner im Ring des Nibelungen das Drama erweitert

hat. Gewiss erwachst diese Fahigkeit dem Dichter aus der

Tatsache, dass er „uber den Reichtum musikalischen Aus-

druckes" verfiigt — wer ausser dem Musiker vermochte es

wohl, eine grosse Tragodie zu vollbringen, in welcher der Held,

wie in Gotterddmmerung, die Biihne gar nicht betritt und den-

noch bestandig gegenwartig ist? Man begreife aber auch an-

gesichts einer solchen Tat, dass, wer die Musik zu dieser Macht

erhob, einer der gewaltigsten Dichter ist, die je gedichtet.

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LONDON 1877

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TRISTAN UND ISOLDE

Die Liebe istder Endzweck der Weltgeschichte

— das Amen des Universums.

Novalls

Wiesehrauch dicMeistersinger und DerRing desNibelungen oas cesetz der

sich voneinander unterscheiden mogen, ein Zug ist ihnen gemein- vereinfachung

sam: die grosse Anzahl der Handelnden. Die Musik abererfordert

das Einfache; dem Mannigfaltigen gegeniiber verliert sie ihre

dichterische Ausdrucks- und Entwickelungsfahigkeit; mag sie noch

so polyphon sich geben, sie ist doch in jedem Augenblick nur

eins; sie kann nicht analytisch auseinanderhalten. Allerdings

konnen die Kreise, die sie um einen bestimmten Mitteipunkt

zieht, immer weiter werden; der Tondichter vermag es, wie

Wagner sagt, „den zusammengedrangten dichten Punkt nach

seinem volien Gefiihlsinhalte zur hochsten Fiille auszudehnen"

{Oper und Drama IV, 174), und es konnen ganz gut, wie wir

dies im Ring sahen, aus dem einen Mitteipunkt andere hervor-

gehen, die uns ganzlich neue und scharf charakterisierte Indi-

vidualitaten vorfiihren — gewissermassen ein Kreis im anderen —es muss aber eine bestimmte Einheit, ein „zusammengedrangter

dichter Punkt" vorhanden sein. Nur unter dieser Bedingung

kann Musik „Gestalt werden".^) Je mannigfaltiger nun das

Buhnenbild, mit um so grosserer Bestimmtheit wird diese Ein-

heit bezeichnet werden miissen: das innerste Herz des HansSachs und dasWotan's bildeten in den beiden bis jetzt behandelten

Werken den Mitteipunkt, von wo aus sich der musikalische Aus-

druck iiber das ganze Werk ergoss, gleichwie von der einen Sonneauf alle Welten Licht ausstrahlt; in dem ebenfalls vielgestaltigen

Parsifal dagegen werden wir sehen, dass nicht eine handelnde

Person, sondern der heilige Gral — das Symbol des Gottlichen —dieses „intimste Zentrum" der musikalisch-dramatischen Ge-staltung abgibt. In Tristan und Isolde andrerseits hat die fiir

die musikalische Gestaltung erforderliche Vereinfachung auf eine

vvesentlich andere Art stattgefunden; zweifelsohne war es der

Stoff, der dem Poeten diese neue Behandlung eingab. In Tristan

') Vgl. S. 301 fg.

Chamberlain, Richard >X'agner 111. Ausg. 28

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434 DRITTES KAPITEL

konnen wir eigentlich zwischen Mittelpunkt und umliegenden

Punkten kaum unterscheiden; gleich zu Beginn werden alle

dramatischen Momente auf eine einzige Handlung zusammeii-

gedrangt, die sich nun, ohne dass irgend etwas von aussen

auf deren notwendige Entwickelung hatte einwirken konnen,

immer weiter und weiter ausdehnt, bis sie in „des Welt-Atems

wehendem All" versinkt. Zu diesem Behuf ist die Zahl der

Handelnden auf das moglichste Minimum beschrankt und —was mich noch viel bezeichnender diinkt — die Handlung

selbst, die in hochst komplizierter Gestalt vorlag, auf ihre

allereinfachsten Momente zuriickgefiihrt worden. Nur zwei

Personen, Tristan und Isolde, stehen im Vordergrund; sehr

weit zuriick, fast schon symbolisierte Gestalten mannlicher

und weiblicher Treue, erblicken wir Kurwenal und Brangane;

hoher als diese, aber noch weiter zuriick Konig Marke; kaumvom Waldesgrun oder vom fernen Meereshorizont sich ab-

hebend den Hirten, den jungen Seemann und Melot: das ist

alles. Eine mittlere Figur gibt es allerdings auch hier, wennman will: es ist die oft angerufene „Frau Minne", Denn nicht

ein Wort fallt im Verlaufe des ganzen Dramas, das nicht in

unmittelbarer Beziehung zur Liebe stiinde. Isolde und Tristan

werden uns nur an den drei entscheidenden Momenten ihrer

Liebestragodie vorgefiihrt; sobald die Welt dazu tritt, bricht

jedesmal die Handlung ab. Ahnliches gilt aber auch von den

anderen: der junge Seemann — am Beginne — singt von der

„irischen Maid, der wilden, minnigen Maid"; der Hirt hat

nur die eine bange, liebevolle Frage: „Was hat's mit unserem

Herrn?" Aus Liebe wird Melot zum Verrater; Kurwenal und

Brangane sind Verkorperungen jener reinsten Liebe, der Treue,

und ihr Schicksal wird durch die Liebestragodie bestimmt; im

Herzen des edlen Marke kampft die Liebe fiir „den freundlichsten

der Freunde", Tristan, den er wie seinen eigenen Sohn schatzt,

mit der Liebe fiir das „wunderhehre, holderhabene Weib", Isolde,

die er dem Freunde verdankt Und nun die Einfachheit

dieser Handlung, der tragischen Liebe Tristan's und Isoldens!

Gleich zu Beginn fasst sie Isolde in vier Worte zusammen:

„Mir erkoren,

mir verlorenl"

Page 133: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 435

Es ist die alte, ewige Tragodie der hoffnungslosen Liebe, hier

aber auf ihren einfachsten, rein und allgemein menschlichen Kernzuriickgefiihrt, wie dies weder ein Shatcespeare in Romeo undJulie noch ein Gottfried von Strassburg in seinem gereimten

Roman jemals hatte auch nur versuciien diirfen, zugleich aber

zu einer Fiille des Ausdruckes erweitert, wie sie nur die Musikgevvahren konnte. Diese ungeahnte Erweiterung des Ausdruckes

wird aber nur moglich durch die grossartige, klassische Ver-

einfachung der Handiung. Denn durch diese Vereinfachung

gewinni der Dramatiker zunachst die notige iiussere Bedingung,

namlich den Raum; vor allem aber, er erhalt „in der dramatischen

Dichtung selbst ein poetisches Gegenstiick zur symphonischen

Form" (VII, 169). Ich mochte durch eine kurze Skizze zeigen,

wie streng in Tristan diese Reduzierung auf den reinmensch-

lichen — und darum auch musikalischen — Kern „Mir erkoren,

mir verloren" durchgefiihrt ist.

Im ersten Akte fuhrt Tristan die ihm von Frau Minne

beschiedene Isolde seinem Oheim Konig Marke als Braut zu:

vor Abend wird die „ihm Erkorene" dem anderen angehoren.

Isolde beschliesst zu sterben und fordert von Tristan, dass er

mit ihr zusammen den Giftbecher — den Todestrank — leere:

der Tod entsiegelt ihrer beider Lippen; das Gift haben sie

getrunken, wie soUten die Helden im Angesicht des Todes lUgen?

Sie sinken einander in die Arme:

„Du mir verloren?

Du mich verstossen?*

Doch Brangane hatte in

„T6r'ger Treue

trugvolles Werk"

vollbracht: den Trank hatte sie vertauscht. Die Kiiste Kornwall's

ist erreicht; der konigliche Brautigam naht, um seine Braut zu

begriissen; die Liebenden sind nicht gestorben:

„Wie sie da hofFten

ganz zu genesen,

da ward der sehrendste

Zauber erlesen".

28*

Page 134: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

436 DRITTES KAPITEL

Kaum hatten die „Erkorenen" sich — imTode — gewonnen und

schon waren sie einander unwiederbringlich verloren. Mit

diesem gewaltsamen Geschiedensein der beiden „vom Tode

Vereinten" hebt der zweite Akt an. Die brennende Fackel vor

Isoldens Gemach ist das Zeichen fur Tristan, dass er nicht

nahen darf; vergebens fleht Brangane, die den bevorstehenden

Verrat ahnt, die Fackel „nur heute" nicht zu loschen. Isolde

ergreift sie:

„Die Leuchte —war's meines Lebens Licht, —

lachend

sie zu loschen zag' ich nicht!"

Tristan sturzt herein; wieder liegen sie einander in den Armen:

„War sie nicht dein,

die dich erkor,

was log der bose

Tag dir vor?"

Nicht einen einzigen kurzen Augenblick bloss, wie auf dem

Schiffe, diirfen sie sich das „tief Geheimnis" vertrauen,

sondern eine lange „Nacht der Liebe" ist auf sie hernieder-

gesunken:

„Verloschen nun

die letzte Leuchte,

was wir dachten,

was uns dauchte",

und in dem erneuten Wahn des „Nie-Wieder-Erwachens« diirfen

sie sich zufliistern:

„So starben wir,

um ungetrennt,

ewig einig,

ohne End',

ohn' Erwachen,

ohne Bangen,

namenlos

in Lieb' umfangen,

ganz uns selbst gegeben

der Liebe nur zu leben".

Page 135: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 437

Doch wiederum waren sie getauscht worden, noch war „der

Tag dem Tode nicht gewichen", noch „wahrte die Nacht nicht

ewig". Ihr heisses Gebet:

«Nun banne das Bangen,

holder Tod,

sehnend verlangter

Liebes-Tod!"

war nicht erhort worden. Zum zweiten Male hatte ein „Trug-

geweihtes Gliick* ihnen gelachelt; abermals waren sie demTage und den „Tags-Gespenstern" verraten; von der Handdes Verraters Melot getroffen, fallt Tristan, „der Treueste der

Treuen",^) schwer verwundet zu Boden; noch einmal trennt die

Welt, was Frau Minne geeint hatte. Doch, wie fern sie auch

voneinander geschieden sein mogen, der „Frau Minne sind Lebenund Tod untertan". Die sie fureinander erkoren hat, diese

miissen sich angehoren, und sei es auch nur als „Todgeweihte*.

Schon hat der sieche Tristan „krachend hinter sich das

Todes-Tor sich schliessen gehort"; doch aus „Todes-Wonne-

Grauen" wird er wieder zum Tageslicht geweckt:

„Sie zu suchen,

sie zu sehen,

sie zu finden,

in der einzig

zu vergehen,

zu entschwinden

Tristan ist vergonnt".

Ober das Meer eilt Isolde herbei, „mit Tristan treu zu sterben".

Aber auch jetzt wieder verliert sie ihn in dem Augenblick, wosie ihn endlich ganz zu besitzen wahnt, und auch jetzt wieder

sieht sie sich betrogen

„um dieses einz'ge

ewig-kurze

letzte Welten-Gliick".

') So nennt ihn mit Recht Marke, ahnlich wie Briinnhilde von Sieg-

fried sagt:

uDer Reinste war er,

der mich verriet!"

Page 136: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

438 DRITTES KAPITEL

zu \X'agner's

Tristan

In Raserei der Freude iiber Isoldens AnkunFt reisst sich

Tristan die Wunde auf; als Isolde zu ihm herantritt, sinkt er

ihr tot in die Arme. Doch nunmehr ist das Schicksal er-

fiillt; die Holde wird nicht mehr „von der Nacht dem Tage

zugeworfen, um ewig an ihren Leiden der Sonne Auge zu

weiden"; wahrend die Umstehenden in Tristan nur eine Leiche

erblicken, sieht sie den Geliebten wieder „hold das Auge offnen";

sie erblickt „ilin immer machtiger, Sternumstrahlet, hoch sich

heben", und aus seinen Lippen tont ihr eine Weise entgegen

„Wonne klagend

Alles sagend

mild versohnend",

Entseelt sinkt sie zu Boden.

Die ^Queiien' Auf dlesc denkbar einfachste Gestalt ist die Erzahlung

von Tristan und Isolde zuriickgefiihrt, die uns in dickbiindigen,

abenteuerreichen altfranzosischen und altdeutschen Romanenund in dem an zwanzigtausend Verse zahlenden Gedicht Gott-

fried's von Strassburg bisher vorlag. Bei Gottfried beansprucht

die Vorgeschichte — bis zum Liebestrank — elftausend Verse,

bei Wagner sechzig! Man kennt die endlosen Intrigen und

Abenteuer, welche in alien Bearbeitungen das Tristangedicht

ausmachen; man vergleiche damit die fast herb einfache, ein-

heitliche Handlung des Wagnerschen Dramas. Ich mochte

aber nun fragen, was es eigentlich bedeuten soil, wenn immer

und uberall behauptet wird, Wagner's „Quelle" sei das Ge-

dicht Gottfried's von Strassburg? Man diirfte doch hochstens

sagen, Wagner habe den Rahmen zu seinem Drama von Gott-

fried entlehnt. Wie ich in meinem Drama Richard Wagner's

an verschiedenen Stellen ausgefiihrt habe, griff der Meister

immer gern zu bekannten Sagen und Gestalten; denn hierin

durfte er ein machtiges Mittel zur Vereinfachung erblicken.

Es ist aber geradezu haarstraubend, wenn man behauptet, Gott-

fried von Strassburg oder Wolfram von Eschenbach seien

Wagner's „Quellen" gewesen, und wenn man dadurch der

Sache den Anschein gibt, als hatte Wagner's dichterische

Tatigkeit sich darauf beschrankt, diese Dichtungen des Mittel-

alters biihnenmassig zu bearbeiten. Bei Gottfried fehlt z. B.

gleich jener wichtigste Zug, die Grundlage des ganzen Dramas,

Page 137: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 439

dass Tristan und Isolde sich von der ersten Begegnung an

lieben, dass sie von Gott fureinander bestimmt sind; bei ihm

ist die Liebe vielmehr eine blosse Zauberwirkung des Liebes-

trankes, welchen die beiden rein zufallig und infolge eines

Versehens trinken. Der Liebe zwischen Isolde und Tristan

haftet also bei Gottfried etwas widerlich Pathologisches an.

Dass von der gestaltenden Peripetie des Wagnerschen Dra-

mas — dem Todestrank — unter diesen Bedingungen keine

Rede sein kann, ist klar. Mancher schone Zug, den Gottfried

nicht hat, findet sich allerdings in den franzosischen Tristan-

Dichtungen, z. B. gerade diese Liebe der Helden von ihrer

ersten Begegnung an: in dem altfranzosischen Roman hat

Isoldens Mutter den Liebestrank nur darum bereitet, well sie

die Liebe zwischen Tristan und Isolde bemerkt und durch den

Trank, den sie fiir Isolde und Marke bestimmt hat, den bosen

Folgen jener Leidenschaft vorzubeugen hofft; moglich und wahr-

scheinlich ist es, dass Wagner — dessen Kenntnisse auf diesem

Gebiete diejenigen manches Fachgelehrten iibertrafen — mehrals einen Zug den franzosischen „Quellen" entnommen hat.')

Der Todestrank aber, der fiir das Tristandrama die selbe ge-

staltende RoUe spielt wie der Liebesfluch fiir das Nibelungen-

drama, findet sich nirgends; und durch diesen Todestrank

wird nicht etwa bloss ein neuer Zug in die Tristansage einge-

fiihrt, sondern es entsteht dadurch ein vollkommen neues Werk.Der Todestrank ist bei Wagner der Hebel, durch den die

ganze Handlung ein fiir allemal nach innen, in die tiefsten

Herzenstiefen Tristan's und Isoldens verlegt wird, so dass, wieWagner sagt, nunmehr „Leben und Tod, die ganze Bedeutungund Existenz der ausseren Welt, allein von der inneren Seelen-

bewegung abhangt" (VII, 164). Wie bei den Meistersingern,

wie bei dem Ring des Nibelungen tritt also auch hier „die

Handlung so an das Licht, wie sie von innen aus vorgebildet

ist".^) Noch ein Wort des Vergleiches wird diesen grund-legenden Unterschied zwischen Wagner's Gedicht und deniibrigen Tristandichtungen klar hervortreten und zugleich die

') Man vergleiche meine Notes sur Tristan et Isolde in der RevueWagnerienne, Jahrgang 1888, S. 232ff.

-) Vgl. S. 410 und 448.

Page 138: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

440 DRITTES KAPITEL

hohe poetische Bedeutung von Wagner's Tristan und Isolde

immer deutlicher empfinden lassen.

Welche klagliche Rolle spielt in alien friiheren Tristan-

erzahlungen der arme Hahnrei Marke, der ahnlich wie der

Polizeikommissar im Kasperltheater ewig hinters Licht gefiihrt

wird! Und was sollen wir zu diesen „Helden" sagen? Zudiesem Tristan, der das Schiff an einer kleinen Insel vor Anker

gehen lasst, um einige Wochen lang mit Isolde in sinnlichen

Geniissen zu schwelgen, und dann diese seine Geliebte, ohne

zu erroten, seinem Oheim als Braut iibergibt? Zu dieser Isolde,

die sich in der Brautnacht durch Brangane vertreten und dann

am nachsten Morgen die treue Dienerin im Walde ermorden

lasst, damit sie keinen Verrat zu fiirchten habe! Und nun die

endlose Reihe von Intrigen, in denen die raffinierteste Schlau-

heit einer ganz gewohnlichen, unersattlichen Wollust dient! Ausdiesem Stoffe hat Gottfried von Strassburg ein geradezu be-

zauberndes Gedicht gemacht, das lasst sich nicht leugnen; sieht

man aber von dem Reiz der Beschreibung und der unerreichten

Vollendung der Sprache ab, so muss man zugeben, sein

Tristan und seine Isolde sind ebenso erbarmliche Personlich-

keiten wie sein Marke und wie der Zwerg Melot. Und das

soil die „Quelle" sein zu dem erhabensten, sittlich reinsten

Hohenlied der Liebe, das je von einem Menschen gesungen

wurde? O nein, diese Quelle floss aus einem anderen

Brunnen! Im Dezember 1854 schrieb Wagner an Liszt: „Da

ich nun aber doch im Leben nie das eigentliche Gliick der

Liebe genossen habe, so will ich diesem schonsten aller Traumenoch ein Denkmal setzen, in dem vom Anfang bis zum Ende

diese Liebe sich einmal so recht sattigen soil: ich habe im Kopfe

einen Tristan und Isolde entworfen, die einfachste, aber voll-

blutigste musikalische Konzeption; mit der schwarzen Flagge,

die am Ende weht, will ich mich dann zudecken, um — zu

sterben." Die Sehnsucht nach Liebe und die Sehnsucht nach

dem Tode in der eigenen Brust, das ist die Quelle von Wagner's

Tristan und Isolde. „Schon die Alten haben dem Eros als

Genius des Todes die gesenkte Fackel in die Hand gegeben",

sagte der Meister einmal zu einem Freunde, als er ihm aus

seinem Tristan vorgespielt hatte.^) Fine wie grosse Rolle die

') Wille, Fiinfzehn Briefe von Richard Wagner, nebst Erinnerungen.

Page 139: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 441

Sehnsucht nach dem Tode in Wagner's Werken spieit, wird

wohl keinem entgangen sein. Der Hollander kennt nur ein

Gebet:

aEw'ge Vernichtung, nimm mich auf!"

Tannhauser entwindet sich den Armen der Liebesgottin:

„Mein Sehnen drangt zum Kampfe;

nicht such' ich Wonn' und Lust.

O, Gottin, woir es fassen,

mich drangt es hin zum Tod!"

Wotan*s Sehnsucht

„Eines nur will ich noch,

das Ende, das Ende!**

gewinnt an vielen Stellen des Nibelungenringes ergreifenden

Ausdruck, ebenso wie in Parsifal des Amfortas Bitte

und Kundry's

„Tod! — Sterben!

Einzige Gnadel"

„Schlaf — Schlaf —tiefer Schlaf! — Todl«

Das eigentliche Drama der Sehnsucht nach Liebe ist dagegen

Wagner's Lohengrin; schon hier wurde der Gegenstand so

aufgefasst, wie er nur vom Musiker aufgefasst werden konnte;

denn das Ergreifende dieser Handlung liegt darin, dass der

Liebe keinerlei Hindernisse von aussen entgegenstehen, son-

dern alles Gliick von einem inneren Gemiitszustand abhangt;

es ist das Gliick,

„das sich uns nur durch Glauben gibt!"

In Tristan und Isolde sind nun jene so oft von Wagner dar-

gestellte Sehnsucht nach dem Tode und diese Sehnsucht nach

Liebe zu einem einzigen Sehnen verschmolzen. „Sehnsucht,

Sehnsucht, unstillbares, ewig neu sich gebarendes Verlangen,

Page 140: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

442 DRITTES KAPITEL

— Schmachten und Dursten; einzige Erlosung: Tod, Sterben,

Untergehen, Nichtmehrerwachen!" — so bezeichnet der Meister

selber sein Tristandrama (E. 102), und von dem Schlusse

dieses Dramas sagt er: „Es ist die Wonne des Sterbens, des

Nichtmehrseins, der letzten Erlosung in jenes wundervolle

Reich, von dem wir am fernsten abirren, wenn wir mit stiir-

mischester Gewalt darin einzudringen uns miihen. Nennen wir

es Tod? Oder ist es die nachtige Wunderwelt, aus der ein

Efeu und eine Rebe zu inniger Umschlingung auf Tristan's

und Isolde's Grabe emporwuchsen, wie die Sage uns meldet?"')

Die Rebe und der Efeu symbolisieren aber nicht allein Isolde

und Tristan, sondern zugleich diese zwiefache Sehnsucht nach

Liebe und nach dem Tode. Wie klar bringt doch Wagner's

Drama diese Sehnsucht zum Ausdruck!

Die verkiarung THstan war schon friiher einmal in Irland gewesen; erder Liebe

j^^^^g Isolde erbHckt, wagte es aber nicht, zu ihr, der Konigs-

tochter, das Auge zu erheben — im Gegenteil;

„Was mir das Auge

so entziickte,

mein Herze tief

zur Erde driickte:

im lichten Tages Schein,

wie war Isolde mein?"

^) Diese schone Sage lebt noch heute im Volksmund in Afghanistan

fort. Durkhani hat an Stelle ihres Herzensgeliebten, Adam Khan, einen

fremden Hauptling ehelichen mussen. Trost findet sie einzig in der Einsam-

keit ihres Gartens, wo sie zwei schone Blumen pflegt, die sie dicht neben-

einander gepflanzt und von denen sie die eine Adam, die andere Durkhani

genannt hat. Doch eines Tages sieht sie Adam's Blume plotzlich welken;

in dem selben Augenblick tritt ihr Gatte vor sie hin, ein blutbeflecktes Schwert

in der Hand, und sagt ihr, es sei das Blut ihres Geliebten; sie fallt tot hin

neben der verwelkten Blume. Adam war aber nicht tot, sondern nur ver-

wundet; bei der Nachricht von dem Tode seiner teuren Erkorenen ruft er

das eine Wort „Durkhani!" und stirbt. Weit voneinander legt man sie in

die Erde; jedoch „die Liebe war starker als der Tod"; wo man sie begraben.

da findet man sie nicht wieder; dort, wo die beiden Blumen Adam und

Durkhani gebliiht haben, liegen sie zusammen; die Pflanzen gedeihen zu

schonen und starken Baumen; sie schlingen die Wurzeln um die Leichen der

Geliebten, und ihre Aste vereinigen sich, Schatten spendend, ob dem Grabe.

(Vgl. u. a. Darmesteter, Chants populaires des Afghans, p. 117)

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 443

Und nun hatte der Ungliickliche, als sein Oheim Konig Marke

ein Weib zu freien beschlossen, „der Erde schonste Konigs-

braut" laut gepriesen:

„Was mir so ruhmlich

schien und hehr,

das ruhmt' ich hell

vor allem Heer".

Nichts wissend von „dem Bild in seines Herzens bergendem

Schrein", nichts ahnend von dem, „was ohne Wiss' und Wahner dammernd dort empfah'n", war er als des Konigs Braut-

werber wieder nach Irland gezogen. Jetzt scheucht aber die

Liebe „des Tages tauschenden Schein"; Tristan liebt Isolde, er

weiss es, und darum entzieht er sich ihren Blicken, versaumt

er „der Ehren Gruss und zucht'ge Acht". Isolde aber muss

sich fiir betrogen und verraten halten, als ihr der, den sie

einzig liebt, als Brautwerber fiir einen anderen naht; nie konnte

sie einem anderen angehoren. Sie beschliesst zu sterben,

Tristan aber zugleich „dorthin in die Nacht mit sich zu Ziehen",

aus Rache, weil sie ihn „dort, wo ihn Liebe heiss umfasste,

im tiefsten Herzen hasste", das heisst zu hassen wahnte, in

Wahrheit aber, weil sie ahnt, ja weil sie weiss, dass er sie

liebt, und weil sie im Tode und durch den Tod mit dem „ihr

Erkorenen" vereint sein will. Als Tristan nun begreift, dass

der Kelch, den Isolde ihm als Siihnetrank reicht, ein Gift-

becher ist, erfasst er ihn freudig:

„In deiner Hand

den siissen Tod,

als ich ihn erkannt,

den sie mir hot;

als mir die Ahnung

hehr und gewiss

zeigte, was mir

die Siihne verhiess:

da erdammerte mild

erhab'ner Macht

im Busen mir die Nacht;

mein Tag war da vollbracht".

Page 142: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

444 DRITTES KAPITEL

Diese Helden Wagner's, Isolde und Tnstjn, zweifeln also keinen

Augenblick, dass — da sie sich lieben - sie sterten miissen.

In ihren Herzen findet der Gedanke an Unehre keinen auch

noch so kleinen Raum; die Liebessehnsucht kennt bei ihnen

keine andere Gestalt und kann bei ihnen keine andere kennen

als die der Sehnsucht nach dem Tode. Vielfach halt man heute

die „Ehre" fur etwas Konventionclles; Vvagner's Tristan denkt

anders: fiir ihn ist Ehre das innere, unwelgerlicht Gesetz, das

Gottesgesetz, und als er den Todestr^nk aus Isoldens Hand

empfangt, darf er stolz ausrufen:

^Tristan's Ehre —hochste Treu'!"

Konig Marke ist aber von dem selben Geschlechie. Ist es auch

dem tuckischen Verrater Melot gelungen, sein „offenes Herz

mit Verdacht zu erfiillen", so schamt Marke sich doch selber,

dass er „in dunkler Nacht den Freund lauschend beschlichen

hat"; weder von dem Weib,

„der sein Wille

nie zu nahen wagte,

der sein Wunsch

Ehrfurcht-scheu entsagte",

noch von „dem Treuesten aller Treuen" hat er Verrat an seiner

Ehre zu gewartigen, und tief betroffen fragt der edle Mann nach

dem „unerforschlich, furchtbar tief, geheimnisvollen Grund"

dieses ihres gemeinsamen Elends. Spater, als er diesen Grunderforscht zu haben glaubt, eilt er nach Kareol hin, um „dem

Freunde die hochste Treue zu bewahren", um „dem holden

Mann" die vom Himmel fiir ihn Erkorene zu vermahlen.

Wagner hat also zum Zwecke eines Dramas und den be-

sonderen Bediirfnissen der musikalischen Bearbeitung gemass

nicht eine vorhandene Erzahlung bloss vereinfacht, sondern eine

vollkommen neue Dichtung geschaffen, welche sowohl durch die

zugrunde liegende poetische Idee als auch durch die Auf-

fassung und Durchfiihrung der einzelnen Charaktere die Schopf-

ungen seiner Vorgiinger weit iibertrifft. Er hat hier die Liebe

in den gluhendsten Farben gemalt, ohne jemals das rein sinn-

liche Gebiet auch nur zu streifen. Wie er die sinnliche Glut

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 445

in ihrem wildesten Rasen darzustellen verstand — zum Schreckenaller Heuchler — wissen wir aus dem dritten Akt des Siegfried;

in den verschiedensten Abstufungen finden wir diese Gefuhlein seinen Werken geschildert, von der keuschen, zarten Flammain der Brautgemachsszene in Lohengrin bis zu der leidenschaft-

lichen Umarmung Siegmund's und Sieglindens. Hier aber, in

Tristan, erleben wir gleichsam die Verklarung der Liebe durchden Tod. Ich sagte, der Todestrank sei Wagner's poetische

Erfindung; aber auch der Liebestod (im wahren Sinne dieses

Wortes) kommt nur bei ihm vor und konnte nur bei ihm vor-

kommen. In den anderen Gedichten haben die Liebenden jahre-

lang ihren lasterhaften Geniissen gefront; dann tritt der ver-

bannte Tristan in den Dienst eines fremden Konigs und erhalt

im Kampfe gegen dessen Feinde die todliche Wunde; zu riihmen

ist an ihm einzig die Treue gegen seine Geliebte. Dagegenkann bei Wagner's Helden, wie wir gesehen haben, die Liebe

keine andere Gestalt annehmen als die der Sehnsucht nach demTode. Waren sie ehrlos oder konnten sie, wie Shakespeare's

Romeo und Julie (wo der Tod einfach aus Missverstandnis

erfolgt!), durch eine heimliche Ehe ihr Gewissen beruhigen, so

ware der Tod fiir sie der Schrecken aller Schrecken, das Endeihrer Liebe; dieser Isolde aber und diesem Tristan ist der Toddas einzige, was die Welt der Sinne ihnen geben kann. In

offener Emporung gegen das Gesetz der Sinnlichkeit, das uns

alle bandigt, konnen auch Helden nicht leben; noch weniger

aber konnen sie gegen das innere Gesetz siindigen: Isolde kann

sich nicht einem fremden, ungeliebten Manne hingeben, „Tristan

der Held" kann dem Freunde die Treue nicht brechen; ihre

Liebe ist anderer Art; darum miissen sie sterben. Den Liebes-

tod konnen nur wahre Helden sterben.

Hier nur ein Wort iiber die Schopenhauersche Philosophic, Der „Gedanke«

die Wagner (angeblich) — „allen Kunstgesetzen zuwider" —ru!:hl"r"stoff

seinem Tristandrama einverleibt haben soil. Wagner erklart

zwar: „Der Gedanke ist die hochste Tatigkeit des kunstlerischen

Menschen"; alle seine Werke sind „gedankenvoll", und es ware

verlockend nachzuweisen — an der Hand dieser Dramen —dass gerade vermoge der Mitwirkung der Musik der Gedankejetzt nicht mehr zum Denken allein redet, wie im Wortdrama,

sondern gleichsam in die Sinnlichkeit tritt und nunmehr kunstle-

Page 144: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

446 DRITTES KAPITEL

rischer Stoff wird. Dieses Denken ist aber durchaus kein philo-

sophisches; nie und nimmer darf es als ein solches gedeutet

werden. Und man sehe sich doch Tristan und Isolde genauer

an: sowohl die Liebessehnsucht als auch die Sehnsucht nach

dem Tode sind Regungen, die der Ethik Schopenhauer's direkt

widersprechen, da in beiden sich die Bejahung des Willens

unzweideutig ausspricht. Jeder, der dem Drama verstandnisvoll

folgt, muss doch einsehen, er muss es im eigenen Herzen mit-

empfinden, dass diese beiden Helden nur die eine Sehnsucht

erfiillen kann, die Sehnsucht nach dem Tode! Fiir sie sind

Tod und Liebe ein Geschwisterpaar wie Siegmund und Sieglinde.

Das ist keine Philosophic, das ist die tiefste, ergreifendste

Dichtung, die niemals vom Verstande, sondern einzig vom Herzenbegriffen werden kann. Und wenn es von Tristan heisst:

„In des Tages eitlem Wahnenbleibt ihm ein einzig Sehnen,

das Sehnen bin

zur heil'gen Nacht,

wo ur-ewig,

einzig wahr

Liebes-Wonne ihm lacht!" —wenn die beiden ihre Stimmen zu dem innig-ergreifenden, mandarf wohl sagen „frommen" Gebet vereinigen:

„Nimm mich auf

in deinen Schoss,

lose von

der Welt mich los!"

so m5chte man auf die Knie sinken und mitbeten! Hier spricht

doch wahrhaftig weder Pessimismus noch Optimismus, sondern

nur die Liebe, die so wenige von uns gekannt haben, und die

Todessehnsucht, die so oft iiber unser aller Haupt als Engel

der Erlosung ihre Fliigel ausbreitet.

Wie tief aber auch der Irrtum derjenigen sein mag, die in

Tristan und Isolde Philosophie oder auch nur den Einfluss von

Philosophic wittern wollten, ihr MissgrifF beruht doch auf einer

richtigen Wahrnehmung, die sogar zu einer sehr wichtigen

Belehrung beziiglich des Wesens des neuen Dramas und einer

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 447

der moglichen Formen seiner Gestaltung fiihrt. Dem Gedanken

ist namlich in Tristan durchaus kein hoherer Platz eingeraumt

als in alien iibrigen Werken Wagner's; er tritt aber in einer

scheinbar abstrakteren Gestalt auf. Wenn wir nun, anstatt die

Erklarung fiir diese Tatsache (die namentlich den Fachdrama-

turgen viel Kopfzerbrechen und Kopfschiitteln verursacht hat)

in pliilosophischen Tendenzen zu suchen, iiber den rein

kunstierischen Grund, der diese Gestaltung bedang, nachdenken,

so werden wir einen tiefen Blick in das Wesen des Wort-Ton-

dramas werfen.

Die Musik muss Gestalt werden, sagte Schiller; nur im

Drama kann die Musik Gestalt werden, erwiderte Wagner.^)

Und um das selbe, ohne mich zu wiederholen, noch einmal recht

eindringiich zu Gemiite zu fuhren, will ich aus Herder — der

mir schon so oft bei der Beleuchtung des Wagnerschen Kunst-

werkes grosse Dienste geleistet hat — eine Stelle von grund-

legender Wichtigkeit zitieren: „Sie melden uns, dass sich fortan

die Musik von der Poesie scheiden und in eigenen Regionen

ihr Kunstwerk treiben werde? Furs unbewehrte menschliche

Geschlecht eine gefahrliche Scheidung! Musik ohne Worte

setzt uns in ein Reich dunkler Ideen; sie weckt Gefiihle auf,

jedem nach seiner Weise; Gefuhle wiesie im Herzen schlummern,

die im Strom oder in der Flut kiinstlicher Tone ohne Worte

keinen Wegweiser und Leiter finden Unsere zarte,

fuhlbare und fein empfangliche Natur hat aller Sinne notig, die

ihr Gott gegeben; sie kann keinen seines Dienstes entlassen, umsich einem andern allein anzuvertrauen; denn eben im Gesamt-

gebrauch aller Sinne und Organe ziindet und leuchtet allein die

Fackel des Lebens. Das Auge ist, wenn man will, der kalteste,

der ausserlichste und oberflachlichste Sinn unter alien; er ist aber

auch der schnellste, der umfassendste, der helleste Sinn

Das Ohr dagegen ist ein zwar tiefeindringender, machtig-

erschiitternder, aber auch ein sehr aberglaubiger Sinn. In seinen

Schwingungen ist etwas Unzahlbares, Unermessliches, das die

Seele in eine siisse Verriickung setzt, in welcher sie kein Ende

findet. Behiite uns also die Muse vor einer blossen Poesie des

Ohrs ohne Berichtigung der Gestalten und ihres Masses durchs

') Vgl. den Abschnitt Kunstlehre, S. 301 ff.

Page 146: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

448 DRITTES KAPITEL

Auge." ') Man sieht, wie eng sich diese Ausfiihrung an Wagner's

Auffassung anschliesst und mit der Definition seiner Dramen als

„ersichtlich gewordener Taten der Musik" beriihrt (IX, 364).

Schon ofters — namentlich bei der Besprechung des Lohengrin

(S. 380 ff.) — habe ich auf dieses Element der Sichtbarkeit, der

Augenfalligkeit in des Meisters Werken hingewiesen. Dadurch

namlich, dass in ihnen das Wort als solches, als einziges Mediumzur Verstandigung an Bedeutung verliert, dadurch, dass hier

Intrige und Gegenintrige, Spiel und Gegenspiel auf ein Minimumzuriickgefiihrt werden, um eine einzige, einfache, einheitliche

Handlung sich zur umfassendsten Fiille ausdehnen zu lassen —dadurch gewinnt das Auge bei Wagner gewaltig an Bedeutung.

Im Wortdrama war das Auge mehr und mehr zu einer Dienerin

der Vernunft geworden: es hing an den Lippen des Sprechenden,

es spahte in seinen Mienen; im Tondrama dagegen wird es wieder

zu einem kiinstlerischen Organ und erhalt infolge der wichtigen

Rolle der stummen Gebarde in diesen Werken eine aktive

dramatische Bedeutung. Im gesprochenen Drama war das Auge

gewissermassen depotenziert; hier wird es in seine Rechte wieder

eingesetzt. Darum ist auch die Bezeichnung „Wort-Tondrama"

eine durchaus ungeniigende; denn sie verschweigt die unge-

wohnlich hervorragende Bedeutung des Gesichtssinnes. Diese

Betatigung des Auges an dem Kunstwerke ist aber natiirlich

in den verschiedenen Dramen sehr verschieden. Ein Werk

wie der Nibelungenring z. B. verdient in hohem Masse die

Bezeichnung eines Schauspieles; wie verwickelt auch die

Handlung sein mag, sie spielt sich doch in alien Teilen vor

unseren Augen ab, und dort, wo der Held, Wotan, die Biihne

nicht mehr betritt, bildet gerade das Auge das Verbindungsglied

zwischen uns und ihm; denn wir sehen, was er erschaut. In

Tristan und Isolde dagegen, wo immer einer der beiden Helden

Oder beide vor uns stehen, wo die innere Handlung sich nur

in den allgemeinsten Umrissen als aussere Begebenheit projiziert

und wo es infolgedessen wenig zu „erschauen« gibt, da fall,

dem Bilde eine wesentlich andere Rolle zu. Die Gegeniiber-

stellung jener beiden Werke, des Hinges und des Tristan, wird

') Ideen zur Geschichte und Kritik der Poesie und bildenden KSnste.

Abt. 33.

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LONDON 1877

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 449

geeignet sein, uns iiber diesen wichtigen Punkt voile Aufklarungzu geben und uns zu zeigen, in wie verschiedener Weise der Ge-danke als kunstlerischer Stoff zur Verwendung kommen kann.

Was der Zuschauer im Ring zu sehen bekommt, ist ge-

wiss ebenso grossartig, ebenso unvergesslich eindrucksvoU, ja,

ich mochte fast sagen in einem gewissen Sinn ebenso bedeutendwie das, was er hort: der Raub des Rheingoldes, die Ent-

wendung des Ringes, der Kampf der Riesen urn den Ring, derEinzug der Gotter in Walhall, die Umarmung Siegmund's undSieglindens, der Zweikampf auf dem Bergjoch, der Walkiiren-fels und der Feuerzauber wahrlich, das ist nicht jene

„blosse Poesie des Ohrs", vor der uns Herder warnt; es ist

zugleich eine „Poesie des Auges". Hiermit ist aber die ge-

staltende RoUe des Auges in diesem Werke noch lange nicht

erschopft. Nicht allein dem szenischen Bilde kommt eine hohedramatische Bedeutung zu, sondern auch der Gebarde. EinBeispiel: tief erschuttert steht Wotan, nachdem Alberich denfurchtbaren Fluch gesprochen, Fafner seinen Bruder Fasolt umdes Ringes willen ermordet und Erda den Gott vor dem„Ende" gewarnt hat; „Sorg und Fluch fesseln den Sinn" ihm:

der schmeichelnden Fricka antwortet er nicht, sondern bleibt

in sich versunken; auf einmal erglanzt die neuerbaute Gotter-

burg, welche Gewitterwolken umhiillt gehalten hatten, in denStrahlen der Abendsonne; Wotan's Auge ruht auf ihr wie be-

zaubert von dem herrlichen Anblick — da plotzlich schmettert

die helle Trompete

feI^z:=^

^:

Wotan hat ein am Boden liegendes Schwert ergriffen und halt

es stolz empor:

»So — griiss' ich die Burg,

sicher vor Bang und Grau'n!"

Dieses ,ySo^ ist ein Gedanke, der sich einstweilen nur in einer

Gebarde aussert, nur in einer Gebarde sich aussern kann undder als Gebarde unendlich viel mehr bedeutet, als wenn Wotan— wie er es im gesprochenen Drama miisste — sich in einem

Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 29

Page 150: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

450 DRITTES KAPITEL

Monolog lang und breit iiber seinen Gedanken ausliesse, der

doch eberi erst in diesem Augenblick wie eine plotzliche Ein-

gebung in seinem Geist aufgekeimt ist. Nicht einen Augenblick

bleibt der Zuschauer in Zweifel iiber den Sinn dieses So! —die Gebarde hat ihm alles gesagt: Heldenmut gegen Goldes-

macht! Die ausfiihrliche Gestaltung des Gedankens konnte erst

spater erfolgen; in diesem ersten plotzlichen Entschluss lag aber

das ewig Wahre, die Quelle alles dessen, was Wotan leisten

konnte und musste; er ist es, der uns in jenem Vorspiel den

letzten Charakterzug offenbart, welcher uns zur vollkommenenKenntnis des Helden noch fehlte. Diese den Bewegungen der

innersten Seele entsprungene Gebarde hat aber zugleich fur das

Ohr eine plastische Gestalt gewonnen; „ini Gesamtgebrauch

aller Sinne leuchtet allein die Fackel des Lebens", wie Herder

sagt — und in der Tat, dieser einfache C-dur-Dreiklang (in

der charakteristischen Farbe der Trompete) „leuchtet" jetzt, er

ist untrennbar mit jener Gebarde verbunden, in welcher Wotan's

Seele sich unserem Auge ebenso blossgelegt hat wie die

Alberich's, als er gierig das Gold mit beiden Handen erfasste.

Erblicken wir nun im weiteren Verfolge das Geschlecht der

Helden, fleht Siegmund in hochster Not um ein Schwert, be-

kampft Siegfried den Drachen — und schallen dann jene Tonean unser Ohr, so beschaftigt uns kein kombinierender Ge-dankenprozess; nicht einmal das Bild Wotan's wird immer vor

unserem Auge aufsteigen; jene bestimmende Gebarde bestimmt

aber unser eigenes Fiihlen und verkettet das Fernliegende mit

dem Gegenwartigen zu einem einheitlichen Ganzen in einer

Weise, wie das der blossen Musik nicht gelingen konnte, da

ihre Einheit eine rein formelle ist, wiihrend hier das Auge

„berichtigt" hat (wie Herder meinte) und der denkende Ver-

stand als „h6chste Tatigkeit des kiinstlerischen Menschen" der

Entwickelung der ganzen Handlung gefolgt ist.^) Als endlich

der Zug, der Siegfried's Leiche begleitet, in den vom Rheine

aufsteigenden Nebcin verschwunden ist und jenes Thema,

machtig erweitert und umwoben von gewaltigen Tonen, noch

einmal an unser Ohr dringt, da empfinden wir deutlich, dass

hier Wotan's grosser Gedanke, sein stolzes „So griiss' ich die

') „Der Sitz der eigentlichen Kunst ist im Verstande" (Novalis).

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 451

Burg!" zu Grabe getragen wird. Dieses eine Beispiel mogestatt vieler gelten. — Tristan und Isolde ist nun seiner ganzen

Anlage nach kein solches Schauspiel wie der Ring des Nibe-

lungen oder Parsifal. Dem Schauplatz, dem szenischen Vor-

gang kommt hier fast keinerlei Bedeutung zu: in einem „zelt-

artigen Gemach" reicht Isolde ihrem Erkorenen den Giftbecher;

der zweite Akt spielt im Finsteren, der dritte in einem ver-

lassenen Burghof; das Drama ist hier so ganz und gar ein

inneres, fiir Tristan und fiir Isolde hat die „WeIt" so voll-

kommen aufgehort, irgend etwas zu bedeuten, dass es gleich-

giiltig wird, in welche Umgebung man sie versetzt denkt.^)

Der Gebarde fallt trotzdem auch hier eine gestaltende Rolle

von unvergleichlicher Bedeutung zu, jedoch nur an zwei Stellen;

diese zwei Gebarden sind: im ersten Akt die Darreichung undEmpfangnahme des Giftbechers, im zweiten Akt das Loschender Fackel. Frappantere symbolisch-mimische Gebarden jener

Liebessehnsucht in der Gestalt der „Sehnsucht nach dem Tode",

welche die Handlung in diesem Drama ausmacht, liessen sich

wohl kaum ersinnen. Aber auch hier wirkt das Auge nicht

als vereinzeltes kiinstlerisches Organ: Verstand und Gehor sind

ebenfalls herbeigezogen. Friiher namlich, vor der Darreichung

des Trankes, als zu Beginn des ersten Aufzugs Isolde Tristan

in der Feme erblickte, hatte sie (zu Pianissimo-Akkorden der

Blaser, die kein Wort verlieren lassen) ausgerufen:

^A r f 3^^j-jj ji 'Pi'-'M r jj , J J

Tod ge-weih-tes Haupt! Tod ge-weih-tes Herz!

Im Gegensatz zu dem „So — griiss' ich die Burg!", wo der

Gedanke noch unausgedacht war und die Gebarde alles sagte,

bezeichnet diese Stelle in Tristan den Augenblick, in welchemder schon lange keimende Gedanke zu Ende gedacht wird;

keinerlei Gebarde begleitet diese Worte, im Gegenteil, Isolde

blickt wie erstarrt auf Tristan hin; kaum deutet sie be! dem"Worte „Haupt" auf ihn, bei dem Worte „Herz« auf sich. Hier

^) Sehr richtig fst in dieser Beziehung Appia's Bemerkung: „DansTristan la mise en scene doit se reduire a un minimum tel qu'il ne saurait

etre question d'illusion" {La mise en scdne du drame Wagnerien, p. 24).

29*

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452 DRITTES KAPITEL

tritt also der Verstand an die Stelle des Auges, der Gedanke

an die Stelle der Gebarde.*) Die Musik aber hat diesen Augen-

blick, wo die voile Erkenntnis eintritt und die eigentliche

Handlung beginnt, in obigem ausdrucksvollen Thema fest-

gehalten, und als spater jene bestimmenden Gebarden erfolgen

— die Darreichung des Giftbechers und das Loschen der

Fackel — da schallt dieses eindringende Thema unverandert

an unser Ohr, sowohl als Tristan mit der Kraft des endgultigen

Entschlusses den Becher an die Lippen setzt:

„Vergessens giit'ger Trank,

dich trink' ich sender Wank!"

als auch in dem Augenblicke, wo Isolde die Fackel zu Bodenwirft. Der Gifttrank und das Loschen der Fackel, beides be-

deutet das selbe: die Liebessehnsucht und die Todessehnsucht,

zu einem einzigen allumfassenden Verlangen angeschwoUen und

verschmolzen: „Tod geweihtes Haupt! Tod geweihtes Herzl"

Jetzt konnen wir das Eigentiimliche an dem Tristandrama

und den Grund, weswegen der Gedanke — und gerade in

dieser besonderen Gestalt — hier vorherrscht, klar erkennen.

Der Gifttrank brachte das Gestandnis der Liebe, das

Loschen der Fackel vereinte die Liebenden in dem heissen

Gebet: „Lose von der Welt uns los! banne das Bangen, holder

Tod!« Der Tod hatte ihnen also das gegenseitige Gestandnis

der Liebe geschenkt, die Morgengabe der Liebe war der Tod.

Nunmehr ist „ihr Blick gebrochen, erblindet", nunmehr

„erbleicht die Welt mit ihrem Blenden";

das Auge kann unmoglich fiir ihr Leben weiter von Bedeutung

sein; sie sagten wahr, als sie sangen: „So starben wir"; unserer

Sinnenwelt sind sie gestorben. Zu schauen konnte uns der

Dichter nichts mehr geben. Darum musste auch Wagner selber

sagen, im Tristan „ginge fast gar nichts wie Musik vor"

(IX, 365). Gewiss ware aber nichts unwahrer, kiinstlerisch

ungerechtfertigter, als gerade diesen Menschen philosophische

') Man muss sich vor Formeln hiiten; im ganzen glaube ich aber

doch, dass die folgende, die ich mir einmal aufschrieb, viel Wahres sagt:

Nibelungenring: Sichtbarlteit — Gebarde.

Tristan: Verstandlichkeit — Gedanke.

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 453

Anwandlungen zuzutrauen. Wotan, ja! das war ein Denker;

Isolde konnte man eher als einen weiblichen Siegfried be-

zeichnen. Aber die Musik darf nicht auf ihre vereinzeiten

Krafte angewiesen bleiben; um Kunst zu sein, muss sie Gestalt

werden, und das kann sie ohne Berichtigung der Gestalten

durchs Auge nicht. Und darum tritt nunmehr hier jene ver-

mittelte Sinnlichkeit, der Gedanke, in einer Weise in den

Vordergrund, wie das sonst in keinem Biihnenwerke Wagner's

geschieht. Man bemerke aber, wie immer und immer wieder

im Verlaufe des ganzen zweiten und dritten Aktes der Gedankeauf jene Bilder zuriickgefiihrt wird, die uns durch alle Mittel der

Kunst tief und unvergesslich eingepragt wurden: auf den Todes-

trank und auf das Loschen der Fackel, also auf das sinnlich

Vorstellbare und tatsachlich Erlebte. Diesen Bildern werden

auch ihre von selbst sich ergebenden Antithesen entgegen-

gestellt, aber ebenfalls als sichtbare Bilder, nicht als Begriffe:

der Todesnacht — der Tag, der erloschenen Fackel — das

Licht, die Sonne „mit ihren Strahlen eitler Wonne". Nicht

selten schweift allerdings der Gedanke ab: fortgerissen von

den Wellen der Empfindung (welche in der ungehindert dahin-

stromenden Tonsprache jeden Augenblick ihren bestimmten

Ausdruck erhalt), verliert sich die Wortsprache bis an jene

ausserste Grenze, wo das Wort fast aufhort, einen Sinn zu

haben, well es dem Gebiete des Unaussprechbaren, des „Un-denkbaren" sich nahert und well diese tiefsten Gedanken, wie

Wagner so treffend gesagt hat, nur „gestammelt" werden konnen,

da sie „sprachunrahig" sind (III, 127). Immer wieder kommtaber „die Berichtigung durchs Auge", das Zuruckfiihren auf

die bestimmten Bilder, auf die sichtbare Handlung, welche der

jetzt sich abspielenden unsichtbaren vorangegangen ist. Nicht

eine philosophische Tendenz haben wir also diesen Gespriichen

iiber Tod und Tag, Nacht und Sonne zu entnehmen, sondern

wir erfahren vielmehr daraus, wie ein solcher Stoff dramatisch

zu gestalten war, wie der Musik ihre vorwiegende Rolle als

machtigstes Ausdrucksorgan bewahrt bleiben konnte, ohne dass

das Kunstwerk ein Opfer geworden ware jener „f^efahrlichen

Scheidung" zwischen Musik und Poesie, zwischen der Poesie

des Ohrs und der Gestaltung durch das Auge, vor der uns

Herder so eindringlich warnt.

Page 154: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

454 DRITTES KAPITEL

Wort und Ton Gcradc in Ankniipfung an das soeben Ausgefiihrte ware

eine Besprechung der hochst wichtigen Frage beziiglich des

Verhaltnisses zwischen Sprache und Musik am Platze. In dem

Abschnitt iiber Wagner's Kunstlehre habe ich diesen Gegen-

stand bereits vom allgemeinsten Gesichtspunkt aus besprochen;

man dringt aber viel tiefer in das Verstandnis einer solchen

Frage ein durch das genaue Studium eines konkreten Beispiels,

und ich wiisste gar nichts, was an Wagner's Werken von hin-

reissenderem Interesse ware als eine Betrachtung seiner Sprache:

diese ist aber weder seine Wortsprache fiir sich allein noch

seine Tonsprache fiir sich allein, sondern — wie der Meister

sich ausdriickt — „der schopferische Bund der Gebarden-,

Ton- und Wortsprache" (IV, 12Q), wobei namentlich der schopfe-

rische Bund zwischen der Wortsprache und der Tonsprache

sich als ein unerschopfliches Feld fiir die kunstlerische Er-

findung erweist. In den Dramen Wagner's wechselt namlich

jeden Augenblick das Verhaltnis, in welchem Wort und Tonzu dem Gesamt-Ausdruck beitragen. Der Meister hat die

Methode, zu welcher kiinstlerische Intuition ihn gefiihrt hatte,

in wenigen Worten klar dargelegt: „Nur da, wo die Musik das

vermogendste Ausdrucksmittel ist, hat sie sich in voller Breite

zu entfalten, dagegen aber iiberall, wo z. B. die dramatische

Sprache das Notwendigste ist, sich dieser vollkommen unter-

zuordnen. Gerade die Musik besitzt aber die Fahigkeit, ohne

giinzlich zu schweigen, dem gedankenvollen Elemente der Sprache

sich so unmerklich anzuschmiegen, dass sie diese fast allein ge-

wahren lasst, wahrend sie dennoch sie unterstiitzt" (Das Kunst-

werk der Zukunft III, 189). Und in keinem Werke findet manvielleicht eine so reiche Skala der verschiedenartig angewendeten

Wort-Tonsprache wie gerade in Tristan und Isolde: es gibt

hier Augenblicke, wo die Wortsprache fiir die dramatische Ge-

staltung unbedingt das Notwendigste ist; es gibt viele Momente,

wo das mehr gedankenvolle Element der Sprache vorwiegt,

und es gibt noch mehr Momente, wo die Musik so sehr das

vermogendste Ausdrucksmittel ist, dass sie den Wert des Ge-

sprochenen immer mehr zuriickdriingt, bis sie ganz allein

herrscht und alles sagt, „was das Wort verschweigt, well nur

der Ton es sagen kann". Hiermit ist die Sache aber noch

lange nicht erschopft. Die Wortsprache, fiir sich allein betrachtet,

Page 155: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 455

besitzt in den Werken aus Wagner's zweiter Lebenshalfte

unendliche Feinheiten, die der fluchtig Durchlesende gar

nicht ahnt und die dem einseitigen „Literaten'' unbegreiflich

bleiben miissen, da er nicht ermessen i^ann, wie organisch diese

Fluktuationen in der Sprache mit der wechselnden Intensitat

des musikalischen Ausdruckes verwachsen sind, das Ganze aber

durch das dramatische Erfordernis des Augenblicks bedingt

wird. In Tristan z. B. findet man ganze Stellen, in denen selbst

der ohne Absicht sich einstellende Stabreim sorgsam umgangen

wird, um nur jegliche Harte in der Sprache zu vermeiden;

dazu treten dann haufige Reime, oder es werden alle Verse ge-

reimt oder sogar alle mit weiblichen Reimen versehen, wodurch

die Sprache selbst immer mehr zu Musik wird. An anderen

Stellen dagegen verschwindet der Endreim, und es treten dafiir

Assonanz und Stabreim ein, aber in dem verschiedensten Mass,

von der diskreten, kaum bemerkbaren Anwendung der Allite-

ration (z. B. in Marke's Reden) bis zu solchen dramatischen

Hohepunkten wie Tristan's „Suhneeid" (der Augenblick, in demer im Begriff steht, den Todestrank zu trinken), wo „die all-

verbindende Wundermacht des Stabreimes" despotisch herrscht.

Bisweilen finden wir auch Assonanz allein, ohne Endreim oder

Stabreim.

Es ist aber klar, dass eine derartige Betrachtung nur dann

fruchtbringend sein kann, wenn sie eingehend ist, wenn sie sich

auf zahlreiche, sorgfaltig ausgewahlte Beispiele stutzt; dazu

mangelt mir hier der Raum. Anregungen — aber mehr nicht —zu einem solchen eingehenden Studium habe ich mit besonderer

Beriicksichtigung von Tristan und Isolde in meinem „DramaRichard Wagner's^'' gegeben.^) Einige gute Bemerkungen iiber

die Sprache in Tristan findet man allerdings in Franz Miiller's

Tristanbuch (1865, S. 177 ff.); aber leider wird hier die Wort-

sprache getrennt von der Tonsprache betrachtet, was zu keinem

besonderen Erfolg fiihren kann. Hier will ich mich damit be-

gniigen, zwei Beispiele des allereinfachsten Verhaltnisseszwischen

Wort und Ton dem Leser vor Augen zu fuhren.

') Noch ausfiihrlicher in Lessmann's Allgemeiner Musik-Zeitung 1888,

S. 283FF. Ich bedauere auf meine eigenen Arbeiten immer wieder hinweisen

zu miissen; es ist mir aber nicht bekannt, dass gerade diese Fragen sonst

irgendwo behandelt worden wiiren.

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456 DRITTES KAPITEL

Ich habe oben darauf hingewiesen, wie das Tristan-Drama

In den Worten „Mir erkoren, mir verloren!" enthalten ist; an

dieser Stelle spiegelt sich die ganze Tragodie im Gedanlcen

wider; der leidende Mensch ermisst zum ersten Male mit der

Unerbittlichkeit der Logik die Tiefe und Unabwendbarkeit seines

Elends: hier muss also das Wort unbedingt vorherrschen; es

ist „das Notwendigste". Und in der Tat, fast das ganze Orchester

schweigt: einzig die Bratschen und ein Teil der Violinen be-

gleiten Pianissimo (und mit aufgesetzten Dampfern) die Stimme— Oder vielmehr, sie folgen ihr — und gewinnen auf diese Art

aus den fast nur gesprochenen Worten

Mir er-ko-ren, mir ver - lo - ren

das wichtigste musikalische Thema des ganzen Werkes. Undals Isolde seufzend innehalt, ehe sie fortfahrt „hehr und hell",

und dann noch einmal vor „kuhn und feig", da klagt — ebenfalls

Pianissimo — ein einzelnes Blasinstrument (das englische Horn):

F^i=5—£fe^IE|Ffe^rf

so dass auch die schmerzbeklommenen Pausen in der Rede „zu

Worte kommen" und zu einem Hauptbestandteil des sympho-

nischen Aufbaues werden! Hier sieht man, wie das Wort

im Wagnerschen Drama vorherrschen kann, wenn es not tut;

zugleich merkt man, welche Bewandtnis es mit jener „Unter-

ordnung der Musik" hat, von der Wagner sprach.

Nun betrachte man aber ein Beispiel des moglichst genau

entgegengesetzten Falles. Nachdem die Liebenden im zvveiten

Akte jenes innige Gebet „L6se von der Welt uns los" zumHimmel emporgesandt haben, lehnen sie die Haupter zuriick

und verharren schweigend und unbeweglich; der Zuschauer

glaubt schon, ihre Bitte sei erhort worden, der „sehnend ver-

langte Liebestod" habe sie erlost; aber nein — sie leben noch,

„Erdenluft miissen sie noch atmen", an ihr Ohr dringt die Stimme

der in der Feme ireu wachenden Brangane:

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239

Verklelnerte Wiedergabe einer Seite aus <ier Partltur von Tristan und Isolde.

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 457

„die den Schlafern

Schlimmes ahnt,

bange zum

Erwachen mahnt!"

Dieser Ruf, der gewissermassen einzig daran gemahnt, dass

die Helden nicht tot sind, ist nur eine Stimme, nicht ein arti-

kulierter Gedanke; die Worte vernehmen Tristan und Isolde

kaum, denn ihr Blick ist gebrochen und ihre Sinne fast ganz

von der Welt losgelost. Diese Stimme ist weiter nichts als

eine bange Mahnung, die durch die Liebesnacht des Todes, in

welche die Liebenden schon versunken waren, hindurchdringt

— sie ist die Mahnung des noch wachenden Bewusstseins, die

Mahnung des noch sorgenden Gedankens. Der Wortlaut dieses

Weckrufes ist also ganz nebensachlich, und in der Tat, nur von

sehr weitem dringt er zu uns her; das einzelne Wort vernehmenwir — ebenso wie Isolde und Tristan — kaum; es ist ein

sanfter, wehklagender Laut, umrauscht und umwoben von den

tausend Stimmen des Wunderreiches der Nacht: „fern der

Sonne, fern der Tage Trennungsklage". — Eine einzige Seite

der Orchesterpartitur (S. 239 der grossen Originalausgabe,

abgedruckt auf S. 295 der ersten Ausgabe dieses Buches)

wird geniigen, dem Leser einen Einblick zu verschaffen in das

„Wunderreich" des poetischen Ausdrucksvermogens, uber das

ein Richard Wagner gebot dort, „wo die Musik die vermogendste

Sprache war".

PARSIFAL

In einem votn Greis nicht mehr entfernten

Lebensalter richte ich meinen Sinn auf erhabene,

ernste und eines Christenmenschen wiirdige Dinge.

Giovanni Pierluigi da Palestrina

Lesen wir bei Lessing: „Mitleiden zu erregen ist die Die Erregung

einzige Absicht der tragischen Biihne", so konnten wir wohl '^" Mf'ieiJs

versucht sein, Parsifal als das Drama der Dramen zu be-

zeichnen. Die schmerzlichsten Leiden werden uns im

Page 160: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

458 DRITTES KAPITEL

Verlaufe des ganzen Werkes vorgefuhrt. Zu allererst erfahren

wir von dem siechen Konig Amfortas, der, „schlanos von

starkem Bresten", nach dem lindernden Bade verlangt; dann

wird er auf einer Bahre hereingetragen, ein ruhrendes Bild der

Erschopfung „nach wilder Schmerzensnacht". In der zweiten

Szene lernen wir aber aus seinem Munde, dass „die Wunde,

ihrer Schmerzen Wut« etwas Geringes ist „gegen die Not, die

Hollenpein" seiner Seelenschmerzen, und in den ergreifendsten

Tonen ruft er zu Gott:

„ErbarmenI ErbarmenI

Allerbarmer, ach ! Erbarmen !"

Aber nicht allein der „sundige Hiiter des Grals" leidet, son-

dern alle mit ihm, die Guten und die Bosen, die Schuld-

beladenen und die Unschuldsvollen: wehklagend erhebt sich

die Stimme des Titurel aus dem Grabe, wehklagend fleht

Kundry um „Mitleid! Mitleid mit mir!«, wehklagend wiitet

Klingsor iiber seine „Furchtbare Not!" In der Person des Gurne-

manz sowie durch seine Schilderung sehen wir die „macht-

und fuhrerlose Ritterschaft" versiechen und wirhorenihrebittere

Klage: „Wehe, wehel Du Huter des Grals!" Hierdurch breitet

sich aber das Bild des Leidens iiber die ganze Welt aus; denn

„wann's in Gefahr der Hilfe gilt", konnen die Templeisen nicht

mehr den Glaubigen, den Bedrangten, den Guten mit ihrem

starken Arm beistehen, da „bleich und elend die Ritter umher-

wanken" Und so erfullt Klage die gesamte Natur; selbst

die holden, unbewusst unschuldigen Blumenmadchen treten

mit dem Rufe „Wehe, wehe!" auf und scheiden mit den Worten

„0 weh, der Pein!" Und der treue Schwan, der „sein Weibchen

zu suchen aufflog, mit ihm zu kreisen iiber dem See", sinkt zu

Boden, von dem todlichen Pfeil getroffen. Sicherlich, wenn

Mitleiden zu erregen die Absicht der tragischen Biihne ist, so

wird diese Absicht durch das, was in Parsifal zur Darstellung

gebracht wird, also durch das „Schauspiel", in hervorragendem

Masse erfullt. Das alles ist aber hier nur der Rahmen zu der

eigentlichen Handlung. Bereits in den Meistersingern und im

Ring des Nibelungen haben wir die Illusion gehabt, als sei schon

eine fertige dramatische Handlung da, und dann erst wurde

der wahre Held eingefiihrt, das heisst, dann erst gelangten wir

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 459

zu der Erkenntnis dessen, was dem Tondichter als die eigenr-

liche Handlung seines Dramas gait. In Parsifal ist nun dieses

Verhaltnis noch durchsichtiger; denn Parsifal, der Held, steht

gewissermassen ausserhalb der Mitleid erregenden Begeben-

heiten, und nur ganz am Schlusse verschmilzt sein Lebens-

drama mit dem der leidenden Ritterschaft. Die eigentliche,

wahre Handlung ist nun die Erregung des Mitleides in Parsifal's

Herzen und die Wirkung dieses Mitleids auf sein inneres

Seelenleben. Darum darf Parsifal als das „Drama der Dramen"bezeichnet werden: die Mitleiden erregende Biihne stellt hier

die ganze Welt dar, und in jedem Akt setzt immer wieder die

wahre Handlung erst dann ein, wenn das Mitleiden im Herzen

des Helden erregt worden ist.

Zu wahrhaft tragischer Grosse konnte diese Handlung — ^'^ ,Anmaeht

ebenso wie jede andere — nur durch die Seelengrosse des

Helden erhoben werden. In einem Fragment aus der Parsifal-

zeit schreibt Wagner: ,Auf die blosse Erhaltung des Schwachen

durch den Starken kann es nicht ankommen", und er fiigt

hinzu, nicht der zu bemitleidende Schwache, sondern der be-

mitleidende Starke sei das Ziel (vgl. Entwiirfe usw., S. 121).

Und in der Tat, was Parsifal auszeichnet, was ihn uns mit

Siegfried so nahe verwandt erkennen lasst, ist seine Kraft: wie

Siegfried ist auch er ein Held der Tat. Friiher hatte Wagner

einen in mancher Beziehung ahnlichen Stoff wesentlich anders

aufgefasst: es war im Jahre 1856, gerade zwischen dem ersten

Entwurf zu Tristan (1854— 55) und dem ersten Entwurf zu

Parsifal (1857); in jenem Drama, Die Sieger^ dessen Schauplatz

das buddhistische Indien war, bewahrte sich die Kraft der

Helden Ananda und Prakriti in streng indisch-pessimistischer

Weise durch die Entsagung allein, durch das Geliibde der

Keuschheit; auch eine friihere Parsifalskizze soil mit den Worten

geschlossen haben:

„Gross ist der Zauber des Begehrens,

Grosser ist die Kraft des Entsagens!"

In dem vollendeten Parsifal ist dagegen nirgends von Ent-

sagung die Rede, sondern das Mitleid treibt hier zu Taten,

und durch die Taten wird erst der Sieg errungen. In Wagner's

samtlichen Dramen gibt es keinen zweiten so wortkargen

Page 162: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

460 DRITTES KAPITEL

Helden: im ersten Akt spricht Parsifal fast gar nicht, im dritten

wenig, und im zweiten (wo seine angebliche Redseligkeit immer

wieder den Kritikern Schmerz verursacht) besteht seine Rolle

aus knapp einhundert Versen, von denen sehr viele ein einziges

Wort Oder zwei bis vier Worte im ganzen zahlen; fur Parsifal

ist Leben Handeln. Wie sehr der Wille, d. h. der Drang zur

Tat, ihn beherrscht, das sehen wir gleich zu Beginn des

Dramas: seinen Bogen hat er „sich selbst geschaffen" (wie

Siegfried sein Schwert); ausgezogen ist er aus der „seligen

Ode", wo er mit seiner Mutter lebte, um sich in der Welt

herumzuschlagen; seine Freude ist, „gegen Wild und grosse

Manner" zu kampfen; die „rauhen Adler" trifft er im Fluge,

und von Kundry erfahren wir, dass „die Schacher und Riesen

alle seine Kraft furchten"; seine Mutter hat er vor lauter Lust

am Dasein vergessen; den Boten, der ihren Tod meldet, will er

erwiirgen; die Ritter aus Klingsor's Zauberschloss treibt der

Waffenlose zu Kreuze. So ist der Held in Wagner's letztem

Drama beschaffen: ein ausserlich rauher (aber naturlich nicht

„roher", denn diese Eigenschaft ist eine Errungenschaft der

Zivilisation), ein kampflustiger, tatenfroher Held, bei dem ein

unbandiger, sturmischer Wille zunachst der auffallendste

Charakterzug ist.

Es ist sehr notig, mit Nachdruck hierauf zu verweisen;

denn trotz der durchsichtig klaren Exposition ist gerade Parsifal's

Charakter haufig das Opfer der unglaublichsten Missverstand-

nisse, zumTeil vielleicht, weil die ausseren Taten, die Kampfe usw.

dem Wesen des Wort-Tondramas entsprechend auch hier nicht zur

Darstellung gelangt sind, sondern uns nur die Momente inneren

Kampfes, nur die Hohepunkte des Seelenlebens vor Augen gefuhrt

werden, zum Teil vielleicht auch, weil es nach der naiven

Auffassung zahlreicher Manner weniger Charakter beweist, aus

den Armen der Sinnenlust zu fliehen und einer ganzen Mensch-

heit zu Hilfe zu eilen als von beidem das Gegenteil zu tun:

das eine nennen sie „willenlose Dumpfheit" (sic!), das andere

„ungestiime Energie". Und doch batten auch die fruheren

Dichter die Reinheit der sinnlichen Empfindungen als einen

notwendigen Bestandteil dieses Parsifal -Charakters erkannt;

man erinnere sich z. B., wie bezaubernd Wolfram von Eschen-

bach die madchenhafte Keuschheit des vielerprobten, sieg-

Page 163: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 461

gekronten Helden malt (vgl. die Verse 6050 u. ff.). Bei Wagner

hat aber dieser hervorstechende Charakterzug eine hohe drama-

tische Bedeutung erlangt. Wo man in diesem ganzen Werkeeine Spur von monastischen Keuschheitsgeliibden (ausser etwa

bei Klingsor, „dem Bosen iiber den Bergen"), entdecken will,

ist unerfindlich: Titurel, „der heil'ge Held", ist des Amfortas

leiblicher Vater, Parsifal ist der Vater Lohengrin's.') Dagegen

hat das Volk von jeher gewusst, dass die Jungfraulichkeit nicht

allein moralischen, sondern auch psychologischen und physio-

logischen Wert besitzt; es hat namentlich recht gut eingesehen,

dass gerade an diesem bestimmten Punkte das Moralische vomPhysischen gar nicht zu trennen ist. Dass nur ein jungfrau-

licher Held den Drachen erschlagen konne, ist ein alter Zugder Sage und kehrt selbst in den fernstliegenden Volks-

erzahlungen wieder, wie in dem chinesischen Aladdin, wo nicht

der Zauberer, sondern nur ein unschuldiger Jiingling den Schatz

heben darf. Wagner's Siegfried hat noch niemals ein Weibauch nur gesehen, als er Fafner erschlagt. Ehe Siegfried

aber in die Welt zieht, ist Briinnhilde sein Weib geworden.

Den jungfraulichen Siegfried hatte selbst die schlaueste List

des weisen Mime nicht irrefiihren konnen, damals hatte er

die warnende Stimme des Vogleins auf dem Zweige ver-

standen;-) der spatere Siegfried dagegen wird von sinnlichen

Gelusten irregefiihrt und trinkt ahnungslos den Vergessenheits-

trank. Wie Siegfried dem Ungeheuer, so tritt nun der jungfrau-

liche Parsifal der „Ur-Teufelin", der „H611en-Rose" entgegen

und besiegt sie. Dass einzig die durch keinen Sinnengenuss

verletzte, noch jungfraulich ungebeugte Kraft hierzu ausreichen

konnte, ist klar, namentlich aber im Hinblick auf den weiteren

Zusammenhang des Dramas; denn der Schmerz, der tatsachliche,

physische Schmerz, den Parsifal durch Kundry's Umarmungempfindet, ist es, der das Bild des leidenden Amfortas plotz-

lich vor seine Augen heraufbeschwort — und diesen Schmerz

') Den Helden der prinzipiellen Keuschheit hatte Wagner in der

buddhistischen Legende gefunden; er wandte sich aber sehr bald von ihm

ab, wie wir sahen.

2) „Mich diinkt, meine Mutter singt zu mir!" hiess es in der ersten,

I853er Ausgabe des Nibelungenringes, S. 102.

Page 164: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

462 DRITTES KAPITEL

konnte nur ein Unschuldiger, ein „reiner Tor", nicht aber ein

erfahrener Mann empfinden.^)

Die Heftigkeit nun, mit der Parsifal den Schmerz empfindet,

und die unbeugsame Energie, mit der er alien Verfuhrungs-

versuchen zum Trotz aus dem Bannkreise „der bosen Lust"

flieht, ist uns — unter anderem — eine Burgschaft nicht nur fiir

seine Reinheit, sondern auch fur seine grosse physische Kraft

und fiir die ungebandigte Gewalt seines Willens. Wie bei alien

Tatenhelden sind Parsifal's Entschlusse immer plotzlich und

werden bis in ihre aussersten Konsequenzen sofort erkannt und

verfolgt; nicht schnell genug kann er das Ziel erreichen; kaum

hat er im ersten Akt den Schwan erschossen und sich gebriistet:

„Im Fluge treff ich was fliegt", da zerbricht er schon seinen

Bogen und schleudert seine Pfeile weit von sich; kaum hat er

vertrauensvoll das schmerzgebeugte Haupt auf Kundry's Knie

gelegt und den Kuss von ihren Lippen empfangen, da stosst

er sie „heftig" von sich und ruft mit hochster Kraft: „Verderberin!

Weiche von mir!" Will man also hier Buddhismus um jeden

Preis entdecken, so kann das nur insofern gelten, als die vier

ersten Regeln der „heiligen Wahrheit von dem Wege zur Auf-

hebung des Leidens" nach Buddha lauten: „rechtes Glauben,

rechtes Entschliessen, rechtes Wort und rechte Tat".^)

Die geniaie Ist nun die ungestume Macht des Willens dasjenige, waswirkungsart

^^^ ^^ Wagncr's Parslfal zunachst auffallt, so wird hierdurch

doch mehr nur das Aussere seiner Erscheinung erkannt: es ist

gewissermassen das Rohmaterial, iiber das Parsifal verfiigt, es

ist die auch bei ihm gewohnlich latent liegende Kraft, die uns

aber im Drama an einer oder zwei Stellen vorgefiihrt wird, damit

wir die Psychologie dieses heftigen und zugleich stammigen

Charakters vollkommen begreifen und somit die ungeheure In-

tensitat der bestimmenden Eindrucke auf seine Seele verstehen

') Bei dem Unverstandnis, welchem dieser einfache Vorgang bei einem

grossen Teil der Berichterstatter aller Nationen begegnet, ware man versucht

anzunehmen, dass wir heute moralisch noch tiefer als die Franzosen der

Regence gesunken seien. Selbst der lascive Chevalier de Faublas berichtet

von dem brennenden Schmerz, den er empfand, als die Marquise de B. zum

ersten Male die Hande um seinen Hals wand, und er beschreibt seine ver-

zweifelten Versuche, sich ihren Armen zu entwinden!

2) Vgl. Oldenberg, Buddha, 2. Aufl., S. 139.

Page 165: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 463

und mitempfinden. Eine tiefsinnigste Bemerkung Schopenhauer's

wird uns dazu verhelfen, von dieser „Rinde" der Seele in ihr

Mark einzudringen. Der Philosoph schreibt: „Der Wille ist

objekriv betrachtet ein Tor, subjektiv ein Wahn".^) Auch Parsifal

ist zunachst, objektiv betrachtet, ein Tor, als ware er schlechthin

der personifizierte „ Wille"; subjektiv ist aber das Auffallendste

an ihm die Macht, welche Wahnvorstellungen iiber sein Gemiit

gewinnen. Psychologisch ist das jedenfalls vollkommen richtig.

Ob wir uns solche Gestalten wie Napoleon und Alexander

vor Augen rufen, oder ihre Antipoden Buddha und Franzis-

kus von Assisi, immer muss der abnorm entwickelte, Volker

beherrschende oder Zeiten umgestaltende Wille mit einer eben-

so abnorm entwickelten Gabe der Wahnvorstellungen — wie

man sie recht wohl bezeichnen kann — verbunden sein, damit

der Wille auch Grosses leiste. Der blosse Wille ist blind;

er rennt sich den Kopf gegen die erste Wand ein; ein starker

Wille ohne grosse Intelligenz und namentlich ohne entwickelte

Anschauungskraft ist Eigensinn, welter nichts, die „asinorum

virtus". Nun kann aber diese Anschauungskraft nach sehr

verschiedenen Richtungen entwickelt sein, wie die soeben ge-

nannten Beispiele zur Geniige dartun; bei Parsifal kann mansie wohl nicht anders und nicht besser bezeichnen als durch

das Pradikat „genial". Goethe gibt irgendwo eine Tabelle der

„neun moglichen Wirkungsarten": die unterste ist die zufallige,

die oberste die geniale. Die Wirkung, die Parsifal um sich

verbreitet, die Art, Werke zu wirken, die ihm von seiner

Natur bestimmt ist, ist die geniale; sie bewahrt sich als

solche dadurch, dass er nicht allein Anschauungskraft besitzt,

sondern dass die Intuition bei ihm die Reflexion stets iiber-

wiegt, und namentlich auch dadurch, dass er iiberall das

gegebene Einzelne durchschaut und ein dahinter liegendes

Ewiges erblickt. Der Wahnsinnige erblickt etwas anderes

an Stelle des wirklich Vorhandenen — ein Grashalm diinkt

ihn eine Rose, sein eigenes Gesicht im Spiegel der Mond;der Geniale lebt freilich ebenfalls in einer anderen Welt,

nicht aber well seine Vision verzerrt ware, sondern insofern er

mehr sieht als ein anderer und infolge dieses scharferen Blickes

') Schopenhauer, Samtliche Werke, III, 407.

Page 166: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

464 DRITTES KAPITEL

namentlich eines umfassenden Zusammenhanges zwischen den

weitest abliegenden Phanomenen der Natur unmittelbar gewahr

wird.^) Die „geniale Wirkung" erzeugt ebenEinheit. Wie Leibniz

sagt : ^e grosser eine Kraft, je mehr zeigt sich dabei : Viel aus einem

und in einem". Diese Art der Anschauung aber ist im Gegen-

satz zur gedankenreichen, philosophischen die kiinstlerische,

geniale. Und sagt Wagner von der edelsten Kunst, ihr Ziel sei,

„an die Stelle des Ernstes des Lebens tretend, dem Menschen

die Wirklichkeit wohltatig in den Wahn aufzulosen, in welchem

sie selbst, die ernste Wirklichkeit, uns endlich wiederum nur

als Wahn erscheint" (Uber Staat und Religion, VIII, 37) — so

sind diese Worte eine genaue Beschreibung der intellektuelien

Beschaffenheit Parsifal's. Er ist nicht der „Kunst schaffende",

wohl aber der „Kunst lebende" Mensch, ein Zustand, nach demder Meister nicht selten in seinen friiheren Briefen voll Sehn-

sucht wie nach der Verheissung einer schoneren Zukunft aus-

schaute (vgl. z. B. U. 147). Oft pflegt man Wagner mit seinen

verschiedenen Helden zu vergleichen, als hatte er sich in ihnen

verkorpert (zumeist mit Tannhauser, einige besonders phan-

tasievolle Kommentatoren sogar mit Walter von Stolzing!);

darauf muss jedoch entgegnet werden, dass Rienzi vom Genie

doch mehr nur den Adel, Tannhauser das Temperament, Lohen-

grin das Gemiit, Tristan die verzehrende Leidenschaftlichkeit,

Wotan das unergriindlich tiefe Denken, Hans Sachs das uner-

messlich weite Herz besitzt. In Parsifal dagegen offenbart sich

Genie! Genial sind sowohl die unbeugsame Kraft seines Willens,

wie auch seine besondere Gabe, die Wirklichkeit als ein „Welten-

wahnsumnachten" zu erkennen, dies zu durchschauen und nun

in einem eigenen Wahngebilde die tieferliegende Wahrheit zu

erfassen, so dass er, von ihrem Lichte gefiihrt, Taten siegreich

vollbringt, deren Ausfiihrbarkeit sonst jeden unmoglich diinken

miisste. Insofern birgt ein Vergleich zwischen Wagner und

') Was sich das Publikum heutzutage von einer Afterwissenschaft

bieten lasst, ist unglaublich. Weil einige geniale Manner an Krampfen ge-

litten haben, lehrt Professor Lombroso, das Genie sei eine Art Neben-

erscheinung der Epilepsie! Und in ahnlicher Art bringt er Genie und Wahn-

sinn unter einen Hut, wobei er die eine Kleinigkeit iibersieht, dass, was Genie

von gewohnlichen Fahigkeiten und in allererster Reihe vom Wahnsinn

spezifisch unterscheidet, eine abnorm entwickelte Besonnenheit ist!

Page 167: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 465

Parsifal mehr Wahrheit als jeder andere, wenngleich solchen

Betrachtungen gewiss kein allzugrosser Wert beizumessen ist.

Wer sich gern an der Hand eines Fiihrers iiber die hochst Der Heia au

bemerkenswerte und in der Geschichte des Dramas ganz neue^"^"

Art, in welcher in Parsifal die Handlung durchgefuiirt wird,

orientieren will, den verweise ich auf mein Drama Richard

Wagner's, wo ich diesen Gegenstand so eingehend hehandelt

habe, dass ich nur wenig Neues hinzufiigen und folglich michnur selber wiederholen konnte. Hier wie bei den friiheren

Dramen aus der zweiten Lebenshalfte besteht das Wesentliche

darin, dass die Handlung eine ganz innere ist. Der unentbehr-

liche, fest-bestimmte Mittelpunkt ist der Gral: er ist ja das

sichtbare Symbol, welches die Vorgiinge in Parsifal's Herzenund die Vorgange in der Umgebung miteinander verkniipft.

Indem der Held als stummer Zuschauer der Szene im Grals-

tempel beiwohnt; indem er die Klagen des Amfortas und die

Gesange vernimmt, die von Glaube, Liebe und Hoffnung sagen;

indem er des Segens teilhaftig wird, das gottliche Gefass ent-

hiillt erschauen zu diirfen und die gottgestarkten Ritter den

Bruderkuss austauschen zu sehen: empfangt er die fiir sein

ferneres Leben bestimmenden Eindriicke; zugleich ist hierdurch

auch die Einheit der Musik gegeben und die Moglichkeit, die

Tone, die zunachst das Bild gleichsam nur umranken (die

Klagelaute des Amfortas, die Gesange im Gralstempel usw.),

zu der Sprache zu gestalten, welche uns die Vorgange in Parsifal's

innerstem Herzen offenbart. Das eigentliche, wahre Dramasind nun diese Vorgange — oder vielmehr ist dieser eine Vor-

gang: die allmahliche Entwickelung des Toren, der blindlings

seinem ungestiimen Willen folgte, zu dem vollbewussten Manne,der sich zur Erfullung einer hochsten Aufgabe bestimmt er-

kennt, der seinen Willen in den Dienst dieses Hochsten biindigt

und der mit Hilfe dieser geliiuterten Willenskraft zahllose Note

uberwindet, „Kampfe und Streite" besteht, bis er zuletzt als

der starkste aller Helden gekront wird. Von der Impotenz

willensschwacher Keuschlinge ist wahrlich hier nichts zu spiirenl

In Parsifal, dem Werk seiner letzten dreissig Lebensjahre, hat

der Meister das vollbracht, was dem Wortdrama ewig versagt

bleiben musste: er hat einen tragischen Helden geschaffen, der

als Sieger aus dem Lebenskampf hervorgeht.

Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 30

Page 168: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

466 DRITTES KAPITEL

Wolfram's

Parsifal

Eirien Vergleich mit dem gereimten Roman Wolfram's

von Eschenbach (haufig, aber allzu euphemistisch „Epos« ge-

nannt) werde ich nicht anstellen. Das bei Gelegenheit des

Tristan Ausgefiihrte gilt auch hier. In seiner allerersten

Schaffenszeit hat Wagner Romane (Gozzi, Bulwer, Shakespeare's

dramatisierten Roman „Mass fUr Mass") als Unterlage fur seine

dramatischen Gestaltungen benutzt; spater nicht; warum nicht,

hat er im zweiten Tell von Oper und Drama ausfiihrlich dar-

gelegt. Viele wollen Wolfram's Gestaltung dieser aus Frank-

reich und aus dem Orient stammenden Sage schoner als die

Wagner's finden; es diirften aber verhaltnismassig wenige die

funfundzwanzigtausend Verse Wolfram's uberhaupt durchgelesen

haben; man begreift auch gar nicht, wie Leute das fertig bringen

sollten, denen die fiinfunddreissig Minuten wahrende Szene

zwischen Parsifal und Kundry schon zu lang vorkommt. Und

wer in allem Ernste Wolfram's Beschreibung der Speisung

durch den Gral

„Wonach einer bot die Hand,

Da er alias stehen fand:

Speise warm, Speise kalt,

Speise neu und wieder alt,

Fisch und Fleisch, Wild und Zahm **

schoner findet als Wagner's

Religiose

Deutungen

mit dem lasst sich nicht rechten.

Noch weniger Veranlassung finde ich, auf das Ethische

und Religiose, das man als die Tendenz des Parsifal hinzu-

stellen bestrebt ist, mich naher einzulassen. In seinem Auf-

satze Uber das Wiener Hof-Operntheater (VII, 376) erwahnt

Wagner die bekannten Worte Kaiser Joseph's II.: „Das Theater

soil zur Veredelung der Sitten und des Geschmackes der

Nation beitragen" und macht dazu die folgende Bemerkung:

„Fur die praktische Anwendung wurde dieser Satz vielleicht

Page 169: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 467

noch bestimmter so formuliert werden miissen: es soUe durch

Veredelung des Geschmackes auf die Hebung der Sitten der

Nation gewirkt werden. Denn offenbar kann die Kunst nur

durch das Medium der Geschmacksbildung auf die Sittlichkeit

wirken, nicht unmittelbar". Diese Worte gelten auch fur Parsifal.

Parsifal ist keine Sittenlehre oder gar Religionslehre, sondern

die kiinstlerisclie Darstellung eines grossen und im edelsten,

stolzesten Sinne des Wortes religiosen Charakters. Gedenkenwir der Mahnung Herder's: „Der Kunstgeschmack kann ebenso

leicht weggebetet als wegstudiert werden; einmal vertrieben,

kommt er selten oder spat wieder". Nur eine Bemerkungdiirfte in dieser Beziehung nicht unwichtig diinken : in Parsifal—wie in Tannhduser — geniesst der Autor des Vorteils, der den

griechischen Dichtern so sehr zu statten kam, dass er sich

namlich an allgemein bekannte, in uns noch lebendige mythisch-

religiose Vorstellungen wendet. Der klassischen Einfachheit

des Dramas gereicht dieser Umstand zu grossem Vorteil. Imiibrigen ist aber auf das, was ich friiher bemerkt habe, hinzu-

weisen, dass in Parsifal Wagner das Dogmatische und Historisch-

Christliche seines 7^5MS von Nazareth ganzlich entfernt und das

Ethisch-Tendenziose seines Entwurfes Die Sieger bis auf die

letzte Spur vertilgt hat.

Von tieferem und rein kiinstlerischem Interesse diirfte es DemeueBegrnr

dagegen sein, jetzt, wo die vier grossen Dramen aus der Periode'i" dram^^^hen

o <=> J I J o Handlung

von Wagner's bewusstem SchafFen in einer neuen Kunstform

vor uns liegen, uns voile Klarheit iiber den neuen Begriff der

Handlung zu verschaffen, der uns in diesen Werken enthiillt

wird. Offenbar ist das nicht bloss von asthetischem, sondern

geradezu von „biographischem" Interesse, da dieses Erfassen

des innersten Kernes nicht das hervorragendste Merkmal von

Wagner's Werken sein konnte, ware es nicht ein uber alles

charakteristisches Kennzeichen seines eigenen Intellektes.

Ein vergleichender Ruckblick ist hier notig.')

') Die folgende Ausfiihrung ist zum Teil in wortlicher Anlehnung an

mein Drama Richard Wagner's verfasst, S. 69 ff. (2. u. ff. Aufl., S. 71 ff.)

30*

Page 170: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

468 DRITTES KAPITEL

Wie sehr auch von jeher das Ziel der edelsten drama-

tischen Dichtung auf die Kundgebung innerer Seelenvorgange

gerichtet war, so konnten diese doch nie unmittelbar, sondern

immer nur mittelbar — durch die Bewegungen des Korpers

und durch die Bewegungen des Verstandes — zur Darstellung

gebracht werden. In dem Drama Wagner's nun, das ich kurz-

weg als „das deutsche Drama" zu bezeichnen vorschlage — so

sehr entspricht es und entspringt es dem innersten Bediirfnis

des deutschen Geistes und Gemiites — im Drama Wagner's

kommt zu den Bewegungen des Korpers und des Verstandes

die unmittelbare Kundgebung der Bewegungen der Seele

durch die Musik.

Welche tiefe, fur uns Moderne fast unerfassliche Be-

deutung die Musik fiir das ganze Leben der Griechen besass,

ist bekannt: Musik und Gymnastik waren zu dieser Blutezeit

der Kunst die Grundlage aller Bildung. In seinem Beethoven

fiihrt Wagner aus: „Uns muss es diinken, dass die Musik der

Hellenen die Welt der Erscheinung selbst innig durchdrang,

und mit den Gesetzen ihrer Wahrnehmbarkeit sich verschmolz.

Die Zahlen des Pythagoras sind gewiss nur aus der Musik

lebendig zu verstehen; nach den Gesetzen der Eurhythmie baute

der Architekt, nach denen der Harmonie erfasste der Bildner

die menschliche Gestalt; die Regeln der Melodik machten den

Dichter zum Sanger, und aus dem Chorgesang projizierte sich

das Drama auf die Biihne" (IX, 145). Eine musikalische

Atmosphare umgab also das ganze griechische Leben, und wir

diirfen nicht zweifeln, dass auch im Drama, selbst abgesehen

von dem nie hoch genug anzuschlagenden Einfluss der Musik

auf die Versbildung uberhaupt, dem Gesang keine unbedeutende

Rolle zufiel, namentlich fiir die Erweckung einer feieriich-reli-

giosen Stimmung, aber auch fiir die Hinleitung auf kriegerische

Oder heitere oder schauerliche Empfindungen. Der ganze

Aufbau des griechischen Dramas zeugt uns aber dafiir, dass in

ihm die Musik keinen eigentlich kiinstlerisch-konstruktiven

Bestandteil bildete. Der unentwickelte Zustand der Tonsprache

neben der hohen Vollkommenheit der Wortsprache geniigt

auch, die Unmoglichkeit einer niiheren Beteiligung der Musik

an der Verwirklichung der eigentlichen dramatischen Absicht

ohne weiteres begreiflich zu machen. Auch dem Gesicht fiel

Page 171: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 469

in ahnlicher Weise eine nur allgemeine, stimmungerweckende

RoUe zu. Die auf liohem Kothurn iibermenschlich gross

daherschreitende Gestalt, der weithin sichtbare Ausdruck der

unbeweglichen Maske sind gewiss auf den naiv empfang-

lichen Zuschauer nicht ohne Wirkung geblieben; aber wieder-

um handelt es sich bloss um ein Allgemeines, nicht um einen

organisch-lebendigen, sich fortentwickeinden Bestandteil des

kiinstlerischen Ausdruckes. Gesicht und Gehor dienen foiglich

im griechischen Drama nur Wirkungen, die gewissermassen

nebenherlaufen und den Eindruck des Ganzen erhohen sollen.

Das eigentliche Kunstwerk wendet sich ausschliesslich an den

Verstand. Monologe, Dialoge und Dispute, die Berichte vonAugenzeugen bei Handlungen, welche nie auf der Biihne —vor unseren Augen — ausgefiihrt werden, dazu die Eindriicke,

die das Ganze auf die Umstehenden (den Chor) macht, das

sind die Elemente, aus denen das griechische Drama sich auf-

baut. Immer und iiberall ist es das Wort, also das Organ des

Verstandes, welches einzig und allein uns die Handlung offen-

bart. Die beruckende Schonheit des Wortes, seines einzigen

kiinstlerischen Organes, musste foiglich das Ziel des Dichters

sein: durch das Wort allein konnte er hoffen, das Bild vor

die Augen des Zuschauers zu zaubern; in das Wort musste er,

so viel nur moglich, jene unvergleichliche, das Unsagbare ver-

kiindende Macht der Musik hineinzuheimsen suchen.

Das in Shakespeare seinen Hohepunkt erreichende Dramader Renaissance unterschied sich nun wesentlich dadurch vomantiken Drama, dass es zum Verstande, d. h. also zum Worte,

das Auge hinzunahm. An Stelle der Maske — die wechselnden

Gesichtsziige; an Stelle des schwerfalligen Kothurnschrittes —die schnelle Bewegung und die wie ein Blitz in das Innere

des Menschenherzens hineinleuchtende Gebiirde; an Stelle der

Erzahlungen — die vor unseren Augen tatsachlich ausgefuhrten

Szenen. Man wirft ein, Shakespeare's Biihne habe wenig oder

keine „Szenerie" besessen. Das ist durchaus nebensachlich; als

leibhaftiger Mensch bewegte sich der Schauspieler fast mitten

unter den Zuschauern; keine Muskelzuckung ging diesen ver-

loren; die gemalte Leinwand im Hintergrund hatte auch per-

spektivisch bei dieser Anordnung der Biihne wenig Sinn ge-

habt. Ausserdem darf nicht ubersehen werden, dass, wenn

Page 172: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

470 DRITTES KAPITEL

auch die Szenerie als „Dek:oration" wenig zu bedeuten hatte,

die Kostiime hochst realistisch getreu waren und die Maschinerie

(unter Shakespeare's eigenem Antrieb) sich zu hoher Voll-

kommenheit entwickelte. Dass durch diese Mitwirkung des

Auges als kiinstlerisch konstruktiven Organes der Begriff

der „dramatischen Handlung" eine tiefeingreifende Umgestal-

tung erfuhr, ist offenkundig. Ich habe schon im voran-

gehenden Kapitel Herder's Wort zitiert: „Sophokles undShakespeare haben als Trauerspieldichter nur den Namen ge-

mein; der Genius ihrer Darstellungen ist ganz verschieden".^)

Fiir den Zweck meiner jetzigen AusfUhrung mochte ich aber

nur auf einen einzigen Unterschied zwischen dem antiken

Drama und dem Shakespeare's aufmerksam machen: die Hinzu-

nahme des Auges bewirkte eine Verinnerlichung des Dramas.

Der Held tritt uns jetzt weit unmittelbarer entgegen; wir

schauen ihm nicht allein ins Auge, sondern auch tiefer ins

Herz. In dem antiken Drama, wo die ausseren Begebenheiten

nur erzahlt wurden, wuchs diese sichtbare — und doch nicht

gesehene — Handlung dadurch fast zur Hauptsache heran;

denn sie benotigte zahlreicher und ergreifender Erzahlungen;

hier dagegen, wo sie vor unseren Augen vollfiihrt wird, ver-

liert sie an Bedeutung gegeniiber den Seelenvorgangen der sie

Ausfuhrenden. Immer mehr Platz nehmen diese Seelen-

vorgange im Drama ein. Der Begriff „dramatische Handlung*

wird hierdurch gleichzeitig erweitert und verinnerlicht. Aufdiesem Wege gelangen wir zu einer sehr wichtigen Einsicht:

ohne die Mitwirkung des Auges hatte das Drama niemals die

Darstellung solcher Stoffe wie Hamlet und Lear, die schon

fast reine Seelentragodien sind, unternehmen konnen. Die

Bedeutung des Wortes als beschreibenden Ausdrucksmittels

hat auch konsequenterweise hier abgenommen; dagegen ist der

musikalische Wert der Shakespeareschen Sprache noch immerein so grosser, dass die Ubersetzungen seiner Werke zumOriginale sich so verhalten wie Skelette zu einem bliihenden

Jungling.

Richard Wagner nun, der von seinem Verfahren selber

sagt, es habe „unseren grossen (deutschen) Meistern von je auch

') Vgl. S. 315.

Page 173: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 471

nahe gelegen" (VII, 175), nimmt zum Verstand und zum Auge

als kiinstlerisch-konstruktives Ausdrucksmittel noch das Ohrhinzu, das heisst also, nicht das Ohr als bloss materielles Organ

zur Vermittelung der Verstandessprache, sondern den musi-

kalischen Gehorsinn, durch welchen die innersten Seelen-

bewegungen des Handelnden sich ganz unmittelbar und mit einer

Bestimmtheit, die sich nicht in Worten wiedergeben lasst, der

Seele des Lauschenden mitteilen. Um das zu konnen, musste

natiirlich im Laufe der Jahrhunderte erst die Musik eine Aus-

bildung erfahren haben, durch welche ihre Ausdrucks- undBiegungsfahigkeit sie auf die selbe Stufe wie die Wortsprache

stellte; namentlich musste sie — um fiir das Drama tauglich zu

werden — eine unbeschrankte Beweglichkeit erlangen. „Die

Erfindung der modernen Musik", schreibt der Meister, „ist, dank

den einzig grossen deutschen Meistern, das letzt ermoglichende

Element der Geburt einer dramatischen Kunst geworden, von

deren Ausdruck und Wirkung der Grieche noch keine Ahnunghaben konnte. Jede Moglichkeit ist gewonnen, das Hochste zu

erreichen" {Deutsche Kunst und deutsche Politik, VIII, 86). Warnun der dramatische Dichter durch die kiinstlerische Mit-

betatigung des Auges imstande gewesen, einen Hamlet als

vollendet schone Handlung zu gestalten — was dem blossen

Verstandesdrama der Griechen nie hatte gelingen konnen — so

hat Wagner in ahnlicher Weise einen Schritt iiber den Dichter

des Hamlet hinausgetan. Zu dem widerspiegelnden, schildernden

Verstande, zu dem unmittelbar iiberzeugenden Auge hat er die

Offenbarungen der Musik aus der unsichtbaren Welt des inneren

Menschen hinzugenommen. Hierdurch aber hat sich wohlmehr als ein blosser „Fortschritt« vollzogen; das Drama hat

nunmehr jene Sprache gewonnen, die wir es von allem Anfangan zu erlangen bemiiht sehen. Denn immer war das Unnennbare,

das Unsagbare des Dramas Ziel gewesen; immer hatten seine

Schopfer erkannt: „In Wahrheit ist die Grosse des Dichters

am meisten darnach zu ermessen, was er verschweigt, um uns

das Unaussprechliche selbst schweigend uns sagen zu lassen".

Wie sollten sie aber schweigen? War doch das Wort fur sie

ein unentbehrliches Verstandigungsmittel ! Selbst noch mit seinem

letzten Atemzug muss Hamlet sprechen; sonst wiissten wir nichts

mehr von ihm; mit einem tiefen Seufzer letzter Erlosung fliistert

Page 174: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

472 DRITTES KAPITEL

er: „Der Rest ist Schweigen". Dieses Verschwiegene nun —das aber das Tiefste, Ewigste, Wahrste, was aus der Menschen-brust hervorquillt, in sich birgt — dieser „Rest" ist es, den „der

Musiker zum hellen Ertonen bringt"; denn ihm steht eine neue

Sprache zur Verfiigung, „eine Sprache, in der das Schranken-

loseste sich nun mit unmissverstandlicher Bestimmtheit aus-

sprechen kann". Und man wahne nicht, die Musik konne das

allein und aus eigenen Kraften vollbringen; das kann sie nicht

(vgl. Kunstlehre, S. 303). Wagner wusste das von allem

Anfang an; nie hat seine musikalische Gestaltung der Wort-

sprache und des szenischen Bildes entraten zu konnen gewahnt;

nur im Drama kann die Musik Gestalt werden, nur im Dramakann sie aus dem Reich der Willkiir in das Reich der Not-

wendigkeit treten; dieses hochste menschliche Kunstwerk, das

Drama, war darum auch stets sein Ziel. Gerade weil er ein

so grosser Musiker war, musste er das Drama wollen. Wiedas Sophokleische so solhe auch sein Drama die bestimmte, nur

mit Hilfe des Verstandes klar zu erfassende Situation zeigen,

und wie das Shakespearesche die bestimmte, individualisierte

Gestalt, den bestimmten Vorgang; zugleich aber solhe mit

Beethovenscher Untriiglichkeit in der „begreiflichen" Situation

das Unbegreifliche, in der bestimmten Gestalt der Mensch,

in dem ausseren Vorgang die wahre, innere Seelenhandlung

offenbart werden. Mit ungestiimer Macht sollte uns die Musik

hinreissen, wie Parsifal von seinem Willen fortgerissen wird,

und uns dem Dichter gefiigig machen. Das war aber nur ein

Erstes, ein Ausserliches, Vorbereitendes. Dann sollte sie uns

lehren, iiberall wie Parsifal bis in das Innerste, Verborgenste

zu schauen; sie sollte uns lehren, „die Halme, Bluten und

Blumen lieblich traut zu uns sprechen" zu horen, uns lehren,

im eigenen Schmerz den Schmerz „der Briider in grausen

Noten" zu erkennen, in der eigenen Klage „die Gottesklage"

zu vernehmen. Wiederum ward, wie friiher beim Shakespeare-

schen Drama im Verhaltnis zum griechischen, jetzt im Verhaltnis

zum Shakespeareschen der Begriff der dramatischen Handlung

zugleich verinnerlicht und verallgemeinert: verinnerlicht, weil

der Ton das einzige Medium ist, mit dem wir in das unsicht-

bare Innere hineindringen konnen, verallgemeinert, weil die

Musik nie dem Speziellen, Individuellen, sondern dem All-

Page 175: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 473

gemeinen gilt, so dass ihre Mitwirkung uns das Biihnenbild

mittelbar als Gleichnis empfinden lasst und es ohne jegliche

Reflexion unsrerseits zu der Wiirde eines etwas Unendliches

in sich fassenden Symbols erhebt.

Wagner konnte also — und er konnte nicht bloss, er

musste — Handlungen zur verstandnisvollsten, iiberzeugendsten

Darstellung bringen, an die ein Sophokles und ein Shakespeare

sich niemals hatten heranwagen konnen. In den Meistersingern

sahen wir eine ergreifende Handlung fast wortlos, allein

durch die beredte Sprache der Musik (in Verbindung mit den

sichtbaren Vorgangen) sich in ihrer ganzen Entwickelung vor

uns entrollen; im Ring des Nibelungen konnte die Handlungin die Seele eines iibermenschlichen Helden gelegt, dadurch

weltumfassend gestaltet und der notwendige tragische Fortgang

von einer Generation zur anderen verfolgt werden, ohne dass

die formale Einheit im geringsten darunter zu leiden gehabt

hiitte, im Gegenteil, indem sie immer machtiger und bestimmter

das ungeheure Ganze durchdrang; in Tristan und Isolde

durften die Helden schon im ersten Akte fiir die umgebendeWelt ersterben, so dass fast nur noch jenes „intimste Zentrum

der Welt", das Bewusstsein des eigenen Selbst, iibrig blieb, in

welchem nun die verzehrendste Handlung sich durch zwei Akte

hindurch vollzog; in Parsifal schliesslich ist wieder dem Auge

(wie in den Meistersingern) und dem Verstande (wie im Tristan)

eine Hauptrolle zugewiesen; indem aber hier Bild und Wort

in das Herz des Helden hineindringen, erfahren sie eine zu-

nehmende Verklarung, und wir werden durch das plastische

Biihnenbild der von Parsi/a/ empfangenen Eindriicke, verbunden

mit der Zaubermacht des alles Unausgesprochene seines Herzens

ofFenbarenden Tones, dahin gefiihrt, selber die Welt durch das

Auge des Genies zu erblicken.

Das sind die Tiefen, zu denen uns Wagner's Kunstwerke

hinfiihren; das ist sein Begriff der Handlung.

Ehe ich dieses Kapitel schliesse, mochte ich in wenigen Richard wagne

Worten dessen Hauptergebnis in seiner Beziehung auf das

Thema dieses Buches — Richard Wagner — zusammenfassen.

Page 176: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

474 DRITTES KAPITEL

Bei einer gerechten, unbeeinflussten Betrachtung von

Wagner's gesamtem dramatischen Schaffen werden wir uns der

Einsicht nicht verschliessen konnen, dass — ahnlich wie das

griechische Drama in Sophokles, das spanische in Calderon,

das englische in Shakespeare — das deutsche Drama in Wagnereinen Hohepunkt erreicht hat. Hiermit will ich nicht den

Bayreuther Meister iiber die anderen grossen deutschen Dichter

in Worten und Tonen stellen; jeder schopferische Geist steht

allein und entzieht sich der vergleichenden Wertschatzung. In

der Geschichte eines Volkes kommt aber eine Zeit, wo alles,

was die Eigenartigkeit seiner Seele ausmacht, sich ausgebildet

und wo es auch nach und nach sich die Werkzeuge geschaffen

hat, die zur vollendeten Kundgebung dieser besonderen Seele

vonnoten sind. Diese Angemessenheit des Ausdrucks kommtaber nur allmahlich zustande, weil erst allerhand technische

Probleme durch ungezahlte Versuche gelost werden miissen

(Versuche, die im Grunde alle aus der Sehnsucht jener selben

nach Ausdruck ringenden Seele hervorgehen,) und auch weil

die geschichtliche Entwickelung des Volkes erst eine bestimmte

hohe Reife erlangt haben muss, ehe sie die Bliiten ihrer ur-

eigensten Kunst tragen kann. Bis zu Richard Wagner hat nun

die hochste Kunst, namlich die dramatische, in Deutschland

keine durchweg originelle, ganz aus ihrem eigenen Bediirfnis ent-

sprungene und zugleich ihrem ganzen eigenen Bediirfnis ent-

sprechende Form hervorgebracht: das rezitierte Drama lehnte

an das englische oder griechische an, das lyrische Drama (wo

es Uberhaupt ernst zu nehmen war) an das italienische oder

franzosische.^) Alle grossen Deutschen haben die Notwendig-

keit einer neuen, dem deutschen Gemiit genau entsprechenden

Form gefiihlt: sie haben den Mangel dieses „deutschen Dramas"

schmerzlich empfunden. Manche haben auch genau gewusst,

dass dieses „deutsche Drama" nur durch die Verschmelzung des

reichsten lyrischen Gefiihlsausdrucks mit unbeschrankter Ge-dankentiefe — also durch die Verschmelzung von Ton und Wort

— wiirde entstehen konnen; ja, kurz nach Wagner's Geburt

') Hier sagt Anlehnung sogar zu wenig; denn solche Manner wie Handel,

Mozart und Gluck schufen tatsachlich italienische und franzosische Werke,

die nur auf dem entstellenden Wege der Ubersetzung dem deutschen Volke

uberhaupt bekannt werden konnten.

Page 177: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

MONCHEN 1865

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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 475

sehen wir Manner wie Hoffmann und Weber das Problem genau

dort angreifen, wo es mit Hoffnung auf Erfolg angefasst werdenmusste. Es war also alles bereit: der „deutsche Shakespeare",

der biihnengewaltige Beethoven brauchte nur aufzutreten, unddas langersehnte Drama war da.

Richard Wagner's Dramen bezeichnen somit einen Gipfel-

punkt; das kann nicht bezweifelt werden. Ob wir mehrere

„Wagner" erleben werden? Ob des Meisters Behauptung, „in

diesem Drama wiirde ewig neu zu erfinden sein", sich durch

eine Reihe jjneuerfundener" Meisterwerke anderer Dichter be-

wahrheiten wird? Die Erfahrungen der Geschichte lassen es

kaum erwarten. Am hoffnungsvollsten gestaltet sich die Aus-sicht, wenn wir uns mit Schiller und Wagner dazu bringen

konnen, an eine neue, kiinstlerische Gestaltungder menschlichen

Gesellschaft zu glauben — an eine Regeneration, aus der jene

unvergleichliche „gemeinsame Kunst" hervorgehen wiirde. Dass

gerade die deutschen Kiinstler das ersehnt haben; dass sie nicht

stolz auf ihre Sonderstellung, sondern ungliicklich dariiber waren;

dass sie wie Wagner's Lohengrin „aus der Hohe nach der

Tiefe sich sehnten": das ist wohl sehr bezeichnend fiir die

deutsche Eigenart. Vielleicht hat aber auch die unendliche Sehn-

sucht nach dem „Verstandensein durch die Liebe" (IV, 362)

diese grossen deutschen Manner zu Hoffnungen verleitet, welche

sich als nicht minder eitel erweisen werden als die Lohengrin's.

Gleichviel! Wie der Meister in einem Fragment schreibt: „Es

geahnt, erschaut, gewollt zu haben, das mogliche ,Es konnte!*

— geniigend: zu was der Besitz? Der schwindet," Ausserdemstehen Wagner's Kunstwerke in keinerlei Abhangigkeit vonseinen theoretischen Lehren und Uberzeugungen, ebensowenig

wie von seinen politischen, philosophischen und regeneratorischen

Ideen; diese haben (wie alles Theoretische, Diskursive) nur

relativen Wert — von jenen gilt dagegen im eminentesten Massedas Wort Schopenhauer's, das ich in der Einleitung zu diesem

Kapitel anfuhrte, geniale Kunst sei uberall „am Ziel«. Ja, mit

den dramatischen Werken Richard Wagner's ist sogar eine

machtige, jahrhundertelang wahrende, Dicht- und Tonkunst um-fassende Entwickelung „am Ziel".

Page 180: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

ANHANGUbersicht der Werke Richard Wagner's

Der Ubersichtlichkeit wegen habe ich drei Reihen auf-

gestellt: dichterische Werke, musikalische Werke, dramatische

Werke. In einigen Fallen, z. B. beim Liebesmahl der Apostel,

bei dem Gesang an Weber's Grate u. a. ist die Entscheidung,

in welche der beiden ersten Reihen sie kommen soUen, ziem-

lich willkiirlich, da Text und Musik, beide, von Wagner sind;

ich habe sie jedoch ohne Bedenken zu den rein musikalischen

Schopfungen gestellt. Die rein dichterischen Werke, die vomMeister weder veroffentlicht noch in den bisher von ihm er-

schienenen Schriften erwahnt werden, sind nicht aufgezahlt

worden.

Wie iiberall so war ich auch hier auf moglichste Ver-

einfachung bedacht; ich habe nur so viele Zahlen aufgenommen,

wie mir zu einem allgemeinen Uberblick notig und niitzlich

schien; Ortsbezeichnungen habe ich als ganzlich irrelevant

moglichst vermieden.

Mit Ausnahme einiger Daten, die auF den Fliegenden

Holldndery den Nibelungenring und Parsifal Bezug haben, sind

meine Angaben nicht den Originalmanuskripten entnommen,

sondern den Briefen Wagner's und den Schriften der Herren

Glasenapp,Tappert, Kastner(H^agn£?r-J^afa/og) und Dannreuther.

DICHTERISCHE WERKEPreisgedicht auf den Tod eines Mitschulers, November 1825. (Damals im

Druck erschienen, aber bisher nicht wieder aufgefunden.)

(Friedrich der Rotbart, 1848.)

Page 181: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

ANHANG 477

Rheingold (Ein kurzes Gedicht), 1869.

Bei der Vollendung des Siegfried, 1869.

Zum 25. August 1870.

An das deutsche Heer vor Paris, Januar 1871.

{Eine Kapitulation, Lustspiel in antiker Manier, 1870—71.)

MUSIKALISCHE WERKEnPaukenschlagouvertiire", B-dur, 1830 (?). — Aufgefiihrt im Hoftheater zu

Leipzig im Winter 1830.

Sonate fiir Klavier, B-dur, 1831. (Bei Breitkopf 1832 erschienen.)

Polondse fiir Klavier zu vier Handen, D-dur, 1831. (Mit vorigem zugleich

erschienen.)

Phantasie fiir Klavier in Fis-moll, 1831. (UnverofFentlicht.)

Konzert-Ouvertiire, D-moll, komponiert 26. Semptember 1831, umgearbeitet

4. November 1831. — Aufgefiihrt im Leipziger Gewandhaus am23. Februar 1832.

Beethoven's IX. Symphonie fur Klavier fiir zwei Hande eingerichtet, 1831.

Konzert-Ouvertiire, C-dur, mit grosser Fuge am Schluss, 1831. — Aufgefiihrt

1832, zuerst in den Euterpe-Konzerten, dann am 30. April 1832 im

Gewandhaus.

Sieben Kompositionen zu Goethe's Faust, 1832:

1. Lied der Soldaten.

2. Bauern unter der Linde.

3. Brander's Lied.

4. Lied des Mephistopheles („Es war einmal ein Konig").

5. Lied des Mephistopheles („Was machst du mir vor Liebchens

Tur"').

6. Gesang Gretchens („Meine Ruh' ist hin").

7. Melodram Gretchens („Ach neige, du Schmerzensreiche").

Ouvertiire zum Trauerspiel „Kdnig Enzio"', 3. Februar 1832. — Kam als Ein-

fiihrung zu Raupach's Drama im Leipziger Hoftheater haufig zur Auf-

fiihrung.

Symphonie, C-dur, Marz 1832. — Aufgefiihrt in Prag Sommer 1832; im

Leipziger Gewandhaus am 10. Januar 1833; in Venedig am 24. De-

zember 1882.

Symphonie, E-dur, Sommer 1834. (Fragment.)

Neujahrskantate, Dezember 1834. — Aufgefiihrt am Sylvesterabend (?)

1834—35 in Magdeburg.

Ouvertiire zu Apel's Schauspiel „Columbus'^, 1835. — Aufgefiihrt in Magde-

burg 1835; spater in Riga und Paris.

Musik der Zauberposse „Der Berggeist", 1835. (Nach Glasenapp bedarf

die Legende, dass Wagner die Musik zu dieser Posse verfasst habe,

der Bestatigung.) — Aufgefuhrt in Magdeburg 1835.

Page 182: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

478 DRITTES KAPITEL

Ouverture „Polonia", 1836.

Ouvertiire „Rule Britannia", Ende 1836 oder Anfang 1837. — Aufgefuhrt in

Konigsberg Marz 1837.

Romanze in G-dur, Text von Holtei, August 1837. (Einlage zu dem Singspiel

„Mary, Max und Michel" von K. Blum.) — Aufgefiilirt in Riga 1837.

Volkshymne zur Tlironbesteigung des Kaisers Nikolaus, November 1837. —In Riga am 21. November 1837 und spater ofters aufgefuhrt.

Der Tannenbaum, Lied in livlandischer Tonart (Es-moll), Text von Scheuer-

lin, 1838.

Les deux Grenadiers, Lied; franzosischer Text von Heine, 1839.

Drei Romanzen, 1839—40:

1. Dors, mon enfant (Text von Victor Hugo).

2. Attente (Text von Victor Hugo).

3. Mignonne (Text von Ronsard).

Les adieux de Maria Stuart (? nicbts weiteres ist von dieser einmal von

Wagner erwahnten Komposition bekannt).

Faust-Ouvertiire, 1839—40, umgearbeitet 1855.

Musik zu einem Vaudeville von Dumanoir „La descente de la Courtille",

1840 (? wie es scheint, nur Fragment).

Kantate, zur Feier der Enthiillung des Standbildes Konig Friedrich August's

1843. — Aufgefiihrt in Dresden am 7. Juni 1843.

Das Liebesmahl der Apostel, biblische Szene fiir Mannerchor und grosses

Orchester, 1843. — Erste Auffiihrung bei Gelegenheit des allgemeinen

Musikfestes der sachsischen Mannergesangvereine in Dresden am6. Jul! 1843.

Grass seiner Treuen an Friedrich August den Geliebten, fur Mannerchor

und Orchester, 1844. — Aufgefiihrt in Dresden am 12. August 1844

bei Gelegenheit der Riickkehr des Konigs von Sachsen aus England.

Trauermusik, fiir die Uberfiihrung von C. M. von Weber's Leiche auf

deutsche Erde, nach Motiven der Euryanthe, 1844. — Aufgefiihrt in

Dresden am 14. Dezember 1844.

An Weber's Grabe, Gesang nach der Bestattung, Mannerchor (Text von

Wagner), 1844. — Aufgefiihrt am 15. Dezember 1844.

Album-Sonate, Es-dur (fiir Frau Wesendonck), 1853.

Fiinf Gedichte

1. Der Engel, Dezember 1857.

2. Schmerzen, Dezember 1857.

3. Traume, Dezember 1857.

4. Stehe still, Februar 1858.

5. Im Treibhaus, Juni 1858.

Album-Blatt, C-dur (fiir Frau Fiirstin Metternich), 1861.

Huldigungsmarsch (Konig Ludwig IL von Bayern gewidmet), 1864.

Siegfried-Idyll, 1870.

Kaiser-Marsch, fiir grosses Orchester und Chor, 1871.

Album-Blatt, Es-dur (fur Frau Betty Schott), 1875.

Grosser Festmarsch zur Eroffnung der hundertjahrigen Gedenkfeier der Un-

abhangigkeitserklarung der Vereinigten Staaten von Nordamerika, 1876.

Page 183: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

ANHANG 479

Hierzu kamen noch folgende Bearbeitungen:

Palestrina's Stabat Mater, mit Vortragsbezeichnungen eingerichtet, Anfang1848. — Aufgefuhrt 8. Marz 1848.

Cluck's Iphigenie in Aulis, neu iibersetzt und bearbeitet, 1846. — Erste Auf-

fuhrung 22. Februar 1847.

Mozart's Don Juan, zum Teil neu ubersetzt und neu eingerichtet, 1850.

Die Klavierauszuge sowie die zahlreichen Arrangements fur ver-

schiedene Instrumente nach Opern von Donizetti und Halevy, die Richard

Wagner in Paris als Lohnarbeit verfertigte, sind dagegen nicht als kiinst-

lerische Werke zu betrachten.

DRAMATISCHE WERKE

1. Entwurfe, Fragmente und kleinere Gelegenheitsstucke.

Trauerspiele „nach dam Vorbild der Griechen", urn 1825 herum. (Unbekannt.)

Grosses Trauerspiel, spater mit Musik versehen, etwa 1827—1829. (Un-

bekannt.)

Schdferspiel, etwa 1829. (Unbekannt.)

Szene und Arie (1832?). — Aufgefuhrt auf dem Leipziger Hoftheater am22. April 1832.

Die Hochzeit, Oper in drei Akten. — Dichtung, Sommer 1832; Komposition

begonnen Dezember 1832. — Auf Wunsch seiner Schwester Rosalie

vernichtete der Meister die Dichtung und legte die Komposition

beiseite.

Allegro zu der Arie des Aubry in Marschner's Vampir, Text und Musik von

Wagner, September 1833. — Diese fiir seinen Bruder Albert ge-

schriebene Einlage kam in Wurzburg haufig zum Vortrag.

Die hohe Braut, grosse Oper in fiinf Akten. — Dichtung entworfen 1836

und an Scribe eingesandt; die Komposition unterblieb. — Spater be-

arbeitete Wagner die Dichtung neu und schenkte sie seinem Freunde

Kittl als Textbuch zu seiner Oper „Die Franzosen vor Nizza" (auf-

gefuhrt in Prag 1848).

Opfer- und Beschworungsszene, als Einlage zu einem (unbekannt gebliebenen)

Schauspiel, 1837. — Vermutlich zu jener Zeit in Konigsberg auf-

gefiihrt.

Die gliickliche Bdrenfamilie, komische Oper in zwei Akten. — Dichtung

ausgefiihrt und Komposition begonnen Anfang 1838. (Fragment.)

Die Sarazenin (Manfred), Oper in fiinf Akten. — Erste Skizze der Dichtung

1841; ausfiihrlicher Entwurf 1843; Komposition, soviel bekannt, nie

begonnen. — Der ausfiihrliche Entwurf zur Dichtung ist in den Bay-

reuther Blattern, Jahrg. 1889, S. 1—28, mitgeteilt worden.

Page 184: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

480 DRITTES KAPITEL

Friedrich der Rotbart, Drama in funf Akten (ohne Musik), 1848. (Wie weit

dieser Plan in der Ausfuhrung gediehen war, ist mir unbekannt.)

Jesus von Nazareth, 1848. — (Der ausfiihrliche Entwurf ist bei Breitkopf er-

schienen.)

Wieland der Schmied, 1849. — (Der ausfiihrliche Entwurf ist in Band III

der Gesammelten Schriften zum Abdruck gelangt.)

Achilleus, 1839. — ? — (Notizen zu diesem Entwurf enthalt der Band „Ent-

wiirfe, Gedanken, Fragmente".)

Die Sieger, 1856. — (Eine kurze Skizze zu diesem im buddhistischen Indian

spielendeu Drama ist in dem Band „Entwiirfe, Gedanken, Fragmente"mitgeteilt.)

Eine Kapitulation, Lustspiel in antiker Manier, 1870—71.

2. Dramen.

Die Feen. — Dichtung und Musik, 1833. — Zu Lebzeiten des Meisters nie

aufgefiihrt.

Das Liebesverbot, — Entworfen im Sommer 1834; Dichtung vollendet und

Komposition begonnen (?) noch vor Ende des seiben Jahres; Partitur

vollendet Anfang 1836. — Erste und einzige Auffiihrung Magdeburg,

29. Marz 1836.

Rienzi, der Letzte der Tribunen. — Erste Idee — ? — ; erste bestimmende

Anregung Sommer 1837; ausfiihrlicher Entwurf Sommer 1838;

Komposition begonnen am 26. Juli 1838, Partitur vollendet am 19. No-

vember 1840. — Erste Auffuhrung Dresden, 20. Oktober 1842.

Der Fliegende Hollander. — Erste Idee Anfang 1838; erster Entwurf

als Einakter Mai 1840; ausfiihrliche Dichtung 18. Mai 1841 bis

28. Mai 1841 (betreffs der geringen Abweichungen vom endgiiitigen

Text, vgl. S. 354); Kompositionsentwurf beendet 13. September 1841

Partitur — ? Erste Auffiihrung Dresden, 2. Januar 1843.

Tannhduser und der Sdngerkrieg auf Wartburg. — Erste Anregung 1841

szenischer Entwurf („Venusberg, romantische Oper") und erste musi

kalische Skizzen Sommer 1842; Dichtung vollendet 22. Mai 1843,

Partitur vollendet 13. April 1845. — Erste Auffiihrung Dresden

19. Oktober 1845.

Lohengrin. — Erste Anregung Sommer 1841 (in Verbindung mit Tannhauser)

Entwurf der Dichtung Sommer 1845; Partitur begonnen am 9. Sep-

tember 1846, vollendet am 28. August 1847. — Erste Auffiihrung in

Weimar durch Liszt am 28. August 1850.

Die Meistersinger von Niirnberg. — Erster ausfiihrlicher Entwurf Sommer1845 (in poetischer Verbindung mit dem soeben vollendeten Tann-

hauser); Dichtung in wesentlich umgearbeiteter Fassung Winter

1861 — 1862; Komposition begonnen Friihjahr 1862, Partitur vollendet

(nach vielen Unterbrechungen) am 20. Oktober 1867. — Erste Auf-

fiihrung Miinchen, 21. Juni 1868.

Der Ring des Nibelungen. — Dass Wagner bereits im Jahre 1846 mit diesem

Stoffe beschaftigt war, geht aus brieflichen Mitteilungen hervor; der

Page 185: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

ANHANG 481

ausfiihrliche Prosaentwurf „Der Nibelungen-Mythus als Entwurf zueinem Drama", welcher der Ausdehnung und (in alien Hauptzugen)der Reihenfolge der ausseren Begebenheiten des jetzigen vierteiligen

Dramas genau entspricht, ist vom Sommer 1848; der letzte Federzugan der Partitur des vollendeten Werkes wurde im November 1874

getan.

Die Ausfiihrung begann mit der Dichtung der Schlusskatastrophe

jenes umfassenden Entwurfes, namlich mit der Dichtung zu „Sieg-

fried's Tod" (jetzt „Gotterdammerung"), die am 12. November 1848

begonnen und am 28. November 1848 vollendet wurde; dieser allererste

Entwurf enthalt die kleine, S. 418 mitgeteilte musikallsche Skizze.

Dann foigte die Dichtung zu „Der junge Siegfried" (jetzt „Siegfried")

im Friihjahr 1851; von der Musik entstanden noch immer nur einzelne

Skizzen. Im Herbst 1851 griff Wagner zu seinem ursprunglichen,

umfangreicheren Plan vom Jahre 1848 zuruck und entwarf den „Ringdes Nibelungen, ein Buhnenfestspiel fur drei Tage und einen Vor-abend": die Dichtung zu „Die Walkure" war am l.Juli 1852 vollendet,

die zu „Das Rheingold" in den ersten Tagen des November 1852;

Mitte Dezember 1852 war „Der junge Siegfried" in der Umarbeitungfertig, bald darauf, ebenfalls in einigen Teilen ganzlich um-gearbeit, „Siegfried's Tod". Im Februar 1853 erschien die vollstandige

Dichtung „Der Ring des Nibelungen" als Manuskript in funfzig

Exemplaren fiir Wagner's Freunde gedruckt; dieser Druck enthalt nurgeringfiigige Abweichungen von dem endgultigen Text; der erste

offentliche Druck der Dichtung erschien 1863 (hier findet man zumerstenmal die Titel „Siegfried" und „G6tterdammerung"). — DieKomposition des „Rheingold" wurde im Spatherbst 1853 begonnen,die Partitur Ende Mai (oder in den ersten Tagen des Juni) 1854

vollendet; die zur„Walkure" wurde imjuni 1854 begonnen, im Marz (?)

1856 vollendet; die zu „Siegfried" in der zweiten Halfte des Jahres1856 begonnen, jedoch im Juni 1857 (nachdem die Partitur des ersten

Aktes Anfang Mai 1857 vollendet und die Skizze zum zweiten bis

zur Mitte gediehen war) unterbrochen und erst im Jahre 1865 wieder

aufgenommen und — nach neuerlichen Unterbrechungen — 1869 in

der Skizze, am 5. Februar 1871 in der Partitur vollendet; die Kompo-sition der „Gotterdammerung" wurde unmittelbar nach Vollendungdes Siegfriedentwurfes begonnen (Oktober 1869); der erste Aufzug warin der Orchesterskizze am ll.Januar 1870, der zweite am5. Juli 1870,

der dritte am 9 Februar 1872 beendet; vollendet wurde diese Partitur

am 21. November 1874. — Die erste Auffiihrung des „Ring des Nibe-

lungen" fand in Bayreuth statt vom 13. bis zum 17. August 1876.

Tristan und Isolde. — Erste Erwahnung („ich habe im Kopfe einen Tristan

und Isolde entworfen") im Dezember 1854; Entwurf wieder erwahnt

Juli 1856; Dichtung ausgefuhrt Sommer 1857, vollendet im September;Komposition des ersten Aktes vollendet am 31. Dezember 1857, (aber

wohl nur in der Skizze?), des zweiten Aktes Anfang 1859, des dritten

Aktes August 1859. — Erste Auffiihrung Miinchen, 10. Juni 1865.

Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 31

Page 186: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

482 DRITTES KAPITEL

Parsifal. — Erste Beschaftigung mit dieser Gestalt 1854 (in Verbindung mit

Tristan und Isolde, wo Parsifal im dritten Akt auftreten sollte); erster

Entwurf des Dramas Friihjahr 1857; erster Entwurf der ausfuhrlichen

Dichtung 1865; Vollendung der Dichtung am 23. Februar 1877. Frag-

mente der Musik sollen angeblich in den fiinfziger Jahren entstanden

sein; Komposition begonnen Herst 1877, in der Skizze vollendet am25. April 1879, Partitur vollendet am 13. Januar 1882. — Erste Auf-

fuhrung in Bayreuth 26. Juli 1882.

Das Studium der letzten Ausgabe von Glasenapp's Werk wird einige

Erganzungen ergeben, welche aber nur die friiheste Zeit betrePFen

und an dem Gesamtbild nichts andern. (1911.)

ly^'t^t^^vuc^^a^yit, Vt^ /(^-<«M-M<--^^i—i^i£»

Tausig Klindworth Biiiow

(Die Unterschrift ist von der Hand Hans von Biilows)

Page 187: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

VIERTES KAPITEL

BAYREUTH

In dieser ganzen weiten Welt habeich nicht einen Fuss breit Boden, umauf ihn als ganz das treten zu konnen,was ich nun einmal bin.

Richard Wagner (1851)

Page 188: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)
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EINLEITUNG

Ein Liebewerk nach eignem Willen

Der Philosoph, der Dichter schuf.

Goethe

Hebbel hat den Begriff des Symbolischen in vorziiglichster oas

Weise erweitert und geklart, indem er sagt: „Jede an und fiir^'^™'"'htnis

sich bedeutende Handlung ist symbolisch". Hier redet er von

„Handlung" im Sinne des dramatischen Dichters; dasselbe gilt

aber fiir die Handlung, welche das Leben hervorbringt; jede

grosse Tat ist ein Symbol, namentlich wenn sie eine sichtbare,

ihr eigene und eigentiimliche Gestalt gewinnt. In hervor-

ragendem Masse gilt dies von Wagner's Bayreuth. Das Fest-

spielhaus in Bayreuth ist nicht bloss ein fiir bestimmte Zweckeausserst praktisch konstruiertes Theater, sondern gleichsam eine

Verkorperung der Sehnsucht, des unermiidlichen Bestrebens,

des heissen Kampfens eines ganzen Lebens. Ebenso wie des

Meisters Personlichkeit in einer jeden seiner Gebarden unver-

kennbar zum Ausdruck kam und in seinem machtigen Kopfe

„monumentale" Gestaltung gewann, so hat seine gesamte Wirk-

samkeit, das „Ertragnis" seines Lebens, sich in dem Begriff

Bayreuth zu einer einheitlichen Vorstellung verdichtet, deren

sichtbares Symbol das Festspielhaus ist. Und wie bei jedem

Symbol, so kann man auch hier um den Mittelpunkt engere

und weitere Kreise Ziehen. Im allerengsten Sinne ist dieses

Haus ein „Nibelungen-Theater"; seit Anfang der ftinfziger

Jahre hatte Wagner die Absicht, ein besonderes Gebaude zur

Auffiihrung seines Ring des Nibelungen zu errichten, hier end-

lich wurde diese Absicht verwirklicht. In einem schon weiteren

Sinne ist es eine Biihne, auf der iiberhaupt die WerkeWagner's seinen Absichten entsprechend zur Auffiihrung ge-

langen soUen, da weder die Opern- noch die Schauspieltheater

ihnen eine wahre Heimstatte bieten konnen. Erst durch diese

Page 190: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

486 VIERTES KAPITEL

stilgemassen Auffiihrungen erfahrt aber die Welt, dass es sich

hier keineswegs um „besonders komplizierte Opern", sondern

um eine neue Gattung des Dramas handelt; erst jetzt erfahrt

sie, dass Wagner uns nicht allein eine Reihe von Kunstwerken

hinterlassen, sondern dass er der schopferischen Phantasie

kommender Generationen ein bisher unbekanntes Gebiet er-

schlossen hat, auf welchem „ewig neu zu erfinden sein wird".

Mit dem Erschliessen dieses neuen Gebietes wird nun die

hochste Kunst, die dramatische, in jene Wiirde wieder ein-

gesetzt, von der sie in der Oper so tief herabgesunken, und

zugleich aus der Degradierung zu blosser Literatur und Lieb-

haberei erlost, der sie schon lange im gesprochenen Schauspiel

verfallen war. Man sieht, wie die Kreise immer weiter werden.

Wenn der Leser sich aber das, was ich im zweiten Kapitel

iiber Wagner's Auffassung von der Wiirde der Kunst ausge-

fiihrt habe, ins Gedachtnis zuriickruft, so wird er unschwer

begreifen, dass wir hiermit noch lange nicht am Ende sind;

denn weit davon entfernt, Bayreuth nur fiir seine eigenen

Werke oder nur fiir die Verlebendigung einer neuen Form des

Dramas ersonnen zu haben, erstrebt der Meister damit etwas,

was weit iiber seine eigene Person und iiber das aller Voraus-

setzung nach lange Leben seiner genialsten Schopfungen hinaus-

zielt: die Kunst soil zu einem bestimmenden, konstruktiven

Faktor im Leben des Menschengeschlechts werden; sie soil dort

die Fiihrung iibernehmen, „wo der Staatsmann verzweifelt, der

Politiker die Hande sinken lasst, der Sozialist mit fruchtlosen

Systemen sich plagt" (IV, 282); sie soil das verkiinden, was

der Philosoph nur andeuten kann; ihr fallt die Aufgabe zu,

die von alien Seiten bedrohte Religion zu erretten, indem sie

allein „durch ideale Darstellung des allegorischen Bildes zur

Erfassung des inneren Kernes desselben, der unaussprechlich

gottlichen Wahrheit, hinleitet" (X, 275); einzig die Kunst ver-

mag es, wie Schiller schon gelehrt hatte, „der Welt die Rich-

tung zum Guten zu geben", indem ihre Gebilde „das Not-

wendige und Ewige in einen Gegenstand menschlicher Triebe

verwandeln". Wie ich am Schlusse des vorigen Kapitels

sagte: vielleicht haben die grossen deutschen Dichter, und in

erster Reihe der Schopfer von Bayreuth, sich getauscht. Sie

haben moglicherweise, wie Hans Sachs, nur „einen schonen

Page 191: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

Marmor'buste von G. Kietz

COSIMA WAGNER

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BAYREUTH 487

Abendtraum" getraumt. Oder sollte Wagner vielleicht doch

recht gehabt haben, als er prophetisch ausrief: „Es kommt der

Tag, an dem einst dieses Vermachtnis zum Heile der mensch-

lichen Briider aller Welt eroffnet wird!" (IV, 282)? Gleichviel:

seinem Bayreuth wohnt jedenfalls auch diese Bedeutung inne,

dass es ein erster Anstoss, eine Tat ist, durch die jene hohe

Auffassung von der Bestimmung der Kunst im Leben des

Menschengeschlechts der praktischen Verwirklichung entgegen-

gefiihrt wird. „Der Kiinstler vermag es", so schreibt der Meister,

„eine noch ungestaltete Welt im voraus gestaltet zu sehen, eine

noch ungewordene aus der Kraft seines Werdeverlangens im

voraus zu geniessen"; gerade aber das ist fiir Richard Wagnerbezeichnend, dass ihm die eigene Uberzeugung und der eigene

Genuss nicht geniigen: immer muss er fiir andere schaffen, nie

bis zur Stunde seines Todes, der ihn schreibend ereilte, nie hat

er seiner Pflicht der Welt und der heiligen Kunst gegeniiber,

seiner „Pflicht der Treue", nach seinem Empfinden genug getan.

Er ist eben nicht bloss Kiinstler, nicht bloss Denker, sondern

im vollen Sinne des Wortes Reformator. Schon in den fiinfziger

Jahren bekennt er als sein letztes Ziel, „den Menschen den Wegihrer Erlosung zu zeigen" (R. 31). Ihm liegt nichts mehr amHerzen als das sittliche Wohl seines Volkes und der Menschheit;

er will nicht bloss Genuss bereitet, sondern vor alien Dingen

veredelnd gewirkt haben und immer welter wirken. „Denke der

Altere nicht an sich, sondern Hebe er den Jiingeren um des

Vermachtnisses willen, das er in sein Herz zu neuer Nahrungsenkt": so sprach der Mann, der das Biihnenfestspielhaus in

Bayreuth erbaute. Darum ist fiir uns dieses „Bayreuth" nun

nicht bloss eine Statte, wo des Meisters Werke zur Auffiihrung

gelangen, sondern das Symbol des ganzen, so iiberreichen Ver-

mdchtnisseSy das Wagner in unser Herz gesenkt.

Man wird es also gerechtfertigt finden, wenn ich diesem

„Bayreuth" ein besonderes Kapitel widme. AUerdings wird es

kurz sein; denn weder die Festspiele noch auch jene Welt-

anschauung, die man als den „Bayreuther Gedanken" be-

zeichnet hat, sind fur die Beschreibung ein giinstiges Feld;

solche Dinge wollen erlebt sein.

Page 194: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

DIE FESTSPIELE

Mit Augen schaut nun, was ihr kiihn begehrt

Unmoglich ist's, drum eben glaubenswert.

Goethe

1838 In den Biichern iiber Wagner findet man verschiedene

Angaben iiber das erste Auftauchen der Festspielidee. Eine

dokumentarische Feststellung dieses Zeitpunktes ist aber ebenso

iiberfliissig wie unmoglich: von jelier sehen wir Wagner auf

dem Theater nur moglichst vollkommene oder, anders gesagt,

nur „festliche" Auffiihrungen erstreben. Schon im Lebensgang

(S. 42) habe ich die Kiagen des Rigaer Theaterdirektors iiber

die „Qualen" erwahnt, die ihm und seinem Personal durch

Wagner's Versuche, vollkommene Auffiihrungen zustande zu

bringen, verursacht wurden: das war im Jahre 1838, der Meister

zahlte damals 25 Jahre. Nun ist es aber klar, dass die un-

gewohnlich hohe Anspannung, die durch derartige Forderungen

den Darstellern auferlegt wird, nicht alltaglich stattfinden kann,

am allerwenigsten, wenn es sich um musikalische Werke han-

delt, bei denen ein genaues, begeistertes Zusammengehen so

vieler verschiedener Faktoren notig ist. Darum horen wir

Wagner immer wieder verlangen, die Theater sollten die Zahl

ihrer Auffiihrungen beschranken, dafiir aber nur vorziigliche

Auffiihrungen geben; eine schlechte Auffuhrung sei ein Ver-

gehen gegen die Kunst und verderbe zugleich den Geschmack1S48 des Publikums. Diese Gedanken findet man z. B. sehr aus-

fiihrlich und von eingehenden praktischen Ratschlagen be-

gleitet in Wagner's Entwurf zur Organisation eines deutschen

Nationaltheaters vom Jahre 1848.') Zugleich verliert Wagner

*) Funfzehn Jahre spater hat der Meister in seinem Aufsatz Das

Wiener Hofoperntheater gezeigt, wie man mit Beibehaltung des Balletts und

einer besonderen Truppe fiir italienische Opern auch noch Vorziigliches

Page 195: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 1873

Page 196: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)
Page 197: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 489

nie „das allmachtig mitgestaltende Publikum" aus dem Auge; er

weiss, dass man wirklich kiinstlerische Leistungen nicht auf-

oktroyieren kann, sondern dass es darauf ankommt (wie Schiller

sagt), das Ewige, das ewig Schone der Welt so darzubieten,

„dass es in einen Gegenstand ihrer Triebe verwandelt wird";

und so sehen wir ihn im Lohengrinjahre (1847) schreiben:

„Das Publikum muss durch Tatsachen gebildet werden, denn

eher als es das Gute nicht in konsequenter Folge kennen ge-

lernt hat, kann ihm auch kein rechtes Bediirfnis danach ge-

weckt werden".') Und 1850 antwortet er auf die Bitte der

Weimarer Theaterdirektion, Lohengrin durch Striche dem Publi-

kum „bequemer" (!) zu machen: „Wollen Sie dies Publikumwirklich erziehen, so miissen Sie es vor alien Dingen zur Kraft

erziehen, ihm die Feigheit und Schlaffheit aus den philister-

haften Gliedern treiben, es dahin bestimmen, im Theater

sich nicht zerstreuen, sondern sammeln zu woUen. Erziehen

Sie das Publikum nicht zu solcher Kraftiibung im Kunstgenuss,

so verschafft Ihr Freundeseifer weder meinen Werken, noch

meinen Intentionen Verbreitung. Die Athener sassen von Mit-

tag bis in die Nacht vor der Auffiihrung ihrer Trilogien, undsie waren ganz gewiss nichts anderes als Menschen; allerdings

aber waren sie namentlich auch im Genusse tatig". „Das Publi-

kum unserer Theater", heisst es in Oper und Drama, „hat kein

Bediirfnis nach dem Kunstwerke; es will sich vor der Biihne

zerstreuen, nicht aber sammeln; und dem Zerstreuungssiichtigen

sind kiinstliche Einzelheiten, nicht aber die kiinstlerische Ein-

heit Bediirfnis" (IV, 279). Es kommt also auch darauf an, nicht

allein hin und wieder Vorziigliches zu bieten, sondern das Publi-

kum dazu zu erziehen, dass das Gute ihm Bediirfnis werde und

es einstimmig mit Wagner ausrufe: „Lieber kein Theater als ein

schlechtes!"^)

Diese Auffassung von der Bestimmung des Theaters, diese i85i

Oberzeugung betreffs der praktischen Mittel, welche geeignet

leisten konnte. Die wichtigsten hierher gehorigen Ausserungen Wagner's

habe ich zusammengestellt und besprochen in meinem Aufsatz „Zur Er-

offnung der Stilbildungsschule in Bayreuth" in der Freien Biihne (jetzt Neue

Rundschau), Jahrg. 1893, S. 188 fP.

') Brf. vom 31. August 1847.

2) Schlussworte einer Rede, gehalten in St. Gallen 1856.

Page 198: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

490 VIERTES KAPITEL

waren, dem Theater zu seiner wahren Wiirde zu verhelfen,

bilden den Boden, aus welchem die eigentliche „Festspielidee*

spater erwuchs. Zunachst ist die Festspielidee genetisch mit

der Entsteliung von Wagner's Ring des Nibelungen eng ver-

kniipft. Als der Meister dieses Werk, zu einer riesigen Tetra-

logie erweitert, ausfiihrte, war es ihm klar, dass er auf die ge-

wohnlichen Theater fiir seine Auffuhrung nicht rechnen durfte.

Schon als er die grossen Linien des Entwurfes erst im Kopfe

fertig hatte, schrieb er an Uhlig (12. November 1851): „Mit

dieser meiner neuen Konzeption trete ich ganzlich aus allem

Bezug zu unserem heutigen Theater und Publikum heraus: ich

breche bestimmt und fur immer mit der formellen Gegenwart".

Dass unsere Theater dreissig Jahre spater sich gierig gerade

auf dieses Werk sturzen und es in verschiedenen Verun-

staltungen zu Kassen-Repertoirstiicken umbilden wiirden, war

damals nicht vorauszusehen; auch hatte diese Aussicht den

Meister keineswegs zu seinem grossen Unternehmen ermutigen

konnen. Von Anfang an war ihm dieses Werk — wie spater

dann auch die anderen seiner zweiten Lebenshalfte — etwas

Geweihtes, Heiliges: es sollte nicht wie die friiheren „verflucht

sein betteln zu gehen". An Liszt schreibt der Meister: ,,Die

Nibelungen mochte ich selbst nur in Gedanken nicht im mindesten

mit einem judischen Kalkiil beflecken, und sie moglichst ganz

mir auch in dieser Hinsicht rein erhalten" (L. I, 291). Dieses

Werk sollte darum nur an einem besonderen Feste gegeben

werden. „Es fallt mir nicht ein, dabei an irgendein jetzt be-

stehendes Theater zu denken, mit denen habe ich furder nichts

mehr zu tun, denn zwischen Martha und Prophet kommendsoil man Werke, wie mein neues, nicht geben", schreibt Wagneran Chordirektor Fischer 1855; die Kosten zu diesem Feste

miissten auf irgendeine Art aufgetrieben werden, weder der

Verfasser noch seine Mitwirkenden diirften einen pekuniaren

Vorteil davontragen, und alle wahren Kunstfreunde sollten

freien Eintritt geniessen. Sehr klar driickt sich Wagner iiber

diesen urspriinglichen Festspielgedanken in einem Brief an Uhlig

aus: „K6nnte ich je iiber 10000 Taler disponieren, so wiirde

ich folgendes veranstalten: — hier (in Ziirich), wo ich nun

gerade bin und wo manches gar nicht so iibel ist, wiirde ich

auf einer schonen Wiese bei der Stadt von Brett und Balken

Page 199: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 491

ein rohes Theater nach meinem Plane herstellen und lediglich

bloss mit der Ausstattung an Dekorationen und Maschinerie

versehen lassen, die zu der Auffiihrung des Siegfried notig sind.

Dann wiirde ich mir die geeignetsten Sanger, die irgend vor-

handen waren, auswahlen und auf sechs Wochen nacii Zurich

einladen So wiirde ich mir auch mein Orchester zu-

sammenladen. Von Neujahr gingen die Ausschreibungen undEinladungen an alle Freunde des musikalischen Dramas durch

alle Zeitungen Deutschlands mit der Aufforderung zum Besuche

des beabsichtigten dramatischen Musilcfestes: wer sich anmeldet

und zu diesem Zwecke nach Zurich reist, bekommt gesichertes

Entree — natiirlich wie alles Entree: gratis! Des weiteren lade

ich die hiesige Jugend, Universitat, Gesangvereine usw. zur

Anhorung ein. 1st alles in gehoriger Ordnung, so lasse ich

dann unter diesen Umstanden drei Auffiihrungen des Siegfried

in einer Woche stattfinden: nach der dritten wird das Theater

eingerissen und meine Partitur verbrannt. Den Leuten, denen

die Sache gefallen hat, sage ich dann: nun macht's auch so!

Wollen sie auch von mir einmal wieder etwas Neues horen,

so sage ich aber: schiesst ihr das Geld zusammen! — Nun,

komme ich dir gehorig verriickt vor? Moge es sein, aber ich

versichere dir, dies noch zu erreichen, ist die Hoffnung meines

Lebens, die Aussicht — die mich einzig reizen kann, ein Kunst-

werk in Angriff zu nehmen" (U. 60). Das ist die Festspiel-

idee in ihrer ganzen Reine, wie sie ihrem Schopfer vorschwebte,

ehe sie durch den Kontakt mit der Wirklichkeit und durch die

tausend Kompromisse, die diese notig macht, so manche ideale

Forderung hatte aufgeben miissen, dafur aber lebensfahig ge-

worden war.

Offentlich kiindigte Wagner sein Vorhaben zum ersten Male

in seiner im Dezember 1851 erschienenen Mitteilung an meine

Freunde an: „An einem eigens dazu bestimmten Feste gedenke

ich dereinst im Laufe dreier Tage mit einem Vorabende jene

drei Dramen nebst dem Vorspiele aufzufiihren: den Zweckdieser Auffiihrung erachte ich fiir vollkommen erreicht, wenn

es mir und meinen kiinstlerischen Genossen, den wirklichen

Darstellern, gelang, an diesen vier Abenden den Zuschauern,

die um meine Absicht kennen zu lernen sich versammelten,

diese Absicht zu wirklichem Gefuhls- (nicht kritischem) Ver-

Page 200: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

492 VIERTES KAPITEL

standnisse kiinstlerisch mitzuteilen. Eine weitere Folge ist mir

ebenso gleichgultig, als sie mir iiberfliissig erscheinen muss"(IV, 417). Man sieht, wie diese Idee, die Wagner im Blute

lag, an jenem bestimmten Vorhaben einer Auffiihrung des

Nibelungenringes eine immer bestimmtere, festere Gestalt ge-

winnt. Die Erbauung eines Festspielhauses mit Riicksicht auf

diesen einen Zweclc; nach langen, eingehenden Vorbereitungen

Abhaltung dieses einen, bestimmten Festes; Fernhaltung jeg-

licher industriellen Absicht: das waren schon damals die Grund-prinzipien der Festspielidee, und aus genau den selben Grund-prinzipien erstand das Bayreuther Festspielhaus. Aber auch

iiber ai^zessorische Bestandteile dieser Idee, wie z. B. dariiber,

dass nur eine kleine Stadt, nicht eine grosse, den gedeihlichen

Boden zu Festspielen abgeben konnte, war sich Wagner schon

in jener friihen Zeit ganz klar. „Grosse Stadte mit ihrem

Publikum sind fur mich gar nicht mehr vorhanden", schreibt

er am 30. Januar 1852 an Liszt; „Ich kann mir unter meiner

Zuhorerschaft nur eine Versammlung von Freunden denken,

die zu dem Zwecke des Bekanntwerdens mit meinem Werkeeigens irgendwo zusammenkommen, am liebsten in irgendeiner

schonen Einode, fern von dem Qualm und dem Industrien-

geruche unserer stadtischen Zivilisation: als solche Einode

konnte ich hochstens Weimar, gewiss aber keine grossere Stadt

ansehen."

Als nun Wagner sich endlich im Jahre 1862 gezwungen

sah, einer Herausgabe der blossen Dichtung zum Nibelungenring

zuzustimmen, schrieb er ein Vorwort dazu, in welchem der

Festspielgedanke noch festere Gestalt gewann. Auf zehn Druck-

seiten ist hier die ganze Frage griindlich erortert, und da es

nicht mein Zweck sein kann, dem Leser das Studium von

Wagner's Schriften zu ersparen, da ich im Gegenteil ihn hierzu

so viel als moglich anregen mochte, so verweise ich jeden auf

diese ebenso kurze als erschopfende Darlegung, die man amSchlusse des VI. Bandes der Gesammelten Schriften finden

wird. Die Unmoglichkeit, dramatische Werke wie die seinigen

auf den bestehenden Theatern zu entsprechender Darstellung

zu bringen, ergibt sich, wie der Meister sagt, aus der ,,voll-

kommenen Stillosigkeit der deutschen Oper und der fast gro-

tesken Unkorrektheit ihrer Leistungen"; der unausbleibliche

Page 201: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

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Faksimile aus der Originalhandschrlft (Scbriften, Bd. VI, S. 388/89),

Page 202: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)
Page 203: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 493

Einfluss der Festspiele auf die Kiinstler, die sich hier zur voll-

kommenen Beherrschung einer einzigen Aufgabe sammeln konnen,

der unvergleichlich grosse Eindruck auf ein Publikum, das nicht

abgespannt von der Tagesarbeit ins Theater konimt, urn Zer-

streuung zu suchen, sondern „am Tage sich zerstreut, um nun,

bei eintretender Dammerung, sich zu sammeln" das wird

alles hier iiberzeugend ausgefiihrt, und des Meisters damalige

Prophezeiung: „Den Eindruck eines Biihnenfestspieles in der

von mir bezeichneten Auffuhrungsweise konnen wir nicht hoch

genug anschlagen" hat seitdem eine reiche Erfahrung bewahr-

heitet. Doch musste Wagner bald einsehen, dass mit seinem

friiheren Gedanken eines nur einmaligen Festspieles der Kunst

nicht geholfen ware. Schon 1853 hatte er Roeckel gegeniiber

geaussert, er werde „in einem zweckentsprechenden Theater ein

Jahr langalle seine Werke auffiihren" (R. 17); jetzt (1862) schlagt

er diese Institution als eine dauernde vor „mit ein-, zwei- oder

dreijahrigen Wiederholungen". Auch die Unsichtbarkeit des

Orchesters wird in diesem Vorwort gefordert, und zwar aus

akustischen, asthetischen und dramatischen Griinden.

Im allgemeinen legt jedoch das grosse Publikum viel zu

viel Gewicht auf diese Anlage des Orchesters; fur manche Leute

ist das Bayreuther Festspielhaus ein Theater wie jedes andere,

nur mit tiefgelegtem, verdecktem Orchester, wahrend im Gegen-

teil die geniale Losung dieses Problems, welches von wirklich

grossen Kiinstlern jederzeit als ein solches empfunden worden

war, lediglich zu den vielen Einzelheiten gehort, die freilich

geeignet sind, unser unbedingtes Vertrauen zu Wagner zu mehren,

denen aber doch nur sekundare Bedeutung zukommt. Schon

die Florentiner des 17. Jahrhunderts verwiesen das Orchester

hinter die Biihne; eine Beschreibung, die fast buchstablich das

Bayreuther Haus vorausverkiindet, findet sich in Gretry's

Vorschlag zu einem neuen Theater, wo er unter anderemfordert: „Das Orchester musste verdeckt sein, und manmusste weder die Musiker noch die Lichter auf den Pulten

sehen konnen"; Goethe wiinschte, „das Orchester sollte so viel

als moglich verdeckt sein", usw. ') Wie dies nun von Wagner

') Vgl. den sehr eingehenden und auch technisch belehrenden Auf-

satz von C. Kipke „Das unsichtbare Orchester" in den Bayreuther Bldttern,

1889, S. 324.

Page 204: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

494 VIERTES KAPITEL

bewirkt wurde, wie er nicht bloss das Orchester verdeckte und

das Biihnenbild an den Zuschauer heranriickte (was seine Vor-

ganger verlangt batten), sondern zugleich durch die stufenweise

Versenkung es ermoglichte, die verschiedenen Instrumenten-

gattungen gegeneinander auszugleichen — die Streichinstrumente

z. B. zu oberst, das rauhere Blech, Posaunen und Tuben,

ganz unten und schon von der Buhne verdeckt, die Holzblaser

unter der Offnung zwischen den Schalldecken — und wie

hierdurch eine Verschmelzung des gesamten Tonkorpers zu einem

friiher nie gehorten einheitlichen Wohlklang erzielt wurde, das

ist, wie gesagt, eine bewundernswerte Schopfung seines Genius;

KAPEU

NlEISTiR

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o c:j=o=ci=o o=o LaHORN OBOEN

BUHNE

Grundriss des Bayreuther Orchesters

im Verhaltnis aber zu der Idee, aus weicher die Festspiele

hervorgingen, ist es doch mehr ein materielles Moment, insofern

also etwas Untergeordnetes.

1865 Jenes Vorwort hatte nun mit dem betriibenden Gestandnis

geschlossen, der Meister hoffe nicht mehr, durch eine Vereinigung

kunstliebender Freunde das Ersehnte erreichen zu konnen:

„Bedenke ich, wie kleinlich die Deutschen gewohnlich in solchen

Dingen verfahren, so habe ich nicht den Mut, von einem hier-

fiir zu erlassenden Aufrufe mir Erfolg zu versprechen." Dagegen

hoffte er noch auf einen deutschen Fiirsten, und das Schrift-

stiick schloss mit der bangen Frage: „Wird dieser Fiirst sich

finden? Im Anfang war die Tat!"

Wie der Leser weiss, dieser Fiirst fand sich:

Page 205: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 495

„ un po^te, un soldat, le seul Roi

De ce si^cle ou les rois se font si peu de chose!"(Verlaine.)

Hieriiber berichtet Wagner: „Es diirfte keiner poetischen Diktion

noch auch einem ganzen poetischen Diktionar moglich werden, die

entsprechende Phrase fiir die ergreifende Schonheit des Ereig-

nisses zu liefern, welches durch den Zuruf eines hochgesinnten

Konigs in mein Leben trat. Denn wirklich war es ein Konig,

der mir im Chaos zurief: ,Hierher! Vollende dein Werk; ich

will es!'" — Jedoch, jene selbe Offentlichkeit, die Wagner zu

der Verwirklichung seines so schonen und selbstlosen Fest-

spielgedankens nicht verhelfen konnte, besass die Macht, den

Willen dieses „einzigen Konigs unseres Jahrhunderts" zu brechen

BU H N E SCHALLDECKE

SCHALLOECKEr

HARFEN.FLOTEN,

VIOLONCELll.BtSSEl

HOlZBLAStR

DIRIGEHT

VIOLINENV^l°y^BRATSCHEN

'''

Querschnitt des Bayreuther Orchesters

und die Begriindung der deutschen Biihnenfestspiele im Jahre

1865 zu hintertreiben. Ein herrliches erstes Festspiel ver-

mochte allerdings der Meister in Miinchen durchzusetzen:

jene viermalige Auffiihrung von Tristan und Isolde mit

Biilow, Schnorr von Carolsfeld, Frau Schnorr und Mitter-

wurzer, und wir diirfen unbedingt die Auffiihrungen vomMai und Juni 1865 als die ersten Festspiele bezeichnen;

dann aber musste er in abermalige, freiwillige Verbannung

Ziehen.

Es hat etwas sehr Komisches, wenn man heute in Miinchener

Theaterkreisen eifrig die nachtragliche Verwirklichung jenes

projektierten Festspielhauses von Semper') betreibt mit der

Begriindung, dass es sich so vorziiglich „rentieren wiirde." Also

Vgl. S. 120.

Page 206: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

496 VIERTES KAPITEL

Das Festspielhaus zu Bayreuth

dazu ware die Festspielidee da, um Aktienunternehmern die

Taschen zu fiillen? Merl^t man denn gar nicht, dafi die kiinst-

lerischen Leistungen eines Festspieles im Sinne Wagner's auf

einer moralischen Grundlage ruhen und dass diese Grundlage

heisst: „Es darf keinerlei Riicksicht auf irgendwelchen Gewinn

bestehen?" In Bayreuth ist niemals fur Geld gespielt worden;

doch hat der Meister, nachdem er sich 30 Jahre lang dagegen

gestraubt hatte, das Prinzip des offentlichen Kartenverkaufs, also

des Eintritts gegen Geld, zugeben miissen; erst durch dieses

— wohl nicht ganz unbedenkliche — Zugestandnis wurden die

Festspiele lebensfahig. Das Werk einer aufopferungsvollen,

weisen und nicht allein uneigenniitzigen, sondern geradezu

selbstvergessenen geschaftlichen Leitung ist es seitdem gewesen,

Einnahmen und Ausgaben in einem Gleichgewicht zu erhalten,

wie es die Weiterfiihrung der Festspiele erheischte; dass trotz-

dem manchmal gahnende Liicken entstanden, kann Den nicht

wundern, der nur einen fliichtigen Blick in das Budget eines

Bayreuther Festspiels geworfen hat; wer diese Liicken aus-

fiillte und den Festspielfonds vor dem Abbrockeln bewahrte,

Page 207: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 497

das braucht der Neugier nicht verraten zu werden. Ich wollte

nur auf das eine aufmerksam machen: der Gedanke, es Bayreuth

nachzumachen, Festspiele an anderen Orten ins Leben zu rufen,

ist kein schlechter; das vertiefte Orchester allein wird es aber

nicht machen, auch nicht „geniale Regiekunst", sondern die

Nachahmung muss notwendigerweise dort anfangen, wo es

jedem gelingen kann nachzuahmen, namlich in dem Verzicht auf

jeden materiellen Vorteil.

Wie der Meister durch den siegreichen Krieg desjahres 1870 is7o

ermutigt wurde, seinen Festspielgedanken wieder aufzunehmen;

wie er diesmal nicht nur auf den „deutschen Geist" — wie

immer — sondern auch auf das „deutsche Volk" vertrauen zu

diirfen wahnte: das habe ich schon im Lebensgang erzahlt;

auch wie diese Hoffnung der Hauptsache nach getauscht wurde.

Wer sich iiber die Vorgange dieser Zeit unterrichten will —die Wahl von Bayreuth, den Bau des Festspielhauses und

seine gesamte Einrichtung, die verschiedenen Phasen, welche

die Verwirklichung des Baues durchlief bis zu den Festspielen

von 1876 und bis zur Abtragung des Defizits, das diese Fest-

spiele hinterliessen — der lese im IX. Band der Gesammelten

Schriften den „Schlussbericht bis zur Begriindung von Wagner-

Vereinen" und den Aufsatz iiber „Das Biihnenfestspielhaus zu

Bayreuth, nebst einem Bericht iiber die Grundsteinlegung

desselben", ferner in dem Jahrgang 1886 der Bayreuther

Blatter die gesammelten „Briefe und Dokumente aus den

Jahren 1871— 1876" und schliesslich die wertvolle Broschiire

des Herrn Karl Meckel Die Biihnenfestspiele in Bayreuth;

authentischer Beitrag zur Geschichie ihrer Entstehung undEntwickelung (Pritzschy 1891).') Ferner findet man im X. Band

von Wagner's Schriften seinen „Riickblick auf die Biihnenfest-

spiele des Jahres 1876" und alle Dokumente, die das zweite

Patronat betreffen, zuletzt auch des Meisters Aufsatz iiber „Das

Biihnenweihfestspiel in Bayreuth 1882". Und um dieses Doku-

mentarische gleich ganz zu erledigen, will ich noch erwahnen,

dass Glasenapp schon in den friiheren Auflagen seiner Bio-

graphic iiber die Festspielzeit ausserst ausfiihrlich berichtet

') Namentlich dieser letzten Schrift ist manches in den folgenden

Mitteilungen entnommen.Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 32

Page 208: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

498 VIERTES KAPITEL

hat, SO dass deren neue, erweiterte Ausgabe gewiss dem uner-

sattlichen Wissbegierigen keinen Wunsch unerfiillt lassen wird.

Mir bleibt hier nur wenig hinzuzufiigen, da mein Werk kein

chronistisches ist.

1872 Die Grundsteinlegung des Festspielhauses in Bayreuth

fand am 22. Mai 1872 statt. Aus alien Teilen Deutschlands

waren Kiinstler zu Hunderten nach Bayreuth hingestromt. In

den Grundstein legte der Meister folgenden sinnigen Vers:

• Hier schliess' ich ein Geheimnis ein,

Da rub' es viele hundert Jahr',

So lange es verwahrt der Stein,

Macht es der Welt sich offenbar.

In seiner Festrede sagte er u. a.: „Muss ich das Vertrauen in

mich setzen, die hiermit gemeinte kiinstlerische Leistung zumvollen Gelingen zu fiihren, so fasse ich den Mut hierzu nur

aus einer Hoffnung, welche mir aus der Verzweiflung selbst

erwachsen ist. Ich vertraue auf den deutschen Geist und hoffe

auf seine Offenbarung auch in denjenigen Regionen unseres

Lebens, in denen er, wie im Leben unserer offentlichen Kunst,

nur in allerkiimmerlichster Entstellung dahinsiechte. Ich ver-

traue hierfiir vor allem auf den Geist der deutschen Musik,

well ich weiss, wie willig und hell er in unseren Musikern

aufleuchtet, sobald der deutsche Meister ihnen denselben wach-

ruft; ich vertraue auf die dramatischen Mimen und Sanger,

well ich erfuhr, dass sie wie zu einem neuen Leben verklart

werden konnten, sobald der deutsche Meister sie von demeitlen Spiele einer verwahrlosenden Gefallkunst zu der echten

Bewahrung ihres so bedeutenden Berufes zuriickleitete. Ich

vertraue auf unsere Kiinstler und darf dies laut aussprechen

an dem Tage, der eine so ausgewahlte Schar derselben auf

meinen blossen freundschaftlichen Anruf aus den verschiedensten

Gegenden unseres Vaterlandes um mich versammelte: wenn

diese, in selbstvergessener Freude an dem Kunstwerke, unseres

grossen Beethoven's Wundersymphonie Ihnen heute als Fest-

gruss zutonen, diirfen wir alle uns wohl sagen, dass auch das

Werk, welches wir heute griinden wollen, kein triigerisches

Luftgebaude sein wird, wenngleich wir Kunstler ihm eben

nur die Wahrhaftigkeit der in ihm zu verwirklichenden Idee

Page 209: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 499

Richard Wagner. Von F. von Lenbach

verbiirgen konnen." Im weiteren Verlaufe dieser Rede wies

Wagner die Bezeichnung „National-Theater" fiir das Bayreuther

Festspielhaus zuriick: „Wo ware die Nation, welche dieses

Theater sicii erriciitete? Nur Sie, die Freunde meiner

besonderen Kunst, meines eigensten Wirkens und Schaffens,

hatte ich, urn fiir meine Entwiirfe mich an Teilnehmende zu

wenden Und nur in diesem fast personlichen Verhaltnisse

zu Ihnen, meine Conner und Freunde, darf ich fiir jetzt den

Grund erkennen, auf welchen wir den Stein legen wollen,'der

das ganze uns noch so kiihn vorschwebende Gebaude unserer

edelsten deutschen Hoffnungen tragen soli. Sei es jetzt auch

32*

Page 210: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

500 VIERTES KAPITEL

bloss ein provisorisches, so wird es dieses nur in dem gleichen

Sinne sein, in welchem seit Jahrhunderten alle aussere Formdes deutschen Wesens eine provisorische war. Dies aber ist

das Wesen des deutschen Geistes, dass er von innen baut: der

ewige Gott lebt in ilim wahrhaftig, ehe er sich auch den Tempel

seiner Ehre baut." Und er schloss mit den Worten: „Dieser

Stein sei geweiiit von dem Geiste, der es Ihnen eingab, meinem

Anrufe zu folgen; der Sie mit dem Mute erfiillte, jeder Ver-

hohnung zum Trotz, mir gariz zu vertrauen; der aus mir zu

Ihnen sprechen Iconnte, weil er in Ihrem Herzen sich wieder-

zuerkennen hoffen durfte: von dem deutschen Geiste, der uber

die Jahrhunderte hinweg Ihnen seinen jugendlichen Morgen-

gruss zujauchzt!" Abends fand dann im alten markgraflichen

Opernhause eine Auffiihrung von Beethoven's „Wunder-

symphonie" statt, wie sie nie wiederkehren wird: die grossten

Virtuosen Deutschlands, an ihrer Spitze Wilhelmj, sassen im

Orchester; die Solopartien wurden von Niemann, Betz, Johanna

Jachmann-Wagner und Marie Lehmann gesungen; den Chor

bildeten die Vereine von Riedel, Stern und Rebling, die besten

des Reichs; den Taktstock fiihrte Deutschlands grosser Meister.

Unter diesen Auspizien wurde der Stein geweiht, auf dem sich

das Festspielhaus erheben sollte.

1873 Was der Verwirklichung dieses Festspielhauses und der

Festspiele von Anfang an offenbar die grosste Schwierigkeit in

den Weg stellte, war jener Grundsatz, von dem der Meister

durchaus nicht abweichen wollte: dass nur „die mitschopferischen

Freunde" zur Beteiligung an dem Werke zugelassen werden

sollten. Noch vor dem endgiiltigen Abkommen mit Bayreuth

hatte Wagner an einen dortigen Freund geschrieben: „Es wird

sogleich in das Auge zu fassen sein, dass es sich hier umkeine Theater-Unternehmung fiir Gelderwerb handelt: die Vor-

stellungen werden nur von Eingeladenen und den Patronen der

Unternehmung besucht; gegen Entree kann niemand zugelassen

werden." Es sollten also Patrone, das heisst „mitsch6pferische

Freunde", geworben werden; man brauchte nur eintausend

Menschen zu finden (oder Verbindungen), die sich verpflichtet

hatten, die Summe von je 300 Talern, nicht etwa auf einmal,

sondern im Laufe einiger Jahre zu zahlen; nach zwei vollen

Jahren waren jedoch erst 240 Patronatscheine ausgegeben, also

Page 211: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 501

nicht ein Viertel, und auf Kosten welcher Anstrengungen! Der

Khedive von Agypten, der 10000 Mark schickte, war hierbei

der weitaus freigebigste Conner und Forderer der deutschen

Festspiele! Urn die intensive Nichtbeachtung zu veranschau-

lichen, welcher Wagner's grosses und jetzt dem deutschen Geist

zum ewigen Ruhme gereichendes Werk im weiten deutschen

Reiche begegnete, will ich hier nur zwei kleine Tatsachen ein-

schalten. Ein von Dr. A. Stern im Auftrage der Wagner-Ver-

eine verfasster „Bericht und Aufruf" wurde Ende 1873 an

viertausend deutsche Buch- und Musikalienhandler mit Sub-

skriptionslisten versandt; nicht ein einziger dieser vier Tausend

nahm die geringste Notiz von der Sendung! und einzig und

allein in Gottingen haben einige Studenten ein paar Taler ge-

zeichnet!') Zu gleicher Zeit aber hatten sich die Wagner-Ver-

eine an 81 Hof- und Stadttheater mit der Bitte gewandt, Auf-

fiihrungen zugunsten des Bayreuther Unternehmens zu geben

— gewiss keine unbescheidene Bitte, da jedes dieser Theater

durch Wagner's Werke schon ungeheure Summen eingenommen

und die meisten seinerzeit den Verfasser mit einer einmaligen

Bezahlung von 20 oder 30 Louisdor abgefunden hatten! Vonden angegangenen 81 Theatern haben 78 iiberhaupt nicht, die

iibrigen drei aber abschlagig geantwortet! Nun glaube man aber

nicht, die Sachkundigen hatten Wagner's Nibelungenring nicht

fiir lebensfahig angesehen und sich etwa aus diesem rein sach-

lichen Grunde ablehnend verhalten; mit nichten! Eine Gesell-

schaft „Wagneriana" bildete sich 1873 in Berlin und bot demMeister eine Million an, wenn er die Festspiele nach Berlin

verlegen wolle; 220000 Taler waren in so kurzer Zeit ge-

zeichnet worden (mehr als zweimal soviel als miihsam im

Laufe von zwei Jahren fiir Bayreuth zusammengerafft worden

war), dass an dem Gelingen des Unternehmens nicht zu

zweifeln gewesen ware, wenn der Meister durch irgend etwas

in der Welt dazu hatte bewogen werden konnen, von demDienste reinster, uneigenniitziger Kunst abzuweichen. Mit

ahnlichen lockenden Anerbietungen traten damals auch Londonund Chicago an Wagner heran. Wie ganzlich deutsch-ideal

seine Cesinnung aber blieb, das zeigt uns ein Brief aus jenem

') Schade, dass die Namen dieser braven Studenten nicht genannt werden.

Page 212: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

502 VIERTES KAPITEL

Dr. von Muncker

selben hofFnungslosen— aber, wenner nur gewollt hatte, fiir den Meister

„millionenreichen" — Winter des

Jahres 1873, ein Brief, worin er

meint: „Es icommt fast mehr auf

die Erweckung verborgener Krafte

des deutschen Wesens an, als auf

das Gelingen meiner Unternehmung

selbst."

1874 ^^^H' ^'^^ ^^^^m Im Januar 1874 musste nun

Wagner feierlich und endgiiltig er-

klaren, sein Unternehmen sei ge-

scheitert. Zum Gliick gelang es

Freunden, ihn von einer voreiligen

Veroffentliciiung dieser Sachlage

abzuhalten: inzwisclien war Hilfe

eingetroffen von der einzigen Seite, von der Wagner jemals Hilfe

in ausreichendem Masse zuteil geworden ist. Sciion zur Grund-

steinlegung hatte Konig Ludwig II. „an den deutschen Dichter-

Komponisten Herrn Richard Wagner" telegraphiert: „ Aus tiefstem

Grund derSeele spreche ichlhnen, teuerster Freund, zu dem ganz

Deutschland so bedeutungsvollen Tage meinen warmsten und auf-

richtigsten Gliickwunsch aus. Heil und Segen zu dem grossen

Unternehmen im nachsten Jahre. Ich bin heute mehr denn je

im Geiste mit Ihnen vereint," Jetzt und damit die Arbeiten amBau nicht eingestellt werden miissten, gewahrte der Konig einen

Vorschuss aus seiner Kabinettskasse. Es muss jedoch bemerkt

werden, dass es sich sowohl in diesem Falle wie auch spater

bei der Deckung des Defizits einzig um eine Kredit-Gewahrung

handelte, und da die vorgeschossenen Summen durch die Seque-

strierung der Tantiemen Wagner's an der Miinchener Hofbiihne

gesichert und gedeckt wurden, so ist es in letzter Reihe der

Meister selber und kein anderer, der das Festspielhaus erbaut

hat. Mit grossen Sorgen musste dennoch Wagner 1876 an die

Auffiihrung gehen: „Unsere Sorgen sind gross," schreibt er

am 4. Februar, „und schliesslich muss ich den Vorsatz, die

Auffiihrungen in diesem Jahre noch stattfinden zu lassen, fiir

tollkiihn ansehen. Wir sind mit den Patronatscheinen bis 400, be-

diirfen aber den neuesten Berechnungen nach 1300, um auszu-

Page 213: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 503

Friedrich Feustel

kommen. Das urspriinglich pro-

jektierte Unternehmen ist also

eigentlich vollkommen gescheitert."

Und doch, es hatte noch immer

kein Defizit gegeben — so gross war

das Interesse, welches sich im letzten

Augenblick in ganz Deutschland und

welt dariiber hinaus fiir die Fest-

spiele kundgab, und so unerhort

war das kiinstlerische Gelingen! —das Defizit war das Werk der Presse,

welche, wie Herr Karl Heckel sehr

richtig sagt,mitgeradezu „fanatischer

Wut" Bayreuth zu schadigen be-

strebt war.

Hier muss ich aber diese Dar-

stellung einen Augenblick unterbrechen, um wenigstens einige

von denen zu nennen, die, wenn auch durch ihre Vereinzelung

zu verhaltnismassiger Ohnmacht verurteilt, dennoch durch rast-

lose Arbeit das Zustandekommen der Festspiele in anerkennens-

werter Weise forderten.

Zunachst ist des Biirgermeisters von Bayreuth Dr. von Muncker und

Muncker zu gedenken, der von dem ersten Besuch des Meisters

in Bayreuth imjahre 1871 an bis zu dem heutigen Tage ') sich

schier unzahlige Verdienste um die Festspiele erworben hat.

Ohne seine Umsicht, seinen Takt, sein zahes Festhalten, seine

unbedingte Ergebenheit ware das Unternehmen sicherlich nicht

gelungen. Ihm fiel unter anderem die nicht sehr leichte Auf-

gabe zu, wahrend der vielen schweren Jahre Wagner's Werkgegen die nicht immer sehr geneigten Bayreuther Burger undihre Stadtvertretung zu verteidigen. — Nach mancher Richtung

hin noch bedeutender und erfolgreicher war der Einfluss, den

der Bayreuther Bankier Friedrich Feustel (spater Reichstags-

mitglied) auf den Gang der Dinge ausiibte. In ihm gewannWagner einen der fahigsten Freunde seines Unternehmens. Die

Verdienste solcher Manner lassen sich schwer aufzahlen, kaumiiberblicken; was wir in Dokumenten sehen, ist ja das Wenigste;

Feustel

*) Burgermeister von Muncker starb 1899.

Page 214: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

504 VIERTES KAPITEL

Adolf von Gross

hier handelt es sich um tagliche, stiindliche Dienste von der

ersten Beratung beziiglich eines geeigneten Bauplatzes an bis

zu den tausend und abertausend Plackereien der Festspiele

selbst und zu der ganzen so schwierigen und damals so

unerfreulichen finanziellen Gebarung. Es ist das alles ein

Wirken im Verborgenen, ohne Lohn, ohne Ruhm, ohne Aner-

kennung — ausser vom Meister selber, der nicht miide wird,

seine Dankbarkeit auszusprechen, und der den Anted der Herren

vom Festspielverwaltungsrat (Muncker, Feustel und Advokat

Page 215: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 505

Gross

Kafferlein) in einem offenen Brief als „einzig ermoglichend"

bezeichnet.

Diese Namen habe icli vorangestellt: gerade weil das Adoif von

Wirken dieser Manner ein verborgenes war, darum verdienen

sie an erster Stelle genannt zu werden. Und da mochte ich

gleich noch einen Namen hinzufiigen, den des Herrn Adolf

von Gross. Noch ehe er offiziell in den Verwaltungsrat der

Festspiele berufen wurde (was meines Wissens erst nach den

seclisundsiebziger Festspielen geschah), hat dieser Mann um die

Administration des Unternehmens sich die grossten Verdienste

erworben ; seitdem wurde er aber immer mehr zum alleinigen

Verwalter. Wer die Bedeutung der Krisis ermisst, die durch

des Meisters Tod iiber Bayreuth hereinbrach, wer eine Ahnungdavon hat, was es hiess, die Festspiele iiber die Jahre 1883 bis

1889 hinwegzuretten, der wird dem Manne, der das volibracht

hat, seine Bewunderung nicht vorenthaiten konnen. Wurdedas kiinstlerische Erbe Wagner's durch seine Gattin vor demUntergang geschiitzt, gedieh es in ihren Handen zu nie ge-

ahntem Glanz und Sieg, so darf doch niemals iibersehen wer-

den, dass diese Tat unmoglich gewesen ware, hatte nicht ein

Mann gelebt, der — durch eine seltene Vereinigung von Fahig-

keiten zu diesem besonderen Werke wie von der Vorsehung

erschaffen — diese seine Bestimmung auch begriff und nun-

mehr sein ganzes Denken, seine ganze Kraft, jeden Atemzug

dem Festspielgedanken Richard Wagner's widmete. Ich habe

vorhin davon gesprochen, dass die Bayreuther Festspiele auf einer

moralischen Grundlage ruhen: ohne Ubertreibung diirfen wir

sagen, diese moralische Grundlage habe sich in der herben, star-

ken, echt deutschen Personlichkeit dieses Kurwenal verkorpert.

Wende ich mich nun zu den anderen aufopferungsvollsten craRn

Freunden der ersten Bayreuther Zeit zuriick, so folge ich demBeispiel des Meisters, wenn ich drei Namen hervorhebe, die

keinem Verehrer Wagner's unbekannt bleiben diirfen: Freifrau

Marie von Schleinitz, Karl Tausig und Emil Heckel.

Ich weiss nicht, ob man das Richtige trifft, wenn manGrafin Wolkenstein, ') wie bisweilen geschieht, eine „G6nnerin*

Wolkenstein

') Freifrau von Schleinitz, geb. Marie von Buch, damals die Gemahlin

des beltannten Hausministers Kaiser Wilhelms I., des Freiherrn, spater Grafen

Page 216: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

506 VIERTES KAPITEL

des Meisters nennt; ich mochte

sie lieber als eine Mitarbeiterin

an seinem Bayreuther Werkbezeichnen. Sie war durchaus

nicht die Frau, ihre hohe ge-

sellschaftliche Stellung so auf-

zufassen, als i^onnte es fiir sie

geniigen, einen Mann wie Wag-ner zu „protegieren" ; Konig

Ludwig war ihr ja mit gutem

Beispiel vorangegangen, und

so stellte sie sich buchstab-

lich in den Dienst des Genies,

unermiidet arbeitete sie fiir

ihn, unentwegt focht sie und

ertrotzte sie fiir seine Sache*

Heute kann man sich schwer

vergegenwartigen, was das

hiess, in denjahren 1871 bis

1876 das Panier Wagner's

hochzuhalten: batten nur ein

Dutzend Manner soviel Kiihn-

heit und Uberzeugungskraft gezeigt wie diese eine Frau, so waren

die Bayreuther Festspiele unter anderen Auspizien ins Leben ge-

treten. In der Widmung seiner Schrift iiber das Bayreuther Fest-

spielhaus an Grafin Wolkenstein sagt derMeister: „Es geschieht auf

Antrieb des Wunsches, die lebendige Teilnehmerin, deren uner-

miidlichem Eifer und Beistande meine grosse Unternehmung fast

ausschliesslich ihre Forderung verdankt, laut bei dem Namen zu

nennen, der von mir und jedem wahren Freunde meiner Kunst

mit inniger Verehrung genannt wird." Und mehrere Jahrespater, als Wagner den ganzen Gang dieser so bewegten, hoff-

nungsreichen und sorgenvollen Zeit iiberblicken konnte, be-

zeichnete er diese edle Freundin als „die Hauptkraft, deren

rastloser Tatigkeit er das materielle Zustandekommen seines

Unternehmens einzig verdanke!" Er schreibt da ferner: »Un-

Marie von Buch

Schleinitz, vermahlte sich nach dem Tode ihres ersten Gatten mit dem oster-

reichischen Botschafter Graf von Wolkenstein-Trostburg.

Page 217: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 507

umwunden bekenne ich, dass ohne die jahrelang mit stets

erneuter Energie durchgefiihrte Werbung dieser gesellschaftlich

so bedeutend gestellten, in alien Kreisen hochgeehrten Frau,

an eine Aufbringung der Mittel zur Bestreitung der notigsten

Kosten der Unternehmung, an eine Forderung derselben nicht

zu denken gewesen ware. Unermiidet wie unverwundbar setzte

sie sich dem Belacheln ihres Eifers, ja selbst der offenen

Verspottung von seiten unserer so schon gebildeten Publizistik

aus " (Ein Riickblick auf die Biihnenfestspiele des

Jahres 1876, X, 144). Das einzige, was nach diesen Zitaten

noch zu sagen bleibt, ist, dass die Freundschaft dieser seltenen

Frau sich als eine von jenen echten erwiesen hat, die auch

iiber den Tod hinaus die Treue wahren.

Von Karl Tausig ist leider nur wenig zu berichten, da Kari lausig

er bereits am 17. Juli 1871 starb. Schon seit den fiinfziger

Jahren war dieser grosse Musiker ein treuer und ergebener

Freund Wagner's.

Als nun der Bayreu-

ther Gedanke festere

Gestalt gewann, er-

fasste Tausig, wie der

Meister berichtet,

„diese Angelegenheit

als eine ganz person-

lich ihm zufallende

Aufgabe". Dieganze

allererste Organisa-

tion ist sein Werk,und bei seiner rie-

sigen Energie undhohen praktischen

Begabung ist gar

nicht abzusehen,wel-

chen Erfolg er mog-

licherweise errungen

hatte, ware er nicht

gleich im erstenj ahre

gestorben. Auchkiinstlerisch war der Grafin von Wolkenstein-Trostburg

Page 218: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

508 VIERTES KAPITEL

Emil Meckel

Verlust gerade dieses Man-nes ein grosser, unersetz-

licher. Wie Schnorr unter

den Sangern so war Tausig

unter den ausiibenden Mu-sikern jenerZeitbei weitem

der genialste; wenn manvon Billow absieht, so

diirfte man wohl ruhig

sagen der einzige wirklich

geniale. Als er starb, warer gerade mit der Zusam-

menstellung eines Orche-

sters beschaftigt, welches,

unter seiner Leitung aus-

gebildet, den Kern des

Bayreuther Orchesters

ausgemacht hatte. Das

Schicksal war fiir Wagnerhart: kaum hatte er die

zwei Ausserordentlichen

gefunden, Schnorr undTausig, so schwanden sie wieder aus seinem Leben; in beiden

Fallen hiess es „den grossen Granitblock nunmehr durch Back-

steine ersetzen".')

Der dritte Name ist der eines schlichten deutschen

Mannes, dem gewissermassen typische Bedeutung zukommt,wobei allerdings zu wiinschen ware, es mochten sich recht

viele nach diesem „Typus" richten. Emil Heckel ist der Be-

griinder des allerersten Richard Wagner-Vereines, namlich des

Mannheimer Vereines. Infolge seiner Anregung entstanden dannerst in vielen anderen deutschen — und ausserdeutschen —Stadten ahnliche Verbindungen, und wenn die praktischen

Erfolge dieser Vereine fiir die Forderung der Bayreuther

Festspiele verhaltnismassig — oder unverhaltnismassig — gering

geblieben sind, so war das wahrlich nicht die Schuld dieses

unermiidlich eifrigen Mannes; iiberall stiess er auf absolute

Friedrich von Schon

') Vgl. S. 131.

Page 219: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 509

Emil Meckel

Gleichgiiltigkeit: die Presse ver-

hohnte ihn, wie nicht anders zu

erwarten war, und der deutsche

Michel schnarchte vergniigt wei-

ter. Man darf aber auch die Er-

folge der Wagner-Vereine nicht

allzu niedrig anschlagen; sie

dienten doch dazu, Interesse und

Verstandnis, wenn auch nicht

Opferwilligkeit, zu erwecken.

Und was Heckel personlich an-

betrifft, so verdient er gewiss

auch den Namen eines wirklichen

Mitarbeiters am Bayreuther

Werke; dafiir zeugen die Briefe

des Meisters an ihn und die Be-

zeichnung als „vorzuglich tat-

kraftiger Freund", Band IX,

S. 386. Seine wahre, grosse Be-

deutung erkenne ich aber vor

allem darin, dass er in dieser Sache die Ehre des deutschen

Biirgerstandes gerettet hat; deswegen wird auch sein Name in

Verbindung mit der Geschichte der Bayreuther Festspiele immergenannt werden.

Eine Nomenklatur zu geben, ist nicht mein Zweck; darum

iibergehe ich viele verdiente Namen. Nur das will ich noch

einmal hervorheben, dass ein jeder, der Bayreuth dienen

wollte, in uneigenniitziger Weise das Opfer seiner Zeit, seiner

Krafte und seiner Mittel bringen musste; wie der Meister im

November 1875 schrieb: „Von keiner Seite wird der mindeste

Gewinn, allermeistens aber aufopferungsvolle Bemiihung und

Mitarbeit in Anspruch genommen." Ehre alien denen, die Wag-ner's „Vertrauen in den deutschen Geist" rechtfertigten!

Kehren wir zu den Festspielen des Jahres 1876 zuriick.

Im Jahre 1875 hatten vom 1. Juli bis zum 12. August 1875

Vorproben stattgefunden, und am 1. August dieses Jahres ertonte

zum ersten Male das Orchester aus dem „mystischenAbgrund".

— Im Jahre 1876 mussten nun alle mitwirkenden Kiinstler sich i876

fiir voile drei Monate verpflichten: die Proben begannen am

Page 220: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

510 VIERTES KAPITEL

l.Juni und dauerten bis zum 9. August; die drei offentlichen

Auffuhrungen des Zyiclus fanden vom 13. bis zum 30. August

statt. Die Zeit der Proben ist in Bayreuth immer die schonste

gewesen; denn da hatte "Wagner nur diejenigen um sich, denen

das Gelingen wiriclich am Herzen lag, die durch eingehendes

Studium und durch tagliche Unterweisungen des grossenSchopfers

in die Herrlichkeiten des gewaltigen Werlces eingeweiht wurden:

die Kiinstler, und dann noch die wenigen allernachsten undwiriclichen Freunde seiner Sache. Schon bei den Vorproben

des Jahres 1875, wo nur ein Teil der Szenerie fertiggestellt

war und vieles an der Einrichtung des Hauses noch fehlte, wardie Begeisterung unbeschreiblich. Im Jahre 1876 wuchs nundiese Begeisterung von einer Probe zur anderen, und wir diirfen

die Generalprobe vom 6. bis zum 9. August als das echte, eigent-

liche, ungetriibte „Festspiel" betrachten. Wie Glasenapp be-

richtet: „Wohin man trat, begegnete man nur Verzauberten,

die in der gleichen wunderbaren Welt des Ideals lebten." Die

Gegenwart Konig Ludwig's II., des „Mitsch6pfers von Bayreuth",

wie Wagner ihn bezeichnete, verlieh dieser Generalprobe die

Die Presse letzte Weihe. Mit Recht war aber der Konig noch am Abenddes 9. August nach Hohenschwangau zuriiclcgeeilt. Am 13. August

begann das erste Biihnenfestspiel, doch leider nicht, wie der

Meister es immer wieder gewiinscht hatte, „unter uns", wor-

unter er alle diejenigen verstand, die es ernst mit deutscher

Kunst meinten, die als „mitschopferische Freunde" fahig und

gewillt waren, das Gebotene in der selben Stimmung aufzu-

nehmen, in der es ihnen von der auserlesensten Schar deutscher

Kiinstler mit dem grossen deutschen Meister an der Spitze ge-

boten wurde. Auf Bewunderung fiir sein Werk kam es Wagnernicht im geringsten an, wohl aber auf Anerkennung fiir eine in

der Geschichte der Welt noch niemals dagewesene kiinstlerische

Tat; er durfte, ohne unbescheiden zu sein, darauf rechnen,

schon das Bestreben, aus welchem das Bayreuther Festspiel

hervorgegangen war, das ganzlich uneigenniitzige Bestreben, demdeutschen Volk ein Originaltheater, einen eigenen musikalisch-

dramatischen Stil, eine aus seiner ureigensten Entwicklung her-

vorgegangene neue dramatische Form zu schenken, werde selbst

bei einem sehr geringen Grad des Gelingens einer milden, nach-

sichtigen, sympathischen Beurteilung begegnen. Aber weit ge-

Page 221: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 511

fehlt! Neben den leider nur nach Hunderten Zahlenden, welche

die Begeisterung fiir deutsche Kunst zum ersten Zyklus nach

Bayreuth fiihrte, hatte die ganze schlaue Scliar der Sendlinge

aus dem feindiichen Lager es verstanden, sich unter dem Deck-

mantel der Patronatscheine ins Festspielhaus einzuschmuggeln.

Wahrend der schweren Jahre des Baues und der Vorberei-

tungen war die deutsche Presse ununterbrochen bestrebt ge-

wesen, Bayreuth abwechselnd durch Spott und durch Ver-

schweigen nach Moglichkeit zu schadigen und unmoglich zu

machen. „Ich habe nicht geglaubt, dass Sie es zustande

bringen wiirden", sagte Kaiser Wilhelm zu Wagner; die

Zeitungen hatten eben dafiir gesorgt, dass vom Monarchen bis

zum Handwerker niemand daran „glauben" sollte. Nun hatte

der Meister es doch zustande gebracht! Und jetzt sassen die

Vertreter dieser selben Presse in dem geweihten Raume des

Bayreuther Festspielhauses, der wahrlich nicht fiir sie bestimmt

war, und eriedigten sich hernach piinktlich ihres Auftrages, alles

herunterzureissen, alles zu verhohnen, alles zu begeifern. Kaumein Oder zwei Zeitungen in ganz Deutschland schlugen einen

einigermassen anstandigen Ton an, wie z. B. die Kolnische

Zeitung, oder einen wirklich anstandigen, wie der Berliner

Borsenkurier. ') Einige von jenen Herren waren die selben,

die 1861 das Fiasko des Tannhduser in Paris hatten herbei-

fuhren helfen; eine solche Hartnackigkeit regt fast zur Be-

wunderung an. Das wirklich Traurige ist aber nicht so sehr

die Haltung der Presse — fiihlte sich diese als die geborene

Feindin deutscher Kultur, so war das ihre Sache — als viel-

mehr die Tatsache, dass das gebildete deutsche Publikum einer

solchen Presse alles glaubte und ihrem seichten Geschwatz mit

dem grossten Eifer Gehor schenkte. Aus diesen Zeitungs-

berichten iiber die Bayreuther Festspiele entstanden Broschiiren,

die zwanzig und mehr Auflagen erlebten und denen ihre kin-

') Der Name des Herrn George Davidsohn verdient fiir diese mutige

und einsichtsvolle Haltung von alien Verehrern deutscher Kunst stets hoch-

gehalten zu werden. Mit einer so vereinzelt dastehenden gerechten, kenntnis-

reichen und begeisterten Berichterstattung ist aber das Verdienst dieses

hervorragenden Journalisten noch lange nicht erschopft: gleich nach dessen

fruhem Tode hatte er an Tausig's Stelle die Organisation des Patronatsvereines

in Berlin ubernommen und unermiidet fiir die Bayreuther Sache gewirkt.

Page 222: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

512 VIERTES KAPITEL

dische Nichtigkeit und ihre nicht selten obszone Blodigkeit

eigentlich nur als Brechmittel hatten Erfolg sichern diirfen. Derendgiiltige Sieg blieb dieser Kabale allerdings nicht, wieviel

gelang ihr aber! Ihr gelang es, das Publikum im Jahre 1876

von dem Besuch des zweiten und dritten Zyklus abzuschrecken

und dadurch das driickende Defizit herbeizufiihren; hierdurch

wurde aber der Meister in die Notlage versetzt, sein Haupt-

werk, den Nibelungenring — wie er es nach dreissig Jahren

der Arbeit und des Kampfes verwirklicht hatte, dieses Werk,das er fiir Bayreuth allein geschrieben und fiir das er Bayreuth

gebaut hatte — an einen Theateragenten zu verkaufen, Kostiime,

Dekorationen, alles wie es dastand. Infolgedessen verier er

jede Hoffnung auf die so erwiinschte Wiederholung des Ringes

in Bayreuth und iiberlieferte das Werk seines Lebens der

opernmassigen Verhunzung. Eine weitere Folge war aber die

Sistierung der Festspiele: kaum begonnen, waren sie schon

wieder eingestellt. Und dies wiederum iibte den nachteiligsten

Einfluss auf das im Jahre 1877 gegriindete zweite Patronat und

vereitelte die Begriindung jenes von Wagner geplanten mehr-

jahrigen Ubungskursus, „um Sanger, Musiker und Dirigenten

zur richtigen Ausfiihrung der Werke wahrhaft deutschen

Stiles verstandnisvoll zu befahigen". Was hierdurch der Kunst

verloren ging, ist geradezu unermesslich. Sechs Jahre lang

blieben die Krafte dieses einzigen Mannes fiir die Entwickelung

deutscher Biihnenkunst unbenutzt; erst wenige Monate vor

seinem Tode durfte er sein letztes Werk, Parsifal, noch in

Szene setzen. Das war den Berichterstattern bei den Fest-

spielen von 1876 gelungen; darum gehort es auch zur Ge-schichte jener Festspiele.

Die Kunstier Obcr die Festsplele von 1876 hat der Meister in jenem

oft erwahnten Riickblick alles gesagt, was gesagt werden musste;

ich verweise also darauf. Nur eines mochte ich daraus an-

fuhren, dasjenige namlich, was Wagner iiber die Bedeutung

der bei den Festspielen mitwirkenden Kunstier sagt: „Wenn ich

mich ernstlich frage, wer mir dieses ermoglicht hat, dass dort

auf dem Hiigel bei Bayreuth ein vollstandig ausgefuhrtes,

grosses Theatergebaude, ganz nach meinen Angaben, von mir

errichtet steht, welches nachzuahmen der ganzen modernen

Theaterwelt unmoglich bleiben muss, sowie dass in diesem

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H. V. Herkomer. gem. 1877

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BAYREUTH 513

Theater die besten musikalisch-dramatischen Krafte sich urn

mich vereinigten, um einer unerhort neuen, schwierigen und

anstrengenden kiinstlerischen Aufgabe freiwillig sich zu unter-

ziehen, und sie zu ihrem eigenen Erstaunen gliicklich zu losen,

so kann ich in erster Linie mir nur diese verwirklichenden

KiJnstler vorfiihren, deren von vornherein kundgegebene Be-

reitvvilligkeit zur Mitwirkung in Wahrheit erst den ausserhalb

stehenden ungemein wenigen Freunden meines Gedankens es

ermoglichte, fiir die Zusammenbringung der notigen materiellen

Mittel sich zu bemiihen." Ahnlich hat sich der Meister oft

geaussert, und bei Gelegenheit eines Banketts im Jahre 1882

im Parsifal-Monat erklarte er noch ein letztes Mai und mit be-

sonderer Feierlichkeit, „seine HofFnung fiir die Zukunft beruhe

auf den Kiinstlern und auf den Kiinstlern allein". Das kann

nun gar nicht laut genug wiederholt werden. Sagte ich vorhin,

der wackere Emil Heckel habe die Ehre des deutschen Biirger-

standes gerettet, so mochte ich jetztsagen: die deutschen Kiinstler

haben in ihrem treuen, einmiitigen, begeisterten Halten zu

Wagner die Ehre des ganzen deutschen Volkes gerettet. Wasdie Skribenten verbrochen hatten — jene Menschengattung, iiber

die Beethoven in seiner Wut ausruft: „Vieles Schwatzen iiber

Kunst, ohne Taten !!!!!" — was das deutsche Volk sich durch

seine Leichtglaubigkeit, Energielosigkeit, Uberzeugungsiaue zu-

schulden kommen Hess, das haben die Kiinstler wieder wett-

gemacht. Goethe meint:

„Niemand muss hereinrennen

Auch mit den besten Gaben;

Sollen's die Deutschen mit Dank erkennen,

So wollen sie Zeit haben."

Von den deutschen Biihnenkiinstlern und ausiibenden Musikern

gilt das aber nicht; sie haben sich mit der Sache Wagner's von

Anfang an identifiziert, und sie verdienen es, seinen Ruhm zu

teilen. Man vergesse auch nicht, dass damals Mut dazu gehorte,

sich zu Wagner zu bekennen; man vergesse nicht, dass diese

Kiinstler sich vor „unerhort neue, schwierige und anstrengende

Aufgaben" gestellt fanden, so dass sie auch unerhort zu arbeiten

hatten; man vergesse nicht, dass die Entschadigung, die Bayreuth

ihnen bot, kein Verdienst, sondern nur eine Schadloshaltung warChamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 33

Page 226: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

514 VIERTES KAPITEL

man vergesse nicht, dass

diese tiichtigen Leute sich

die Feindschaft der Pres-

se, von der sie in so

hohem Masse abhangen,

durch ihr Verhalten zu-

zogen. In ihrer Tat lag

also wahre Begeisterung;

in ihrem Herzen brannte

doch, wie in dem vctpdn^

des Prometheus, etwas

von jenem himmlischen

Feuer,welches die Gotter

uns sonst sogriindlich ge-

loscht zu habenscheinen.

Ein anderes ist es,

sobald man Namen zu

nennen beginnt. Ein

Schnorr von Carolsfeld,

eine Wilhelmine Schro-

der-Devrient und ein

Tausig Oder Biilow haben

1876 nicht mitgewirkt.

Es ist abgeschmackt, das

zu leugnen; ausserdem begeht man damit ein Vergehen gegen

die Majestat des wirklich Genialen. Obrigens bedeutete diese

Tatsache keinen unbedingten Nachteil fiir die ersten Fest-

spiele. Nichts liegt dem Charakter des deutschen Kunst-

werkes ferner als das „Sternen"-Unwesen; und vielleicht hatte

die stiirmische Genialitat eines Tausig z. B. sich nicht so eng

in alle Intentionen des Meisters gefugt, wie dies dem scharfen

Verstand eines Hans Richter und seiner unvergleichlich virtu-

osen Beherrschung des Orchesters in hohem Masse moglich

wurde. Nein, loslosen soil man diese Kiinstler nicht aus demGanzen, in das sich ein jeder so harmonisch fiigte, dass ihre

Gesamtleistung — jedem Wink des Meisters gehorsam — zu

einer epochemachenden Tat in der Geschichte der Kunstwurde. Und will man durchaus Namen nennen, so nenne mannicht allein die Sanger erster RoUen; gerade die kleineren

Hans Richter

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NEAPEL 1880

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BAYREUTH 515

Rollen und die Chore waren von jeher der Glanzpunkt der

Bayreuther Festspiele; man vergesse auch nicht die wirklich

bedeutenden Musiker, die, wie Professor Porges, von jenen

ersten Miinchener Festspielen des Jahres 1865 an bis heute')

einen verdienstvollen Anteil an diesen unerreichten Leistungen

iiatten. Vor allem aber nenne man dann an erster Stelle, wie

der Meister selbst es tut, solche hervorragenden Krafte wie

Karl Brandt, den Maschinisten, „die Hauptstutze bei der Durch-

fiihrung des ganzen Planes" (X, 149) sowohl des Festspielhaus-

baues als der Festspiele.

Naheres iiber die Festspiele von 1882, in welchem Parsifal 1882

zur ersten Auffiihrung gelangte, findet der Leser in Wagner's

Aufsatz Das Biihnenweihfestspiel in Bayreuth 1882. Die Ver-

breitung, die Wagner's Werke inzwischen auf den meisten Biihnen

gefunden batten, die Tatsache, dass der von der Presse als mon-stros und unauffiihrbar geschilderte Ring des Nibelungen durch

ganz Europa im Triumph gezogen war, hatten die Stimmungschon merklich geandert; auch die Presse begann ihre Taktik

zu andern. Ich konnte einen Pamphletschreiber nennen, der

sowohl 1861 als 1876 einen hervorragenden Anteil an dem Ver-

nichtungswerke genommen hatte und der sich 1882 fiir einen

Freiplatz meldete als „Anhanger Wagner's !" Derartige An-hangerschaft war und ist eine sehr bedenkliche Zugabe fiir die

ideale Sache Wagner's und der Festspiele. Man vertauschte

den offenen Feind mit dem falschen Freunde. Die fernere

Geschichte von Bayreuth hat nun gezeigt, was von diesen

Freunden zu halten ist: Wagner wurde mit einem Male zumGenie proklamiert; der Krieg richtete sich aber nunmehr gegen

seine Erbschaft, Bayreuth, und gegen jenes ganze Vermachtnis,

das er „in unser Herz gesenkt" und das wir unter dem Namen„Bayreuth" zusammenfassen.^) Der Meister selber erlebte diesen

') Porges starb 1900.

2) Heute ist es Mode, von Wagner mit Bewunderung zu sprechen undalle Insulte fiir seine ernsten und unabhangigen Anhanger aufzusparen; manlasse sich aber durch den lacherlichen Popanz — jenen langhaarigen, motiv-

suchtigen Fanatiker — nicht erschreciien ; auch diese Taktiic ist alt; schon

am 2. Juli 1852 schreibt Wagner an Uhlig iiber einen Zeitungsaufsatz: „Die

gallige, gemein injuriose Antwort gait nur meinen ,Lobhudlern', benahm sich

aber vor mir selbst scheu und respektvoll. Das alte Manover!" Also bereits

1852 war das ein „altes Manover"!33*

Page 230: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

516 VIERTES KAPITEL

Wendepunkt kaum. Am Vorabend des voUen — aber doch

noch lange nicht gefestigten — Sieges von Bayreuth starb er.

1883-1894 Auch hier wiederum tat sich bei einem grossen Teil der

deutschen Kiinstler ein schoner Zug von Treue und Glauben

kund; nur wenige fielen ab von Bayreuth. Das weitere gehort

kaum in eine Lebensgeschichte Richard Wagner's, insofern aber

doch, als alles, was Bayreuth bis heute geleistet hat, ein un-

mittelbarer Ausfluss seiner ausdriicklichen Bestimmungen ist.

In dem Bayreuther Schulplan des Jahres 1877 war eine all-

mahliche Auffiihrung seiner alteren Werke vom Fliegenden

Hollander an vorgesehen worden (vgl. X, 25), und spater, als

dieser Plan unausgefiihrt blieb und das Weiterbestehen der

Festspiele sich in erster Reihe auf die Anziehungskraft des

Parsifal griinden musste, erklarte "Wagner, er beabsichtige,

„nach Parsifal alljahrlich eines seiner alteren Werke aufzu-

fiihren". Dass dies nun trotz seines Heimganges moglich wurde,

verdanken wir jener „ganz unerhort seltsam begabten Frau", ')

die nach fast zwanzigjahrigem Leben in des Meisters unmittel-

barster Nahe wie kein zweiter Mensch in alle seine Absichten

eingeweiht war. Wie gross ihr Anteil an dem Zustandekommen

von Bayreuth iiberhaupt war, lasst sich schwer ermessen, da

ihre Tatigkeit mit der des grossen Meisters zu einer einzigen

Tat verschmilzt. Hier unterscheiden zu wollen, ware pietat-

los; denn hier konnte einzig ein Wille herrschen und ein Wille

gehorchen. Beziiglich der Festspiele von 1876 kann uns das

Zeugnis Emil Meckel's genugen: „In wie segensreicher Weise

diese durch den Besitz der seltensten Eigenschaften ausge-

zeichnete Frau bei der Verwirklichung der Plane des Meisters

und ganz besonders bei den Vorbereitungen zur Auffiihrung

des Biihnenfestspieles mitwirkte, das ist nur den naheren Freun-

den Wagner's bekannt geworden Ihr Anteil an dem

endlichen Gelingen des Unternehmens ist unermesslich gross." ^)

Tiefer als in irgendein anderes war gerade in dieses Herz „das

Vermachtnis gesenkt", und fahiger als irgendeine andere war

gerade diese Intelligenz, dem Vermachtnis, wie Wagner sagt,

„neue Nahrung zuzufiihren", es nicht als ein Idol zu pflegen,

sondern als ein Lebendiges, Wachsendes, neue Bliiten des

') Vgl. S. 136.

2) Vergleiche die obengenannte Broschiire Karl Meckel's, S. 41.

Page 231: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 517

^r^

Page 232: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

518 VIERTES KAPITEL

Werke wirkten wie Offenbarungen auf der Bayreuther Biihne.

Der Meister selber hatte ofters erklart, er habe sie niemals so

auffuhren sehen, „wie er sie sich gedacht", denn immer und

uberall„wer-

de das Dra-

ma als iiber-

fliissig bei-

seite gelas-

sen"; die

grossePopu-

laritat dieser

Werke be-

ruhe „auf

einem Miss-

verstand-

nisse" oder

wenigstens

„auf einem

durchaus

mangel-

haften Ver-

standnisse

seiner ei-

gentlichen

kiinstler-

Hans Richter

Hermann Levi Felix Mottl

ischen Ab-

sicht".') In

Bayreuth

wurde nun

das Dramaso kraftig

undplastiscii

herausgear-

beitet— was

namentlich

beiden Wer-ken aus der

ersten Le-

benshalfte

notwendig

ist, weil, wie

Wagner sagt,

„ein Stiick

Oper noch

drinsteckt"

— dass manzum ersten

Male erfuhr, „wie der Dichter sie sich gedacht hatte". Hatte der

Ring im Jahre 1876 das Wesen und die Lebensfahigkeit der

Festspielidee dargetan; hatte Parsifal nach der sinnigen Be-

stimmung des Meisters die Bayreuther Biihne zu ihrem ferneren

Wirken „geweiht"; hatten Tristan und die Meistersinger den

6. 1888 Parsifal, Tristan und Isolde, Die Meistersinger. — 7. 1889 Das selbe. —8. 1891 Parsifal, Tristan und Isolde, Tannhduser. — 9. 1892 Parsifal, Tristan

und Isolde, Die Meistersinger, Tannhduser. — 10. 1894 Parsifal, Tannhduser,

Lohengrin. — 11. 1893 Der Ring. — 12. 1897 Parsifal, Der Ring. — 13. 1899

Parsifal, Der Ring, Die Meistersinger. — 14. 1901 Parsifal, Der Ring, Der

Fliegende Hollander. — 15. 1902 Das selbe. — 16. 1904 Parsifal, Der Ring,

Tannhduser. — 17. 1906 Parsifal, Der Ring, Tristan und Isolde. — 18. 1908

Parsifal, Der Ring. Lohengrin. — 19. 1909 Parsifal, Der Ring, Lohengrin. —20. 1911 Parsifal, Der Ring, Die Meistersinger.

') Vgl. V. 174, IX, 253, R. 12 usw.

Page 233: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 519

endgiiltigen Sieg Bayreuths iiber alle Theater der Welt in einer

Weise dargetan, dass hieriiber keine Diskussion meiir moglich

war und dass von nun an die Kunstsinnigen zu jedem Fest-

spiel aus alien Teilen der Welt zu Tausenden herbeistromten:

so haben die Auffiihrungen des Tannhduser und Lohengrin

namentlich den

Page 234: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

520 VIERTES KAPITEL

gibt mir ein neues, langes

Leben." (S. 133.) Seit eini-

gen Jahren') wirkt Sieg-

fried Wagner als musika-

lischer Dirigent und als

Inszenierer bei den Fest-

spielen mit. Man weiss, in

wie kurzer Zeit sein un-

gewohnliches Dirigenten-

talent ihm einen europai-

schen Ruf erworben hat.

Weiss man nun ausserdem,

nach wie vielen anderen

Riclitungen sich die aus-

gesprochenstekiinstlerische

Begabung bei ihm kund-

gibt, weiss man, wie fest

und zugieich kindlich un-

befangen sein Charakter,

wie reif sein Urteil und wie zielbewusst sein Streben ist, so

mochte man geneigt sein, des Meisters Worte als eine unbe-

wusste Prophezeiung aufzufassen: Siegfried Wagner wuchs mit

dem Bayreuther Werk auf, nun soil es weiter mit ihm gedeihen

und Deutschlands grossem Dichter „ein neues, langes Leben

geben".

Siegfried WagnerMarmorbiiste von Adolf Hildebrand

Das walte Gott!

') Geschrieben 1895.

Page 235: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

Harmorbuste von A. v. Hildebrand

SIEGFRIED WAGNER

Page 236: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)
Page 237: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

DER BAYREUTHER GEDANKE

Allen, die das Fest mit uns feierten, ist der

Name nBayreuth" zu einem teueren Angedenken,

zu einem ermutigenden Begriffe, zu einem sinn-

vollen Wahlspruche geworden.

Richard Wagner

Wer den Ausdruck „Bayreuther Gedanke" zuerst gebraucht Der Kuitur-

hat, vermag ich nicht anzugeben. Jedenfalls findet er sicheedani^e

schon bei Nietzsche: „Um wenigstens sein grosstes Werk vor

diesen missverstandlichen Erfolgen und Beschimpfungen zu

retten und es in seinem eigensten Rhythmus, zum Beispiel fiir

alle Zeiten hinzustellen: erfand Wagner den Gedanken von

Bayreuth. Im Gefolge jener Stromung der Gemiiter (nach

dem Krieg von 1870) glaubte er auch auf der Seite derer,

welchen er seinen kostbaren Besitz anvertrauen wollte, ein

erhohteres Gefiihl von Pfllcht erwachen zu sehen: aus dieser

Doppelseitigkeit von Pflichten erwuclis das Ereignis, welches

wie ein fremdartiger Sonnenglanz auf der letzten und nachsten

Reihe von Jahren liegt: zum Heile einer fernen, einer nur

moglichen, aber unabweisbaren Zukunft ausgedacht, fiir die

Gegenwart und die nur gegenwartigen Menschen nicht viel

mehr, als ein Ratsel oder ein Greuel, fiir die wenigen, die an

ihm helfen durften, ein Vorgenuss, ein Vorausleben der hochsten

Art, durch welches sie weit liber ihre Spanne Zeit sich beseligt,

beseligend und fruchtbar wissen, fiir Wagner selbst eine Ver-

finsterung von Muhsal, Sorge, Nachdenken, Gram, ein erneutes

Wiiten der feindseligen Elemente, aber alles iiberstrahlt von

dem Sterne der selbstlosen Treue, und, in diesem Lichte, zu

einem unsaglichen Gliicke umgewandelt!"') Man sieht, wie

im Verlaufe dieses einen Satzes der Begriff „Gedanke von

») Richard Wagner in Bayreuth, Ed. 1876, S. 67.

Page 238: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

522 VIERTES KAPITEL

Bayreuth" sich erweitert: zuerst gilt er allein dem Vorsatz

Wagner's, sein grosstes Werk, namlich den Ring des Nibe-

lungen, „vor missverstandlichen Erfolgen zu retten"; dann

aber — und ohne dass er mit peinlicher Ausfiihrlichkeit weitere

Kreise um diesen Ausgangspunkt zoge — lasst Nietzsche dieses

Bayreuth immer heller vor unseren Augen erglanzen, wie

Parsifal den Gral, bis wir zuletzt, obzwar das kiinstlerische

Vorhaben immer noch als die vollendete Form, als die bezau-

bernde Gestalt erscheint, doch im Innern die noch tiefere Glut

eines rein ethischen Beweggrundes, „den Stern der selbstlosen

Treue", erblicken. In der Einleitung zu diesem Kapitel habe

ich Bayreuth einem Symbol verglichen, um das man immer

weitere Kreise ziehen konne; Bayreuth ist aber nicht bloss ein

Symbol, sondern vor allem ist es eine lebendige Tat, und das

Bild von den Kreisen, die man enger oder weiter um den Mittel-

punkt der rein dramatischen Absicht ziehen konne, ist nur seiner

Klarheit schenkenden Absicht wegenzulassig; geht man der Sache

auf den Grund, so muss man sagen: der Gedanke, dem diese Tat

entsprang, ist ein weltumfassender Gedanke; an dieser Tatsache

kann unser Belieben nichts andern. Uber die Grenzen der Kunst

mag man ja abstrakt diskutieren, so viel man will, nicht aber darf

man es uber die Grenzen des Kunstgedankens von Bayreuth:

denn dieser ist das Werk eines bestimmten Mannes: so hat er

Kunst geschaffen; ihm stromte Leben und Licht aus alien Fernen

zu, und aus seinem machtigen Gehirn stromte neues Leben und

neues Licht wieder in weite Fernen zuriick. Was in unserem

Belieben liegt, was durch unser Vermogen begrenzt wird, ist

also nur, wie tief ein jeder von uns sich in diesen Gedanken,

das heisst in diese gesamte Weltanschauung, vertiefen will und

kann. Bayreuth ist und bleibt Bayreuth. Schon das blosse

Gebaude des Festspielhauses bezeugt, dass es sich hier umetwas anderes handelt als um einen aus der Willkiir eines ein-

zelnen Kiinstlers hervorgegangenen Theaterbau. Nur von demManne konnte das Bayreuther Haus ersonnen werden, der

die kiinstlerische Entwickelung eines ganzen grossen Volkes

nicht allein iibersah, sondern in seinem eigenen Denken und

Fiihlen zur Bliite brachte. Ja, die Erfindung dieses Gebaudes

weist noch weit iiber den deutschen Geist hinaus: wie sehr

auch die Anforderungen, die unser heutiges Kunstwerk an die

Page 239: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 523

verwirklichende Technik stellt, von den zur Zeit des Sophokles

gultigen verschieden sein mogen, dennoch fuhlt ein jeder, der

das Festspielhaus betritt, dass der sommerliche Hauch griechi-

schen Kunstlebens ihn hier umfangt; hier ist nicht mechanische

Restitution des Alten, wohl aber Neugeburt aus dem Geist des

Alten, ewig Jungen. Wer das erschuf, musste die Kunst der

Hellenen als ein Eriebnis in der Seele tragen. Wagner nennt

sein Festspielhaus „ein mit dem diirftigsten Materiale ausge-

fiihrtes provisorisches Notgebaude"; die flachen Spotter haben

auch nach Herzenslust iiber die rohen Balken und Ziegel ge-

hohnt, und doch, warum fesselt es immer wieder den Blick,

so dass sich von alien Hohen der Umgegend das Auge un-

willkiirlich auf dieses ausserlich so schmucklose Gebauderichtet und in dessen Anblick versenkt bleibt? Gewiss, weil

man empfindet, hier habe ein gewaltiger Kulturgedanke gebaut.

Glaubt man, der Karren des Thespis habe durch Reichtum

und Pracht geglanzt? Wer ihn aber erblicken durfte und seine

Bedeutung fiir das Menschengeschlecht ahnte, musste der nicht

wie gebannt davor stehen? So stehen wir heute vor demBayreuther Festspielhaus, vor diesem sichtbaren Symbol des

„Bayreuther Gedankens".

Ich habe Gelegenheit gehabt, ziemlich ausfiihrlich iiber

Wagner's Regenerationsgedanken zu referieren. Vielfach glaubt

man, es werde mit diesem eine „Ruckkehr zum rohen Natur-

zustand" gelehrt, und iiber die unerhorte Zumutung entsteht

nicht geringe Entriistung. Der Anblick des Bayreuther Fest-

spielhauses muss wohl jeden eines Bessern belehren: in demKunstwerk, fiir welches dieses Gebaude errichtet wurde, laufen

Wortdichtung, Tondichtung, Farbendichtung und nicht diese

allein, sondern ein durch Jahrtausende entwickeltes, durch Er-

fahrung bereichertes, durch Obung im Leiden und im Fiihlen

gesteigertes Empfinden und Denken zu einem so mannigfaltig-

einheitlichen Ausdruck, zu einer so unerhort beziehungsreichen

Handlung zusammen — was hier in die Erscheinung tritt, ist

durch tausend Wurzeln so eng verbunden mit allem Tiefsten,

was der Menschengeist im Laufe der Zeiten erforscht, ist so

innig verwachsen mit allem Hochsten, zu dem sein ahnungs-

voller Blick sich emporgehoben hat, dass man im Gegenteil

erkennen muss: hier erreicht der Mensch eine hochste Kultur-

Page 240: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

524 VIERTES KAPITEL

stufe; so fern vom „rohen Naturzustand" war er noch nie.

Gerade diese Tatsache aber bildet nach meiner Uberzeugung

das grosste Hindernis fiir ein voiles Verstandnis des Bay-

reuther Gedankens: denn Schiller und Wagner batten voll-

kommen recht mit der Behauptung, unsere Zivilisation sei

doch im Grunde genommen eine durchaus „barbarische"; in

Wahrheit steht die Mehrzahl gerade der „Gebildeten" demsogenannten Naturzustand viel naher als sie selber vermuten.

Es kommt darauf an, ob man unter „Naturzustand" den Mangel

an elektrischer Beleuchtung und an Kenntnissen versteht oder

die unentwickelten Anlagen fiir geistige und moralische Emp-fanglichkeit. Ein Beispiel. Ein akademisch gebildeter Musiker,

der nicht bloss in seinem Each, sondern auf den verschie-

densten Gebieten iiber ein grosses Wissensmaterial verfugt,

diskutierte mit mir iiber Die Meistersinger und erklarte, reiche

Kontrapunktik und vor allem die haufige Anwendung des

grossen Nonenakkordes sei das Charakteristische an diesem

Werke, die Handlung dagegen sei ganz opernhaft unbedeutend

und alles, was man sonst darin zu erblicken sich bestrebe,

lauter „Pflanz". Nun frage ich: wenn man sich vorstellt,

eine Familie von Papua-Negern hatte durch irgendeinen wun-

derbaren Zufall eine musikalische Erziehung genossen und

abends, wahrend sie um das Feuer hockte (auf welchem der

soeben erschlagene Feind am Spiess gebraten wtirde) kame

das Gesprach auf die Meistersingerpartitur — was konnten

diese braven Naturkinder andres aussagen als jener gelehrte

Mann? Kontrapunktik und Nonenakkord, das konnten sie

gewahren; Weiteres nicht, weil ihnen jegliche Kultur des

Geistes abginge. Wie sollte der Papua-Neger des Meisters

Wort verstehen konnen: „Mich leitete bei meiner Ausfiihrung

und Auffiihrung der Meistersinger die Meinung, mit dieser

Arbeit ein dem deutschen Publikum bisher nur stiimperhaft

noch vorgefiihrtes Abbild seiner eigenen wahren Natur darzu-

bieten, und ich gab mich der Hoffnung hin, dem Herzen des

edleren und tiichtigeren deutschen Biirgertums einen ernstlich

gemeinten Gegengruss abzugewinnen" (X, 161)? Oder wenn

man gar ihm dartun wollte, die Musik sei bei Wagner kein

Spiel „zur Erregung des Gefallens an schonen Formen", son-

dern „eine neue Sprache, in der das Schrankenloseste sich nun

Page 241: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

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Page 242: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

526 VIERTES KAPITEL

mit unmissverstandlichster Bestimmtheit aussprechen kann —in der vom tondichterischen Seher iiber alle Denkbarkeit des

Begriffes hinaus das Unaussprechbare offenbart wird" (X, 321)?

Und wenn man nun, wie ich es im vorigen Kapitel fliichtig

anzudeuten versucht habe, auf Grund dieser Erkenntnis von

der wahren Natur der Musik dem wilden Naturkind die rein-

menschliche, iiber das spezifiscli Deutsche weit liinausreichende

Handlung der Meistersinger zum unmittelbaren Gefiihlsverstand-

nis bringen wollte? Es ware offenbar alles umsonst, weil,

urn das zu verstehen und zu empfinden, zwar keine eigentliclie

Gelehrsamkeit, woiil aber eine liohe Kultur des Geistes notig

ist. Solciie mehr oder weniger weissgetiincliten Papuaner bilden

aber einen grossen Teil der Bevolkerung Europas; darum glaube

icli auch, dass der umfassende Kulturgedanke, weicher Wagner's

ganzes Scliaffen wie eine reichergeartete Lebensatmosphare

umgab, vielen auch fernerhin „ein Ratsel oder ein Greuel"

bleiben wird.

Aber noch aus einem anderen Grunde diirfte es nur einer

Minderzahl vorbehalten bleiben, diesen Gedanken in seiner

vollen "Weite zu ermessen und dadurch ein Verstandnis dafiir

zu erlangen, wie der Name Bayreuth „zu einem ermutigenden

Begriffe" werden konnte. Kant, der in solchen Dingen gewiss

nicht iiberspannt urteilte, meint doch, schone Kunst erfordere

„Einbildungskraft, Verstand, Geist und Geschmack". Nun ist

aber das Wesentliche und Bezeichnende an dem Bayreuther

Gedanken, dass er gerade die Kunst zu einer Kulturmacht

erheben will; was Schiller, wie sich aus seinen Briefen iiber

die dsthetische Erziehung des Menschen ergibt, gleichsam von

feme erblickte und darum auch haufig nur in duftig ver-

schwommenen Linien zeichnete, das tritt hier in die Erschei-

nung: zur asthetischen Erziehung des Menschen steht ja das

Haus dort auf dem lieblichen Hiigel bei Bayreuth! Aber wie,

wenn jene geforderte Vereinigung von Einbildungskraft, Ver-

stand, Geist und Geschmack nicht so gar haufig anzutreffen

ware — auch nicht unter denen, die nach Bayreuth hinstromen?

Die Macht der Bajonette empfindet jeder, und jeder gleich-

massig; die Kunst dagegen wirkt auf jeden verschieden, auf

einige fast gar nicht, auf manche wohl nur sehr oberflachlich,

als eine wirkliche Macht — wenigstens unmittelbar — gewiss

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A. von Gross phot. 1888

COSIMA WAGNER

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Page 245: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 527

nur auf hochorganisierte Geister. Also auch aus diesem

Grund erhellt es, dass die Auffassung des eigentlichen Bay-

reuther Gedankens sich in verschiedenen Kopfen sehr ver-

schieden gestalten muss. Bei dem vorhin genannten Musik-

gelehrten umfasste der Begriffskreis „Bayreuth" nicht einmal

das ganze Festspielhaus, sondern nur den Orchesterraum, ja,

wahrscheinlich sogar einzig die gedruckte lautlose Partitur auf

dem Pult des Dirigenten. Ein Heinrich von Stein dagegen,

wiewohl selber ein fachmassig gebildeter Philosoph, empfand,

dass er erst von Bayreuth aus die Spekulationen eines Gior-

dano Bruno vollig begriff; nur der durch die iebendige Be-

riihrung mit der grossen, offenbarenden Kunst gescharfte Blick

war imstande, eine solche Weltanschauung wirklich auch zu

„erschauen"; erst der Iebendige Organismus des Kunstwerks

(eben als hochsten Kulturmomentes) fiihrte Stein auf seine

tiefsinnigen Betrachtungen iiber das Verhaltnis zwischen Sprache

und philosophischer Erkenntnis, zwischen Sprache und Kultur;

erst die „erlebte" Beriihrung mit dem schaffenden Bayreuther

Dichter befahigte ihn zu seiner schonen Arbeit iiber die Asthetik

der deutschen Klassiker und zu seiner grundlegenden Schrift

Die Entstehung der neueren Asthetik. Auch der Umblick

iiber die Weltgeschichte, den er in seinen eigenen Dichtwerken

Helden und Welt und Die Heiligen gibt, wird, wenn ich

mich so ausdriicken darf, von der Hohe des Bayreuther Kultur-

gedankens aus auf das Werden des Menschengeschlechts ge-

worfen. Carlyle, der zu Bayreuth gehorte, ohne es gekannt

zu haben, fand Musik in der ganzen Natur als das „zugrunde

Liegende" und meinte, durch sie allein konne man „in die

Wahrheit hineindringen", wahrend ,,die Logik nur von der

Oberflache schwatze". Zwischen jenem Gelehrten „im rohen

Naturzustand" — oder sagen wir, um hoflich zu bleiben, „im

grossen Nonenakkordzustand" — und dem Geist solcher zu-

hochst begabten und durch die umfassendste und exquisiteste

Kultur fiir jeden Eindruck befahigten Menschen gibt es nun

alle denkbaren Stufen. Fur viele muss Bayreuth ewig ein

Buch mit sieben Siegeln bleiben.

Dagegen muss ich jetzt eine Erwagung vorbringen, die oas mythische

auf andere Spuren fuhrt. Ich rede in diesem Abschnitt von ^^"'''"

einem „Bayreuther Gedanken"; darin folge ich dem Beispiel

Page 246: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

528 VIERTES KAPITEL

bedeutender Vorganger; es muss aber wohl bemerkt werden,

dass es manchen der allerbesten, vornehmlich unter den aus-

iibenden Kiinstlern oder auch unter den praktisch tatigen,

ahnlich geht wie Briinnhilde, die zwar fiir Wotan's Gedanken

„focht, kampfte und stritt", die aber

„nicht ihn dachte!

und nur empfand!"

Oder auch wie Siegfried, der von sich sagt:

„Nicht kann ich das Femesinnig erfassen."

Das "Wort „Gedanke" ist vielleicht iiberhaupt nicht sehr gliick-

lich als Bezeichnung fiir eine solche kiinstierische Uberzeugung,

fiir eine solche kiinstierische Weltanschauung oder, noch rich-

tiger gesagt, fiir einen solchen kiinstlerischen Glauben. WieNietzsche sehr mit Recht hervorhebt: Wagner selber „denkt

in sichtbaren und fiihlbaren Vorgangen, nicht in Begriffen, das

heisst, dass er mythisch denkt, so wie immer das Volk ge-

dacht hat". Ein Nicht-in-Begriffen-Denken ist aber nach dem

iiblichen Sprachgebrauch kein eigentliches Denken, es ist ein

Schauen. Zur Erlauterung des Unterschiedes verweise ich auf

das Gesprach zwischen Christus und Nikodemus: der Gelehrte

fordert klar umschriebene Begriffe und erhebt Einwendungen

gegen die „mythische Denkweise" des Heilands; dieser jedoch

unterbricht ihn mit den einfachen Worten : „Wir reden, das

wir wissen, und zeugen, das wir gesehen haben." Diese Worte

lassen sich auf manche der treusten, tatkraftigsten und er-

folgreichsten Anhanger von Bayreuth anwenden: sie wissen

wenig von dem Verhaltnis zwischen Kunst und Kultur, sie

machen sich nicht die geringste Sorge um eine mogliche Be-

einflussung dieser durch jene, und dennoch wissen sie — denn

das zeigt sich in ihrer Gesinnung („das Walten des Wissens",

wie Wagner's Erda sagt) — und „sie zeugen, das sie gesehen

haben" — denn das bewahrt sich in ihren Taten. Man kann

also im Bannkreise des „Bayreuther Gedankens" stehen und

ihn als „sinnvollen Wahlspruch" hochhalten, ohne ein Denker

Page 247: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 529

zu sein, ohne iiberhaupt irgend etwas anderes im Auge zu

haben als das reinkiinstlerische Werk, seine technische Ge-

staltung und seine leibhaftige Verwirklichung.

Diese Tatsache fiihrt uns nun zu einer sehr wichtigen

Erkenntnis. Ober das mythische Denken Wagner's fiigt Nietzsche

eriauternd hinzu: „So wie immer das Volk gedacht hat". Das

Denken des Kiinstlers ist in der Tat dem „unbewussten

Denken" des Volkes wesentlich verwandt; darum ist auch gerade

dieses kiinstlerische Denken wie kein zweites dazu geeignet, die

weiteste Wirkung auszuiiben. Zu der billigen RoUe eines Pro-

pheten habe ich weder die geringste Neigung noch Eignung;

meine feste Uberzeugung ist es aber, dass der jetzt schon grosse

und wachsende Einfluss von Wagner's „unbegrifflichem" Denken— von dem Bayreuther Gedanken — in einem heute noch un-

geahnten Masse umgestaltend auf das Denken der Menschen

wirken wird. Denn „Volk" sind nicht etwa bloss die Bauern,

sondern wir alle. Als einzelnes gebildetes Individuum mogen

wir uns gegen eine solche Naturstromung, wie sie sich in

Wagner's Denken und Wirken ausserte, auflehnen und uns mit

Handen und Fiissen dagegen strauben; es niitzt aber nichts:

der Starkste siegt, und der Starkste ist der, der mythisch denkt.

Die unvergleichliche Plastizitat der Kunstwerke Wagner's —dergleichen nur bei den wenigen allergrossten Dramatikern

aller Zeiten anzutreffen ist — diese selbe Plastizitat ist alien

seinen Gedanken eigen: redet er von Weltgeschichte, von

Politik, von Staatsverfassung, von Gesetz und Religion, von

Sklaventum und Aristokratismus, von Handwerkertum und

Kapitalismus, von Sprache, Literatur und Musik, von Wissen-

schaft und Philosophic, oder auch von Spanien, Frankreich,

England in ihren charakteristischen Merkmalen, von Shake-

speare, Calderon, Hafis, Napoleon, Robespierre, von Palestrina,

Mozart, Bach, Spontini, Auber, immer und iiberall ist es ein

Gesehenes, was da plotzlich vor uns auftaucht. Nehmen wir

als Beispiel eine Gestalt, die dem Kiinstler als solchem besonders

fern liegen musste, die des Robespierre. Wie viel hat man nicht

iiber diesen Mann hin und hergeschrieben! Das Urteil der

Historiker war so widerspruchsvoll, dass man vermuten musste,

hier liege ein Ratsel vor; und welches Aufsehen, welche

Lobeshymnen, als nach langen Studien Taine vor einigen

Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 34

Page 248: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

530 VIERTES KAPITEL

Jahren in seinen Origines de la France contemporaine eine

Ecke des Schleiers aufhob! Ganz das selbe wie Taine, aber

viel scharfer, viel plastischer und sofort — nach seiner Art —(iber das Individuelle hinaus zu allgemeiner Bedeutung er-

weitert, hatte Wagner genau 30 Jahre friiher geschrieben:

„Das Tragische Robespierre's besteht eigentlich in der unglaub-

lichen Jammerlichkeit, mit der dieser Mensch, am Ziele seiner

Machtbestrebungen, ganzlich ohne Wissen davon dastand, was

er denn nun eigentlicli mit dieser gewonnenen Macht anfangen

soil ihm war nicht ein hoher Zweck bekannt, umdessen Erreichung willen er zu schlechten Mitteln griff; sondern

um den Mangel eines solchen Zweckes, um seine eigene In-

haltslosigkeit zu decken, griff er zu dem ganzen scheusslichen

Guillotinenapparat, So hatte dieser hochst armliche

Mensch, der endlich nur seine abgeschmackte vertu auskramen

konnte, eigentlich nur in den Mitteln seinen Zweck, und so

geht es mit all diesen rein politischen Helden, die mit vollem

Rechte an ihrer Unfahigkeit der Art zugrunde gehen, dass

hoffentlich diese ganze Gattung bald vollstandig aus der Ge-schichte schwinden soll/'^) Wie gesagt, die reine, aktenmassige

Geschichtsforschung hat dieses Bild (dessen Richtigkeit uns

sofort durch die Physiognomie Robespierre's bekraftigt wird)

in alien Punkten bestatigt; Wagner aber hatte es nicht notig,

in Akten zu stobern, um Robespierre zu verstehen, „er zeugte,

was er sah", und jeder, der seine Worte liest, sieht nunmehr

ebenfalls die ganze moralische Personlichkeit jenes Mannes, als

stiinde seine Seele nackt vor uns. — Man sprach einmal in

Wahnfried von der historischen Bedeutung Shakespeare's, da

erklarte der Meister: „Shakespeare ist der Richter der Re-

naissance". Uber das Wesen des Lisztschen Genius befragt,

erwiderte er, dass in Liszt der vollendete Musiker zugleich

durch und durch „anschauender Dichter" sei. In solchen

Worten — und man konnte Hunderte anfuhren-) — ist etwas

so Erschopfendes und zugleich so kiinstlerisch Abgerundetes

gesagt, dass sie wie vollendete kleine Kunstwerke den Stempel

') Zum luckenlosen Verstandnis bitte ich die betreffende, hier nur im

Auszug mitgeteilte Stelle in dem Brief an Roeckel vom 25. Januar 1854 nach-

zulesen. Ahnliches in Was niitzt diese Erkenntnis? (X, 326).

2) Vgl. u. a. Wolzogen's Erinnerungen an Richard Wagner.

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F. V. Lenbach gem.

FRANZ LISZT

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BAYREUTH 531

der endgultigen Form an sich tragen. (Darin liegt auch die Be-

rechtigung eines solchen Werkes wie die Glasenappsche

Enzyklopadie.) Man betrachte aber auch Wagner's Behandlung

mehr abstrakter Fragen. Welches soziologische Problem z. B.

ist wohl schwieriger darzustellen und in der Unlosbarkeit seiner

inneren Widerspriiche von alien Seiten zu beleuchten als das

Problem des Verhaltnisses zwischen dem Individuum und der

Gesellschaft, zwischen dem edlen Drang des Einzelnen nach

Freiheit und der Notwendigkeit zunehmender Einschrankungen

durch die Allgemeinheit? Dies ist das Grundproblem aller

Staatskunst. Nun sehe man, in welcher Weise Wagner an der

Hand des „Mythos vom Odipus" dieses Verhaltnis in alien

seinen moglichen weitverzweigten Beziehungen so leuchtend

klar dargetan hat, dass man sagen muss, eines der dunkelsten,

unfruchtbarsten Gebiete menschlichen Denkens sei hier plotz-

lich nicht bloss hell beleuchtet, sondern zu einem leidenschaftlich

fesselnden Gegenstand umgeformt (vgl. Oper und DramasIV, 68—80)! Was der Meister als die eigentliche dichterische

Kraft bezeichnet hatte, die Neuerfindung von Mythen, das ist

eben bei ihm die normale und notwendige Form seines Denkens.

„Ich kann nur in Kunstwerken sprechen", schrieb einmal Wagneran Roeckel (R. 69); die Betonung lag hier auf dem Wort Kunst-

werken, wir konnen sie aber, ohne fehlzugehen, auf nur ver-

legen: „Ich kann nur in Kunstwerken sprechen." Wagner's

Denken — und darum auch seln Sprechen — war Kunst: sein

Denken war wirkliches Anschauen, sein Sprechen waren klare,

scharf umgrenzte, plastische Bilder wie die Bilder auf der Biihne.

Einem solchen Denken und seiner Widerspiegelung im ge-

sprochenen und geschriebenen Wort kommt aber unter anderemjene wesentlichste Eigenschaft genialer Kunst zu, dass es nie

„auszudenken" ist: im Gegensatz zu einer streng logisch ana-

lytischen, scharf umgrenzten Wissenschaft ist eine derartige

Weisheit so unerschopflich wie die Natur, welche hier (ummich eines physikalischen Vergleiches zu bedienen) im Gehirn

des kiinstlerischen Genies eine „totale Reflexion" erleidet undnicht, wie durch die bloss logische Denkfunktion, eine nur

„partielle". Hiermit diirfte aber zugleich ausgesagt sein, dass,

was man unter dem „Bayreuther Gedanken" zu verstehen hat,

iedenfalls auch ein kiinstlerisch Geniales sein muss, das nicht

34*

Page 252: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

532 VIERTEL KAPITTL

barbar

abgezirkelt und abgemessen werden kann, sondern einer Quelle

gleicht, aus der unerschopflich „Wasser des Lebens" — wie

die alten Marchendichter gesagt batten — zu entnehmen ist.

Der Biidungs- Mail wlttere aber keinen Widerspruch zwischen dieser Hoff-

nung auf den grossen, allgemeinen Einfluss von Wagner's Denken

und meinen vorangehenden Ausfiihrungen, nach denen das Ver-

standnis des „Gedankens von Bayreuth" auf eine Minderzahl be-

schrankt bleiben muss. Das letzte gilt von dem Kulturgedanken als

einer mystisch-philosophischen Vorstellung; Wagner's „Denken

in sichtbaren und fiihlbaren Vorgangen" dagegen, welches in

dem sichtbaren Festspielhaus in Bayreuth ein wunderbar ent-

sprechendes, viel umfassendes Denkmal — zugleich ein Symbol

und einen „sinnvollen Wahlspruch" — erhalten hat, dieses reicht

in seinen Wirkungen weit iiber den engen Kreis einer Minder-

zahl hinaus. Nur eine Klasse von Menschen diirfte keinerlei

Wirkungen verspiiren und sowohl von dem mythisch-kiinstle-

rischen wie von dem logischen Bayreuther Gedanken unberiihrt

bleiben; eine uralte indische Dichtung hat es schon gesagt:

„ Einen durch ein bisschen Wissen verschrobenen Menschen

gewinnt selbst Brahman nicht". Ich kann mich aber auf die

hervorragendsten Schulmanner, wie z. B. Paul de Lagarde, be-

rufen, wenn ich die Behauptung vertrete, unsere jetzige Schul-

bildung sei ganz besonders dazu angetan, „die Menschen zu

verschrauben"; namentlich bleibt das Wissen, wie es uns jetzt

beigebracht wird, immer „ein bisschen"; denn wie enorm auch

die Masse der mitgeteilten und eingepaukten Tatsachen sein mag,

diese sind und bleiben lauter aneinander gereihtes „Einzelnes",

lauter „bisschen"; zu einem echten Wissen, zu einer wahren

Kultur des Geistes gehort eine einheitliche Weltanschauung und

namentlich auch eine gleichmassige Entwickelung aller Anlagen

des Geistes. Kant forderte, wie wir sahen, Einbildungskraft,

Verstand, Geist und Geschmack: welche von diesen vier Anlagen

wird etwa auf unseren Schulen systematisch gepflegt? Und so sagt

auch Lagarde von dieser Gymnasialbildung: „Sie iiberzieht die

Nation mit dem zahen Schleime der Bildungsbarbarei, dieser ekel-

haftesten aller Barbareien, die jetzt das Leben in Deutschland zu

einer Strafe macht und Gottes Licht und Luft von uns abhalt".')

') Politische Aufsatze, S. 121.

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BAYREUTH 533

Die Bildungsbarbaren, diese weissgetiinchten Papuaner, sie

haben Wagner sein Leben lang gehasst, verfolgt, anathematisiert;

auch der Bayreuther Gedanke bleibt ihnen fremd — nicht so

sehr „ein Ratsel" (denn Ratsel gibt es fiir solche Leute iiber-

haupt nicht), wohl aber „ein Greuel". Sehen wir aber von

ihnen ab, so diirfen wir die Erwartung aussprechen, dass der

„Bayreuther Gedanlce" sowohl auf die zuhochst kultivierten

Geister wie auch auf die grosse gesunde Masse des Volkes

unfehlbar wirken wird.

Der Leser wird, glaube ich, schon bemerkt haben, dass Der Kunst-

mir an diesem Abschnitt die Uberschrift die Hauptsache ist.K^danke

Mir liegt vor allem daran, durch diesen Titel „Der Bayreuther

Gedanke" die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass es iiber-

haupt etwas gibt, was man so benennen kann, und es sich in

den Augen des Schopfers jenes Festspielhauses und in denen

seiner mitschopferischen Freunde nicht bloss um einen Theater-

bau, sondern um einen Kulturgedanken handeh. Dagegen halte

ich es fiir unmoglich, klipp und klar (und kurz) darzulegen,

was man unter dem Ausdruck „Bayreuther Gedanke" zu ver-

stehen habe. Aus dem Vorangegangenen diirfte sich auch ohne

weiteres ergeben, warum das unmoglich ist. Hier miissen wir

mit Wagner's Hans Sachs gestehen:

„Fass' ich es ganz — kann ich's nicht messen!

Doch wie wollt' ich auch messen,

was unermesslich mir schien?"

Jedoch, kann ich auch das Unermessliche nicht messen, bin ich

auch tief iiberzeugt, dass ein wahres Erfassen nur aus demEindruck des lebendigen Kunstwerks zu gewinnen ist und dass

nur derjenige, dem selber Bayreuth „ein teures Andenken" ge-

worden ist, es begreifen und billigen wird, wenn man iiber-

haupt von einem Bayreuther Gedanken redet — so will ich

doch nicht den Vorwurf auf mich laden, ich wiche einer be-

rechtigten Frage aus. Aus der schier unbegrenzten Menge des

hier Sagenswerten will ich darum zwei Punkte herausgreifen

und versuchen, sie in moglichst wenigen Worten vor den

Leser hinzustellen; im besten Falle konnte es sich ja nur umAndeutungen handeln; diesen Spuren moge dann der Wohl-

gesinnte in Wagner's Schriften und Werken folgen; er wird

Page 254: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

534 VIERTES KAPITEL

spater erstaunt gewahren, wie weit schon jetzt, wenige Jahre

nach Wagner's Tod, der Einfluss dieses Bayreuther Gedankens

gestaltend auf das Denken und Schaffen mancher der besten

unter den Lebenden wirkt. Zuerst will ich einen Punkt her-

vorheben, dessen Kern die reine Kunst und wo die Sorge

urn sie das Bestimmende ist; sodann will ich versuchen, auf

die kiinstlerische Intuition in ihrer Bedeutung fiir die Gesamt-

erkenntnis der Welt hinzuweisen.

Im X. Band seiner Schriften (S. 47) sagt Wagner: „Es ist

mir aufgegangen, dass, wie ich fiir die richtige Darstellung

meiner kiinstlerischen Arbeiten erst mit den beabsichtigten

Biihnenfestspielen in dem hierfiir besonders erfundenen und

ausgefiihrten Biihnenfestspielhause in Bayreuth einen Boden zu

gewinnen hatte, auch fur die Kunst uberhaupt, fiir ihre richtige

Stelle in der Welt, erst ein neuer Boden gewonnen werden

muss, welcher fiir das erste nicht der Kunst selbst, sondern

eben der Welt, der sie zu innigem Verstandnisse geboten werden

soil, zu entnehmen sein kann. Hierfiir hatten wir unsere Kultur-

zustande, unsere Zivilisation in Beurteilung zu Ziehen, wobei

wir diesen immer das uns vorschwebende Ideal einer edlen

Kunst gleichsam als Spiegel vorhielten, um sie in ihm reflektiert

zu gewahren". Diese Worte konnten durch einen Kommentarnur an Kraft und Klarheit einbiissen; in ihnen kommt der

Bayreuther Gedanke erschopfend zur Darstellung, so wie er

sich von dem einen bestimmten Gesichtspunkt des Verhalt-

nisses zwischen Kunst und Leben zeigt. Nur daran will ich

den Leser erinnern, dass diese Erkenntnis, der Welt miisse

erst ein neuer Boden fiir die Kunst abgewonnen werden,

grundlegend und gestaltend fiir Wagner's ganzes Leben ist.

Die hier angefiihrten Worte, die an das tatsachlich vorhandene— einen „ermutigenden Begriff" bildende — Bayreuth an-

kniipfen, sind aus dem Jahre 1881; schon in Paris jedoch (1840)

„betrat Wagner eine neue Bahn, die der Revolution gegen

die kiinstlerische Offentlichkeit der Gegenwart", und immerdeutlicher empfand er von da an, immer haufiger begegnen wir

unter seiner Feder dem Ausdruck dieser Uberzeugung: fiir

die Kunst muss ein neuer Boden gewonnen werden. (Vgl.

S. 61, S. 167 und S. 275.) Auch darauf mochte ich ganz be-

sonders aufmerksam machen, wie klar diese Worte Wagner's

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BAYREUTH 535

das notwendige Ineinandergreifen von Kunst und „Welt" dar-

tun. Nennt man den Kiinstler Wagner einen Reformator, sagt

man, der Gedanke, dem jenes Festspielhaus in Bayreuth dient,

sei ein „regeneratorischer", so zuckt der Bildungsbarbar mit den

Schultern und antwortet hochstens: Schuster, bleib bei deinem

Leisten! Wer aber weiss, wie eng alles in der Natur zusammen-hangt, wer eingesehen hat, in welcher Weise das Gesetz der

Korrelation die ganze "Welt beherrscht, so dass jede Unter-

scheidung zwischen icleinen und grossen Ursachen eine kiinst-

liche ist, da aus dem geringsten Anstoss die unermesslichsten

Wirkungen hervorgehen konnen, der wird sich nicht durch

einen so oberflachlichen Einwurf irre machen lassen. Geradeindem der Kiinstler sich ungeteilt seiner Kunst widmet, kommter, wie das bei Wagner geschah, dazu, eine tiefgreifende Um-gestaltung unserer Kulturzustande zu fordern. Er muss es;

indem er es tut, folgt er ja einfach dem Gesetz alles Lebenden:

er kampft um sein Dasein gegen eine Welt, die ihm das Da-

sein verkiimmert und es bald zu vernichten droht. Gewissdarf man das Festspielhaus von Bayreuth auch auf diese Dar-

winistische Weise deuten! Es ist ein Kampfsymbol, eine Stan-

darte, um welche sich die Getreuen kriegsgeriistet sammeln,

und das ist gar nicht die iibelste Bedeutung des „Bayreuther

Gedankens"; denn nur im Kampfe stahlen sich die Krafte. In

einem unveroffentlichten Brief aus fruheren Jahren schreibt

auch der Meister: „Muss jemand zugeben, dass ich richtig sehe,

so ist er verloren, wenn er nicht die Kraft auf Tod und Lebenhat"; und Nietzsche bekannte: „Fur uns bedeutet Bayreuth die

Morgenweihe am Tage des Kampfes!"

Wer noch nicht iiber diesen Gegenstand nachgedacht hat,

der kann zunachst aus Wagner's Schriften, namentlich aus denender Ziiricher Gruppe, erfahren, in welchem Masse unsere heu-

tige Zivilisation nicht bloss kunstfeindlich, sondern geradezu

kunsttodlich ist. Wir wissen ja gar nicht mehr, was grosse,

lebendige, in das gesamte Leben eingreifende Kunst ist, wie

unvergleichlich ihre Wirkung, wie unermesslich ihr Einfluss;

das soil nun der Welt gelehrt werden, und es kommt der Tag,

wo trotz aller gelehrten Gegenargumente und Gegenbeweisesich keiner mehr diesem Einfluss entziehen kann.

Hier will ich nun im Voriibergehen eine Bemerkung Bayreuth

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536 VIERTES KAPITEL

einschalten, um es zu erklaren, warum der Name „Bayreuth"

fiir diesen Glauben an die unvergleichliche Bedeutung der

Kunst dem Namen „"Wagner" vorzuziehen ist. Wie gross undstolz klingt nicht der Name des Mannes, der diese Bedeutung

der Kunst erkannt und verkiindigt hat, Richard Wagner, wie

jammerlich dagegen jene elende Vokabel „"Wagnerianer", wie

sinnlos ausserdem! Es ist, als ob man durch Anhangung des

„aner" auch etwas von dem strahlenden Glanz jenes Namensabzubekommen wahnte! Und soil hiermit etwa Ehrerbietung

ausgesprochen werden, so muss man entgegnen, dass Wagnerkeiner solchen Lobhudelei bedarf. Von Aschylos bis Shake-

speare, von Hafis bis Schiller, von Palestrina bis Beethoven,

von Phidias bis Raphael: das ist die Welt der Kunst, auf die

der Meister uns unaufhorlich in den gliihendsten Worten hin-

weist; alle Engherzigkeit, alles Parteiwesen war ihm fremd.

Wer irgendeinen echten Meister verkennt, der gehort nicht

zu Wagner. Denn alle zaubert er vor unseren Augen herauf

diese „gr6ssten und edelsten Geister, die seit Jahrhunderten

ihre Stimme aus der Wiiste erhoben haben", und dann ruft

er in edler Entriistung: „Wir haben sie gehort und noch tont

ihr Ruf in unseren Ohren: aber aus unseren eitlen, gemeinen

Herzen haben wir den lebendigen Nachklang ihres Rufes

verwischt; wir zittern vor ihrem Ruhm, lachen aber vor ihrer

Kunst; wir liessen sie erhabene Kiinstler sein, verwehrten

ihnen aber das Kunstwerk; denn das grosse, wirkliche, eine

Kunstwerk konnen sie nicht allein schaffen, sondern dazu

miissen wir mitwirken." Das ist eben die eine entscheidende

Bedeutung von Bayreuth; es steht abseits von der „eitlen,

gemeinen Welt" und ruft nur diejenigen heran, die mitwirken

wollen, „die mitschopferischen Freunde". Das Publikum zu einer

Tat heranzuziehen, „die der kiinstlerischen entgegenkomme",

ist ein wichtiger Bestandteil des jjBayeuther Gedankens". Hier

steht also nicht ein einzelner Mann obenan, und ware er ein

Richard Wagner, sondern die „heilige deutsche Kunst", von

der Hans Sachs in so bewegten Worten redet, und diese deutsche

Kunst dehnt sich zur „reinmenschlichen Kunst" aus; hier gilt

es, „das grosse, wirkliche, eine Kunstwerk" ins Leben zu rufen?

gleichviel, wer es geschaffen hat. Richard Wagner ist ein Mensch,

der gelebt und gelitten hat, dessen Namen man deswegen nicht

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BAYREUTH 537

missbrauchen, sondern „in des Herzens bergendem Schrein"

fromm aufbewahren soil. Bayreuth dagegen ist sein Werk, das

Werk, das er uns alien geschenkt hat, sobald wir es uns

aneignen wollen, und „Bayreuth" ist der unpersonliche, iiber-

personliche, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Kunst

verbindende „slnnvolle Wahlspruch", welcher diejenigen einen

soil, die mit Wagner dem Glauben leben, fiir die Kunst miisse

erst ein neuer Boden gewonnen werden und dazu miissten wir

alle mitwirken. Das war auch der Sinn jener schonen und so

vielfach missverstandenen Worte, die Wagner am Schlusse der

ersten Auffiihrung des Nibelungenrings in Bayreuth von der

Biihne aus seinen Freunden zurief: „Sie haben jetzt gesehen,

was wir konnen; wollen Sie jetzt! Und wenn Sie wollen, so

haben wir eine Kunst!" Auch dieser feste, begeisterte Wille

gehort zum Bayreuther Gedanken.

Durch die blosse Andeutung des umgestaltenden Einflusses, Kunst und

den die Kunst nach dieser Bayreutherischen Auffassung auf^^''8'°°

Kultur und Zivilisation auszuiiben bestimmt ist (woriiber ich

auch namentlich das S. 277 bis 286 Ausgefiihrte nachzulesen

bitte), glaube ich mehr zu dem Verstandnis dieses Punktes bei-

getragen zu haben, als wenn ich uber alles, was Schiller und

Wagner hieriiber gesagt haben, ausfiihrlich hatte referieren wollen.

Hochstens mochte ich, damit der Leser den ganzen Umfangdes hier beruhrten Einflusses ermesse, noch auf den Schluss des

Abschnittes iiber die Regenerationslehre hinweisen, wo ich an

der Hand von Wagner's Schriften auf die nahen Beziehungen

zwischen Kunst und Religion hingewiesen habe. Schon in sehr

jungen Jahren bekannte sich der Meister beziiglich der Wege,

welche das Menschengeschlecht wandeln sollte und miisste, zu

einer Auffassung, die schroff von allem iiblichen Fortschritts-

glauben absticht. Es war zu einer Zeit, als er den Kirchen sehr

fern stand und im Staate den Feind zu erblicken wahnte; der

Staat erschien ihm gewissermassen als das Kollektiv zu jener

Gestalt des Robespierre; diesem Staate stellt er nun als das zu

Erstrebende entgegen „das sich verwirklichende religiose Be-

wusstsein der Gesellschaft von ihrem reinmenschlichen Wesen"

(Oper und Drama, IV, 90), und schon hier errat er die spater

klar verkiindete tiefe Wahrheit: „Nur eine allgemeine Religion

ist in Wahrheit Religion" (X, 60). Man fragt: wie kommen

Page 260: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

538 VIERTES KAPITEL

denn derlei Erwagungen in eine Schrift iiber die Oper und

das Drama? Einfach, weii der Kunstler schon damals empfand,

„das Kunstwerk sei die lebendig dargestellte Religion" und

„die Religion schliesse die Bedingungen des Kunstwerkes in

sich" (vergl. Ill, 77 und 146). Schon damals blickte aber der

noch junge Dichter umher, ohne in unserer Welt auf wahre

Religion zu treffen — ihn diinkte es, unsere Religion sei der

Gelderwerb, der Egoismus. Und da ging es ihm auf, Kunst und

Religion, welche beide so schwer darben, seien derartig eng

miteinander verkniipft, dass die Religion, von der er das Heil

der Kunst erwartete, erst von der Kunst „errettet" werden miisse.

Man hat wohl manchmal iiber eine „Bayreuther Religion" ge-

spottet; eine solche ware aber vielleicht immerhin noch besser

als gar keine, und zudem erklarte der jugendliche Meister: „Reli-

gionen erfindet nicht der Kunstler, die entstehen aus demVolke" (III, 77), und als Greis bekannte er: „Religionen zu

erfinden, ist unmoglich" (X, 322). Es ist ja immer das selbe

Missverstandnis, aus welchem jene Einwiirfe hervorgehen. Mankann von sehr verschiedenen Seiten an alle Probleme, auch

an das Problem des Lebens herantreten; sobald man es nunnicht allein kontemplativ betrachtet, sondern selber schaffend

in dieses Lebensratsel eingreift, so pflanzt sich notwendiger-

weise die Bewegung von dem einen Punkt auf alle ferneren

welter. Die Kunst wird nicht Wissenschaft, nicht Philosophie,

nicht Religion werden; aber ebenso, wie wir es erlebt haben,

dass Religion auf Philosophie und Wissenschaft, Wissenschaft

auf Philosophie und Religion einen weitreichenden Einfluss

ausiibten, ebenso konnen wir es und werden wir es erleben,

dass die Kunst die Arroganz der Wissenschaft brechen, der

Philosophie eine neue Richtung geben und die Religion zu

erneutem, segensreichem Leben erwecken wird. So wenigstens

meint der „Bayreuther Gedanke"; das erstrebt er.

Hier kann ich nun meinem Versprechen gemass eine

zweite, anders geartete Gedankenreihe zur Exemplifikation

dieses Bayreuther Gedankens heranziehen und durch einige

Andeutungen erlautern.

Kunst und Ich habc soeben von einem moglichen Einfluss der KunstPhilosophie

gyj^ ^jg Philosophie gesprochen. Das ware durchaus nicht so

beispiellos. Eine der erhabensten Weltanschauungen, die ein

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BAYREUTH 539

einzelnes menschliches Gehirn zu einem wahren Mikrokosmus

erhohte, ist die des Plato. Dieser Denker war in einem Lande

geboren, in welchem die Kunst das ganze Lcben des Volkes

durchdrang. Der kiinstlerischie Instinkt des so enorm begabten

Volkes der Hellenen zeigte sich vor allem darin, dass er der

Analyse nie freien Lauf Hess, sondern jeden Begriff sofort

„gestaltete" und jede Vielheit sofort „individualisierte", wo-

durch diese fiir die Anschauung gewonnen und somit auch

zum Mittelpunkt neuen Lebens wurden: dem einzelnen, ver-

ganglichen Fall gegeniiber war jetzt diese Idealgestalt das Un-

sterbliche, Gottliche. Plato's Ideenlehre ist nun das Uber-

tragen jenes lebendigen und im Leben so hochbewahrten Volks-

triebes auf die metaphysische Erkenntnis. Die Kraft und das

unvergangliche Leben dieser Platonischen Weltanschauung beruht

darauf, dass hier nicht (oder wenigstens nur in sehr geringem

Masse) individuelle Willkiir gestaltet, sondern an ihrer Stella

das intuitive, kiinstlerische, „mythische" Denken eines ganzen

Volkes. In seinem klassischen Werk iiber die Philosophic der

Griechen meint Professor Zeller, Plato „sei zu sehr Dichter, umganz Philosoph zu sein"; je mehr man aber dariiber nachsinnt,

um so weniger kann man sich der Einsicht verschliessen, dass

(gleichviel welchen Sinn man Professor Zeller's Worten, denen

ich durchaus nicht widersprechen will, beilegen mag) Plato's

iiberwiegende Grosse gerade darin begriindet liegt, dass er

Dichter ist und dass er dem geistigen Leben eines intensiv

kiinstlerischen Volkes seinen philosophischen Sinn abgewinnt —was offenbar nur einem Dichter gelingen konnte. Auch F. A. Lange

betont sehr stark bei seiner Besprechung Plato's: „Daruber

muss die Welt einmal definitiv ins klare kommen, dass es sich

hier eben nicht um ein Wissen handelt, sondern um Dichtung".')

Ob den Weltanschauungen der iibrigen Philosophen sehr viel

„ Wissen" zugrunde liege, mag dahingestellt bleiben; das eine

kann man aber ohne weiteres zugeben: Plato's Philosophic ist

Dichtung. Und um das, was ich an diesem Orte natiirlich nur

fliichtig andeuten kann, wenigstens in missvcrstandnisloser

Klarhcit hinzustellen, will ich auf einen zweitcn griechischen

Philosophen hinweisen: Demokrit. Die Idee des Atoms ist

') Geschichte des Materialismus, S. 60.

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540 VIERTES KAPITEL

wohl die kiihnste Mythenbildung, die der Menschengeist bisher

gewagt hat. Mit Plato hat also die Philosophie des Demokrit

das Prinzip der Anschaulichkeit gemein; darin bewahrt sie

sich auch als echtgriechisch; einem unentrinnbaren Gesetz des

menschlichen Denkens zufolge erzeugt aber ihr Streben nach

materiellerGreifbarkeit eine durchaus unvorstellbare— gewisser-

massen eine abstrakte — Vorstellung. Plato ist eben Kunstler,

Demokrit nicht. Plato's Weltanschauung ist nicht immer „denk-

bar", wohl aber durchaus vorstellbar, sie ist „kunstlerische

Mythenbildung"; Demokrit's Weltanschauung ist bis auf das

letzte I-tiipfel denkbar; ihre wissenschaftliche Mythenbildung

fordert dafiir aber eine Verleugnung aller menschlichen Evidenz,

welche der Zumutung gleichkommt: „Gib zu, dass 2 + 2 = 3

ist, und ich erklare dir die Welt"; (das ist, nebenbei gesagt,

iiberhaupt die Methode der naturwissenschaftlichen Philosophie).

Zwischen diesen beiden grossen schopferischen Systemen der

Griechen treffen wir nun diejenige Richtung an, welche vielen

wohl als die „eigentlich philosophische" erscheint, die des

Aristoteles. Jedoch trotz aller Bewunderung fiir die enzyklo-

padische Gehirnanlage dieses Mannes darf man wohl behaupten,

dass dieses fast gar nicht mehr dichtende, sondern nur regi-

strierende, analysierende, methodisierende, kritisierende Denken

die eigentlich sterile Geistesrichtung ist, deren historischer Wert

fiir das Menschengehirn demjenigen der Gymnastik fiir die

Armmuskeln zu vergleichen ware. Plato habe ich nun deswegen

hier herangezogen, well bei ihm sich der Einfluss der Kunst

so besonders deutlich kundgibt, zwar nicht als Vertiefung in

das einzelne Kunstwerk, wohl aber als unbewusst eingeatmete

Lebensatmosphare und als dichterische Beanlagung (die sich

sogar in der von ihm erwahlten literarischen Mitteilungsform

bewahrt). Im 19. Jahrhundert haben wir aber einen Philo-

sophen gehabt, der nach manchen Richtungen hin mit Plato

verwandt erscheint: Arthur Schopenhauer. ') Nichts ist nun

fiir Schopenhauer bezeichnender als das Gewicht, welches er

gerade fiir die philosophische Erkenntnis auf die Kunst legt.

') Das gilt sogar fiir die korperliche Gestalt! Vgl. hieriiber das arzt-

liche Gutachten iiber Schopenhauer's athletischen Knochenbau in Gwinner's

Buch iiber Schopenhauer.

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BAYREUTH 541

Zu belegen brauche ich hoffentlich diese Behauptung nicht;

ein Hinweis auf S. 277 dieses Buches moge geniigen. Geradein dem Jahre aber, in welchem die erste Arbeit Schopen-

hauer's im Druck erschien, wurde der Dichter Richard Wagnergeboren. Der Denicer behauptete, die Philosophie „sei auf demWege der Kunst zu suchen" und „nur das Gedachte, was ge-

schaut wurde, ehe es gedacht war, habe nachmals, bei der Mit-

teilung, anregende Kraft und werde dadurch unvergangiich"

;

der Dichter sprach iiber die philosophische Bedeutung der

Kunst folgende tiefe Worte, die ich recht genau zu be-

trachten bitte, da sie uns iiber das tiefste Wesen echter Kunst

Aufschiuss geben: „Was wir im allgemeinen unter kiinstleri-

scher Wirksamkeit verstehen, diirften wir mit Ausbilden des

Bildlichen bezeichnen; dies wiirde heissen: die Kunst erfasst

das Bildliche des Begriffes, in welchem dieser sich ausserlich

der Phantasie darstellt, und erhebt, durch Ausbildung des zu-

vor nur allegorisch angewendeten Gleichnisses zum vollendeten,

den Begriff ganzlich in sich fassenden Bilde, diesen iiber sich

selbst hinaus zu einer Offenbarung" (X, 279). Wer nicht iiber

den toten Buchstaben hinausblickt, wird vielleicht Bedenkengegen das Wort „Offenbarung" erheben. Es ist ja an und fiir

sich ein bildiiches Wort. Zweifellos gibt uns die Kunst nur

das selbe wie die Natur; wie Schopenhauer sagt: „Die selten

genug erkannte Wichtigkeit und der hohe Wert der Kunst

[besteht darin], dass wir sie als die hohere Steigerung, die

voUkommenere Entwickelung von allem diesen anzusehen haben,

da sie wesentlich eben dasselbe, nur konzentrierter, vollendeter,

mit Absicht und Besonnenheit leistet, was die sichtbare Welt

selbst, und sie daher, im vollen Sinne des Wortes, die Blute

des Lebens genannt werden mag" (Samtl. Werke III, 315). Woin der Natur ein unerforschliches Geheimnis vorliegt, wo das

„Frageverbot" uns unerbittlich entgegentont, da werden wir also

auch im Kunstwerk dem selben Geheimnis begegnen und das

selbe Verbot vernehmen — aber! hier erscheint alles deutlicher

und uberzeugender, so dass z. B. gerade die Unergriindlichkeit

von vielem, was einem oberflachlichen Blick bisher nicht uner-

griindlich gediinkt hatte, jetzt eingesehen wird. Auch eine solche

Erfahrung ist aber eine „Offenbarung". Kunst- und

Dieser Einfluss der Kunst auf die Philosophie vermehrt wissenschaft

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542 VIERTES KAPITEL

sich dann noch um alle die Denkgewohnheiten, welche durch

kiinstlerische Anschauung erzeugt werden und welche ich durch

das eine glaube bezeichnen zu konnen: dass die Abstraktion

auf das ihr von Kant gewiesene Feld der „reinen Vernunft"

beschrankt wird und dass die Gesetze der Logik als ein

blosses Organon fiir die Tatigkeit des Denkens betrachtet

werden, denen keinerlei weitere Kompetenz zukommt. Hierin

zeigt sich iibrigens eine neue Verwandtschaft zwischen demkiinstlerischen Denken und der beobachtenden Naturwissen-

schaft — eine fiir den philosophischen Wert dieses Denkensgewiss nicht unerhebliche Erwagung. Die Naturwissenschaft

des Aristoteles war darum in manchen Punkten so merk-wiirdig schwach und in so entschiedenem Riickgang gegen

die seiner Vorganger, weil sich iiberall die Logik hineinmengte

und die klarsten Beobachtungen dem Gespenst der Systematik

und der Abstraktion weichen mussten. Dagegen ist das Grund-prinzip der echten Naturforschung die unvoreingenommene,liebevolle Beobachtung der Natur; der Naturforscher ist wie

der dichterische Seher, auch er „zeuget, was er sieht". Undnirgendswo in der ganzen Natur sieht er Logik: nichts ist un-

logischer als die Welt, nichts „unvernunftiger", ja, geradezu

widerverniinftig. Und nun ergibt sich das Unerwartete: wie

verschieden diese analytische Anschauung des Naturforschers

von der synthetischen des Kiinstlers auch sein mag, auch sie

fiihrt iiberall auf die Vorstellung der Einheit! Sie stellte zuerst

— infolge ihrer Beobachtungen — den Begriff der „Art" auf,

dann den Begriff der „Gattung"; spater wurden die Gattungender lebenden Wesen zu „Familien" geeint, und eine solche Vor-stellung wie die Darwin's fasst ja alle lebenden Wesen nurnoch fester zu einer Einheit zusammen. Ahnliches ereignete

sich auf dem unorganischen Gebiet. Allerdings ergeht es

aller Naturwissenschaft, sobald sie, wie in dem angefuhrten

Falle bei Darwin, die tatsachlichen, empirischen Anschauungenzu theoretischen, dichterischen zusammenfasst, ahnlich wie Demo-krit: indem sie sich von dem Gebiete der Beobachtung mehr undmehr entfernt, wird sie ein Opfer der logischen Denkgesetze underzeugt sie unvorstellbare Vorstellungen. Ihre wahre Kraft aber

ist und bleibt nicht ihr Bestreben, die Welt hypothetisch zu

erklaren, sondern ihre Anschaulichkeit; und dieses Primat der

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BAYREUTH 543

anschaulichen und diese Unterordnung der abstrakten Erkennt-

nis bedingt eine so enge Verwandtschaft zwischen Kunst und

Wissenschaft, dass eine wechselseitige Beeinflussung ohne

weiteres vorauszusetzen ist. ^)

Ich glaube, dass schon aus diesen fliichtigen, ohne jegliches zusammen-

System hingeworfenen Anregungen manchem denkenden Geiste f'>ss"ng

die Vorstellung einer Kultur, in welcher der Kunst das Uber-

gewicht zufiele als dem „hochsten Moment des menschlichen

Lebens", in welcher ihr aber diese iiberwiegende Stellung nur

deswegen zugestanden wiirde, weil sie „die lebendig dargestellte

Religion" ware, weil sich in ihr „die Betatigung des durch die

Wissenschaft errungenen Bewusstseins" kundtate, weil sie „alle

Weisheit" enthielte, zuvordersi aber, weil durch sie und in ihr

das so gefahrlich bedrohte Gleichgewicht wieder hergestellt

wiirde zwischen der menschlichen Allgemeinheit, die nach

und nach alle Fiihlung mit dem einzelnen verliert, und dem

menschlichen Individuum, das ein immer geringeres, fragmen-

tarisches Bruchstiick eines ganzen Menschen wird (vgl. die

Ausfiihrungen S. 203) — ich glaube, sage ich, dass diese

Vorstellung manchem vielleicht unerreichbar, insofern auch

chimarisch erscheinen mag, dass aber keiner ihr das Pradikat

eines grossen und edlen und genialen Gedankens versagen kann.

Auch diese Vorstellung gehort zum „Gedanken von Bayreuth".

Zum Schlusse mochte ich gern einem verbreiteten Miss- wagner und

verstandnis entgegentreten und zugleich von den soeben ent-Schopenhauer

schleierten weiten Ausblicken, die der „Bayreuther Gedanke"

eroffnete, zu dem Helden dieses Buches zuriickkehren, ummit einem tiefen Blick in das Herz des grossen und guten

Mannes meine Aufgabe zu Ende zu fiihren.

Schon aus dem soeben Ausgefuhrten ergibt sich ohne

weiteres, dass Wagner's Weltanschauung derjenigen Schopen-

hauer's nahe verwandt sein muss. Eine ewig uniiberbriickbare

Kluft trennt aber dennoch die eine von der anderen; denn die

eine ist die Welt durch das Auge eines Dichters, die andere

') Novalis, der Geolog und Poet, hat sehr schon gesagt: „Naturforscher

und Dichter haben durch eine Sprache sich immer wie ein Volk gezeigt"

(Schriften, T. II, S. 63).

Page 266: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

544 VIERTES KAPITEL

die Welt durch das Auge eines Metaphysikers erblickt. Wasdiese Trennung zu bedeuten hat, erkennt man klar aus der

Tatsache, dass die eine Weltanschauung zu einer Verneinung,

die andere zu einer Bejahung fiihrt: Schopenhauer's Endpunkt

ist die Verneinung des Willens zum Leben, der Wagner's die

Bejahung der Moglichkeit einer Regeneration. Der Glaube ist

eben die Seele der Kunst. In jungen Jahren schrieb der Meister

die begeisternden Worte: „Aus dem entehrenden Sklavenjoche

des allgemeinen Handwerkertums mit seiner bleichen Geldseele

wollen wir uns zum freien kiinstlerischen Menschentume mit

seiner strahlenden Weltseele aufschwingen!" (Ill, 38); in seinem

allerletzten Werke, Parsifal, fand er nach einem Leben voller

Enttauschungen undBitterkeiten die machtig iiberzeugenden Tonefiir die Worte: „Der Glaube lebt!" und der musikalische Schluss

dieses Werkes fiihrt uns eine Umbildung der tiefklagenden Weise

vor, ') die Parsifal's genialer Blick als „die Gottesklage" erkannt

hatte — nunmehr zu einer erhabenen, triumphierenden, von

dem Glanz der Trompeten getragenen Bekraftigung des Glau-

bens an jene „strahlende Weltseele" gestaltet. Die Brahmanenwiirden sagen, Schopenhauer stehe auf dem Standpunkte der

„h6chsten Realitat", Wagner auf dem des „Welttreibens". Gleich-

viel: wichtig ist zunachst vor allem die Einsicht, dass eine Identi-

fizierung dieser beiden Richtungen nicht zulassig ist. Das zeigt

sich in zahlreichen Einzelheiten. Wie urteilt Schopenhauer iiber

die Frauen, sogar iiber solche, die in selbstloser Aufopferung

„lappische Pflegerinnen" werden! Wie stellt dagegen Wagnersie hin in Irene, Senta, Elisabeth, Briinnhilde!^) Wie jammerlich

diinkt Schopenhauer die Liebe zwischen Mann und Weib! Welchherrliches Denkmal hat ihr Wagner in Tristan und Isolde er-

richtet! Das zeigt sich ferner besonders deutlich, wenn man auf

das Verhaltnis zum indischen Denken hinweist. Natiirlich hat

auch Wagner an dieser herrlichen Quelle reinen Denkens ge-

schopft; Schopenhauer konnte sich hier vollkommen befriedigt

finden, Wagner aber nicht: denn in der Nahe einer philosophischen

Erkenntnis wie die indische kann iiberhaupt keine Kunst zur

Bliite gelangen. Diese Tatsache des Gegensatzes zwischen dem

') Vgl. S. 466.

^) Von seiner Briinnhilde sagt Wagner: „Nie ist dem Weibe eine

solche Verherrlichung widerfahren" (L. I, 215).

Page 267: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

MOnCHEN 1880

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Page 269: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 545

Kiinstler Wagner und allem Pessimismus alter und neuer Zeiten

muss jedem Denkenden auffallen; sobald man aber tiefer geht,

erkennt man, dass mit Wagner's ganzer Anschauung von einer

zu erstrebenden „Allgemeinsamkeit", mitseinemTraum voneinem

„Aufgehen des Egoismus in den Kommunismus" usw. nichts so

wenig harmoniert wie die Buddhistische Lehre: „Des Ich Schutz ist

das Ich, des Ich Zuflucht ist das Ich." Im Gegensatz zu solchen und

zu alien rein metaphysischen Anschauungen verfolgt Wagner nie-

mals individuelle, sondern immer allgemeine Zwecke; hierdurch

zeigt sich aber unverkennbar, dass sein Denken und Empfinden

eigentlich religios, nicht metaphysisch ist. In keiner einzigen

Schrift des Meisters kommt das Wort „Erl6sung" so oft vor wie

in seinem Kunstwerk der Zukunft^ einer Schrift aus der Zeit, woer mit den Kirchen und dem historischen Christentum, wie wir

gesehen haben (vgl. S. 213), auf gespanntem Fusse stand. AIs

Ziel wird dort „die Erlosung des Niitzlichkeitsmenschen in den

kiinstlerischen Menschen" aufgestellt. Den Begriff „Kunst fiir

Kunst" gibt es eben bei Wagner nicht: Kunst und Leben sind

bei ihm gar nicht zu trennen; ebensowenig kannte er aber ein

Denken um des Denkens willen, eine Erlosung durch Erkennt-

nis in stiller Klausnerzelle: derartige Vorstellungen wider-

sprechen nicht allein den theoretischen Ansichten Wagner's, son-

dern seinem ganzen Wesen. Ich mochte sagen : fiir Wagner gibt

es gar keine Individuen, sondern nur eine ganze, untrennbare

Menschheit. „Sobald alle Menschen nicht gleich frei und gliick-

lich sein konnen, miissen alle Menschen gleich Sklave und elend

sein" (siehe S. 198), und: „Es gibt nichts Liebenswerteres, als

die gemeinschaftlichen Menschen" (III, 265): das ist der Grund-

ton von Wagner's Fiihlen und Denken. Und indem er nun,

— unfahig, in irgendeiner noch so sophistisch verdeckten Formdes Egoismus die geringste Befriedigung zu finden — weiter iiber

das grosse Problem nachdenkt, wie alle Menschen aus Niitz-

lichkeitsmenschen zu kiinstlerischen Menschen erlost werden

konnten, erkennt er sehr bald (1850): „Die Mittlerin zwischen

Kraft und Freiheit, die Erloserin, ohne welche die Kraft Roheit,

die Freiheit aber Willkiir bleibt, ist die Liebe." Wenn nun

auch der junge Meister in seiner Wut gegen die „Liigenkirchen"

uns in dem selben Satze versichert, diese Liebe sei nicht die

christliche, so glauben wir es ihm doch nicht; tibrigens ist die

Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 35

Page 270: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

546 VIERTES KAPITEL

Bezeichnung „christlich" hier nebensachlich: das Streben dieses

Kunstlers ist jedenfalls ein tiefreligioses, und seine Religion

heisst die Liebe. Im Jahre 1855 schreibt er an Liszt, er erkenne

als die wahre „gottliche Lehre nur die Anleitung zur

Befreiung vom personlichen Egoismus durch die Liebe" (L. 11,80).

Ja, Wagner's Kiinstlerschaft ist von seiner Religion der Liebe

(die schon in seinem ersten Werk Die Feen so ergreifenden

Ausdruck fand) gar nicht zu trennen: „Ich emporte mich aus

Liebe, nicht aus Neid und Arger; und so ward ich Kiinstler"-

(IV, 326).

Richard Wagner Ich glaube, hier blicken wir sehr, sehr tief in das Herz

dieses Mannes, und diirfen schon aus diesen friiheren Schriften

entnehmen, der spatere „Gedanke von Bayreuth" werde jeden-

falls ein Gedanke der Liebe und darum auch sicherlich kein

tonendes Erz und keine klingende Schelle sein. Dem ist auch

so. All jene heroischen Bestrebungen des alternden Meisters,

der hochsten dramatischen Kunst zum Siege zu verhelfen

und hiermit zugleich zu einer Regeneration des Menschen-

geschlechts die bestimmende Anregung zu geben, entspringen

der ungeschwachten Empfindung: „Es gibt nichts Liebens-

werteres als die gemeinschaftlichen Menschen", entspringen

der tiefreligiosen Uberzeugung, nur eines tue not, nur eines

konne hier erlosen: den Menschen miisse die Liebe gelehrt

werden! Wie er ein anderes Mai sagt: „Die Liebe ist die

Mutter der Gesellschaft, sie kann somit nur ihr einziges

Prinzip sein." Was niitzte die Belehrung des Philosophen:

„Indem das Individuum den Willen zum Leben verneint, hebt

es zugleich die ganze Welt auf und erlost sie hierdurch?"

Was frommten die taglichen Erfahrungen der unergriindlichen

Bosheit und des dummen Hasses, welche die Menschen

gerade diesem Edelsten widmeten? „Der Glaube lebt!" UndWagner's Glaube war der an die Gemeinschaftlichkeit des

Menschengeschlechts und an die siegende Macht der Liebe;

diesen Glauben vermochte nichts ihm zu rauben. Wie Parsifal

die „Gottesklage", so vernahm das weite Herz des Kiinstler-

Weisen in dem wiisten Larm, der um seinen „Bayreuther

Gedanken" tobte, nur „die Klage der Natur"; vor seinem

Blicke „zerflossen wie im ahnungsvollen Traume alle Er-

scheinungsformen der Welt"; es „beangstigte ihn nicht mehr

Page 271: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH 547

die Vorstellung jenes gahnenden Abgrundes, der grausenhaft

gestalteten Ungeheuer der Tiefe, alien der siichtigen Aus-

geburten des sich selbst zerfleischenden Willens"; vor seinem

Ohre ertonte „furchtlos, hoffnungsvoll, allbeschwichtigend,

welterlosend, die in der Klage geeinigte Seele der Menschheit"

(vgl. X, 319).

Ja, nicht allein die Klage der Menschheit vernahm er,

sondern die der ganzen Natur. Keine andere Schrift wirft ein

so helles Licht in die innerste Seele dieses Mannes wie sein

Brief iiber die Vivisektion. Hier tritt er mit offenem Visier

gegen das unsere ganze Zivilisation beherrschende „Nutzlichkeits-

Dogma" auf und stellt ihm als das einzige moralische Lebens-

prinzip „das Mitleid gegen alles Lebende" entgegen. Er lehrt

begreifen, „\vie in den Tieren das gleiche atme was auch uns das

Leben gebe", wie „der Mensch zu allernachst an dem Tiere sich

seiner selbst in einem adeligen Sinne bewusst werde", und seine

Ausfiihrungen gipfeln in folgendem Glaubensbekenntnis: „UnserSchluss in betreff der Menschenwiirde sei dahin gefasst, dass

diese gerade erst auf dem Punkte sich dokumentiere, wo der

Mensch vom Tiere sich durch das Mitleid auch mit demTiere zu unterscheiden vermag" (X, 270). Richard Wagner's

Liebe zu den Tieren habe ich in diesem Buche nur fliichtig

beriihren konnen (S. 70); die vielen Anekdoten hieriiber

findet der Leser an anderen Orten; eine der hiibschesten

erzahlt, wie der Meister in Luzern sich arg die Hand zer-

beissen liess (so dass er langere Zeit nicht schreiben konnte),

indem er einem fremden Hunde die soeben iiberfahrene

Pfote wusch und verband. Immer war Wagner von Tieren

umgeben; manche seiner Hunde sind bereits geschichtliche

Personlichkeiten geworden, so der Neufundlander Robber, der

sich aus freiem Antrieb in Riga anschloss, die sturmbewegte

Reise nach London mitmachte und von Wagner in Ein Endein Paris (vergleiche oben S. 221) verewigt worden ist, so aus

spateren Jahren Russ und Marke. Nun hebt aber Schopen-

hauer zweifellos mit Recht hervor, dass sich an gar nichts

die wesentliche „Gute eines Charakters" so unzweideutig

zeige wie an dem Mitleid mit Tieren (Samtl. Werke IV, 2. T.,

S. 242), und das Beispiel der indischen Denker berechtigt

wohl zu der weiteren Behauptung, dass sich an nichts die Tiefe

35*

Page 272: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

548 VIERTES KAPITEL

einer Weltanschauung iiberzeugender bewahre als an demlebendigen Bewusstsein des tat-tvam-asi, dem Bewusstsein der

innigen Zusammengehorigkeit mit der gesamten organischen

Natur. Zu der Kenntnis Wagner's und seines „Bayreuther

Gedankens" gehort also in hervorragender Weise die Kenntnis

seines Verhaltnisses zu der Tierwelt.

Je mehr er selber zu leiden hatte, urn so tiefer empfand

Wagner, dass nur aus „rucksichtslosem Mitleiden" (X, 255)

das Heil erwachsen konne. Im Jahre 1853 schreibt er an

Liszt: „Der Zustand der Lieblosigkeit ist der Zustand des

Leidens fiir das menschliche Geschlecht" (L. I, 236), und in

einer seiner letzten Schriften (Was niitzt diese Erkenntnis?

1880, X, 332) lesen wir nun in bezug hierauf Worte, die auch

mein letztes Zitat sein sollen; vielleicht gibt es keine Stelle,

wo die tiefe Weltweisheit dieses grossen Mannes einen

vollendeteren Ausdruck gefunden hat: „Woran geht unsere

ganze Zivilisation zugrunde, als an dem Mangel der Liebe?

Das jungendliche Gemiit, dem sich mit wachsender Deutlich-

keit die heutige Welt enthullt, wie kann es sie lieben, da

ihm Vorsicht und Misstrauen in der Beruhrung mit ihr einzig

empfohlen zu werden notig erscheint? Gewiss diirfte es nur

den einen Weg zu seiner richtigen Anleitung geben, auf

welchem ihm namlich die Lieblosigkeit der Welt als ihr Leiden

verstandlich wurde: das ihm hierdurch erweckte Mitleiden

wiirde dann so viel heissen, als den Ursachen jenes Leidens

der Welt, sonach dem Begehren der Leidenschaften, erkennt-

nisvoll sich zu entziehen, um das Leiden des anderen selbst

mindern und ablenken zu konnen.* Nach einem Hinweis auf

Schopenhauer's Philosophic, nicht aber — und das ist das

Bezeichnende — auf seine eigentliche Metaphysik, sondern

darauf, dass „ihr Ergebnis, alien friiheren philosophischen

Systemen zur Beschamung, die Anerkennung der moralischen

Bedeutung der Welt sei", fahrt der Meister fort: „Nur die

dem Mitleiden entkeimte und im Mitleiden bis zur vollen

Brechung des Eigenwillens sich betatigende Liebe ist die

eriosende christliche Liebe, in welcher Glaube und Hoffnung

ganz von selbst eingeschlossen sind, — der Glaube als un-

trijglich sicheres und durch das gottlichste Vorbild bestatigtes

Bewusstsein von jener moralischen Bedeutung der Welt,

Page 273: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

BAYREUTH549

die Hoffnung als das beseligende Wissen der Unmoglichkeiteiner Tauschung dieses Bewusstseins."

So spiegelte sich der „Bayreuther Gedani^e" im Herzendes grossen deutschen Meisters Richard Wagner wieder!

»Die gute Tat, das schone Wort,Es strebt unsterblich, wie er sterblich strebte!"

Wagners Hund Marke

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inhaltsObersicht

VORWORTEVorwort zur ersten Ausgabe S. V — zur neuen Ausgabe S. VIII.

ALLGEMEINE EINLEITUNGAllgemeine Grundsatze S. 1. — Disposition des Buches S. 14. —

Quellen S. 15. — Liszt S. 19. — Nietzsche S. 21. — Glasenapp S. 22. —Wolzogen und Stein S. 24. — Die Gegner S. 26. — Das deutsche Drama

S. 29. — An den Leser S. 31.

ERSTESKAPITEL: RICHARD WAGNER'S LEBENSGANGEINLEITUNG

Das Schema S. 35. — Allgemeine Symmetrie des Lebensganges S. 37.

— Nahere Einteilung S. 39. — Beschrankte Giiltigkeit des Schemas S. 40.

ERSTE LEBENSHALFTE

1. (1813-1833) Geburt S. 42. — Die Familie S. 42. — Die ersten Eindrucke

S. 47. — Die ersten schopferischen Versuche S. 51.

2. (1833-183Q) Wurzburg S. 53. — Wagner's Geschwister S. 53. — Wander-

jahre S. 55. — Das Ergebnis dieser Periode S. 58.

3. (1839—1842) Jahre der Not S.59. — Die neue Bahn S.61. — Zwei wichtige

Ergebnisse der Jahre in Paris S. 62.

4. (1842-1849) Erste Erfolge S. 64. — Wagner und die Kritiker S. 66. — Kapell-

meisterleiden S. 71. — Wagner als Revolutionar S. 74. — Die Rede im

Vaterlandsverein S. 76. — Der Mai-Aufstand in Dresden S. 77. —Wichtige Ergebnisse dieser Periode S. 82.

ZWEITE LEBENSHALFTE

1. (1849-1859) Zuricher Umgang S. 85. — Die wahren Freunde S. 86. — Franz

Liszt S. 88. — Die ersten Heifer in der Not S. 90. — Die ersten An-

hanger S. 92. — Uhlig und Bulow S. 94. — Schopferische Tatigkeit in

Zurich S. 96. — Wagner's Schriften S. 99. — Schopenhauer S. 101.

2. (1859—1856) Allgemeiner Uberblick uber diese Jahre S. 102. — Paris und

die Auffiihrung des Tannhauser S. 105. — Wien S. 113. — Miinchen

S. 118. — Konig Ludwig II. S. 123. — Die erste Auffiihrung von Tristan

und Isolde S. 128.

Page 276: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

552 INHALTSOBERSICHT

3. (1866—1872) Wagner's zweite Ehe S. 131.— Schopferische Tatigkeit S. 137.

— Der Krieg von 1870 S. 138.

4. (1872— 1883) Die Bayreuther Festspiele S. 139. — Die letzten Lebensjahre

S. 141. — Schlussbetrachtung S. 148.

ANHANG: CHRONOLOGISCHE TAFEL

Erste Lebenshalfte S. 153. — Zweite Lebenshalfte S. 155.

ZWEITES KAPITEL:RICHARD WAGNER'S LEHREN UND SCHRIFTEN

EINLEITUNG

Der Kiinstler als Schriftsteller S. 161. — Richard Wagner S. 163. —Die kiinstlerische Not S. 166. — Disposition des Kapitels S. 172.

RICHARD WAGNER'S „POLITIK"

R. Wagner im Jahre 1849 S. 174. — Wagner und Beust S. 178. — Dichter

und Politiker S. 181. — Die „plastischen Widerspriiche" in Wagner's Denken

S. 182. — Wagner's deutsch-patriotische Gesinnung S. 184. — Wagner's grund-

legende politische Uberzeugungen S. 187. — Sein Verhaltnis zur Religion S. 188.

— Das Konigtum S. 191. — Das freie Volk S. 193. — Wagner als Revolutionar

S. 196. — Schiller und Wagner S. 197. — Unsere „anarchische Ordnung"

S. 199. — Schlussbetrachtung S. 202.

RICHARD WAGNER'S „PHILOSOPHIE"

Zur Orientierung S. 205. — Dichter und Philosoph S. 208. — Wagner

und Feuerbach S. 210. — Wagner und Schopenhauer S. 215. — Verwandtschaft

mit Schopenhauer S. 217. — Der Wille S. 218. — Der Pessimismus S. 220.

Das Mitleid S. 221. — Obereinstimmung mit Schopenhauer S. 221. — Ab-

weichungen von Schopenhauer S. 223. — Kunst und Philosophic S. 225. —Wagner's Weltanschauung S. 229.

RICHARD WAGNER'S REGENERATIONSLEHRE

Einfachste Fassung S. 232. — Die drei Regenerationslehren S. 233. —Gliederung der Untersuchung S. 235. — Quellenschriften S. 235. — Die Er-

kenntnis des Verfalles S. 237. — Die Grunde des Verfalles S. 241. — Geld

und Eigentum S. 242. — Der Verderb des Blutes S. 244. — Einfluss der Nah-

rung S. 244. — Die Ungleichheit der Rassen S. 247. — Der Einfluss desjuden-

tums S. 248. — Der Glaube an eine Regeneration S. 253. — Die drei Lehren

S. 255. — Die empirische Regenerationslehre S. 256. — Die philosophische

Regenerationslehre S. 258. — Die religiose Regenerationslehre S. 262. — Die

Kunst als das einigende Element S. 265. — Kunst und Leben S. 266. — Kunst

und Philosophic S. 266. — Kunst und Religion S. 267. — Wagner's Religion

S. 269. — Obergang zur Kunstlehre S. 271.

Page 277: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

INHALTSUBERSICHT 553

RICHARD WAGNER'S KUNSTLEHREBedeutung des Wortes Kunstlehre S. 272. — Kunst und Leben S. 274.

— Zweiteilung der Kunstlehre S. 275. — Das kiinstlerische Erkennen S. 277.

— Die Kunst als Bildnerin des Menschen S. 278. — Die „allgemeinsame"

Kunst S. 280. — Kunst und Wissenschaft S. 281. — Die Kunst als „Lebens-

heiland" S. 283. — Das vollkommenste Kunstwerk S. 287. — Seher, Dichter

und Kiinstler S. 288. — Polemischer Streifzug S. 292. — Das Drama S. 294.

— Das reinmenschliche Drama S. 295. — Historischer Riickblick S. 296. —Das Verhaltnis zwischen Drama und Musik S. 299. — Das Verhaltnis zwischen

Dichtkunst und Tonkunst S. 305. — Stellung der iibrigen Kiinste im Wort-

Tondrama S. 311. — Der neue Begriff der Handlung S. 314. — Das Kunst-

werk der Zukunft S. 316. — Das deutsche Drama S. 319.

ANHANG: OBERSICHT DER SCHRIFTEN RICHARD WAGNER'S

Allgemeine Einteilung S. 322. — Aufzahlung S. 324.

DRITTESKAPITEL:RICHARDWAGNER'SKUNSTWERKEEINLEITUNG

Die Werke des Genies S. 331. — Musikalische Exegetik S. 334. —Zweck des Kapitels S. 337.

KUNSTWERKE DER ERSTEN LEBENSHALFTE

1. JugendversucheDie alte und die neue Sprache S. 339. — Wagner's erste Oper S. 343.

2. Die Feen und Das Liebesverbot

Die Dichtung und die Musik S. 344. — Wortdichter und Tondichter S. 350.

3. Rienzi und Der Fliegende Hollander

Geschichtliche Daten S. 354. — Das Quidproquo S. 355. — Rienzi S. 359.

— Der Fliegende Hollander S. 363.

4. Tannhauser und Lohengrin

Geschichtliche Daten S. 365. — Das Verhalten der Kritik S. 370. —Die biographische Bedeutung dieser Werke S. 374.

DIE VIER GROSSEN ENTWURFE1st die Oper moglich? S. 387. — Aus Unbewusstsein zum Bewusstsein

S. 391. — Das Grundgesetz des neuen Dramas S. 395.

KUNSTWERKE DER ZWEITEN LEBENSHALFTEEinleitendes S. 398.

1. Die Meistefsinger von Niirnberg

Die erste Fassung S. 401. — Die zweite Fassung S. 403. — Vergleich

zwischen einem Werk aus der ersten und einem aus der zweiten Lebens-

halfte S. 407. — Die Handlung im neuen Drama S. 410.

Page 278: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

554 INHALTSUBERSICHT

2. Der Ring des Nibelungen

DerEntwurf vomjahre 1848S.413. — Die „Phasen"-Irrlehre S.420. — Die

Trilogie vom Jahre 1852 S. 424. — Die Handlung im Nibelungenring S. 426.

3. Tristan und Isolde

Das Gesetz der Vereinfachung S. 433. — Die Quellen zu Wagner's

Tristan S. 438. — Die Verklarung der Liebe S. 442. — Der „Gedanke" als

kiinstlerischer Stoff S. 445. — Wort und Ton S. 454.

4. Parsifal

Die Erregung des Mitleids S. 457. — Die „Allmacht des Willens" S. 459.

— Die geniale Wirkungsart S. 462.— Der Held als Sieger S. 465. — Wolfram's

Parsival S. 466. — Religiose Deutungen S. 466. — Der neue Begriff der

dramatischen Handlung S. 467. — Die Bedeutung der Dramen Richard Wagner's

in der Geschichte der deutschen Kunst S. 473.

ANHANG: UBERSICHT DER WERKE RICHARD WAGNER'SDichterische Werke S. 476. — Musikalische Werke S. 477. — Drama-

tische Werke S. 479.

VIERTES KAPITEL: BAYREUTHEINLEITUNG

Das Vermachtnis S. 485.

DIE FESTSPIELE

1838 S. 488. — 1848 S. 488. — 1851 S. 489. — 1862 S. 492. — 1865

S. 494. — 1870 S. 497. — 1872 S. 498. — 1873 S. 500. — 1874 S. 502. —Muncker und Feustel S. 503. — Adolf von Gross S. 505. — Grafin Wolken-

stein S. 505. — Karl Tausig S. 507. — Emil Heckel S. 508. — 1875 S. 509. —1876 S. 509. — Die Presse S. 510. — Die Kunstler S. 512. — 1882 S. 515.

— 1883-1894 S. 516. — Siegfried Wagner S. 519.

DER BAYREUTHER GEDANKEDer Kulturgedanke S. 521. — Das mythische Denken S. 527, — Der

Bildungsbarbar S. 532. — Der Kunstgedanke S. 533. — Bayreuth S. 535. —Kunst und Religion S. 537. — Kunst und Philosophie S. 538. — Kunst und

Naturwissenschaft S. 541. — Zusammenfassung S. 543. — Wagner und Schopen-

hauer S. 543. — Richard Wagner S. 546.

INHALTSUBERSICHT S. 551. — VERZEICHNIS DER ABBILDUNGENS. 555. — NAMEN- UND BEGRIFFREGISTER S. 559. — VERZEICHNISDER SCHRIFTEN VON HOUSTON STEWART CHAMBERLAIN S. 568.

Page 279: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN

I. TEXTABBILDUNGENSeite

Richard Wagner. Marmorrelief von Gustav Kietz XVFranz Liszt. Bleistiftzeichnung von Ingres 20

Friedrich Nietzsche. Photographic aus Wagner's Besitz 21

Friedrich Nietzsche. Photographie aus Wagner's Besitz 22

C. Fr. Glasenapp. Photographie 23

Heinrich von Stein. Zeichnung von Paul Joukowsky 24

Hans von Wolzogen. Photographie 25

Ansicht von Wagner's Geburtshaus. Photographie 42

Adolf Wagner. Bleistiftzeichnung 45

Ludwig Geyer. Selbstbildnis 47

Ansicht der Kreuzschule in Dresden. Zeichnung 50

Theodor Weinlig, der Thomaskantor. Zeichnung 52

Albert Wagner. Photographie 54

Rosalie Wagner. Olgemalde . 55

Minna Wagner. Photographie 61

Wilhelmine Schroder- Devrient. Zeichnung 72

Dr. Pusinelli, Dresden. Photographie 74

August Roeckel. Photographie 76

Verkleinertes Faksimile des Steckbriefes im Dresdner Journal . . . 80

Franz Liszt. Pastellgemalde von Marechal 81

Ansicht von Gross-Graupa. Zeichnung von Robert Krausse 82

Das Marcolinische Palais, Dresden. Photographie 83

Das (abgebrannte) Dresdener Hoftheater. Photographie 84

Gottfried Semper. Lithographic 86

Franz Liszt. Photographie 89

Julie Rittcr. Photographic 91

Otto Wesendonck. Photographie aus Wagner's Besitz 92

Mathilde Wesendonck. Photographie aus Wagner's Besitz ...... 93

Mathilde Wesendonck. Photographie aus Wagner's Besitz ...... 94

Theodor Uhlig. Medallion von Gustav Kietz ... 95

Ansicht des Palazzo Giustiniani in Vencdig. Zeichnung von E. Harburger 99

Richard Wagner. Wien 1862. Photographie 105

Richard Wagner. Wien 1862. Photographie . 106

Richard Wagner. St. Petersburg 1863. Photographie 107

Richard Wagner. Moskau 1863. Photographie 107

Page 280: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

556 VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN

Selte

Ansicht des „Asyls auf dem griinen Hiigel". Photographic 108

Ansicht des Hauses in Biebrich. Zeichnung 109

Charles Baudelaire. Photographie 110

Marie von Muchanoff. Photographie 112

Malwida von Meysenbug. Photographie 114

Ansicht von Wagner's Wohnhaus in Penzing 115

Richard Wagner. Wien 1862. Photographie . 116

Ansicht des Hauses in Mariafeld 118

Richard Wagner. Miinchen 1864. Photographie 120

Richard Wagner. Miinchen 1864. Photographie 121

Richard Wagner. Miinchen 1864. Photographie . 122

Ansicht von Wagner's Wohnhaus in Miinchen. Zeichnung ...... 123

Ludwig Schnorr von Carolsfeld. Zeichnung von F. Gonne 130

Richard Wagner. Paris 1867. Zwei Photographien 132

Richard Wagner. Paris 1867. Photographie 133

Ansicht des Hauses in Triebschen .... 134

Siegfried Wagner. 1882. Photographie 136

Richard Wagner. London 1877. Photographie 142

Richard Wagner. London 1877. Photographie 143

Graf Gobineau. Photographie 145

Ansicht des Hauses Wahnfried 147

Richard Wagner. Miinchen 1880. Photographie 150

Ansicht des Palazzo Vendramin. Photographie 151

Verena Stocker. Photographie . 158

Gruppenbild: Karl Tausig, Karl Klindworth und Hans von Bulow, mit

Biilow's Unterschrift in Faksimile 482

Grundriss des Bayreuther Orchesters. Zeichnung 494

Querschnitt des Bayreuther Orchesters. Zeichnung 495

Ansicht des Bayreuther Festspielhauses. Photographie 496

Richard Wagner. Gemalde von F. v. Lenbach . 499

Dr. von Muncker. Photographie 502

Friedrich Feustel. Photographie 503

Adolf von Gross. Photographie ... 504

Marie von Buch. Photographie 506

Grafin von Wolkenstein-Trostburg. Photographie 507

Friedrich von Schon. Photographie 508

Emil Heckel. Photographie \ • 509

Hans Richter. Photographie 514

Cosima Wagner. Gemalde von Paul Joukowsky 1880 ........ 517

Gruppenbild : Hans Richter, Hermann Levi, Felix Mottl. Photographie 518

Julius Kniese. Photographie 519

Siegfried Wagner. Marmorbiiste von A. Hildebrand 520

Ansicht des Saales im Hause Wahnfried. Photographie 525

Wagner's Hund Marke. Photographie 549

Page 281: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN 557

II. EINSCHALTBILDER UND BEILAGENSeite

Richard Wagner. Gemalde von F. v. Lenbach 1874. Original im Besitz

der Grafin von Wolkenstein-Trostburg in Paris. (Titelbild zu Band I).

Richard Wagner's Mutter. Aquarell von Auguste Bohm, Leipzig 1839.

Original im Besitz des Herrn F. Avenarius in Dresden 48

Richard Wagner. Bleistiftzeichnung von E. B. Kietz, Paris 1842. Ori-

ginal im Besitz von Frau Cosima Wagner in Bayreuth 64

Richard Wagner 18S3. Nach einer von Fr. Hanfstaengl lithographierten

Zeichnung von Clementine Stocker-Escher aus dem Verlage von

Breitkopf & Haertel in Leipzig 84

Mathilda Wesendonck. Photographic nach dem Leben ........ 94

Hans von Biilow. Zeichnung von F. v. Lenbach ........... 96

Konig Ludwig IL Aquarellierte Photographic nach dem Leben aus

R. Wagner's Besitz 128

Cosima Wagner. Olgemalde von F. v. Lenbach. Original im HauseWahnfried 136

Cosima Wagner. Olgemalde von F. v. Lenbach Original im Hause

Wahnfried 144

Richard Wagner mit seiner Tochter Eva und dem Hunde Russ. Photo-

graphic nach dem Leben 152

Schiller. Olgemalde nach Tischbein von J. B. Krausse. Aus R. Wagner's

Besitz 200

Schopenhauer. Olgemalde von F. v. Lenbach. Aus R. Wagner's Besitz 216

Beethoven. Olgemalde nach F. Waldmiiller von J. B. Krausse. AusR. Wagner's Besitz 304

Goethe. Olgemalde von F, v. Lenbach. Aus R. Wagner's Besitz . . 320

Richard Wagner. Vergrosserung nach der photographischen Moment-aufnahme vom Jahre 1883 von A. von Gross in Bayreuth. (Letztes Bild

des Meisters.) Titelbild zu Band H.

Faksimile aus der Partitur der Feen, Akt HI, Szene 2. Nach der

Originalhandschrift aus dem Besitz S. M. des Konigs von Bayern . 344

Richard Wagner. Briissel 1860. Photographic 352

Faksimile aus einem Entwurf zum Fliegenden Hollander vomJahre 1841. Nach der Originalhandschrift aus dem Besitz der Familie

Ritter 364

Richard Wagner. Paris 1861. Photographie 368

Richard Wagner. St. Petersburg 1863. Photographie 384

Richard Wagner. Miinchen 1865. Photographie . 400

Faksimile aus der Partitur der Mei s ter si n ge r, Akt HI, letzte Szene.

Nach der Originalhandschrift aus dem Besitz S. M. des Konigs von Bayern 406

Richard Wagner. Luzern 1868. Photographie 408

Faksimile aus dem ersten Entwurf zu Siegfrieds Tod vom Jahre 1848.

Nach der Originalhandschrift aus dem Besitz der Familie Ritter . . 418

Faksimile aus der Partitur der Walkiire, Akt II, Vorspiel. Nach der

Originalhandschrift aus dem Besitz S. M. des Konigs von Bayern . 428

Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 36

Page 282: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

558 VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN

Seite

Richard Wagner. London 1877. Photographic 432

Richard Wagner. London 1877, Photographic 448

Verkleinerte Wiedergabe cincr Scite aus der (gcstochenen) Partitur von

Tristanundlsolde 456

Richard Wagner. Miinchen 1865. Photographic 474

Cosima Wagner. Marmorbiiste von Gustav Kietz. Original im Hause

Wahnfried 486

Richard Wagner. Bayrcuth 1873. Photographic von A. von Gross . . 488

Faksimile aus der Originalhandschrift, Schriften Bd. VI, S. 388/89 . 492

Richard Wagner. Nach einem Gouache von 1877 von H. v. Herkomer.

Original im Hausc Wahnfried 512

Richard Wagner und Siegfried Wagner. Neapel 1880. Photographic • 514

Siegfried Wagner. Marmorbiiste von A. von Hildcbrand. Original im

Hause Wahnfried 520

Faksimile aus der Originalhandschrift von „Beethoven", Schriften,

Bd. IX, S. 144 522

Cosima Wagner. Photographic nach dem Leben von A. von Gross,

Bayrcuth 1888 • 526

Franz Liszt. Olgemalde von F. v. Lenbach. Original im Hause Wahnfried 530

Richard Wagner. Rotelzeichnung von F. v. Lenbach. Original im Hausc

Wahnfried ^ .536Richard Wagner. Miinchen 1880. Photographic 544

Page 283: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

REGISTER

Das vorliegende Register soil nicht allein einen vollstandigen Namenindexgeben, sondern zusammen mit der Inhaltsubersicht den Gebrauch des Buches

zu wirkJichen Studienzwecken erleichtern. Darum habe ich die wichtigsten

BegrifPe aufgenommen und unter dem Namen Wagner ein mehrfach gegliedertes

Schema angelegt, welches sich hoffentlich im Gebrauch als praktisch erweisen

wird. Lohengrin z. B. ist nicht (wie die Inhaltsubersicht vermuten lassen konnte)

an einem einzelnen Orte abgehandelt, sondern die friiheren Werke werden immerwieder bei Besprechung der spateren herangezogen; desgleichen findet der Leser

nirgends ein eingehendes Referat uber Wagner's Rede im Vaterlandsverein; mit

Hilfe des Registers aber kann er leicht die vielen Stellen zusammensuchen,wo diese wichtige Kundgebung besprochen wird. Bei den Kunstwerken jedoch

wurden nur die wichtigsten Erwahnungen beriicksichtigt; die Schriften sind nur

zum kleineren Teil angefuhrt und zwar in der Regel nur dann, wenn die Schrift

als Ganzes erwahnt wird. Eine Ubersicht der Zitate war geplant, hatte aber

bei der grossen Anzahl zu weit gefiihrt. Eigennamen, die wie Liszt und Uhlig

unzahligemal als Adressate von angefuhrten Briefen des Meisters vorkommen,

sind nur dann ins Register aufgenommen worden, wenn von der betrefFenden

Person ausdriicklich die Rede ist.

Aschylos 50, 280, 536.

Asthetik 12, 206, 272, 315,331 fg., 390.

Afghanistan, ein Volksmarchen aus 442Ahasver 252.

Alexander der Grosse 75, 463.

Ambros, Dr. A. W. 329.

Anarchismus, der 199 fg.

Ander, A., Sanger 115.

Anders, E., Bibliothekar 60, 326.

Apel 477.

Appia, A. 313 fg., 451.

Architektur 292.

Aristoteles 296, 300, 333, 540, 542.

Arnd 78.

Asher, Dr. David 13, 223.

Auber 348, 349, 529.

Auge, das (als kiinstlerischer Faktor imDrama) 380 fg., 449 fg., 469.

Augsburger Allgemeine Zeitung 1 19, 123.

Aurevilly, Barbey d' 112.

Avenarius, Verleger 54.

— (siehe auch Cacilie Geyer).

Bach, J. S. 30, 49, 309, 319, 335, 349,

386, 422, 529.

Bach, Minister 203.

Bahr, Karl 91.

Bakunin 74.

Bataille 112.

Baudelaire, Charles 25, 111.

Baumgarten 278.

Baumgartner, Wilh. 90, 350.

Bayreuth 139 fg., 483 fg., 521 fg., 526 fg.,

535 fg.

„Bayreuther Blatter", die 26 fg.

Bayreuther Festspiele, die 27, 139 fg.,

157 fg., 338, 369, 380, 497, 509 fg.

Bayreuther Festspielfonds, der 131, 496.

Bayreuther Festspielhaus, das 15, 27,

124, 140, 146, 157, 482 fg., 497 fg.,

522 fg., 532 fg.

„Bayreuther Gedanke", der 10, 27, 231,

241, 487, 498 fg., 521—549.Bayreuther Kiinstler, die 512 fg.

Bayreuther Orchester, das 493 fg.

Bayreuther Patronatverein, der erste

140, 497, 500 fg., 507 fg.

Bayreuther Patronatverein, der zweite

140, 497, 500.

„Bayreuther Schule", die 140, 512.

Beethoven II, 19, 30, 42, 49, 52, 56,

62, 63, 65, 79, 85, 110, 113, 137, 146,

150, 154, 163, 216, 249, 273, 285, 304,

309, 320, 326, 336, 339, 348, 349, 356,

375, 392, 475, 498, 500, 536.

Berlioz 59, 79, 395.

Bellini 58.

Betz, Franz 500.

36*

Page 284: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

560 REGISTER

Beust, Graf 81, 178, 179, 203.

Biedenfeld, Freiherr von 375.

Bildhauerkunst 293,

Bismarck 180, 249.

Blum, K. 478.

Boccaccio 45.

Boccherini 67.

Bohtlingk, Prof. Otto 257.

Boieldieu 349.

Bonnier, Pierre et Charles 407.

Borsencourier, der Berliner 511.

Brandt, Karl 515.

Breitkopf & Hartel 399.

Brendel, Franz 93, 248, 252.

Brockhaus (siehe Ottilie Wagner).Brockhaus, Verleger 54.

Bruno, Giordano 44, 45, 527.

Buch, Marie von (siehe Grafin Wolken-stein)

Buchner, Ludwig 211.

Buckle, Henry Thomas 245.

Buddha 229, 258, 462, 463, 545.

Bugge, Prof. Sophus 420.

Biilow, Hans von 86, 94, 96, 111, 129,

130, 137, 141, 152, 495, 514.

Bulwer 63, 354, 466.

Burns 44, 45.

Byron 44, 87.

9akuntala 417.

Calderon 296, 474, 529.

Calm, Felix 26.

Qankara 242.

Carlyle 6, 16, 31, 199, 332, 527.

Casar 45.

(^atapatha Brahmana 358.

Cellini, Benvenuto 161.

Challemel-Lacour 112.

Chamberlain, Houston Stewart V, 77,

350, 363, 396, 407, 432, 455, 465, 467,

489.

Champfleury 111.

Chateaubriand 198.

Cherubini 58, 349.

Comte, Auguste 202 (2).

Corneille 315.

Cornelius, Peter 93, 117.

Cromwell, Oliver 220.

Dannreuther, E. 476.

Dante 45.

Darmesteter, Arsene 434.

Darwin 281, 542.

David, chef de claque 113.

David, Prof. 252.

Davidsohn, George 511.

Demokrit 1, 539, 540, 542.

Deussen, Prof. Paul 217.

Devrient, Eduard 323.

Devrient, Ludwig 131.

Dichter, der 288 fg.

Dickens 381.

Dingelstedt, Franz 249, 399.

Dinger, Hugo 74.

Dinosauren, die 257.

Donizetti 60, 479.

Dorn, Heinrich 415.

Draesecke, Felix 93.

Drama, das 287 fg., 292 fg., 467 fg.

Drama, das deutsche 30, 37, 138, 319 fg.,

412, 474.

Drama, das reinmenschliche 295 fg.,

314, 396, 412, 471.

Drama und Musik, das Verhaltnis

zwischen 299 fg., 353, 363— 365,

382 fg., 405 fg., 431, 445-457, 465, 471.

Dramma per musica, il 300, 319.

Dresden, der Maiaufstand in 16, 38, 65,

77 fg., 174 fg.

Dresden, die Hofoper in 71.

Dresden, Intendant der Hofoper in (siehe

Freiherr von Liittichau).

Edda, die 413, 421.

„Ehre", die 444.

Eigentum, das 243.

Ellis, William Ashton 81.

Entartung, die (Verfall) 238, 240, 254,

263.

Enzenberg, Graf 128.

Ernst, Alfred 384.

Este, Isabella d' 162.

Exegetik, musikalische 10 fg., 272,

555 fg., 524.

Ferry, Jules 112.

Fetis 11.

Feuerbach 209 fg., 245, 250, 264, 423.

Feustel, Friedrich 503.

Fischer, Chordirektor 64, 71, 322.

Fouiilee, Alfred 256.

Frantz, Konstantin 137.

Franziskus, der heilige 148, 463.

Franzosen, die 62, 106 fg.

Frauenstadt, Julius 211.

Freiheit, die 198, 266, 285, 544.

Freytag, Gustav 250.

Friedrich August, Konig von Sachsen80, 102, 478.

Friedrich Wilhelm IV. 77.

Fritzsch, E. W. 322.

Frobel, Julius 128.

Gasparin, Komtesse 111.

Gasperini 111.

Gautier, Judith 149.

Page 285: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

REGISTER 561

Gautier, Prof. Leon 286.

Gautier, Theophile 111.

Gebarde, die dramatische 427, 449 fg.

Gedanke, der, als kunstlerischer StofF

445 fg.

Geibel, Em. 413.

Geld, das 200, 242.

Genie, das 220, 283, 331, 463.

Gever, Caciiie (Avenarius) 54.

Gever, Ludwig 43, 45 fg., 153.

Glasenapp V, X, 8, 19, 22, 35, 59, 60,

77, 336, 476, 477, 497, 531.

Gleizes 224, 246, 258.

Gluci<58, 65,85, 110,111, 161, 162,297,

504, 306, 310, 319, 348, 349, 392, 474,

479.

Gobineau, Graf 25, 144, 247.

Goethe XII, 13, 15, 30, 45, 49, 51, 63, 68,

89, 161, 164, 183, 226, 230, 249, 255,

273, 284, 291, 320.

Goethe, zitiert X, 5, 6, 27, 35, 159, 161, 175,

178, 181, 182, 183, 184, 230, 280 (2),

281, 285, 297, 298, 301, 312, 313, 327,

332, 338, 391, 428, 463, 485, 488, 493,

513, 549.

Goethe-Forscher 18.

Golther, Prof. W. 335, 366, 420.

Gondoliere, Wagners 152.

Gottfried von Straliburg 33, 338, 435,

438, 440.

Gozzi 63, 358, 466.

„Grenzboten", die 371.

G retry 493.

Gross, Adolf von 505.

Grun, Karl 211.

Gwinner, Wilh. 541.

Gumbert, F. 472.

Gyrowetz, Adalbert 67.

Habeneck 59.

Hafis 117, 220, 529, 536.

Halevv 60, 479.

Handel 319, 474.

Handlung, dramatische 314, 361, 380,

410, 426 fg., 435 fg., 466, 467 fg., 473.

Hauptmann, Moriz 11, 252, 370.

Hausegger, Fr. v. 228, 278.

Hauser, Regisseur, Franz 56.

Havdn 85, 309, 319, 349.

Hebbel 413, 485.

Hebert, Abbe Marcel 190, 389, 421.

Heckel, Emil 508, 516.

Meckel, Karl 497, 503, 516.

Hegel 210, 211, 215.

Heim, Musikdirektor, und Frau 86.

Heine, Ferdinand 322,

Heine, Heinrich 478.

Herbart, F.J. 301.

Herder 44, 163, 294, 298, 315, 320, 392,

412, 413, 420, 430, 447, 449, 450, 453,

467, 470.

Herwegh, Georg 86, 228, 245, 249.

Hertz, Prof. W. 335.

Hildebrand, Adolf IX.

Hillebrand, Karl 90.

Hiller, Ferd. 67, 323.

Hobbes 53.

Hoffmann, E. T. A. 300, 308, 320, 392,

475.

Holmes, Augusta 274.

Holtei, Karl von 57.

Homer 289, 381.

Hugo, Viktor 478.

Hiilsen, von, Intendant in Berlin 107.

Humboldt, Alex, von 185, 218.

Ifnand 51.

Indische Spruche 27, 192, 242, 257, 418,

532, 545, 546, 549.

Jahn, Otto 11, 333.

Janin, Jules 112.

Joachim 252.

Jockey-Klub, der Pariser 106.

Jongleurs, die 286.

Jordan, Wilhelm 313.

Josef II., Kaiser 266, 466.

Judentum, das 244, 248 fg., 270.

Jungfraulichkeit, die 461.

Kaiser von Brasilien, der 399.

Kant 198, 206, 208, 215, 216, 241, 261,

278, 283, 311, 316, 332, 526, 532.

Karl der Grosse 192.

Kastner, E. 476.

Kean 131.

Keller, Gottfried 86.

Kietz, Ernst 60.

Kietz, Prof. Dr. Gustav 79.

Kipke, C. 493.

Kittl, Friedrich 479.

Kleist, Heinrich von III, 300, 320.

Klindworth, Karl 93.

Kniese, Julius 519.

Kohler, L. 10, 93, 272.

Kolnische Zeitung, die 511.

Konigtum, das 191.

Kostlin, Professor 26.

Kotzebue 51.

Krieg von 1870, der 128, 138, 142, 180,521.

Kritik, die 4, 27, 66, 149, 370, 511.

Kunst, die 8, 9, 225, 266 fg., 274 fg.,

293 fg., 331, 486, 522, 5M, 537, 541.

Kunst, deutsche 29, 319, 374.

Kunst, griechische 30, 154, 273, 286,468,489, 523, 539.

Page 286: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

562 REGISTER

Kunst, die, als „Lebensheiland" 152, 266,

283, 543.

Kunst, die Wurde der 274, 279 fg., 486,

535.

Kunstler, der 9, 10, 290 fg.

Kunstwerk der Zukunft, das 316, 475,

523.

Kuntze, Otto VII.

Kurz, H. 46.

Laforgue, Jules 241.

Lagarde, Paul de 532.

Landschaftsmalerei, die 245.

Lange, F. A. 539.

Lanzi 45.

Laplace 281.

Lassalle, F. 202.

Lasso, Orlando di 319.

Laube, Heinrich 56.

Laussot, Madame 90.

Lehmann, Marie 500.

Lehrs 60.

Leibniz 464.

Lenbach, Franz von (Portrat Wagner's)216.

Leipzig, Volkerschlacht bei 37Leitmotive, die 336, 383.

Leroy, Leon 112.

Lessing 298.

Lessmann, O. 455.

Liebig 245.

Lindau 113.

Liszt, Cosima (siehe Cosima Wagner).Liszt, Franz 6, 11, 19 fg., 24, 28, 76, 79,

88 fg., 92, 93, 95, 111, 124, 125, 135,

1 36, 1 44, 1 68, 1 78, 322, 374, 387, 393, 395,

480, 530.Logier, Musiktheoretiker 341.

Lombroso, Professor 464.

Lorbac, Charles de 112.

Lubke, Wilhelm 372.

LudwigII.,K6nig25, 104,105,120,122fg.,

136, 140, 144, 348, 380, 478, 495, 502,

510.

Lully 349.

Luther 148, 184, 252.

Luttichau, Freiherr von 71, 73, 77, 177.

Maler, die italienischen 292.

Mannhardt, Prof. 421.

Marschner 348, 363, 479.

Marx, A. B. 56.

Marx, Karl 202.

Mayrberger 12.

M6hul 57, 349.

Meinck, Dr. 335.

Mendelssohn, Felix 56, 252, 349.

Mendes, Catulle 112.

Metternich, Fiirst 203.

Metternich, Furstin 108, 478.

Meyerbeer 59, 64, 106, 252, 359, 360.

Meysenbug, Baronin Malwida von 113.

Micha, der Prophet 253.

Michelangelo 164.

Mill, John Stuart 202.

Milton 305.

Mitleiden, das 221, 457, 548 (2).

Mitterwurzer, Anton 495.

Moleschott, Professor 211, 245.

Moliere 356.

Monteverde 297, 298.

Morin 112.

Moscheles 252.

Mozart 11, 49, 57, 58, 63, 85, 150, 161,

162, 309, 320, 339, 341, 348, 349, 392,410, 474, 479, 529.

MuchanoPF, Marie von 113, 138.

Miiller, Regierungsrat Franz 93, 374, 455.

Miinchen, das Festspielhaus in 119, 120,

495 fg.

Miinchen, deutsche Musikschule in 12,

120.

Muncker, Burgermeister Dr. von 503.

Muncker, Prof. 8, 335, 389.

Musik, die 10, 299 fg.,335 fg., 341, 352 fg.,

363, 382 fg., 405 fg., 415, 431, 448 fg.,

524.

Musik-Zeitung, Allgemeine 455.

Myroslawsky 370.

Nahrungsfrage, die 244, 256, 257.

Napoleon 75, 363, 529.

Napoleon III. 107, 180.

Naturwissenschaft, die 4, 6, 245, 281 fg.,

542.

Nesselrode, Grafin (siehe Muchanoff).Newton 283.

Nibelungenlied, das 413, 415.

Nicodemus 528.

Niemann, Albert 500.

Nietzsche, Friedrich IX, 20, 2% 29, 31,

100, 329, 521, 522, 528, 535.

Nikolaus, Kaiser 478.

Nohl, Ludwig 8, 253.

Novalis 164, 398, 433, 450, 543.

Nuitter, Charles 109, 112.

Oberlander, Kultusminister 177.

Objektivitat, die 7, 22.

Odipus 14, 531.

Offenbarung 541 (2).

Oldenberg, Professor Hermann 257,

462.

Ollivier, Emile 112.

Omar Khayyam 220, 235.

Oper, die 355 fg., 349, 385.

Page 287: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

REGISTER 563

Palestrina 309, 349, 457, 479, 529, 536.

Pascal 241.

Paulus, der Apostel 145.

Pecht, Friedrich 349 (2).

Pergolese 349.

Peri 297.

Petrarca 45.

Pfohl, Ferd. 374.

Phidias 216, 536.

Philister, der 123, 532.

Philosophic, die 206, 208, 230, 277, 539 fg.

Pindar 289.

Plato 205, 216, 219, 539, 540.

Pohl, Richard 8, 11, 93, 374.

Pope 181, 183.

Porges, Professor 515.

Presse, die 66 fg , 372, 503, 511, 512.

Prolss, Robert 73, 77.

Prometheus III, 514.

Proudhon, P. J. 199.

Pusinelli, Dr. IX.

Pythagoras 258.

Ranke, Joh. 258.

Raphael 536.

Rassenfrage, die 185, 247, 256.

Raupach 477.

Rebling, Gesangverein 500.

Reinmenschliche, das 259, 295 fg., 322,

323, 325, 396, 408, 427, 472.

Reissiger 67.

Religion, die 262, 267 fg., 467, 537, 546,549.

Renan, Ernest 215.

Reuss, Eduard 360.

Revue et Gazette musicale de Paris 327.

Revue Wagnerienne 439.

Reyer, Ernest 112.

Richter, Jean Paul 320, 342.

Richter, Hans IX, 514.

Riedel, Gesangverein 500.

Riehl, W. H. 323.

Rigveda, die 358.

Rio de Janeiro 399.

Ritter, Alexander 54, 91, 93, 378, 388.

Ritter, Franziska (siehe Wagner).Ritter, Frau Julie 90, 96.

Ritter, Karl 86, 99, 212.

Robespierre 529, 537.

Roche, Edouard 112.

Roeckel, August 70, 75, 79, 127, 322,

395.

Roempler, Buchdrucker 176 (2).

Ronsard 478.

Rossini 275.

Rousseau, Jean Jacques 202, 241, 258,

285, 308.

Rubens 150.

Sachs, Hans 403.

Sarti, Giuseppe 11.

Savonarola 148.

Schemann, Ludwig 144, 217.

Scheuerlin 478.

Schiller 30, 45, 49, 51, 75, 89 161, 164,

197 fg., 200, 320, 357, 361, 415, 475,

525, 536, 537.

Schiller, citiert 69(2), 110, 164, 171, 174,

197 (2), 199, 200, 232, 241, 265, 274,

282, 284, 285, 292, 296, 297, 301, 310,

311, 447, 486, 489.

Schleinitz, Freifrau von (s. Wolkenstein).

Schlesinger, Verlagsfirma 59.

Schlosser, Rud. 389.

Schmid, Pater 8.

Schnorr von Carolsfeld, Ludwig 116,

130, 495.

Schnorr von Carolsfeld, Frau 495.

Schonaich, Dr. Gustav 116.

Schopenhauer 2, 13, 101, 102, 123,

206, 209, 211, 215 fg., 233, 260, 261,

278, 300, 317, 423, 424, 445, 540, 543,

548.

Schopenhauer citiert 13, 36, 234, 260 (2),

467, 277, 278, 281, 308, 331 (2), 377,

463, 475, 541, 544, 546, 547.

Schott, Frau Betty 478.

Schroder-Devrient, Wilhelmine 71, 514.

Scotus, Joh. Duns 228, 413.

Scribe 58, 59, 359, 361, 479.

„Seher", der 10, 288 fg., 381, 398.

Semper, Gottfried 86, 120, 495.

Seneca 249.

Shakespeare 30, 50, 51, 63, 89, 98, 146,

153, 226, 273, 296, 305, 315, 331, 345,

357, 358, 415, 422, 435, 445, 466, 469,472, 474, 530, 536.

Simonides 289.

Sklaventum, das 198, 544.

Sokrates 333.

Sophokles 14, 30, 50, 290, 315, 331, 470,

474, 523.

Spencer, Herbert 181.

Spinoza 230.

Spontini 58, 349, 359, 376, 529.

Sprache, die 9, 340, 454, 471.

Springer, R. 224.

Standthartner, Hofrat Dr. 117.

Stein, Charlotte von XII.

Stein, Heinrich von 19, 24 fg., 144, 158,

241, 259, 527.

Stern, Professor A. 500.

Stern, Gesangverein 500.

Sternau, C. P. 66.

Sterne, Laurence 2, 8.

Stirner, Max 215.

Sulzer, Jakob 90, 339.

Page 288: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

564 REGISTER

Taine, H. 529.

Tappert, Wilhelm 8, 12, 343 (2), 371, 476.

Tat-tvam-asi 220, 548.

Tausig, Karl 118, 507, 508, 511, 514.

Thadden-Trieglaff, von 249.

Thespis, der Karren des 523.

Thum, Professor 79.

Tichatschek 71.

Tolstoi, Graf Leo 216, 270.

Toussenel 250.

Treitschke, Heinrich von 249.

Uhlig, Theodor 9, 17, 94, 96, 322.

Vacquerie, Auguste 112.

Vegetarismus, der 244 fg., 254, 256.

Vendramin, Palazzo 152.

Verlaine, Paul 495.

Vieuxtemps 59.

Vilmar A. F. C. 18.

Villot, Frederic 112.

Vinci, Leonardo da 162, 164, 165, 226,401.

Vischer, F. T. 68.

Vivisektion, die 157, 324, 547.

Vogel, B. 8.

Vogt, Karl 211.

Volkerwanderung, zur Zeit der 192.— die neue 256.

Voltaire 1.

Wagner der Denker 164, 173, 205 fg.,

323. (vergl. W." Philosophie und W.'sWeltanschauung),der Dichter 202, 294, 350, 353, 357,

358, 363, 382, 432 usw.

„ Dramatiker 316 fg , 356, 467 fg.,

473.

„ Kiinstler 10, 166, 173, 203, 204,

206, 207, 226, 269, 274, 293,

323, 340, 464, 523, 546.

„ Musiker 10, 353, 356, 363, 376,

384, 385, 411, 431 u. s. w.

„ Opernkomponist 355 fg., 385.

„ Patriot 62, 78, 125, 138, 140,

175 fg., 183 fg.

„ Politiker76, 125 fg., 181 fg., 203.

„ Reformator 152, 164, 196, 256 fg.,

284 fg., 528.

„ Revolutionar60,74,75,155,174fg.,197 fg.

„ Schriftsteller 98 fg., 163, 166 fg.,

391.

„ Wort-Tondichter 31, 350, 351,

395, 454 u. s. w.

Wagner in Bayreuth 40, 139, 141 fg.,

157 (2), 497, 498.

in Berlin 57, 157.

Wagner in Biebrich 156.

in Chemnitz 79.

Dresden 39, 49, 64 fg., 153, 155.

Italien 141, 158.

Konigsberg 40, 57, 154.

Leipzig 39, 49, 153.

London 58, 85, 154, 156, 157.

Luzern 156, 157.

Magdeburg 40, 56, 57, 154.

Munchen 40, 104, 105, 120 fg.,

156.

Palermo 158.

Paris 40, 59 fg., 104, 105 fg., 155,

156.

Pest 104, 156.

Petersburg 104, 156.

Prag 104, 156,

Riga 40, 57, 154.

Stuttgart 104.

Triebschen 22, 40, 131 fg., 157.

Venedig 141, 156, 158.

Weimar 79, 156.

Wien 40, 104, 113 fg., 156.

Wurzburg 40, 53, 154.

Zurich 40, 85 fg., 104, 156.

der Schweiz 85, 102, 116, 131.

Wagner'sAnhanger 25, 87 fg., Ill, 112, 117,

124, 371, 501, 503 fg., 516, 536.

Antlitz 12, 146, 149, 485.

Berichte iiber seinen Lebensgang V,

15, 326.

Briefe 17, 322.

Bildungsgang 47 fg., 340,

Ehe, erste 57, 60, 133.

„ zweite 131, 135, 516.

Entwickelungaus Unbewusstsein zumBewusstsein 97, 98 fg., 373, 391 fg.,

407.

Familie 41, 53.

Fehler 27 fg., 68, 149.

Festspielidee 57, 119, 128 fg., 141,

488.

Geburt 42.

Gesprache 18, 530, 531.

Gestaltungskraft45,358fg.,381,419fg.,

438, 453, 529 fg.

Heftigkeit 149.

Hunde 547.

Kulturgedanke 240, 522 fg.

Kunstlehre 265 fg., 271 fg., 472, 533 fg.,

543.Lebensperioden 39 fg., 97, 149, 351,

399.

musikalischeBegabung52,340fg.,349.mythische Denkweise 184, 225, 528 fg.

Pessimismus 220, 223, 233, 259 fg.

Page 289: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

REGISTER 565

Wagner'sPhilosophie 101, 205 fg., 233, 260,

266 fg., 277, 423, 538-549.Prachtliebe 150.

Redegabe 19.

Rede im Vaterlandsverein (1848) 76,

182, 186, 188, 192, 194, 200, 237,

242.

Rede in St. Gallen (1856) 489.

Rede in Bayreuth (1872) 125, 139,

498, 499.

Rede in Bayreuth (1873) 144.

Rede in Bayreuth (1876) 537.

Regenerationslehre 146, 206, 232 fg.,

253 fg., 279 fg., 318, 475, 523, 544.

Religion 145 fg., 188 fg., 262 fg., 269,

284, 466, 537, 545—549.Sehnsucht nach Liebe 70, 135, 144,

440, 547.

Sehnsucht nach dem Tode 220, 441 fg.

Selbstlosigkeit 69, 118, 122, 144, 151,

171, 496, 500, 502, 521.

sprachliche Begabung 49, 100, 340.

Tierliebe 70, 221, 346, 547.

Tod 141, 148, 158, 487.

„unendliche Cute" 149, 152.

Verachtung des Ruhmes 70, 143.

Verhaltnis zu Konig Ludwig II. 87,

122 fg., 144, 502.

Verhaltnis zu Liszt 20, 21,79, 88fg.,

124, 125.

Verhaltnis zu Schopenhauer 101, 215fg.

233, 260, 267, 278, 317, 543, 548.

Wahrheitsliebe 16, 69, 83, 176, 189.

Weltanschauung 230, 233, 277 fg. 423,

464 545 549.

Willenskraft 69,* 149, 164, 459 fg.

Wagner's Schriften:

Beethoven 137, 157, 166, 206, 223,

227, 237, 325.

Buhnenfestspielhaus zu Bayreuth, das157, 326, 497 fg.

Deutsche Kunst und deutsche Politik

157, 227, 237, 324.

Ein deutscher Musiker in Paris 61,

155, 221, 327.

Eine Mitteilung an meine Freunde97, 156, 169, 236, 326, 384, 491.

Ein Theater in Ziirich 156, 207, 237,

325.

Entwurf zur Organisation eines deut-

schen Nationaltheaters 186, 325,488.

Erkenne dich selbst 236, 240, 324.

Gesammelte Schriften undDichtungen138, 157, 322 fg.

Heldentum und Christentum 145,236,

324.

Wagner's Schriften:

im allgemeinen 99, 163 fg., 391.

Judentum in der Musik, das 155, 187,

237, 248, 252, 324.

Kunst und die Revolution, die 96, 155,

169, 189, 196, 205, 236, 324.

Kunst und Klima 97, 155, 236, 325.

Kunstwerk der Zukunft, das 97, 155,

169, 206, 236, 325.

Modern 157, 237, 248, 324.

Oper und Drama 97, 156, 169, 206,

236, 325, 538.

Publikum in Zeit und Raum, das

237, 324.

Publikum und Popularitat 157,237,324.

Religion und Kunst 145, 158, 172,

223, 235, 324.

Ober das Dichten und Komponieren157, 325, 336.

Ober das Dirigieren 137, 157, 325.

Ober das Weibliche im Menschlichen

158, 236, 324.

Ober die Anwendung der Musik auf

das Drama 157, 325, 384.

Ober die Bestimmung der Oper 137,

157, 237, 325.

Ober die Goethestiftung 156,237,325.

Ober die Vivisektion 157, 236, 324,

547.

Ober eine in Miinchen zu errichtende

deutsche Musikschule 120, 156, 325.

Ober Schauspieler und Sanger 157,

206, 325.

Ober Staat und Religion 120, 156, 172,

193, 206, 227, 237, 324.

Tabellarische Obersicht samtlicher

Schriften 322 fg.

Was ist deutsch? 145, 157, 237,324.

Wasniitztdiese Erkenntnis? 232,236,

324.

Wibelungen, die 186, 243, 324, 388, 424.

Wiener Hofoperntheater, das 325, 488.

Wollen wir hoffen? 145, 157,235, 324.

Zukunftsmusik 227, 237, 325.

(Fiir alle hier nicht angefiihrten Schriften

vergl. man S. 322-328).

Wagner's Werke:Achilleus 97, 390, 480.

Barenfamilie, die gliickliche 479.

Columbus-Ouvertijre 477.

dramatische Werke im allgemeinen 29,

41, 316, 319, 321, 329fg., 331, 338,

474 fg., 479 fg.

Faust-Ouvertiire 63, 478.

Feen, die 52, 55, 154, 344 fg., 480.

Festmarsch, grofier 478.

Page 290: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

566 REGISTER

Wagner's Werke

:

Fliegende Hollander, der 59, 64, 65,

155, 227, 354, 363 fg., 378, 382 fg.,

480.

FriedrichderRotbart96,193,388fg.,480.

Funf Gedichte, die 91, 478.

Gotterdammerung 137, 431, 481.

Hochzeit, die 52, 343 fg., 479.

Hohe Braut, die 479.

Huldigungsmarsch 348, 478.

Jesus von Nazareth 82, 97, 190, 388 fg.,

467, 480.

Kaiser-Marsch 138, 478.

Kapitulation, eine 477, 480.

Konig Enzio, Ouvertiire zu 154, 343,

477.

Konzert-Ouvertiire C-dur 343, 477.

„ D-moU 154, 343, 477.

Liebesmahl der Apostel, das 476, 478.

Liebesverbot, das 56, 57, 59, 344 fg.,

480.

Lohengrin 64, 82, 1 14, 156, 228, 365 fg.

380, 393, 402, 408, 441, 480, 489, 519.

Meistersinger, die 41, 82, 118, 121,

137, 156, 399, 401 fg., 480, 518, 524.

Parsifal 41, 98, 121, 148, 229, 347,

400, 457 fg, 482, 515, 516, 518, 525.

Paukenschlag-Ouvertiire 343, 477,

Polonia-Ouverture 478.

reindichterische Werke 476, 477.

reinmusikalische Werke 52,342,477 fg.

Rheingold, das 98, 157, 425, 481.

Rienzi, 58, 64, 155, 354, 359 fg., 480.

Ring des Nibelungen, der 82, 98, 156,

228, 400, 413 fg., 449 fg., 480, 481,

485, 490, 510, 512, 517, 518, 522.

Sarazenin, die 364, 479.

Schaferspiel, das 52, 154, 342.

Sieger, die 229, 424, 467, 480.

Siegfried 98, 137, 425, 481.

„ der junge 425, 481.

„ 's Tod 96, 388 fg., 417 fg.,

425, 481.

Siegfried-Idyll 132, 478.

Symphonie C-dur 52, 154, 343, 477.

Scene und Arie 52, 154, 343, 479.

Tannhauser 64, 82, 106, 155, 156,228,

365 fg.. 401, 480, 519.

Tristan und Isolde 98, 115, 128 fg.,

156, 228, 399, 433 fg., 481, 518.

Versuche, erste 51, 153, 342, 479.

Walkure, die 98, 157, 348, 425, 481.

Wieland der Schmied 96, 388fg., 480.

(Fiir alle hier nicht angefiihrten

Werke vergl. man Seite 476—482).

Wagner, Adolf 44, 51, 154.

„ Albert 48, 53, 479.

„ Cosima IX, 131, 135, 144, 516.

„ Franziska (Ritter) 54, 91.

„ Friedrich 43, 47, 153.

„ Gottlob Fr. 43.

„ Johanna Jachmann 54, 500.

„ Klara (Wolfram) 48.

„ Louise (Brockhaus) 48.

„ Ottilie (Brockhaus) 54.

„ Rosalie (Marbach) 48,53,56,479.Siegfried IX, 133, 144, 518.

„ Wilhelmine (geb. Planer) 57,

70, 133.

„ Woldemar, Zuckerbacker 81.

Wagner-Encyklopadie 531.

„ -Forscher 18, 335.

„ -Lexikon 25, 390.

„ -Museum VII, 3.

„ -Vereine,die 140,141,501,508,51 1.

Wagnerianer 536.

„Wagneriana", Aktiengesellschaft 501.

Wahnfried, Haus 49, 140, 157.

Walewska, Grafin 108.

Weber, C. M. von 45, 51, 52, 65, 85,

348, 349, 475, 478.

Weinlig, Thomaskantor 52, 154.

Wesendonck, Herr und Frau IX, XI, 86,

91, 478.

Whitney, W. D. 289.

Wieland 45, 272, 320.

Wigand, Verleger 212 (2).

Wigard, Prof. 175, 177.

Wilhelm I., Kaiser 28, 138, 511.

Wille, Herr und Frau 86, 104, 127, 133,

228, 442.

Wittmer, G. 126.

Wochenblatt, Musikalisches 343Wolff, Albert 113.

Wolfram, Kaufmann 79.

Wolfram v. Eschenbach 438, 460, 466 (2).

Wolkenstein-Trostburg, Grafin v. IX, 505.

Wolzogen, Hans Freiherr von IX, 20,

24, 25, 70, 335, 413, 428, 530.

Wort-Tondrama, das 305,308,311,361,

395, 408, 426, 448, 472.

Wort und Ton, das Verhaltnis zwischen242 fg. 454 fg.

Xenophon 276.

Zeller, Prof. E. 300, 539.

Zend-Avesta, die 258.

Zivilisation, die moderne 197, 199, 239,

460, 524, 532.

Page 291: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

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ist nicht nur das bedeutendste, sondern ohne alien Zweifel auch

das weitaus interessanteste Buch der gesamten Wagnerliteratur.

Zum ersten Mai erfahren wir, in welcher Weise dieses Genie

sein eigenes Leben erblickt und darstellt: Keiner wird das Buch

lesen, ohne von der dramatischen Gewalt der vollendet schlicht

gehaltenen Darstellung erfasst und bis ins Innerste bewegt zu

werden.

Wer das vorliegende Chamberlain'sche Werk studiert hat,

ist fiir die Lekture der Selbstbiographie des grossen Kunstlers

aufs beste vorbereitet; er wird immer wieder zu den stattlichen

Banden zuriickkehren, in einer Spannung, wie sie kaum das

Werk eines grossen Romandichters auszuiiben vermag.

Page 292: Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)

Schriften von Houston Stewart Chamberlain:

DAS DRAMA RICHARD WAGNER'S. Vierte Auflage. Leipzig 1910. 3 M.

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zosischer Sprache, vom Verfasser. Paris 1894. Vergriffen.

RICHARD WAGNER. Mit zahlreichen Portrats, Faksimiles, Illustrationen

und Beilagen. 4°. XI, 368 S. Munchen 1896. Vergrif¥en.— Das selbe Werk. Englische Ausgabe. Aus dem Deutschen iibersetzt von

G. Ainslie Hight. 4°. XVII, 402 S. London 1897 (mit den Illustrationen

der deutschen Original-Ausgabe von 1896). VergriPFen.— Die selbe Ausgabe. 4°. Ohne Bilderbeilagen. London 1900. 10' 2 Sh.— Das selbe Werk. Franzosische Ausgabe. Aus dem Deutschen iibersetzt

(gekurzt und ohne Illustrationen). 16^. XII, 395 S. Paris 1899. 3.50 Fr.

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130 Illustrationen u. Beilag. Munchen 1911. F. Bruckmann A.-G. Geb.20M.

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Neuchatel 1897. Attinger freres. Vergriffen.

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CVII u. 1055 S. 1. bis 5. Auflage. Munchen 1899—1904. Vergriffen.— Das selbe Werk. Volksausgabe. 8°. XXI und 1240 S. Sechste bis zehnte Auf-

lage. Munchen 1906— 1911. F. Bruckmann A.-G. Zwei Bande. Geb.7.20M.— Das selbe Werk. Englische Ausgabe: The foundations of the nineteenth

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Uber Houston Stewart Chamberlain:

KRITISCHE URTEILE iiber die Grundlagen des XIX. Jahrhunderts und iiber

Immanuel Kant. 8°. 160 S. Mit einer biographischen Notiz iiber HoustonS. Chamberlain. 3. Auflage. Munchen 1909. F. Bruckmann A.-G. —.50 M.

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DRUCKFEHLERBERICHTIGUNG

Seite 357, Zeile 22, lies „in jenem oben (S. 355) angefuhrten Satz*

statt „in jenem oben (S. 331) angefuhrten Satz".

Die Zeichnung fiir den Einband entwarf Karl Koster.

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