Chamberlain, Houston Stewart - Richard Wagner - Band 02 (1911)
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RICHARD WAGNER
Av.C-Tos Mezzotinto Brackmann
RICHARD WAGNER
HOUSTON STEWART CHAMBERLAIN
RICHARD WAGNER
Prometheus soil von seinem Sitz erstehen
Und dem Geschlecht der Welt verkiindigen:
„Hier ward ein Mensch, so hab' ich ihn gewoUt!"
Heinrich von Kleist
NEUE ILLUSTRIERTE AUSGABE
ZWEITER BAND
^PMUNCHEN
F. BRUCKMANN A.-G.
1911
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146SS0
ALLE RECHTE, BESONDERS DAS DERREPRODUCTION VON ABBILDUNGEN
VORBEHALTEN
Copyright 1911 by F. Bruckmann A.-G., Munchen
Library
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DRITTES KAPITEL
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE
Und nun fragt euch selber, ihr Ge-
schlechter jetzt lebender Menschen!
Ward dies fiir euch gedichtet? Habt
ihr den Mut, mit eurer Hand auf die
Sterne dieses ganzen Himmelsgewolbes
von Schonheit und Giite zu zeigen und
zusagen:esistunserLeben, das Wagner
unter die Sterne versetzt hat?
Nietzsche.
21^
EINLEITUNG
d
Allem Gesagten zu Folge ist nun der Begriff,
so niitzlich er fiir das Leben, und so brauchbar,
notwendig und ergiebig er fiir die Wissenschaft
ist, fiir die Kunst ewig unfruchtbar. Hingegen
ist die aufgefasste Idee die wahre und einzige
Quelle jedes ecliten Kunstwerkes.
Schopenhauer
Mit absichtlicher Ironie habe ich am Schlusse des vorigen oiewerkede
Kapitels die Frage aufgeworfen, ob wir Wagner's eigene Werke ^'"'"
als vollgiiltige Beispiele des von ihm gelehrten vollkommensten
Dramas betrachten durfen. Denn an einem solchen Paradoxon
wird man gewahr, wie eitel und nichtssagend alles kritische
Systematisieren und alle vergleichende Wertschatzung sind,
^ sobald man einem lebendigen Meisterwerk gegeniibersteht. Be-
5 deutet Shakespeare einen Fortschritt iiber Sophokles, Wagner' einen Fortschritt iiber Shakespeare? Wer fiihlt nicht, dass eine
4 solche Fragestellung sinnlos ist? Uber die Jahrhunderte hin-
i weg reichen sich die schopferischen Geister die Hande und
^ bilden eine einzige Familie. Denn die Naturkraft „Genie"
X tritt erst dann in die Erscheinung, wenn in einem Individuum
zu einer seltenen Macht der Empfindung die souverane Be-
herrschung der technischen Mittel hinzukommt; aus dieser Ver-
einigung von Gaben entstehen Werke, denen das Pradikat
„vollkommen« gebiihrt, nicht weil sie einem theoretischen „ab-
solut Schonen" sich nahern, auch nicht weil ein Mehr oder
Weniger an Ausdrucksmitteln ihnen zu Gebote steht, sondern
weil in ihnen vollendete Harmonic zwischen dem Ziel und dem
Werke, der Empfindung und dem Ausdrucke herrscht — und
das ist in der Tat ein Absolutes, nicht ein Relatives. Wie
Schopenhauer treffend von genialer Kunst sagt: „Sie ist uber-
all am Ziele". Es bleibt sich nun gleich, ob wir mit Carlyle
332 DRITTES KAPITEL
in dem genial Wirkenden ein andersgeartetesWesenalsdieiibrigen
Menschen erkennen wollen, ein Wesen, das sich gewissermassen
auf diesen Planeten verirrt hat, oder ob wir jener trostreichen
Anschauung Wagner's beipflichten ^) und das Genie als den
Zeugen einer schopferischen Kraft betracliten, die das ganze
Geschlecht der Menschen sein eigen nennt, einer Kraft, die bei
einer anderen Gestaltung der menschlichen Gesellschaft zu noch
ungeahnt machtigen „gemeinsamen" Ausserungen gelangen wiirde,
die jetzt aber nur in einzelnen hoch emporschiesst; es bleibt
sich, sage ich, gleich, wie wir das Genie erklaren wollen: sicher
ist, dass seine Werke ein vollkommen Abgesondertes, Unver-
gleichliches bilden, das man als ein Naturphanomen ansehen
muss. An diesen Werken verliert darum die Kritik — im
ublichen, beschrankten Sinne des Wortes — ihre Rechte; denn
es fehlt ihr hier jedes Kriterium zu einer vergleichenden Be-
urteilung mit Lob und Tadel. „Durch das Genie gibt die
Natur der Kunst die Kegel", sagt Kant; nur wo Genie frei
gestaltet, lernen wir folglich die Kegel kennen, und wir konnen
das Geniale nur an seinem eigenen Massstab messen. Zwarwird der Vergleich der genialen Werke verschiedener Zeiten
untereinander von hochstem Interesse sein; er kann aber in
nichts anderem bestehen als in der Erwagung der verschiedenen
Mittel, durch die jene voUendete Harmonic zwischen Empfindung
und Ausdruck je nach den Epochen und den Volkern hergestellt
wurde.
Bel einer Betrachtung der Werke des Genies werden
wir also die iibliche „Kritik" verwerfen; wir werden unseren
kritischen Scharfsinn dazu benutzen, das Unterscheidende und
Unvergleichliche an ihnen klar zu erkennen, uns von ihnen
belehren zu lassen, des Goetheschen Wortes eingedenk: „Wasdas Genie geleistet hat, sehen wir allenfalls; wer will sagen,
was es leisten konnte oder sollte?" Heutzutage nennt man
ein solches einsichtsvolles Verfahren „Anbeterei"; und doch
gehort keine sehr hochgradige Schwarmerei zu der Einsicht,
Wagner habe besser gewusst, wie sein Tristan zu schreiben
sei, als die vielen Herren, die ihn seitdem dariiber belehrt
haben; ich mochte dies sogar ein „Minimum" an Verstand
') Vergl. S. 282.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 333
nennen, wie man es bei jedem denkenden Geschopf sollte
voraussetzen konnen. Jedenfalls ist einer, der ein Maximuman kritischer Begabung besass, mit gutem Beispiel voran-
gegangen, Aristoteles. Die Werke des kiinstlerischen Geniesnimmt dieser grosse Denker gegen die Tadelsucht der damals
schon grassierenden Kritikaster und Dramaturgen energisch in
Schutz, und alie seine beriihmten — und so viel missbrauchten— Regeln folgert er aus den Kunstwerken, nicht umgekehrt.Genau ebenso hat es Richard Wagner in seinen Kunstschriften
gemacht; nichts ist hier abstrakt oder theoretisch, alles ist aus
lebendiger Kunst gefolgert; wie er selber sagt: „Es ist gar nicht
Spekulation, sondern im Grunde nur Darlegung der Natur derDinge und ihres richtigen Verhaltnisses zu einander" (U. 188).
Solchen Beispielen diirfen wir bei der Besprechung von Wagner'seigenen Werken getrost folgen.
Eine tiefe Einsicht in das Wesen dieses neuen Kunstwerkes— des Wort-Tondramas — konnen wir durch die genaue Be-trachtung von Wagner's kunstlerischem Entwickelungsgange unddurch ein liebevolles Versenken in die Meisterwerke seiner
vollen Reife eriangen. Hier ist — wie schon gesagt — kritischer
Scharfsinn recht wohl am Platze; er dient aber einer konstruk-
tiven, nicht einer zersetzenden Kritik.
Nur stellen sich auch hier gleich am Anfang Hinder-
nisse in den Weg. Bei der Entwickelung des Kiinstlers wirken
viele aussere Momente storend auf unsere sichere und klare
Erkenntnis des stattfindenden inneren Vorganges; Zufaile des
Schicksals, Not und Druck konnen doch manches bestimmen,
und sobald man zu sehr ins Einzelne geht, lauft man be-
standig Gefahr, das Unwesentliche mit dem Wesentlichen
zu verwechseln. Man lese nur Jahn's klassische Mozart-
biographie und sehe, wie manches, was eine kritiklose Kritiker-
welt bewundern zu miissen glaubt, gegen jenes Meisters bessere
Einsicht — aus Not — entstand. Bei Wagner ist aller-
dings die Unabhangigkeit des schaffenden Genius vom ausseren
Zwange bewundernswert; von Tannhduser Sitiy kann man sagen,
haben aussere Riicksichten gar keinen, auch nicht den minde-
sten Einfluss auf die kiinstlerische Gestaltung ausgeiibt; dazu
die Beschrankung auf ein einziges Ziel; dies alles tragt zur
Ubersichtlichkeit bei. Gerade aber wie der Damon des Sokrates
334 DRITTES KAPITEL
diesen nur warnen konnte, so verhinderte allerdings Wag-
ner's Damon den Meister, auf Kompromisse einzugehen und
seiner kiinstlerischen Uberzeugung Gewalt anzutun; nichts-
destoweniger klaffen die gahnenden Lucken dessen, was
der Meister niclit schuf, weil er in seinem unaufliorlichen
Kampfe gegen eine feindlich gesinnte Welt nicht die Musse
dazu gewann. Vorsiclit ist also geraten, wollen wir uns
nicht ein imaginares Bild von Wagner's Entwickelungsgang
machen. Aber auch das Versenken in die Kunstwerke ist
ein von wirklichen Gefahren begleitetes Unternehmen. Eigent-
lich sollte man Kunstwerke nur sehen und horen — sie
erleben — nicht sie besprechen; hierin wird mir jeder echte
Kiinstler beipflichten. Kunstwerke des Genies sind nur
mit OfFenbarungen zu vergleichen; ihr Geheimnis konnen wir
nie ergriinden, und es erfordert ungemein viel Takt, das-
jenige herauszufinden, woriiber mit Nutzen gesprochen werden
kann. Ein Schritt zu nahe an das Kunstwerk heran — und
schon streifen wir den zartesten Reif ab; bald bleibt ein blosses
anatomisches Geriist in unseren Handen. Uber dieses „Ge-
heimnis" sagt Wagner: „Wer dariiber laut und breit sprechen
konnte, miisste eben nicht viel in sich aufgenommen haben".
Und ahnlich aussert er sich beziiglich der „Lehren", die manso sehr versucht ist aus Kunstwerken abzuleiten: „Nur an
dieses Kunstwerk und seinen Eindruck auf uns, der am Ende
doch wiederum ein individueller ist, konnen wir uns halten;
was sich als allgemeingultig von Kunstregeln daraus abstrahieren
lasst, ist im ganzen immer blutwenig, und diejenigen, die viel
daraus machen wollen, haben von der Hauptsache eigentlich
gar nichts begriffen" (Uber Franz Liszfs symphonische Dich-
tungen V, 251).
Musikaiische Mchr als andere Werke laufen gerade die Wagner's Gefahr,Exegetik einer endlosen Exegetik zum Opfer zu fallen: Mythos, Legende,
Geschichte, Politik, Soziologie, Philosophie, Religion — alles
wird herangeschleppt zur vermeintlichen Erklarung von Werken,
die gar nichts anderes erfordern, um begriffen zu werden, als
offene Sinne und ein empfangliches Herz. Dass die Ge-
lehrten aus Wagner's Werken alle viel lernen konnen —die Mythologen, die Sprachforscher, die Philosophen, sie alle
— das bezweifle ich keinen Augenblick; ich bezweifle aber
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 335
sehr, dass sie uns das Allergeringste uber das Kunstwerk lehren
konnen. Selbst die staunende Verwunderung, in die wir durch
solche Betrachtungen versetzt werden, ist fiir die Kunst kein
unbedenklicher Gewinn; durch rein kiinstlerische Empfangnis
kiimen wir jedenfalls weiter; durch sie wiirden wir am Ende
selber Kiinstler und taten selber kleine Wunder!^) Das er-
barmlichste Opfer der exegetischen Wut ist natiirlich die Musik
dieser Dramen geworden. Denn ist auch die Musik ebenso-
wenig befliigelte Mathematik, wie die Architektur „gefrorne
Musik" ist, so ist doch ihre Gestalt eine arithmetische : Be-
wegungen von starren Korpern bilden die Grundlage ihrer
Wirkungen. Hier liegt also das Formelwesen — oder vielmehr
Unwesen — sehr nahe. Die Wiederholung bestimmter Figuren,
verbunden meistens mit ihrer vielfachen Variation, war von
jeher die notwendige Form aller Tonkunst; kunstvolle Musik
warf verschiedene Figuren zusammen, Hess sie sich ineinander
verschlingen und sich umgestalten, erweiterte sie, verein-
fachte sie, loste sie in ihre Bestandteile auf, fiigte sie anein-
ander. Mochte nun diese Handhabung des Tonmaterials zu-
letzt durch Beethoven und Wagner zu einem unvergleichlich
biegsamen, dramatischen Ausdrucksmittel ausgebildet worden
sein, das Grundgewebe ihrer Symphonien musste dennoch
nicht weniger aus Themen und Gegenthemen und deren
Variationen bestehen als eine Fuge Bach's. Und schrieen die
ersten Kritiker iiber Wagner's „Formlosigkeit" (genau so, wie
sie es seiner Zeit bei Beethoven getan hatten), so war es ein
verdienstvolles Beginnen, wenn Liszt und andere Musiker dar-
auf hinwiesen, dass Wagner's Partituren wahre Wunderwerkeder Formvollendung seien. Das war denn schliesslich fiir Fach-
kundige so unleugbar, dass des Meisters Feinde umsattelten
und nunmehr behaupteten, bei ihm komme nichts aus demHerzen, er sei ein mathematisches Genie, das mit Tonen operiere.
Beides — „Formlosigkeit* und „mathematisches Genie" — so
*) Wer sich fiir solche Fragen interessiert, weiche jedenfalls demDilettantismus wie der Pest aus; fiir Sage und Mythologie in Wagner's
Werken wende er sich an Prof. Golther, Dr. Meinck und Wolzogen, fiir
Sprache an Wolzogen, Meinck und Glasenapp (die Arbeiten dieses letzteren
auf philologischem Gebiete sind noch unveroffentlicht), fiir Geschichte und
Legende an Prof. Muncker, Golther, Hertz usw. usw.
336 DRITTES KAPITEL
alberne Vorwiirfe, dass sie schon langst haben verstummen
miissen. Was aber nie verstummte, das ist, was man die
„Motivsucht" genannt hat, ein Leiden, an dem schon mancher
sein bisschen Kunstverstand verlor. Diese Neigung artet sogar
immer mehr in das Formelhafte aus; die Motive werden nicht
mehr bloss als die einzelnen Gliedmassen eines bestimmten
symphonischen Korpers gesucht, aufgestellt und benamst, son-
dern die Untersuchung wird auf samtliche Werke des Meisters
ausgedehnt, und wir erfahren, dass eine bestimmte — erst
sinkende, dann steigende — Figur Wagner's „Frageformel" ist,
eine andere, chromatisch aufsteigende seine „Sehnsuchts-
formel" u. s. w. Alles das ist aber doch im besten Falle nur,
was Beethoven so treffend „musikalisches Gerippe" nannte. In
seiner Schrift Uber das Dichten und Komponieren macht
Wagner darauf aufmerksam, wie „gar nichtssagend, ja fast
liicherlich unbedeutend" das Beethovensche Motiv
ist, wenn man es eben als „Gerippe" ansieht; warum be-
deutet es dennoch so viel? Weil Beethoven das Schicksal mit
diesen Tonen hatte an die Pforte klopfen horen. Ebenso sind
Wagner's Motive darum von so zwingender Gewalt, well sie
nicht willkiirlich musikalisch erfunden, sondern ihm von den
Gestalten einer bereits bis zur hochsten Lebhaftigkeit gereiften
dichterischen Konzeption vernehmlich zugefliistert wurden
(siehe die schone Stelle X, 226). Die musikalischen Motive
verdienen es also in hohem Masse, unsere Aufmerksamkeit zu
fesseln; es ist ein Wunderbares urn diese Gebilde, in denen die
Einheit des Kunstwerkes zugleich nach innen und nach aussen
Gestalt gewinnt; wir miissen aber vor allem einsehen, dass diese
Motive nicht das Erste, Urspriingliche an dem musikalischen
Aufbau sind, sondern das Endergebnis des eigentlichen dichte-
rischen Schopfungsaktes. Reisst man ein solches Gebilde aus
dem Zusammenhang heraus, so bleibt eine blosse „Formel"
;
an und fiir sich ist eine Phrase wie
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 337
ebenso nichtssagend wie das ggg— es aus Beethoven's C-moll-
Symphonie; denn seine Bedeutung erhalt das Motiv erst durch
das Drama. Das musikalische Motiv entbliiht, wie Wagner in
Oper and Drama auseinandersetzt, den wichtigsten Motiven der
Handlung; mit der Handlung organisch verbunden ist es eine
Bliite, ohne die Handlung ein Gerippe. Mag also der ausiibende,
fachmannisch gebildete Musiker die Technik der musikalischen
Struktur studieren, wenn es der Vortrag erheischt — er lauft ]a
dabei nicht Gefahr, in das Griibelnde zu verfallen, da beim
tatsachlichen Vortrag die kiinstlerische Seele zu ihrem Recht
kommt — hiiten wir uns aber davor, der logischen Analyse der
Musik einen Wert beizumessen, den sie nicht besitzt. Immerwieder muss man auch daran erinnern, dass Wagner niemals
Musik auf Worte gemacht oder „Dichtungen komponiert" hat,
sondern dass das ganze symphonische Gewebe jedes seiner
Dramen die poetische Atmosphare ist, in welcher dieses Dramageboren wurde, in welcher es allmahlich reifte und von welcher
umhiillt es dann in die Welt — deren Luft ihm Gift ware —hinaustrat.
Ein Beispiel, um das Gesagte zusammenzufassen.
Erst jahrelang nach der Vollendung seines Lohengrin ent-
deckte Wagner selber, dass er gewisse musikalische Phrasen
darin symphonisch und motivisch angewandt hatte (vergl.
U. 145). So sollten, meine ich, auch diejenigen, die tiefer in
das Geheimnis seiner Werke eindringen wollen, nur nach und
nach, von dem bestimmenden Allgemeineindruck moglichst voU-
kommener Auffiihrungen ausgehend, gewissermassen absichts-
los in das Innere vordringen. Hier werden sie allerdings dann
nie auslernen, da die Formvollendung und der Reichtum an
Schonheiten, die man bisher nicht ahnte, der staunenden Be-
trachtung unerschopflichen Stoff bieten. Das Beste und Kost-
barste bleibt aber eine tiefinnerliche Erfahrung, die sich in
Worten nicht mitteilen lasst.
In diesem Kapitel beabsichtige ich also nur die Haupt- zweck dieses
linien von Wagner's kiinstlerischem Entwickelungsgang zu
skizzieren und dann an der Hand seiner Meisterwerke einige
Anregung zu einem tleferen Erfassen dieser herrlichen Dramen
zu geben; auch das ware kaum notig, hatten wir nicht — und
wahrscheinlich noch auf lange hinaus — die Behandlung dieser
Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 22
Kapitels
338 DRITTES KAPITEL
Werke als „Opern" vorauszusehen, ihre Auffiihrung auf Opern-
theatern, im gewohnlichen Opernrepertoire und durch einfache
Opernsanger zu gewartigen. Einer solchen Verunstaltung gegen-
iiber hat allerdings eine theoretische Erorterung noch einige
Berechtigung. Um Wagner's Werke wirklich kennen zu lernen,
gibt es aber nur ein Mittel: den Auffiihrungen in Bayreuth
beizuwohnen.
Von grosserer Bedeutung wird das Ergebnis dieses Kapitels
fiir eine mehr innerliche Erfassung von Wagner's Individualitat
sein. „Durch dichterische Arbeiten hat man den besten Zu-sammenhang mit andern", meint Goethe an einer Stelle, woer von dem Wunderbaren und fast Unmittelbaren alles In-
dividuellen spricht (Bf. an Schiller vom 3. Marz 1799). Undin der Tat, aus Gottfried von Strassburg's Tristan und Isolde
steigt das Bild des unbekannten Verfassers lebhafter vor
unserem inneren Auge auf, als dies nach der ausfiihrlichsten
Schilderung seiner Lebensumstande der Fall sein wiirde; genau
das selbe gilt von Richard Wagner's Tristan und Isolde. Wennsamtliche Angaben iiber Wagner's Lebensschicksal durch einen
Kataklysmus verloren gingen und allein seine Kunstwerke
erhalten blieben, so wiirden wir diesen grossen Mann besser
kennen, es wiirde sich seine Individualitat kraftiger in unserem
Bewusstsein abheben als jetzt, wo die „historischen Dokumente"
die Gestalt ebenso verschiitten, wie der Wiistensand die agyp-
tische Sphinx. Ohne dass ein ungehoriger Nachdruck darauf
gelegt wird, soil fiir die folgende Besprechung die Einsicht
bestimmend sein, dass das Herz des Kiinstlers sich gerade in
den Schopfungen seiner Phantasie offenbart.
KUNSTWERKEDER ERSTEN LEBENSHALFTE
Die Oper kann das gr6sste und wichtigste
aller dramatischen Schauspiele sein, weil darln
alle schonen Kunste ihre Krafte vereinigen: aber
eben dieses Schauspiel beweist den Leichtsinn der
Neueren, die in demselben alle diese Kunste zu-
gleich erniedrigt und verachtlich gemacht haben.
Sulzer
1. Jugendversuche
Bei Wagner's Anlagen und bei der bestandigen Anregung, Die aiteunddie
die er vom Theater aus erhielt, kann es nicht wundernehmen, "^"® sprache
wenn seine Versuche, auf kiinstlerischem Gebiete sich produktiv
zu betatigen, sehr friihzeitig begannen und zahlreiche Formen
annahmen. Natiirlich reagiert jedes Kind den Eindriicken ge-
mass, die es empfangt, und man ist wohl kaum berechtigt, sehr
weitgehende Folgerungen aus der besonderen Art von Wagner's
ersten Ausserungen zu Ziehen ausser allenfalls der Feststellung,
dass dieses Gemiit ein ungewohnlich empfangliches war und
dass der alien gemeinsame Nachahmungsinstinkt sich hier bis
zum schopferischen Trieb gesteigert kundtat. Mozart und
Beethoven hatten nicht als Kinder schon komponiert, waren
ihre Eltern nicht Musiker gewesen; Wagner hatte wahrschein-
lich nicht schon in den unteren Gymnasialklassen „TrauerspieIe
nach dem Vorbild der Griechen** entworfen (Autobiographische
Skizze, I, 8), ware er nicht auf der Biihne aufgewachsen. So-
bald aber ein Knabe recht verschiedene Eindriicke zu empfangen
beginnt, so bekommen wir genaueren Aufschluss iiber die
Richtung, in die ihn seine naturlichen Anlagen treiben. Bei
Wagner's so entschiedenem und impulsivem Charakter zeigt
sich sehr fruhzeitig diese Richtung.
22*
340 DRITTES KAPITEL
Bereits im ersten Kapitel') habe ich darauf hingewiesen,
dass Wagner schon in den fruhen Schuljahren fur ein Fach
eine ungewohnliche Begabung an den Tag legte: fiir Sprache.
Mit Absicht schreibe ich Sprache und nicht Sprachen; denn in
der Folge hat es sich herausgestellt, dass er zum Polyglotten
nicht die geringste Anlage besass und dass nicht die formale
Vergleichung, die das Wesen unserer Philologie ausmacht,
sondern das tiefe, kiinstlerische Erfassen des lebendigen Sprach-
organismus ihn so auffallend begeisterte. Nicht also fiir Sprachen,
wohl aber fiir Sprache zeigte Wagner schon als Kind eine be-
sondere Beanlagung. Das ist nun gewiss bemerkenswert und
verleiht der sonst nicht besonders auffallenden Tatsache, dass
er sich schon in der Schulzeit mit Gedichten und Trauerspielen
abgab, eine besondere Bedeutung; denn zu der grossen Emp-
fanglichkeit fur Eindriicke und zu dem ausgesprochenen
Schaffenstrieb geselit sich hier eine ungewohnliche Anlage, sich
in die Geheimnisse des ersten und unerlasslichsten Ausdrucks-
mittels fiir unsere Empfindungen zu versenken und sie sich zu
eigen zu machen. Hier, genau an diesem Punkt, liegt die ur-
kundliche Gewahr fiir die unzweifelhafte Genialitat der Anlage;
denn hier ruht der Keim zu jener„Harmonie zwischenEmpfindung
und Ausdruck", von der ich in der Einleitung gesprochen habe.
Vielejahre spaterschrieb Wagner: „Die unerlassliche Grundlage
eines vollendeten kiinstlerischen Ausdruckes ist die Sprache"
(IV, 262); aber — wie er an einem anderen Orte treffend aus-
fiihrt — „die Sprache gehort ja nicht uns, sondern wird uns als
ein Fertiges von aussen gegeben" (V, 238); um diese Grundlage
eines vollendeten kiinstlerischen Ausdruckes zu beherrschen,
muss man also die Sprache erringen, erkampfen, und hierzu
trieb den Knaben schon friih sein kiinstlerischer Instinkt. Dass
sein Ringen wirklich nach „Ausdruck" ging und dass die Lehrer
des Dresdener Gymnasiums sich gewaltig getauscht hatten, als sie
die auffallende sprachliche Begabung des jungen Wagner fur eine
philologische Anlage hielten, das zeigte sich bald unzweideutig:
es zeigte sich an der Art, wie er dazu kam, Musik zu studieren.
Eine ausgesprochene Begabung fur Musik hat Wagner
allerdings als kleines Kind schon gezeigt; denn trotzdem er
') S. 49.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 341
wenig Oder gar keinen Unterricht genossen hatte, spielte er
nach dem Gehor und vom Blatte. Das Technische des Klavier-
spiels war ihm jedoch zuwider, und ein tieferes Interesse zeigte
er erst dann fiir Musik, als er in seinem 16. Jahre sein erstes
grosses Trauerspiel — aus Hamlet und Lear zusammengesetzt —vollendet hatte. Auch hier war natiirlich ein ausserer Eindruck
entscheidend gewesen. Die Familie war von Dresden nach Leipzig
gezogen; hier horte der Jiingling zum erstenmale symphonische
Musik: „Wahrend ich mein grosses Trauerspiel vollendete",
schreibt Wagner, „lernte ich in den Leipziger Gewandhaus-konzerten zuerst Beethovensche Musik kennen; ihr Eindruck
auf mich war allgewaltig. Auch mit Mozart befreundete ich mich,
zumal durch sein Requiem. Beethoven's Musik zu Egmontbegeisterte mich so, dass ich um alles in der Welt mein fertig
gewordenes Trauerspiel nicht anders vom Stapel laufen lassen
wollte, als mit einer ahnlichen Musik versehen. Ich traute mir
ohne alles Bedenken zu, diese so notige Musik selbst schreiben
zu konnen, hielt es aber doch fiir gut, mich zuvor iiber einige
Hauptregeln des Generalbasses aufzuklaren. Um dies im Fluge
zu tun , lieh ich mir auf acht Tage Logier's Methode des
Generalbasses und studierte mit Eifer darin. Das Studium trug
aber nicht so schnelle Friichte, als ich glaubte; die Schwierig-
keiten desselben reizten und fesselten mich; ich beschloss,
Musiker zu werden" (I, 9). Aus diesem Vorgang lernen wir
manches iiber des Meisters Anlagen. Ebensowenig wie Wagner's
Interesse fiir Sprache aus einer analytisch-philologischen Neigungentsprang, ebensowenig reizte ihn die Musik, solange er sie
nur als ein Spiel schoner Formen kannte und solange er
selber als Dichter noch nicht nach Ausdruck rang. Die Er-
fahrung einer leidenschaftlich dramatischen Musik, verbunden
mit diesem eigenen Bediirfnis, mehr zu sagen, als er mit Wortenallein hatte sagen konnen, war es, was ihn dazu trieb, die Be-
herrschung auch dieses zweiten Ausdrucksmittels zu erstreben.
Es war ein Dichter, der Musiker wurde. Auch hier finden
wir in Oper und Drama Worte, die sich wie ein Stiick Auto-
biographic ausnehmen. Nachdem der Meister ausgefiihrt hat,
wie unsere Wortsprache immer konventioneller, immer armer
an Gefiihlsinhalt wurde, fahrt er fort: „Wir konnen nach unserer
innersten Empfindung in dieser Sprache gewissermassen nicht
342 DRITTES KAPITEL
mitsprechen, denn es ist uns unmoglich, nach dieser Empfindung
in ihr zu erfinden; wir konnen unsere Empfindungen in ihr
nur dem Verstande, nicht aber dem zuversichtlich versteiienden
Gefiihle mitteilen; und ganz folgericlitig suclite sicii daher in
unserer modernen Entwicklung das Gefiihl aus der absoluten
Verstandessprache in die absolute Tonsprache, unsere lieutige
Musik, zu fliichten". Die Musik ist „die erlosende und ver-
wirkliciiende neue Sprache, in welclier der Dichter schliesslich
den tiefsten Inhalt seiner Absicht am iiberzeugendsten einzig
kundtun kann« (IV, 122 und 125). Fur Wagner ist also
die Musik eine „neue Sprache". Mit dem selben Eifer und
dem selben Erfolg, mit dem er sich auf die „alte Sprache" ge-
worfen hatte, warf er sich nun auf die „neue". Die Familie
und die Lehrer schiittelten bedenklich den Kopf; sie hielten
den Jiingling fiir fliichtig; er aber verfolgte mit heftigem Eigen-
sinn den Weg, den ein unfehlbarer, unbewusster Instinkt ihn
wies. „Das Machtigste im Dichter, welches seinem Werden die
gute und die bose Seele einblaset, ist gerade das Unbewusste*,
bemerkt Jean Paul.
Einige Zeit lang studierte und komponierte Wagner im
geheimen allerhand. Sein interessantester Versuch war ein
Schaferspiel, zu welchem er „gar keinen dichterischen Entwurf
machte, sondern Musik und Verse zugleich schrieb und so die
Situationen ganz aus dem Musik- und Versemachen entstehen
Hess". Dann aber empfand er die Notwendigkeit, griindliche
Studien zu betreiben; er tat es mit grossem Erfolg, und der
Thomaskantor Weinlig konnte ihn als vollendeten Kontra-
punktiker aus der Lehre entlassen. Die eigentliche Technik
der Komposition erlernte Wagner dann durch zahlreiche eigene
Versuche. Der Meister selber legte auf diese Versuche, die
in seinem kiinstlerischen Entwickelungsgange nur die Bedeutung
von Studien zur Beherrschung der „musikalischen Sprache"
besitzen, so wenig Wert, dass sie ganzlich verschollen waren und
erst in letzter Zeit aufgefunden wurden. Unbedeutend waren
diese Erstlingswerke des 18- und 19jahrigen Junglings gewiss
nicht; denn |abgesehen von der bekannten Sonate, die Breit-
kopf schon 1831 verlegte, und von einigen anderen Kleinig-
keiten fiir Klavier, sehen wir, dass seine Orchesterkompo-
sitionen fast alle entweder im Theater oder im Gewand-
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 343
haus zur Auffiihrung kamen, so z. B. im Jahre 1830 die
B-dur-Ouverture mit Paukenschlag, 1832 die D-moll-Konzert-ouverture und die C-dur-Ouverture mit Fuge sowie die Ouver-ture zu Konig Enzio, die Symphonie in C-dur, eine Scene undArie u. s. w.
Im Jahre 1832, als Wagner genau 19 Jahre alt war, schrieb wagner's erst*
er seine erste Oper, Die Hochzeit Dieses Werk wurde nie^^"
vollendet, da er es auf Wunsch seiner Schwester Rosalie,
welcher die gliihend sinnliche Dichtung nicht gefiel, vernichtete.
Dennoch hat es fiir uns ein sehr grosses Interesse; ein Frag-
ment dieser Oper hat sich in Wiirzburg erhalten, wo es vondem bekannten Musikgelehrten Wilhelm Tappert vor einigen
Jahren entdeckt wurde; aus diesem ziemlich umfangreichen
Fragment ersehen wir, dass Wagner in seinem allerfriihesten
Biihnenwerk schon charakteristische musikalische Phrasen
symphonisch beniitzte, also die Einheit der Form, die seine
Werke von der sonstigen „Oper« unterscheidet, schon damals
erstrebte. Ausserdem ist die scharfe Plastik an dem einen vonTappert mitgeteilten Beispiel sehr auffallend:
Beide Telle dieses Motivs gemahnen direkt an den Nibe-
lungenring. Die Hochzeit bildet also ein nicht unwichtiges
Dokument iiber Wagner's echte und urspriingliche Eigenart.^)
In den nun folgenden Jahren, wo er
„der Irrnis und der Leiden Pfade"
wandeln musste, erscheint diese Eigenart doch manchmal nach
einer oder der anderen Richtung hin etwas verwischt und un-
kenntlich. Das ist aber das Unvergleichliche der musikalischen
„Sprache«, dass ein einziger Takt Unendliches enthalten kann.
Wir wissen nicht, aus welchem „wichtigsten Motiv der Hand-
') Vgl. Musikalisches Wochenblatt, 1887, S. 337.
344 DRITTES KAPITEL
lung" jenes musikalische Gebilde in der Hochzeit „entbluht"
ist; jedenfalls bildet aber diese stolz sich aufbaumende und
zugleich weiche Figur im Basse, verbunden mit den Accorden
im Diskant, die an das „WeheI wehe!" des Rheingoldes er-
innern, ein unzweifelhiaftes ^Richard Wagner-Motiv".
2. Die Feen und Das Liebesverbot
Die Dichtung Diese zwei Werke entstanden schnell nacheinander amund die Musik
3ggij^i^ jenef ersten Wanderjahre an deutschen Provinzialbiihnen.
Wie ich bereits im ersten Kapitel berichtet habe, kamen Die
Feen zu Lebzeiten des Meisters niemals zur Auffiihrung,
Das Liebesverbot ein einziges Mai. Es sind vergebliche Ver-
suche, den Zugang zur Biihne zu erzwingen; biographisch sind
sie hauptsachlich als Zeugnisse der merkwurdigen Elasticitat
von Wagner's Geist von Wert. Nichts Verschiedeneres kann
man sich denken als die schwarmerisch-romantischen Feen unddas komische und manchmal recht derbe Liebesverbot. Soeisern unnachgiebig dieser Mann auch sein kann, und so un-
verriickbar er das einmal als richtig Erkannte festhalt, ebenso
geschmeidig ist er sowohl in seinem Suchen nach diesem
Richtigen als in seiner Gabe, sich gegebenen Verhaltnissen
Oder Eindrucken anzupassen. Schon die Wahl des StofFes und
auch die Art, wie der gewahlte Stoff dichterisch bearbeitet wird,
lassen es im ersten Augenblick kaum glaubhaft erscheinen, dass
Das Liebesverbot von dem selben Verfasser wie Die Feen her-
riihrt und gar noch in so unmittelbarer Folge; und doch, am
1. Januar 1834 war der letzte Federzug an den Feen getan
worden, und im Mai des selben Jahres entstand schon die
Dichtung des Liebesverbotes. Die musikalische Ausfiihrung
der beiden Werke bietet einen mindestens ebenso auffallenden
Kontrast wie die poetische. Zwar kennen wir von der Partitur
des Liebesverbotes nur einige Fragmente, da es bisher nicht im
Druck erschienen ist; aber dieStelle, die in der ersten illustrierten
Ausgabe dieses Werks (eingeheftet zwischen S. 220 und 221) dem
Leser im Klavierauszugmitgeteilt wurde, geniigt um so mehr, den
Charakter dieser Musik zu bezeichnen, als sie das ergreifendste
Moment der ganzen Dichtung ist — jene Stelle namlich, wo die
Fakslmlle aus der Origiatl-P&rtitur der Feen (Akt III, Szene 2).
r
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 345
hochherzige Isabella um ihres Bruders Leben fleht — die
keusche Jungfrau fiir den sundigen Mann. Ausdruckslos wird mandiese Arie nicht finden; doch kommt eine derartig opernhafte
Behandlung der Stimme in den Feen nicht ein einziges Mai
vor. Ausserdem haben wir Wagner's eigenes Zeugnis; er
schreibt: „Wer die Komposition des Liehesverbotes mit der der
Feen zusammenhalten wiirde, miisste kaum begreifen konnen, wie
in so kurzer Zeit ein so auffallender Umschlag der Richtungen
sich bewerkstelligen konnte; die Ausgleichung beider sollte
das Werk meines weiteren kiinstlerischen Entwickelungsganges
sein" (IV, 316).
Sieht man diese beiden Dichtungen nun etwas naher an;^)
blickt man durch die flimmernde Opernschale hindurch und
erfasst den poetischen Kern: so erkennt man recht wohl, dass
sie von dem selben Dichter herriihren und dass sie sogar mit
den Werken seiner Reife durch manchen Zug nahe verwandt
sind. In beiden Werken bildet die Erlosung durch die Liebe
das Grundmotiv; in beiden Werken finden wir auch die Siinde
und die Gnade als gestaltende Momente. Allerdings werden
im Liebesverbot (das den Titel „Grosse komische Oper" fuhrt)
diese Motive mehr angedeutet als ausgefiihrt; wie toll aber auch
diese jugendliche Komodie sich gebarden mag, die Errettung
des sundigen Mannes durch die keusche Jungfrau, seine
Schwester, bildet doch ihr Thema, wodurch das Werk einer-
seits Rienzi, andrerseits dem Fliegenden Hollander und Tann-
hduser verwandt erscheint. Das fruhere Werk aber, Die Feen,
') Die genaue Bekanntschaft mit Wagner's Dichtungen darf bei jedem
Gebildeten vorausgesetzt werden; nur bei diesen fruhesten Werken ware ein
Unwissen zu entschuldigen. Das Liebesverbot ist fast genau nach Shakespeare's
Mass fiir Mass gedichtet; den Inhalt der Feen erzahlt Wagner folgender-
massen: „Eine Fee, die fiir den Besitz eines geliebten Mannes der Unsterb-
lichkeit entsagt, kann die Sterblichkeit nur durch die Erfiillung barter Be-
dingungen gewinnen, deren Nichtlosung von seiten ihres irdischen Geliebten
sie mit dem hartesten Lose bedroht; der Geliebte unterliegt der Priifung, die
darin bestand, dass er die Fee, moge sie sich ihm (in gezwungener Ver-
stellung) auch noch so bos und grausam zeigen, nicht unglaubig verstiesse.
Die in einen Stein verwandelte Fee wird durch des Geliebten sehn-
siichtigen Gesang entzaubert, und dieser Geliebte dafiir vom Feenkonig mit
der Gewonnenen in die unsterbliche Wonne der Feenwelt aufgenommen."
(Vgl. Eine Mitteilung an meine Freunde, IV, 313.)
346 DRITTES KAPITEL
fiihrt jene tiefen poetischen Momente so ergreifend schon vor,
dass nur das viele opernhafte Beiwerk es — als Ganzes —verunstaltet. Wie tragisch ist die Szene, wo Arindal das Liebste,
was er auf der Welt besitzt, sein Weib Ada, verflucht, wie
ergreifend der Hohepunkt des Dramas, die Wahnsinnszene,
mit ilirer reichen Skala der verschiedensten menschlichen Em-pfindungen, wie herrlich erdacht jene Entzauberung des Steines
durch den sehnsiichtigen Gesang des Geliebten! vja," ruft
Arindal, „ich besitze Gotterkraft! Ich kenne ja der holden
Tone Macht, der Gottheit, die der Sterbliche besitztl« Er
singt; der Gesang entzaubert den Stein; sein geliebtes Weib
sinkt ihm in die Arme. Keine Stelle lasst uns aber den ganzen
Wagner so zweifellos erraten wie die, welche in der ersten
Ausgabe (S. 218) im Faksimile vorliegt. Arindal hat eine
Hirschin erjagt:
„Ich zielte gut! Ha, Ha! Das traf ins Herz!
O seht! das Tier kann weinen!
Die Trane glanzt in seinem Aug';
O! wie's gebrochen nach mir schauti
Wie schon sie istl"
Nicht bloss gemahnt dieses Betonen des Mitleides mit dem Tier
an Parsifal:
gebrochen das Aug', siehst du den Blick!*
sondern vor allem verraten diese wenigen Verse die besondere
poetische Beanlagung des Wort-Tondichters. Kein blosser
Wortdichter hatte es unternehmen diirfen, mit den einfachen
Worten „0 sehtl das Tier kann weinen I" eine so tiefe Em-pfindung auszusprechen und sie ohne Ubergang an das „Ha,
Ha! das traf ins Herz!" anzureihen; kein blosser Tondichter
hatte sich mit den wenigen Takten und der ergreifend-einfachen
Deklamation zufrieden gegeben. Hier wird uns klar: der
Poet, der uns da plotzlich aus dem Werk des Zwanzig-
jahrigen entgegentritt, wird der Welt eine neue Kunst ofFen-
baren.
Was die Musik dieser beiden Werke anbelangt (Das
Liebesverbot beurteile ich nur nach einigen Fragmenten), so
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 347
scheint mir das Charakteristische daran — wenn man zunachst
das Ganze ins Auge fasst — dass sie iiberall, wo der Musiker
nicht entweder ganz frei ist oder voriibergehend von der Dich-
tung zu eigener Erfindung angeregt wird, eine nicht abzu-
leugnende Unselbstandigkeit verrat. "Wo das dagegen der Fall
ist, da tritt uns schon der authentische Richard Wagner entgegen.
Im Liebesverbot finden wir z. B. in dem Kirchenchor der
Nonnen eine deutliche Vorahnung der Gnadenmelodie^) in
Tannhduser:
n >nC^ * 9 » g' »
^ w bSal - ve re
1^7=^ -^T=:: ±=:
gi li! Sal
Die Partitur zu den Feen enthalt Stileigentiimiichkeiten, die
sogar unmittelbar auf Parsifal hinweisen. Man vergleiche z. B.
bei der Stelle im ersten Akt:
„Dein Auge leuchtet mir nicht mehr!
Dein Busen, ach, erwarmt mich nicht!
Kein Kuss stillt meiner Lippen Durst!
Dein Arm umfangt mich nimmermehr!"
die musikalische Figur, die jeden Vers von dem folgenden trennt:
#• •-•• •#- b-*"»-^ •-*I— ^ ^ -t— "4—4—#.^ ^ .*,•- +-#••••
und die abwechseind von Violoncell, Violine, Bratsche und
Flote vorgetragen wird, mit der Figur in Parsifal:
-1—U^-^̂=±=^
-t^^iT-
die eine ahnliche Anwendung bei der Stelle im zweiten Akt
findet:
*) Akt III: „Und Tausenden er Gnade gab, entsiindigt
er Tausende sich froh erheben hiess".
348 DRITTES KAPITEL
„Ja! Diese Stimme! So rief sie ihm; —und diesen Blick, deutlich erkenn' ich ihn — usw.
In den Feen aber sind auch die reinmusikalischen Telle einer
besonderen Beachtung wiirdig: die Ouvertiire ist aus den wichi-
tigsten dramatischen Motiven aufgebaut und von echt Wagner-
scliem Geist durchwelit; die Einleitung zum zweiten Akt ge-
mahnt durch die stiirmische Leidenschaftlichkeit und die prag-
nanten Themen an weit spatere Kompositionen, z. B. an die
Einleitung zum zweiten Aufzug der Walkiire; die Einleitung
zum dritten Aufzug (Siegesreigen), obwohl weniger bedeutend,
hat schon etwas von jenen gesattigten Farben und von jenem
unnachahmlich stolzen Ausdruck, die Wagner spater oft zur
Schilderung des Erhaben-Majestatischen anwandte, z. B. in Rienzi,
in Tannhduser (Einzug der Gaste), im Huldigungsmarsch fiir
Konig Ludwig II. usw. Dagegen lasst sich nicht leugnen, dass
die Nachahmung fremder Muster oder zum wenigsten der
vielleicht halb unbewusste Einfluss von Meistern, die auf ihn
Eindruck gemacht hatten, die eigene Individualitat des Kompo-
nisten immer wieder bis zur Unkenntlichkeit verwischt. Das
ware ja an und fiir sich nichts besonders Auffallendes:
interessant dagegen und von Bedeutung fiir die Kenntnis
von Wagner's kiinstlerischer Entwickelung ist die Feststellung,
dass sich der junge Autor nicht einem Meister, nicht einer
Schule anschliesst, sondern alles Beste kennt, alles beherrscht
und — je nach dem Charakter der vorliegenden eigenen Dich-
tung — sich dem Eindruck der verschiedensten Stilarten iiber-
lasst. Von der Musik zum Liebesverbot sagt der Verfasser
selber, sie sei unter dem Einfluss der „neueren Franzosen"
(Auber's namentlich) und der Italiener entstanden; von den
fast gleichzeitig entstandenen Feen dagegen berichtet er: „Nach
den Eindriicken Beethoven's, Weber's und Marschner's auf
mich setzte ich den Text in Musik." Wie sehr er andrerseits
sich der Fiihrung Mozart's anvertraute, beweist ein Aufsatz
aus diesem selben Jahre 1834, in dem er schreibt: „Wir haben
uns immer mehr von dem Wege entfernt, den Mozart zumHeil fiir unsere dramatische Musik einschlug". Bedenkt mannun ausserdem, wie eingehend Wagner sich mit Gluck be-
schaftigte, wie willig er sich durch die von ihm besonders
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 349
hochgehaltenen Meister der alteren franzosischen Schule
Cherubini, Mehul und Spontini belehren Hess, so sieht
man, wie umfassend und wie vielseitig die dramatisch-musi-
kalische Schule dieses grossen Tondichters war.') Inwiefern
sich die genannten Einfliisse in dem Liebesverbot fiihlbar
machten, konnen wir nicht genauer feststellen, da nur wenige
Bruchstiicke bekannt sind. In den Feen scheinen die Fach-
musiker einstimmig das Vorwalten des Weberschen Einflusses
fiir das Bezeichnendste zu halten. Ich wage es nicht, dem zu
widersprechen; manches scheint mir aber weit eher auf Beet-
hoven hinzudeuten; der Schluss der Wahnsinnszene diirfte z. B.
eher von Beethoven's Malinconia als von irgend einer Kompo-sition Weber's angeregt sein. Und von ganz besonderer Be-
deutung ist die Anlehnung an Beethoven in der Deklamation
fast iiberall dort, wo poetisch Tiefes zu deklamieren ist. Manvergleiche z. B. folgende Stelle:
^^^_ II iii/«)ri \]iEj: M»iii
Aa
C)
N^
(im Diskantschliissel geschrieben, der erste Ton e, der zweite h)
mit Leonore's
1) Friedrich Pecht, der Wagner Ende der dreissiger Jahre begegnete,
berichtet: „Seine Vertrautheit mit der gesamten musikalischen Produktion
aller Zeiten war fiir einen so jungen Mann fast unbegreiflich. Die friihesten
Italiener wie Palestrina, Pergolese und andere kannte er ebenso genau wie
die alteren Deutschen; von Sebastian Bach bekam ich durch ihn iiberhaupt
erst einen BegrifF; Gluck beschaftigte ihn damals schon unaufhorlich; Haydn's
Naturmalerei, Mozart's Genie, wie die ungliicklichen Einfliisse seiner Stellung
in Salzburg und Wien, die Eigentiimlichkeiten der Franzosen, des Lully,
Boieldieu, Auber, endlich seines Lieblings Weber wunderbar volkstiimliche
Art, Beethoven's sie samtlich iiberragende Gestalt, Mendelssohn's zierliche
Salonmusik, sie alle schilderte er uns, immer einzelne Melodien vorsingend,
mit einer solchen Lebendigkeit, solcher plastischen Kraft, dass sie mir bis
heute so im Gedachtnis geblieben sind, wie er sie vor uns hingestellt."
(Beilage zur Allgem. Zeitung vom 22.Marz 1883. In seinen 1894 erschienenen
Erinnerungen weiss Pecht viel weniger Interessantes uber Wagner zu
erzahlen.)
350 DRITTES KAPITEL
i t -\? M WZtr.
Tot' erst sein Weib!
und man beachte solche Wendungen wie in der schonen Stelle
„Was, o was ist die Unsterbiichlceit? Ein grenzenloser, ew'ger
TodI« — das
i 'X^
.. ^j^i^r^^i^j SI ±
ger Tod!
Jedenfalls ergibt sich eins mit Sicherheit aus dem Stu-
dium der zwei ersten Buhnenwerke Wagner's: war hier un-
zweifelhaft die Riicksicht auf die Musik — auf die „Oper« —das bestimmende Moment bei der Wahl und der Ausfuhrung
der Texte, so erwies sich diese Riicksicht als ein zweischneidiges
Schwert. Indem sic namlich der dichterischen Erfindung Fesseln
anlegte, hatte sie auch die musikalische Erfindung beschrankt.
Denn Wagner ist und bleibt immer und iiberall ein Dichter.
Wo in den Feen die Dichtung grosse Momente herbeifiihrt und
ihnen den passenden Wortausdruck verleiht, da treffen wir be-
deutende Musik an; wo sie zum „Operntext« wird, da geht dem
Verfasser der musikalische Atem aus. Es gilt hier von Wagner
selber, was er einmal iiber das Liederkomponieren schrieb:
„Es gibt uns von der gesunden Stellung des Musikers zum
Dichter das beste Zeugnis, wenn seine Tongebilde ganz in demGrade auch musikalisch werden, als sie von einem bedeutenden
Inhalt des Gedichtes angeregt sind"^).
«'ortdichter und In meincr Schrift Das Drama Richard Wagner's habeTondiehter
j^j^ eincn bcsondcrcn Nachdruck auf das „paarweise Auftreten"
der Werke aus Wagner's erster Lebenshalfte gelegt. In der
Tat, das Phanomen ist ein auffallendes. Hier sehen wir
Die Feen und Das Liebesverbot unmittelbar nacheinander ent-
stehen; dann folgen nach mehrjahriger Pause die ebenso stark
') Ober Wilhelm Baumgartner's Lieder.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 351
kontrastierenden Werke Rienzi und Der Fliegende Hollander^
welche zeitlich so eng miteinander verkniipft sind, dass es wirk-
lich nur Zufall ist, wenn Rienzi vor dem Fliegenden Hollander
vollendet wurde; auch die Gestalten des Tannhduser und
Lohengrin stiegen gleichzeitig vor der Phantasie des Meisters
auf, und die dramatisch-musikalische Ausfiihrung des einen
Werkes folgte auch hier so schnell auf die des anderen, als
die vielfachen Pflichten der amtlichen Kapellmeisterstellung es
nur erlaubten. In jener Sclirift, wo nicht das Leben Wagner's,
sondern die von ihm verwirklichte neue Form des Dramas,
das Wort-Tondramay meinen einzigen Zielpunkt bildete, habe
ich diese auffallende und zunachst ratselhafte Erscheinung als
die Folge eines Konfliktes zwischen dem Dichter und demMusiker, oder besser noch zwischen dem Wortdichter und
dem Tondichter, im Busen des Meisters gedeutet. Ich habe
dort darauf aufmerksam gemacht, dass zwischen Die Feen,
Rienzi und Lohengrin eine gewisse Verwandtschaft bestehe, die
man als ein relatives Vorwiegen des musikalischen Ausdrucks
bezeichnen konne, wogegen dann solche Werke wie Das Liebes-
verbot und Der Fliegende Hollander als — allerdings sehr ver-
schieden geartete — Reaktionen des Dichters gegen jenes Uber-
gewicht zu betrachten seien. Wenn man einzig die dramatische
Form im Sinne hat; wenn man das Werden dieser dramatischen
Form von ihrer bewussten, vollkommensten Gestaltung aus
bis zu ihren ersten Anfangen zuriick verfolgt: so ist diese Auf-
fassung nicht nur berechtigt, sondern geboten. Einer jeden
solchen Deutung haftet jedoch etwas Kiinstliches an; immererinnert sie an die Wiederholung von Naturphanomenen im
physikalischen Laboratorium, wo die Eliminierung aller Neben-
umstande zwar das einzelne Phanomen, den einen Bestandteil
irgend eines Naturvorganges ausserordentlich deutlich hervor-
treten lasst, dagegen aber die vielgestaltige Wirklichkeit zugleich
wesentlich entstellt. Hier zumal, in einem Buche, welches demLeben Wagner's gilt, welches iiberall den Menschen ins Augefasst und auch seine Werke weniger an und fiir sich betrachtet
denn als Kundgebungen, die uns dazu verhelfen sollen, den
kiinstlerischen Lebensgang dieses Menschen noch genauer zu
erfassen, hier ware eine noch so vorsichtig verklausulierte Unter-
scheidung zwischen dem Dichter und dem Musiker in Wagner
352 DRITTES KAPITEL
unstatthaft, weil zu willkurlich. Der jugendliche Verfasser der
Feen und des Liebesverbotes ist der selbe, den wir vor kurzem
als Knaben Tragodien und Schaferspiele schreiben sahen, wobei
der Starke poetische Nachahmungstrieb uns weniger individuell
charakteristisch erschien als jenes „Ringen nach Ausdruck",
welches sich darin bekundete, dass der kleine Dichter sich
mit so auffallendem Eifer erst auf die Beherrschung der Wort-
sprache und nachher auf die der Tonsprache stiirzte. Es ist
eben der eine, selbe Mann, der sich zur erschopfenden Mit-
teilung seiner poetischen Absicht aller Ausdrucksmittel bedient
und bedienen muss, der ebensowenigder „unerlasslichen Grund-
lage" der Wortsprache als der „verwirklichenden Mitwirkung"
der Tonsprache entbehren kann. Geht man also auf die
schopferische Seele zuriick, so ist hier jede Unterscheidung
zwischen dem Dichter und dem Musiker rein kiinstlich: der
Musiker ist der „den tiefsten Inhalt seiner Absicht kundtuende
Dichter"; der Dichter kann aber diese Absicht uberhaupt nur
fassen — die Absicht, einen so tiefen Gefuhlsinhalt unmittelbar
kundzutun — insofern und weil er im Herzen ein Musiker ist.
Je vollkommener nun Wagner's Meisterschaft wird, urn so un-
moglicher ist es, einen Strich zu Ziehen und zu sagen: bis hierher
geht das Werk des Dichters, hier beginnt das Werk des
Musikers. Eine Dichtung wie die zum Tristan z. B. ist sowohl
in ihrer ganzen Konzeption und in alien Hauptlinien der dra-
matischen Ausfiihrung als auch in den intimsten Einzelheiten
der Versbildung und der Wortwahl ebenso aus Musik hervor-
gegangen wie Aphrodite, die Gottin der vollendeten Schonheit,
aus den Wellen des Meeres. Ob wir also das Schaferspiel des
Jiinglings oder die Meisterwerke des gereiften Mannes in Be-
tracht Ziehen, Wortdichter und Tondichter sind bei Wagner
ein und das selbe Wesen. Um aber solche friihen Werke wie
Die Feen und Das Liebesverbot richtig zu verstehen — ich
meine, um ihre Bedeutung und ihren Sinn in der Lebens-
entwickelung Wagner's mit Verstandnis zu deuten — darf
folgende sehr einfache Erwagung nicht iibergangen werden.
Die Wortsprache lernt sich gewissermassen von selbst; von der
Geburt an wird sie stundlich geiibt, und unsere Schulbildung
bezweckt zum grossen Teil nichts weiter als die Befestigung
in der Handhabung dieses Ausdrucksmittels; die Tonsprache
BRUSSEL 1860
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 353
dagegen bedingt zu ihrem vollkommenen Gebrauch die Be-
herrschung einer ausserst komplizierten Technik, die ebenso
ausserhalb des gewohnlichen menschliclien Gesichtskreises liegt
wie die hohere Mathematik. Man hat grosse Dichter mit sehr
geringer Schulbildung gesehen: niemals hat ein Komponist gelebt,
der nicht die Technik des musikalischen Apparates durch lange
miihsame Studien erworben hatte. Die Musik erfordert eben
eine Technik. Zur Erreichung absoluter Meisterschaft im Ge-brauch des technischen Apparates — ich spreche nicht von
der dichterischen Vertiefung — haben die unzweifelhaftesten
musikalischen Genies, ein Mozart, ein Beethoven, viele Jahre
gebraucht. Darum sahen wir auch Wagner, als er ernstlich
an das Studium der Tonkunst schritt, ganz Musiker werden,
sahen wir ihn eine Zeitlang rein musikalische Werke, Ouver-
tiiren und Sonaten und Symphonien, schreiben. Aber auch jetzt,
wo er mit den Feen und dem Liebesverbot zu seinem eigent-
lichen Gebiet, zur Buhne, zuriickkehrt, wahet der Musiker
unverkennbar vor — oder, besser gesagt, der Wort-Tondichter
Richard Wagner ist am meisten um den rhusikalischen Ausdruck
besorgt: die Sorge, hierin das Richtige zu treffen, bestimmt ihn
fast durchweg, sowohl in der Wahl des Stoffes als in seiner
Ausfiihrung. Wenn man aber — was gewohnlich geschieht —die Sache so darstellt, als sei Wagner damals „Musiker" —einfach „Opernkomponist" — gewesen und erst spater sei er
nach und nach zum „Dichter" geworden, so stellt man offenbar
den Kegel auf den Kopf. Nicht well Wagner vorwiegend
Musiker war, bildet die Musik in diesen friihen Werken das
vorherrschende Element, sondern im Gegenteil, well er noch nicht
ein so grosser, ein so gewaltiger Musiker war wie spater. Manwird wohl kaum im Ernst zu behaupten wagen, es sei mehrMusik in den Feen als in Tristan und Parsifal? In den friihen
Werken ist eben der Musiker noch nicht ganz fliigge, beherrscht
der spatere Meister den musikalischen Ausdruck noch nicht
unbedingt; er wagt es noch nicht, sich der Musik als seinem
heimischen Element vollkommen sorglos anzuvertrauen. Die
schwierigsten Aufgaben des Kontrapunktes loste er freilich
schon spielend — dies Zeugnis hatte ihm der Thomaskantor
ausgestellt; seine Beherrschung des polyphonen Satzes war
zwar schon bewundernswert, seine Kenntnis der menschlichen
Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 23
354 DRITTES KAPITEL
Stimme und der Orchesterfarben auffallend; was ihm aber noch
fehlte, war das unbedingte Vertrauen auf die poetische Allmacht
der Musik. Nicht aus ihrer Fulle bestimmt hier die Musilc
das Gedicht — wie in Tristan — sondern die Sorge um den
musiicalischen Ausdruck wirkt bestimmend und vielfach hem-
mend auf die Dichtung. Die Entwickelung Wagner's kann von
diesen ersten Versuchen an als ein progressives Erstarken des
Musikers betrachtet werden. Und wollen wir das wirklich
charakteristische Merkmal der Feen und des Liebesverbotes
in dieser Evolution bestimmen, so diirfen wir nicht die Be-
hauptung aufstellen: hier war Wagner noch ein blosser Musiker,
sondern wir miissen vielmehr sagen: hier spielt die Musik
eine iiberwiegende Rolle und verleiht diesen dramatischen Ver-
suchen den Stempel reinmusikalischer, opernhafter Werke,
bloss weil der Wort-Tondichter des musikalischen Ausdruckes
(wie er dessen fur sein Ziel bedarf) noch nicht vollkommen
Herr ist: die ihr noch anhaftende Unselbstandigkeit macht die
Musik zum ausserlich vorherrschenden Element.
Daten
3. Rienzi und Der Fliegende Hollander.
Geschichtiiche Die Idec, den romischen Tribunen zum Helden einer Oper
zu erwahlen, scheint bei Wagner so weit zuriickzureichen, dass
sie zeitlich wohl unmittelbar an die Ausfiihrung des Liebes-
verbotes ankniipft. Den endgiiltig bestimmenden Anstoss gab
aber der bekannte Roman Bulwer's, den der Meister im Sommer1837 las. Im Januar 1838 entstand der erste ausfiihrliche Entwurf
des Rienzi und im Sommer des selben Jahres die Dichtung.
Trotz der grossen Unterbrechung durch die Reise nach Paris
im Sommer 1839 und durch die vielen Plackereien, die dann
angingen, war die Partitur im November 1840 vollendet. In
jenem Fruhjahr 1838 aber, gerade als Wagner an die Aus-
fiihrung seiner Rienzi-Dichtung ging, trat auch die Gestalt des
Fliegenden Hollanders — durch eine zufallige Lekture an-
geregt — lebhaft vor seine Phantasie; der Meister schreibt
von jenem ersten Eindruck: „Dieser Gegenstand reizte mich,
und pragte sich mir unausloschlich ein". Einstweilen wich
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 355
jedoch die Gestalt des Hollanders vor der des Rienzi zuriick.
AIs nun Wagner im Sommer 1839 auf einem kleinen Segel-
schiff bei Sturm und Wetter von Pillau nach London reiste, wobei
das Schiff einmal an der Kuste Norwegens vor Anker gehen musste,
„da tauchte der Fliegende Hollander wieder auf: an Wagner's
eigener Lage gewann er Seelenkraft; an den Stiirmen, denWasserwogen, dem nordischen Felsenstrande und dem Schiff-
getriebe Physiognomie und Farbe" (IV, 321). In Paris ange-
kommen,reichte Wagner einenEntwurfzumF/i^^enrf^n/foZ/ander
bei der Grossen Oper ein, noch ehe qt Rienzi vollendet hatte;
der Entwurf wurde ihm abgekauft, die Dichtung und Komposition
jedoch andern iibergeben! Bald nach der Vollendung des Rienzi
(im Mai 1841) dichtete dann der Meister seinen eigenen Textund vollendete in sieben Wochen die ganze Komposition (in der
Skizze), also wenige Monate nach Rienzi. Dass Rienzi undDer Fliegende Hollander bald darauf (im Winter 1842—43)
wenige Wochen nacheinander in Dresden zur ersten Auf-
fuhrung gelangten, ist schon im ersten Kapitel berichtet worden.
Der grosse Erfolg dieser Werke war es, was zu Wagner's Er-
nennung zum Hofkapellmeister in der sachsischen Hauptstadt
fiihrte.
Es ware wohl nicht schwer, der kiinstlerischen Entwicke- oasQuidpr
lung des Wort-Tondichters schrittweise von jenem Schaferspiel''"°
an, bei dem er Worte und Musik zugleich schrieb, bis zumRing und zu Tristan mit Verstandnis zu folgen, triigen wir nicht
vor dem geistigen Auge gleichsam gefarbte Brillen, namlich
die fertigen Begriffe, die uns alle Erscheinungen in bestimmten
unabanderlichen Farben erblicken und somit die feineren —oft wesentlichsten — Abstufungen iibersehen lassen. In diesemFalle ist es der Begriff „Oper", der das Verstandnis er-
schwert. Wagner sagt einmal: „Die unlosbarsten, qualendsten
und entwiirdigendsten Belastigungen, Sorgen und Demiitigungen
sind fiir mein Leben aus diesem einen Missverstandnis hervor-
gegangen, welches mich der Welt und alien in ihr enthaltenen
asthetischen und sozialen Beziehungen, durch die Notigung der
ausseren Lebensgestaltung und der Lage der Dinge, eben nurals ,Opernkomponisten' und ,Opernkapellmeister' hinstellte.
Dieses sonderbare Quid pro quo hat mich in eine stete Konfusionaller meiner Beziehungen zur Welt und namentlich meiner
23*
356 DRITTES KAPITEL
Haltung gegeniiber ihren Anspriichen an mich bringen miissen"
(VIII, 238). Dieses selbe Quid pro quo wirkt aber noch heute
ebenso storend auf das voile, freie Verstandnis von Wagner's
dichterischer Anlage und von dem Wesen seiner Werlce. Schon
dass Wagner ohne weiteres zu der Kaste der ausubenden Fach-
musilcer gezahlt wird, ist irrefuhrend; denn nur etwa zwolf
Jalire war er als Kapellmeister tatig, also nur ein Sechstel
seines ganzen und nicht ein Viertel seines offentlichen Lebens.
Wagner ist nicht in Musikerkreisen aufgewachsen ; seine musi-
kalischen Fachstudien hat er, wahrend er Student der Philo-
sophie war, auf dem Wege des Privatunterrichts absolviert
und ohne jemals den Fuss in eine irgendwie geartete „Musik-
schule" gesetzt zu haben; das Weitere hat er dann durch uner-
miidliches Studium von Partituren, namentlich denjenigen
Beethoven's (er hat mit 20Jahren die Neunte schon auswendig
gewusst!) und durch zahlreiche eigene Kompositionsversuche
sich erworben. Dann ging er zur Biihne. Schon diese ganze
Entwickelung zeigt einen Mann, dem die Musik nicht Selbst-
zweck, sondern ein Mittel des Ausdrucks ist. Man beachte
auch, dass Wagner's musikalische Technik eine — wenn ich
so sagen darf — rein geistige war; auf mechanische Technik,
d. h. auf die Beherrschung irgend eines Instruments, hat er
keine Stunde seines Lebens vergeudet. Auch seine unvergleich-
lichen Leistungen als Kapellmeister sind nicht als das Ergebnis
einer seltenen technischen Virtuositat aufzufassen, sondern als
das einer lebensvoUen, iiberall das Richtige intuitiv treffenden
Auffassung des poetischen Inhaltes bedeutenderTonwerke seitens
eines grossen Dichters — welcher allerdings den gesamten
technischen Aufbau souveran beherrschte. In Wahrheit gehorte
aber Wagner nicht in das Kapellmeisteramt, und nur die Not
hat ihn zeitweilig zur Annahme dieser Stellung bestimmt. Solche
^poetischen" Kapellmeisterleistungen konnen nicht allabendlich
wiederholt werden. Und dann, Wagner war Dramatiker: sein
Platz war auf der Biihne zur Leitung der gesamten dramatischen
Darbietung, einschliesslich des musikalischen Teiles; so hat er
es bekanntlich in Munchen und in Bayreuth gehalten. Wagner
durch die Brille des „Opernkapellmeister-Begriffes" ansehen,
heisst also seine ganze Gestalt verzerren. Denn nennt man
z. B. Moliere einen Schauspieler, so betont man etwas Wahres
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 357
und fiir seinen Genius durchaus Bezeichnendes; wird Wagnerdagegen unter den Begriff eines Fachmusikers subsumiert, so
begeht man damit den logischen Fehler, einen untergeordneten
Begriff zum Hauptbegriff zu erweitern. Es ist das selbe, als
wenn man Schiller zu den „Historikern" rechnen und seine
dichterische Tatigkeit dadurch als ein Nebensachliches be-
zeichnen wollte. Uber den „Opernkapellmeister Wagner"sollte fiiglich ein Missverstandnis nicht mehr denkbar sein.
Schwieriger ist die Verstandigung uber den »Opernkomponisten«.Denn die Biihnenwerke aus seiner ersten Lebenshalfte werdenvom Meister selber als Opern betitelt: Die Feen und Lohengrinz. B. heissen „Romantische Oper«, Das Liebesverbot „Grossekomische Oper", Rienzi „Grosse tragische Oper", ja, sogar
Siegfried's Tod, der erste Versuch einer Dramatisierung des
Nibelungenmythos (aus dem Jahre 1848) heisst noch im urspriing-
lichen Manuskript „Eine grosse Heldenoper in drei Akten".
Speziell von Rienzi bekennt Wagner: „Ich sah meinen Stoff
nur durch die ,Oper' hindurch"; Ahnliches berichtet er vonanderen Werken aus diesem Lebensabschnitt. Und dennochhorten wir ihn sich bitter iiber das Missverstandnis beklagen,
welches ihn der Welt als Opernkomponisten hinstellt: Manbeachte aber wohl, dass der Meister in jenem oben (S. 331)
angefiihrten Satz das Wort „nur" anwendet: das Missverstandnis
bestehe darin, „ihn nur als Opernkomponisten hinzustellen".
Wagner leugnet nicht, dass er zu einer Zeit seines Lebens Opern-komponist war, im Gegenteil, er spricht oft davon und nennt
die Oper „gleichsam die Brille, durch die er unbewusst seine
Stoffe erblickte". Er war aber niemals nur Opernkomponist,sondern er war, wir wir gesehen haben, von Hause aus Dichter,
und die naive Verwunderung dariiber, dass dieser Komponist„selber seine Texte geschrieben habe", wiirde allerdings nicht
minder naiv, doch logisch besser begriindet sein, wenn sich die
Menschen dariiber verwunderten, dass dieser Dichter selber
seine Musik geschrieben hat. Schon Die Feen und Das Liebes-
verbot sind beachtenswerte dichterische Leistungen — wenn auch
nicht in den Einzelheiten der Ausfiihrung, wo die Riicksicht
auf die „Oper" hemmt und verunstaltet, so doch in der Anlage
des Ganzen, in der Weise, wie der Verfasser sich der Stoffe,
die ihm Gozzi und Shakespeare darreichen, bemachtigt, um
358 DRITTES KAPITEL
sie fur eine anders geartete kiinstlerische Gestaltung umzu-
arbeiten. Gerade hierin zeigt sich die dichterische Grundkraft.
Die Art z. B., wie Wagner Gozzi's Donna serpente zu einem Dramader Erlosung durch die Liebe umgewandelt hat, nicht aber der
Erlosung des Weibes bloss aus ihrer Verzauberung, sondern vor
allem des treuen Geliebten aus irdischem Jammer zur himm-lischen Seligkeit, ist hochst bemerkenswert; und dass er hier-
durch die uralte indische Sage ganz unbewusst in ihrer ursprung-
lichen, reinen Gestalt wieder herstelite, beweist uns die unge-
heure Tiefe seines poetischen Blickes.^) Auch die Art, wie im
Liebesverbot der Statthalter und Isabella von Shakespeare's
Typen abweichen, um der musikalischen Charakteristik mehrBoden zu geben, wie das Innere ihrer Seelen — das man bei
Shakespeare mehr erraten muss — hier, wo ein neues kunst-
lerisches Ausdrucksmittel zur Verfugung steht, gewissermassen
blossgelegt wird, verleiht selbst dieser Arbeit, die einer ober-
flachlicheren Stimmung entsprang, ein tieferes Interesse. Wennich mir also Wagner's Worte zu eigen mache und mit Nach-
druck darauf verweise, dass man unmoglich seine fruhen
Werke auf ihren Wert schatzen und ihre Bedeutung fiir des
Meisters eigene kiinstlerische Entwickelung richtig deuten kann,
wenn man sie nur als Opern betrachtet, so handelt es sich mir
wahrlich um keine eitle Wortklauberei, sondern um eine Ein-
sicht, die ohne etwas kritischen Scharfblick nicht leicht zu er-
langen ist. Ich will hiermit darauf aufmerksam machen, dass
ausser dem Textverfertiger und dem Tonsetzer, die beide in-
folge der dominierenden Opernabsicht stark befangen bleiben,
hier ein gestaltender Dichter am Werke ist, der unsere voile
Beachtung verdient. Dieser Dichter ist jener Seher, von dem
ich in der Kunstlehre gesprochen habe;^) die kiinstlerische
Meisterschaft — der Kiinstler — wird erst nach und nach immer
vollkommener, denn hier gibt es eine Materie, die der Geist
erst iiberwinden muss; der Seher aber ist schon von An-
fang an da, seine Kraft ist eine angeborene; und ich meine,
wir machen von unserem kritischen Scharfsinn einen niitzlicheren
Gebrauch, wenn wir in Wagner's „Opern" mit seiner Hilfe
*) Vergl. Rigveda X, 95 und Qatapatha Brdhmana XI, 5, 1.
*) Vergl. S. 288 fg.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 359
den Poeten aufdecken, der nach Ausdruck ringt, als wenn wir
auf Unzulanglichkeiten hinweisen, die jeder halbwegs verniinftige
Mensch sofort selber bemerken kann.
Von keiner „Oper" Wagner's gilt das alles mehr als von Rienzi
Rienzi, und infolgedessen diirfte wohl keines seiner Werkebis zur Stunde so ganzlich unverstanden geblieben oder viel-
mehr so falsch verstanden worden sein. Und da nun ausserdem
die Strichpraxis an samtlichen Biihnen Rienzi dermassen ver-
unstaltet hat, dass Wagner's Drama in seiner Entwickelung,
Motivierung und Katastrophe vollkommen unverstandlich wurde,
so musste man glauben, man habe es hier einfach mit Scribe-
Meyerbeer'schen Effekten zu tun, die Wagner so treffend als
„Wirkung ohne Ursache" festgenagelt hat. Und in der Tat,
ganz allgemein gilt Rienzi2\s eine „Oper in Meyerbeerschem Stile"
Oder gar als „aus der Schule Meyerbeer's". Nun ist zunachst eine
Erinnerung hier am Platze: als Wagner Rienzi dichtete unddie zwei ersten Akte der Oper ausfiihrte (wodurch die ubrige
musikalische Gestaltung bestimmt war), kannte er von Meyerbeernur Robert den Teufel; denn Die Hugenotten sind erst 1836
in Paris herausgekommen, und bis nach Konigsberg und Riga,
wo Wagner in den folgenden Jahren weilte, drang diese Opernicht so bald. Wer aber dartun wollte, Rienzi sei aus Robert
dem Teufel hervorgegangen, wiirde selbst dem phantasievollsten
Leser zu viel zumuten!^) An welche Operngattung dagegen
Rienzi in Wahrheit anlehnt, konnte jeder sofort erkennen,
wenn nicht die grossen Meisterwerke der echten franzosischen
Schule, die wirkliche „heroische Oper", von unseren Biihnen
ganzlich verschwunden waren. Zum Gluck wissen wir aus
des Meisters Erinnerungen ganz genau, dass es namentlich der
Eindruck einer Auffiihrung von Fernando Cortez unter Spon-tini's personlicher Leitung war, was ihn zu der Konzeption des
Rienzi begeisterte, und auch von der Musik schreibt er: „ImRienzi bestimmte mich iiberall da, wo mich nicht bereits schon
der Stoff zur Erfindung bestimmte, der italienisch-franzosische
Melismus, wie er mich zumal aus den Opern Spontini's ange-
^) Meyerbeer's Prophet, auf dessen „Einfluss" man ebenfalls schon ofters
hingewiesen hat, wurde zum ersten Male im Jahre 1849 aufgefiihrt, zweijahre
nach der Vollendung des Lohengrin! Dass Rienzi die ganze Konzeption des
Propheten beeinflusst habe, ist dagegen als hochst wahrscheinlich anzunehmen-
360 DRITTES KAPITEL
sprochen hatte." Das sei also zunachst festgestellt. Denn
horen wir auch Wagner mit der ihm eigenen Natiirlichkeit
und Aufrichtigkeit gestehen: „Bei der Textverfertigung des
Rienzi fiel mir im wesentlichen noch nichts anderes ein, als
ein wirkungsvolles Opernbuch zu schreiben; die „grosse Oper"
mit all ihrer szenischen und musikalischen Pracht, ihrer effekt-
reichen, musikalisch-massenhaften Leidenschaftlichkeit, stand
vor mir", so macht es doch einen gewaltigen Unterschied,
ob die „musikalische Pracht" und die „effektreiche Leiden-
schaftlichkeit", die einen jungen Komponisten zur Nachahmung
reizen, diejenigen Meyerbeer's sind oder dagegen diejenigen
Spontini's. Betrachtet man Rienzi bloss als Oper, so diirfte
man wohl sagen, Rienzi sei das letzte Werk aus jener fran-
zosisch-italienischen Schule der grossen heroischen Oper; in-
folge der angeborenen Bedeutung seines Verfassers ist es auch
das grosste — wenngleich ohne Zweifel nicht das reifste.
Rienzi ist aber nicht bloss eine Oper. Um sich davon zu
iiberzeugen, lese man den Text, den Wagner in den ersten Band
seiner Gesammelten Schriften aufgenommen hat, und man nehme
darauf den vollstandigen Klavierauszug durch, damif man auch
die Tondichtung als Ganzes kennen lerne.^) Rienzi ist in
Wirklichkeit ein gewaltiges dramatisches Werk, eine gross-
artige Tragodie; der Meister hatte recht, hier von einer „grossen
tragischen Oper" zu sprechen. Ich behaupte, dass als Schopfer
von Gestalten Wagner in Rienzi fast schon auf der Hoheseiner Meisterschaft steht. Namentlich der Held, Rienzi, kann
den Vergleich mit jeder spateren Schopfung Wagner's getrost
bestehen. Will man die schopferische Kraft, die der 25jahrige
Dichter hier betatigt hat, voll ermessen, so lese man Bulwer's
Roman und vergleiche seinen Helden mit dem Wagner's!
Man sehe auch genau zu, wie Wagner den grossen, iiber-
reichen Stoff bewaltigt und zu einem einfachen, leicht iiber-
sichtlichen Vorgang verdichtet hat.^) Das ist das Werk eines
') Nur in Karlsruhe und neuerdings auch in Berlin und Miinchen
kann man eine Auffiihrung von Rienzi erleben, aus der eine Kenntnis von
Wagner's Drama zu entnehmen ist. (Nachtrag. — Die sinnloseste Verun-
staltung des Werkes ist inzwischen allerorten wieder eingefiihrt worden.)
^) Naheres hieriiber in einem vorziiglichen Aufsatz von Eduard Reuss
in den Bayreuther Bldttern, Jahrgang 1889, S. 150.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 361
Dichters, eines wirklich grossen Dichters. Wahrend Scribe-
Meyerbeer nur auf Theatereffekte, auf packende Situationen aus-
gehen, findet hier nicht eine Bewegung statt, die nicht zur Schilde-
rung des Charakters des Helden beitriige. „Der Deutsche baut
von innen", sagt Wagner; der Deutsche will auch im Drama vor
allem die Seele — das Innere, Verborgene — erkennen;
darum konnte auch der kiinstlerische Genius dieses Volkes
nicht eher ruhen, als bis er durch die neue Form des Wort-
Tondramas bis in das innerste Herz der Handelnden einge-
drungen war. Das Innere aber ist vie! einfacher als das
Aussere: tausend Zufalligkeiten verschwinden hier; alles, wasKonvention und Mode ist, was nur lokalen oder historischen
Sinn besitzt, ist seelisch ohne Bedeutung. Dadurch erhalten
die Gestalten in Wagner's Werken bei aller Warme und Leiden-
schaft doch etwas Typisches, Symbolisches, wie es die Kunst
seit den Griechen nicht wieder erlebt hatte. Hierauf kommeich bei anderer Gelegenheit zuriick; hier wollte ich zunachst
nur andeuten, dass Wagner's Rienzi anders sein musste als
der Bulwer's und dass zu einer derartigen Neuschopfung eine
sehr bedeutende Dichterkraft gehort. Ich mochte aber auch
noch darauf aufmerksam machen, wie sehr infolge des beriihrten
Umstandes Wagner's Rienzi den Bulwer's iibertrifft. Bulwer
konnte im Roman nicht anders, er musste uns ausser demHelden, der auf Gott vertraut, den praktischen Politiker, den
Forderer der Industrie, den aberglaubischen Katholiken, den
Liebhaber einer reichen Dame usw. zeigen ; er hat seine
Aufgabe vorziiglich gelost. Wagner dagegen zeigt uns nur die
wesentlichsten Ziige: die unbedingte, glaubensfrohe Ergebung
in Gottes Willen, die begeisternde, aufopfernde Liebe zumVaterland, die Grossmut gegen den Feind, die Strenge gegen
sich und die Seinen Aber auch dort, wo Rienzi's
Individualitat sich im Widerspruch offenbart — die Prachtllebe
und zugleich die Einfalt, der Hochmut gepaart mit Demut usw. —weiht uns Wagner durch wenige Ziige in diese Geheimnisse des
innersten Wesens ein. Wer sollte nun nicht fuhlen, dass wir
den Menschen Rienzi besser kennen und einen weit tieferen
Blick in seine Seele getan haben durch Wagner's Dramaals nach der ausfiihrlichen Schilderung und nach alien In-
triguen des Romans? Wagner hat uns hier, wie Schiller in
362 DRITTES KAPITEL
seiner Jungfrau von Orleans, eine wirkliche Geschichtsstunde
gegeben. Denn es ist einfach unmoglich, Geschichte— ich meine
hier Seelengeschichte — nach Dokumenten zu konstruieren;die
ausseren Vorgange sind nur Reflexe, sie kreuzen sich nach
alien Richtungen, und nirgends kommt eine Willensbewegung
ganz rein zum Ausdruck; nur der Dichter blickt in die Tiefen
der Seele und kann uns die einfache, grosse Wahrheit zeigen.
Und nun die Musik als Ausdrucksmittel in den Handen dieses
Dichters! Gewiss sagt uns das Gebet Rienzi's am Anfang
des funften Aktes mehr iiber diesen grossen Mann als zehn
Bande archivarischer Forschungen. Wenn nun trotz alledem
gerade in Rienzi eine so „auffallige Vernachlassigung der
Diktion und des Verses* stattfindet, dass Wagner selber offers
die Aufmerksamkeit darauf lenkt, so macht dieser Umstand
das Werk zu einer um so besseren Schule fiir das Verstandnis
von "Wagner's poetischer Bedeutung. Uns gelten namlich ge-
wohnlich die Zierlichkeit des Verses, die Wahl der Metaphern,
die Verkettung schoner Gedanken als die Grundbedingungen
einer bedeutenden Dichtung; aber sehr mit Unrecht. Die Grund-
eigenschaft des grossen Dichters ist seine Gestaltungskraft.
Hier nun haben wir den eigentiimlichen Fall, dass in einer
absichtlich operntextmassig ausgefiihrten, ziemlich achtlos ver-
sifizierten Dichtung dennoch eine grossartige Tragodie zur
Gestaltung gelangt. Das mag uns wohl zu denken geben. Die
tiefere Erklarung fiir diese auffallende Tatsache ist in der
poetischen Macht der Tonsprache zu suchen.
Wagner sagt in der Einleitung zum ersten Bande seiner
Schriften: „Der i?/^nzim6ge somit als das musikalische Theater-
stuck angesehen werden, von welchem meine weitere Aus-
bildung zum musikalischen Dramatiker ihren Fortgang nahm.«
Und in der Tat, das unterscheidende Merkmal des Rienzi in
Wagner's Lebenswerk ist, dass fast der gesamte „Ausdruck"
hier der Musik anvertraut wird. Durch seine ersten Biihnen-
erfahrungen belehrt, glaubte der Meister in jenem Augenblick,
c^G sei unmoglich, das Wort in Verbindung mit der Musik zur
Geltung zu bringen (vergl. 1, 2); darum vernachlassigte er die
Diktion (worauf er in seinen friihesten Versuchen Sorgfalt ver-
wendet hatte); der Gesamtausdruck litt aber hierunter nicht,
sondern er wurde jetzt vorwiegend in die Musik gelegt. Mit
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 363
den Worten gab der Dichter nur eine allgemeine Umrisszeich-
nung; alles, was er eigentlich zu sagen hatte, sagte er in Tonen.
Offenbar kniipft also Rienzi direkt an die vorausgehenden
Werke Die Feen und Das Liebesverbot an, bei denen eben-
falls der musikalisclie Ausdruck das stark vorwiegende Element
war. Nur ist bei Rienzi ein grosser Schritt geschehen „aus
dem Unbewusstsein zum Bewusstsein" (um ein Wort Wagner's
iiber Lohengrin auf dieses in mancher Beziehung nahe ver-
wandte Werk anzuwenden), weil hier, mit voller Absicht und
Uberlegung der Musik der gesamte Ausdruck aufgeburdet und
dafiir die Diktion vernachlassigt worden ist. Wir seiien also hier
den bereits mit voller Meisterschaft gestaltenden Dichter dennoch
behufs des Ausdrucks fast absoluter Musiker werden: das ware
etwa die „Formel" des Rienzi, wenn sich ein lebendiges Werkjemals in eine Formel einzwangen Hesse.')
Will man aber Rienzi richtig beurteilen, namentlich auch
in seinem Verhaltnis zu Wagner's gesamter kiinstlerischer
Entwickelung, so versaume man niemals, das mit ihm zu-
gleich entstandene Werk Der Fliegende Hollander daneben
zu halten.
Die mir gesteckten Raumgrenzen gestatten mir nicht, den oer Fuegende
Hollander so ausfCihrlich wie Rienzi zu besprechen. Es ist"°"^'"i«''
auch nicht notig; denn in diesem zweiten, in Paris vollendeten
Werk — „mit dem sich Wagner", wie er schreibt, „aus allem
Instrumental-Musik-Nebel zur Bestimmtheit des Dramas erloste"
(U. 248) — tritt der Dichter doch zu scharf hervor, als dass
er ijbersehen und sein Werk — zur Abwechslung — etwa der
Marschnerschen Schule zugezahlt werden konnte. Das Merk-
wurdige, fast IrrefUhrende ist aber hier zunachst, zwei so ganz-
lich verschiedene Werke wie Rienzi und der Hollander unmittel-
bar aufeinanderfolgen zu sehen, und zwar so schnell, dass „die
erste Oper kaum beendigt war, als die zweite fast fertig schon
vorlag" (I, 4). Diesen Vorgang zu verstehen, halte ich fiir das
einzig Notige; denn hiermit ist das voile Verstandnis der bio-
graphischen oder „entwickelungstheoretischen" Bedeutung beider
Werke gegeben; alles Ubrige, Tiefere, Individuelle muss der
•) Eingehenderes iiber das Verhaltnis von Dichtung und Musik in
Rienzi in meinem Drama R. Wagner's, S. 41fF.
364 DRITTES KAPITEL
unmittelbaren Wirkung des Kunstwerkes von der Buhne herab
iiberlassen bleiben.
„Vom Hollander an beginnt meine Laufbahn als Dichter,
mit der ich die des Verfertigers von Operntexten verliess*'; so
berichtet der Meister (IV, 328). Ein solcher herausgerissener
Satz kann aber zu grossen Missverstandnissen fuhren, und
gerade bei diesem Satz aus der Miiteilung an meine Freunde ist
das haufig geschehen. Man meint, Wagner gestehe selber
durch diese Worte, er sei friiher nicht Dichter, sondern nur
Musiker gewesen, wahrend offenbar das Wort „Dichter" hier
in einem eng beschrankten Sinne genommen ist, als Gegensatz
zu „Operntextverfertiger". Von nun an stellt Wagner an die
Wortdichtung als solche dichterische Anspriiche; die Wort-
dichtung, welche bisher durch die Riicksicht auf Opernbediirf-
nisse und durch die Sorge urn den musikalischen Ausdruck
nach alien Seiten hin beschrankt war, tritt von nun an mehr
in den Vordergrund. Wie wenig hierdurch eine prinzipielle
Anderung angedeutet wird, geht zur Genuge aus der Tatsache
hervor, dass Wagner nach Vollendung des Hollanders eine
historische Oper im Stile RienzVs entwarf. Die Sarazenin!
Der Vorgang ist also nicht so aufzufassen, als sei Wagner plotz-
lich durch irgend ein Hexenkunststiick aus einem „Musiker"
zu einem „Dichter" umgewandelt worden, sondern es kommtdarin zuvorderst und zuoberst das Erstarken des Musikers
zum Ausdruck. Die Ausfiihrung des „Musikdramas« Rienzi,
diese grossartigste Kraftausserung des Musikers, war es, die
zur endgultigen Befreiung des Dichters — im Hollander —gefiihrt hatte. Das setzt auch der Meister an einer anderen
Stelle seiner Mitteilung, wo er wieder auf den Hollander zu
sprechen kommt, sehr klar auseinander: „Ich war von nun an
in bezug auf alle meine dramatischen Arbeiten zunachst Dichter,
und erst in der vollstandigen Ausfuhrung des Gedichtes ward
ich wieder Musiker. Allein ich war ein Dichter, der des
musikalischen Ausdrucksvermogens fiir die Ausfuhrung seiner
Dichtungen sich im voraus bewusst war; ich hatte dieses Ver-
mogen soweit geiibt, dass ich meiner Fiihigkeit, es zur Ver-
wirklichung einer dichterischen Absicht zu verwenden, voll-
kommen inne war, und auf die Hilfe dieser Fahigkeit beim
Fassen dichterischer Entwiirfe nicht nur sicher rechnen, sondern
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 365
in dem Wissen hiervon diese Entwiirfe selbst freier nach
dichterischer Notwendigkeit gestalten konnte, als wenn ich sie
mit besonderer Absicht fiir die Musik gestaltet hatte. Zuvor
hatte ich die Fahigkeit des musikalischen Ausdruckes mir in
der Weise anzueignen gehabt, wie man eine Sprache eriernt.
Wer eine fremde, ungewohnte Sprache noch nicht vollkommen
innehat, muss in allem, was er spricht, auf die Eigenart
dieser Sprache Riicksicht nehmen; um sich verstandlich aus-
zudriicken, muss er fortwahrend auf diesen Ausdruck selbst
bedacht sein, und was er sprechen will, absichtlich fiir ihn be-
rechnen Jetzt hatte ich aber die Sprache der Musikvollkommen eriernt; ich hatte sie jetzt inne, wie eine wirkliche
Muttersprache" (IV, 386). Man sieht, der iiberraschende Abstand
zwischen Rienzi, der pomphaften, „musikalisch-massenhaften",
fiinfaktigen Oper, und dem „einaktigen", schmucklosen, herben
Hollander verhindert doch nicht, dass gerade diese zwei Werkeinnigst nahe verwandt sind.
Auf den Hollander werde ich in Verbindung mit Tann-
hduser und Lohengrin noch zuriickkommen; hier habe ich es
fiir wichtig gehalten, den ganzlich verkannten Rienzi — der
mit Recht als „ein Markstein in der Geschichte der Kunst"
bezeichnet worden ist — ausfuhrlicher zu besprechen und einzig
auf die Abhangigkeit des ersten „Dichterwerkes" des Meisters
(des Hollanders) von seinem ausschliesslichsten „Musikwerke«
(Rienzi) den Nachdruck zu legen. Rienzi ist der Angelpunkt
in Wagner's kiinstlerischer Entwickelung. Aus der richtigen
Auffassung dieses Werkes ergibt sich ein voiles und zugleich
kritisches Verstandnis aller "Werke aus der ersten Lebenshalfte,
sowohl der ihm vorangehenden als der nachfolgenden.
4. Tannhauser und Lohengrin
Auch diese zwei Werke hangen durch den Zeitpunkt ihrer ceschichtiiche
allerersten Konzeption eng zusammen. Gleich nach der Voll- ^*'^"
endung seines Hollanders traten die Gestalten des Tannhauser
und des Lohengrin bestimmend vor des Meisters dichterische
Phantasie; es war in Paris, im Sommer 1841. Diese Gestalten
366 DRITTES KAPITEL
waren ihm nicht neu, er kannte sie seit seiner Kindheit; wenn
sie gerade jetzt wieder vor seinem Blicke auftauchten, urn nun-
mehr so innig mit seinem eigenen Seelenleben zu verwachsen,
dass sie nach wenigen Jahren als „neuerfundene und neu-
gestaltete Mythen" in zwei unverganglichen Meisterwerken der
Welt geschenkt werden konnten, so kommt hier unzweifelhaft
ein innerer Vorgang zum Ausdruck. Im Lebensgang sahen wir
ja auch, wie der Aufenthalt in der Fremde die Sehnsucht nach
allem Deutschen weckte. Nicht der Zufall hat Wagner alte
Sagenbucher in die Hand gespielt, sondern der selbe kiinst-
lerische Entwickelungsgang, der zur Wahl des Fliegenden Hol-
landers als Stoff fUhrte, brachte ihn auch dazu, „sich fur die
Wahl des Stoffes vom historischen Gebiet ein fur allemal zum
Gebiete der Sage zu wenden" (VII, 161). Welch geringfiigigen
Wert die ausseren Momente fur den aus innerer Not schaffenden
Kiinstler besitzen, beweist die auffallende Tatsache, dass Wagner,
dessen erstaunliche Gedachtniskraft bis ins Alter ungeschwacht
blieb, Verschiedenes iiber seinen Tannhduser berichtet, was
unsere Germanisten nicht anders erklaren konnen als durch
die Annahme eines Gedachtnisfehlers. Er sagt namlich in
seiner Mitteilung vom Jahre 1851, das ^Deutsche Volksbuch
vom Tannhauser" habe ihm die erste Anregung zu seinem
Drama gegeben; es gibt aber gar kein Volksbuch vom Tann-
hauser!^) Ausserdem schreibt er: „Was mich aber vollends
unwiderstehlich anzog, war die, wenn auch sehr lose Ver-
bindung, in die ich den Tannhauser mit dem „Sangerkrieg auf
Wartburg" in jenem Volksbuche gebracht fand"; nirgends aber,
so versichern die Fachmanner, findet eine noch so lose Ver-
bindung dieser beiden Sagenmomente statt, und jener fiir die
gesamte Gestaltung von Wagner's Tannhduser so entscheidende
Zug ware des Meisters ureigene, freie Schopfung. Das erwahne
ich nur nebenbei, um die verschwindend geringe Bedeutung
aller solcher „Quellenforschungen" an einem drastischen Beispiel
darzutun; die Quelle des Kunstwerkes ist des Kiinstlers Herz;
mogen die Germanisten und Mythologen sich von Wagner be-
lehren lassen, das ist gewiss weise von ihnen — man bilde
sich aber nicht ein, seine Kunstwerke bediirften irgend einer
*) Prof. Dr. Wolfgang Golther in den Bayreuther Bldttern, 1889, S. 141.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 367
wissenschaftlichen Exegese, weder beziiglich ihrer Entstehung,
noch damit sie ihre voile Wirkung ausiiben. Noch ehe die
Proben zu Rienzi begannen, vollendete Wagner (im Sommer1842) den ersten Entwurf zu seinem Tannhduser. Auch diese
Tatsache ist von grossem Interesse und verdient als Beweis,
wie rein innerlich die ganze Entwickelung vor sich ging, be-
sonders betont zu werden. Denn wir sehen, dass Wagner nicht
allein seine vier ersten Buhnenwerke mit ihrer so scharf aus-
gepragten Individualitat und stark kontrastierenden Eigenart
vollendet, sondern dass er auch den vollstandigen Entwurf zu
seinem fiinften Werk, Tannhduser, zu Papier gebracht hatte
und die Gestalt des Lohengrin schon im Kopfe trug, ehe er
zum erstenmale ein Werk von sich auffiihren und somit auch
„ausserlich" erleben durftel Die gesamte Kunsttatigkeit dieser
ersten Lebenshalfte, die schrittweise Annaherung an ein nur
geahntes, noch nicht klar erfasstes Ziel — von den Feen bis
zu Lohengrin — ist folglich ein innerer Vorgang, ein Vorgang
im Herzen und im Kopfe des grossen Dichters. Darin diirfte
auch zum Teil die beispiellose Klarheit des Entwickelungsganges
ihre Erklarung finden. Wir konnen dem Himmel danken, dass
das Schicksal keine Beriihrung zwischen diesem kraftigen, makel-
losen Kunsttrieb und der Welt zuliess, bis der Kiinstler zumMann erstarkt und sich seiner kiinstlerischen Bestimmung be-
wusst war. Jetzt trat diese Beriihrung ein : am 20. Oktober 1842
fand die erste Auffiihrung des Rienzi statt, am 2. Januar 1843
die erste Auffiihrung des Fliegenden Holldnders; am 1. Februar
1843 wurde Wagner zum Kapellmeister an der Hofoper in
Dresden ernannt; wenige Wochen spater war die Dichtung zu
Tannhduser vollendet. Die Pflichten des neuen Amtes scheinen
die weitere Ausfiihrung des Tannhduser ein Jahr lang unter-
brochen zu haben; im Jahre 1844 sehen wir aber den Meister
bereits am Werke, und im Friihjahr 1845 ist die Partitur
fertig. Die erste Auffiihrung fand am 19. Oktober 1845 statt,
genau drei Jahre nach der des Rienzi. Im Sommer 1845,
noch vor dieser ersten Auffuhrung des Tannhduser, war aber
Lohengrin schon entworfen worden; im Friihjahr 1846 entstand
die Dichtung und vom Sommer 1846 bis zum Sommer 1847 die
Musik. Nicht vor dem Jahre 1861 (in Wien) sollte Wagner dieses
Werk selber erleben, nachdem er inzwischen Tristan und Isolde
ilS3S0
368 DRITTES KAPITEL
und die HaUte des Nibelungenringes geschaffen hatte; auch hier
also hatte die Entwickelung — jener letzte Schritt vom Un-bewusstsein zum Bewusstsein — innerlich stattgefunden.
Die Gescliichte der allmahlichen Verbreitung dieser beiden
Werke — Tannhduser und Lohengrin — bis sie, in viele fremde
Sprachen iibersetzt, fast die ganze Welt erobert batten, gehort
zur Geschichte des 19. Jahrhunderts, kaum aber zur Biographie
Wagner's, und zwar um so weniger, als die Opern, die zu
so beispielloser Popularitat gelangt sind, mit den Dramen, die
der Meister beabsichtigt hatte, durchaus nicht identisch sind.
Wer Tannhduser und Lohengrin nur auf Opernbiihnen ge-
sehen hat, kennt diese Werke gar nicht, denn er kennt nur
ein Zerrbild von ihnen. Hiermit spreche ich nicht eine eigene
Ansicht aus, sondern ich wiederhole nur, was Wagner haufig
selber gesagt hat. Von den ersten Auffuhrungen seines Tann-
hduser in Dresden gesteht er, die Erinnerung daran sei ihm
„ein Grauen" (U. 233); von anderweitigen Auffuhrungen dieses
Werkes berichtet er Band IX, S. 253: „Ich glaube bescheiden
anerkennen zu miissen, dass der Erfolg meines Tannhduser
auf den deutschen Theatern bisher nur noch auf einem Ge-fallen an lyrischen Details beruhte, wahrend mir bei den von
mir gekannten Auffuhrungen dieser Oper stets noch der in
einem gewissen Sinne beschamende Eindruck verblieb, den
Tannhduser, wie ich mir ihn gedacht, gar nicht zur Dar-
stellung gebracht zu sehen, sondern nur dies und jenes aus
meiner Partitur, von welcher das meiste, namlich eben das
Drama, als iiberflussig beiseite gelassen wurde." An Roeckel
schreibt Wagner, die Auffuhrungen des Tannhduser und Lohen-
grin „blieben fiir ihn kiinstlerisch ohne alles Interesse"; an
Liszt: „Als ich Tannhduser und Lohengrin dem Theaterschacher
ubergab, habe ich sie verstossen: sie sind von mir verflucht
worden, fiir mich zu betteln und — nur noch Geld zu bringen!"
Immer wieder bittet Wagner seine Freunde, ihm nichts iiber
Auffuhrungen seiner Werke zu berichten; am 1. Miirz 1870
sagt er: „Nichts wenigstens zu erfahren, ist jetzt meine einzige
Stellung zu alien Auffuhrungen meiner Werke"; und im Jahre
1878 schreibt der Meister aus Bayreuth: „Wenn jene da aussen
durch Auffuhrungen meiner Werke in ihren grossen Stadten
geargert werden, so mogen sie dagegen versichert sein, dass
PARIS 1861
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 369
dies nicht zu meinem Vergniigen geschieht" (X, 33). Aus der
Verbreitung und Beliebtheit dieser Werke konnen wir also nur
auf die zaubermachtige Wirkung ihrer Musik schliessen sowie
auf die unnennbare, geheimnisvolle Macht vollendeter, harmo-
nischer Schonheit, die wie das Auge Siegfried's „selbst durch
die Liigengestalt leuchtend zu uns strahlt". Erst in allerletzter
Zeit (1891, 1892 und 1894) haben auf der Bayreuther Festspiel-
biihne Auffiihrungendes Tannhduser und Lohengrin stattgeiundeny
„wie der Meister sie sich gedacht hatte"; auf sie komme ich
im vierten Kapitel zuriick. Zur Illustration dieses — vielleicht
nicht alien Lesern sofort begreiflichen — Verhaltnisses konnen
Wagner's eigene Erfahrungen in Zurich dienen. Auf Wunschder dortigen Theaterleitung brachte er im Jahre 1852 seinen
Fliegenden Hollander zur Auffiihrung; hieriiber berichtet er
an Uhlig: „Die erste Auffiihrung klarte mich bereits dariiber
auf, dass ich alle Illusionen fiir das Drama aufgeben und mich
einzig damit begniigen musste, dass ich das Stuck „Oper",
das noch im Fliegenden Hollander steckt, gehorig zur Geltung
brachte". Und in einer weiteren Stelle des selben Briefes
erklart er, er gebe zu, dass der Hollander „auch als Operwirken konne* (U. 184). War das nun des Autors eigene
Erfahrung, konnte er selber unseren Operntheatern nicht ein-
mal das viel einfachere Drama Der Hollander zum Verstandnis
bringen, so kann man sich leicht vorstellen, wie es auf alien
Theatern seinem Tannhduser und seinem Lohengrin erging,
welche von Kapellmeistern einstudiert und von Regisseuren in
Szene gesetzt wurden, die von Wagner's dramatischen Absichten
keine Ahnung hatten. Nicht also den Triumph dieser Werke
ist es notig hier zu betonen, sondern viel eher die Tatsache,
dass, wie Wagner selber sagt, „ihr Erfolg auf einem Miss-
verstandnis beruht", die Tatsache, dass die Welt diese zwei
gewaltigen Dramen eigentlich noch gar nicht kennt, meistens
sogar kaum ahnt. Vielfach hort man noch heute die friiher
weitverbreitete Redensart: „Ich gehe bis zu Lohengrin mit, weiter
nicht". Das ist eine pure Illusion unschuldiger Seelen. Werdas sagt, geht nicht bis zu den Feen^ wer weiss, vielleicht nicht
einmal bis zum Schaferspiel „mit"! Er ist einfach ein von der
Opernseuche infizierter Mensch, der sich an Melodien berauscht,
gleichviel unter welcher Marke sie ihm dargereicht werden; der
Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 24
370 DRITTES KAPITEL
verunstaltete, verkriippelte Lohengrin ist gerade noch gut genug
fiir ihn. Das hehre Drama Lohengrin aber, das Werk Richard
Wagner's, das zu den ewig schonen, unverganglichen Schopfungen
des menschlichen Geistes gehort, das ahnt er gar nicht, sonst
konnte er das banale, sinnlose und emporende Wort nicht
sprechen.
verhaiten der Noch eins muss ich aber beziiglich dieser enormen Popu-^"^'^
laritat Tannhdusefs und Lohengrin's bemerken. Die jetzige
Generation glaubt meistens, nur die spateren Werke Wagner's
seien auf Widerstand gestossen, die friiheren nicht; aus dieser
angeblichen Sachlage werden dann die verschiedensten Argu-
mente iiber Schwerverstandlichkeit usw. gezogen. Es ist aber
eher das Gegenteil wahr. Bei dem unbeeinflussten Publikum hat
allerdings jedes gut aufgefiihrte Werk sofort Begeisterung er-
weckt, Tristan ebenso wie Tannhdaser, Die Meistersinger
ebenso wie Lohengrin; gegen die Kritik und gegen die Urteile
der Zunftmusiker haben aber Tannhdaser und Lohengrin einen
viel harteren und langeren Strauss auszufechten gehabt als die
spateren Werke. Ja, nicht einmal der „Oper« Rienzi erging es
besser; als sie in Berlin 1847 gegeben wurde, berichtete die
„Neue Zeitschrift fiir Musik" iiber den grossen Erfolg, fiigte aber
hinzu: „Gleichwohl wird sich die Oper schwerlich lange auf
unserem Repertoire halten; denn die Kritiker sind mit aller
Macht dagegen zu Felde gezogen." Will man nun wissen, wie
die Kritik zu Felde zog? „Die Leute werden jetzt
durch Gendarmen ins Opernhaus getrieben, damit die Oper
Rienzi nicht vor leeren Banken gegeben werde. Man hat bereits
den Vorschlag gemacht, die gefangenen Polen in den Rienzi zu
schicken Myroslawsky soil ganz blass vor Schreck
geworden sein, als man ihm den Entschluss verkiindet hat, ihn
durch Rienzi zum Gestandnis zu bringen. Auf diese Art ware
Rienzi doch zu etwas guti" (Signale, im November 1847.) Das
sollte 30 Jahre lang der Ton der Presse in bezug auf Wagner
bleibeni Der beruhmte Musiktheoretiker Moritz Hauptmann
urteilte iiber die Tannhduser-OwYtnnvt: „Ich halte sie fur ein
ganz verungliicktes, ungeschickt konzipiertes Produkt
ganz grasslich, unbegreiflich, ungeschickt, lang und langweilig
wer so ein Ding machen und stechen lassen kann wie
diese Ouverture, dessen Kiinstlerberuf scheint mir sehr wenig
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 371
entschieden". Noch im Jahre 1870 bezeichnete die selbe „Autori-
tat« Wagner's Buhnenwerke als „Kunstnichtse« und „absurdes
Herumgefasel im Metrischen und Harmonischen".^) Und iiber
Lohengrin — dieses Weri-;, welches Liszt „ein einziges unteil-
bares Wunder das hochste und voUendetste Kunstwerk"
nannte — durfte noch im Jahre 1866, also 20 Jahre nach seiner
Vollendung, die gesamte Berliner Presse Urteile wie die fol-
genden fallen: die Musik zu Lohengrin sei „die zum Prinzip
erhobene Formlosigkeit ein frostiges, Sinn und Gemiit
gleichmassig erkaltendes Tongewinsel ein Abgrund der
Langeweile melodisch-leer (I) jedes Gefuhl fiir
das Edle und Wurdige in der Kunst reagiere gegen eine solche
Verhohnung des innersten Wesens der Musik usw." Trotz
des Andrangs des Publikums behauptete ein Kritiker: „Weder
fur die mystischen Beziehungen der Handlung, noch fiir die
kindlich stammelnde Sprache der Musik hat sich ein grosser
Kreis von Verehrern gefunden".^) Mehr als 30 Jahre lang
begegnen wir auch iiberall der selben stereotypen ironischen
Redensart: „Nur eine kleine Schar Auserwahlter ist befahigt,
alle die gepriesenen Schonheiten des Werkes aufzufinden und
zu geniessen"; zuerst tauchte diese Redensart in der „Neuen
Zeitschrift fiir Musik" vom Jahre 1846 auf und bezieht sich
auf Tannhduser! Zuletzt musste in bezug auf Tannhduser die
Kritik nachgeben; dann hiess es aber: „Die wirkliche Gunst,
in der Tannhduser steht, iibertragt sich insoweit auch auf den
Lohengrin, dass trotzdem usw." Dann gibt die
Kritik zu, auch Lohengrin sei ein Meisterwerk, sogar ein
„geniales Meisterwerk". Zur Erlangung dieser Einsicht haben
die grossten deutschen Blatter allerdings durchschnittlich 25Jahre
gebraucht. Aber Tristan! das sei dagegen eine entschiedene
Verirrung. Spater bekommt Tristan den Stempel des Meister-
werkes; der Ring ist aber ganz unleugbar eine Monstrositat.
*) Die „Grenzboten" waren es, die sich die Verbreitung dieses Blod-
sinns angelegen sein liessen. (Nachtrag. — Die Nennung des Jahres 1870
beruht, wie ich erfahre, insofern auf Irrtum, als die betreffenden Ausserungen
zwar damals erst veroffentlicht wurden, doch von friiher datieren und Privat-
mitteilungen entnommen sind.)
'^) Noch ausfiihrlichere Zitate findet man in Tappert's Richard Wagner,
S. 57PF.; sie sind alle aus den grossten Berliner Zeitungen.
24*
372 DRITTES KAPITEL
Und SO geht es weiter. Unter dem Einfluss dieser leitenden
Zeitungen stimmten die meisten Menschen in den selben Ton
ein. Wilhelm Liibke z. B., der vielgenannte Kunsthistoriker,
horte zufallig in Heidelberg eine Auffiihrung der Meistersinger,
eine einzige; sofort verkiindete er in einem der gelesensten
Blatter deutscher Zunge, „die ganze Partitur sei nicht so viel
wert wie ein einziges Lied von Gumpert!" Diese beschamende
Jammerlichkeit erwahne ich hier zunachst, um darzutun, dass
der Widerstand gegen Wagner nie vom Publikum, sondern
immer von der Kritik und von den leitenden „Kunstkreisen"
ausgegangen ist; die Stimmung gegen Wagner, die dann bei so
vielen Gebildeten gefunden wurde, die unsinnigen Behauptungen,
die noch heute iiber seine Werke und iiber seine Person im
Gange sind, das ist alles nur das kunstliche Produkt jenes
Federkrieges; hoffentlich tragt diese Einsicht mit dazu bei, uns
alien iiber den Wert unserer Presse die Augen zu offnen. Es
ist aber ausserdem wichtig zu wissen, dass, wahrend Lohen-
grin z. B. etwa ein Vierteljahrhundert heftig bekampft wurde,
Tristan zehn Jahre nach den namenlosen Schmahungen, die
sein Erscheinen begriisst batten, die „Lieblingsoper" der Mun-chener geworden war; der Ring des Nibelungen war schon
fiinf Jahre nach seiner ersten Auffiihrung nicht nur iiber alle
grosseren Biihnen Deutschlands, sondern fast ganz Europas im
Triumph gezogen; zu Parsifal schliesslich stromten von Anfang
an die Menschen aus alien Weltteilen nach Bayreuth. Manschenke also der Mare von dem leichteren Erfolg der friiheren
Werke keinen Glauben.
Diese Behauptung hangt namlich mit jener zweiten, ebenso
haltlosen zusammen, Wagner habe bis zu Lohengrin sehr schone
Opern geschrieben, nach seiner Verbannung jedoch sei er
in „nebelhafte Theorien" beziiglich eines „Gesamtkunstwerkes"
hineingeraten, er sei auf einmal von einer Reformwut erfasst
worden usw. usw. Das alles ist vollkommen aus der Luft
gegriffen; es gibt gar keinen Bruch, keinen Sprung, keine
plotzliche Abschwenkung in Wagner's kiinstlerischer Entwicke-
lung. Wir haben gesehen, wie er in seinen vier ersten Biihnen-
werken, einem ganz instinktiven Triebe folgend — der Sehn-
sucht namlich, genau das zum Ausdruck zu bringen, was es
ihn als Dichter auszusprechen drangte — wir haben gesehen,
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 373
wie er Schritt fur Schritt seinem Ziele naher kam: nicht zwei
dieser Werke sind sich ahnlich, jedes ist ein besonderes, neues
Glied in der Entwickelungsreihe. Mit Tannhdiiser und Lohen-
grin wurde diese Entwickelung nunmehr abgeschlossen: „Erst
an dem vollendeten Tannhduser und endlich an dem vollen-
deten Lohengrin bin ich mir iiber eine Richtung vollkommenklar geworden, in die mich unbewusster Instinkt trieb" (Bf. an
Liszt vom 22. Mai 1851). Diese ganze Entwickelung hat —trotzdem sie instinktiv und nur von einer positiven Erfahrung
zur anderen fortschritt — nach den strengsten Gesetzen der
Logik stattgefunden; ich wtisste nicht, wo man in der Ge-schichte der Kunst etwas Ahnliches fande; zu erklaren ist das
Phanomen wohl nur durch die ungewohnliche Energie von
Wagner's Charakter, die ihn gewissermassen von der Welt
abschied und ihn mit der Atmosphare seines eigenen Tuns undHoffens umgab. Es findet aber ebensowenig eine Anderung in
der Richtung statt zwischen Lohengrin und den folgenden grossen
Werken der zweiten Lebenshalfte; jetzt ist sich der Meister
„vollkommen klar geworden", nicht aber klar iiber ein neues
Ideal, iiber eine neu zu erstrebende Kunstgattung, sondern
klar iiber das, was er erreicht hat. Jene angeblich spatere
„Richtung" batte er ja mit seiner Tragodie aus den Gymnasial-
jahren und mit dem darauffolgenden Schaferspiel eingeschlagen.
Mit Bewusstsein blickt er aber jetzt erst, nach Vollendung des
Lohengrin — ja sogar, wie wir sehen werden, erst etwas spater
— iiber die ganze Reihe zuriick; jetzt erst versteht er sich
selber und wird er infolgedessen Herr jener inneren Not-
wendigkeit, der er zwar auch fernerhin gehorchen muss, vonder er sich aber nicht mehr blind lenken lasst, sondern der
er nunmehr mit vollbewusster Meisterschaft die Wege weist.
Es ware hochst sonderbar, wenn wir die Werke seiner ersten
Lebenshalfte um so mehr bewundern wollten, je mehr sie sich
der bewussten, freien Meisterschaft nahern, dann aber das
vollendete Werk seiner Mannesreife geringer schiitzten. Ebensosonderbar ist allerdings jene andere, jetzt namentlich in Frank-
reich sehr verbreitete Auffassung, nach welcher alle Werke,die Tristan vorangehen, nur historischen Wert besitzen sollen;
es ist das ein engherziger, widerlich unkiinstlerischer Dogma-tismus, wie wenn man dekretieren wollte, die Blume set schoner
374 DRITTES KAPITEL
als die Knospe, das lachende Kind und der begeisterte Jiing-
ling verdienten keine Beachtung neben dem Manne. Wagner
sagt irgendwo, es sei leichter Die Meistersinger gut aufzufiihren
als Tannhduser ; vielleicht ist es auch leichter, die Schonheiten
seiner letzten Werke voll zu empfinden als die der friiheren.
Die friiheren sind eben wirklich Knospen ahnlich: manches
ruht da verborgen, unentwickelt. In Tannhduser und Lohengrin
beginnt aber diese Knospe aufzubliihen; gerade diese beiden
Werke vereinigen die Vorziige der noch unbewussten Jugend
mit denen der eriangten Meisterschaft.
Biographische Mit Tunnhduser und Lohengrin betreten wir ein literarischBedeutung
^j^j ^ebautes Gebiet. AUe friihesten Wagnerschriftsteller —Liszt, Muller, Pohl — haben Broschiiren iiber Tannhduser
geschrieben. Von 1849 bis heute haben die sagenwissenschaft-
lichen, historischen, musikalischen, poetischen Kommentare nie
zu erscheinen aufgehort. Eine solche Tatsache ist hochst be-
achtenswert; denn hat es in der Masse auch manches Minder-
wertige gegeben, mischt sich heutzutage auch geschaftliche
Spekulation haufig darein — von Liszt bis Ferdinand Pfohl
wurde doch vieles Schone und Tiefe iiber Tannhduser ge-
schrieben. Ahnliches gilt fiir Lohengrin. Vielfach spottet maniiber die Wagnerliteratur; man sollte eher daraus einsehen
lernen, wie tief und anhaltend die Anregungen sind, die aus
des Meisters Kunstwerken geschopft werden und die den
Wunsch nach weiterer Belehrung, nach tieferem Eindringen
wecken. Hier habe ich mich mit diesen exegetischen Ver-
suchen nicht welter abzugeben; ich begniige mich damit, fiir
Tannhduser und Lohengrin noch einmal vor allem auf Liszt
hinzuweisen.^) Ungleich wichtiger als alle solche Versuche ist,
was uns Wagner selber uber die Entstehung dieser Werke
in seiner Mitteilung an meine Freunde sagt. Er verkniipft
hier das rein Kiinstlerische mit den innersten Seelenerfahrungen
und entrollt dabei ein Bild seines Werdens, wie eben nur er
es konnte; ich werde nicht die herrliche Schrift — vielleicht
die ergreifendste aus seiner Feder — zerpfliicken, sondern ver-
weise den Leser darauf. Mir bleibt nur iibrig, in Anknupfung
') Gesammelte Schriften, Bd. Ill, 2. Abteilung „Richard Wagner" (Leipzig,
bei Breitkopf & Hartel, 1881). Dieser Band ist einzeln zu haben.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 375
an das friiher Ausgefiihrte einige Worte iiber die Bedeutung
des Tannhduser und des Lohengrin in dem Jtiinstlerischen
Entwickelungsgange des Meisters zu sagen.
Nicht lange nach der Vollendung des Lohengrin schrieb
Wagner in einem Briefer „Meine Richtung habe ich einge-
schlagen als Musiker, der von der Uberzeugung des uner-
schopflichsten Reichtumes der Musik ausgehend, das hochste
Kunstwerk, namlich: das Drama, will".^) In jener Stelle iiber
den Fliegenden Hollander, die ich am Schluss des vorigen
Abschnittes zitierte, sagte er dagegen: „Ich war ein Dichter,
der des musikalischen Ausdrucksvermogens fiir die Ausfiihrung
seiner Dichtungen sich im voraus bewusst war". Man sieht
deutlich ein, Musiker und Dichter sind eine Person; der
grossere Nachdruck liegt aber entschieden auf dem Worte„Musiker", und in jenem selben Briefe erklart der Meister,
warum: „Seitdem in unserer Zeit die Helden der absoluten
— dass heisst: von der Dichtkunst losgetrennten — Musik, und
endlich namentlich Beethoven die Ausdrucksfahigkeit dieser
Kunst, zumal durch das Orchester, zu einer vollig neuen,
friiher, und selbst von Gluck kaum noch geahnten, kiinst-
lerischen Potenz erhoben haben, wird allerdings der Einfluss
der Musik auf das Drama von Wichtigkeit geworden sein, da
sie natiirlicherweise Anspruch auf Entfaltung ihres Reichtumes
zu machen hat. Das Drama selbst musste also fur den Aus-
druck sich erweitern und diese, dem Reichtum musikalischen
Ausdruckes entsprechende Fahigkeit in ihm zu entdecken und
fortzubilden, schien mir lediglich dem Musiker selbst moglich
zu sein." In diesen Worten: „das Drama musste fiir den Aus-
druck sich erweitern" liegt zugleich die Bedeutung dieser
letzten Periode der Entwickelung eingeschlossen.
Vollkommen naiv — also rein kiinstlerisch — war Wagner
von der gegebenen Form der Oper ausgegangen; dass er Dra-
men — wirkliche Dramen — schaffen wollte, haben wir aus
seiner friihesten Entwickelung und auch aus seiner ganzen Art,
dichterisch und musikalisch zu gestalten, deutlich entnommen;
die konventionelle Form der hergebrachten Oper — mit ihren
') Bf. vom 17. Januar 1840 an Freiherrn von Biedenfeld.
376 DRITTES KAPITEL
Aden, Kavatinen, Ritornellen, Duetten, Terzetten, Choren am
Anfang und am Schluss jedes Aktes — hatte er aber als
ein Gegebenes, Feststehendes angenommen. Hierdurch wurde
jedoch offenbar seinem Drange nach dichterischer Gestaltung,
nach Vermahlung des Gedankens mit der Empfindung Gewalt
angetan; der Dichter war beschrankt und — mehr als bloss
das — er sah sich auf eine gerade fur die „Entfaltung des
musikalischen Reichtumes" gefahrliche Bahn gedrangt. Denn
die Musik kann nichts Spezielles, Zufalliges, Ausserliches aus-
drucken, sondern nur die Seele, das Innere. Damit also die
Dichtung dem einzig naturlichen Drange der Musik nach „Ent-
faltung ihres Reichtumes" entgegenkomme, muss die Hand-
lung nicht reicher, sondern im Gegenteil einfacher, dafur aber
tiefer gestaltet werden. Hier allerdings, in den geheimsten
Tiefen der Seele, eroffnet sich dem Dramatiker— aber „lediglich
wennerMusikerist" — ein unermessliches, bisher verschlossenes
dramatisches Gebiet; dagegen sind alle die pomphaften Aufzuge
und die sensationellen Szenen wie sie, dem Melodrama ent-
nommen und auf das ausserste getrieben, die stehende Faktur
der Oper geworden sind, gar nicht der fur die Entfaltung der
Musik geeignete Stoff. Beim Anhoren des Rienzi sagte auch
sofort der alte Spontini von Wagner: „C'est un homme de
genie, mais deja il a plus fait qu'il ne peut faire"; eine wirklich
treffende Kritik, da der „Mann von Genie" hier der Musik als
Organ des Ausdrucks eine Tat zugemutet hatte, welche sie
nicht imstande ist, allein zu vollbringen; sie hatte ja eigentlich
das ganze Drama geben sollen, wenigstens den ganzen „Aus-
druck". Insofern hatte auch gewiss die Entwickelung bis Rienzi
nach einer falschen Richtung hin stattgefunden, dafiir aber, wie
wir schon gesehen haben, nicht nur die Erfahrung des Kunstlers
bereichert, nicht nur ihm nahegelegt, dass dieser Weg nicht
der richtige sei, sondern sie hatte ihm den positiven Dienst
geleistet, seine Handhabung des musikalischen Ausdruckes bis
zur vollen Meisterschaft ausreifen zu lassen. Und erst diese
Meisterschaft in der Handhabung des musikalischen Ausdruckes
verlieh ihm die Macht, nunmehr „das Drama zu erweitern",
nunmehr die „dem Reichtum musikalischen Ausdruckes ent-
sprechende Fahigkeit im Drama zu entdecken und fortzubilden".
Erst als Wagner ganz Musiker geworden war, konnte er mit
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 377
Erfolg „das hochste Kunstwerk, namlich: das Drama" wollen;
denn das vollendetste Drama, das deutsche Drama, kann „ledig-
lich der Musiker wollen".
Ich glaube nun, wir geraten keineswegs in das kiinstlich
Systematische, wenn wir die drei auf Rienzi folgenden Werke— Der Fliegende Hollander, Tannhduser und Lohengrin —als die Werke betrachten, in welchen jene vom Musiker entdeckte
„Fahigkeit des Dramas" fortgebildet, in welchen das Drama —noch halb unbewusst und darum gewissermassen mehr tastend
als prinzipiell — erweitert wurde. Sehen wir von dem inneren
und eigenen Wert eines jeden dieser Werke ab, da wir ja
diesen Kunstwert als ein Absolutes zu erachten haben, so er-
scheint mir diese allmahliche Erweiterung des Dramas als ihre
klare Bedeutung in dem Entwickelungsgange des Meisters.
Wir konnten uns auf Wagner selbst berufen, um die Be-
hauptung aufzustellen, Tannhduser sei ein grosser Fortschritt
iiber den Fliegenden Holldnder und Lohengrin ein merklicher
Fortschritt iiber Tannhduser. Allzu grosses Gewicht mochte
ich allerdings auf diese Auffassung nicht legen — jenes schonen
Wortes Schopenhauer's eingedenk: „Die Kunst ist iiberall amZiel." Jedoch, die allmahliche formale Vervollkommnung, das
heisst also die allmahlich stattfindende Entfernung von der
vorgefundenen Opernschablone zu der neuen, freien, vom jedes-
maligen Stoff abhangigen Form des neuen Dramas ist zu auf-
fallend, als dass sie geleugnet werden konnte. „Das unwill-
kiirliche Wissen von jener traditionellen Opernform", schreibt
Wagner, „beeinflusste mich noch bei meinem Fliegenden
Holldnder so sehr, dass jeder aufmerksam Priifende erkennen
wird, wie sie mich hier oft noch fur die Anordnung meiner
Szenen bestimmte; und erst allmahlich, mit dem Tannhduser^
und noch entschiedener im Lohengrin, also nach immer deut-
licher gewonnener Erfahrung von der Natur meiner Stoffe
und der ihnen notigen Darstellungsweise, entzog ich mich
jenem formellen Einflusse ganzlich und bedang die Form
der Darstellung immer bestimmter nur nach der Erfordernis
und der Eigentiimlichkeit des Stoffes und der Situation"
(IV, 392). Diese Form der Darstellung zergliedert sich von
selbst in zwei Bestandteile: die Wortdichtung und die Ton-
dichtung.
378 DRITTES KAPITEL
Wie sich die Wortdichtung allmahlich von der festgesetzten
Opernform entfernte, ist besonders deutlich zu sehen. In der
ersten Handschrift der Dichtung zum Fliegenden Hollander
(datiert Meudon 18. Mai bis 28. Mai 1841),*) die fast wortlich
mit der bekannten endgiiitigen Fassung iibereinstimmt,-) ist
nicht bloss die aussere, sichtbare Einteilung in Szenen beibe-
halten, sondern die drei Szenen des ersten Aktes z. B. sind
betitelt „Indroduktion", „Arie« und „Szene, Duett und Chor«;der Schluss des zweiten Aktes vom Eintritt des Hollanders
an ist iiberschrieben „Szene, Duett und Terzett", usw. Wiefrei auch der Meister sich innerhalb der sich selbst gesteckten
Grenzen bewegen mag, in diesen Titeln kommt doch eine Be-
fangenheit zum Ausdruck. Auch dass jeder der drei Akte mit
einem Chor beginnt, ist eine alte Operngewohnheit; nach demHollander hat Wagner fast nie mehr einen Chor am Anfang
eines Aufzuges angebracht. Von weit eingreifenderer Bedeutungals diese rein formelle Unselbstandigkeit ist aber eine andere
Eigenschaft der Holldnder-Dichtungy die der Meister ebenfalls
als Befangenheit bezeichnet. Zwei Eigenschaften liegen namlich
einem guten Drama zugrunde: die haarscharfe Bestimmungseines Gegenstandes und die erschopfende Darstellung dieses
Gegenstandes. Wagner meint nun, in seinem Hollander sei
„vieles noch unentschieden, das Gefiige der Situationen meist
noch verschwimmend . . ." es sei alles nur „in weitesten,
vagesten Umrissen gezeichnet", usw. Dieses Urteil diirfte
manchen etwas hart erscheinen: tritt doch wenigstens das
Hauptmotiv — die Erlosung des Sunders durch die Liebe der
keuschen Jungfrau „treu bis in den Tod" — in scharfem Relief
hervor. Unleugbar ist dagegen, dass dieses gewaltige dramatische
Motiv nicht erschopfend behandelt wird, und dies ist die eigent-
liche Befangenheit des Dichters. Dieser wusste noch nicht,
was er spater so klar erkannte, dass die Mitwirkung der Ton-
kunst „den Atem der Dichtkunst zu ungeahnter Fiille aus-
1) Die Einsicht in diese Handschrift verdanke ich dem freundlichen
Entgegenkommen des Herrn Alexander Ritter.
") Nur spielt das Stiick an der schottischen, nicht an der norwegischen
Kiiste, was einige Namenanderungen erklart: Daland hiess Donald und Erik
Georg. In einem noch fruheren Prosaentwurf wird die Tragerin der Haupt-
rolie Anna — nicht Senta — benannt!
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 379
dehnen wurde" (II, 185). Der Fliegende Hollander ist echte,
tiefe Dichtkunst; das Werk ist ein Drama im vollsten Sinne
des Wortes, und die Gestait des „bleichen Seemannes" stelit
so gross und plastiscli greifbar vor uns da wie irgend eine
spatere des Meisters — und wie irgend eine friihere der
dramatischen Kunst. Das Ganze ist aber doch nur eine Skizze;
denn das Bezeichnende des neuen Dramas ist, dass es die Vor-
gange in der innersten Seele — jenen kiinstlerisclien Gehalt
der „Gedanken" — ersciiopfend darstellen kann, und in demHollander geschieht das nicht. Der innere Mensch und mit
ihm die Musik kommt hier wirklich zu kurz: der Dichter
entwirft Gestalten ganz nach ihrem Herzen, unterlasst aber
dann deren weitere Ausfiihrung. Es liatte sich eben dieser
Dichter aus den Windein der Oper erst halb losgewunden und
wagte noch nicht, sich auf seinem eigenen Gebiete frei zu be-
wegen. Die „dem Reichtum des musikalischen Ausdruckes ent-
sprechende Fahigkeit des Dramas" — dessen notwendige „Er-
weiterung"— wurde von ihm erst geahnt— noch nicht klar erkannt.
Zu einem kritischen Verstandnis der Dichtungen zu Tannhduser
und Lohengrin in ihrer Bedeutung als Entwickelungsstufen
zum bewussten neuen Drama ist nun vor allem die ganz klare
und scharfe Auffassung der besprochenen Vorzuge und Mangel
des Fliegenden Hollanders vonnoten. Sie geniigt sogar voll-
kommen und macht ein analytisches Zergliedern jener herrlichen
folgenden Werke iiberfliissig. In ihnen sehen wir den Dichter
sich immer mehr von der Opern-Schablone entfernen und sich
immer mehr der vollkommenen kiinstlerischen Form des Wort-
Tondramas nahern. Das Prinzip dieser Form ist aber, „die
Kraft der Darstellung auf wenige, immer wichtige und entschei-
dende Momente der Entwickelung zu konzentrieren; bei diesen
wenigen Szenen aber, in denen jedesmal eine entscheidende
Stimmung sich zur vollen Geltung zu bringen hat, darf der
Dichter in der Ausfiihrung mit einer bereits in der Aniage wohl
berechneten, den Gegenstand erschopfenden Ausdauer verweilen"
(vgl. IV, 391). Wenige Momente und diese wenigen Momenteerschopfend behandeln: dieses Prinzip kommt in den drei vor-
liegenden Werken immer bewusster zur Anwendung. Die Redu-
zierung auf wenige Momente ist gleich im Fliegenden Hollander
um so auffallender, als der iiberreiche Rienzi unmittelbar voran-
380 DRITTES KAPITEL
gegangen war; dagegen fehlt hier, im Hollander, dieerschopfende
Behandlung. Im Tannhduser sind die dramatischen Momente
wieder viel zahlreicher; wir finden aber hier in dem zweiten
und dritten Ai^t eine erschopfende Behandlung dieser Motive,
dieser inneren Handlung, wie sie der Meister friiher nie
gewagt hatte.^) Der Fortschritt in der Entfernung von den
Opernformeln ist auffallend: in dem ganzen Werke kommt ein
einziges Duett vor; die Chore erhalten eine hohe dramatische
Bedeutung und treten nicht ein einziges Mai unmotiviert opern-
haft auf, wie z. B. der Spinnerinnenchor im Holldnder. In
Lohengrin konnte man zuerst geneigt sein, eine riicklaufige
Bewegung anzunehmen, namentlich wenn man die vielen Chore
auf unseren Operntheatern aufgeliihrt sieht. Bei der Auffuhrung
in Bayreuth bekommt man allerdings einen wesentlich anderen
Begriff von der dramatischen Absicht dieser Chore. Undwenden wir uns der Betrachtung des Ganzen zu, so miissen
wir gestehen, hier wurde ein Wunder vollbracht: eine Hand-
lung, die viel mehr Nebenmotive mit sich fiihrt, als Wagnerspater geduldet hatte — ich meine, eine Handlung, die schon
durch ihre Konzeption eine sehr reiche „opernmassige" Erschei-
nung bedingt, wird hier auf so wenige und so plastisch deut-
liche Momente reduziert, dass ein Kind sie sofort auffasst. Vonallerkompetentester Seite ist behauptet worden, die gesamte
Weltdichtung besitze keine so klare, einfache und zugleich
drastisch-dramatische Exposition wie den ersten Akt des
Lohengrin! Und hier muss ich, wenn auch nur im Vorbei-
gehen, auf das Moment der Sichtbarkeit in Wagner's Dramendie Aufmerksamkeit lenken. Ein Stocktauber versteht die
Handlung des Lohengrin in alien ihren Hauptziigen voll-
kommen durch den blossen Eindruck der Biihnenbilder. Das
hiingt mit der wesentlichsten Eigenschaft der neuen dramatischen
Form zusammen. Die Musik kann namlich nichts Zufalliges,
durch Intriguen Gekniipftes, auf willkiirlichen Konventionen
Beruhendes zum Ausdruck bringen, sondern allein das „Rein-
menschliche", das alien Menschen Gemeinsamej dieses „Rein-
^) Die erschopfende Behandlung des Motivs im ersten Akt fand erst
durch die im Jahre 1860 neu komponierte Venusbergszene statt; hierdurch
wurde also das dramatische Gleichgewicht hergestellt.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 3S1
menschliche" ist aber auch alien Menschen ohne Erklarung un-
mittelbar verstandlich. Je mehr also ein Drama auf die ein-
fachen, reinmenschlichen Motive beschrankt wird, um so „sicht-
barer" wird die dargestellte Handlung werden. Gesicht undGehor erganzen sich hier; wir lernen Wagner's Wort verstehen:
„Ich hatte meine Dramen gern als ersichtlich gewordene Taten
der Musik bezeichnet" (IX, 364). Auf das „Reinmenschliche"
als einzigen legitimen Gegenstand des Wort-Tondramas kommeich bald zuriick; hier wollte ich nur — ohne irgend welche
theoretische Betrachtung daran zu kniipfen — auf die Tatsache
hinweisen, dass Wagner's Dramen immer sichtbarer, immerplastischer werden. Er ist der „Seher«, der bei allmahlich
wachsender Kiinstlerschaft das Bild in seinem Innern immervollkommener auf die Biihne zu projizieren versteht.') Mansieht auch, wie schlecht es um die Weisheit jenes beriihmten
kritischen Urteils steht, Wagner sei weder ein grosser Dichter
noch ein grosser Musiker, wohl aber ein „dekoratives Genie";-)
denn um jene Reihe von Bildern, die den sichtbaren Leib des
Lohengrin-Dramas ausmachen, auf die Biihne werfen zu konnen,
muss man sie erst mit dem inneren Auge erschaut haben, undwer das kann, besitzt die allerhochste dichterische Kraft: die
Gestaltungskraft. Alles wahre Dichten — von Homer bis zu
Dickens — ist „Sehen"; von einem Manne zu sagen, er sei ein
Genie in bezug auf das Sehen, dennoch aber kein Dichter, ist
also eine contradictio in adjecto, wie sie schreiender gar nicht
gedacht werden kann. In Lohengrin erleben wir nun, wie ge-
sagt, die Zuriickfiihrung eines an das Historische und Massen-hafte streifenden Dramas auf seine einfachsten, reinmenschlichen
Motive, die dann auch eine fast erschopfende Behandlung erfahren.
Und wir sehen, wie in diesen drei Werken — Der Fliegende
Hollander, Tannhduser und Lohengrin — der Musiker jene „demmusikalischen Ausdruck entsprechende Fahigkeit des Dramas"nach und nach „fortbildet''.
Betrachten wir nun die spezielle Tondichtung, so werden
wir eine ahnliche Progression vom Hollander an wahrnehmen;
') Vgl. den Abschnitt „Kunstlehre% S. 290.
') Dieses Urteil wurde gelegentlich der ersten Auffiihrung des Lohengrin
in Wien (1859) ausgesprochen; seitdem hat sein Urheber es zuriickgezogen;
es lebt aber das gefeite Leben solcher „geistvollen" Aphorismen.
382 DRITTES KAPITEL
es ist auch gar nicht anders moglich, da Musiker und Dichter
der eine, selbe, nach Ausdruck ringende Poet sind. Wir horten
Wagner sagen: „Vom Hollander an beginnt meine Laufbahn
als Dichter, mit der ich die des Verfertigers von Operntexten
verliess".') Mit genau dem selben Recht hatte er aber erklaren
konnen: „Von hier an beginnt meine Laufbahn als dramatischer
Musiker, mit der ich die des Verfertigers von Opernmusik
verliess". In beiden Behauptungen liegt etwas Einseitiges, nur
bedingt Aufzufassendes. Denn Wagner war von allem Anfang
an Dichter, und von allem Anfang an hatte er die Neigung,
seiner Tondichtung die einheitliche symphonische Form zu
geben. Schon in jenem friihen Versuch, Die Hochzeit, sahen
wir ein ausgesprochen musikalisch-dichterisches und zur
symphonischen Verwertung vorziiglich geeignetes Motiv;^) in
Rienzi hatte diese instinktive Anlage bereits eine hohe Aus-
bildung erfahren. Es war aber noch immer kein iiber das
ganze Drama ausgebreitetes symphonisches Gewebe, welches
zugleich die aussere Einheit bewerkstelligt und die innere Ein-
heit der Handlung dem Gefiihl unmittelbar dartut. Wie die
weitere Ausbildung hier geschah, will ich in des Meisters eigenen
Worten erzahlen: „Auch auf dieses Verfahren, das in seiner
beziehungsvollen Ausdehnung iiber das ganze Drama nie zuvor
angewandt worden ist, bin ich nicht durch Reflexion, sondern
einzig durch praktische Erfahrung und durch die Natur meiner
kiinstlerischen Absicht hingeleitet worden. Ich entsinne mich,
noch ehe ich zu der eigentlichen Ausfiihrung des Fliegenden
Hollanders schritt, zuerst die Ballade der Senta im zweiten
Akte entworfen und in Vers und Melodie ausgefiihrt zu haben;
in diesem Stiicke legte ich unbewusst den thematischen Keimzu der ganzen Musik der Oper nieder: es war das verdichtete
Bild des ganzen Dramas, wie es vor meiner Seele stand; und
als ich die fertige Arbeit betiteln sollte, hatte ich nicht iibel
Lust, sie eine „dramatische Ballade" zu nennen. Bei der end-
lichen Ausfiihrung der Komposition breitete sich mir das
empfangene thematische Bild ganz unwillkiirlich als ein voll-
standiges Gewebe iiber das ganze Drama aus; ich hatte, ohne
') Siehe S. 364.
2) Siehe S. 343.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 383
weiter es zu wollen, nur die verschiedenen thematischen Keime,
die in der Ballade enthalten waren, nach ihren eigenen Rich-
tungen hin weiter und vollstandig zu entwickeln, so hatte ich
alle Hauptstimmungen dieser Dichtung ganz von selbst in be-
stimmten thematischen Gestaltungen vor mir. Ich hatte mit
eigensinniger Absicht willkiirlich als Opernkomponist verfahren
miissen, wenn ich in den verschiedenen Szenen fiir dieselbe
wiederkehrende Stimmung neue und andere Motive hatte er-
finden wollen; wozu ich, da ich eben nur die verstandlichste
Darstellung des Gegenstandes, nicht aber mehr ein Konglomerat
von Opernstiicken im Sinne hatte, naturlich nicht die mindeste
Veranlassung empfand. Ahnlich verfuhr ich nun im Tann-
hduser und endlich im Lohengrin; nur dass ich hier nicht von
vornherein ein fertiges musikalisches Stiick wie jene Ballade
vor mir hatte, sondern das Bild, in welches die thematischen
Strahlen zusammenfielen, aus der Gestaltung der Szenen, aus
ihrem organischen Wachsen aus sich selbst erst schuf, und in
wechselnder Gestalt uberall da es erscheinen Hess, wo es fiir
das Verstandnis der Hauptsituation notig war. Ausserdem
gewann mein Verfahren, namentlich im Lohengrin, eine be-
stimmtere, kiinstlerische Form durch eine jederzeit neue, demCharakter der Situation angemessene Umbildung des thema-
tischen Stoffes, der sich fiir die Musik als grossere Mannig-
faltigkeit der Erscheinung auswies, als dies z. B. im Fliegenden
Hollander der Fall war, wo das Wiedererscheinen des Themasoft noch nur den Charakter einer absoluten Reminiscenz (in
welchem Sinne dies schon vor mir bei anderen Komponisten
vorgekommen war) hatte" (IV, 393). Das ist die Entstehung
und das Werden des symphonischen Gewebes in Wagner's
Werken mit seinem wunderbaren Unterbau von thematischen
Gebilden, so ungliicklich „Leitmotive" getauft und durch Analyse
so grausam ihres poetischen Duftes beraubt. Von genau der
selben Wichtigkeit war die Ausbildung eines anderen Ele-
mentes des Tonkorpers: der Sprachversmelodie, wie Wagner
es nannte. „Die Melodie musste ganz von selbst aus der Rede
entstehen; fur sich, als reine Melodie, durfte sie gar keine Auf-
merksamkeit erregen, sondern dies nur so weit, als sie der
sinnlichste Ausdruck einer Empfindung war, die eben in der
Rede deutlich bestimmt wurde" (IV, 396). Auch hier geschah
384 DRITTES KAPITEL
die Befreiung aus der konventionellen Opernmelodie nur allmah-
lich; im Hollander, gesteht Wagner, habe ihn der gewohnte
Melismus fiir den Sprachausdruck noch sehr beeinflusst, in
Tannhduser und Lohengrin habe er sich diesem Einflusse immer
bestimmter entzogen. Hand in Hand mit diesen Errungen-
schaften, nicht willkiirlich ersonnen, sondern bedingt durch den
mit organischer Notwendigkeit fiir das neue Drama sich aus-
bildenden neuen Stil, entwickehen sich nun auch nach und nach
Prinzipien der harmonischen Charakteristik, der Bedeutung der
Tonarten und der Instrumentation, die in eben dem selben
Masse von den in der „absoluten Musik" geltenden Gesetzen
abwichen, wie die Regeln des gesprochenen Dramas sich von
denen der stummen Pantomime entfernen.
Zur naheren Belehrung iiber diese die musikalische Technik
interessierenden Fragen verweise ich auf Wagner's Schriften^)
und fiir Tannhduser und Lohengrin im besonderen auf das
schon ofters genannte Buch Franz Liszt's, in welchem selbst
der musikalische Laie durch die eingehende Analyse von Instru-
mentation, Harmonisation und Melodiefiihrung fiir die wunder-
bare Struktur des Tongebaudes Verstandnis gewinnt. Fines
wird auch der in musikalischer Technik gar nicht Bewanderte
verstehen, namlich, dass diese verschiedenen und so tief ein-
greifenden Neuerungen zu einer immer grosseren Formvoll-
endung der Tonschopfungen fiihren mussten. Denn eine Form
ist um so voUendeter, je weniger sie aus der Willkur des
schaffenden Kunstlers hervorgeht und je zwingender sie seiner
Phantasie von dem Stoff als die ihm einzig entsprechende Ge-
staltung aufgenotigt wird. In der Oper herrscht aber die Willkiir
fast unbeschrankt; ihr Gesetz ist: car tel est mon bon plaisir.
Die sogenannte „Opernform" war eine Schablone, eine durch
willkurliche Annahmen festgesetzte Schablone; eine wirklich
1) Vor alien auf die hier oft angefuhrte Mitteilung an meine Freunde
(1851) und dann besonders auf den Aufsatz Ober die Anwendung der Musik
auf das Drama (1879). Von den sog. „Wagnerforschern" ist wohl M. Alfred
Ernst derjenige, der auf diesem Gebiete am weitesten vorgedrungen ist und
das grosste Vertrauen verdient; sein Hauptwerk L'Art de Richard Wagnet
(Bd. I: L'oeuvre poetique, Bd. II: L'oeuvre musicale) ist alien auf das wiirmste
zu empfehlen, die gern in das Innere des musikalisch-dichterischen Gewebes
von Wagner's Dramen weiter eindringen wollen.
ST. PETERSBURG 1863
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 385
kunstlerische Form war sie nie. Die Form musste nun Wagner
fiir sein Wort-Tondrama von Grund aus schaffen — nicht er-
finden, wohl aber auffinden. Man nennt Wagner einen „Refor-
mator der Oper"; eine irrigere Bezeichnung ist kaum denkbar
fiir den Mann, der schon in jungenjahren erkannt hatte: „Nur
aus der vollstandigen Umkehrung des bisherigen Verfahrens
bei der Oper, konnte einzig das Richtige geleistet werden".
Dagegen hatte er bereits in Lohengrin seine eigene, durchaus
neue, von der „Oper" nie auch nur vorgeahnte Form zu solcher
Vollkommenheit ausgearbeitet, dass Liszt schreiben konnte:
„Die Musik dieser Oper hat als Hauptcharakter eine solche
Einheit der Konzeption und des Stils, dass es in derselben
keine melodische Phrase und noch viel weniger ein Ensemble-
stiick Oder iiberhaupt irgend eine Stelle gibt, welche getrennt
vom Ganzen in ihrer Eigentiimlichkeit und in ihrem wahren
Sinne verstanden werden kann. Alles verbindet, alles verkettet,
alles steigert sich. Alles ist mit dem Gegenstand auf das engste
verwachsen und kann nicht von demselben losgelost werden."*)
Je einheitlicher aber Wagner's Werke wurden, je mehr sich
ihre Form einer geradezu unbegreiflichen Vollendung naherte,
um so mehr klagten die Musiker iiber Formlosigkeit, Willkiir,
Ikonoklasm usw. Ich habe schon die grotesk-monstrosc Dumm-heit zitiert, die Musik zu Lohengrin sei „die zum Prinzip er-
hobene Formlosigkeit"! Hierbei berief man sich nicht bloss
auf die alleinseligmachende Schablone der Oper, deren „ge-
schlossene Formen" (d. h. also deren Formlosigkeit als Ganzes)
man schmerzlich entbehrte, sondern namentlich auf den Kodexder absoluten Musik, von dem Wagner so entschieden abwich.
Und diese Kritiker wollten und konnten gar nicht begreifen,
dass gerade hier, bei Wagner, das Gesetz herrschte, dort aber,
in der absoluten Musik, nur die zur Tyrannei erhobene Willkiir!
Dass bei Wagner jede Modulation nicht allein dramatisch ge-
rechtfertigt, sondern auch dramatisch geboten war, konnten Leute
allerdings nicht einsehen, die sich eigensinnig darauf versteiften,
das Drama als ein Nebensachliches zu betrachten. Wenn ich
nun auf diesen mit Blindheit geschlagenen Unverstand hin-
weise, so geschieht das mit dem Zweck, den Leser darauf auf-
') a. a. O. S. 161.
Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 25
386 DRITTES KAPITEL
merksam zu machen, dass nichts bei Wagner bewundernswerter
ist als gerade die Vollkommenheit der Form. In dem Wesender Sache liegt es aber bedingt, dass diese Vollkommenheit sich
am unwiderleglichsten in der Tondichtung offenbart. Wagnerist vielleicht der einzige, der als echter Geistesverwandter
Johann Sebastian Bach's bezeichnet werden konnte, weii wir
bei diesen beiden Mannern die selbe ungeheure — bis zur
Schroffheit sich steigernde — Kiihnheit in der Anwendung des
musikalischen Ausdrucks finden, zugleich aber eine derartige
technische Vollendung bis in die letzte, scheinbar gleichgiiltigste
Einzelheit, dass ihre Partituren uns mehr wie Wunderwerke der
Natur als wie Erzeugnisse eines menschlichen Gehirns an-
muten. Man hat fast die Illusion, als sei das Element der
Willkiir hier ganz aufgehoben.
Vom rein biographischen Standpunkt aus kann man also
Tannhduser und Lohengrin als die Werke betrachten, in denen
die durch den Fliegenden Hollander eingeschlagene „neue Rich-
tung" — namlich die Richtung auf die bewusste „Erweiterung
des Dramas" — fur den dichterischen und den musikalischen
Ausdruck fortgebildet und zu hoher Vollkommenheit gebracht
wurde. Hierbei war, wie schon von den Feen an, der Musiker
stets dem Dichter um etwas voraus. In dem folgenden Ab-schnitt werde ich zeigen, wie erst nach Vollendung des Lohen-
grin dem Meister die letzte voile Aufkliirung iiber die Wahlund die Behandlung der dichterischen Stoffe im Tondrama zu
teil wurde. Dieser letzte Schritt des Dichters zum bewussten
Erfassen einer neuen dramatischen Form konnte eben erst ge-
schehen — das wird der Leser jetzt schon ohne weitere Er-
klarung verstehen — als der Tondichter die vollendete Meister-
schaft erreicht hatte; dieses geschah aber durch Lohengrin.
DIE VIER GROSSEN ENTWURFE
Wo der Kiinstler vermittelt und auswiihlt, ist
das Werk seiner Tatigkeit noch nicht das Kunst-
werk ; sein Verfahren ist vielmehr das der Wissen-
schaft, der suchenden, forschenden, daher will-
kiirlichen und irrenden. Erst da, wo die Wahl
getroPfen ist, wo diese Wahl eine notwendige war
und das Notwendige erwahlte, — da also, wo der
Kiinstler sich im Gegenstande selbst wiederge-
funden hat, wie der vollkommene Mensch sich in
der Natur wiederfindet, — erst da tritt das Kunst-
werk in das Leben, erst da ist es etwas Wirk-
liches, sich selbst Bestimmendes, Unmittelbares.
Richard Wagner
Im August des Jahres 1847 hatte der Meister seinen ist die .Oper*
Lohengrin vollendet. Auch hier noch war er sich durchaus "i°g''<='»?
nicht bewusst, dass er sich mit diesem Werke von der alten
Opernform losgesagt und eine neue Gestalt des Dramas ge-
schaffen hatte. Noch wahrend der Komposition des dritten
Aktes schrieb er an einen Freund: „Meine jetzigen und nachsten
Arbeiten gelten mir nur als Versuche, ob die Oper moglich sei".
Jedoch, wie dieser Satz zeigt, der Zweifel war schon aufgekeimt!
Der Frage, „ob die Oper moglich sei", kann unmoglich eine
andere Bedeutung beigelegt werden als diese: „ob das Werk,
das ich ersehne und erstrebe, innerhalb des Opernrahmens
moglich sei". Gerade der vollendete Lohengrin scheint Wagner
in diesem Zweifel sehr bestarkt zu haben; denn nun begann fiir
ihn eine mehrjahrige Ubergangszeit. Der Drang zur schopfe-
rischen Tatigkeit erlahmte nicht etwa — im Gegenteil, kraftiger
als je machte er sich fiihlbar — die Art aber, in der dieser Drang
sich ausserte, gleichsam nach den verschiedensten Richtungen
hin tastend, deutet auf eine ungewohnliche innere Erregung.
„Mit Lohengrin nimmt die alte Opernwelt ein Ende; der Geist
schwebt iiber den Wassern, und es wird Licht!" Das sagte
Liszt im Jahre 1858; inzwischen war es ja Licht geworden, und
ein so klarer Geist wie Liszt erkannte leicht diese hohe Be-
deutung des Lohengrin. So ganz von selbst war aber die Er-
25*
388 DRITTES KAPITEL
leuchtung nicht gekommen. Ehe dem Meister der Entschluss
reifte, sich endgiiltig von der Oper hinwegzuwenden, ehe er
die Grundbedingung des neuen Kunstwerkes klar erfasste, fuhr
er auch nach Lohengrin noch fort zu versuchen, „ob die
Oper moglich sei" — und aus der fieberhaften Art, in der das
geschati, empfinden wir die Verzweiflung des Kiinstlers, welcher
taglich deutliclier erkennt, sein Kunstwerk sei als „Oper" un-
moglich und dennoch erfordere es unbedingt die Mitwirkung
der Tonsprache, das heisst also des ganzen nur auf der Opern-
biihne vorhandenen Apparates. Fiir den dramatischen Dichter
bedeutete diese Zeit die Krisis seines Lebens.
In dem einen einzigen Jahre 1848 — jenem selben Jahre,
in welchem er seinen ausfiihrlichen Entwurf zur Organisation
eines deutschen Nationaltheaters ausarbeitete und in welchem
er auch politischen Fragen seine Aufmerksamkeit widmete und
seine Beredsamkeit lieh — sehen wir Wagner mit nicht weniger
als vier verschiedenen dramatischen Planen in vier ganz ver-
schiedenen Richtungen beschaftigt: Friedrich der Rothart, Sieg-
fried's Tod, Jesus von Nazareth, Wieland der Schmied.
Friedrich der Rotbart war als grosses historisches Drama
gedacht, „das in fiinf Akten Friedrich vom ronkalischen Reichs-
tage bis zum Antritt seines Kreuzzuges darstellen sollte". Dieser
Entwurf ist in Wagner's Gesammelte Schriften nicht auf-
genommen worden; nur der Niederschlag der weitausholenden
historischen Studien, zu denen der Plan Veranlassung gegeben
hatte, ist uns in der Schrift Die Wibelungen: Weltgeschichte
aus der Sage aufbewahrt. Siegfried's Tod ist ein grosses
mythologisches Drama, das Bruchstuck eines Versuches, den
ganzen Nibelungenmythos dramatisch zusammenzufassen. „Ehe
ich Siegfried's Tod dichtete, entwarf ich den ganzen Mythos
in seinem grossartigen Zusammenhang", berichtete Wagner spater
an Uhlig, „jene Dichtung war nun der — unserem Theater
gegeniiber von mir als zu ermoglichen gedachte — Versuch,
eine Hauptkatastrophe des Mythos mit der Andeutung jenes
Zusammenhanges zu geben" (U. 118). Beides, sowohl den voll-
stiindig ausgefiihrten Text zu dieser „Grossen Heldenoper"')
') Nach der im Besitze der Familie Ritter befindlichen Handschrift
wurde die Dichtung am 12. November 1848 begonnen und am 28. November 1848
vollendet.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 3S9
als auch die Skizze zur Dramatisierung des ganzen Mythos vomRaub des Rheingoldes an, findet der Leser im zweiten Bandder Gesammelten Schriften. Jesus von Nazareth liegt uns in
einer hochst interessanten Gestalt vor:^) nach einer ziemlich
ausfijhriiciien Prosa-Skizze des fiinfai^tigen Sciiauspiels folgen
„Ausfuhrungen« des Meisters, die weniger den Charakter drama-tischer Einfalie haben als den ausfiiiirlicher Dissertationen iiber
alle in diesem Stiicke beriihrten Probleme, z. B. iiber die Liebe,
iiber Gesetz und Siinde, iiber die Bedeutung des Todes, iiber
das Gottliche im Menschen usw.; zuletzt finden wir die vielen
eigenhiindig aus der Bibel abgeschriebenen Zitate, die ftir ein
eingehendes Studium der Heiligen Schrift Zeugnis ablegen. Mansieht, es handelt sich hier um ein ausgesprochen philosophi-
sches und religioses Drama.^) Ganz anderer Art wiederum ist
Wieland der Schmied, ein Werk, welches erst im Jahre 1849
festere Gestalt gewann und erst 1850 ausfuhrlich entworfen
wurde. Gleichviel ob Wagner diesen Stoff nach den alteren
skandinavischen Quellen oder nach Simrock's neuer und sehr
freier Umdichtung gestaltet haben mag,-^) es handelt sich hier
nicht um einen umfassenden Mythos, wie bei Siegfried's Tod,
sondern um eine jener sagenhaften Gestalten, bei denen der
symbolische Untergrund — wie beim Hollander, Tannhduserund Lohengrin — der scharfen Individualisierung keinen Ab-bruch tut.
1) Bei Breitkopf & Hlirtel 1887 erschienen. (Neue Ausgabe 1895.)
2) Uber dieses Werk vgl. Hebert, Le sentiment religieiix dans Voeuvre
de Richard Wagner, ch. Ill, wo sich zwar manche falsche Angabe und Schluss-
folgerung findet, die aus einer noch unvollkommenen Kenntnis des Meislers
herzuleiten ist, zugieich aber die aufrichtige Bewunderung eines katholischen
Priesters — namentliuh fiir die Art, wie Wagner „rauguste personnalite du
Sauveur" gezeichnet hat — die denjenigen zu denken geben sollte, welche hier
schlechthin ein „anarchistisches Drama" zu entdecken wahnen. Sehr schon
schreibt auch Professor Muncker: „Was den anderen alien nie gelingen
wollte, davon erwies Wagner mit uberlegener dichterischer Einsicht und
Kraft die Mogiichkeit, dazu zeigte er den Weg: er skizzierte ein nach alien
Regeln der Kunst gebautes, wahrhaftes Drama vom Tode Christi, das die
hochste sittliche und poetisch-dramatische Wirkung ausiiben musste usw."
(Richard Wagner, S. 44).
') Vgl. Rud. Schlosser, Wieland der Schmidt (Bayreuther Blatter, 1895
S. 43). Die beiden Fassungen Wagner's findet der Leser im dritten Bandder Gesammelten Schriften.
390 DRITTES KAPITEL
Es beschaftigten also des Meisters Phantasie zu gleicher
Zeit ein historisches, ein mythologisches, ein philosophisches
und (wie Wagner friiher gesagt hatte) ein „romantisches" Drama!
Und dazu kamen noch Projekte, die, wie es scheint, bis zu der
festeren Gestalt geschriebener Entwiirfe nicht ausreiften, vor
allem ein Achilleus, also ein klassisches Drama, und ausser-
dem mehrere komische Stoffe. Man sieht, wie wenig — oder
vielmehr wie ganz und gar nicht — theoretisch und systematisch
Wagner zu Werke ging. Zwischen einem Theoretiker und
Wagner ist genau der selbe Unterschied wie zwischen einem
Professor der Geographie und einem Entdeckungsreisenden.
Wagner suchte und suchte und suchte — bis er fand. Dann
allerdings, als er ^gefunden" hatte, als zu der reichen Erfahrung,
die sich aus seiner umfassenden Kenntnis der Werke der grossten
Dramatiker und Musiker und aus seiner eigenen schopferischen
Tatigkeit ergab, noch die neue Erfahrung hinzugekommen war,
welche ihm aus der inneren Verarbeitung dieser zahlreichen
Entwiirfe erwuchs — dann empfand er das Bediirfnis, sich voile
logische Klarheit zu verschaffen. „Schlagen wir die Kraft der
Reflexion nicht zu gering an*, schreibt der Meister in einem
Briefe aus dem Jahre 1847, „das bewusstlos produzierte Kunst-
werk gehort Perioden an, die von der unseren fernab liegen:
das Kunstwerk der hochsten Bildungsperiode kann nicht
anders als im Bewusstsein produziert werden. Dass nur die
reichste menschliche Natur die wunderbare Vereinigung dieser
Kraft des reflektierenden Geistes mit der Fiille der unmittel-
baren Schopferkraft hervorbringen kann, darin ist die Seltenheit
der hochsten Erscheinung bedingt.*'^) Dem Verfasser des Lohen-
grin war diese „reichste menschliche Natur" zuteil geworden.
Und als der Kiinstler alle jene dramatischen Entwiirfe einen
nach dem andern hatte verwerfen miissen, verlor er nicht den
Mut, wollte auch nicht dem blinden Zufall sein kiinstlerisches
Schaffen iiberlassen; vielmehr raffte er sich gewaltsam zu-
sammen und richtete „die Kraft seines reflektierenden Geistes"
auf die Erzeugnisse, welche aus „der Fiille seiner unmittelbaren
Schopferkraft" so reich hervorgegangen waren. Schon 1849—1851
') Vgl. das Wagner- Lexikon von Glasenapp und von Stein, Artikel
.Reflexion".
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 391
entstand die glanzende Reihe seiner grundlegenden Kunst-
schriften von Die Kunst und die Revolution an bis zu Eine
Mitteilung an meine Freunde. Das Hauptergebnis dieser schrift-
stellerischen Tatigkeit fUr des Meisters eigenes Leben war,
wie er selber sagt, nicht ihre Wirlcung nach aussen, sondern
dass „er sich selbst dabei vollkommen klar wurde" (U. 187).
Man sieht, wie eng die dramatischen Entwiirfe aus der Krisis
des kiinstlerischen Lebens und die Schriften aus dieser selben
Zeit zusammenhangen. „Meine scliriftstellerischen Arbeiten",
schreibt Wagner an Roeckel, „waren Zeugnisse fiir meine Un-
freiheit als kiinstlerischer Mensch: nur im hochsten Zwange
verfasste ich sie — es miisste mich toten, wollte ich darin fort-
fahren" (R. 10). Die Oberwucherung der Schopferkraft war
es gewesen, was den KUnstler gezwungen hatte, die (im
Goetheschen Sinne) beschrankende Gewalt der Reflexion walten
zu lassen; den Stoff zu dieser Reflexion lieferten aber gerade
jene Entwiirfe.
Wenn wir also dem Prinzip, das ich in diesem BucheAus unbewusst-
aufgestellt habe, treu bleiben und von einer kritischen Be-^'^"J^.^ej^'"
urteilung des absoluten Kunstwertes dieser Entwiirfe absehen
— wozu wir um so eher uns veranlasst fiihlen diirfen, als hier
kein fertiges Kunstwerk vor uns steht — so bleibt ihre bio-
graphische Bedeutung eine besonders klare und interessante
und diese Bedeutung hangt, wie man sieht, eng mit derjenigen
der Ziiricher Schriften zusammen. Wagner sagt von diesen
Entwiirfen: „Gerade hier war es, wo mein bisher unbewusstes
Verfahren in seiner kiinstlerischen Notwendigkeit mir zum Be-
wusstsein kam", und wahrend er mit der Vollendung von Oper
und Drama beschaftigt war, bemerkt er einem friiheren Kommen-tator gegenuber, der von seiner „vorausgeeilten Wissenschaft"
gesprochen hatte: „Noch jetzt eben musste ich erfahren, dass
ich die wichtigsten Momente fur die Gestaltung des Dramas
der Zukunft nicht gefunden hatte, wenn ich nicht in meinem
Siegfriede zuvor als Kiinstler mit vollem Unbewusstsein auf
sie gefallen ware" (Bf. an Uhlig von Februar 1851). In dem
gerade wahrend dieser vier Jahre — von Ende 1847 bis Ende 1851
— sich vollziehenden Vorgang der Entwickelung „aus Unbewusst-
sein zum Bewusstsein", d. h. aus dem unbewussten Streben nach
einer neuen, vollkommeneren, den Bediirfnissen des deutschen
392 DRITTES KAPITEL
Geistes voll entsprechenden Form des Dramas zu dem be-
wussten, klaren, vernunftmassigen Erfassen dieser Form spielen
folglich diese Entwurfe eine entscheidende Rolle.
Wie geschah das aber?
Schon die Tatsache, dass so viele und namentlich so
verschiedenartige dramatische Plane den Meister zu gleicher
Zeit beschaftigten, deutet auf die wahre Natur des inneren
Vorganges. Wir sahen, dass Wagner, als er in seinen Gym-nasialjahren sein erstes grosses Trauerspiel vollendet hatte,
bemerkte, dieses Weric bediirfe noch des musikalischen Aus-
druckes. Die dramatische Empfindung fordert eben bei Wagner
unbedingt das Zusammenwirken von Wort und Ton. In seinem
eigenen Herzen bildeten auch diese beiden Ausdrucksmittel
eine einzige organische Einheit. Wortsprache und Tonsprache
konnen aber nur in zwei verschiedene Sprachen zergliedert in
die Erscheinung treten, und einzig eine vollendete Auffiihrung
des Kunstwerkes kann die geschiedenen wieder zur Einheit
zusammenfassen. Nun fand aber Wagner gar keine Muster
vor: was er woUte, war niemals versucht worden. Auf der
einen Seite fand er das rezitierte Drama, auf der anderen —bei Beethoven — die zum Drama gewordene Musik, dazwischen
ein „namenlos Unsinniges" (IX, 363), die Oper, jene Form,
von der Wagner meinte, „sie beleidige groblich alien deutschen
Sinn fur Musik wie Drama" (VI, 394), uber die E. T. A. Hoff-
mann spottete, „sie veranstaltete Konzerte auf der Biihne mit
Kostiimen und Dekorationen", und gegen die Herder sich er-
eiferte, well sie „den Dichter zum Diener des Musikers er-
niedrige". Nur in der nebelhaften Feme langstvergangener
Zeiten erblickte der jugendliche Kiinstler — im griechischen
Drama — ein Ideal, das dem seinigen verwandt erschien.
Hochstens Mozart, der uns insofern als der wahre Vorlaufer
Wagner's diinken muss, durfte ihm wohl in Bruch-
stucken seiner Werke wirklich als ein Muster gelten; hier
wurde hin und wieder die Oper iiber sich selbst hinausgehoben;
denn sie bot nicht bloss ein ergreifendes Schauspiel — was auch
Gluck haufig gelungen war — sondern die Musik verschmolz
formlich mit der Dichtung; sie blies diesem Erdenkloss eine
Seele ein wie Jehovah dem ersten Menschen, und nun war
sie nicht mehr ein blosser Schmuck, sie diente auch nicht
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 393
bloss „der Erhohung des Ausdrucks", sondern sie belebte das
dramatische Gebilde von innen heraus.^) Das Unerhorte war aberbei Mozart unbewusst und absichtslos geschehen; wie schnell
verfiel er immer wieder in absolute Musik und in opernhafte
Formeln; das Werk dieses „zarten Licht- und Liebesgenius"
vvirkte also eher verwirrend als anleitend. Wagner blieb folglich
auf sich selbst angewiesen. Wahrscheinlich hatte er auch viel
eher, viel miiheloser und ganz ohne Reflexion das Richtige ge-
funden, ware ihm nicht von Anfang an eine fertige Form aufge-
notigt worden, von der er nicht — wenigstens ausserlich nicht —weit abweichen konnte, ohne seine Werke als totgeboren zur
Welt zu bringen (vgl. VII, 125). Jetzt aber musste er ver-
suchen, „ob die Oper moglich sei«, d. h. ob in der Oper jene
organische Verschmelzung von Wort und Ton, von Dichtung
und Musik zu erreichen sei. Ein jedes seiner Werke aus
der ersten Lebenshalfte kann als der Versuch zu einer Antwort
betrachtet werden. Dem jungen Kiinstler musste es zunachst
diinken, als handle es sich hier urn ein technisches Problem,
und solange er noch nicht die Meisterschaft erlangt hatte,
durfte er glauben, die Unzulanglichkeit seiner eigenen Be-
herrschung der Mittel sei die Ursache, dass seine Werke demBild in seinem Innern noch immer nicht ganz entsprechen
wollten. Mit Tannhduser und Lohengrin hatte er jetzt aber
die voile Meisterschaft erlangt; darum war er nicht mehr fahig,
in naiver Unbefangenheit „m6glichst gute« Opern welter zu
schreiben. Liszt hatte richtig erkannt: „Mit dem Lohengrinnimmt die alte Opernwelt ein Ende": jetzt oder nie musste
das Problem gelost werden. In Lohengrin war ahnlich wie
in Rienzi, obwohl mit ungleich grosserer Meisterschaft in der
rein poetischen Gestaltung, fast der gesamte Ausdruck in die
Musik gelegt worden; die Gedanken sind unendlich tief undergreifend; sie haben aber so sehr alles von sich abgestreift,
was nicht reiner Empfindungsgehalt ist, dass dieses Werk das
eigentlich „esoterische" unter alien Werken des Meisters bleibt;
die Handlung triigt hier etwas ausgesprochen „Symbolisches«
an sich: man fiihlt, dass nicht allein der Held, sondern auch
der Dichter jede Frage verbietet und das Geheimnis seines
') Vgl. s. 410.
394 DRITTES KAPITEL
innersten Herzens in der fiir das Wort unzuganglichen
Tonsprache — gleichsam als „schweigendes Bild" — vor unser
Auge heraufbeschwort. Das macht auch das ewig Un-vergleichliche an diesem unsterblichen Werke aus. Aufdiesem Punkte durfte aber der Meister nicht verweilen:
einen zweiten Lohengrin konnte er nicht sclireiben. Dersiegreiche Tondichter- musste jetzt dem Wortdichter die
Tore zum Drama der Zukunft weit offnen: er musstein ihm jene „dem Reichtum musikalischen Ausdruckes ent-
sprechende Fahigkeit" entdecken. Er tat es durch diese Ent-
wurfe der Ubergangszeit und durch das von ihnen angeregte
Denken.
Zunachst wurde sich der Meister uber einen Hauptpunktklar. Sein Friedrich der Rotbart sollte nicht ein musikalisches
Werk — Oder etwa gar eine „Oper" — sondern ein rezitiertes
Drama werden. „Es fiel mir nicht im entferntesten ein, einen
historisch-politischen Gegenstand anders als im gesprochenen
Schauspiele auszufuhren" (IV, 384). „An diesem Stoffe aber,"
fiigt Wagner an einer anderen Stelle hinzu, „der mich der
Musik ganzlich vergessen gemacht hatte, ward ich der Gehungwahrer dichterischer Stoffe iiberhaupt inne; und da, wo ich
mein musikalisches Ausdrucksvermogen unbewusst hatte lassen
miissen, fand ich auch, dass ich meine gewonnene dichterische
Fahigkeit der politischen Spekulation unterzuordnen, somit
meine kiinstlerische Natur iiberhaupt zu verleugnen gehabt
haben wiirde" (IV, 390). Es war hier bei dem fiinfunddreissig-
jahrigen Manne eine Wiederholung dessen eingetreten, was er
schon als funfzehnjahriger Knabe erfahren hatte: seine poetische
Inspiration forderte gebieterisch den musikalischen Ausdruck.
Das erkannte er jetzt mit endgiiltiger Klarheit. Er fiihrte den
Entwurf nicht aus. Ebensowenig fiihrte er aber die „grosse
Heldenoper" Siegfried's Tod aus; gerade an diesem Stoffe, der
ihn am gewaltigsten anzog und aus dem er bald, aber in
wesentlich anderer Auffassung, sein Nibelungenwerk gestaltete,
erkannte er deutlich, dass die Oper „unm6glich sei". Ausdiesem selben Grunde blieb auch Wieland unausgefiihrt. Fiir
die schone Erzahlung, die er so wirksam dramatisiert hatte,
behielt Wagner eine grosse Vorliebe, gern hatte er sie von
einem anderen in Musik setzen lassen, — er selbst konnte
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 395
es nicht mehr, fiir ihn war es zu spat^). Jesus von Nazareth
nannte ich ein philosophisches Drama, und wohl mit Recht,
da Wagner selber „die Verneinung der lieblosen Allgemein-
heit" als Inhalt angibt, Es ist nlcht ganz leicht sich vor-
zustellen, in welcher Weise dieses Drama ausgefuhrt werden
sollte; denn die vielen Dissertationen, die der Entwurf ent-
halt, deuten auf ein gesprochenes Schauspiel bin; dagegen
lassen die szenischen Dispositionen und viele einzelne Mo-
mente der Skizze die geplante Mitwirkung der Musik nicht
bezweifeln. Ich bin der Meinung, dass diesem Werke fiir des
Meisters klare Erfassung der im Wort-Tondrama zu erstre-
benden und zu ermoglichenden „Erweiterung der dichterischen
Fahigkeit" eine weit grossere Wichtigkeit zukommt, als mangemeinhin annimmt. Als nun Wagner diese so verschieden
gearteten Entwiirfe alle verwerfen musste, da „ward es Licht"
in seinem Innern; gerade an diesen selbstgeschaffenen Beispielen
erkannte er, dass das Problem des Wort-Tondramas den Stojf
hetrejfe, nicht die Form. Er erkannte, dass er sich nicht fragen
diirfe: „Wie konnen Wort und Ton zu einem hochsten, er-
schopfenden Ausdruck im Drama zusammenwirken?" sondern
vielmehr einzig: „Was ist der Gegenstand, der eines so er-
habenen Ausdruckes bedarf und der dadurch, dass er seiner
bedarf, ihn auch erheischt?"
Die Antwort gaben ihm seine eigenen friiheren Werke,Das Grundgesea
sobald er sie nunmehr mit der „Kraft des reflektierenden '^^^Z^^^
Geistes" betrachtete. Namentlich aber durch die Einsicht des
Grundes, aus welchem ein jeder dieser vier neuen Entwiirfe
fUr sein Drama ungeeignet war, wurde ihm die letzte Klarheit
zuteil; durch diesen echt kiinstlerischen Ausscheidungsprozess,
nicht durch abstrakte a priori Konstruktionen entdeckte er das
Grundgesetz des neuen Wort-Tondramas. — Bei Friedrich der
Rotbart war die Sache besonders klar: das Historische ist
kein moglicher Gegenstand fiir den musikalischen Ausdruck.
Siegfried's Tod hingegen wurde jeder Opernkomponist un-
zweifelhaft als einen prachtigen Vorwurf fur musikalische
Ausfuhrung betrachtet haben. Doch als Wagner an die
') Seinen Entwurf bot er in dringendster Weise Liszt, Berlioz, Roeckel
und anderen an.
398 DRITTES KAPITEL
musikalische Auffiihrung ging, bemerkte er, dass in diesem
Werke die „epische Erzahlung, die Mitteilung an den Ge-
danken" einen grossen Platz einnahm (U. 119). In diesem ersten
Entwurf haben wir doch lediglich eine dramatisierte Mytho-
logie vor uns; zwar ist ein solcher Stoff einem pragmatisch-
historischen bei weitem vorzuziehen; zugrunde liegt aber in
der Mythologie iiberall das Symbol, und infolgedessen wendet
sich gar vieles vorwiegend an die kombinierende Vernunft und
gelangt erst von hier aus durch Widerspiegelung ins Herz.
In Jesus von Nazareth bestand der Fehler nicht in dem langen
Verweilen bei den einzelnen Momenten, sondern auch hier
wiederum in der Tatsache, dass so vieles „einzig dem Ver-
stande fasslich ist". Weit weniger diirfte dieser Einwurf die
zuletzt ausgearbeitete dramatische Skizze Wieland der Schmied
treffen; sie besitzt aber nicht die monumentale Einfachheit der
letzten Werke des Meisters: die Handlung enthalt viel zahl-
reichere Momente als Tristan oder als irgend ein einzelnes
Drama aus dem Nibelungenzyklus. Das Vielseitige ist jedoch
schon an und fur sich das Gebiet des Verstandes. Aus
diesem Ausscheidungsprozess ergab sich nun das Grundgesetz
des neuen Dramas: „Ein Inhalt, der einzig dem Verstande
fasslich ist, bleibt einzig auch nur der Wortsprache mitteilbar;
je mehr er aber zu einem Gefiihlsmomente sich ausdehnt, desto
bestimmter bedarf er auch eines Ausdruckes, den ihm in ent-
sprechender Fiille endlich nur die Tonsprache ermoglichen kann.
Hiernach bestimmt sich ganz von selbst der Inhalt dessen, was
der Wort-Tondichter auszusprechen hat: es ist das von aller
Konvention, von allem Historisch-formellen losgeloste Rein-
menschliche" (IV, 388).
Der Ausdruck „das Reinmenschliche" erkliirt sich von
selbst; in dem Abschnitt „Kunstlehre" habe ich ausserdem mit
einiger Ausfiihrlichkeit an der Hand von Wagner's Erlaute-
rungen und denen anderer Autoren dariiber gesprochen.^) Die
ungeheure Bedeutung dieses Gesetzes liegt darin, dass in ihm
nicht die Sorge um eine aussere Form, die man ein fur allemal
als die allein seligmachende erklaren will, auch nicht irgend
') Vgl. S. 295—299. Ausfiihrlicheres in meinem Drama R. Wagner's.
Kapitel II.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 397
eine abstrakt-asthetische Schrulle zum Ausdruck kommt, sonderndass im Gegenteil das innere Lebensprinzip des neuen Dramasunvergleichlich pragnant und zugleich erschopfend dadurchbestimmt wird. Wie man deutlich einsieht: nicht nur durchdie Wahl der Ausdrucksmittel unterscheiden sich Wagner'sDramen von den anderen Formen des Dramas, sondern vorallem und wesentlich durch ihren — jene Ausdrucksmittel be-
dingenden — Inhalt! Diesen Inhalt genauer zu bestimmen, das
war die Tat, von der Wagner so richtig erkannt hatte, dass
lediglich ein Musiker sie wiirde vollbringen konnenJ) Undals nun diese Tat vollbracht war, als der Kunstler kraft seiner
erstaunlichen Produktivitat das gesamte Gebiet des Dramas selbst-
schopferisch durchforscht und der Denker wiederum mit klarem
Auge diese gesamte Tatigkeit iiberblickt hatte, da durfte Wagnerbekennen: ,Jetzt hatte ich eine neue und entscheidende Periode
meiner kiinstlerischen und menschlichen Entwickelung angetreten,
die Periode des bewussten kiinstlerischen Wollens auf einer
vollkommen neuen, mit unbewusster Notwendigkeit von mir
eingeschlagenen Bahn, auf der ich nun als Kunstler und Menscheiner neuen Welt entgegenschreite" (IV, 390).
') Vgl. S. 375.
KUNSTWERKEDER ZWEITEN LEBENSHALFTE
Der vollkommen Besonnene heisst der Seher.
Novalis
Einieitendes jn seincF zwcitcn Lebenshalfte hat Richard Wagner den
vierteiligen Ring des Nihelungen^ Tristan and Isolde, Die
Meistersinger und Parsifal geschaffen.
Richtet man nun das Auge auf das speziell Biographische,
so gerat man wirklich in Verlegenheit, wie man diese Werkein irgend eine Beziehung zur Chronologie des Lebens bringen
soil. Einige Daten habe ich schon in der Einleitung zum„Lebensgang" gegeben;^) aus diesen geht hervor, dass diese
vier Werke gewissermassen zugleich und „durcheinander"
entstanden sind. Ehe irgend eines von ihnen vollendet wurde,
waren schon alle in der Phantasie des Meisters gestaltet. Im
November 1851 schreibt Wagner an Uhlig — es war gerade
am Schlusse der Ubergangszeit: j,Meine kiinstlerischen Plane
dehnen sich jetzt immer reicher, erfreulicher und zuversicht-
licher vor mir aus, und mit einem wahren Wonnezittern ge-
denke ich sie nachstens anzufassen/' In welcher Reihenfolge
diese einzelnen Plane aber dann zur Ausfiihrung gelangten,
scheint mehr eine Laune des Schicksals als die Folge einer
inneren Notigung gewesen zu sein. Der Ring sollte urspriing-
lich zuerst ausgefiihrt werden. Wenn nun der Meister vomJahre 1857 an eine lange Unterbrechung bei dieser Arbeit ein-
treten Hess, so war nicht allein — vielleicht gar nicht in erster
Reihe — Ermiidung bestimmend, sondern die Hoffnungslosig-
keit, gerade dieses Werk jemals zur Auffiihrung bringen zu
•) Vgl. S. 41.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 399
konnen, namentlich jetzt, wo nach der Berufung Dingelstedt's
als Intendant die Verhaltnisse an der Weimarer Biihne — der
einzigen, wo Wagner auf Unterstiitzung hatte hoffen konnen —so ungiinstig geworden waren, dass selbst der Rienzi dort als
eine kaum zu bewaltigende Aufgabe erschien. Verleger und
Theaterdirektoren verlangten allerdings nach einem neuen WerkeWagner's; es miisse aber „kurzer und leichter" als der Ring
sein. Und da berichtet der Meister sehr unumwunden an Liszt:
„Ich hatte — wie Du ja weisst! — so gar kein Geld, und da
der Rienzi (in Weimar) fehlschlug, sah ich keinen anderen Aus-
weg, als mit Hartels ein „Geschaft" zu machen; dazu erwahlte
ich den kaum noch begonnenen Tristan, well ich nichts andres
hatte;*) sie erboten sich, mir die Halfte des Honorars (zwei-
hundert Louisd'or) — also einhundert Louisd'or — nach Empfang
der Partitur des ersten Aktes auszuzahlen: somit eilte ich mich
iiber Hals und Kopf, diesen fertig zu machen. Das war der
Grund der geschaftlichen Eile in der Forderung dieser armen
Arbeit" (Bf. vom 2. Juli 1858). An andrer Stelle erzahlt Wagner,
wie eine Aufforderung des Kaisers von Brasilien, eine Operfiir die italienische Truppe in Rio de Janeiro zu schreiben, ihn
„bei der Konzeption des Tristan mit einiger Lebhaftigkeit be-
einflusste!" (VI, 380.) Wiederum berichtet man von einer
heftigen Liebesleidenschaft, welche die wahre Urquelle der
Tristan-Wort- und Tondichtung sein soil, wobei die Frage
ungelost bleibt, warum ein Mann, der mehr als einmal im
Leben leidenschaftlich geliebt haben wird, nur einmal einen
Tristan geschrieben hat. Man sieht, wie ganzlich haltlos der-
artige chronistische Kombinationsspiele sind. Das Auge der
schonen Frau, das — vielleicht — an Wagner vorbeizog, wird
auf die Ausfiihrung der „armen Arbeit", jenes „Wunders aller
Kunst", Tristan und Isolde's, genau so viel Einfluss ausgeiibt
haben wie der Kaiser von Brasilien — etwas weniger als die
hundert Louisd'or der Herren Breitkopf & Hiirtel. Ahnliches
liesse sich von jedem anderen Werke Wagner's ausfiihren.
Die Meistersinger wurden zu einer Zeit in Angriff genommen(Beginn der sechziger Jahre), wo man alles eher als ein heiteres
') Nichts anderes, was schon so weit gefordert gewesen ware; denn
der vollstandige Entwurf zu den Meistersingern war schon lange da und zum
Parsifal mindestens die Idee.
403 DRITTES KAPITEL
"Werk erwartet hatte, well — nun, einfach wieder, weil ein
Verleger sich fur sie gefunden hatte! Parsifal wurde (1865)
entworfen, weil Konig Ludwig es wiinschte; dQV Nibelungenring
wurde vollendet, als der Bau des Festspielhauses in Bayreuth
weit genug fortgeschritten war, die Moglichkeit einer Auffiihrung
nahe zu riicken; mit der Vollendung des Parsifal verhielt es
sich ahnlich. Kurz, Werke des „innewohnenden" Genies stehen
nicht zu den Vorgangen eines Menschenlebens in dem Ver-
haltnis von Wirkung zu Ursache und auch nicht in irgend einem
anderen engeren Verhaltnis; das aussere Leben verhalt sich zum
inneren wie ein Damm zum reissenden Strom: wo das Hindernis
uniibersteiglich ist, da bleibt das Element unsichtbar und — nach
aussen — wirkungslos, wo jenes weicht, da stiirzen die Natur-
krafte urgewaltig hervor.
Dazu kommt noch eine andere Uberlegung: die Werke
aus Wagner's zweiter Lebenshalfte gehoren — nicht allein zeit-
lich, sondern auch poetisch und ihrem Gedankeninhalt nach
— so eng zusammen, dass sie ein Ganzes bilden. Tristan und
Isolde bezeichnete der Meister selber als einen Erganzungsakt
zum Nibehingenringy und Parsifal ist das Gegenstiick zu diesen
beiden. Diese drei Dramen bilden gewissermassen eine riesige
„Trilogie", und das — auf das allerengste mit dieser Trilogie
verwobene — „heitere Satyrspiel" sind Die Meistersinger.
Das gesamte Werk von Wagner's letzten dreissig Lebensjahren
ist also, wie gesagt, ein einziges unzertrennbares Ganze. In
welcher Reihenfolge der einzelne Teil zur Vollendung gelangte,
ist fast gleichgiiltig, da im schopferischen Herd das Ganze vor-
gebildet lag und die ausfiihrliche Gestaltung dieses und jenes
Teiles einfach unter Beriicksichtigung ausserer Konvenienz und
praktischer Moglichkeiten erfolgte.
Wollten wir nach Riicksichten rein dichterischer Ange-
messenheit eine Reihenfolge bestimmen, so miissten wir die
Werke folgendermassen ordnen: Der Ring des Nibelungen,
Tristan^ Parsifal, Die Meistersinger. Das Datum der end-
giiltigen Vollendung eines jeden Werkes ergibt dagegen eine
andere Reihenfolge: Tristan, Die Meistersinger, Der Ring des
Nibelungen, Parsifal. Wiederum anders gestaltet sich die
Aufeinanderfolge, wenn man sich nach dem Datum der ersten
dichterischen Konzeption richtet; dann erhalt man folgende
MUNCHEN 1865
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 401
Reihe: Die Meistersingery Der Ring des Nibelungen, Tristan
und Isolde, Parsifal. In einem biographischen Werke ist
diese letzte Reihenfolge vorzuziehen, da sie das bestimmende
Moment der Konzeption zum Ausdruck bringt; ausserdem sind
Die Meistersinger und Der Ring des Nibelungen zwei Werke,
die durch das Datum ihrer urspriinglichen Entwiirfe in die erste
Lebenshalfte zuriickreichen; mogen diese Entwiirfe spater auch
die eingreifendste Umgestaltung erfahren haben, gleichviel:
hier besieht eine verbindende Briicke zwischen den so scharf
geschiedenen Lebenshalften.
Da ich nun der Uberzeugung bin, das chronistische Detail
sei bei diesen Werken ganzlich belanglos und konne getrost
den Anekdotenkramern und Memoirenverfassern uberlassen
bleiben, so will ich bei den folgenden — nur leider allzu kurzen
— Besprechungen meine Aufgabe darin erblicken, dass ich die
Aufmerksamkeit des Lesers nicht auf die bunte Oberflache der
begleitenden Lebensumstande richte, sondern auf den innersten
dramatischen Mittelpunkt, von wo aus das Leben dieser Werkeausstrahlt. Ohne Zweifel ist das zugleich das punctum vitae
der Individualitat Richard Wagner's.
DIE MEISTERSINGER VON NURNBERG
Je grosser der Mann, um so tiefer seine Liebe.
Leonardo da Vinci
Im Sommer 1845, unmittelbar nach Vollendung der Tann- Die erste
hauserpartitur, verfasste Wagner den ersten Entwurf zu den''""""^
Meistersingern von Niirnberg. Cute Freunde hatten gemeint,
„eine Oper leichteren Genres" wurde ihm zu grosseren Er-
folgen verhelfen, und gerade der Sangerkrieg auf Wartburg gab
ihm die Idee zu diesem heiteren „Werb- und Wettgesang" ein
(IV, 349). Die innere Notigung — ohne welche Wagner nichts
schaffen konnte — war aber damals nicht vorhanden, und die
Art und Weise, wie dieser Stoff sich dem Meister dargestellt
und gestaltet hatte, widerte ihn sofort heftig an: an Stelle der
Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 26
402 DRITTES KAPITEL
Meistersinger schuf er Lohengrin. Erst im Jahre 1861 griff
Wagner diesen Stoff wieder auf und vollendete das Werk,
durch viele Unterbrechungen gestort, im Laufe der folgenden
sieben Jahre.
Wie kommt es nun, dass ein Stoff, den der Verfasser des
Tannhduser verwarf, von dem Verfasser des Tristan mit solcher
Begeisterung inmitten von Kummer und Sorge und Elend jeder
Art zu einem glorreichsten Meisterwerk gestaltet wurde? DerVergleicli zwischen dem ersten Entwurf und dem spateren Ge-diclit lasst uns das sofort erkennen.
Der Entwurf aus dem Jahre 1845 — iiber den in der
Mitteilung an meine Freunde ausfiihrlich berichtet wird (IV,
349—353) — ist beziiglich der Reihenfolge der Begebenheiten
mit der spateren Dichtung identisch. Eine nahere Betrachtung
fiihrt jedoch zur Entdeckung einer inneren Abweichung: in
jenem ersten Entwurf finden wir keine Andeutung von Sachsens
Liebe zur Eva; von einem inneren Konflikt im Herzen des
Schuster-Poeten horen wir folglich nichts! Sachs wird hier
rein als historische Gestalt, als „die letzte Erscheinung des
kiinstlerisch produktiven Volksgeistes aufgefasst"; er erkennt
das Talent des jungen Ritters Walter von Stolzing und ver-
hilft ihm — in der bekannten Weise — zu der Hand Eva's;
zum Schluss verteidigt er die Meistersingerschaft:
„Zerging' das heil'ge romische Reich in Dunst,
Uns bliebe doch die heil'ge deutsche Kunst.**
Diese Figur Hans Sachsens ist gross gezeichnet, auch der
tiefe humoristische Zug fehlt ihr nicht; sie bildet aber mehrden dekorativen Schmuck des Dramas als dessen Mittelpunkt.
Der Mittelpunkt, die eigentliche „Handlung« des Stiickes war, wie
Wagner dies selber hervorhebt, die Ironisierung des Natur-
widrigen in unseren offentlichen Zustanden. Der Meister unter-
scheidet aber in tiefsinniger Weise zwischen der Kraft der echten
Heiterkeit— der „erhabenen, Schmerzen losenden Heiterkeit" —und der Ironie, die sich einzig auf die Form, niemals auf den
Kern des Lebens bezieht. Und „durch Ironie sich des Inhaltes
der Kraft seines Heiterkeitstriebes zu entaussern, gegen diesen
Versuch reagierte augenblicklich Wagner's Natur" (IV, 353).
Indem aber der Meister gegen diese Anwandlung, die blosse
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 403
Form zu ironisieren, sich emporte, folgte er zugleich unbewusst
jenem kiinstlerischen Instinkt, der ihn empfinden liess, im Wort-
Tondrama konne nicht die aussere Erscheinung, sondern nur
der Vorgang im innersten Herzen zur Darsteilung gelangen.
Auch jene Gestalt des Hans Sachs war zwar gross, aber noch
nicht so aufgefasst und geformt, dass die Musik sie — wie das
Blut den Korper — bis in das letzte died durchdringen und
somit zu vollem, warmem Leben hatte erwecken konnen.
In der neuen Dichtung wurde das nun alles mil einem ^'* ^*^''^
Schlage anders. Hans Sachs ist hier nicht bloss als historischer
Charakter und infolge seiner geistigen Bedeutung die Haupt-
figur des Dramas, sondern sein innerstes Herz bildet jetzt den
Mittelpunkt der Handlung; um einen bequemen Ausdruck zu
gebrauchen: die ganze Handlung ist nach innen verlegt. Die
ausseren Ereignisse, dieses gerade in den Meistersingern so
vielgestaltige, bunte Durcheinander, dienen bloss zur Wider-
spiegelung der inneren, reinmenschlichen Vorgange, „welche
einzig uns die Handlung als notwendig erklaren sollen, undzwar dadurch, dass wir selbst im innersten Herzen an diesen
Motiven sympathisch teilnehmen*. Der historische Hans Sachs
hat bekanntlich in vorgeriicktem Alter ein blutjunges Madchen
gefreit und in glucklichster Ehe seine Tage beschlossen. Bei
Wagner liebt nun — in der neuen Dichtung — Sachs „so
manches Jahr schon" Eva, deren Hand „als hochsten Preises
Kron" beim Wettgesang ausgesetzt ist. Diese Liebe wird im
reichsten Masse erwidert; das holde Kind hat es als eine aus-
gemachte Sache betrachtet, Sachs „werde sie fiir Weib und
Kind ins Haus nehmen", und spater ruft sie in tiefster Er-
griffenheit:
„Ich war doch auf der rechten Spur:
denn, hatte ich die Wahl,
nur dich erwahlt' ich mir:
du warest main Gemahl,
den Preis nur reicht' ich dirl"
Wie nun das Drama anhebt, ist man schon am Vorabenddes grossen Tages, des Johannisfestes, wo der herrliche Mann-- ein Meister der Worte und der Tone, ein wahrer Meister-
singer — auf die schonste und stolzeste Art in den Besitz
26*
404 DRITTES KAPITEL
dieses letzten Lebensgliickes gelangen soil, namlich durch den
glanzenden Sieg als Kunstler; frei, vor allem Volke wird er
im Werbgesang mit den Jiingeren — er, dem die unverwiist-
lichejugend des heiter Schaffenden zuteil wurde — den Preis
davontragen. Da tritt der junge Ritter auf! Zufallig war er
am Tage vorher Eva in Niirnberg begegnet; sie lieben sich.
Wie Eva gesteht:
»Doch nun hat's mich gewahlt
zu nie gekannter Qual:
und werd' ich heut' vermahlt,
so war's ohn' alle Wahl!
Das war ein Mussen, war ein Zwang!"
Pogner, Eva's Vater, hat schon sein Wort gegeben, er kann
es nicht zuriicknehmen: nur ein Meistersinger darf Eva freien,
und zwar muss er sie im offenen Wettbewerb „ersingen". So-
bald Sachs den jungen Ritter erblickt, sobald er sein unerhortes
Anliegen, in die biirgerliche Meisterzunft aufgenommen zu werden,
vernimmt, errat er den Zusammenhang, und wahrend die
meisten anderen Meister — Beckmesser (der ebenfalls den
Rivalen wittert) an der Spitze — allerhand formelle Bedenken
gegen die Aufnahme Walters vorbringen, tritt er mutig fiir
ihn ein; denn Sachsens Entschluss ist gefasst; er wird nicht
singen!
„Vor dem Kinde lieblich hehr,
mocht' ich gern wohl singen;
doch des Herzens siiss' Beschwer
gait es zu bezwingen.
's war ein schoner Abendtraum:
dran zu deuten wag' ich kaum."
Einzig durch Sachsens kluges Verhalten werden alle
Schwierigkeiten, die dem Gliicke des jungen Paares im Wegestehen, „gegen der Meister Zunft und die ganze Schul'" iiber-
wunden. — Man sieht, welche tragische Grosse die Handlung
durch die einfache Tatsache gewinnt, dass Sachs Eva liebt und
„seines Herzens Beschwer bezwingen muss". Wie ich schon
vorhin sagte, Sachs ist jetzt der Mittelpunkt des Dramas, und
zwar nicht so sehr durch seine uberwiegende geistige Grosse,
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 405
als weil diese Grosse sich in seinem Herzen widerspiegelt,
als weil sie uns zwar auch zu denicen, vor allem aber zu fiihlen
gibt. Und nun, in dieser neuen Dichtung tritt alles, was
friiher in der Gestalt von bitterer Ironie sich gab, als jene „er-
habene, Schmerzen losende Heiteri^eit" (X, 195) auf; dennSachsens Seele ist nunmehr der Punkt, von wo aus wir die
Welt mit ihren Konventionen und Formen und Lacherlichkeiten
und Vorurteilen betrachten — und dieser Standpunkt ist der
eines wirklich erhaben grossen und guten Mannes, der selber
zu bedeutend ist, als dass irgend etwas auf der Welt ihmunbedeutend erscheinen konnte, und der, um sein eigenes „Be-schwer" niederzukiimpfen, mit genialer Herzensgiite alles nach-
empfindet, was die Herzen anderer beschwert. Nicht ver-
spottet wird hier die Form (die Konvention), sondern ihre
Nichtigkeit wird durch einen tiefen, iiberall bis auf den rein-
menschlichen Kern vordringenden Blick offenbar.
Fine solche Auffassung des Dramas war nur durch die
Mitwirkung der Musik durchfiihrbar; nein, das ist zu weniggesagt: das Drama iiberhaupt so zu konzipieren, war „lediglich
dem Musiker moglich".^) Der Dichter musste ein Tondichtersein. Denn dieser Sachs konnte unmoglich als Wortheld,namentlich nicht als Klageheld vor uns hingestellt werden. Undin der Tat, nur ein einziges Mai horen wir ihn ganz leise sich
selbst zufliistern: „Vor dem Kinde lieblich hehr, mocht' ich
gern wohl singen**; sonst schweigt sein Leid, und nur durch
seine humoristischen Bemerkungen Eva gegeniiber und aus
Eva^s Gestandnissen erfahren wir den genaueren Sachverhalt.
Wie beredt, wie unfehlbar bestimmend ist dagegen die Spracheder Tone, die uns das innerste Herz des Helden offenbarti
Gleich, als Hans Sachs in der Singschule zum ersten Malefiir Walther eintritt:
„HaltI Meister! Nicht so geeilt!"
da steigt schon aus dem Orchester die tiefe Klage auf:
m^^^^^^^^^^.^-^^n') Vgl. S. 375 ff.
406 DRITTES KAPITEL
welche dann im zweiten Akt in dem Gesprach mit Eva von
den Worten an: „Ja, Kind I eine Freiung maclite mir Not"
immer ergreifender an das Ohr dringt. In diesem zweiten Alct
erklingt auch sclion — zum lustigen Schusterlied, durch welches
der schlaue Sachs zugleich Beckmesser's Vorhaben und die
unbesonnene Flucht der jungen Leute vereitelt — das wunder-
bare, herzerschiitternde Thema:
:i^
welches in der Einleitung zum dritten Akte seine voile drama-
tische Entwickelung erfahrt und dort erst seinen ganzen Sinn
enthiillt. Wie der Meister spater sagte: „Es driickt die bittere
Klage des resignierten Mannes aus, welcher der Welt ein heiteres
und energisches Antlitz zeigt." Diese Einleitung zum dritten
Akte muss als der Hohepunkt des Dramas bezeichnet werden:
die Situation ist uns jetzt bekannt, in Sachsens Herz haben
wir schon manchen tiefen Blick getan, und jetzt — wahrend
der Vorhang vor dem bunten Bilde noch gesenkt bleibt —lauschen wir mit geschlossenen Augen dem letzten Kampf im
innersten Herzen des Helden. Zuerst tritt die Klage auf; dann
wird sie von der Erinnerung an die eigenen kiinstlerischen
Schopfungen ubertont; es ist, als erhebe sich der „ewige" Teil
in dieser grossen Menschenbrust gegen den verganglichen: mit
tiefem Mitleid schaut Sachs auf sich selbst herab; mit lachelndem
Blick und tranenerfiillten Augen zu seinem hoheren Selbst
wieder hinauf; nochmals ertont jenes klagende Thema, aber zu
majestatischer Breite und Kraft entfaltet, mit dem machtigen
Ausdrucke der Erschiitterung einer tief ergriffenen Seele: „be-
ruhigt und beschwichtigt erreicht es die ausserste Heiterkeit
einer milden und seligen Resignation" (vgl. Entwurfe, S. 104).
Noch eigentiimlicher, noch neuer und unerwarteter ist viel-
leicht die Bedeutung, zu welcher die Musik in der Schluss-
szene des Dramas erhoben wird, wo die verschiedensten Haupt-
themen, zu einem wunderbaren polyphonen Gewebe verflochten,
Sachsens Anrede: „Ehrt eure deutschen Meister!" umwinden
und umranken, als ob alle Menschen sich sehnten, „in der
Nahe dieses Grossen und Guten aus aller Misere des Lebens
Pakstmile aus der Original-Partitur der M (Akt HI, letzte Szene).
m
RICHARD WAGNER'S .KUNSTWERKE 407
aufzutauen und zu tauchen",^) als ob alle durch seinen Blick
und durch sein weises Wort sich geadelt und iiber sich selbst
hinausgehoben fuhlten. Gerade diese Stelle wirkt auf der
Biihne hinreissend und uberwaltigend, namentlich dann, wenn
das ganze Volk in die nur lialbverstandenen Worte leise mit
einstimmt. Wir empfinden, wir erleben es ja unmittelbar, wie
der grosse Mann iiber seine ganze Umgebung und auch auf
feme Zeiten liinaus, Segen spendend, die magische Gewalt
seiner Personlichkeit ausstrahlt. Sowohl das Wort wie der
Ton erzielen an solchen Stellen Wirkungen, die keine friihere
Kunst uns alinen Hess.
An dieser Stelle geniigt es mir, auf diesen Mittelpunkt Em vergwcb
des Dramas hingewiesen zu haben. Eine Zergliederung des
Dramas und der Musik, um festzustellen, wie sich nun von
hier aus das musikalische, dramatische Leben iiber das Ganze
ergiesst, fiihrt leicht, wenn man die Analyse zu weit treibt, zu
sehr abstrakten Erorterungen.^) Von grosserem Wert wird es
sein, wenn wir die klare Erkenntnis der neuen „Fahigkeiten«,
welche der Tondichter im Drama „entdeckt und fortgebildet
hat« — eine Erkenntnis, die wir nunmehr aus einem prak-
tischen Beispiel, nicht aus theoretischen Erwagungen herleiten
— dazu beniitzen, einen vergleichenden Riickblick auf das
Drama zu werfen, wie es Wagner in seiner ersten Lebenshalfte
gestaltete. Hierdurch wird klar werden, worin die Bedeutung
jenes Ubergangs aus dem unbewussten zum bewussten kiinst-
lerischen Wollen bestand, von dem der Meister so haufig als von
dem Eintreten in eine „neue Lebensperiode" redet. Mit Ab-
sicht vermeide ich es, bei der folgenden Betrachtung auf Die
Meistersinger hinzuweisen; denn dieses Beispiel haben wir
jetzt vor Augen und die Anwendung auf den besonderen Fall
ergibt sich von selbst.
Wagner selber behauptet, er habe „einen weiteren Schritt
gemacht" von den letzten Werken seiner ersten Lebenshalfte
») Siehe S. 152.
*) Wer sich dafiir interessiert, wird manche Anregungen In meinem
Drama Richard Wagner's in dem Abschnitt uber Die Meistersinger finden. —Der Kuriositat halber sei auch auf die Schrift der Bruder Bonnier Le Motif-
Organe des Maitres Chanteurs hingewiesen, in welcher die gesamte Partitur
der Meistersinger auf ein einziges musikalisches Motiv zuruckgefuhrt wird I
408 DRITTES KAPITEL
zu den Werken der zweiten als von den Feen bis zu Tann-
hduser (VII, 175). Wichtig ist nun vor allem die Einsicht, dass
dieser Fortschritt nicht irgendwie durch eine Steigerung der
technischen Meisterschaft Oder durch die Entdeckung einer
gliicklichen Neuerung bewirkt wurde, sondern einfach durch
die bewusste Erfassung jenes Gesetzes der notwendigen Be-
schrankung des Wort-Tondramas auf das Reinmenschliche als
Gegenstand. Es ist dies — wie ich schon dargelegt habe^) —keine kiinstliche, willkiirlich ersonnene Regel, sondern ein
Naturgesetz, das sich aus dem Wesen der Tonsprache ergibt,
Welchen Einfluss aber diese einfache Einsicht auf die Ge-staltungen des „tonvermahlten Dichters" ausiiben musste; wie sie
ihn mit einem Schlag aus qualender Not und Sklaverei zu der
Freiheit eines Herrschenden erloste: das zeigt uns der Meister
sehr einfach und uberzeugend, indem er (in seinem Brief
y,Zukunftsmiisik'^) auf Lohengrin als Vergleich zuriickweist.
Zugleich sehen wir hier mit einem einzigen Blick, was das
unbewusste Meisterwerk von dem bewussten Meisterwerk
unterscheidet.
„Das ganze Interesse des Lohengrin', schreibt "Wagner
(VII, 163), „beruht auf einem alle Geheimnisse der Seele be-
riihrenden inneren Vorgang im Herzen Elsa's". Gerade die Vor-
gange im Innern sind aber das alien Gemeinsame, das Rein-
menschliche. Jedestiefere Drama— gleichviel welcherGattung
—
zielt auf das innere Leben; die ausseren Vorgange nehmenjedoch im gesprochenen Drama — und mit Recht — einen
grossen Teil des Interesses in Anspruch, in unbedeutenderen
Werken sogar das ganze. Die Musik aber kann nur das
Innere schildern; der „innere Vorgang" ist ihr einziges
Gebiet. „Die Musik ist in ihrer unendlichsten Steigerung doch
immer nur Gefiihl", sagt Wagner (Das Kunstwerk der Zukunft,
III, 112); „die Fahigkeit der Musik zur Losung jeder denk-
baren Aufgabe ist unbegrenzt, sobald sie eben nur das ganz
und allein zu sein braucht, was sie wirklich ist — Kunst des
Ausdruckes" (Oper und Drama, III, 343). Soil also das
Wort-Tondrama (im Gegensatz zur Oper) ein einheitliches,
wahres Kunstwerk sein ohne Riss noch Sprung, so muss das
') Vgl. S. 295 ff.
LUZERN 1868
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 409
ganze Interesse auf die „inneren Vorgange im Herzen" konzen-triert werden. Diese selbe Musik, welche die einschrankendeBedingung stellt, gibt uns aber zugleich die Mittel — und somitdie Moglichkeit — das Interesse in einem fruher ungeahntenMasse nach innen zu verlegen. „Uber alle Denkbarkeit desBegriffes hinaus ofFenbart uns der tondichterische Seherdas Unaussprechbare" (X, 321); dieses Unaussprechbare tritt
jetzt — zum ersten Male — nicht bloss als Endergebnis,
sondern als ein organischer, ja, sogar als ein architektonischer
Bestandteil des Dramas auf. Insofern also als in Lohengrindas ganze Interesse auf einem inneren Vorgang beruht,
entspricht dieses "Werk dem obersten Gesetze des Wort-Tondramas. Urn diesen inneren Vorgang herum werden aberhier noch aussere Vorgange mit ziemlicher Umstandlichkeit
behandelt; der Stoff ist von Anfang an vom Dichter derartig
aufgefasst, dass das nicht zu umgehen war. Man denkenamentlich an jenen dramatischen Hohepunkt, den ganzenSchluss des zweiten Aktes, wo der innere Konflikt im HerzenElsa's nur mit Zuhilfenahme eines ausserst komplizierten
Apparates in die Erscheinung treten kann; samtliche Handelndeund alle Chore fiillen die Buhne an; hier ist es Einemformlich, als empfande man die Not jenes „tondichterischen
Sehers" mit, der, um das Unaussprechbare zu offenbaren,
woran ihm gerade in diesem Augenblick einzig liegt, eine ganzeLast von Ausdrucksmaterial mitschleppen muss.^) Der vollbe-
wusste Wort-Tondichter gestaltet dagegen seinen Stoff, gleichviel
woher er diesen nehmen mag, derartig, dass der allergrosste
Raum des Gedichtes auf die Kundgebung der inneren Motiveder Handlung verwendet werden kann; das ist sein ganzesGeheimnis, das Geheimnis des Wort-Tondramas. Und Wagnerlasst uns klar einsehen, was hierdurch gewonnen wurde, indemer nach der Erwahnung des Lohengrin auf ein Werk derzweiten Lebenshalfte hinweist: „Die ganze ergreifende Hand-lung kommt hier nur dadurch zum Vorschein, dass die innerste
Seele sie fordert, und sie tritt so an das Licht, wie sie voninnen aus vorgebildet ist".
') Ich erinnere hier als Beispiel an den herrlichen Gesamtchor: „Inwildem Bruten muss ich sie gewahren".
410 DRITTES KAPITEL
Die Hiermit ist nun das Bezeichnende der von Wagner in
.Handiung" imggjj^gj, zwcltcn Lcbenshalfte geschaffenen Dramen klar for-
neuen Drama .,.tth j i-i.^muliert: in ihnen tntt die Handlung so an das Licht, wie sie
von innen aus vorgebildet ist. Und durch dieses Bilden „von
innen nach aussen" wird nicht allein die allgemeine Gestaltung
des Werkes, sondern alles bis in die letzte Einzelheit be-
stimmt. In jedem einzelnen der vier grossen Bulinenwerke
aus dieser Periode finden wir z. B. eine eigenartige, nur fur
dieses eine Werk gultige Behandlung des Orchesters (von der
Einfachheit der Meistersinger bis zu der verschwenderischen
Pracht des Nibelungenringes) ^ eine eigenartige Auffassung
der polyphonen Architektonik (von dem kunstvollen, vielver-
schlungenen Kontrapunkt der Meistersinger bis zu den ge-
schlossenen Harmonienfolgen des Parsifal), eine eigenartige
Anwendung der Modulation (von der Chromatik des Tristan
bis zu den fast Mozartschen Farben des Siegfried) usw.
usw. Genau in dem selben Masse weichen die Dichtungen
voneinander ab: im Versbau, in der Anwendung von Assonanz,
Alliteration und Endreim (von den stabgereimten, wuchtigen
Versen des Hinges bis zu der leichtfliessenden Diktion der
Meistersinger mit ihrer blendenden, verbliiffenden Reimkunst),
in ihrem psychologischen Charakter (von dem weltentriickten
Mystizismus des Tristan bis zur derben Unmittelbarkeit des
Nibelungenringes), in ihrem Gedankeninhalt (von dem in
symbolischerGedrungenheit einenWeltgedanken umspannenden
Parsifal bis zu der schlichten Tiefe der Meistersinger). Alles
das sind die Wirkungen jenes Schaffens, welches von innen
nach aussen gestaltet. Ja, diese Wirkungen lassen sich noch
weiter verfolgen: nicht bloss wird jeder an einem einzelnen
Takte Wagnerscher Musik sofort erkennen, welchem Werkees entnommen ist, gerade so, wie wir die Menschen an ihrer
Stimme unterscheiden, sondern bei gewissen Werken, Siegfried
z. B. und Parsifal, dringt die poetische Stimmung jedes ein-
zelnen Aktes so sehr bis in die feinste Einzelheit durch, dass
man von dem einfachsten musikalischen Gebilde, oft von einem
vereinzelten Akkord sagen kann, welchem Akt sie angehoren
und angehoren miissen. Das ist nicht allein das Werk hochster
kiinstlerischer Besonnenheit, sondern eine Folge davon, dass
hier „die aussere Form aus dem intimsten Zentrum der Welt
RICHARD WAGN ER'S KUNSTWERKE 411
gestaltet wird", wie Wagner sagt. Das Kunstwerk strahlt hier
von einem Mittelpunkt aus, anstatt dass — wie sonst im Drama— erst zahlreiche Faden einer nach dem anderen gesammelt
und zum Schluss auf den Mittelpunkt hingeleitet werden.
Moglich aber wird diese Art der Gestaltung erst durch die
Mitwirkung der Musik; nur durch sie wird es dem Dramatiker
ermoglicht, zuerst die zugrundeliegende reinmenschliche Emp-findung zu erwecken und spater erst das bestimmte Wort zu
geben, zuerst die allgemein giiltige Idee heraufzubeschworen
und spater erst das besondere Bild zu zeigen. Hierin, in
dieser bestimmenden Macht der Musik, liegt aber ausserdem
das bisher ungeahnte Einheitsprinzip des neuen Dramas; denndas Gestalten von innen nach aussen bedeutet fiir den Wort-Tondichter das Gestahen des ganzen Dramas von der Musikaus. Die Musik ist das „Innen" (wie wir das so iiberzeugend
bei Hans Sachs erfuhren), die Dichtung — als Wort undBild — das „Aussen*. Das meint auch Wagner, wenn er im
Vorwort zu seinen Gesammelten Schriften sagt: „Die Musikwird uns die Gesetze fiir eine wahrhafte Kunst geben". Finden
wir z. B. in den Wortdichtungen Wagner's, wie ich vorhin
andeutete, eine reiche, ewig wechselnde Skala des poetischen
Ausdrucks,^) so muss man sich klar dariiber sein, dass es
die Musik ist, welche die Gesetze fiir diesen Ausdruck ge-
geben hat, jene Musik namlich, welche erst als Allerletztes —nach Vollendung des ausfiihrlichen Gedichtes — ihre voile,
tonende Gestaltung erhalten und den Duft reinster Poesie uber das
ganze Werk ausbreiten konnte, welche aber in der Seele des
schaffenden Dichters von allem Anfang an als Gegenbild oder
vielmehr als leibhaftige Verkorperung seines Dramas — jenes
„Vorganges in den Tiefen der inneren Seele" — gelebt hat.
Das selbe gilt fiir jede Gebarde und fiir das gesamte Biihnen-
bild in seiner wechselvollen Beleuchtung. Jene schon friiher
angefijhrten Worte des Meisters,-) er hatte seine dramatischen
Werke gern als „ersichtlich gewordene Taten der Musik" be-
zeichnet, haben uns jetzt also ihren vollen Sinn enthiillt. Dazugeniigte die verstandnisinnige Betrachtung eines einzigen Dramas
*) Auf diesen interessanten Gegenstand komme ich bei der Besprechung
von Tristan und Isolde noch zuruck.-) Vgl. S. 305.
412 DRITTES KAPITEL
aus der zweiten Lebenshalfte. Wollen wir einen mehr logischen,
mehr vernunftgemassen Ausdruck fiir das „deutsche Drama",
das uns Wagner geschenkt hat, so miissen wir es als „das
reinmenschliche Drama" bezeichnen; das eigentlich Kiinstlerische
aber wird dadurch ausgesprochen, dass man es mit Wagner
„eine ersichtlich gewordene Tat der Musik" nennt. Auf der
einen Seite stehen der innere Mensch und sein Ausdrucks-
organ, die Musik, „jene alles klagende, alles sagende, alles
tonende Seele", auf der anderen der aussere Mensch und seine
ganze sichtbare Welt; zwischen beiden schwebt der Gedanke,
dessen kunstlerische Tatigkeit in der Phantasie sich kundgibt.
Das Bezeichnende des neuen Dramas ist nun, dass die Ge-
staltung des ganzen Kunstwerkes von dem inneren Menschen
ausgeht, von ihm ihre Gesetze erhalt. Somit wird namlich
(dies ist sehr wichtig!) der Gedanke nicht von ausseren Ein-
driicken bestimmt, die er dem inneren Menschen erst mitteilt,
urn dadurch eine dramatische Handiung entstehen zu lassen;
sondern der Gedanke — und mit ihm die Phantasie — tritt
hier, im Wort-Tondrama, gleich von Beginn an im Dienste
des inneren Menschen auf, von ihm geleitet, bestimmt, befehligt.
Wie der Meister an der vorhin zitierten Stelle weiter bemerkt:
„Die ganze Bedeutung der ausseren Welt hangt hier allein von
der inneren Seelenbewegung ab".
Eine eingehende Anwendung des eben Ausgefiihrten auf
Die Meistersinger ist um so weniger notig, als es ja gerade
das tiefere Verstandnis dieses Dramas war, was uns zu unserer
grundlegenden Betrachtung die Veranlassung gab. Nur eines
muss ich bemerken: ich habe von Sachs allein gesprochen,
well er in der Tat der lebengebende Mittelpunkt des grossen
Dramas ist. Um ihn herum stehen aber zahlreiche andere
Charaktere, ein jeder scharf individualisiert. Hier gilt nun,
was Herder uber Kunstwerke im allgemeinen ausfiihrt: ,Jede
reine Idee, die ein vollendetes Bild gibt, teilt nachbarlichen
Ideen Klarheit mit". Hans Sachs ist in den Meistersingern das
vollendete Bild; um ihn gruppieren sich in zunehmender
perspektivischer Entfernung die anderen Figuren des bunten
Ganzen; auch den fernsten teilt er Klarheit mit.
DER RING DES NIBELUNGEN
Voluntas superior intellectu.
Joh. Duns Scotus
Den Abschnitt iiber Die Meistersinger habe ich mit einem ^er Emwurf
Hinweis auf Herder geschlossen; diesen iiber den Nibelungen-°"'^^^^'^ ^^^^
ring mochte ich mit einem solchen beginnen. „Wann aber undwie", sagt Herder in einer Betrachtung iiber die verwirrende
Menge der germanischen Mythen und Sagen, „wird aus diesen
vermischten Sagen und Abenteuermarchen so verschiedenerVolker in so verschiedenen Gegenden und Umstanden eine
Ilias, eine Odyssee erwachsen, die alien gleichsam den Kranzraubte und jetzt als Sage der Sagen gelte*'?^) Diese "Worte
fielen vor ungefahr 100 Jahren, 1795. Seitdem hat es an Ver-suchen, Herder's Wunsch zu erfiillen, nicht gefehlt. Dasepische „Nibelungenlied" aus dem 13. Jahrhundert und — in
geringerem Masse — der nordische Mythos, wie er durch die
Ubersetzungen der Edden und der Heldensagen aus dem Islan-
dischen und Norwegischen ins Deutsche bekannt wurde, das
sind die zwei Grundpfeiler, auf denen im Laufe des letzten Jahr-
hunderts zahlreiche dichterische Gebaude aufgefiihrt wurden.-)
Mit Ausnahme von Hebbel's Trilogie und Jordan's Epos (beide
erst nach der Veroffentlichung von Wagner's Nibelungenring
entstanden) sind die Versuche alle schon langst verschollen;
selbst Geibel's Schauspiel Brunhild (1857), in welchem manWagner's Einfluss wohltuend verspiirt, diirfte nur wenigen
bekannt sein — als „Drama" und zugleich doch nicht biihnen-
fahig, bekundet es sich ohnehin als ein nicht zum Lebengeborenes Zwitterwesen. Ausserordentlich bezeichnend fiir
Wagner's unfehlbaren Buhnenblick ist es nun, dass er — under allein — sofort erkannte, das mittelalterliche Nibelungenlied,
welches in seiner ersten Halfte Siegfried's Tod und in seiner
^) Ideen zur Geschichte und Kritik der Poesie und bildenden Kunste,
Abt. 34.
^) Die voUstandigeZusammenstellung und eine sachkundigeBesprechung
dieser iiberreichen Nibelungen-Literatur findet man in H. von Wolzogen's
Schrift Der Nibelungenmythos in Sage und Literatur, bei Weber (Berlin, 1876).
414 DRITTES KAPITEL
zweiten Chriemhilde's Rache bringt, eigne sich nur fiir epische
und durchaus nicht fiir dramatische Behandlung. Aus demverfitzten Knauel diplomatischer Intrigen und Gegenintrigen,
aus der Uberfiille ritterlicher Taten, wie sie die Hofe des
Mittelalters zu ihrer Unterhaltung verlangten, aus der Ver-
mischung halbhistorischer Vorgange mit nur halbverstandenen
mythischen Ziigen lasst sich kein klares, kraftiges Drama ge-
stalten, namentlich aber kein reinmenschliches Drama, wie die
Musik es erfordert. Und da entwarf Wagner schon imjahre 1848,
als er den Stoff durch mehrjahrige Beschaftigung mit den ein-
schlagigen Dichtungen voUstandig beherrschte und sich assimiliert
hatte, die Skizze zu einer Dramatisierungdes Nibelungen-Mythos. ^)
Dieser Entwurf unterscheidet sich schon dadurch von samtlichen
anderen Versuchen, dass hier Siegfried's Tod das Ende, den
Kulminationspunkt der ganzen Handlung, nicht den Anfang oder
die Mitte bildet. Nur der Schluss also von Wagner's Dramaberiihrt sich mit dem Nibelungenlied, und zwar nur mit dessen
erstem Buche. Gleich in diesem ersten Entwurf ist Siegfried
der Held, Briinnhilde die Heldin; Gunther und Chriemhilde-
Gutrune sind untergeordnete Personlichkeiten, die nur insofern
interessieren, als sie fiir das tragische Schicksal des Helden-
paares in Betracht kommen. Mit einem Worte, Wagner wendet
sich vom Gebiet der Sage weg zu dem des Mythos. Gerade
diese Tatsache, dass er das mittelalterliche, halbhistorische
„Lied" verwarf und dafiir die nordischen Gotter- und Helden-
gestalten erwahlte, ist fiir des Meisters Leben von epoche-
machender Wichtigkeit; denn hiermit hatte er als Kiinstler eine
Tat vollbracht, deren Bedeutung seine Vernunft erst einige
Jahre spater voll begriff. Spater erkannte er namlich: „Das
Unvergleichliche des Mythos ist, dass er jederzeit wahr und
sein Inhalt bei dichtester Gedrangtheit fiir alle Zeiten uner-
schopflich ist« (IV, 81).
Will man nun den hohen Wert jenes ersten Entwurfes
ermessen, so vergleiche man ihn mit dem besten anderweitigen
Versuch, diesen Sagenkreis musikalisch-dramatisch zu gestahen.
Und als den besten kann man wohl ohne Zweifel den Entwurf
des bekannten Asthetikers F. Th. Vischer bezeichnen, den
') Vgl. S. 388.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 415
man in dessen Kritischen Gdngen, Band II, findet. Hier haben
wir es wenigstens mit dem ernsten Versuche eines Mannes zu
tun, der den gesamten Stoff beherrschte, was von solchen unter-
geordneten Werken wie Dorn's Nibelungenoper nicht behauptet
werden kann.
Vischer's Entwurf ist ein wunderbares Gemisch von
richtiger Einsicht und kiinstlerischer Unfahigkeit. Die allge-
meinen Bemerkungen sind auffallend scharfsinnig und treffend:
„Es muss mich alles triigen, oder es ist noch eine andere,
eine neue Tonwelt zuriick, welche sich erst offnen soil
Die Musik soil noch ihren Schiller und Shakespeare bekommen.Wir wollen eine heimische, eine eigene, eine nationale
Welt von Empfindungstonen in der Musik usw." Vortrefflich
ist es auch, wie er dann auf „die Nibelungensage" als auf einen
geeigneten Stoff fur die Betatigung dieser „neuen Tonwelt"
hinweist: „Wir haben diese Musik noch nicht gehabt, welche
ein solcher Stoff fordert, und wir haben einen solchen Stoff in
unserer Musik noch nicht gehabt, sowie wir in unserer Poesie
noch keinen Shakespeare gehabt haben". Naher auf das Neue,
was er von dieser Musik fordert, eingehend, meint Vischer:
„Die Recken der alten Heldensage und ihr gigantisches Schick-
sal wollen eine andere Zeichnung als Jagerbursche ihre
Grosse ist von ihrer Wortkargheit unzertrennlich", dies alles
widerspreche aber nicht dem Wesen der Musik, im Gegenteil:
„Die Musik fordert einfache Motive, einfache Handlung"
Sobald nun aber Vischer an die Gestaltung herantritt, welcher
Abfall! Da ist es nicht mehr die Nibelungensage, sondern das
Nibelungenlied, welches „fur die Oper wie gemacht ist"! Ge-
riihmt wird an diesem Liede namentlich, dass es „reichliche
Gelegenheit zu festlichen Aufziigen biete"! Und nun drama-
tisiert der Asthetiker das ganze Nibelungenlied Schritt fur
Schritt und erhalt eine monstrose, fiinfaktige „heroische Oper",
in welcher 17 mannliche Solisten auftreten, ohne dass es moglich
ware zu erraten, wer der eigentliche Held dieser Hydra aller
Biihnenkunst sei: Siegfried stirbt schon in der Mitte des zweiten
Aktes („in herrlicher Jagdkleidung"!); Gunther, Hagen, Gemot,
Dankwart, Rudiger, Dieterich, Hildebrand dagegen bleiben alle
gleichmassig im Vordergrund; Chriemhilde allein hebt sich
aus der Masse kraftiger hervor; ihre Rache bildet namlich
416 DRITTES KAPITEL
den eigentlichen Inhalt des Dramas. Der ganze letzte Akt ist
eine einzige, ununterbrochene Metzelei, welche zuletzt zu einer
»Schluss-Katastrophe: ungeheurer blutiger Durchbruch des
Schicksals im entfesselten Sturme aller musikalischen Krafte"
fiihrt. Es ware wohl schwer, etwas Unmoglicheres fiir die Musik
zu erdenken. Nun hore man aber, wie dieser grundgescheite
Mann, der erste, der an vielen Orten das Richtige erblickte,
es dennoch verstand, nicht allein in seinem ganzen Entwurf,
sondern auch im einzelnen iiberall an diesem Richtigen knapp
vorbeizugehen, so dass sein Musikdrama mehr durch das Unter-
lassene als durch das VoUbrachte fesselt: „Nach der Darstellung
der Edda ist in dem ganzen tragischen Gange der Begebenheit
ein alter Fluch wirksam, den der Zwerg Andvari auf den
Nibelungenhort legte, im Nibelungenlied ist dieser Zug ver-
wischt, in der Klage tritt er schwach angedeutet wieder hervor.
Man kann aber diese Beziehung in der Oper nicht brauchen"!
Des weiteren klagt Vischer iiber die Unklarheit vieler Motive,
namentlich in bezug auf Briinnhilde, lost aber hier und iiberall
die Schwierigkeit auf eigentiimliche Weise: ^Briinnhilde darf
keine Walkiire sein" I Der Vergessenheitstrank ist zwar unent-
behrlich, „muss aber verworfen werden"! Siegfried darf Brunn-
hilde's Anklage nicht abschworen, denn „diese Szene ist fiir
den raschen dramatischen Gang miissig"! Dass Siegfried nur
im Riicken verwundbar ist (worin sowohl das Furchtbare des
Racheschwurs als auch die ganze Motivierung des verraterischen
Mordanschlags begriindet liegt), „muss ebenfalls wegbleiben"!
„Die Zwerge und Riesen fallen natiirlich auch weg." Und so
geht es weiter; es fallt jeder charakteristische Zug weg, einer
nach dem andern, bis richtig nur eine „Oper" iibrig bleibt
— eine Oper mit vielen festlichen Aufziigen und reichlichem
Massenmord. Es bleibt unbegreiflich, was die so deutlich und
richtig geahnte „neue Tonwelt" hier soli, diese Tonwelt, von
der Vischer selbst gesagt hatte, „sie verlange einfache Motive,
einfache Handlung." Wahrlich, Wagner hatte mit Recht vor-
ausgesagt, lediglich ein Musiker werde das Drama so erweitern
konnen, wie es die Fahigkeiten des musikalischen Ausdrucks
erforderten.*)
') Siehe S. 375, 397, 405.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 417
Und nun sehe man Wagner's Entwurf aus dem Jahre 1848
an. Wer des Meisters Gesammelte Schriften nicht zur Handhat, kann sich die Art, wie hier die Aufgabe aufgefasst undgliinzend gelost ist, dennoch leicht vorstellen, wenn er erfahrt,
dass der Gang der ausseren Begebenheiten in jenem ersten
Entwurf fast genau der selbe ist wie derjenige der jetzigen
Dichtung. Die Handlung beginnt mit dem Raub des Goldesdurch Alberich; dieser schmiedet daraus den verhangnisvollen,
machtverbiirgenden Reif; als Wotan ihm diesen gewaltsam ent-
reisst, verflucht Alberich den Ring, „er solle das Verderbenailer sein, die ihn besitzen". Um den Besitz dieses Ringes,
des Symbols der Weltmacht, dreht sich nun das ganze Drama.Aus der tragischen Liebe der Wotanskinder Siegmund undSieglinde wird Siegfried geboren; Siegfried totet den Wurmund wird dadurch, ohne den Wert des Besitzes zu ahnen, Herrdes Ringes; er erweckt die herrliche Walkiire Brunnhilde, die
seinen Vater Siegmund gegen Wotan's Geheiss — aus Mitleid —geschiitzt hatte, und gewinnt sie zum Weibe. Dann zieht er
aus auf Abenteuer und gelangt an den Gibichiingenhof amRhein; dort begegnet er Hagen, dem Sohne Alberich's undHalbbruder Gunther's, der auf ihn und den Ring schon lange
lauert. Siegfried trinkt den Vergessenheitstrank^) und wirbt
fiir Gunther sein eigenes Weib Brunnhilde zur Gemahlin;
Brunnhilde schwort Rache; sie verrat Hagen, wo Siegfried einzig
verwundbar ist; Hagen ersticht Siegfried auf der Jagd.^) Briinn-
hilde, der das „himmlische Wissen" zuriickkehrt, besteigt Sieg-
fried's Scheiterhaufen und weist den durch das Feuer gelauterten
Ring wieder den Rheintochtern zu. — In diesem Drama haben
wir also als grossartigen Hintergrund den allgemeinen Kampfum Macht und Weltherrschaft; damit dieser Kampf die ganze Welt
^) Der „Vergessenheitstrank", und zwar genau in diesem Zusammen-hang, ist ein uralter Zug der indo-germanischen Sagen; auch die Wieder-
erweckung der Erinnerung durch den Anblick eines Ringes findet man z. B.
in Cakuntala.
-) Das Titelblatt der „grossen heroischen Oper" findet der Leser auf
S. 241 der ersten Ausgabe dieses Buches, und hierneben eingeheftet findet
er ein nocii interessanteres Stuck aus dem selben Manuskript: die erste
Niederschrift der letzten Worte Siegfried's und der Buhnenweisungen fiir
den Trauerzug sowie am Rande des namlichen Blattes den Entwurf zu einer
Trauermusik. Da diese Handschrift am Anfang vom 12. November 1848,
Chamberlain, Ricbard Wagner ill. Ausg. 27
418 DRITTES KAPITEL
umfasse, tritt er in symbolisierten Gestalten auf: die emsigenZwerge entreissen den unschuldigen Wasserfrauen das Gold,die geistig iiberlegenen Cotter bemachtigen sich seiner durchList, die plumpen Riesen trotzen es diesen wieder durch pliysische
Kraft ab, die stolzen Menschenfiirsten strecken gierig die Handdanach aus Alle trifft aber der Flucli, der auf dem Goldevon jenem Augenblicke an lastet, wo es dem Wasser, in welchemes rein, als „strahlender Tand« geruht hatte, entrissen wurde,
urn Maclitgelusten zu dienen. Auf diesem Hintergrunde erhebensich nun die grossen Gestalten Siegfried's und Brunnhildens.
Diese, die Gottestochter, zugleich die Tochter der weisen MutterErde,^) opfert zuerst ihre Gottheit aus Mitleid, sodann ihr
Wissen aus Liebe; sie ist der zum Menschen gewordene Gott,
der von seiner friiheren Art die Macht und die Weisheit ver-
loren, dafiir aber sich das weltumfassende Herz und die Fahig-
keit, iibermenschlich zu leiden, bewahrt hat. In denkbarscharfstem Kontrast zu Briinnhilde steht Siegfried, der Proto-
typ des „reinen Toren", in welchem man — wenn ich michso ausdriicken darf — das Gottwerden des Menschen erlebt,
der Held, dessen Seele, „ledig des Neides, liebesfroh", wedervon Furcht noch von Gold und Gier beriihrt werden kann.
„In ihm«, sagt "Wagner, „sah ich den Menschen in der natur-
lichsten, heitersten Fiille seiner sinnlich belebten Kundgebungvor mir; kein historisches Gewand engte ihn mehr ein; kein
am Ende vom 28. November 1848 datiert ist und da sie ferner nur diese
einzige musikalische Skizze enthalt, so ist diese ohne Zweifel der allererste
Kompositionsentwurf zu dem grossen Nibelungenwerk! Unter dem Eindruck
einer plotzlichen Inspiration scheint der Meister sein Papier umgewendet,schneli zwei Notensysteme gezogen und diese acht Takte hingeworfen zuhaben. Der Gebrauch des Tenorschlussels lasst wohl auf die beabsichtigte
Anwendung der Posaunen schliessen. Fiir die Leser dieser Ausgabe folgt
hier eine Transkription:
*) „Des Menschen Mutter ist eine leibhafte Erscheinung der Erde"
(Bhagavata-Purana).
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 419
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Faksimile aus der Originalhandsch:
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RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 419
ausser ihm entstandenes Verhaltnis hemmte ihn irgendwie in
seiner Bewegung, die aus dem innersten Quell seiner Lebens-lust jeder Begegnung gegeniiber sich so bestimmte, dass Irrtum
und Verwirrung, aus dem wildesten Spiele der Leidenschaften
genahrt, rings um ihn bis zu seinem offenbaren Verderben sich
haufen konnte, ohne dass der Held einen Augenblick, selbst
dem Tode gegeniiber, den inneren Quell in seinem wellenden
Ergusse nach aussen gehemmt, oder je etwas anderes fiir
berechtigt iiber sich und seine Bewegung gehalten hatte, als
eben die notwendige Ausstromung des rastlos quillenden inneren
Lebensbrunnens. Mich hatte Elsa diesen Mann finden gelehrt:
er war mir der mannlich verkorperte Geist der ewig und einzig
zeugenden Unwillkiir, des Wirkers wirklicher Taten, des
Menschen in der Fiille hochster, unmittelbarster Kraft undzweifellosester Liebenswurdigkeit. Hier, in der Bewegung dieses
Menschen, war kein gedankenhaftes Wollen der Liebe mehr,
sondern leibhaftig lebte sie da, schwellte jede Ader und regte
jede Muskel des heiteren Menschen zur entziickenden Betati-
gung ihres Wesens auf" (Eine Mitteilung an meine Freunde,
IV, 399).
Mit diesen kurzen Andeutungen sind nur einige der auf-
fallendsten Ziige in der Wagnerschen Neudichtung genannt,
genug aber, glaube ich, empfinden zu lassen, nicht allein
wie gross der Abstand zwischen diesem Entwurf und alien
ubrigen Versuchen ist, sondern dass hier eine dichterische Tat
voUbracht ward, wie sie nur den allergrossten Dichtern gelingen
kann. Je mehr man sich in das Studium der nordischen Dich-
tungen, der deutschen Mythologie und Sagenwelt vertieft, um so
mehr lernt man das hier Geleistete mit Ehrfurcht bewundern.
Wagner hat selber voUbracht, was er einmal als „das hochste
denkbare Vermogen des Dichters" bezeichnete, er hat „den
aus dem klarsten menschlichen Bewusstsein gerechtfertigten,
der Anschauung des immer gegenwartigen Lebens entsprechend
neu erfundenen Mythos im Drama zur verstandlichsten Dar-
stellung gebracht." Die unerschopfliche Wahrheit der von
ganzen Volkern intuitiv empfundenen Beziehungen zwischen
dem Menschen und der umgebenden Welt — jene Natur-
symbolik, welche „gelebte Philosophie" ist im Gegensatz zu
der nur gedachten — hat Wagner mit der vollen Klarheit des
27*
420 DRITTES KAPITEL
bewusst schaffenden Poeten oder Sehers zu einem formvoll-
endeten Kunstgebilde gestaltet. Und indem er das tat, hat er
Herder's Wunsch erfullt: aus dem undurchdringlichen Gewirre
der „vermischten Sagen und Abenteuermarchen" ist hier ein
Gedicht „erwachsen«, welches uns Germanen jetzt als „Sage
unserer Sagen gelten kann"! Dabei darf nie vergessen werden,
dass Tristan und Isolde sowie Parsifal, beide, organisch zum
Ring des Nibelungen gehoren. Die vollige Gleichheit des Ver-
haltnisses zwischen Tristan und Isolde mit dem zwischen Sieg-
fried und Briinnhilde war schon langst niichtern forschenden Ge-
lehrten aufgefallen, und Wagner sagt ausdrucklich, sein Tristan-
drama sei „ein Erganzungsakt des grossen, ein ganzes Welt-
verhaltnis] umfassenden Nibelungenmythos" (VI, 379). Die
Verwandtschaft zwischen den beiden „reinen Toren" —Siegfried und Parsifal — ist aber mindestens ebenso augen-
fallig: Parsifal ist zwar kein ^Erganzungsakt"; der christliche
Mythos ist aber eine notwendige, uberall im Ring vorgeahnte,
herbeigesehnte und durch Brunnhildens Tod geradezu geforderte
Erganzung.i) Einen treffenden Beleg fur diese intuitiv empfun-
dene kiinstlerische Notwendigkeit bietet uns die Tatsache, dass
der Dichter im Jahre 1848 fast in einem und dem selben Atem-
zuge seinen Nibelungen-Mythos als Entwurf zu einem Drama
und seinen Jesus von Nazareth verfasstel
Die .Phasen"- Nur ungem unterbreche ich eine Darstellung durch Polemik.
Es gehort aber zu den Pflichten des Biographen, der unhalt-
') Von grosstem Interesse in bezug hierauf sind die neusten Ergeb-
nisse der Wissenschaft, aus denen hervorgeht, dass der ganze „grossartige
Hintergrund der nordischen Mythologie: die Welttragodie, die Schopfungs-
geschichte und der Weltbrand, keine altgermanischen Anschauungen, sondern
junge, vom Christentum beeinflusste sind". Es wird jetzt als erwiesen be-
hauptet, dass die deutsclien Stamme niemals etwas von Wotan, von Walhall
und von den Walkiiren gewusst haben; vielmehr sollen diese nordischen
Dichtungen zur Wikingerzeit — in Anlehnung natiirlich an den herrschenden
Volksglauben — als das Werk einzelner Manner aus den vornehmsten Ge-
schlechtern, die auf den britischen Inseln mit Ciiristen und sogar mit
Monchen in Beriihrung gekommen waren, entstanden sein. Der Untergang
der Welt durch Feuer z. B. — die „G6tterddmmerung"^ — soil nicht eine
altgermanische, sondern eine altchristliche Vorstellung sein. (Vgl, die Be-
sprechung von Prof. Sophus Bugge's Schriften durch Prof. Wolfgang Golther,
Bayreuther Blatter 1890, S. 205 fg., und andere Mitteilungen des selben Ge-
Irrlehre
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 421
baren Behauptung entgegenzutreten, als seien diese drei so eng
und unzertrennlich zusammengehorenden Werke — Der Ring,
Tristan und Parsifal — die Symptome eines inneren Wand-lungsvorganges im Herzen des Kiinstlers. Indem man sich an
zufallige Daten und an eine allzu oberflachliche Kenntnis von
Wagner's Personlichkeit hielt, ist es — in dicken und in diinnen
Biichern — gelungen, plausibel zu machen, der Meister habe
alle paar Jahre seine „Weltanschauung" gewechselt, etwa wie
ein Wallache sich jedes Lustrum in eine neue Haut einnahen
lasst.*) BiszumHerbst 1847 (Lohengrin) ist Wagner— wenigstens
vorwiegend — Christ gewesen, so behauptet man. Nun huldigte
er aber auf einmal einem „heidnischen Naturalismus", und diese
Weltanschauung legte er in seinem Ring des Nibelungen nieder.
Einige Jahre spater fiel der Meister dem Einfluss des philo-
sophischen Pessimismus anheim, selbst den kargen Rest heid-
nischen Glaubens schwor er ab, und — er schrieb Tristan undIsolde. In diesem Reiche der ungemutlichen Verneinung des
Willens zum Leben war ihm jedoch auf die Dauer nicht wohl:
yyDie Meistersinger (1861 bis 1867) zeigen uns, wie die pessi-
mistische Phase allmahlich uberwunden wurde und wie ge-
siindere Ideen zu dammern begannen" (Hebert, S. 67); endlich
wurde ihm die Gnade des Himmels zu teil: Saulus verwandelte
sich in Paulus, und in dieser neusten, letzten Verwandlung,
in der „Phase des religiosen Glaubens" verfasste WagnerParsifal! Wenn solche Auffassungen auf die Professoren der
Philosophie beschrankt blieben, so ware der Schade nicht
gross; diese wissen ihren Gedanken so unendlich zahlreiche
und feine Niiancen abzugewinnen, dass keine Behauptung ihnen
lehrten in dem Literaturblatt fur germanische und romanische Philologie).
Unerwartet ist Qbrigens dieses „neuste Ergebnis" durchaus nicht: schon
vor 20 Jahren schrieb Mannhardt von der Edda, „sie sei die bewusste Arbeit
von Kunstdichtern der hoheren Gesellschaft; der Vorrat alter echter Volks-
mythen sei darin ein nur beschrankter". (Antike Wald- und Feldkulte,
Berlin 1877, S. XII.)
^) Am meisten Beachtung verdient des Abbe Hebert Trois momentsde la Pensee de Richard Wagner (Fischbacher 1894). Hebert ist Professor
der Philosophie an dem weltbekannten College Fenelon; seine Schriften
zeichnen sich durch Gediegenheit und durch eine Fiille trefFender Be-
merkungen vor den anderen Schriften aus, in denen diese These ver-
fochten wird. (191 1. Inzwischen trat Hebert aus der katholischen Kirche aus.)
422 DRITTES KAPITEL
zu gewagt zu erscheinen braucht.*) Wir anderen erhalten aber
durch derartige Darstellungen ein ganzlich verzerrtes, ja, ein
karikiertes Bild von Wagner's Leben und Schaffen; denn weder
chronistisch noch biographisch noch psychologisch noch —vor allem — kiinstlerisch eignet ihnen ein Atom von Wahrheit.
Chronistisch nicht, denn man muss wie ein Taschenspieler
mit den Zahlen gaukeln, um die synchronistische Entstehung
dieser Werke aus der zweiten Lebenshalfte wegzuleugnen;
biographisch gewiss nicht, wie der Leser dieses Buches be-
zeugen kann; psychologisch nicht, weil ein Mann seine „Weh-
anschauung" ebensowenig andern kann wie die Farbe seiner
Haare — allerdings kann er sie wie diese aus praktischen
Rucksichten „farben«, also andere dariiber irre fuhren; aber
weit reicht auch diese List nicht; denn seine Weltanschauung
ist ihm angeboren, und ehe sie ihm von der Welt zuruckge-
strahlt wird, „schaut" sie ihm selber zu den Augen heraus;
kunstlerisch nicht, weil gerade hier das schopferische Genie
sich vom Talent unterscheidet. Das Genie ist wie das mythen-
bildende Volk: es legt in seine Gestaltungen unendlich viel
mehr hinein, als es selber jemals geahnt hat. „Der Kunstler
steht vor seinem Kunstwerke, wenn es wirklich ein solches ist,
wie vor einem Ratsel", bezeugt Wagner. Shakespeare schrieb
seinen Heinrich VI. mit der schlichten Absicht, die Geschichte
eines sehr mittelmassigen Konigs biihnenmassig zu bearbeiten,
und schuf damit eine Trilogie von unergrundlichem Tiefsinn;
Johann Sebastian Bach dachte ein Ubungsbuch fur angehende
Pianisten zu verfassen und — siehe da! — es entstand das
Wohltemperierte Klavier; bei Wagner wurde eines Tages eine
Oper fiir Brasilianer bestellt, und er schrieb Tristan und Isolde!
Aber auch die Begriffe, die Vernunftansichten, denen ein genialer
Kunstler im Augenblicke des Schaffens huldigen mag, sind diesem
Schaffen gegenuber etwas Ausserliches; selbst dort, wo er
ihnen zu folgen glaubt, tut er es doch nicht. Das ist, was
jene „Phasen-Autoren" nicht verstehen. Wagner selber dagegen
unterscheidet mit Recht und sehr scharfsinnig zwischen „Welt-
^) Man vgl. z. B. Hebert's zweites, sehr lesenswertes Buch Le senti-
ment religieux dans I'oeuvre de Richard Wagner (Fischbacher 1895), wo die
„Phasen-Lehre" schon bedeutend gemildert auftritt. (Deutsche Ausgabe:
Das religiose Gefiihl im Werke R. Wagner's, bei Schupp in Miinchen.)
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 423
anschauung" und „Weltbegriff". Von dem Nibelungenring
hatte er, wahrend er die Dichtung entwarf, gemeint: „Meine
ganze Weltanschauung hat in ihm ihren vollendetsten kiinstle-
rischen Ausdruck gefunden" (U. 192). Nichtsdestoweniger stellt
er fest, dass seine kiinstlerischen Gestaltungen gerade in diesem
Werke seine philosophischen Versuche zur Erklarung der Welt
„immer wieder vollstandig uber den Haufen warfen. Schon
mit der Anlegung des Planes folgte ich unbewusst einer ganz
anderen, viel tieferen Anschauung, und anstatt einer Phase
der Weltentwickelung, hatte ich das Wesen der Welt selbst in
alien seinen nur erdenklichen Phasen erschaut und in seiner
Nichtigkeit erkannt, woraus naturlich, da ich meiner Anschauung,
nicht aber meinen Begriffen treu blieb, etwas ganz anderes zu
Tage kam, als ich mir eigentlich — gedacht hatte" (R. 67).
Man pflegt iiberhaupt allgemein den Einfluss des abstrakten Den-
kens auf das kiinstlerische Schaffen zu iibertreiben: als Wagnerseinen Nibelungenring zuerst entwarf (zugleich mit SQinem Jesus
von Nazareth), kannte er weder Feuerbach noch Schopenhauer;
die spatere Gestaltung des Ringes, als der Meister angeblich unter
Feuerbachschem Einfluss stand, ist nun weit weniger „heidnisch-
naturalistisch" als die friihere: viel eher konnte sie die Be-
zeichnung „christlich-pessimistisch" verdienen. Und Parsifal —aus der „Phase des religiosen Glaubens" — hat alles dogmatisch
und historisch ^Christliche" des Jesus von Nazareth bis auf die
letzte Spur abgestreift. Gewiss stand Wagner's philosophisches
Denken zu einer gewissen Zeit unter dem Einfluss Feuerbach's,
zu einer andern unter dem Schopenhauer's; sehr tief ging zwar
der Einfluss Feuerbach's nicht, und sogar Schopenhauer wirkte
mehr klarend als umgestaltend; aber selbst wenn man diese
letzten Entwickelungsstufen zur vollen, festen Gestaltung im
Denken des bereits vierzigjahrigen Mannes als jjPhasen" auf-
fassen will — womit man mehr Schatten als Licht auf den
wahren Vorgang wirft — so ist man doch durchaus nicht be-
rechtigt, dieses Denken in seinen Kunstwerken auffinden und
nachweisen zu wollen. Die Weltanschauung, die aus Parsifal
zu uns redet, ist genau die selbe, welche der Ring des Nibe-
lungen birgt: in ihr spiegelt sich jener Kern der Indivi-
dualitat des Kunstlers wider, auf den nicht einmal ein Schopen-
hauer ummodelnd einzuwirken vermochte. Als Wagner seinen
424 DRITTES KAPITEL
Ring zuerst skizzierte, zwang sich ihm sofort die Vorstellung
auf, der heilige Gral sei eine Idealisierung des Nibelungen-
hortes;') das Gralsdrama und das Nibelungendrama, fur seine
^Weltanschauung" gehorten sie zueinander! Die Gestalt des
„tumben« Parsifal dagegen drangte sich ihm erst einige Jahre
spater auf, und zwar als er sich mitten in der Arbeit an der
Walkiire unterbrach, urn Tristan und Isolde zu skizzieren. Hatte
sich das durch des Heilands Blut geweihte „Heilsgefass« der
Phantasie Wagner's als Gegenstuck zum „Gold« bemiichtigt, so
trat jetzt — in der ersten Skizze zum dritten Akt des Tristan —Parsifal, der durch Mitleid wissend gewordene reine Tor,
zu dem aus Liebe Sterbenden heran. Wohl aus tiefen kunst-
lerischen Bedenken verwarf Wagner bald diese Auffassung;
Parsifal wurde die mittlere Figur eines neuen Dramas, dessen
erster Entwurf im Fruhjahr 1857 entstand, mitten in der Kom-
position des Siegfried, kurz vor der ausfuhrlichen Dichtung des
Tristan. Man sieht, wie viele geheime, fur keinen anderen zu
entwirrende Faden diese drei Dramen in des Meisters schopfe-
rischer Phantasie verbinden! Man ahnt auch, was Wagner sagen
wollte, als er behauptete, Parsifal konne man erst verstehen,
wenn man „den Tristan verdaut habe".-) Neben solchen ent-
scheidenden Erwagungen ware es fast kindisch, auf allerlei
Kleinigkeiten Nachdruck legen zu wollen, wie z. B. darauf, dass
Wagner wahrend der „Phase des dunklen Pessimismus" eine
Madonna iiber seinem Arbeitstisch hangen hatte (siehe L. II, 142)
und in der „Phase des religiosen Glaubens" an ihrer Stelle
Schopenhauer's Bildnis.
Doch kehren wir zum Nibelungenring zuruck.
DieTriiogievcm Bls jctzt habc ich nur von dem ersten Entwurf (aus demJahre 1852
jgj^^g ig48^ gcsprochcn ; diese poetische Tat verdient auch die
grosste Aufmerksamkeit. Man entsinnt sich, wie Wagner da-
1) Siehe in der Schrift Die Wibelungen (vom Jahre 1848) den Ab-
schnitt „Aufgehen des idealen Inhaltes des Hortes in den Heiligen Gral".
2) Wagner schreibt namlich an Liszt (II, 137): „Erst miisset Ihr auch
meinen Tristan verdaut haben, namentiich seinen dritten Akt mit der schwarzen
und der weissen Flagge. Dann wurden erst Die Sieger deutlicher werden."
Die Sieger war der Titel eines Entwurfs, den der Meister nicht ausfuhrte,
dessen Gedanken-Inhalt aber in Parsifal uberging, das Drama des „Siegers".
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 425
mals, nachdem er den ganzen Mythos in seinem grossartigsten
Zusammenhang entworfen und somit „die Sage der Sagen"
gestahet hatte, sich nun bemiihte, „eine Hauptkatastrophe" des
Mythos mit der Andeutung jenes Zusammenhanges biihnen-
massig zu bearbeiten, weil es ihm damals unmoglich schien,
„unserem Theater gegeniiber" mehr zu erreichen. Diese Haupt-
katastrophe war Siegfried's Tod. Dadurch aber, dass in dieser
dramatischen Handlung so vieles einer vergangenen Zeit an-
gehorte, haftete der Dichtung ein Fehler an, der das Gegen-
stiick zu den Unzulanglichkeiten aller iibrigen Nibelungengedichte
bildete: in diesen anderen wird man sich gerade uber das Ver-
haltnis zwischen Briinnhilde und Siegfried, namentlich in ihren
Beziehungen zu Gunther und Gutrune (Chriemhilde), nie klar;
bei Wagner bildete umgekehrt gerade die Liebe Siegfried's und
Briinnhildens sowie der an beiden geiibte Verrat und ihr Tod
das ganze Drama. Dagegen blieb „der grosse Zusammenhang,
der den Gestalten erst ihre ungeheure, schlagende Bedeutung
gibt" (U. 119), jener alle Wesen umfassende Kampf um die
Weltherrschaft, verhaltnismassig verschwommen; denn nur
durch Erzahlungen wurde er bekannt. Die Nornen, die Wal-
kiiren und Alberich (in seiner Szene mit Hagen) waren es, die
uns im Verlaufe des Dramas mit dessen Vorgeschichte bekannt
zu machen hatten. Diese „Mitteilung an den Gedanken" er-
kannte Wagner als einen entschiedenen Fehler; er empfand das
Bediirfnis nach deutlicher Darstellung des ganzen Zusammen-hangs an die Sinne von der Biihne herab. Das bestimmte ihn,
ein zweites Drama, Der Jange Siegfried, auszufiihren. Auch
da blieb jedoch noch vieles zu erzahlen iibrig; gerade durch
dQnJungen Siegfried wurde die Walkilre so nahe herangeriickt,
dass sie eine dichterische Notwendigkeit wurde. Den Schluss-
stein des stolzen Gebaudes bildete endlich das Vorspiel Das
Rheingold. Man darf aber nie iibersehen, dass Wagner nicht
— wie bisweilen behauptet wird — in einem krebsartigen Riick-
wartsschreiten sein Werk geschaffen hat, sondern dass er zu-
erst jenen vollstandigen Entwurf ausgefiihrt hatte, vom Raube
des Goides durch Alberich bis zum Tode Siegfried's und Briinn-
hilde's. Die eigentiimliche Entstehungsgeschichte der ausfuhr-
lichen Dichtung zur Trilogie beruht einzig darauf, dass der
Meister anfangs das gewohnliche Operntheater im Auge behielt
426 DRITTES KAPITEL
und sein Vorhaben demgemass enger umgrenzte, spater aber,
von der Grossartigkeit seines eigenen Werkes hingerissen, jede
Hoffnung auf dieses Theater aufgab, damit aber zugleich alle
beengenden Rucksichten von sich warf und seine Dichtung so
schuf, wie er sie urspriinglich konzipiert hatte.
Die ^Handiung" Nun war aber in Wagner's kiinstlerischer Entwickelungim Nibeiungen-ggjj ^^^ Jahrc 1848 etwas sehr Wichtiges vorgegangen: das
Grundgesetz des Wort-Tondramas war ihm zum Bewusstsein
gekommen! Und genau so wie er bei den Meistersingern den
aiten Entwurf beibehalten, trotzdem aber die ganze Handlung
„nach innen" verlegt und erst dadurch der Allmacht der musi-
kalischen Gestaltung zugefiihrt hatte, genau so verfuhr der
Meister hier, beim Nibelungenring. Hatte er mit seinem ersten
Dramatisierungsentwurf alle seine Vorganger und Nachfolger
weit iibertroffen, so iibertraf er sich selber durch seine zweite
dichterische Bearbeitung fast um ein Gleiches.
Ich miisste daran verzweifeln, in dem knappen Raum, der
mir fiir die Besprechung des Ringes noch zur Verfiigung steht,
klarzulegen, wie Wagner das vollbracht hat, stunde dem Leser das
Beispiel der Meistersinger und des Hans Sachs nicht aus demvorigen Abschnitt vor Augen. Dort wurde die absolute kiinst-
lerische Einheit vielbewegter dramatischer Vorgange — die sich
der Hauptsache nach ausserlich als ein Konflikt zwischen
Walter und Beckmesser darstellen — dadurch bewirkt, dass
der tragische Kampf im innersten Herzen Hans Sachsens zumMittelpunkt der ganzen Handlung gemacht wurde, zum „in-
timsten Zentrum", wie Wagner sich ausdriickt. Etwas durch-
aus Analoges ist hier, im Ring, geschehen. Wotan, der im
ersten Entwurf eine wichtige Figur des Dramas war, mehr
nicht, ist hier, in der Dichtung vom Jahre 1852, der Mittel-
punkt des gewaltigen Werkes geworden.
Das erfordert aber eine Erklarung, damit die Sache nicht
oberflachlich aufgefasst werde.
Im vollkommenen Wort-Tondrama muss die Handlung so
zum Vorschein kommen, wie die innerste Seele sie fordert, sie
muss von innen aus vorgebildet seinJ) Um das nun zu be-
wirken, geniigte es nicht, Wotan in die Mitte der streitenden
•) Vgl. S. 409.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 427
Machte zu stellen und dafiir zu sorgen, dass alle Faden durch
seine Hande liefen; das war so ziemlich schon in dem ersten
Entwurf geschehen. Nein, es musste an Stelle des blossen
Kampfes zwischen verschiedenen Personen um Besitz und Welt-
herrschaft ein innerer Konfliict erfunden werden, ein Konflikt,
der im eigenen Herzen entsteht und ausgefochten wird. Zubemerken ist noch, dass, mag auch das Streben nach Besitz
allgemein menschlich sein, der Wert des Goldes dennoch ein
rein konventioneller ist; der Tondichter musste tiefer greifen
und ein rein menschliches Motiv, jenseits aller Konventionen,
als den dramatischen Kernpunkt aufdecken. Das gelang Wagnerdurch einen einzigen Zug: nur wer der Liebe entsagt, vermag
durch das Gold zur Weltherrschaft zu gelangen. „Hier hast
du«, schreibt der Meister an Uhlig, „das gestaltende Motiv bis
zu Siegfried's Tod^; und dieses gestaltende Motiv war hier —gerade wie in den Meistersingern — eingefuhrt worden, ohne
dass die Reihe der ausseren Begebenheiten eine auffallende
Modifizierung zu erleiden gehabt hatte. Die eigentliche Hand-
lung des Dramas hingegen ist hierdurch vollkommen umge-
staltet worden. Jetzt ist der Fluch, den Alberich seinem ge-
raubten Ring „als Segen" mitgibt, nur ein ausseres Moment;
als solches dient er einzig der sichtbaren Gebarde, welche nun-
mehr durch die Mitwirkung der Musik zu so hoher Bedeutung
im Drama gelangt ist.^) Der Ring ist aber schon an und fur
sich fluchschwanger, well er durch ein Verbrechen gegen das
Heiligste im Menschenherzen, gegen die Liebe, errungen wurde:
„Wie durch Fluch er mir geriet,
verflucht sei dieser Ring!*
Wer je nach Macht strebt, macht sich des selben Verbrechens
wie Alberich — in grosserem oder geringerem Grade —schuldig. „Alberich und sein Ring konnten den Gottern nichts
schaden, wenn diese nicht bereits fur das Unheil empfanglich
waren" (R. 35).
„Ich beriihrte Albrich's Ring —gierig hielt ich das Gold!
Der Fluch, den ich floh,
nicht flieht er nun mich: —') Vgl. den Abschnitt uber Tristan und Isolde.
428 DRITTES KAPITEL
was ich liebe, muss ich verlassen,
morden, was je ich minne.
triigend verraten
wer mir vertraut!" (Wotan.)
Und wer, ohne nach Macht zu streben, das fluchbeladene
Symbol erfasst, verfallt ebenfalls dem furchtbaren Verhangnis.
Der Mensch steht eben nicht allein auf der Welt: hatte das
tiefste Denken die Arier zu der Erkenntnis gefuhrt, die Vor-
stellung der Individualitat sei die betriigerische Maya, so sagt
uns jede grosse Tragodie das selbe, aber auf kiinstlerische,
unmittelbar uberzeugende Weise; denn gerade die Individualitat
offenbart sie uns in ihrer hochsten Potenz, sie zeigt sie uns
als das einzig Wirkliche, Grosse, als „hochstes Gliick der
Erdenkinder" — zugleich aber sehen wir in ihr die grosse
Individualitat unbewusst, absichtslos aus dem ununterschied-
lichen Ozean der Menschheit hervorgehen; wir sehen, wie sie
nie einen Augenblick die tausend Beriihrungspunkte mit der
Umgebung abschiitteln und sich zu wahrer Freiheit hinauf-
schwingen kann und schliesslich — wie die gewaltigste Welle
in die Flut — in das Namenlose, Gestaltlose zuriicksinken muss.
Und so verfallen hier dem Fluche nicht nur die Gotter, die
Riesen, die Zwerge, die Gibichungen, die nach dem Golde
gegeizt haben, nicht allein Briinnhilde, Siegmund und Sieglinde,
die von Wotan in unmittelbarer Verfolgung seiner Weltherr-
schaftsplane gezeugt wurden, sondern auch Siegfried, der Held,
„ledig des Neides" und „fremd dem Gotte, frei seiner Gunst".
„So ist eine tiefsinnige, in den alten Sagenresten nurschwach und
zerrissen noch durchschimmernde Idee: von dem Fluche des
Goldes in der Hand der Liebe hier zu ihrer klar bewussten
Bedeutung erhoben worden."^) In diesem riesigen Werke haben
wir also gewissermassen eine Vereinigung der Willenstragodie
und der Schicksalstragodie: Wotan ist der Held der Willens-
tragodie, Siegfried der Held der Schicksalstragodie. Briinnhilde,
deren Leben mit dem jener beiden auf das engste verwoben
ist, wird zur Heldin einer Doppeltragodie: ihr Wille fiihrt sie
zum Verlust ihrer Gottheit und zum Versinken in den „Todes-
') Wolzogen, Der Nibelungenmythos, S. 136.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 431
gisst die „erl6sende Weltentat zu wirken", den Ring von Sieg-
fried's Finger zu nehmen und ihn den Rheintochtern zuriick-
zugeben; sie gedenkt nicht des Vaters und seiner Not, gluhende
Liebe hat alle ihre Sinne erfasst:
„Himmlisches Wissen
stiirmt mir dahin,
Jauchzen der Liebe
Jagt es davoni"
Und jetzt — seiner letzten Macht, seines letzten Hoffens
beraubt —»auf hehrem Sitze
stumm und ernst"
schaut der Gott dem unaufTialtsam dahinrasenden Schicksal zu,
welches das Hehrste und Hochste, was seinem „Gedanken"entbiiihte — Siegfried und Briinnhilde — durch namenlose
Leiden in grausames Verderben und in den Tod hinabstiirzt.
Was der Gott hier erschaut, ist jene „Hauptkatastrophe«,
die Wagner in seinem ersten Entwurf Siegfried's Tod betitelt
hatte, die er aber jetzt, da sie nunmehr die Schlusskata-
strophe der Tragodie in Wotan's Herzen bedeutet,. Goiter-
ddmmerung nannte. Wotan betritt hier nicht mehr die Biihne:
die Nornen aber sagen uns von ihm, und Waltraute erscheint
als seine Botin; vor allem die Musik, nunmehr durch die voran-
gehenden Dramen so innig mit Wotan's Gestalt (aus der alle
Hauptthemen hervorgehen) verwoben, die Musik hat hier eine
Gewalt, verbunden mit einer inzisiven Bestimmtheit, erreicht
wie sonst in keinem Werke der Welt und lasst uns empfinden,
als erschauten wir alle diese Vorgange durch Wotan's Auge —von dem herrlichen:
„0 heilige Gotter,
hehre Geschlechterl
weidet eu'r Aug'
an dem weihvollen Paar"!
am Anfang der Gotterddmmerung bis zu dem Augenblick, woBriinnhilde, an Siegfried's Leiche stehend, feierlich hinaufblickt:
432 DRITTES KAPITEL
„0 ihr, der Eide
heilige Hiiterl
lenkt eu'ren Blick
auf mein bluhendes Leid:
erschaut eu're ewige Schuld!
Meine Klage hor',
du hehrster Gott!
Durch seine tapferste Tat,
dir so tauglich erwunscht,
weihtest du den,
der sie gewirkt,
des Verderbens dunkler Gewalt!"
Mit Wotan's Traum von
»Mannes Ehre
ewige Macht" (Wotan Im Traume, leist)
hatte das Nibelungen-Drama angehoben; es endet mit der „bang-
ersehnten Botschaft"
„RuheI Ruhe! du Gott!*
Fiir eine eingehendere Darlegung des Ganges der Hand-lung und fiir eine Betrachtung iiber die Musik dieses Dramasin ihrer Beziehung zu der Handlung verweise ich auf meine
schon ofters erwahnte Schrift Das Drama Richard Wagner's.
Hier muss es geniigen, wenn es mir gelungen ist, dem Leser
deutlich zu machen, zu welcher nie zuvor geahnten Be-
deutung Wagner im Ring des Nibelungen das Drama erweitert
hat. Gewiss erwachst diese Fahigkeit dem Dichter aus der
Tatsache, dass er „uber den Reichtum musikalischen Aus-
druckes" verfiigt — wer ausser dem Musiker vermochte es
wohl, eine grosse Tragodie zu vollbringen, in welcher der Held,
wie in Gotterddmmerung, die Biihne gar nicht betritt und den-
noch bestandig gegenwartig ist? Man begreife aber auch an-
gesichts einer solchen Tat, dass, wer die Musik zu dieser Macht
erhob, einer der gewaltigsten Dichter ist, die je gedichtet.
LONDON 1877
TRISTAN UND ISOLDE
Die Liebe istder Endzweck der Weltgeschichte
— das Amen des Universums.
Novalls
Wiesehrauch dicMeistersinger und DerRing desNibelungen oas cesetz der
sich voneinander unterscheiden mogen, ein Zug ist ihnen gemein- vereinfachung
sam: die grosse Anzahl der Handelnden. Die Musik abererfordert
das Einfache; dem Mannigfaltigen gegeniiber verliert sie ihre
dichterische Ausdrucks- und Entwickelungsfahigkeit; mag sie noch
so polyphon sich geben, sie ist doch in jedem Augenblick nur
eins; sie kann nicht analytisch auseinanderhalten. Allerdings
konnen die Kreise, die sie um einen bestimmten Mitteipunkt
zieht, immer weiter werden; der Tondichter vermag es, wie
Wagner sagt, „den zusammengedrangten dichten Punkt nach
seinem volien Gefiihlsinhalte zur hochsten Fiille auszudehnen"
{Oper und Drama IV, 174), und es konnen ganz gut, wie wir
dies im Ring sahen, aus dem einen Mitteipunkt andere hervor-
gehen, die uns ganzlich neue und scharf charakterisierte Indi-
vidualitaten vorfiihren — gewissermassen ein Kreis im anderen —es muss aber eine bestimmte Einheit, ein „zusammengedrangter
dichter Punkt" vorhanden sein. Nur unter dieser Bedingung
kann Musik „Gestalt werden".^) Je mannigfaltiger nun das
Buhnenbild, mit um so grosserer Bestimmtheit wird diese Ein-
heit bezeichnet werden miissen: das innerste Herz des HansSachs und dasWotan's bildeten in den beiden bis jetzt behandelten
Werken den Mitteipunkt, von wo aus sich der musikalische Aus-
druck iiber das ganze Werk ergoss, gleichwie von der einen Sonneauf alle Welten Licht ausstrahlt; in dem ebenfalls vielgestaltigen
Parsifal dagegen werden wir sehen, dass nicht eine handelnde
Person, sondern der heilige Gral — das Symbol des Gottlichen —dieses „intimste Zentrum" der musikalisch-dramatischen Ge-staltung abgibt. In Tristan und Isolde andrerseits hat die fiir
die musikalische Gestaltung erforderliche Vereinfachung auf eine
vvesentlich andere Art stattgefunden; zweifelsohne war es der
Stoff, der dem Poeten diese neue Behandlung eingab. In Tristan
') Vgl. S. 301 fg.
Chamberlain, Richard >X'agner 111. Ausg. 28
434 DRITTES KAPITEL
konnen wir eigentlich zwischen Mittelpunkt und umliegenden
Punkten kaum unterscheiden; gleich zu Beginn werden alle
dramatischen Momente auf eine einzige Handlung zusammeii-
gedrangt, die sich nun, ohne dass irgend etwas von aussen
auf deren notwendige Entwickelung hatte einwirken konnen,
immer weiter und weiter ausdehnt, bis sie in „des Welt-Atems
wehendem All" versinkt. Zu diesem Behuf ist die Zahl der
Handelnden auf das moglichste Minimum beschrankt und —was mich noch viel bezeichnender diinkt — die Handlung
selbst, die in hochst komplizierter Gestalt vorlag, auf ihre
allereinfachsten Momente zuriickgefiihrt worden. Nur zwei
Personen, Tristan und Isolde, stehen im Vordergrund; sehr
weit zuriick, fast schon symbolisierte Gestalten mannlicher
und weiblicher Treue, erblicken wir Kurwenal und Brangane;
hoher als diese, aber noch weiter zuriick Konig Marke; kaumvom Waldesgrun oder vom fernen Meereshorizont sich ab-
hebend den Hirten, den jungen Seemann und Melot: das ist
alles. Eine mittlere Figur gibt es allerdings auch hier, wennman will: es ist die oft angerufene „Frau Minne", Denn nicht
ein Wort fallt im Verlaufe des ganzen Dramas, das nicht in
unmittelbarer Beziehung zur Liebe stiinde. Isolde und Tristan
werden uns nur an den drei entscheidenden Momenten ihrer
Liebestragodie vorgefiihrt; sobald die Welt dazu tritt, bricht
jedesmal die Handlung ab. Ahnliches gilt aber auch von den
anderen: der junge Seemann — am Beginne — singt von der
„irischen Maid, der wilden, minnigen Maid"; der Hirt hat
nur die eine bange, liebevolle Frage: „Was hat's mit unserem
Herrn?" Aus Liebe wird Melot zum Verrater; Kurwenal und
Brangane sind Verkorperungen jener reinsten Liebe, der Treue,
und ihr Schicksal wird durch die Liebestragodie bestimmt; im
Herzen des edlen Marke kampft die Liebe fiir „den freundlichsten
der Freunde", Tristan, den er wie seinen eigenen Sohn schatzt,
mit der Liebe fiir das „wunderhehre, holderhabene Weib", Isolde,
die er dem Freunde verdankt Und nun die Einfachheit
dieser Handlung, der tragischen Liebe Tristan's und Isoldens!
Gleich zu Beginn fasst sie Isolde in vier Worte zusammen:
„Mir erkoren,
mir verlorenl"
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 435
Es ist die alte, ewige Tragodie der hoffnungslosen Liebe, hier
aber auf ihren einfachsten, rein und allgemein menschlichen Kernzuriickgefiihrt, wie dies weder ein Shatcespeare in Romeo undJulie noch ein Gottfried von Strassburg in seinem gereimten
Roman jemals hatte auch nur versuciien diirfen, zugleich aber
zu einer Fiille des Ausdruckes erweitert, wie sie nur die Musikgevvahren konnte. Diese ungeahnte Erweiterung des Ausdruckes
wird aber nur moglich durch die grossartige, klassische Ver-
einfachung der Handiung. Denn durch diese Vereinfachung
gewinni der Dramatiker zunachst die notige iiussere Bedingung,
namlich den Raum; vor allem aber, er erhalt „in der dramatischen
Dichtung selbst ein poetisches Gegenstiick zur symphonischen
Form" (VII, 169). Ich mochte durch eine kurze Skizze zeigen,
wie streng in Tristan diese Reduzierung auf den reinmensch-
lichen — und darum auch musikalischen — Kern „Mir erkoren,
mir verloren" durchgefiihrt ist.
Im ersten Akte fuhrt Tristan die ihm von Frau Minne
beschiedene Isolde seinem Oheim Konig Marke als Braut zu:
vor Abend wird die „ihm Erkorene" dem anderen angehoren.
Isolde beschliesst zu sterben und fordert von Tristan, dass er
mit ihr zusammen den Giftbecher — den Todestrank — leere:
der Tod entsiegelt ihrer beider Lippen; das Gift haben sie
getrunken, wie soUten die Helden im Angesicht des Todes lUgen?
Sie sinken einander in die Arme:
„Du mir verloren?
Du mich verstossen?*
Doch Brangane hatte in
„T6r'ger Treue
trugvolles Werk"
vollbracht: den Trank hatte sie vertauscht. Die Kiiste Kornwall's
ist erreicht; der konigliche Brautigam naht, um seine Braut zu
begriissen; die Liebenden sind nicht gestorben:
„Wie sie da hofFten
ganz zu genesen,
da ward der sehrendste
Zauber erlesen".
28*
436 DRITTES KAPITEL
Kaum hatten die „Erkorenen" sich — imTode — gewonnen und
schon waren sie einander unwiederbringlich verloren. Mit
diesem gewaltsamen Geschiedensein der beiden „vom Tode
Vereinten" hebt der zweite Akt an. Die brennende Fackel vor
Isoldens Gemach ist das Zeichen fur Tristan, dass er nicht
nahen darf; vergebens fleht Brangane, die den bevorstehenden
Verrat ahnt, die Fackel „nur heute" nicht zu loschen. Isolde
ergreift sie:
„Die Leuchte —war's meines Lebens Licht, —
lachend
sie zu loschen zag' ich nicht!"
Tristan sturzt herein; wieder liegen sie einander in den Armen:
„War sie nicht dein,
die dich erkor,
was log der bose
Tag dir vor?"
Nicht einen einzigen kurzen Augenblick bloss, wie auf dem
Schiffe, diirfen sie sich das „tief Geheimnis" vertrauen,
sondern eine lange „Nacht der Liebe" ist auf sie hernieder-
gesunken:
„Verloschen nun
die letzte Leuchte,
was wir dachten,
was uns dauchte",
und in dem erneuten Wahn des „Nie-Wieder-Erwachens« diirfen
sie sich zufliistern:
„So starben wir,
um ungetrennt,
ewig einig,
ohne End',
ohn' Erwachen,
ohne Bangen,
namenlos
in Lieb' umfangen,
ganz uns selbst gegeben
der Liebe nur zu leben".
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 437
Doch wiederum waren sie getauscht worden, noch war „der
Tag dem Tode nicht gewichen", noch „wahrte die Nacht nicht
ewig". Ihr heisses Gebet:
«Nun banne das Bangen,
holder Tod,
sehnend verlangter
Liebes-Tod!"
war nicht erhort worden. Zum zweiten Male hatte ein „Trug-
geweihtes Gliick* ihnen gelachelt; abermals waren sie demTage und den „Tags-Gespenstern" verraten; von der Handdes Verraters Melot getroffen, fallt Tristan, „der Treueste der
Treuen",^) schwer verwundet zu Boden; noch einmal trennt die
Welt, was Frau Minne geeint hatte. Doch, wie fern sie auch
voneinander geschieden sein mogen, der „Frau Minne sind Lebenund Tod untertan". Die sie fureinander erkoren hat, diese
miissen sich angehoren, und sei es auch nur als „Todgeweihte*.
Schon hat der sieche Tristan „krachend hinter sich das
Todes-Tor sich schliessen gehort"; doch aus „Todes-Wonne-
Grauen" wird er wieder zum Tageslicht geweckt:
„Sie zu suchen,
sie zu sehen,
sie zu finden,
in der einzig
zu vergehen,
zu entschwinden
Tristan ist vergonnt".
Ober das Meer eilt Isolde herbei, „mit Tristan treu zu sterben".
Aber auch jetzt wieder verliert sie ihn in dem Augenblick, wosie ihn endlich ganz zu besitzen wahnt, und auch jetzt wieder
sieht sie sich betrogen
„um dieses einz'ge
ewig-kurze
letzte Welten-Gliick".
') So nennt ihn mit Recht Marke, ahnlich wie Briinnhilde von Sieg-
fried sagt:
uDer Reinste war er,
der mich verriet!"
438 DRITTES KAPITEL
zu \X'agner's
Tristan
In Raserei der Freude iiber Isoldens AnkunFt reisst sich
Tristan die Wunde auf; als Isolde zu ihm herantritt, sinkt er
ihr tot in die Arme. Doch nunmehr ist das Schicksal er-
fiillt; die Holde wird nicht mehr „von der Nacht dem Tage
zugeworfen, um ewig an ihren Leiden der Sonne Auge zu
weiden"; wahrend die Umstehenden in Tristan nur eine Leiche
erblicken, sieht sie den Geliebten wieder „hold das Auge offnen";
sie erblickt „ilin immer machtiger, Sternumstrahlet, hoch sich
heben", und aus seinen Lippen tont ihr eine Weise entgegen
„Wonne klagend
Alles sagend
mild versohnend",
Entseelt sinkt sie zu Boden.
Die ^Queiien' Auf dlesc denkbar einfachste Gestalt ist die Erzahlung
von Tristan und Isolde zuriickgefiihrt, die uns in dickbiindigen,
abenteuerreichen altfranzosischen und altdeutschen Romanenund in dem an zwanzigtausend Verse zahlenden Gedicht Gott-
fried's von Strassburg bisher vorlag. Bei Gottfried beansprucht
die Vorgeschichte — bis zum Liebestrank — elftausend Verse,
bei Wagner sechzig! Man kennt die endlosen Intrigen und
Abenteuer, welche in alien Bearbeitungen das Tristangedicht
ausmachen; man vergleiche damit die fast herb einfache, ein-
heitliche Handlung des Wagnerschen Dramas. Ich mochte
aber nun fragen, was es eigentlich bedeuten soil, wenn immer
und uberall behauptet wird, Wagner's „Quelle" sei das Ge-
dicht Gottfried's von Strassburg? Man diirfte doch hochstens
sagen, Wagner habe den Rahmen zu seinem Drama von Gott-
fried entlehnt. Wie ich in meinem Drama Richard Wagner's
an verschiedenen Stellen ausgefiihrt habe, griff der Meister
immer gern zu bekannten Sagen und Gestalten; denn hierin
durfte er ein machtiges Mittel zur Vereinfachung erblicken.
Es ist aber geradezu haarstraubend, wenn man behauptet, Gott-
fried von Strassburg oder Wolfram von Eschenbach seien
Wagner's „Quellen" gewesen, und wenn man dadurch der
Sache den Anschein gibt, als hatte Wagner's dichterische
Tatigkeit sich darauf beschrankt, diese Dichtungen des Mittel-
alters biihnenmassig zu bearbeiten. Bei Gottfried fehlt z. B.
gleich jener wichtigste Zug, die Grundlage des ganzen Dramas,
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 439
dass Tristan und Isolde sich von der ersten Begegnung an
lieben, dass sie von Gott fureinander bestimmt sind; bei ihm
ist die Liebe vielmehr eine blosse Zauberwirkung des Liebes-
trankes, welchen die beiden rein zufallig und infolge eines
Versehens trinken. Der Liebe zwischen Isolde und Tristan
haftet also bei Gottfried etwas widerlich Pathologisches an.
Dass von der gestaltenden Peripetie des Wagnerschen Dra-
mas — dem Todestrank — unter diesen Bedingungen keine
Rede sein kann, ist klar. Mancher schone Zug, den Gottfried
nicht hat, findet sich allerdings in den franzosischen Tristan-
Dichtungen, z. B. gerade diese Liebe der Helden von ihrer
ersten Begegnung an: in dem altfranzosischen Roman hat
Isoldens Mutter den Liebestrank nur darum bereitet, well sie
die Liebe zwischen Tristan und Isolde bemerkt und durch den
Trank, den sie fiir Isolde und Marke bestimmt hat, den bosen
Folgen jener Leidenschaft vorzubeugen hofft; moglich und wahr-
scheinlich ist es, dass Wagner — dessen Kenntnisse auf diesem
Gebiete diejenigen manches Fachgelehrten iibertrafen — mehrals einen Zug den franzosischen „Quellen" entnommen hat.')
Der Todestrank aber, der fiir das Tristandrama die selbe ge-
staltende RoUe spielt wie der Liebesfluch fiir das Nibelungen-
drama, findet sich nirgends; und durch diesen Todestrank
wird nicht etwa bloss ein neuer Zug in die Tristansage einge-
fiihrt, sondern es entsteht dadurch ein vollkommen neues Werk.Der Todestrank ist bei Wagner der Hebel, durch den die
ganze Handlung ein fiir allemal nach innen, in die tiefsten
Herzenstiefen Tristan's und Isoldens verlegt wird, so dass, wieWagner sagt, nunmehr „Leben und Tod, die ganze Bedeutungund Existenz der ausseren Welt, allein von der inneren Seelen-
bewegung abhangt" (VII, 164). Wie bei den Meistersingern,
wie bei dem Ring des Nibelungen tritt also auch hier „die
Handlung so an das Licht, wie sie von innen aus vorgebildet
ist".^) Noch ein Wort des Vergleiches wird diesen grund-legenden Unterschied zwischen Wagner's Gedicht und deniibrigen Tristandichtungen klar hervortreten und zugleich die
') Man vergleiche meine Notes sur Tristan et Isolde in der RevueWagnerienne, Jahrgang 1888, S. 232ff.
-) Vgl. S. 410 und 448.
440 DRITTES KAPITEL
hohe poetische Bedeutung von Wagner's Tristan und Isolde
immer deutlicher empfinden lassen.
Welche klagliche Rolle spielt in alien friiheren Tristan-
erzahlungen der arme Hahnrei Marke, der ahnlich wie der
Polizeikommissar im Kasperltheater ewig hinters Licht gefiihrt
wird! Und was sollen wir zu diesen „Helden" sagen? Zudiesem Tristan, der das Schiff an einer kleinen Insel vor Anker
gehen lasst, um einige Wochen lang mit Isolde in sinnlichen
Geniissen zu schwelgen, und dann diese seine Geliebte, ohne
zu erroten, seinem Oheim als Braut iibergibt? Zu dieser Isolde,
die sich in der Brautnacht durch Brangane vertreten und dann
am nachsten Morgen die treue Dienerin im Walde ermorden
lasst, damit sie keinen Verrat zu fiirchten habe! Und nun die
endlose Reihe von Intrigen, in denen die raffinierteste Schlau-
heit einer ganz gewohnlichen, unersattlichen Wollust dient! Ausdiesem Stoffe hat Gottfried von Strassburg ein geradezu be-
zauberndes Gedicht gemacht, das lasst sich nicht leugnen; sieht
man aber von dem Reiz der Beschreibung und der unerreichten
Vollendung der Sprache ab, so muss man zugeben, sein
Tristan und seine Isolde sind ebenso erbarmliche Personlich-
keiten wie sein Marke und wie der Zwerg Melot. Und das
soil die „Quelle" sein zu dem erhabensten, sittlich reinsten
Hohenlied der Liebe, das je von einem Menschen gesungen
wurde? O nein, diese Quelle floss aus einem anderen
Brunnen! Im Dezember 1854 schrieb Wagner an Liszt: „Da
ich nun aber doch im Leben nie das eigentliche Gliick der
Liebe genossen habe, so will ich diesem schonsten aller Traumenoch ein Denkmal setzen, in dem vom Anfang bis zum Ende
diese Liebe sich einmal so recht sattigen soil: ich habe im Kopfe
einen Tristan und Isolde entworfen, die einfachste, aber voll-
blutigste musikalische Konzeption; mit der schwarzen Flagge,
die am Ende weht, will ich mich dann zudecken, um — zu
sterben." Die Sehnsucht nach Liebe und die Sehnsucht nach
dem Tode in der eigenen Brust, das ist die Quelle von Wagner's
Tristan und Isolde. „Schon die Alten haben dem Eros als
Genius des Todes die gesenkte Fackel in die Hand gegeben",
sagte der Meister einmal zu einem Freunde, als er ihm aus
seinem Tristan vorgespielt hatte.^) Fine wie grosse Rolle die
') Wille, Fiinfzehn Briefe von Richard Wagner, nebst Erinnerungen.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 441
Sehnsucht nach dem Tode in Wagner's Werken spieit, wird
wohl keinem entgangen sein. Der Hollander kennt nur ein
Gebet:
aEw'ge Vernichtung, nimm mich auf!"
Tannhauser entwindet sich den Armen der Liebesgottin:
„Mein Sehnen drangt zum Kampfe;
nicht such' ich Wonn' und Lust.
O, Gottin, woir es fassen,
mich drangt es hin zum Tod!"
Wotan*s Sehnsucht
„Eines nur will ich noch,
das Ende, das Ende!**
gewinnt an vielen Stellen des Nibelungenringes ergreifenden
Ausdruck, ebenso wie in Parsifal des Amfortas Bitte
und Kundry's
„Tod! — Sterben!
Einzige Gnadel"
„Schlaf — Schlaf —tiefer Schlaf! — Todl«
Das eigentliche Drama der Sehnsucht nach Liebe ist dagegen
Wagner's Lohengrin; schon hier wurde der Gegenstand so
aufgefasst, wie er nur vom Musiker aufgefasst werden konnte;
denn das Ergreifende dieser Handlung liegt darin, dass der
Liebe keinerlei Hindernisse von aussen entgegenstehen, son-
dern alles Gliick von einem inneren Gemiitszustand abhangt;
es ist das Gliick,
„das sich uns nur durch Glauben gibt!"
In Tristan und Isolde sind nun jene so oft von Wagner dar-
gestellte Sehnsucht nach dem Tode und diese Sehnsucht nach
Liebe zu einem einzigen Sehnen verschmolzen. „Sehnsucht,
Sehnsucht, unstillbares, ewig neu sich gebarendes Verlangen,
442 DRITTES KAPITEL
— Schmachten und Dursten; einzige Erlosung: Tod, Sterben,
Untergehen, Nichtmehrerwachen!" — so bezeichnet der Meister
selber sein Tristandrama (E. 102), und von dem Schlusse
dieses Dramas sagt er: „Es ist die Wonne des Sterbens, des
Nichtmehrseins, der letzten Erlosung in jenes wundervolle
Reich, von dem wir am fernsten abirren, wenn wir mit stiir-
mischester Gewalt darin einzudringen uns miihen. Nennen wir
es Tod? Oder ist es die nachtige Wunderwelt, aus der ein
Efeu und eine Rebe zu inniger Umschlingung auf Tristan's
und Isolde's Grabe emporwuchsen, wie die Sage uns meldet?"')
Die Rebe und der Efeu symbolisieren aber nicht allein Isolde
und Tristan, sondern zugleich diese zwiefache Sehnsucht nach
Liebe und nach dem Tode. Wie klar bringt doch Wagner's
Drama diese Sehnsucht zum Ausdruck!
Die verkiarung THstan war schon friiher einmal in Irland gewesen; erder Liebe
j^^^^g Isolde erbHckt, wagte es aber nicht, zu ihr, der Konigs-
tochter, das Auge zu erheben — im Gegenteil;
„Was mir das Auge
so entziickte,
mein Herze tief
zur Erde driickte:
im lichten Tages Schein,
wie war Isolde mein?"
^) Diese schone Sage lebt noch heute im Volksmund in Afghanistan
fort. Durkhani hat an Stelle ihres Herzensgeliebten, Adam Khan, einen
fremden Hauptling ehelichen mussen. Trost findet sie einzig in der Einsam-
keit ihres Gartens, wo sie zwei schone Blumen pflegt, die sie dicht neben-
einander gepflanzt und von denen sie die eine Adam, die andere Durkhani
genannt hat. Doch eines Tages sieht sie Adam's Blume plotzlich welken;
in dem selben Augenblick tritt ihr Gatte vor sie hin, ein blutbeflecktes Schwert
in der Hand, und sagt ihr, es sei das Blut ihres Geliebten; sie fallt tot hin
neben der verwelkten Blume. Adam war aber nicht tot, sondern nur ver-
wundet; bei der Nachricht von dem Tode seiner teuren Erkorenen ruft er
das eine Wort „Durkhani!" und stirbt. Weit voneinander legt man sie in
die Erde; jedoch „die Liebe war starker als der Tod"; wo man sie begraben.
da findet man sie nicht wieder; dort, wo die beiden Blumen Adam und
Durkhani gebliiht haben, liegen sie zusammen; die Pflanzen gedeihen zu
schonen und starken Baumen; sie schlingen die Wurzeln um die Leichen der
Geliebten, und ihre Aste vereinigen sich, Schatten spendend, ob dem Grabe.
(Vgl. u. a. Darmesteter, Chants populaires des Afghans, p. 117)
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 443
Und nun hatte der Ungliickliche, als sein Oheim Konig Marke
ein Weib zu freien beschlossen, „der Erde schonste Konigs-
braut" laut gepriesen:
„Was mir so ruhmlich
schien und hehr,
das ruhmt' ich hell
vor allem Heer".
Nichts wissend von „dem Bild in seines Herzens bergendem
Schrein", nichts ahnend von dem, „was ohne Wiss' und Wahner dammernd dort empfah'n", war er als des Konigs Braut-
werber wieder nach Irland gezogen. Jetzt scheucht aber die
Liebe „des Tages tauschenden Schein"; Tristan liebt Isolde, er
weiss es, und darum entzieht er sich ihren Blicken, versaumt
er „der Ehren Gruss und zucht'ge Acht". Isolde aber muss
sich fiir betrogen und verraten halten, als ihr der, den sie
einzig liebt, als Brautwerber fiir einen anderen naht; nie konnte
sie einem anderen angehoren. Sie beschliesst zu sterben,
Tristan aber zugleich „dorthin in die Nacht mit sich zu Ziehen",
aus Rache, weil sie ihn „dort, wo ihn Liebe heiss umfasste,
im tiefsten Herzen hasste", das heisst zu hassen wahnte, in
Wahrheit aber, weil sie ahnt, ja weil sie weiss, dass er sie
liebt, und weil sie im Tode und durch den Tod mit dem „ihr
Erkorenen" vereint sein will. Als Tristan nun begreift, dass
der Kelch, den Isolde ihm als Siihnetrank reicht, ein Gift-
becher ist, erfasst er ihn freudig:
„In deiner Hand
den siissen Tod,
als ich ihn erkannt,
den sie mir hot;
als mir die Ahnung
hehr und gewiss
zeigte, was mir
die Siihne verhiess:
da erdammerte mild
erhab'ner Macht
im Busen mir die Nacht;
mein Tag war da vollbracht".
444 DRITTES KAPITEL
Diese Helden Wagner's, Isolde und Tnstjn, zweifeln also keinen
Augenblick, dass — da sie sich lieben - sie sterten miissen.
In ihren Herzen findet der Gedanke an Unehre keinen auch
noch so kleinen Raum; die Liebessehnsucht kennt bei ihnen
keine andere Gestalt und kann bei ihnen keine andere kennen
als die der Sehnsucht nach dem Tode. Vielfach halt man heute
die „Ehre" fur etwas Konventionclles; Vvagner's Tristan denkt
anders: fiir ihn ist Ehre das innere, unwelgerlicht Gesetz, das
Gottesgesetz, und als er den Todestr^nk aus Isoldens Hand
empfangt, darf er stolz ausrufen:
^Tristan's Ehre —hochste Treu'!"
Konig Marke ist aber von dem selben Geschlechie. Ist es auch
dem tuckischen Verrater Melot gelungen, sein „offenes Herz
mit Verdacht zu erfiillen", so schamt Marke sich doch selber,
dass er „in dunkler Nacht den Freund lauschend beschlichen
hat"; weder von dem Weib,
„der sein Wille
nie zu nahen wagte,
der sein Wunsch
Ehrfurcht-scheu entsagte",
noch von „dem Treuesten aller Treuen" hat er Verrat an seiner
Ehre zu gewartigen, und tief betroffen fragt der edle Mann nach
dem „unerforschlich, furchtbar tief, geheimnisvollen Grund"
dieses ihres gemeinsamen Elends. Spater, als er diesen Grunderforscht zu haben glaubt, eilt er nach Kareol hin, um „dem
Freunde die hochste Treue zu bewahren", um „dem holden
Mann" die vom Himmel fiir ihn Erkorene zu vermahlen.
Wagner hat also zum Zwecke eines Dramas und den be-
sonderen Bediirfnissen der musikalischen Bearbeitung gemass
nicht eine vorhandene Erzahlung bloss vereinfacht, sondern eine
vollkommen neue Dichtung geschaffen, welche sowohl durch die
zugrunde liegende poetische Idee als auch durch die Auf-
fassung und Durchfiihrung der einzelnen Charaktere die Schopf-
ungen seiner Vorgiinger weit iibertrifft. Er hat hier die Liebe
in den gluhendsten Farben gemalt, ohne jemals das rein sinn-
liche Gebiet auch nur zu streifen. Wie er die sinnliche Glut
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 445
in ihrem wildesten Rasen darzustellen verstand — zum Schreckenaller Heuchler — wissen wir aus dem dritten Akt des Siegfried;
in den verschiedensten Abstufungen finden wir diese Gefuhlein seinen Werken geschildert, von der keuschen, zarten Flammain der Brautgemachsszene in Lohengrin bis zu der leidenschaft-
lichen Umarmung Siegmund's und Sieglindens. Hier aber, in
Tristan, erleben wir gleichsam die Verklarung der Liebe durchden Tod. Ich sagte, der Todestrank sei Wagner's poetische
Erfindung; aber auch der Liebestod (im wahren Sinne dieses
Wortes) kommt nur bei ihm vor und konnte nur bei ihm vor-
kommen. In den anderen Gedichten haben die Liebenden jahre-
lang ihren lasterhaften Geniissen gefront; dann tritt der ver-
bannte Tristan in den Dienst eines fremden Konigs und erhalt
im Kampfe gegen dessen Feinde die todliche Wunde; zu riihmen
ist an ihm einzig die Treue gegen seine Geliebte. Dagegenkann bei Wagner's Helden, wie wir gesehen haben, die Liebe
keine andere Gestalt annehmen als die der Sehnsucht nach demTode. Waren sie ehrlos oder konnten sie, wie Shakespeare's
Romeo und Julie (wo der Tod einfach aus Missverstandnis
erfolgt!), durch eine heimliche Ehe ihr Gewissen beruhigen, so
ware der Tod fiir sie der Schrecken aller Schrecken, das Endeihrer Liebe; dieser Isolde aber und diesem Tristan ist der Toddas einzige, was die Welt der Sinne ihnen geben kann. In
offener Emporung gegen das Gesetz der Sinnlichkeit, das uns
alle bandigt, konnen auch Helden nicht leben; noch weniger
aber konnen sie gegen das innere Gesetz siindigen: Isolde kann
sich nicht einem fremden, ungeliebten Manne hingeben, „Tristan
der Held" kann dem Freunde die Treue nicht brechen; ihre
Liebe ist anderer Art; darum miissen sie sterben. Den Liebes-
tod konnen nur wahre Helden sterben.
Hier nur ein Wort iiber die Schopenhauersche Philosophic, Der „Gedanke«
die Wagner (angeblich) — „allen Kunstgesetzen zuwider" —ru!:hl"r"stoff
seinem Tristandrama einverleibt haben soil. Wagner erklart
zwar: „Der Gedanke ist die hochste Tatigkeit des kunstlerischen
Menschen"; alle seine Werke sind „gedankenvoll", und es ware
verlockend nachzuweisen — an der Hand dieser Dramen —dass gerade vermoge der Mitwirkung der Musik der Gedankejetzt nicht mehr zum Denken allein redet, wie im Wortdrama,
sondern gleichsam in die Sinnlichkeit tritt und nunmehr kunstle-
446 DRITTES KAPITEL
rischer Stoff wird. Dieses Denken ist aber durchaus kein philo-
sophisches; nie und nimmer darf es als ein solches gedeutet
werden. Und man sehe sich doch Tristan und Isolde genauer
an: sowohl die Liebessehnsucht als auch die Sehnsucht nach
dem Tode sind Regungen, die der Ethik Schopenhauer's direkt
widersprechen, da in beiden sich die Bejahung des Willens
unzweideutig ausspricht. Jeder, der dem Drama verstandnisvoll
folgt, muss doch einsehen, er muss es im eigenen Herzen mit-
empfinden, dass diese beiden Helden nur die eine Sehnsucht
erfiillen kann, die Sehnsucht nach dem Tode! Fiir sie sind
Tod und Liebe ein Geschwisterpaar wie Siegmund und Sieglinde.
Das ist keine Philosophic, das ist die tiefste, ergreifendste
Dichtung, die niemals vom Verstande, sondern einzig vom Herzenbegriffen werden kann. Und wenn es von Tristan heisst:
„In des Tages eitlem Wahnenbleibt ihm ein einzig Sehnen,
das Sehnen bin
zur heil'gen Nacht,
wo ur-ewig,
einzig wahr
Liebes-Wonne ihm lacht!" —wenn die beiden ihre Stimmen zu dem innig-ergreifenden, mandarf wohl sagen „frommen" Gebet vereinigen:
„Nimm mich auf
in deinen Schoss,
lose von
der Welt mich los!"
so m5chte man auf die Knie sinken und mitbeten! Hier spricht
doch wahrhaftig weder Pessimismus noch Optimismus, sondern
nur die Liebe, die so wenige von uns gekannt haben, und die
Todessehnsucht, die so oft iiber unser aller Haupt als Engel
der Erlosung ihre Fliigel ausbreitet.
Wie tief aber auch der Irrtum derjenigen sein mag, die in
Tristan und Isolde Philosophie oder auch nur den Einfluss von
Philosophic wittern wollten, ihr MissgrifF beruht doch auf einer
richtigen Wahrnehmung, die sogar zu einer sehr wichtigen
Belehrung beziiglich des Wesens des neuen Dramas und einer
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 447
der moglichen Formen seiner Gestaltung fiihrt. Dem Gedanken
ist namlich in Tristan durchaus kein hoherer Platz eingeraumt
als in alien iibrigen Werken Wagner's; er tritt aber in einer
scheinbar abstrakteren Gestalt auf. Wenn wir nun, anstatt die
Erklarung fiir diese Tatsache (die namentlich den Fachdrama-
turgen viel Kopfzerbrechen und Kopfschiitteln verursacht hat)
in pliilosophischen Tendenzen zu suchen, iiber den rein
kunstierischen Grund, der diese Gestaltung bedang, nachdenken,
so werden wir einen tiefen Blick in das Wesen des Wort-Ton-
dramas werfen.
Die Musik muss Gestalt werden, sagte Schiller; nur im
Drama kann die Musik Gestalt werden, erwiderte Wagner.^)
Und um das selbe, ohne mich zu wiederholen, noch einmal recht
eindringiich zu Gemiite zu fuhren, will ich aus Herder — der
mir schon so oft bei der Beleuchtung des Wagnerschen Kunst-
werkes grosse Dienste geleistet hat — eine Stelle von grund-
legender Wichtigkeit zitieren: „Sie melden uns, dass sich fortan
die Musik von der Poesie scheiden und in eigenen Regionen
ihr Kunstwerk treiben werde? Furs unbewehrte menschliche
Geschlecht eine gefahrliche Scheidung! Musik ohne Worte
setzt uns in ein Reich dunkler Ideen; sie weckt Gefiihle auf,
jedem nach seiner Weise; Gefuhle wiesie im Herzen schlummern,
die im Strom oder in der Flut kiinstlicher Tone ohne Worte
keinen Wegweiser und Leiter finden Unsere zarte,
fuhlbare und fein empfangliche Natur hat aller Sinne notig, die
ihr Gott gegeben; sie kann keinen seines Dienstes entlassen, umsich einem andern allein anzuvertrauen; denn eben im Gesamt-
gebrauch aller Sinne und Organe ziindet und leuchtet allein die
Fackel des Lebens. Das Auge ist, wenn man will, der kalteste,
der ausserlichste und oberflachlichste Sinn unter alien; er ist aber
auch der schnellste, der umfassendste, der helleste Sinn
Das Ohr dagegen ist ein zwar tiefeindringender, machtig-
erschiitternder, aber auch ein sehr aberglaubiger Sinn. In seinen
Schwingungen ist etwas Unzahlbares, Unermessliches, das die
Seele in eine siisse Verriickung setzt, in welcher sie kein Ende
findet. Behiite uns also die Muse vor einer blossen Poesie des
Ohrs ohne Berichtigung der Gestalten und ihres Masses durchs
') Vgl. den Abschnitt Kunstlehre, S. 301 ff.
448 DRITTES KAPITEL
Auge." ') Man sieht, wie eng sich diese Ausfiihrung an Wagner's
Auffassung anschliesst und mit der Definition seiner Dramen als
„ersichtlich gewordener Taten der Musik" beriihrt (IX, 364).
Schon ofters — namentlich bei der Besprechung des Lohengrin
(S. 380 ff.) — habe ich auf dieses Element der Sichtbarkeit, der
Augenfalligkeit in des Meisters Werken hingewiesen. Dadurch
namlich, dass in ihnen das Wort als solches, als einziges Mediumzur Verstandigung an Bedeutung verliert, dadurch, dass hier
Intrige und Gegenintrige, Spiel und Gegenspiel auf ein Minimumzuriickgefiihrt werden, um eine einzige, einfache, einheitliche
Handlung sich zur umfassendsten Fiille ausdehnen zu lassen —dadurch gewinnt das Auge bei Wagner gewaltig an Bedeutung.
Im Wortdrama war das Auge mehr und mehr zu einer Dienerin
der Vernunft geworden: es hing an den Lippen des Sprechenden,
es spahte in seinen Mienen; im Tondrama dagegen wird es wieder
zu einem kiinstlerischen Organ und erhalt infolge der wichtigen
Rolle der stummen Gebarde in diesen Werken eine aktive
dramatische Bedeutung. Im gesprochenen Drama war das Auge
gewissermassen depotenziert; hier wird es in seine Rechte wieder
eingesetzt. Darum ist auch die Bezeichnung „Wort-Tondrama"
eine durchaus ungeniigende; denn sie verschweigt die unge-
wohnlich hervorragende Bedeutung des Gesichtssinnes. Diese
Betatigung des Auges an dem Kunstwerke ist aber natiirlich
in den verschiedenen Dramen sehr verschieden. Ein Werk
wie der Nibelungenring z. B. verdient in hohem Masse die
Bezeichnung eines Schauspieles; wie verwickelt auch die
Handlung sein mag, sie spielt sich doch in alien Teilen vor
unseren Augen ab, und dort, wo der Held, Wotan, die Biihne
nicht mehr betritt, bildet gerade das Auge das Verbindungsglied
zwischen uns und ihm; denn wir sehen, was er erschaut. In
Tristan und Isolde dagegen, wo immer einer der beiden Helden
Oder beide vor uns stehen, wo die innere Handlung sich nur
in den allgemeinsten Umrissen als aussere Begebenheit projiziert
und wo es infolgedessen wenig zu „erschauen« gibt, da fall,
dem Bilde eine wesentlich andere Rolle zu. Die Gegeniiber-
stellung jener beiden Werke, des Hinges und des Tristan, wird
') Ideen zur Geschichte und Kritik der Poesie und bildenden KSnste.
Abt. 33.
LONDON 1877
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 449
geeignet sein, uns iiber diesen wichtigen Punkt voile Aufklarungzu geben und uns zu zeigen, in wie verschiedener Weise der Ge-danke als kunstlerischer Stoff zur Verwendung kommen kann.
Was der Zuschauer im Ring zu sehen bekommt, ist ge-
wiss ebenso grossartig, ebenso unvergesslich eindrucksvoU, ja,
ich mochte fast sagen in einem gewissen Sinn ebenso bedeutendwie das, was er hort: der Raub des Rheingoldes, die Ent-
wendung des Ringes, der Kampf der Riesen urn den Ring, derEinzug der Gotter in Walhall, die Umarmung Siegmund's undSieglindens, der Zweikampf auf dem Bergjoch, der Walkiiren-fels und der Feuerzauber wahrlich, das ist nicht jene
„blosse Poesie des Ohrs", vor der uns Herder warnt; es ist
zugleich eine „Poesie des Auges". Hiermit ist aber die ge-
staltende RoUe des Auges in diesem Werke noch lange nicht
erschopft. Nicht allein dem szenischen Bilde kommt eine hohedramatische Bedeutung zu, sondern auch der Gebarde. EinBeispiel: tief erschuttert steht Wotan, nachdem Alberich denfurchtbaren Fluch gesprochen, Fafner seinen Bruder Fasolt umdes Ringes willen ermordet und Erda den Gott vor dem„Ende" gewarnt hat; „Sorg und Fluch fesseln den Sinn" ihm:
der schmeichelnden Fricka antwortet er nicht, sondern bleibt
in sich versunken; auf einmal erglanzt die neuerbaute Gotter-
burg, welche Gewitterwolken umhiillt gehalten hatten, in denStrahlen der Abendsonne; Wotan's Auge ruht auf ihr wie be-
zaubert von dem herrlichen Anblick — da plotzlich schmettert
die helle Trompete
feI^z:=^
^:
Wotan hat ein am Boden liegendes Schwert ergriffen und halt
es stolz empor:
»So — griiss' ich die Burg,
sicher vor Bang und Grau'n!"
Dieses ,ySo^ ist ein Gedanke, der sich einstweilen nur in einer
Gebarde aussert, nur in einer Gebarde sich aussern kann undder als Gebarde unendlich viel mehr bedeutet, als wenn Wotan— wie er es im gesprochenen Drama miisste — sich in einem
Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 29
450 DRITTES KAPITEL
Monolog lang und breit iiber seinen Gedanken ausliesse, der
doch eberi erst in diesem Augenblick wie eine plotzliche Ein-
gebung in seinem Geist aufgekeimt ist. Nicht einen Augenblick
bleibt der Zuschauer in Zweifel iiber den Sinn dieses So! —die Gebarde hat ihm alles gesagt: Heldenmut gegen Goldes-
macht! Die ausfiihrliche Gestaltung des Gedankens konnte erst
spater erfolgen; in diesem ersten plotzlichen Entschluss lag aber
das ewig Wahre, die Quelle alles dessen, was Wotan leisten
konnte und musste; er ist es, der uns in jenem Vorspiel den
letzten Charakterzug offenbart, welcher uns zur vollkommenenKenntnis des Helden noch fehlte. Diese den Bewegungen der
innersten Seele entsprungene Gebarde hat aber zugleich fur das
Ohr eine plastische Gestalt gewonnen; „ini Gesamtgebrauch
aller Sinne leuchtet allein die Fackel des Lebens", wie Herder
sagt — und in der Tat, dieser einfache C-dur-Dreiklang (in
der charakteristischen Farbe der Trompete) „leuchtet" jetzt, er
ist untrennbar mit jener Gebarde verbunden, in welcher Wotan's
Seele sich unserem Auge ebenso blossgelegt hat wie die
Alberich's, als er gierig das Gold mit beiden Handen erfasste.
Erblicken wir nun im weiteren Verfolge das Geschlecht der
Helden, fleht Siegmund in hochster Not um ein Schwert, be-
kampft Siegfried den Drachen — und schallen dann jene Tonean unser Ohr, so beschaftigt uns kein kombinierender Ge-dankenprozess; nicht einmal das Bild Wotan's wird immer vor
unserem Auge aufsteigen; jene bestimmende Gebarde bestimmt
aber unser eigenes Fiihlen und verkettet das Fernliegende mit
dem Gegenwartigen zu einem einheitlichen Ganzen in einer
Weise, wie das der blossen Musik nicht gelingen konnte, da
ihre Einheit eine rein formelle ist, wiihrend hier das Auge
„berichtigt" hat (wie Herder meinte) und der denkende Ver-
stand als „h6chste Tatigkeit des kiinstlerischen Menschen" der
Entwickelung der ganzen Handlung gefolgt ist.^) Als endlich
der Zug, der Siegfried's Leiche begleitet, in den vom Rheine
aufsteigenden Nebcin verschwunden ist und jenes Thema,
machtig erweitert und umwoben von gewaltigen Tonen, noch
einmal an unser Ohr dringt, da empfinden wir deutlich, dass
hier Wotan's grosser Gedanke, sein stolzes „So griiss' ich die
') „Der Sitz der eigentlichen Kunst ist im Verstande" (Novalis).
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 451
Burg!" zu Grabe getragen wird. Dieses eine Beispiel mogestatt vieler gelten. — Tristan und Isolde ist nun seiner ganzen
Anlage nach kein solches Schauspiel wie der Ring des Nibe-
lungen oder Parsifal. Dem Schauplatz, dem szenischen Vor-
gang kommt hier fast keinerlei Bedeutung zu: in einem „zelt-
artigen Gemach" reicht Isolde ihrem Erkorenen den Giftbecher;
der zweite Akt spielt im Finsteren, der dritte in einem ver-
lassenen Burghof; das Drama ist hier so ganz und gar ein
inneres, fiir Tristan und fiir Isolde hat die „WeIt" so voll-
kommen aufgehort, irgend etwas zu bedeuten, dass es gleich-
giiltig wird, in welche Umgebung man sie versetzt denkt.^)
Der Gebarde fallt trotzdem auch hier eine gestaltende Rolle
von unvergleichlicher Bedeutung zu, jedoch nur an zwei Stellen;
diese zwei Gebarden sind: im ersten Akt die Darreichung undEmpfangnahme des Giftbechers, im zweiten Akt das Loschender Fackel. Frappantere symbolisch-mimische Gebarden jener
Liebessehnsucht in der Gestalt der „Sehnsucht nach dem Tode",
welche die Handlung in diesem Drama ausmacht, liessen sich
wohl kaum ersinnen. Aber auch hier wirkt das Auge nicht
als vereinzeltes kiinstlerisches Organ: Verstand und Gehor sind
ebenfalls herbeigezogen. Friiher namlich, vor der Darreichung
des Trankes, als zu Beginn des ersten Aufzugs Isolde Tristan
in der Feme erblickte, hatte sie (zu Pianissimo-Akkorden der
Blaser, die kein Wort verlieren lassen) ausgerufen:
^A r f 3^^j-jj ji 'Pi'-'M r jj , J J
Tod ge-weih-tes Haupt! Tod ge-weih-tes Herz!
Im Gegensatz zu dem „So — griiss' ich die Burg!", wo der
Gedanke noch unausgedacht war und die Gebarde alles sagte,
bezeichnet diese Stelle in Tristan den Augenblick, in welchemder schon lange keimende Gedanke zu Ende gedacht wird;
keinerlei Gebarde begleitet diese Worte, im Gegenteil, Isolde
blickt wie erstarrt auf Tristan hin; kaum deutet sie be! dem"Worte „Haupt" auf ihn, bei dem Worte „Herz« auf sich. Hier
^) Sehr richtig fst in dieser Beziehung Appia's Bemerkung: „DansTristan la mise en scene doit se reduire a un minimum tel qu'il ne saurait
etre question d'illusion" {La mise en scdne du drame Wagnerien, p. 24).
29*
452 DRITTES KAPITEL
tritt also der Verstand an die Stelle des Auges, der Gedanke
an die Stelle der Gebarde.*) Die Musik aber hat diesen Augen-
blick, wo die voile Erkenntnis eintritt und die eigentliche
Handlung beginnt, in obigem ausdrucksvollen Thema fest-
gehalten, und als spater jene bestimmenden Gebarden erfolgen
— die Darreichung des Giftbechers und das Loschen der
Fackel — da schallt dieses eindringende Thema unverandert
an unser Ohr, sowohl als Tristan mit der Kraft des endgultigen
Entschlusses den Becher an die Lippen setzt:
„Vergessens giit'ger Trank,
dich trink' ich sender Wank!"
als auch in dem Augenblicke, wo Isolde die Fackel zu Bodenwirft. Der Gifttrank und das Loschen der Fackel, beides be-
deutet das selbe: die Liebessehnsucht und die Todessehnsucht,
zu einem einzigen allumfassenden Verlangen angeschwoUen und
verschmolzen: „Tod geweihtes Haupt! Tod geweihtes Herzl"
Jetzt konnen wir das Eigentiimliche an dem Tristandrama
und den Grund, weswegen der Gedanke — und gerade in
dieser besonderen Gestalt — hier vorherrscht, klar erkennen.
Der Gifttrank brachte das Gestandnis der Liebe, das
Loschen der Fackel vereinte die Liebenden in dem heissen
Gebet: „Lose von der Welt uns los! banne das Bangen, holder
Tod!« Der Tod hatte ihnen also das gegenseitige Gestandnis
der Liebe geschenkt, die Morgengabe der Liebe war der Tod.
Nunmehr ist „ihr Blick gebrochen, erblindet", nunmehr
„erbleicht die Welt mit ihrem Blenden";
das Auge kann unmoglich fiir ihr Leben weiter von Bedeutung
sein; sie sagten wahr, als sie sangen: „So starben wir"; unserer
Sinnenwelt sind sie gestorben. Zu schauen konnte uns der
Dichter nichts mehr geben. Darum musste auch Wagner selber
sagen, im Tristan „ginge fast gar nichts wie Musik vor"
(IX, 365). Gewiss ware aber nichts unwahrer, kiinstlerisch
ungerechtfertigter, als gerade diesen Menschen philosophische
') Man muss sich vor Formeln hiiten; im ganzen glaube ich aber
doch, dass die folgende, die ich mir einmal aufschrieb, viel Wahres sagt:
Nibelungenring: Sichtbarlteit — Gebarde.
Tristan: Verstandlichkeit — Gedanke.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 453
Anwandlungen zuzutrauen. Wotan, ja! das war ein Denker;
Isolde konnte man eher als einen weiblichen Siegfried be-
zeichnen. Aber die Musik darf nicht auf ihre vereinzeiten
Krafte angewiesen bleiben; um Kunst zu sein, muss sie Gestalt
werden, und das kann sie ohne Berichtigung der Gestalten
durchs Auge nicht. Und darum tritt nunmehr hier jene ver-
mittelte Sinnlichkeit, der Gedanke, in einer Weise in den
Vordergrund, wie das sonst in keinem Biihnenwerke Wagner's
geschieht. Man bemerke aber, wie immer und immer wieder
im Verlaufe des ganzen zweiten und dritten Aktes der Gedankeauf jene Bilder zuriickgefiihrt wird, die uns durch alle Mittel der
Kunst tief und unvergesslich eingepragt wurden: auf den Todes-
trank und auf das Loschen der Fackel, also auf das sinnlich
Vorstellbare und tatsachlich Erlebte. Diesen Bildern werden
auch ihre von selbst sich ergebenden Antithesen entgegen-
gestellt, aber ebenfalls als sichtbare Bilder, nicht als Begriffe:
der Todesnacht — der Tag, der erloschenen Fackel — das
Licht, die Sonne „mit ihren Strahlen eitler Wonne". Nicht
selten schweift allerdings der Gedanke ab: fortgerissen von
den Wellen der Empfindung (welche in der ungehindert dahin-
stromenden Tonsprache jeden Augenblick ihren bestimmten
Ausdruck erhalt), verliert sich die Wortsprache bis an jene
ausserste Grenze, wo das Wort fast aufhort, einen Sinn zu
haben, well es dem Gebiete des Unaussprechbaren, des „Un-denkbaren" sich nahert und well diese tiefsten Gedanken, wie
Wagner so treffend gesagt hat, nur „gestammelt" werden konnen,
da sie „sprachunrahig" sind (III, 127). Immer wieder kommtaber „die Berichtigung durchs Auge", das Zuruckfiihren auf
die bestimmten Bilder, auf die sichtbare Handlung, welche der
jetzt sich abspielenden unsichtbaren vorangegangen ist. Nicht
eine philosophische Tendenz haben wir also diesen Gespriichen
iiber Tod und Tag, Nacht und Sonne zu entnehmen, sondern
wir erfahren vielmehr daraus, wie ein solcher Stoff dramatisch
zu gestalten war, wie der Musik ihre vorwiegende Rolle als
machtigstes Ausdrucksorgan bewahrt bleiben konnte, ohne dass
das Kunstwerk ein Opfer geworden ware jener „f^efahrlichen
Scheidung" zwischen Musik und Poesie, zwischen der Poesie
des Ohrs und der Gestaltung durch das Auge, vor der uns
Herder so eindringlich warnt.
454 DRITTES KAPITEL
Wort und Ton Gcradc in Ankniipfung an das soeben Ausgefiihrte ware
eine Besprechung der hochst wichtigen Frage beziiglich des
Verhaltnisses zwischen Sprache und Musik am Platze. In dem
Abschnitt iiber Wagner's Kunstlehre habe ich diesen Gegen-
stand bereits vom allgemeinsten Gesichtspunkt aus besprochen;
man dringt aber viel tiefer in das Verstandnis einer solchen
Frage ein durch das genaue Studium eines konkreten Beispiels,
und ich wiisste gar nichts, was an Wagner's Werken von hin-
reissenderem Interesse ware als eine Betrachtung seiner Sprache:
diese ist aber weder seine Wortsprache fiir sich allein noch
seine Tonsprache fiir sich allein, sondern — wie der Meister
sich ausdriickt — „der schopferische Bund der Gebarden-,
Ton- und Wortsprache" (IV, 12Q), wobei namentlich der schopfe-
rische Bund zwischen der Wortsprache und der Tonsprache
sich als ein unerschopfliches Feld fiir die kunstlerische Er-
findung erweist. In den Dramen Wagner's wechselt namlich
jeden Augenblick das Verhaltnis, in welchem Wort und Tonzu dem Gesamt-Ausdruck beitragen. Der Meister hat die
Methode, zu welcher kiinstlerische Intuition ihn gefiihrt hatte,
in wenigen Worten klar dargelegt: „Nur da, wo die Musik das
vermogendste Ausdrucksmittel ist, hat sie sich in voller Breite
zu entfalten, dagegen aber iiberall, wo z. B. die dramatische
Sprache das Notwendigste ist, sich dieser vollkommen unter-
zuordnen. Gerade die Musik besitzt aber die Fahigkeit, ohne
giinzlich zu schweigen, dem gedankenvollen Elemente der Sprache
sich so unmerklich anzuschmiegen, dass sie diese fast allein ge-
wahren lasst, wahrend sie dennoch sie unterstiitzt" (Das Kunst-
werk der Zukunft III, 189). Und in keinem Werke findet manvielleicht eine so reiche Skala der verschiedenartig angewendeten
Wort-Tonsprache wie gerade in Tristan und Isolde: es gibt
hier Augenblicke, wo die Wortsprache fiir die dramatische Ge-
staltung unbedingt das Notwendigste ist; es gibt viele Momente,
wo das mehr gedankenvolle Element der Sprache vorwiegt,
und es gibt noch mehr Momente, wo die Musik so sehr das
vermogendste Ausdrucksmittel ist, dass sie den Wert des Ge-
sprochenen immer mehr zuriickdriingt, bis sie ganz allein
herrscht und alles sagt, „was das Wort verschweigt, well nur
der Ton es sagen kann". Hiermit ist die Sache aber noch
lange nicht erschopft. Die Wortsprache, fiir sich allein betrachtet,
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 455
besitzt in den Werken aus Wagner's zweiter Lebenshalfte
unendliche Feinheiten, die der fluchtig Durchlesende gar
nicht ahnt und die dem einseitigen „Literaten'' unbegreiflich
bleiben miissen, da er nicht ermessen i^ann, wie organisch diese
Fluktuationen in der Sprache mit der wechselnden Intensitat
des musikalischen Ausdruckes verwachsen sind, das Ganze aber
durch das dramatische Erfordernis des Augenblicks bedingt
wird. In Tristan z. B. findet man ganze Stellen, in denen selbst
der ohne Absicht sich einstellende Stabreim sorgsam umgangen
wird, um nur jegliche Harte in der Sprache zu vermeiden;
dazu treten dann haufige Reime, oder es werden alle Verse ge-
reimt oder sogar alle mit weiblichen Reimen versehen, wodurch
die Sprache selbst immer mehr zu Musik wird. An anderen
Stellen dagegen verschwindet der Endreim, und es treten dafiir
Assonanz und Stabreim ein, aber in dem verschiedensten Mass,
von der diskreten, kaum bemerkbaren Anwendung der Allite-
ration (z. B. in Marke's Reden) bis zu solchen dramatischen
Hohepunkten wie Tristan's „Suhneeid" (der Augenblick, in demer im Begriff steht, den Todestrank zu trinken), wo „die all-
verbindende Wundermacht des Stabreimes" despotisch herrscht.
Bisweilen finden wir auch Assonanz allein, ohne Endreim oder
Stabreim.
Es ist aber klar, dass eine derartige Betrachtung nur dann
fruchtbringend sein kann, wenn sie eingehend ist, wenn sie sich
auf zahlreiche, sorgfaltig ausgewahlte Beispiele stutzt; dazu
mangelt mir hier der Raum. Anregungen — aber mehr nicht —zu einem solchen eingehenden Studium habe ich mit besonderer
Beriicksichtigung von Tristan und Isolde in meinem „DramaRichard Wagner's^'' gegeben.^) Einige gute Bemerkungen iiber
die Sprache in Tristan findet man allerdings in Franz Miiller's
Tristanbuch (1865, S. 177 ff.); aber leider wird hier die Wort-
sprache getrennt von der Tonsprache betrachtet, was zu keinem
besonderen Erfolg fiihren kann. Hier will ich mich damit be-
gniigen, zwei Beispiele des allereinfachsten Verhaltnisseszwischen
Wort und Ton dem Leser vor Augen zu fuhren.
') Noch ausfiihrlicher in Lessmann's Allgemeiner Musik-Zeitung 1888,
S. 283FF. Ich bedauere auf meine eigenen Arbeiten immer wieder hinweisen
zu miissen; es ist mir aber nicht bekannt, dass gerade diese Fragen sonst
irgendwo behandelt worden wiiren.
456 DRITTES KAPITEL
Ich habe oben darauf hingewiesen, wie das Tristan-Drama
In den Worten „Mir erkoren, mir verloren!" enthalten ist; an
dieser Stelle spiegelt sich die ganze Tragodie im Gedanlcen
wider; der leidende Mensch ermisst zum ersten Male mit der
Unerbittlichkeit der Logik die Tiefe und Unabwendbarkeit seines
Elends: hier muss also das Wort unbedingt vorherrschen; es
ist „das Notwendigste". Und in der Tat, fast das ganze Orchester
schweigt: einzig die Bratschen und ein Teil der Violinen be-
gleiten Pianissimo (und mit aufgesetzten Dampfern) die Stimme— Oder vielmehr, sie folgen ihr — und gewinnen auf diese Art
aus den fast nur gesprochenen Worten
Mir er-ko-ren, mir ver - lo - ren
das wichtigste musikalische Thema des ganzen Werkes. Undals Isolde seufzend innehalt, ehe sie fortfahrt „hehr und hell",
und dann noch einmal vor „kuhn und feig", da klagt — ebenfalls
Pianissimo — ein einzelnes Blasinstrument (das englische Horn):
F^i=5—£fe^IE|Ffe^rf
so dass auch die schmerzbeklommenen Pausen in der Rede „zu
Worte kommen" und zu einem Hauptbestandteil des sympho-
nischen Aufbaues werden! Hier sieht man, wie das Wort
im Wagnerschen Drama vorherrschen kann, wenn es not tut;
zugleich merkt man, welche Bewandtnis es mit jener „Unter-
ordnung der Musik" hat, von der Wagner sprach.
Nun betrachte man aber ein Beispiel des moglichst genau
entgegengesetzten Falles. Nachdem die Liebenden im zvveiten
Akte jenes innige Gebet „L6se von der Welt uns los" zumHimmel emporgesandt haben, lehnen sie die Haupter zuriick
und verharren schweigend und unbeweglich; der Zuschauer
glaubt schon, ihre Bitte sei erhort worden, der „sehnend ver-
langte Liebestod" habe sie erlost; aber nein — sie leben noch,
„Erdenluft miissen sie noch atmen", an ihr Ohr dringt die Stimme
der in der Feme ireu wachenden Brangane:
239
Verklelnerte Wiedergabe einer Seite aus <ier Partltur von Tristan und Isolde.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 457
„die den Schlafern
Schlimmes ahnt,
bange zum
Erwachen mahnt!"
Dieser Ruf, der gewissermassen einzig daran gemahnt, dass
die Helden nicht tot sind, ist nur eine Stimme, nicht ein arti-
kulierter Gedanke; die Worte vernehmen Tristan und Isolde
kaum, denn ihr Blick ist gebrochen und ihre Sinne fast ganz
von der Welt losgelost. Diese Stimme ist weiter nichts als
eine bange Mahnung, die durch die Liebesnacht des Todes, in
welche die Liebenden schon versunken waren, hindurchdringt
— sie ist die Mahnung des noch wachenden Bewusstseins, die
Mahnung des noch sorgenden Gedankens. Der Wortlaut dieses
Weckrufes ist also ganz nebensachlich, und in der Tat, nur von
sehr weitem dringt er zu uns her; das einzelne Wort vernehmenwir — ebenso wie Isolde und Tristan — kaum; es ist ein
sanfter, wehklagender Laut, umrauscht und umwoben von den
tausend Stimmen des Wunderreiches der Nacht: „fern der
Sonne, fern der Tage Trennungsklage". — Eine einzige Seite
der Orchesterpartitur (S. 239 der grossen Originalausgabe,
abgedruckt auf S. 295 der ersten Ausgabe dieses Buches)
wird geniigen, dem Leser einen Einblick zu verschaffen in das
„Wunderreich" des poetischen Ausdrucksvermogens, uber das
ein Richard Wagner gebot dort, „wo die Musik die vermogendste
Sprache war".
PARSIFAL
In einem votn Greis nicht mehr entfernten
Lebensalter richte ich meinen Sinn auf erhabene,
ernste und eines Christenmenschen wiirdige Dinge.
Giovanni Pierluigi da Palestrina
Lesen wir bei Lessing: „Mitleiden zu erregen ist die Die Erregung
einzige Absicht der tragischen Biihne", so konnten wir wohl '^" Mf'ieiJs
versucht sein, Parsifal als das Drama der Dramen zu be-
zeichnen. Die schmerzlichsten Leiden werden uns im
458 DRITTES KAPITEL
Verlaufe des ganzen Werkes vorgefuhrt. Zu allererst erfahren
wir von dem siechen Konig Amfortas, der, „schlanos von
starkem Bresten", nach dem lindernden Bade verlangt; dann
wird er auf einer Bahre hereingetragen, ein ruhrendes Bild der
Erschopfung „nach wilder Schmerzensnacht". In der zweiten
Szene lernen wir aber aus seinem Munde, dass „die Wunde,
ihrer Schmerzen Wut« etwas Geringes ist „gegen die Not, die
Hollenpein" seiner Seelenschmerzen, und in den ergreifendsten
Tonen ruft er zu Gott:
„ErbarmenI ErbarmenI
Allerbarmer, ach ! Erbarmen !"
Aber nicht allein der „sundige Hiiter des Grals" leidet, son-
dern alle mit ihm, die Guten und die Bosen, die Schuld-
beladenen und die Unschuldsvollen: wehklagend erhebt sich
die Stimme des Titurel aus dem Grabe, wehklagend fleht
Kundry um „Mitleid! Mitleid mit mir!«, wehklagend wiitet
Klingsor iiber seine „Furchtbare Not!" In der Person des Gurne-
manz sowie durch seine Schilderung sehen wir die „macht-
und fuhrerlose Ritterschaft" versiechen und wirhorenihrebittere
Klage: „Wehe, wehel Du Huter des Grals!" Hierdurch breitet
sich aber das Bild des Leidens iiber die ganze Welt aus; denn
„wann's in Gefahr der Hilfe gilt", konnen die Templeisen nicht
mehr den Glaubigen, den Bedrangten, den Guten mit ihrem
starken Arm beistehen, da „bleich und elend die Ritter umher-
wanken" Und so erfullt Klage die gesamte Natur; selbst
die holden, unbewusst unschuldigen Blumenmadchen treten
mit dem Rufe „Wehe, wehe!" auf und scheiden mit den Worten
„0 weh, der Pein!" Und der treue Schwan, der „sein Weibchen
zu suchen aufflog, mit ihm zu kreisen iiber dem See", sinkt zu
Boden, von dem todlichen Pfeil getroffen. Sicherlich, wenn
Mitleiden zu erregen die Absicht der tragischen Biihne ist, so
wird diese Absicht durch das, was in Parsifal zur Darstellung
gebracht wird, also durch das „Schauspiel", in hervorragendem
Masse erfullt. Das alles ist aber hier nur der Rahmen zu der
eigentlichen Handlung. Bereits in den Meistersingern und im
Ring des Nibelungen haben wir die Illusion gehabt, als sei schon
eine fertige dramatische Handlung da, und dann erst wurde
der wahre Held eingefiihrt, das heisst, dann erst gelangten wir
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 459
zu der Erkenntnis dessen, was dem Tondichter als die eigenr-
liche Handlung seines Dramas gait. In Parsifal ist nun dieses
Verhaltnis noch durchsichtiger; denn Parsifal, der Held, steht
gewissermassen ausserhalb der Mitleid erregenden Begeben-
heiten, und nur ganz am Schlusse verschmilzt sein Lebens-
drama mit dem der leidenden Ritterschaft. Die eigentliche,
wahre Handlung ist nun die Erregung des Mitleides in Parsifal's
Herzen und die Wirkung dieses Mitleids auf sein inneres
Seelenleben. Darum darf Parsifal als das „Drama der Dramen"bezeichnet werden: die Mitleiden erregende Biihne stellt hier
die ganze Welt dar, und in jedem Akt setzt immer wieder die
wahre Handlung erst dann ein, wenn das Mitleiden im Herzen
des Helden erregt worden ist.
Zu wahrhaft tragischer Grosse konnte diese Handlung — ^'^ ,Anmaeht
ebenso wie jede andere — nur durch die Seelengrosse des
Helden erhoben werden. In einem Fragment aus der Parsifal-
zeit schreibt Wagner: ,Auf die blosse Erhaltung des Schwachen
durch den Starken kann es nicht ankommen", und er fiigt
hinzu, nicht der zu bemitleidende Schwache, sondern der be-
mitleidende Starke sei das Ziel (vgl. Entwiirfe usw., S. 121).
Und in der Tat, was Parsifal auszeichnet, was ihn uns mit
Siegfried so nahe verwandt erkennen lasst, ist seine Kraft: wie
Siegfried ist auch er ein Held der Tat. Friiher hatte Wagner
einen in mancher Beziehung ahnlichen Stoff wesentlich anders
aufgefasst: es war im Jahre 1856, gerade zwischen dem ersten
Entwurf zu Tristan (1854— 55) und dem ersten Entwurf zu
Parsifal (1857); in jenem Drama, Die Sieger^ dessen Schauplatz
das buddhistische Indien war, bewahrte sich die Kraft der
Helden Ananda und Prakriti in streng indisch-pessimistischer
Weise durch die Entsagung allein, durch das Geliibde der
Keuschheit; auch eine friihere Parsifalskizze soil mit den Worten
geschlossen haben:
„Gross ist der Zauber des Begehrens,
Grosser ist die Kraft des Entsagens!"
In dem vollendeten Parsifal ist dagegen nirgends von Ent-
sagung die Rede, sondern das Mitleid treibt hier zu Taten,
und durch die Taten wird erst der Sieg errungen. In Wagner's
samtlichen Dramen gibt es keinen zweiten so wortkargen
460 DRITTES KAPITEL
Helden: im ersten Akt spricht Parsifal fast gar nicht, im dritten
wenig, und im zweiten (wo seine angebliche Redseligkeit immer
wieder den Kritikern Schmerz verursacht) besteht seine Rolle
aus knapp einhundert Versen, von denen sehr viele ein einziges
Wort Oder zwei bis vier Worte im ganzen zahlen; fur Parsifal
ist Leben Handeln. Wie sehr der Wille, d. h. der Drang zur
Tat, ihn beherrscht, das sehen wir gleich zu Beginn des
Dramas: seinen Bogen hat er „sich selbst geschaffen" (wie
Siegfried sein Schwert); ausgezogen ist er aus der „seligen
Ode", wo er mit seiner Mutter lebte, um sich in der Welt
herumzuschlagen; seine Freude ist, „gegen Wild und grosse
Manner" zu kampfen; die „rauhen Adler" trifft er im Fluge,
und von Kundry erfahren wir, dass „die Schacher und Riesen
alle seine Kraft furchten"; seine Mutter hat er vor lauter Lust
am Dasein vergessen; den Boten, der ihren Tod meldet, will er
erwiirgen; die Ritter aus Klingsor's Zauberschloss treibt der
Waffenlose zu Kreuze. So ist der Held in Wagner's letztem
Drama beschaffen: ein ausserlich rauher (aber naturlich nicht
„roher", denn diese Eigenschaft ist eine Errungenschaft der
Zivilisation), ein kampflustiger, tatenfroher Held, bei dem ein
unbandiger, sturmischer Wille zunachst der auffallendste
Charakterzug ist.
Es ist sehr notig, mit Nachdruck hierauf zu verweisen;
denn trotz der durchsichtig klaren Exposition ist gerade Parsifal's
Charakter haufig das Opfer der unglaublichsten Missverstand-
nisse, zumTeil vielleicht, weil die ausseren Taten, die Kampfe usw.
dem Wesen des Wort-Tondramas entsprechend auch hier nicht zur
Darstellung gelangt sind, sondern uns nur die Momente inneren
Kampfes, nur die Hohepunkte des Seelenlebens vor Augen gefuhrt
werden, zum Teil vielleicht auch, weil es nach der naiven
Auffassung zahlreicher Manner weniger Charakter beweist, aus
den Armen der Sinnenlust zu fliehen und einer ganzen Mensch-
heit zu Hilfe zu eilen als von beidem das Gegenteil zu tun:
das eine nennen sie „willenlose Dumpfheit" (sic!), das andere
„ungestiime Energie". Und doch batten auch die fruheren
Dichter die Reinheit der sinnlichen Empfindungen als einen
notwendigen Bestandteil dieses Parsifal -Charakters erkannt;
man erinnere sich z. B., wie bezaubernd Wolfram von Eschen-
bach die madchenhafte Keuschheit des vielerprobten, sieg-
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 461
gekronten Helden malt (vgl. die Verse 6050 u. ff.). Bei Wagner
hat aber dieser hervorstechende Charakterzug eine hohe drama-
tische Bedeutung erlangt. Wo man in diesem ganzen Werkeeine Spur von monastischen Keuschheitsgeliibden (ausser etwa
bei Klingsor, „dem Bosen iiber den Bergen"), entdecken will,
ist unerfindlich: Titurel, „der heil'ge Held", ist des Amfortas
leiblicher Vater, Parsifal ist der Vater Lohengrin's.') Dagegen
hat das Volk von jeher gewusst, dass die Jungfraulichkeit nicht
allein moralischen, sondern auch psychologischen und physio-
logischen Wert besitzt; es hat namentlich recht gut eingesehen,
dass gerade an diesem bestimmten Punkte das Moralische vomPhysischen gar nicht zu trennen ist. Dass nur ein jungfrau-
licher Held den Drachen erschlagen konne, ist ein alter Zugder Sage und kehrt selbst in den fernstliegenden Volks-
erzahlungen wieder, wie in dem chinesischen Aladdin, wo nicht
der Zauberer, sondern nur ein unschuldiger Jiingling den Schatz
heben darf. Wagner's Siegfried hat noch niemals ein Weibauch nur gesehen, als er Fafner erschlagt. Ehe Siegfried
aber in die Welt zieht, ist Briinnhilde sein Weib geworden.
Den jungfraulichen Siegfried hatte selbst die schlaueste List
des weisen Mime nicht irrefiihren konnen, damals hatte er
die warnende Stimme des Vogleins auf dem Zweige ver-
standen;-) der spatere Siegfried dagegen wird von sinnlichen
Gelusten irregefiihrt und trinkt ahnungslos den Vergessenheits-
trank. Wie Siegfried dem Ungeheuer, so tritt nun der jungfrau-
liche Parsifal der „Ur-Teufelin", der „H611en-Rose" entgegen
und besiegt sie. Dass einzig die durch keinen Sinnengenuss
verletzte, noch jungfraulich ungebeugte Kraft hierzu ausreichen
konnte, ist klar, namentlich aber im Hinblick auf den weiteren
Zusammenhang des Dramas; denn der Schmerz, der tatsachliche,
physische Schmerz, den Parsifal durch Kundry's Umarmungempfindet, ist es, der das Bild des leidenden Amfortas plotz-
lich vor seine Augen heraufbeschwort — und diesen Schmerz
') Den Helden der prinzipiellen Keuschheit hatte Wagner in der
buddhistischen Legende gefunden; er wandte sich aber sehr bald von ihm
ab, wie wir sahen.
2) „Mich diinkt, meine Mutter singt zu mir!" hiess es in der ersten,
I853er Ausgabe des Nibelungenringes, S. 102.
462 DRITTES KAPITEL
konnte nur ein Unschuldiger, ein „reiner Tor", nicht aber ein
erfahrener Mann empfinden.^)
Die Heftigkeit nun, mit der Parsifal den Schmerz empfindet,
und die unbeugsame Energie, mit der er alien Verfuhrungs-
versuchen zum Trotz aus dem Bannkreise „der bosen Lust"
flieht, ist uns — unter anderem — eine Burgschaft nicht nur fiir
seine Reinheit, sondern auch fur seine grosse physische Kraft
und fiir die ungebandigte Gewalt seines Willens. Wie bei alien
Tatenhelden sind Parsifal's Entschlusse immer plotzlich und
werden bis in ihre aussersten Konsequenzen sofort erkannt und
verfolgt; nicht schnell genug kann er das Ziel erreichen; kaum
hat er im ersten Akt den Schwan erschossen und sich gebriistet:
„Im Fluge treff ich was fliegt", da zerbricht er schon seinen
Bogen und schleudert seine Pfeile weit von sich; kaum hat er
vertrauensvoll das schmerzgebeugte Haupt auf Kundry's Knie
gelegt und den Kuss von ihren Lippen empfangen, da stosst
er sie „heftig" von sich und ruft mit hochster Kraft: „Verderberin!
Weiche von mir!" Will man also hier Buddhismus um jeden
Preis entdecken, so kann das nur insofern gelten, als die vier
ersten Regeln der „heiligen Wahrheit von dem Wege zur Auf-
hebung des Leidens" nach Buddha lauten: „rechtes Glauben,
rechtes Entschliessen, rechtes Wort und rechte Tat".^)
Die geniaie Ist nun die ungestume Macht des Willens dasjenige, waswirkungsart
^^^ ^^ Wagncr's Parslfal zunachst auffallt, so wird hierdurch
doch mehr nur das Aussere seiner Erscheinung erkannt: es ist
gewissermassen das Rohmaterial, iiber das Parsifal verfiigt, es
ist die auch bei ihm gewohnlich latent liegende Kraft, die uns
aber im Drama an einer oder zwei Stellen vorgefiihrt wird, damit
wir die Psychologie dieses heftigen und zugleich stammigen
Charakters vollkommen begreifen und somit die ungeheure In-
tensitat der bestimmenden Eindrucke auf seine Seele verstehen
') Bei dem Unverstandnis, welchem dieser einfache Vorgang bei einem
grossen Teil der Berichterstatter aller Nationen begegnet, ware man versucht
anzunehmen, dass wir heute moralisch noch tiefer als die Franzosen der
Regence gesunken seien. Selbst der lascive Chevalier de Faublas berichtet
von dem brennenden Schmerz, den er empfand, als die Marquise de B. zum
ersten Male die Hande um seinen Hals wand, und er beschreibt seine ver-
zweifelten Versuche, sich ihren Armen zu entwinden!
2) Vgl. Oldenberg, Buddha, 2. Aufl., S. 139.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 463
und mitempfinden. Eine tiefsinnigste Bemerkung Schopenhauer's
wird uns dazu verhelfen, von dieser „Rinde" der Seele in ihr
Mark einzudringen. Der Philosoph schreibt: „Der Wille ist
objekriv betrachtet ein Tor, subjektiv ein Wahn".^) Auch Parsifal
ist zunachst, objektiv betrachtet, ein Tor, als ware er schlechthin
der personifizierte „ Wille"; subjektiv ist aber das Auffallendste
an ihm die Macht, welche Wahnvorstellungen iiber sein Gemiit
gewinnen. Psychologisch ist das jedenfalls vollkommen richtig.
Ob wir uns solche Gestalten wie Napoleon und Alexander
vor Augen rufen, oder ihre Antipoden Buddha und Franzis-
kus von Assisi, immer muss der abnorm entwickelte, Volker
beherrschende oder Zeiten umgestaltende Wille mit einer eben-
so abnorm entwickelten Gabe der Wahnvorstellungen — wie
man sie recht wohl bezeichnen kann — verbunden sein, damit
der Wille auch Grosses leiste. Der blosse Wille ist blind;
er rennt sich den Kopf gegen die erste Wand ein; ein starker
Wille ohne grosse Intelligenz und namentlich ohne entwickelte
Anschauungskraft ist Eigensinn, welter nichts, die „asinorum
virtus". Nun kann aber diese Anschauungskraft nach sehr
verschiedenen Richtungen entwickelt sein, wie die soeben ge-
nannten Beispiele zur Geniige dartun; bei Parsifal kann mansie wohl nicht anders und nicht besser bezeichnen als durch
das Pradikat „genial". Goethe gibt irgendwo eine Tabelle der
„neun moglichen Wirkungsarten": die unterste ist die zufallige,
die oberste die geniale. Die Wirkung, die Parsifal um sich
verbreitet, die Art, Werke zu wirken, die ihm von seiner
Natur bestimmt ist, ist die geniale; sie bewahrt sich als
solche dadurch, dass er nicht allein Anschauungskraft besitzt,
sondern dass die Intuition bei ihm die Reflexion stets iiber-
wiegt, und namentlich auch dadurch, dass er iiberall das
gegebene Einzelne durchschaut und ein dahinter liegendes
Ewiges erblickt. Der Wahnsinnige erblickt etwas anderes
an Stelle des wirklich Vorhandenen — ein Grashalm diinkt
ihn eine Rose, sein eigenes Gesicht im Spiegel der Mond;der Geniale lebt freilich ebenfalls in einer anderen Welt,
nicht aber well seine Vision verzerrt ware, sondern insofern er
mehr sieht als ein anderer und infolge dieses scharferen Blickes
') Schopenhauer, Samtliche Werke, III, 407.
464 DRITTES KAPITEL
namentlich eines umfassenden Zusammenhanges zwischen den
weitest abliegenden Phanomenen der Natur unmittelbar gewahr
wird.^) Die „geniale Wirkung" erzeugt ebenEinheit. Wie Leibniz
sagt : ^e grosser eine Kraft, je mehr zeigt sich dabei : Viel aus einem
und in einem". Diese Art der Anschauung aber ist im Gegen-
satz zur gedankenreichen, philosophischen die kiinstlerische,
geniale. Und sagt Wagner von der edelsten Kunst, ihr Ziel sei,
„an die Stelle des Ernstes des Lebens tretend, dem Menschen
die Wirklichkeit wohltatig in den Wahn aufzulosen, in welchem
sie selbst, die ernste Wirklichkeit, uns endlich wiederum nur
als Wahn erscheint" (Uber Staat und Religion, VIII, 37) — so
sind diese Worte eine genaue Beschreibung der intellektuelien
Beschaffenheit Parsifal's. Er ist nicht der „Kunst schaffende",
wohl aber der „Kunst lebende" Mensch, ein Zustand, nach demder Meister nicht selten in seinen friiheren Briefen voll Sehn-
sucht wie nach der Verheissung einer schoneren Zukunft aus-
schaute (vgl. z. B. U. 147). Oft pflegt man Wagner mit seinen
verschiedenen Helden zu vergleichen, als hatte er sich in ihnen
verkorpert (zumeist mit Tannhauser, einige besonders phan-
tasievolle Kommentatoren sogar mit Walter von Stolzing!);
darauf muss jedoch entgegnet werden, dass Rienzi vom Genie
doch mehr nur den Adel, Tannhauser das Temperament, Lohen-
grin das Gemiit, Tristan die verzehrende Leidenschaftlichkeit,
Wotan das unergriindlich tiefe Denken, Hans Sachs das uner-
messlich weite Herz besitzt. In Parsifal dagegen offenbart sich
Genie! Genial sind sowohl die unbeugsame Kraft seines Willens,
wie auch seine besondere Gabe, die Wirklichkeit als ein „Welten-
wahnsumnachten" zu erkennen, dies zu durchschauen und nun
in einem eigenen Wahngebilde die tieferliegende Wahrheit zu
erfassen, so dass er, von ihrem Lichte gefiihrt, Taten siegreich
vollbringt, deren Ausfiihrbarkeit sonst jeden unmoglich diinken
miisste. Insofern birgt ein Vergleich zwischen Wagner und
') Was sich das Publikum heutzutage von einer Afterwissenschaft
bieten lasst, ist unglaublich. Weil einige geniale Manner an Krampfen ge-
litten haben, lehrt Professor Lombroso, das Genie sei eine Art Neben-
erscheinung der Epilepsie! Und in ahnlicher Art bringt er Genie und Wahn-
sinn unter einen Hut, wobei er die eine Kleinigkeit iibersieht, dass, was Genie
von gewohnlichen Fahigkeiten und in allererster Reihe vom Wahnsinn
spezifisch unterscheidet, eine abnorm entwickelte Besonnenheit ist!
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 465
Parsifal mehr Wahrheit als jeder andere, wenngleich solchen
Betrachtungen gewiss kein allzugrosser Wert beizumessen ist.
Wer sich gern an der Hand eines Fiihrers iiber die hochst Der Heia au
bemerkenswerte und in der Geschichte des Dramas ganz neue^"^"
Art, in welcher in Parsifal die Handlung durchgefuiirt wird,
orientieren will, den verweise ich auf mein Drama Richard
Wagner's, wo ich diesen Gegenstand so eingehend hehandelt
habe, dass ich nur wenig Neues hinzufiigen und folglich michnur selber wiederholen konnte. Hier wie bei den friiheren
Dramen aus der zweiten Lebenshalfte besteht das Wesentliche
darin, dass die Handlung eine ganz innere ist. Der unentbehr-
liche, fest-bestimmte Mittelpunkt ist der Gral: er ist ja das
sichtbare Symbol, welches die Vorgiinge in Parsifal's Herzenund die Vorgange in der Umgebung miteinander verkniipft.
Indem der Held als stummer Zuschauer der Szene im Grals-
tempel beiwohnt; indem er die Klagen des Amfortas und die
Gesange vernimmt, die von Glaube, Liebe und Hoffnung sagen;
indem er des Segens teilhaftig wird, das gottliche Gefass ent-
hiillt erschauen zu diirfen und die gottgestarkten Ritter den
Bruderkuss austauschen zu sehen: empfangt er die fiir sein
ferneres Leben bestimmenden Eindriicke; zugleich ist hierdurch
auch die Einheit der Musik gegeben und die Moglichkeit, die
Tone, die zunachst das Bild gleichsam nur umranken (die
Klagelaute des Amfortas, die Gesange im Gralstempel usw.),
zu der Sprache zu gestalten, welche uns die Vorgange in Parsifal's
innerstem Herzen offenbart. Das eigentliche, wahre Dramasind nun diese Vorgange — oder vielmehr ist dieser eine Vor-
gang: die allmahliche Entwickelung des Toren, der blindlings
seinem ungestiimen Willen folgte, zu dem vollbewussten Manne,der sich zur Erfullung einer hochsten Aufgabe bestimmt er-
kennt, der seinen Willen in den Dienst dieses Hochsten biindigt
und der mit Hilfe dieser geliiuterten Willenskraft zahllose Note
uberwindet, „Kampfe und Streite" besteht, bis er zuletzt als
der starkste aller Helden gekront wird. Von der Impotenz
willensschwacher Keuschlinge ist wahrlich hier nichts zu spiirenl
In Parsifal, dem Werk seiner letzten dreissig Lebensjahre, hat
der Meister das vollbracht, was dem Wortdrama ewig versagt
bleiben musste: er hat einen tragischen Helden geschaffen, der
als Sieger aus dem Lebenskampf hervorgeht.
Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 30
466 DRITTES KAPITEL
Wolfram's
Parsifal
Eirien Vergleich mit dem gereimten Roman Wolfram's
von Eschenbach (haufig, aber allzu euphemistisch „Epos« ge-
nannt) werde ich nicht anstellen. Das bei Gelegenheit des
Tristan Ausgefiihrte gilt auch hier. In seiner allerersten
Schaffenszeit hat Wagner Romane (Gozzi, Bulwer, Shakespeare's
dramatisierten Roman „Mass fUr Mass") als Unterlage fur seine
dramatischen Gestaltungen benutzt; spater nicht; warum nicht,
hat er im zweiten Tell von Oper und Drama ausfiihrlich dar-
gelegt. Viele wollen Wolfram's Gestaltung dieser aus Frank-
reich und aus dem Orient stammenden Sage schoner als die
Wagner's finden; es diirften aber verhaltnismassig wenige die
funfundzwanzigtausend Verse Wolfram's uberhaupt durchgelesen
haben; man begreift auch gar nicht, wie Leute das fertig bringen
sollten, denen die fiinfunddreissig Minuten wahrende Szene
zwischen Parsifal und Kundry schon zu lang vorkommt. Und
wer in allem Ernste Wolfram's Beschreibung der Speisung
durch den Gral
„Wonach einer bot die Hand,
Da er alias stehen fand:
Speise warm, Speise kalt,
Speise neu und wieder alt,
Fisch und Fleisch, Wild und Zahm **
schoner findet als Wagner's
Religiose
Deutungen
mit dem lasst sich nicht rechten.
Noch weniger Veranlassung finde ich, auf das Ethische
und Religiose, das man als die Tendenz des Parsifal hinzu-
stellen bestrebt ist, mich naher einzulassen. In seinem Auf-
satze Uber das Wiener Hof-Operntheater (VII, 376) erwahnt
Wagner die bekannten Worte Kaiser Joseph's II.: „Das Theater
soil zur Veredelung der Sitten und des Geschmackes der
Nation beitragen" und macht dazu die folgende Bemerkung:
„Fur die praktische Anwendung wurde dieser Satz vielleicht
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 467
noch bestimmter so formuliert werden miissen: es soUe durch
Veredelung des Geschmackes auf die Hebung der Sitten der
Nation gewirkt werden. Denn offenbar kann die Kunst nur
durch das Medium der Geschmacksbildung auf die Sittlichkeit
wirken, nicht unmittelbar". Diese Worte gelten auch fur Parsifal.
Parsifal ist keine Sittenlehre oder gar Religionslehre, sondern
die kiinstlerisclie Darstellung eines grossen und im edelsten,
stolzesten Sinne des Wortes religiosen Charakters. Gedenkenwir der Mahnung Herder's: „Der Kunstgeschmack kann ebenso
leicht weggebetet als wegstudiert werden; einmal vertrieben,
kommt er selten oder spat wieder". Nur eine Bemerkungdiirfte in dieser Beziehung nicht unwichtig diinken : in Parsifal—wie in Tannhduser — geniesst der Autor des Vorteils, der den
griechischen Dichtern so sehr zu statten kam, dass er sich
namlich an allgemein bekannte, in uns noch lebendige mythisch-
religiose Vorstellungen wendet. Der klassischen Einfachheit
des Dramas gereicht dieser Umstand zu grossem Vorteil. Imiibrigen ist aber auf das, was ich friiher bemerkt habe, hinzu-
weisen, dass in Parsifal Wagner das Dogmatische und Historisch-
Christliche seines 7^5MS von Nazareth ganzlich entfernt und das
Ethisch-Tendenziose seines Entwurfes Die Sieger bis auf die
letzte Spur vertilgt hat.
Von tieferem und rein kiinstlerischem Interesse diirfte es DemeueBegrnr
dagegen sein, jetzt, wo die vier grossen Dramen aus der Periode'i" dram^^^hen
o <=> J I J o Handlung
von Wagner's bewusstem SchafFen in einer neuen Kunstform
vor uns liegen, uns voile Klarheit iiber den neuen Begriff der
Handlung zu verschaffen, der uns in diesen Werken enthiillt
wird. Offenbar ist das nicht bloss von asthetischem, sondern
geradezu von „biographischem" Interesse, da dieses Erfassen
des innersten Kernes nicht das hervorragendste Merkmal von
Wagner's Werken sein konnte, ware es nicht ein uber alles
charakteristisches Kennzeichen seines eigenen Intellektes.
Ein vergleichender Ruckblick ist hier notig.')
') Die folgende Ausfiihrung ist zum Teil in wortlicher Anlehnung an
mein Drama Richard Wagner's verfasst, S. 69 ff. (2. u. ff. Aufl., S. 71 ff.)
30*
468 DRITTES KAPITEL
Wie sehr auch von jeher das Ziel der edelsten drama-
tischen Dichtung auf die Kundgebung innerer Seelenvorgange
gerichtet war, so konnten diese doch nie unmittelbar, sondern
immer nur mittelbar — durch die Bewegungen des Korpers
und durch die Bewegungen des Verstandes — zur Darstellung
gebracht werden. In dem Drama Wagner's nun, das ich kurz-
weg als „das deutsche Drama" zu bezeichnen vorschlage — so
sehr entspricht es und entspringt es dem innersten Bediirfnis
des deutschen Geistes und Gemiites — im Drama Wagner's
kommt zu den Bewegungen des Korpers und des Verstandes
die unmittelbare Kundgebung der Bewegungen der Seele
durch die Musik.
Welche tiefe, fur uns Moderne fast unerfassliche Be-
deutung die Musik fiir das ganze Leben der Griechen besass,
ist bekannt: Musik und Gymnastik waren zu dieser Blutezeit
der Kunst die Grundlage aller Bildung. In seinem Beethoven
fiihrt Wagner aus: „Uns muss es diinken, dass die Musik der
Hellenen die Welt der Erscheinung selbst innig durchdrang,
und mit den Gesetzen ihrer Wahrnehmbarkeit sich verschmolz.
Die Zahlen des Pythagoras sind gewiss nur aus der Musik
lebendig zu verstehen; nach den Gesetzen der Eurhythmie baute
der Architekt, nach denen der Harmonie erfasste der Bildner
die menschliche Gestalt; die Regeln der Melodik machten den
Dichter zum Sanger, und aus dem Chorgesang projizierte sich
das Drama auf die Biihne" (IX, 145). Eine musikalische
Atmosphare umgab also das ganze griechische Leben, und wir
diirfen nicht zweifeln, dass auch im Drama, selbst abgesehen
von dem nie hoch genug anzuschlagenden Einfluss der Musik
auf die Versbildung uberhaupt, dem Gesang keine unbedeutende
Rolle zufiel, namentlich fiir die Erweckung einer feieriich-reli-
giosen Stimmung, aber auch fiir die Hinleitung auf kriegerische
Oder heitere oder schauerliche Empfindungen. Der ganze
Aufbau des griechischen Dramas zeugt uns aber dafiir, dass in
ihm die Musik keinen eigentlich kiinstlerisch-konstruktiven
Bestandteil bildete. Der unentwickelte Zustand der Tonsprache
neben der hohen Vollkommenheit der Wortsprache geniigt
auch, die Unmoglichkeit einer niiheren Beteiligung der Musik
an der Verwirklichung der eigentlichen dramatischen Absicht
ohne weiteres begreiflich zu machen. Auch dem Gesicht fiel
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 469
in ahnlicher Weise eine nur allgemeine, stimmungerweckende
RoUe zu. Die auf liohem Kothurn iibermenschlich gross
daherschreitende Gestalt, der weithin sichtbare Ausdruck der
unbeweglichen Maske sind gewiss auf den naiv empfang-
lichen Zuschauer nicht ohne Wirkung geblieben; aber wieder-
um handelt es sich bloss um ein Allgemeines, nicht um einen
organisch-lebendigen, sich fortentwickeinden Bestandteil des
kiinstlerischen Ausdruckes. Gesicht und Gehor dienen foiglich
im griechischen Drama nur Wirkungen, die gewissermassen
nebenherlaufen und den Eindruck des Ganzen erhohen sollen.
Das eigentliche Kunstwerk wendet sich ausschliesslich an den
Verstand. Monologe, Dialoge und Dispute, die Berichte vonAugenzeugen bei Handlungen, welche nie auf der Biihne —vor unseren Augen — ausgefiihrt werden, dazu die Eindriicke,
die das Ganze auf die Umstehenden (den Chor) macht, das
sind die Elemente, aus denen das griechische Drama sich auf-
baut. Immer und iiberall ist es das Wort, also das Organ des
Verstandes, welches einzig und allein uns die Handlung offen-
bart. Die beruckende Schonheit des Wortes, seines einzigen
kiinstlerischen Organes, musste foiglich das Ziel des Dichters
sein: durch das Wort allein konnte er hoffen, das Bild vor
die Augen des Zuschauers zu zaubern; in das Wort musste er,
so viel nur moglich, jene unvergleichliche, das Unsagbare ver-
kiindende Macht der Musik hineinzuheimsen suchen.
Das in Shakespeare seinen Hohepunkt erreichende Dramader Renaissance unterschied sich nun wesentlich dadurch vomantiken Drama, dass es zum Verstande, d. h. also zum Worte,
das Auge hinzunahm. An Stelle der Maske — die wechselnden
Gesichtsziige; an Stelle des schwerfalligen Kothurnschrittes —die schnelle Bewegung und die wie ein Blitz in das Innere
des Menschenherzens hineinleuchtende Gebiirde; an Stelle der
Erzahlungen — die vor unseren Augen tatsachlich ausgefuhrten
Szenen. Man wirft ein, Shakespeare's Biihne habe wenig oder
keine „Szenerie" besessen. Das ist durchaus nebensachlich; als
leibhaftiger Mensch bewegte sich der Schauspieler fast mitten
unter den Zuschauern; keine Muskelzuckung ging diesen ver-
loren; die gemalte Leinwand im Hintergrund hatte auch per-
spektivisch bei dieser Anordnung der Biihne wenig Sinn ge-
habt. Ausserdem darf nicht ubersehen werden, dass, wenn
470 DRITTES KAPITEL
auch die Szenerie als „Dek:oration" wenig zu bedeuten hatte,
die Kostiime hochst realistisch getreu waren und die Maschinerie
(unter Shakespeare's eigenem Antrieb) sich zu hoher Voll-
kommenheit entwickelte. Dass durch diese Mitwirkung des
Auges als kiinstlerisch konstruktiven Organes der Begriff
der „dramatischen Handlung" eine tiefeingreifende Umgestal-
tung erfuhr, ist offenkundig. Ich habe schon im voran-
gehenden Kapitel Herder's Wort zitiert: „Sophokles undShakespeare haben als Trauerspieldichter nur den Namen ge-
mein; der Genius ihrer Darstellungen ist ganz verschieden".^)
Fiir den Zweck meiner jetzigen AusfUhrung mochte ich aber
nur auf einen einzigen Unterschied zwischen dem antiken
Drama und dem Shakespeare's aufmerksam machen: die Hinzu-
nahme des Auges bewirkte eine Verinnerlichung des Dramas.
Der Held tritt uns jetzt weit unmittelbarer entgegen; wir
schauen ihm nicht allein ins Auge, sondern auch tiefer ins
Herz. In dem antiken Drama, wo die ausseren Begebenheiten
nur erzahlt wurden, wuchs diese sichtbare — und doch nicht
gesehene — Handlung dadurch fast zur Hauptsache heran;
denn sie benotigte zahlreicher und ergreifender Erzahlungen;
hier dagegen, wo sie vor unseren Augen vollfiihrt wird, ver-
liert sie an Bedeutung gegeniiber den Seelenvorgangen der sie
Ausfuhrenden. Immer mehr Platz nehmen diese Seelen-
vorgange im Drama ein. Der Begriff „dramatische Handlung*
wird hierdurch gleichzeitig erweitert und verinnerlicht. Aufdiesem Wege gelangen wir zu einer sehr wichtigen Einsicht:
ohne die Mitwirkung des Auges hatte das Drama niemals die
Darstellung solcher Stoffe wie Hamlet und Lear, die schon
fast reine Seelentragodien sind, unternehmen konnen. Die
Bedeutung des Wortes als beschreibenden Ausdrucksmittels
hat auch konsequenterweise hier abgenommen; dagegen ist der
musikalische Wert der Shakespeareschen Sprache noch immerein so grosser, dass die Ubersetzungen seiner Werke zumOriginale sich so verhalten wie Skelette zu einem bliihenden
Jungling.
Richard Wagner nun, der von seinem Verfahren selber
sagt, es habe „unseren grossen (deutschen) Meistern von je auch
') Vgl. S. 315.
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 471
nahe gelegen" (VII, 175), nimmt zum Verstand und zum Auge
als kiinstlerisch-konstruktives Ausdrucksmittel noch das Ohrhinzu, das heisst also, nicht das Ohr als bloss materielles Organ
zur Vermittelung der Verstandessprache, sondern den musi-
kalischen Gehorsinn, durch welchen die innersten Seelen-
bewegungen des Handelnden sich ganz unmittelbar und mit einer
Bestimmtheit, die sich nicht in Worten wiedergeben lasst, der
Seele des Lauschenden mitteilen. Um das zu konnen, musste
natiirlich im Laufe der Jahrhunderte erst die Musik eine Aus-
bildung erfahren haben, durch welche ihre Ausdrucks- undBiegungsfahigkeit sie auf die selbe Stufe wie die Wortsprache
stellte; namentlich musste sie — um fiir das Drama tauglich zu
werden — eine unbeschrankte Beweglichkeit erlangen. „Die
Erfindung der modernen Musik", schreibt der Meister, „ist, dank
den einzig grossen deutschen Meistern, das letzt ermoglichende
Element der Geburt einer dramatischen Kunst geworden, von
deren Ausdruck und Wirkung der Grieche noch keine Ahnunghaben konnte. Jede Moglichkeit ist gewonnen, das Hochste zu
erreichen" {Deutsche Kunst und deutsche Politik, VIII, 86). Warnun der dramatische Dichter durch die kiinstlerische Mit-
betatigung des Auges imstande gewesen, einen Hamlet als
vollendet schone Handlung zu gestalten — was dem blossen
Verstandesdrama der Griechen nie hatte gelingen konnen — so
hat Wagner in ahnlicher Weise einen Schritt iiber den Dichter
des Hamlet hinausgetan. Zu dem widerspiegelnden, schildernden
Verstande, zu dem unmittelbar iiberzeugenden Auge hat er die
Offenbarungen der Musik aus der unsichtbaren Welt des inneren
Menschen hinzugenommen. Hierdurch aber hat sich wohlmehr als ein blosser „Fortschritt« vollzogen; das Drama hat
nunmehr jene Sprache gewonnen, die wir es von allem Anfangan zu erlangen bemiiht sehen. Denn immer war das Unnennbare,
das Unsagbare des Dramas Ziel gewesen; immer hatten seine
Schopfer erkannt: „In Wahrheit ist die Grosse des Dichters
am meisten darnach zu ermessen, was er verschweigt, um uns
das Unaussprechliche selbst schweigend uns sagen zu lassen".
Wie sollten sie aber schweigen? War doch das Wort fur sie
ein unentbehrliches Verstandigungsmittel ! Selbst noch mit seinem
letzten Atemzug muss Hamlet sprechen; sonst wiissten wir nichts
mehr von ihm; mit einem tiefen Seufzer letzter Erlosung fliistert
472 DRITTES KAPITEL
er: „Der Rest ist Schweigen". Dieses Verschwiegene nun —das aber das Tiefste, Ewigste, Wahrste, was aus der Menschen-brust hervorquillt, in sich birgt — dieser „Rest" ist es, den „der
Musiker zum hellen Ertonen bringt"; denn ihm steht eine neue
Sprache zur Verfiigung, „eine Sprache, in der das Schranken-
loseste sich nun mit unmissverstandlicher Bestimmtheit aus-
sprechen kann". Und man wahne nicht, die Musik konne das
allein und aus eigenen Kraften vollbringen; das kann sie nicht
(vgl. Kunstlehre, S. 303). Wagner wusste das von allem
Anfang an; nie hat seine musikalische Gestaltung der Wort-
sprache und des szenischen Bildes entraten zu konnen gewahnt;
nur im Drama kann die Musik Gestalt werden, nur im Dramakann sie aus dem Reich der Willkiir in das Reich der Not-
wendigkeit treten; dieses hochste menschliche Kunstwerk, das
Drama, war darum auch stets sein Ziel. Gerade weil er ein
so grosser Musiker war, musste er das Drama wollen. Wiedas Sophokleische so solhe auch sein Drama die bestimmte, nur
mit Hilfe des Verstandes klar zu erfassende Situation zeigen,
und wie das Shakespearesche die bestimmte, individualisierte
Gestalt, den bestimmten Vorgang; zugleich aber solhe mit
Beethovenscher Untriiglichkeit in der „begreiflichen" Situation
das Unbegreifliche, in der bestimmten Gestalt der Mensch,
in dem ausseren Vorgang die wahre, innere Seelenhandlung
offenbart werden. Mit ungestiimer Macht sollte uns die Musik
hinreissen, wie Parsifal von seinem Willen fortgerissen wird,
und uns dem Dichter gefiigig machen. Das war aber nur ein
Erstes, ein Ausserliches, Vorbereitendes. Dann sollte sie uns
lehren, iiberall wie Parsifal bis in das Innerste, Verborgenste
zu schauen; sie sollte uns lehren, „die Halme, Bluten und
Blumen lieblich traut zu uns sprechen" zu horen, uns lehren,
im eigenen Schmerz den Schmerz „der Briider in grausen
Noten" zu erkennen, in der eigenen Klage „die Gottesklage"
zu vernehmen. Wiederum ward, wie friiher beim Shakespeare-
schen Drama im Verhaltnis zum griechischen, jetzt im Verhaltnis
zum Shakespeareschen der Begriff der dramatischen Handlung
zugleich verinnerlicht und verallgemeinert: verinnerlicht, weil
der Ton das einzige Medium ist, mit dem wir in das unsicht-
bare Innere hineindringen konnen, verallgemeinert, weil die
Musik nie dem Speziellen, Individuellen, sondern dem All-
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 473
gemeinen gilt, so dass ihre Mitwirkung uns das Biihnenbild
mittelbar als Gleichnis empfinden lasst und es ohne jegliche
Reflexion unsrerseits zu der Wiirde eines etwas Unendliches
in sich fassenden Symbols erhebt.
Wagner konnte also — und er konnte nicht bloss, er
musste — Handlungen zur verstandnisvollsten, iiberzeugendsten
Darstellung bringen, an die ein Sophokles und ein Shakespeare
sich niemals hatten heranwagen konnen. In den Meistersingern
sahen wir eine ergreifende Handlung fast wortlos, allein
durch die beredte Sprache der Musik (in Verbindung mit den
sichtbaren Vorgangen) sich in ihrer ganzen Entwickelung vor
uns entrollen; im Ring des Nibelungen konnte die Handlungin die Seele eines iibermenschlichen Helden gelegt, dadurch
weltumfassend gestaltet und der notwendige tragische Fortgang
von einer Generation zur anderen verfolgt werden, ohne dass
die formale Einheit im geringsten darunter zu leiden gehabt
hiitte, im Gegenteil, indem sie immer machtiger und bestimmter
das ungeheure Ganze durchdrang; in Tristan und Isolde
durften die Helden schon im ersten Akte fiir die umgebendeWelt ersterben, so dass fast nur noch jenes „intimste Zentrum
der Welt", das Bewusstsein des eigenen Selbst, iibrig blieb, in
welchem nun die verzehrendste Handlung sich durch zwei Akte
hindurch vollzog; in Parsifal schliesslich ist wieder dem Auge
(wie in den Meistersingern) und dem Verstande (wie im Tristan)
eine Hauptrolle zugewiesen; indem aber hier Bild und Wort
in das Herz des Helden hineindringen, erfahren sie eine zu-
nehmende Verklarung, und wir werden durch das plastische
Biihnenbild der von Parsi/a/ empfangenen Eindriicke, verbunden
mit der Zaubermacht des alles Unausgesprochene seines Herzens
ofFenbarenden Tones, dahin gefiihrt, selber die Welt durch das
Auge des Genies zu erblicken.
Das sind die Tiefen, zu denen uns Wagner's Kunstwerke
hinfiihren; das ist sein Begriff der Handlung.
Ehe ich dieses Kapitel schliesse, mochte ich in wenigen Richard wagne
Worten dessen Hauptergebnis in seiner Beziehung auf das
Thema dieses Buches — Richard Wagner — zusammenfassen.
474 DRITTES KAPITEL
Bei einer gerechten, unbeeinflussten Betrachtung von
Wagner's gesamtem dramatischen Schaffen werden wir uns der
Einsicht nicht verschliessen konnen, dass — ahnlich wie das
griechische Drama in Sophokles, das spanische in Calderon,
das englische in Shakespeare — das deutsche Drama in Wagnereinen Hohepunkt erreicht hat. Hiermit will ich nicht den
Bayreuther Meister iiber die anderen grossen deutschen Dichter
in Worten und Tonen stellen; jeder schopferische Geist steht
allein und entzieht sich der vergleichenden Wertschatzung. In
der Geschichte eines Volkes kommt aber eine Zeit, wo alles,
was die Eigenartigkeit seiner Seele ausmacht, sich ausgebildet
und wo es auch nach und nach sich die Werkzeuge geschaffen
hat, die zur vollendeten Kundgebung dieser besonderen Seele
vonnoten sind. Diese Angemessenheit des Ausdrucks kommtaber nur allmahlich zustande, weil erst allerhand technische
Probleme durch ungezahlte Versuche gelost werden miissen
(Versuche, die im Grunde alle aus der Sehnsucht jener selben
nach Ausdruck ringenden Seele hervorgehen,) und auch weil
die geschichtliche Entwickelung des Volkes erst eine bestimmte
hohe Reife erlangt haben muss, ehe sie die Bliiten ihrer ur-
eigensten Kunst tragen kann. Bis zu Richard Wagner hat nun
die hochste Kunst, namlich die dramatische, in Deutschland
keine durchweg originelle, ganz aus ihrem eigenen Bediirfnis ent-
sprungene und zugleich ihrem ganzen eigenen Bediirfnis ent-
sprechende Form hervorgebracht: das rezitierte Drama lehnte
an das englische oder griechische an, das lyrische Drama (wo
es Uberhaupt ernst zu nehmen war) an das italienische oder
franzosische.^) Alle grossen Deutschen haben die Notwendig-
keit einer neuen, dem deutschen Gemiit genau entsprechenden
Form gefiihlt: sie haben den Mangel dieses „deutschen Dramas"
schmerzlich empfunden. Manche haben auch genau gewusst,
dass dieses „deutsche Drama" nur durch die Verschmelzung des
reichsten lyrischen Gefiihlsausdrucks mit unbeschrankter Ge-dankentiefe — also durch die Verschmelzung von Ton und Wort
— wiirde entstehen konnen; ja, kurz nach Wagner's Geburt
') Hier sagt Anlehnung sogar zu wenig; denn solche Manner wie Handel,
Mozart und Gluck schufen tatsachlich italienische und franzosische Werke,
die nur auf dem entstellenden Wege der Ubersetzung dem deutschen Volke
uberhaupt bekannt werden konnten.
MONCHEN 1865
RICHARD WAGNER'S KUNSTWERKE 475
sehen wir Manner wie Hoffmann und Weber das Problem genau
dort angreifen, wo es mit Hoffnung auf Erfolg angefasst werdenmusste. Es war also alles bereit: der „deutsche Shakespeare",
der biihnengewaltige Beethoven brauchte nur aufzutreten, unddas langersehnte Drama war da.
Richard Wagner's Dramen bezeichnen somit einen Gipfel-
punkt; das kann nicht bezweifelt werden. Ob wir mehrere
„Wagner" erleben werden? Ob des Meisters Behauptung, „in
diesem Drama wiirde ewig neu zu erfinden sein", sich durch
eine Reihe jjneuerfundener" Meisterwerke anderer Dichter be-
wahrheiten wird? Die Erfahrungen der Geschichte lassen es
kaum erwarten. Am hoffnungsvollsten gestaltet sich die Aus-sicht, wenn wir uns mit Schiller und Wagner dazu bringen
konnen, an eine neue, kiinstlerische Gestaltungder menschlichen
Gesellschaft zu glauben — an eine Regeneration, aus der jene
unvergleichliche „gemeinsame Kunst" hervorgehen wiirde. Dass
gerade die deutschen Kiinstler das ersehnt haben; dass sie nicht
stolz auf ihre Sonderstellung, sondern ungliicklich dariiber waren;
dass sie wie Wagner's Lohengrin „aus der Hohe nach der
Tiefe sich sehnten": das ist wohl sehr bezeichnend fiir die
deutsche Eigenart. Vielleicht hat aber auch die unendliche Sehn-
sucht nach dem „Verstandensein durch die Liebe" (IV, 362)
diese grossen deutschen Manner zu Hoffnungen verleitet, welche
sich als nicht minder eitel erweisen werden als die Lohengrin's.
Gleichviel! Wie der Meister in einem Fragment schreibt: „Es
geahnt, erschaut, gewollt zu haben, das mogliche ,Es konnte!*
— geniigend: zu was der Besitz? Der schwindet," Ausserdemstehen Wagner's Kunstwerke in keinerlei Abhangigkeit vonseinen theoretischen Lehren und Uberzeugungen, ebensowenig
wie von seinen politischen, philosophischen und regeneratorischen
Ideen; diese haben (wie alles Theoretische, Diskursive) nur
relativen Wert — von jenen gilt dagegen im eminentesten Massedas Wort Schopenhauer's, das ich in der Einleitung zu diesem
Kapitel anfuhrte, geniale Kunst sei uberall „am Ziel«. Ja, mit
den dramatischen Werken Richard Wagner's ist sogar eine
machtige, jahrhundertelang wahrende, Dicht- und Tonkunst um-fassende Entwickelung „am Ziel".
ANHANGUbersicht der Werke Richard Wagner's
Der Ubersichtlichkeit wegen habe ich drei Reihen auf-
gestellt: dichterische Werke, musikalische Werke, dramatische
Werke. In einigen Fallen, z. B. beim Liebesmahl der Apostel,
bei dem Gesang an Weber's Grate u. a. ist die Entscheidung,
in welche der beiden ersten Reihen sie kommen soUen, ziem-
lich willkiirlich, da Text und Musik, beide, von Wagner sind;
ich habe sie jedoch ohne Bedenken zu den rein musikalischen
Schopfungen gestellt. Die rein dichterischen Werke, die vomMeister weder veroffentlicht noch in den bisher von ihm er-
schienenen Schriften erwahnt werden, sind nicht aufgezahlt
worden.
Wie iiberall so war ich auch hier auf moglichste Ver-
einfachung bedacht; ich habe nur so viele Zahlen aufgenommen,
wie mir zu einem allgemeinen Uberblick notig und niitzlich
schien; Ortsbezeichnungen habe ich als ganzlich irrelevant
moglichst vermieden.
Mit Ausnahme einiger Daten, die auF den Fliegenden
Holldndery den Nibelungenring und Parsifal Bezug haben, sind
meine Angaben nicht den Originalmanuskripten entnommen,
sondern den Briefen Wagner's und den Schriften der Herren
Glasenapp,Tappert, Kastner(H^agn£?r-J^afa/og) und Dannreuther.
DICHTERISCHE WERKEPreisgedicht auf den Tod eines Mitschulers, November 1825. (Damals im
Druck erschienen, aber bisher nicht wieder aufgefunden.)
(Friedrich der Rotbart, 1848.)
ANHANG 477
Rheingold (Ein kurzes Gedicht), 1869.
Bei der Vollendung des Siegfried, 1869.
Zum 25. August 1870.
An das deutsche Heer vor Paris, Januar 1871.
{Eine Kapitulation, Lustspiel in antiker Manier, 1870—71.)
MUSIKALISCHE WERKEnPaukenschlagouvertiire", B-dur, 1830 (?). — Aufgefiihrt im Hoftheater zu
Leipzig im Winter 1830.
Sonate fiir Klavier, B-dur, 1831. (Bei Breitkopf 1832 erschienen.)
Polondse fiir Klavier zu vier Handen, D-dur, 1831. (Mit vorigem zugleich
erschienen.)
Phantasie fiir Klavier in Fis-moll, 1831. (UnverofFentlicht.)
Konzert-Ouvertiire, D-moll, komponiert 26. Semptember 1831, umgearbeitet
4. November 1831. — Aufgefiihrt im Leipziger Gewandhaus am23. Februar 1832.
Beethoven's IX. Symphonie fur Klavier fiir zwei Hande eingerichtet, 1831.
Konzert-Ouvertiire, C-dur, mit grosser Fuge am Schluss, 1831. — Aufgefiihrt
1832, zuerst in den Euterpe-Konzerten, dann am 30. April 1832 im
Gewandhaus.
Sieben Kompositionen zu Goethe's Faust, 1832:
1. Lied der Soldaten.
2. Bauern unter der Linde.
3. Brander's Lied.
4. Lied des Mephistopheles („Es war einmal ein Konig").
5. Lied des Mephistopheles („Was machst du mir vor Liebchens
Tur"').
6. Gesang Gretchens („Meine Ruh' ist hin").
7. Melodram Gretchens („Ach neige, du Schmerzensreiche").
Ouvertiire zum Trauerspiel „Kdnig Enzio"', 3. Februar 1832. — Kam als Ein-
fiihrung zu Raupach's Drama im Leipziger Hoftheater haufig zur Auf-
fiihrung.
Symphonie, C-dur, Marz 1832. — Aufgefiihrt in Prag Sommer 1832; im
Leipziger Gewandhaus am 10. Januar 1833; in Venedig am 24. De-
zember 1882.
Symphonie, E-dur, Sommer 1834. (Fragment.)
Neujahrskantate, Dezember 1834. — Aufgefiihrt am Sylvesterabend (?)
1834—35 in Magdeburg.
Ouvertiire zu Apel's Schauspiel „Columbus'^, 1835. — Aufgefiihrt in Magde-
burg 1835; spater in Riga und Paris.
Musik der Zauberposse „Der Berggeist", 1835. (Nach Glasenapp bedarf
die Legende, dass Wagner die Musik zu dieser Posse verfasst habe,
der Bestatigung.) — Aufgefuhrt in Magdeburg 1835.
478 DRITTES KAPITEL
Ouverture „Polonia", 1836.
Ouvertiire „Rule Britannia", Ende 1836 oder Anfang 1837. — Aufgefuhrt in
Konigsberg Marz 1837.
Romanze in G-dur, Text von Holtei, August 1837. (Einlage zu dem Singspiel
„Mary, Max und Michel" von K. Blum.) — Aufgefiilirt in Riga 1837.
Volkshymne zur Tlironbesteigung des Kaisers Nikolaus, November 1837. —In Riga am 21. November 1837 und spater ofters aufgefuhrt.
Der Tannenbaum, Lied in livlandischer Tonart (Es-moll), Text von Scheuer-
lin, 1838.
Les deux Grenadiers, Lied; franzosischer Text von Heine, 1839.
Drei Romanzen, 1839—40:
1. Dors, mon enfant (Text von Victor Hugo).
2. Attente (Text von Victor Hugo).
3. Mignonne (Text von Ronsard).
Les adieux de Maria Stuart (? nicbts weiteres ist von dieser einmal von
Wagner erwahnten Komposition bekannt).
Faust-Ouvertiire, 1839—40, umgearbeitet 1855.
Musik zu einem Vaudeville von Dumanoir „La descente de la Courtille",
1840 (? wie es scheint, nur Fragment).
Kantate, zur Feier der Enthiillung des Standbildes Konig Friedrich August's
1843. — Aufgefiihrt in Dresden am 7. Juni 1843.
Das Liebesmahl der Apostel, biblische Szene fiir Mannerchor und grosses
Orchester, 1843. — Erste Auffiihrung bei Gelegenheit des allgemeinen
Musikfestes der sachsischen Mannergesangvereine in Dresden am6. Jul! 1843.
Grass seiner Treuen an Friedrich August den Geliebten, fur Mannerchor
und Orchester, 1844. — Aufgefiihrt in Dresden am 12. August 1844
bei Gelegenheit der Riickkehr des Konigs von Sachsen aus England.
Trauermusik, fiir die Uberfiihrung von C. M. von Weber's Leiche auf
deutsche Erde, nach Motiven der Euryanthe, 1844. — Aufgefiihrt in
Dresden am 14. Dezember 1844.
An Weber's Grabe, Gesang nach der Bestattung, Mannerchor (Text von
Wagner), 1844. — Aufgefiihrt am 15. Dezember 1844.
Album-Sonate, Es-dur (fiir Frau Wesendonck), 1853.
Fiinf Gedichte
1. Der Engel, Dezember 1857.
2. Schmerzen, Dezember 1857.
3. Traume, Dezember 1857.
4. Stehe still, Februar 1858.
5. Im Treibhaus, Juni 1858.
Album-Blatt, C-dur (fiir Frau Fiirstin Metternich), 1861.
Huldigungsmarsch (Konig Ludwig IL von Bayern gewidmet), 1864.
Siegfried-Idyll, 1870.
Kaiser-Marsch, fiir grosses Orchester und Chor, 1871.
Album-Blatt, Es-dur (fur Frau Betty Schott), 1875.
Grosser Festmarsch zur Eroffnung der hundertjahrigen Gedenkfeier der Un-
abhangigkeitserklarung der Vereinigten Staaten von Nordamerika, 1876.
ANHANG 479
Hierzu kamen noch folgende Bearbeitungen:
Palestrina's Stabat Mater, mit Vortragsbezeichnungen eingerichtet, Anfang1848. — Aufgefuhrt 8. Marz 1848.
Cluck's Iphigenie in Aulis, neu iibersetzt und bearbeitet, 1846. — Erste Auf-
fuhrung 22. Februar 1847.
Mozart's Don Juan, zum Teil neu ubersetzt und neu eingerichtet, 1850.
Die Klavierauszuge sowie die zahlreichen Arrangements fur ver-
schiedene Instrumente nach Opern von Donizetti und Halevy, die Richard
Wagner in Paris als Lohnarbeit verfertigte, sind dagegen nicht als kiinst-
lerische Werke zu betrachten.
DRAMATISCHE WERKE
1. Entwurfe, Fragmente und kleinere Gelegenheitsstucke.
Trauerspiele „nach dam Vorbild der Griechen", urn 1825 herum. (Unbekannt.)
Grosses Trauerspiel, spater mit Musik versehen, etwa 1827—1829. (Un-
bekannt.)
Schdferspiel, etwa 1829. (Unbekannt.)
Szene und Arie (1832?). — Aufgefuhrt auf dem Leipziger Hoftheater am22. April 1832.
Die Hochzeit, Oper in drei Akten. — Dichtung, Sommer 1832; Komposition
begonnen Dezember 1832. — Auf Wunsch seiner Schwester Rosalie
vernichtete der Meister die Dichtung und legte die Komposition
beiseite.
Allegro zu der Arie des Aubry in Marschner's Vampir, Text und Musik von
Wagner, September 1833. — Diese fiir seinen Bruder Albert ge-
schriebene Einlage kam in Wurzburg haufig zum Vortrag.
Die hohe Braut, grosse Oper in fiinf Akten. — Dichtung entworfen 1836
und an Scribe eingesandt; die Komposition unterblieb. — Spater be-
arbeitete Wagner die Dichtung neu und schenkte sie seinem Freunde
Kittl als Textbuch zu seiner Oper „Die Franzosen vor Nizza" (auf-
gefuhrt in Prag 1848).
Opfer- und Beschworungsszene, als Einlage zu einem (unbekannt gebliebenen)
Schauspiel, 1837. — Vermutlich zu jener Zeit in Konigsberg auf-
gefiihrt.
Die gliickliche Bdrenfamilie, komische Oper in zwei Akten. — Dichtung
ausgefiihrt und Komposition begonnen Anfang 1838. (Fragment.)
Die Sarazenin (Manfred), Oper in fiinf Akten. — Erste Skizze der Dichtung
1841; ausfiihrlicher Entwurf 1843; Komposition, soviel bekannt, nie
begonnen. — Der ausfiihrliche Entwurf zur Dichtung ist in den Bay-
reuther Blattern, Jahrg. 1889, S. 1—28, mitgeteilt worden.
480 DRITTES KAPITEL
Friedrich der Rotbart, Drama in funf Akten (ohne Musik), 1848. (Wie weit
dieser Plan in der Ausfuhrung gediehen war, ist mir unbekannt.)
Jesus von Nazareth, 1848. — (Der ausfiihrliche Entwurf ist bei Breitkopf er-
schienen.)
Wieland der Schmied, 1849. — (Der ausfiihrliche Entwurf ist in Band III
der Gesammelten Schriften zum Abdruck gelangt.)
Achilleus, 1839. — ? — (Notizen zu diesem Entwurf enthalt der Band „Ent-
wiirfe, Gedanken, Fragmente".)
Die Sieger, 1856. — (Eine kurze Skizze zu diesem im buddhistischen Indian
spielendeu Drama ist in dem Band „Entwiirfe, Gedanken, Fragmente"mitgeteilt.)
Eine Kapitulation, Lustspiel in antiker Manier, 1870—71.
2. Dramen.
Die Feen. — Dichtung und Musik, 1833. — Zu Lebzeiten des Meisters nie
aufgefiihrt.
Das Liebesverbot, — Entworfen im Sommer 1834; Dichtung vollendet und
Komposition begonnen (?) noch vor Ende des seiben Jahres; Partitur
vollendet Anfang 1836. — Erste und einzige Auffiihrung Magdeburg,
29. Marz 1836.
Rienzi, der Letzte der Tribunen. — Erste Idee — ? — ; erste bestimmende
Anregung Sommer 1837; ausfiihrlicher Entwurf Sommer 1838;
Komposition begonnen am 26. Juli 1838, Partitur vollendet am 19. No-
vember 1840. — Erste Auffuhrung Dresden, 20. Oktober 1842.
Der Fliegende Hollander. — Erste Idee Anfang 1838; erster Entwurf
als Einakter Mai 1840; ausfiihrliche Dichtung 18. Mai 1841 bis
28. Mai 1841 (betreffs der geringen Abweichungen vom endgiiitigen
Text, vgl. S. 354); Kompositionsentwurf beendet 13. September 1841
Partitur — ? Erste Auffiihrung Dresden, 2. Januar 1843.
Tannhduser und der Sdngerkrieg auf Wartburg. — Erste Anregung 1841
szenischer Entwurf („Venusberg, romantische Oper") und erste musi
kalische Skizzen Sommer 1842; Dichtung vollendet 22. Mai 1843,
Partitur vollendet 13. April 1845. — Erste Auffiihrung Dresden
19. Oktober 1845.
Lohengrin. — Erste Anregung Sommer 1841 (in Verbindung mit Tannhauser)
Entwurf der Dichtung Sommer 1845; Partitur begonnen am 9. Sep-
tember 1846, vollendet am 28. August 1847. — Erste Auffiihrung in
Weimar durch Liszt am 28. August 1850.
Die Meistersinger von Niirnberg. — Erster ausfiihrlicher Entwurf Sommer1845 (in poetischer Verbindung mit dem soeben vollendeten Tann-
hauser); Dichtung in wesentlich umgearbeiteter Fassung Winter
1861 — 1862; Komposition begonnen Friihjahr 1862, Partitur vollendet
(nach vielen Unterbrechungen) am 20. Oktober 1867. — Erste Auf-
fiihrung Miinchen, 21. Juni 1868.
Der Ring des Nibelungen. — Dass Wagner bereits im Jahre 1846 mit diesem
Stoffe beschaftigt war, geht aus brieflichen Mitteilungen hervor; der
ANHANG 481
ausfiihrliche Prosaentwurf „Der Nibelungen-Mythus als Entwurf zueinem Drama", welcher der Ausdehnung und (in alien Hauptzugen)der Reihenfolge der ausseren Begebenheiten des jetzigen vierteiligen
Dramas genau entspricht, ist vom Sommer 1848; der letzte Federzugan der Partitur des vollendeten Werkes wurde im November 1874
getan.
Die Ausfiihrung begann mit der Dichtung der Schlusskatastrophe
jenes umfassenden Entwurfes, namlich mit der Dichtung zu „Sieg-
fried's Tod" (jetzt „Gotterdammerung"), die am 12. November 1848
begonnen und am 28. November 1848 vollendet wurde; dieser allererste
Entwurf enthalt die kleine, S. 418 mitgeteilte musikallsche Skizze.
Dann foigte die Dichtung zu „Der junge Siegfried" (jetzt „Siegfried")
im Friihjahr 1851; von der Musik entstanden noch immer nur einzelne
Skizzen. Im Herbst 1851 griff Wagner zu seinem ursprunglichen,
umfangreicheren Plan vom Jahre 1848 zuruck und entwarf den „Ringdes Nibelungen, ein Buhnenfestspiel fur drei Tage und einen Vor-abend": die Dichtung zu „Die Walkure" war am l.Juli 1852 vollendet,
die zu „Das Rheingold" in den ersten Tagen des November 1852;
Mitte Dezember 1852 war „Der junge Siegfried" in der Umarbeitungfertig, bald darauf, ebenfalls in einigen Teilen ganzlich um-gearbeit, „Siegfried's Tod". Im Februar 1853 erschien die vollstandige
Dichtung „Der Ring des Nibelungen" als Manuskript in funfzig
Exemplaren fiir Wagner's Freunde gedruckt; dieser Druck enthalt nurgeringfiigige Abweichungen von dem endgultigen Text; der erste
offentliche Druck der Dichtung erschien 1863 (hier findet man zumerstenmal die Titel „Siegfried" und „G6tterdammerung"). — DieKomposition des „Rheingold" wurde im Spatherbst 1853 begonnen,die Partitur Ende Mai (oder in den ersten Tagen des Juni) 1854
vollendet; die zur„Walkure" wurde imjuni 1854 begonnen, im Marz (?)
1856 vollendet; die zu „Siegfried" in der zweiten Halfte des Jahres1856 begonnen, jedoch im Juni 1857 (nachdem die Partitur des ersten
Aktes Anfang Mai 1857 vollendet und die Skizze zum zweiten bis
zur Mitte gediehen war) unterbrochen und erst im Jahre 1865 wieder
aufgenommen und — nach neuerlichen Unterbrechungen — 1869 in
der Skizze, am 5. Februar 1871 in der Partitur vollendet; die Kompo-sition der „Gotterdammerung" wurde unmittelbar nach Vollendungdes Siegfriedentwurfes begonnen (Oktober 1869); der erste Aufzug warin der Orchesterskizze am ll.Januar 1870, der zweite am5. Juli 1870,
der dritte am 9 Februar 1872 beendet; vollendet wurde diese Partitur
am 21. November 1874. — Die erste Auffiihrung des „Ring des Nibe-
lungen" fand in Bayreuth statt vom 13. bis zum 17. August 1876.
Tristan und Isolde. — Erste Erwahnung („ich habe im Kopfe einen Tristan
und Isolde entworfen") im Dezember 1854; Entwurf wieder erwahnt
Juli 1856; Dichtung ausgefuhrt Sommer 1857, vollendet im September;Komposition des ersten Aktes vollendet am 31. Dezember 1857, (aber
wohl nur in der Skizze?), des zweiten Aktes Anfang 1859, des dritten
Aktes August 1859. — Erste Auffiihrung Miinchen, 10. Juni 1865.
Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 31
482 DRITTES KAPITEL
Parsifal. — Erste Beschaftigung mit dieser Gestalt 1854 (in Verbindung mit
Tristan und Isolde, wo Parsifal im dritten Akt auftreten sollte); erster
Entwurf des Dramas Friihjahr 1857; erster Entwurf der ausfuhrlichen
Dichtung 1865; Vollendung der Dichtung am 23. Februar 1877. Frag-
mente der Musik sollen angeblich in den fiinfziger Jahren entstanden
sein; Komposition begonnen Herst 1877, in der Skizze vollendet am25. April 1879, Partitur vollendet am 13. Januar 1882. — Erste Auf-
fuhrung in Bayreuth 26. Juli 1882.
Das Studium der letzten Ausgabe von Glasenapp's Werk wird einige
Erganzungen ergeben, welche aber nur die friiheste Zeit betrePFen
und an dem Gesamtbild nichts andern. (1911.)
ly^'t^t^^vuc^^a^yit, Vt^ /(^-<«M-M<--^^i—i^i£»
Tausig Klindworth Biiiow
(Die Unterschrift ist von der Hand Hans von Biilows)
VIERTES KAPITEL
BAYREUTH
In dieser ganzen weiten Welt habeich nicht einen Fuss breit Boden, umauf ihn als ganz das treten zu konnen,was ich nun einmal bin.
Richard Wagner (1851)
EINLEITUNG
Ein Liebewerk nach eignem Willen
Der Philosoph, der Dichter schuf.
Goethe
Hebbel hat den Begriff des Symbolischen in vorziiglichster oas
Weise erweitert und geklart, indem er sagt: „Jede an und fiir^'^™'"'htnis
sich bedeutende Handlung ist symbolisch". Hier redet er von
„Handlung" im Sinne des dramatischen Dichters; dasselbe gilt
aber fiir die Handlung, welche das Leben hervorbringt; jede
grosse Tat ist ein Symbol, namentlich wenn sie eine sichtbare,
ihr eigene und eigentiimliche Gestalt gewinnt. In hervor-
ragendem Masse gilt dies von Wagner's Bayreuth. Das Fest-
spielhaus in Bayreuth ist nicht bloss ein fiir bestimmte Zweckeausserst praktisch konstruiertes Theater, sondern gleichsam eine
Verkorperung der Sehnsucht, des unermiidlichen Bestrebens,
des heissen Kampfens eines ganzen Lebens. Ebenso wie des
Meisters Personlichkeit in einer jeden seiner Gebarden unver-
kennbar zum Ausdruck kam und in seinem machtigen Kopfe
„monumentale" Gestaltung gewann, so hat seine gesamte Wirk-
samkeit, das „Ertragnis" seines Lebens, sich in dem Begriff
Bayreuth zu einer einheitlichen Vorstellung verdichtet, deren
sichtbares Symbol das Festspielhaus ist. Und wie bei jedem
Symbol, so kann man auch hier um den Mittelpunkt engere
und weitere Kreise Ziehen. Im allerengsten Sinne ist dieses
Haus ein „Nibelungen-Theater"; seit Anfang der ftinfziger
Jahre hatte Wagner die Absicht, ein besonderes Gebaude zur
Auffiihrung seines Ring des Nibelungen zu errichten, hier end-
lich wurde diese Absicht verwirklicht. In einem schon weiteren
Sinne ist es eine Biihne, auf der iiberhaupt die WerkeWagner's seinen Absichten entsprechend zur Auffiihrung ge-
langen soUen, da weder die Opern- noch die Schauspieltheater
ihnen eine wahre Heimstatte bieten konnen. Erst durch diese
486 VIERTES KAPITEL
stilgemassen Auffiihrungen erfahrt aber die Welt, dass es sich
hier keineswegs um „besonders komplizierte Opern", sondern
um eine neue Gattung des Dramas handelt; erst jetzt erfahrt
sie, dass Wagner uns nicht allein eine Reihe von Kunstwerken
hinterlassen, sondern dass er der schopferischen Phantasie
kommender Generationen ein bisher unbekanntes Gebiet er-
schlossen hat, auf welchem „ewig neu zu erfinden sein wird".
Mit dem Erschliessen dieses neuen Gebietes wird nun die
hochste Kunst, die dramatische, in jene Wiirde wieder ein-
gesetzt, von der sie in der Oper so tief herabgesunken, und
zugleich aus der Degradierung zu blosser Literatur und Lieb-
haberei erlost, der sie schon lange im gesprochenen Schauspiel
verfallen war. Man sieht, wie die Kreise immer weiter werden.
Wenn der Leser sich aber das, was ich im zweiten Kapitel
iiber Wagner's Auffassung von der Wiirde der Kunst ausge-
fiihrt habe, ins Gedachtnis zuriickruft, so wird er unschwer
begreifen, dass wir hiermit noch lange nicht am Ende sind;
denn weit davon entfernt, Bayreuth nur fiir seine eigenen
Werke oder nur fiir die Verlebendigung einer neuen Form des
Dramas ersonnen zu haben, erstrebt der Meister damit etwas,
was weit iiber seine eigene Person und iiber das aller Voraus-
setzung nach lange Leben seiner genialsten Schopfungen hinaus-
zielt: die Kunst soil zu einem bestimmenden, konstruktiven
Faktor im Leben des Menschengeschlechts werden; sie soil dort
die Fiihrung iibernehmen, „wo der Staatsmann verzweifelt, der
Politiker die Hande sinken lasst, der Sozialist mit fruchtlosen
Systemen sich plagt" (IV, 282); sie soil das verkiinden, was
der Philosoph nur andeuten kann; ihr fallt die Aufgabe zu,
die von alien Seiten bedrohte Religion zu erretten, indem sie
allein „durch ideale Darstellung des allegorischen Bildes zur
Erfassung des inneren Kernes desselben, der unaussprechlich
gottlichen Wahrheit, hinleitet" (X, 275); einzig die Kunst ver-
mag es, wie Schiller schon gelehrt hatte, „der Welt die Rich-
tung zum Guten zu geben", indem ihre Gebilde „das Not-
wendige und Ewige in einen Gegenstand menschlicher Triebe
verwandeln". Wie ich am Schlusse des vorigen Kapitels
sagte: vielleicht haben die grossen deutschen Dichter, und in
erster Reihe der Schopfer von Bayreuth, sich getauscht. Sie
haben moglicherweise, wie Hans Sachs, nur „einen schonen
Marmor'buste von G. Kietz
COSIMA WAGNER
BAYREUTH 487
Abendtraum" getraumt. Oder sollte Wagner vielleicht doch
recht gehabt haben, als er prophetisch ausrief: „Es kommt der
Tag, an dem einst dieses Vermachtnis zum Heile der mensch-
lichen Briider aller Welt eroffnet wird!" (IV, 282)? Gleichviel:
seinem Bayreuth wohnt jedenfalls auch diese Bedeutung inne,
dass es ein erster Anstoss, eine Tat ist, durch die jene hohe
Auffassung von der Bestimmung der Kunst im Leben des
Menschengeschlechts der praktischen Verwirklichung entgegen-
gefiihrt wird. „Der Kiinstler vermag es", so schreibt der Meister,
„eine noch ungestaltete Welt im voraus gestaltet zu sehen, eine
noch ungewordene aus der Kraft seines Werdeverlangens im
voraus zu geniessen"; gerade aber das ist fiir Richard Wagnerbezeichnend, dass ihm die eigene Uberzeugung und der eigene
Genuss nicht geniigen: immer muss er fiir andere schaffen, nie
bis zur Stunde seines Todes, der ihn schreibend ereilte, nie hat
er seiner Pflicht der Welt und der heiligen Kunst gegeniiber,
seiner „Pflicht der Treue", nach seinem Empfinden genug getan.
Er ist eben nicht bloss Kiinstler, nicht bloss Denker, sondern
im vollen Sinne des Wortes Reformator. Schon in den fiinfziger
Jahren bekennt er als sein letztes Ziel, „den Menschen den Wegihrer Erlosung zu zeigen" (R. 31). Ihm liegt nichts mehr amHerzen als das sittliche Wohl seines Volkes und der Menschheit;
er will nicht bloss Genuss bereitet, sondern vor alien Dingen
veredelnd gewirkt haben und immer welter wirken. „Denke der
Altere nicht an sich, sondern Hebe er den Jiingeren um des
Vermachtnisses willen, das er in sein Herz zu neuer Nahrungsenkt": so sprach der Mann, der das Biihnenfestspielhaus in
Bayreuth erbaute. Darum ist fiir uns dieses „Bayreuth" nun
nicht bloss eine Statte, wo des Meisters Werke zur Auffiihrung
gelangen, sondern das Symbol des ganzen, so iiberreichen Ver-
mdchtnisseSy das Wagner in unser Herz gesenkt.
Man wird es also gerechtfertigt finden, wenn ich diesem
„Bayreuth" ein besonderes Kapitel widme. AUerdings wird es
kurz sein; denn weder die Festspiele noch auch jene Welt-
anschauung, die man als den „Bayreuther Gedanken" be-
zeichnet hat, sind fur die Beschreibung ein giinstiges Feld;
solche Dinge wollen erlebt sein.
DIE FESTSPIELE
Mit Augen schaut nun, was ihr kiihn begehrt
Unmoglich ist's, drum eben glaubenswert.
Goethe
1838 In den Biichern iiber Wagner findet man verschiedene
Angaben iiber das erste Auftauchen der Festspielidee. Eine
dokumentarische Feststellung dieses Zeitpunktes ist aber ebenso
iiberfliissig wie unmoglich: von jelier sehen wir Wagner auf
dem Theater nur moglichst vollkommene oder, anders gesagt,
nur „festliche" Auffiihrungen erstreben. Schon im Lebensgang
(S. 42) habe ich die Kiagen des Rigaer Theaterdirektors iiber
die „Qualen" erwahnt, die ihm und seinem Personal durch
Wagner's Versuche, vollkommene Auffiihrungen zustande zu
bringen, verursacht wurden: das war im Jahre 1838, der Meister
zahlte damals 25 Jahre. Nun ist es aber klar, dass die un-
gewohnlich hohe Anspannung, die durch derartige Forderungen
den Darstellern auferlegt wird, nicht alltaglich stattfinden kann,
am allerwenigsten, wenn es sich um musikalische Werke han-
delt, bei denen ein genaues, begeistertes Zusammengehen so
vieler verschiedener Faktoren notig ist. Darum horen wir
Wagner immer wieder verlangen, die Theater sollten die Zahl
ihrer Auffiihrungen beschranken, dafiir aber nur vorziigliche
Auffiihrungen geben; eine schlechte Auffuhrung sei ein Ver-
gehen gegen die Kunst und verderbe zugleich den Geschmack1S48 des Publikums. Diese Gedanken findet man z. B. sehr aus-
fiihrlich und von eingehenden praktischen Ratschlagen be-
gleitet in Wagner's Entwurf zur Organisation eines deutschen
Nationaltheaters vom Jahre 1848.') Zugleich verliert Wagner
*) Funfzehn Jahre spater hat der Meister in seinem Aufsatz Das
Wiener Hofoperntheater gezeigt, wie man mit Beibehaltung des Balletts und
einer besonderen Truppe fiir italienische Opern auch noch Vorziigliches
BAYREUTH 1873
BAYREUTH 489
nie „das allmachtig mitgestaltende Publikum" aus dem Auge; er
weiss, dass man wirklich kiinstlerische Leistungen nicht auf-
oktroyieren kann, sondern dass es darauf ankommt (wie Schiller
sagt), das Ewige, das ewig Schone der Welt so darzubieten,
„dass es in einen Gegenstand ihrer Triebe verwandelt wird";
und so sehen wir ihn im Lohengrinjahre (1847) schreiben:
„Das Publikum muss durch Tatsachen gebildet werden, denn
eher als es das Gute nicht in konsequenter Folge kennen ge-
lernt hat, kann ihm auch kein rechtes Bediirfnis danach ge-
weckt werden".') Und 1850 antwortet er auf die Bitte der
Weimarer Theaterdirektion, Lohengrin durch Striche dem Publi-
kum „bequemer" (!) zu machen: „Wollen Sie dies Publikumwirklich erziehen, so miissen Sie es vor alien Dingen zur Kraft
erziehen, ihm die Feigheit und Schlaffheit aus den philister-
haften Gliedern treiben, es dahin bestimmen, im Theater
sich nicht zerstreuen, sondern sammeln zu woUen. Erziehen
Sie das Publikum nicht zu solcher Kraftiibung im Kunstgenuss,
so verschafft Ihr Freundeseifer weder meinen Werken, noch
meinen Intentionen Verbreitung. Die Athener sassen von Mit-
tag bis in die Nacht vor der Auffiihrung ihrer Trilogien, undsie waren ganz gewiss nichts anderes als Menschen; allerdings
aber waren sie namentlich auch im Genusse tatig". „Das Publi-
kum unserer Theater", heisst es in Oper und Drama, „hat kein
Bediirfnis nach dem Kunstwerke; es will sich vor der Biihne
zerstreuen, nicht aber sammeln; und dem Zerstreuungssiichtigen
sind kiinstliche Einzelheiten, nicht aber die kiinstlerische Ein-
heit Bediirfnis" (IV, 279). Es kommt also auch darauf an, nicht
allein hin und wieder Vorziigliches zu bieten, sondern das Publi-
kum dazu zu erziehen, dass das Gute ihm Bediirfnis werde und
es einstimmig mit Wagner ausrufe: „Lieber kein Theater als ein
schlechtes!"^)
Diese Auffassung von der Bestimmung des Theaters, diese i85i
Oberzeugung betreffs der praktischen Mittel, welche geeignet
leisten konnte. Die wichtigsten hierher gehorigen Ausserungen Wagner's
habe ich zusammengestellt und besprochen in meinem Aufsatz „Zur Er-
offnung der Stilbildungsschule in Bayreuth" in der Freien Biihne (jetzt Neue
Rundschau), Jahrg. 1893, S. 188 fP.
') Brf. vom 31. August 1847.
2) Schlussworte einer Rede, gehalten in St. Gallen 1856.
490 VIERTES KAPITEL
waren, dem Theater zu seiner wahren Wiirde zu verhelfen,
bilden den Boden, aus welchem die eigentliche „Festspielidee*
spater erwuchs. Zunachst ist die Festspielidee genetisch mit
der Entsteliung von Wagner's Ring des Nibelungen eng ver-
kniipft. Als der Meister dieses Werk, zu einer riesigen Tetra-
logie erweitert, ausfiihrte, war es ihm klar, dass er auf die ge-
wohnlichen Theater fiir seine Auffuhrung nicht rechnen durfte.
Schon als er die grossen Linien des Entwurfes erst im Kopfe
fertig hatte, schrieb er an Uhlig (12. November 1851): „Mit
dieser meiner neuen Konzeption trete ich ganzlich aus allem
Bezug zu unserem heutigen Theater und Publikum heraus: ich
breche bestimmt und fur immer mit der formellen Gegenwart".
Dass unsere Theater dreissig Jahre spater sich gierig gerade
auf dieses Werk sturzen und es in verschiedenen Verun-
staltungen zu Kassen-Repertoirstiicken umbilden wiirden, war
damals nicht vorauszusehen; auch hatte diese Aussicht den
Meister keineswegs zu seinem grossen Unternehmen ermutigen
konnen. Von Anfang an war ihm dieses Werk — wie spater
dann auch die anderen seiner zweiten Lebenshalfte — etwas
Geweihtes, Heiliges: es sollte nicht wie die friiheren „verflucht
sein betteln zu gehen". An Liszt schreibt der Meister: ,,Die
Nibelungen mochte ich selbst nur in Gedanken nicht im mindesten
mit einem judischen Kalkiil beflecken, und sie moglichst ganz
mir auch in dieser Hinsicht rein erhalten" (L. I, 291). Dieses
Werk sollte darum nur an einem besonderen Feste gegeben
werden. „Es fallt mir nicht ein, dabei an irgendein jetzt be-
stehendes Theater zu denken, mit denen habe ich furder nichts
mehr zu tun, denn zwischen Martha und Prophet kommendsoil man Werke, wie mein neues, nicht geben", schreibt Wagneran Chordirektor Fischer 1855; die Kosten zu diesem Feste
miissten auf irgendeine Art aufgetrieben werden, weder der
Verfasser noch seine Mitwirkenden diirften einen pekuniaren
Vorteil davontragen, und alle wahren Kunstfreunde sollten
freien Eintritt geniessen. Sehr klar driickt sich Wagner iiber
diesen urspriinglichen Festspielgedanken in einem Brief an Uhlig
aus: „K6nnte ich je iiber 10000 Taler disponieren, so wiirde
ich folgendes veranstalten: — hier (in Ziirich), wo ich nun
gerade bin und wo manches gar nicht so iibel ist, wiirde ich
auf einer schonen Wiese bei der Stadt von Brett und Balken
BAYREUTH 491
ein rohes Theater nach meinem Plane herstellen und lediglich
bloss mit der Ausstattung an Dekorationen und Maschinerie
versehen lassen, die zu der Auffiihrung des Siegfried notig sind.
Dann wiirde ich mir die geeignetsten Sanger, die irgend vor-
handen waren, auswahlen und auf sechs Wochen nacii Zurich
einladen So wiirde ich mir auch mein Orchester zu-
sammenladen. Von Neujahr gingen die Ausschreibungen undEinladungen an alle Freunde des musikalischen Dramas durch
alle Zeitungen Deutschlands mit der Aufforderung zum Besuche
des beabsichtigten dramatischen Musilcfestes: wer sich anmeldet
und zu diesem Zwecke nach Zurich reist, bekommt gesichertes
Entree — natiirlich wie alles Entree: gratis! Des weiteren lade
ich die hiesige Jugend, Universitat, Gesangvereine usw. zur
Anhorung ein. 1st alles in gehoriger Ordnung, so lasse ich
dann unter diesen Umstanden drei Auffiihrungen des Siegfried
in einer Woche stattfinden: nach der dritten wird das Theater
eingerissen und meine Partitur verbrannt. Den Leuten, denen
die Sache gefallen hat, sage ich dann: nun macht's auch so!
Wollen sie auch von mir einmal wieder etwas Neues horen,
so sage ich aber: schiesst ihr das Geld zusammen! — Nun,
komme ich dir gehorig verriickt vor? Moge es sein, aber ich
versichere dir, dies noch zu erreichen, ist die Hoffnung meines
Lebens, die Aussicht — die mich einzig reizen kann, ein Kunst-
werk in Angriff zu nehmen" (U. 60). Das ist die Festspiel-
idee in ihrer ganzen Reine, wie sie ihrem Schopfer vorschwebte,
ehe sie durch den Kontakt mit der Wirklichkeit und durch die
tausend Kompromisse, die diese notig macht, so manche ideale
Forderung hatte aufgeben miissen, dafur aber lebensfahig ge-
worden war.
Offentlich kiindigte Wagner sein Vorhaben zum ersten Male
in seiner im Dezember 1851 erschienenen Mitteilung an meine
Freunde an: „An einem eigens dazu bestimmten Feste gedenke
ich dereinst im Laufe dreier Tage mit einem Vorabende jene
drei Dramen nebst dem Vorspiele aufzufiihren: den Zweckdieser Auffiihrung erachte ich fiir vollkommen erreicht, wenn
es mir und meinen kiinstlerischen Genossen, den wirklichen
Darstellern, gelang, an diesen vier Abenden den Zuschauern,
die um meine Absicht kennen zu lernen sich versammelten,
diese Absicht zu wirklichem Gefuhls- (nicht kritischem) Ver-
492 VIERTES KAPITEL
standnisse kiinstlerisch mitzuteilen. Eine weitere Folge ist mir
ebenso gleichgultig, als sie mir iiberfliissig erscheinen muss"(IV, 417). Man sieht, wie diese Idee, die Wagner im Blute
lag, an jenem bestimmten Vorhaben einer Auffiihrung des
Nibelungenringes eine immer bestimmtere, festere Gestalt ge-
winnt. Die Erbauung eines Festspielhauses mit Riicksicht auf
diesen einen Zweclc; nach langen, eingehenden Vorbereitungen
Abhaltung dieses einen, bestimmten Festes; Fernhaltung jeg-
licher industriellen Absicht: das waren schon damals die Grund-prinzipien der Festspielidee, und aus genau den selben Grund-prinzipien erstand das Bayreuther Festspielhaus. Aber auch
iiber ai^zessorische Bestandteile dieser Idee, wie z. B. dariiber,
dass nur eine kleine Stadt, nicht eine grosse, den gedeihlichen
Boden zu Festspielen abgeben konnte, war sich Wagner schon
in jener friihen Zeit ganz klar. „Grosse Stadte mit ihrem
Publikum sind fur mich gar nicht mehr vorhanden", schreibt
er am 30. Januar 1852 an Liszt; „Ich kann mir unter meiner
Zuhorerschaft nur eine Versammlung von Freunden denken,
die zu dem Zwecke des Bekanntwerdens mit meinem Werkeeigens irgendwo zusammenkommen, am liebsten in irgendeiner
schonen Einode, fern von dem Qualm und dem Industrien-
geruche unserer stadtischen Zivilisation: als solche Einode
konnte ich hochstens Weimar, gewiss aber keine grossere Stadt
ansehen."
Als nun Wagner sich endlich im Jahre 1862 gezwungen
sah, einer Herausgabe der blossen Dichtung zum Nibelungenring
zuzustimmen, schrieb er ein Vorwort dazu, in welchem der
Festspielgedanke noch festere Gestalt gewann. Auf zehn Druck-
seiten ist hier die ganze Frage griindlich erortert, und da es
nicht mein Zweck sein kann, dem Leser das Studium von
Wagner's Schriften zu ersparen, da ich im Gegenteil ihn hierzu
so viel als moglich anregen mochte, so verweise ich jeden auf
diese ebenso kurze als erschopfende Darlegung, die man amSchlusse des VI. Bandes der Gesammelten Schriften finden
wird. Die Unmoglichkeit, dramatische Werke wie die seinigen
auf den bestehenden Theatern zu entsprechender Darstellung
zu bringen, ergibt sich, wie der Meister sagt, aus der ,,voll-
kommenen Stillosigkeit der deutschen Oper und der fast gro-
tesken Unkorrektheit ihrer Leistungen"; der unausbleibliche
-^jL^.^^ ,^^2^^^^6^-^/ ^.<^^-i^^cM, ^<^.^^<^ty-^^^c^/i^ -v._£S!.'^^-~
<—/"--^-^ ^"^^f^ ^rfi:j<^ ^'-y^ ^v-^.-^^ ^s..^^^/^
/
H^^y
-K^e^ 'A
>--. - o^ f^^^^> ^^^1^^'. .<:-^Zl.
U~tf-^
Faksimile aus der Originalhandschrlft (Scbriften, Bd. VI, S. 388/89),
BAYREUTH 493
Einfluss der Festspiele auf die Kiinstler, die sich hier zur voll-
kommenen Beherrschung einer einzigen Aufgabe sammeln konnen,
der unvergleichlich grosse Eindruck auf ein Publikum, das nicht
abgespannt von der Tagesarbeit ins Theater konimt, urn Zer-
streuung zu suchen, sondern „am Tage sich zerstreut, um nun,
bei eintretender Dammerung, sich zu sammeln" das wird
alles hier iiberzeugend ausgefiihrt, und des Meisters damalige
Prophezeiung: „Den Eindruck eines Biihnenfestspieles in der
von mir bezeichneten Auffuhrungsweise konnen wir nicht hoch
genug anschlagen" hat seitdem eine reiche Erfahrung bewahr-
heitet. Doch musste Wagner bald einsehen, dass mit seinem
friiheren Gedanken eines nur einmaligen Festspieles der Kunst
nicht geholfen ware. Schon 1853 hatte er Roeckel gegeniiber
geaussert, er werde „in einem zweckentsprechenden Theater ein
Jahr langalle seine Werke auffiihren" (R. 17); jetzt (1862) schlagt
er diese Institution als eine dauernde vor „mit ein-, zwei- oder
dreijahrigen Wiederholungen". Auch die Unsichtbarkeit des
Orchesters wird in diesem Vorwort gefordert, und zwar aus
akustischen, asthetischen und dramatischen Griinden.
Im allgemeinen legt jedoch das grosse Publikum viel zu
viel Gewicht auf diese Anlage des Orchesters; fur manche Leute
ist das Bayreuther Festspielhaus ein Theater wie jedes andere,
nur mit tiefgelegtem, verdecktem Orchester, wahrend im Gegen-
teil die geniale Losung dieses Problems, welches von wirklich
grossen Kiinstlern jederzeit als ein solches empfunden worden
war, lediglich zu den vielen Einzelheiten gehort, die freilich
geeignet sind, unser unbedingtes Vertrauen zu Wagner zu mehren,
denen aber doch nur sekundare Bedeutung zukommt. Schon
die Florentiner des 17. Jahrhunderts verwiesen das Orchester
hinter die Biihne; eine Beschreibung, die fast buchstablich das
Bayreuther Haus vorausverkiindet, findet sich in Gretry's
Vorschlag zu einem neuen Theater, wo er unter anderemfordert: „Das Orchester musste verdeckt sein, und manmusste weder die Musiker noch die Lichter auf den Pulten
sehen konnen"; Goethe wiinschte, „das Orchester sollte so viel
als moglich verdeckt sein", usw. ') Wie dies nun von Wagner
') Vgl. den sehr eingehenden und auch technisch belehrenden Auf-
satz von C. Kipke „Das unsichtbare Orchester" in den Bayreuther Bldttern,
1889, S. 324.
494 VIERTES KAPITEL
bewirkt wurde, wie er nicht bloss das Orchester verdeckte und
das Biihnenbild an den Zuschauer heranriickte (was seine Vor-
ganger verlangt batten), sondern zugleich durch die stufenweise
Versenkung es ermoglichte, die verschiedenen Instrumenten-
gattungen gegeneinander auszugleichen — die Streichinstrumente
z. B. zu oberst, das rauhere Blech, Posaunen und Tuben,
ganz unten und schon von der Buhne verdeckt, die Holzblaser
unter der Offnung zwischen den Schalldecken — und wie
hierdurch eine Verschmelzung des gesamten Tonkorpers zu einem
friiher nie gehorten einheitlichen Wohlklang erzielt wurde, das
ist, wie gesagt, eine bewundernswerte Schopfung seines Genius;
KAPEU
NlEISTiR
r.3 I" "I- f =^a^
"1= "IVIOUNENI
fwimVIOUNEN
jfcONTRAj]
EINGAN6 . . 0=^ C>=^:) 0=<)=O 0=^ 0=^ eiNGUNG
|\H»RFtN|\ VIOLONCEUI ^^^^''°^^'' VIOLONCEUI ^»RFEn|\
o c:j=o=ci=o o=o LaHORN OBOEN
BUHNE
Grundriss des Bayreuther Orchesters
im Verhaltnis aber zu der Idee, aus weicher die Festspiele
hervorgingen, ist es doch mehr ein materielles Moment, insofern
also etwas Untergeordnetes.
1865 Jenes Vorwort hatte nun mit dem betriibenden Gestandnis
geschlossen, der Meister hoffe nicht mehr, durch eine Vereinigung
kunstliebender Freunde das Ersehnte erreichen zu konnen:
„Bedenke ich, wie kleinlich die Deutschen gewohnlich in solchen
Dingen verfahren, so habe ich nicht den Mut, von einem hier-
fiir zu erlassenden Aufrufe mir Erfolg zu versprechen." Dagegen
hoffte er noch auf einen deutschen Fiirsten, und das Schrift-
stiick schloss mit der bangen Frage: „Wird dieser Fiirst sich
finden? Im Anfang war die Tat!"
Wie der Leser weiss, dieser Fiirst fand sich:
BAYREUTH 495
„ un po^te, un soldat, le seul Roi
De ce si^cle ou les rois se font si peu de chose!"(Verlaine.)
Hieriiber berichtet Wagner: „Es diirfte keiner poetischen Diktion
noch auch einem ganzen poetischen Diktionar moglich werden, die
entsprechende Phrase fiir die ergreifende Schonheit des Ereig-
nisses zu liefern, welches durch den Zuruf eines hochgesinnten
Konigs in mein Leben trat. Denn wirklich war es ein Konig,
der mir im Chaos zurief: ,Hierher! Vollende dein Werk; ich
will es!'" — Jedoch, jene selbe Offentlichkeit, die Wagner zu
der Verwirklichung seines so schonen und selbstlosen Fest-
spielgedankens nicht verhelfen konnte, besass die Macht, den
Willen dieses „einzigen Konigs unseres Jahrhunderts" zu brechen
BU H N E SCHALLDECKE
SCHALLOECKEr
HARFEN.FLOTEN,
VIOLONCELll.BtSSEl
HOlZBLAStR
DIRIGEHT
VIOLINENV^l°y^BRATSCHEN
'''
Querschnitt des Bayreuther Orchesters
und die Begriindung der deutschen Biihnenfestspiele im Jahre
1865 zu hintertreiben. Ein herrliches erstes Festspiel ver-
mochte allerdings der Meister in Miinchen durchzusetzen:
jene viermalige Auffiihrung von Tristan und Isolde mit
Biilow, Schnorr von Carolsfeld, Frau Schnorr und Mitter-
wurzer, und wir diirfen unbedingt die Auffiihrungen vomMai und Juni 1865 als die ersten Festspiele bezeichnen;
dann aber musste er in abermalige, freiwillige Verbannung
Ziehen.
Es hat etwas sehr Komisches, wenn man heute in Miinchener
Theaterkreisen eifrig die nachtragliche Verwirklichung jenes
projektierten Festspielhauses von Semper') betreibt mit der
Begriindung, dass es sich so vorziiglich „rentieren wiirde." Also
Vgl. S. 120.
496 VIERTES KAPITEL
Das Festspielhaus zu Bayreuth
dazu ware die Festspielidee da, um Aktienunternehmern die
Taschen zu fiillen? Merl^t man denn gar nicht, dafi die kiinst-
lerischen Leistungen eines Festspieles im Sinne Wagner's auf
einer moralischen Grundlage ruhen und dass diese Grundlage
heisst: „Es darf keinerlei Riicksicht auf irgendwelchen Gewinn
bestehen?" In Bayreuth ist niemals fur Geld gespielt worden;
doch hat der Meister, nachdem er sich 30 Jahre lang dagegen
gestraubt hatte, das Prinzip des offentlichen Kartenverkaufs, also
des Eintritts gegen Geld, zugeben miissen; erst durch dieses
— wohl nicht ganz unbedenkliche — Zugestandnis wurden die
Festspiele lebensfahig. Das Werk einer aufopferungsvollen,
weisen und nicht allein uneigenniitzigen, sondern geradezu
selbstvergessenen geschaftlichen Leitung ist es seitdem gewesen,
Einnahmen und Ausgaben in einem Gleichgewicht zu erhalten,
wie es die Weiterfiihrung der Festspiele erheischte; dass trotz-
dem manchmal gahnende Liicken entstanden, kann Den nicht
wundern, der nur einen fliichtigen Blick in das Budget eines
Bayreuther Festspiels geworfen hat; wer diese Liicken aus-
fiillte und den Festspielfonds vor dem Abbrockeln bewahrte,
BAYREUTH 497
das braucht der Neugier nicht verraten zu werden. Ich wollte
nur auf das eine aufmerksam machen: der Gedanke, es Bayreuth
nachzumachen, Festspiele an anderen Orten ins Leben zu rufen,
ist kein schlechter; das vertiefte Orchester allein wird es aber
nicht machen, auch nicht „geniale Regiekunst", sondern die
Nachahmung muss notwendigerweise dort anfangen, wo es
jedem gelingen kann nachzuahmen, namlich in dem Verzicht auf
jeden materiellen Vorteil.
Wie der Meister durch den siegreichen Krieg desjahres 1870 is7o
ermutigt wurde, seinen Festspielgedanken wieder aufzunehmen;
wie er diesmal nicht nur auf den „deutschen Geist" — wie
immer — sondern auch auf das „deutsche Volk" vertrauen zu
diirfen wahnte: das habe ich schon im Lebensgang erzahlt;
auch wie diese Hoffnung der Hauptsache nach getauscht wurde.
Wer sich iiber die Vorgange dieser Zeit unterrichten will —die Wahl von Bayreuth, den Bau des Festspielhauses und
seine gesamte Einrichtung, die verschiedenen Phasen, welche
die Verwirklichung des Baues durchlief bis zu den Festspielen
von 1876 und bis zur Abtragung des Defizits, das diese Fest-
spiele hinterliessen — der lese im IX. Band der Gesammelten
Schriften den „Schlussbericht bis zur Begriindung von Wagner-
Vereinen" und den Aufsatz iiber „Das Biihnenfestspielhaus zu
Bayreuth, nebst einem Bericht iiber die Grundsteinlegung
desselben", ferner in dem Jahrgang 1886 der Bayreuther
Blatter die gesammelten „Briefe und Dokumente aus den
Jahren 1871— 1876" und schliesslich die wertvolle Broschiire
des Herrn Karl Meckel Die Biihnenfestspiele in Bayreuth;
authentischer Beitrag zur Geschichie ihrer Entstehung undEntwickelung (Pritzschy 1891).') Ferner findet man im X. Band
von Wagner's Schriften seinen „Riickblick auf die Biihnenfest-
spiele des Jahres 1876" und alle Dokumente, die das zweite
Patronat betreffen, zuletzt auch des Meisters Aufsatz iiber „Das
Biihnenweihfestspiel in Bayreuth 1882". Und um dieses Doku-
mentarische gleich ganz zu erledigen, will ich noch erwahnen,
dass Glasenapp schon in den friiheren Auflagen seiner Bio-
graphic iiber die Festspielzeit ausserst ausfiihrlich berichtet
') Namentlich dieser letzten Schrift ist manches in den folgenden
Mitteilungen entnommen.Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 32
498 VIERTES KAPITEL
hat, SO dass deren neue, erweiterte Ausgabe gewiss dem uner-
sattlichen Wissbegierigen keinen Wunsch unerfiillt lassen wird.
Mir bleibt hier nur wenig hinzuzufiigen, da mein Werk kein
chronistisches ist.
1872 Die Grundsteinlegung des Festspielhauses in Bayreuth
fand am 22. Mai 1872 statt. Aus alien Teilen Deutschlands
waren Kiinstler zu Hunderten nach Bayreuth hingestromt. In
den Grundstein legte der Meister folgenden sinnigen Vers:
• Hier schliess' ich ein Geheimnis ein,
Da rub' es viele hundert Jahr',
So lange es verwahrt der Stein,
Macht es der Welt sich offenbar.
In seiner Festrede sagte er u. a.: „Muss ich das Vertrauen in
mich setzen, die hiermit gemeinte kiinstlerische Leistung zumvollen Gelingen zu fiihren, so fasse ich den Mut hierzu nur
aus einer Hoffnung, welche mir aus der Verzweiflung selbst
erwachsen ist. Ich vertraue auf den deutschen Geist und hoffe
auf seine Offenbarung auch in denjenigen Regionen unseres
Lebens, in denen er, wie im Leben unserer offentlichen Kunst,
nur in allerkiimmerlichster Entstellung dahinsiechte. Ich ver-
traue hierfiir vor allem auf den Geist der deutschen Musik,
well ich weiss, wie willig und hell er in unseren Musikern
aufleuchtet, sobald der deutsche Meister ihnen denselben wach-
ruft; ich vertraue auf die dramatischen Mimen und Sanger,
well ich erfuhr, dass sie wie zu einem neuen Leben verklart
werden konnten, sobald der deutsche Meister sie von demeitlen Spiele einer verwahrlosenden Gefallkunst zu der echten
Bewahrung ihres so bedeutenden Berufes zuriickleitete. Ich
vertraue auf unsere Kiinstler und darf dies laut aussprechen
an dem Tage, der eine so ausgewahlte Schar derselben auf
meinen blossen freundschaftlichen Anruf aus den verschiedensten
Gegenden unseres Vaterlandes um mich versammelte: wenn
diese, in selbstvergessener Freude an dem Kunstwerke, unseres
grossen Beethoven's Wundersymphonie Ihnen heute als Fest-
gruss zutonen, diirfen wir alle uns wohl sagen, dass auch das
Werk, welches wir heute griinden wollen, kein triigerisches
Luftgebaude sein wird, wenngleich wir Kunstler ihm eben
nur die Wahrhaftigkeit der in ihm zu verwirklichenden Idee
BAYREUTH 499
Richard Wagner. Von F. von Lenbach
verbiirgen konnen." Im weiteren Verlaufe dieser Rede wies
Wagner die Bezeichnung „National-Theater" fiir das Bayreuther
Festspielhaus zuriick: „Wo ware die Nation, welche dieses
Theater sicii erriciitete? Nur Sie, die Freunde meiner
besonderen Kunst, meines eigensten Wirkens und Schaffens,
hatte ich, urn fiir meine Entwiirfe mich an Teilnehmende zu
wenden Und nur in diesem fast personlichen Verhaltnisse
zu Ihnen, meine Conner und Freunde, darf ich fiir jetzt den
Grund erkennen, auf welchen wir den Stein legen wollen,'der
das ganze uns noch so kiihn vorschwebende Gebaude unserer
edelsten deutschen Hoffnungen tragen soli. Sei es jetzt auch
32*
500 VIERTES KAPITEL
bloss ein provisorisches, so wird es dieses nur in dem gleichen
Sinne sein, in welchem seit Jahrhunderten alle aussere Formdes deutschen Wesens eine provisorische war. Dies aber ist
das Wesen des deutschen Geistes, dass er von innen baut: der
ewige Gott lebt in ilim wahrhaftig, ehe er sich auch den Tempel
seiner Ehre baut." Und er schloss mit den Worten: „Dieser
Stein sei geweiiit von dem Geiste, der es Ihnen eingab, meinem
Anrufe zu folgen; der Sie mit dem Mute erfiillte, jeder Ver-
hohnung zum Trotz, mir gariz zu vertrauen; der aus mir zu
Ihnen sprechen Iconnte, weil er in Ihrem Herzen sich wieder-
zuerkennen hoffen durfte: von dem deutschen Geiste, der uber
die Jahrhunderte hinweg Ihnen seinen jugendlichen Morgen-
gruss zujauchzt!" Abends fand dann im alten markgraflichen
Opernhause eine Auffiihrung von Beethoven's „Wunder-
symphonie" statt, wie sie nie wiederkehren wird: die grossten
Virtuosen Deutschlands, an ihrer Spitze Wilhelmj, sassen im
Orchester; die Solopartien wurden von Niemann, Betz, Johanna
Jachmann-Wagner und Marie Lehmann gesungen; den Chor
bildeten die Vereine von Riedel, Stern und Rebling, die besten
des Reichs; den Taktstock fiihrte Deutschlands grosser Meister.
Unter diesen Auspizien wurde der Stein geweiht, auf dem sich
das Festspielhaus erheben sollte.
1873 Was der Verwirklichung dieses Festspielhauses und der
Festspiele von Anfang an offenbar die grosste Schwierigkeit in
den Weg stellte, war jener Grundsatz, von dem der Meister
durchaus nicht abweichen wollte: dass nur „die mitschopferischen
Freunde" zur Beteiligung an dem Werke zugelassen werden
sollten. Noch vor dem endgiiltigen Abkommen mit Bayreuth
hatte Wagner an einen dortigen Freund geschrieben: „Es wird
sogleich in das Auge zu fassen sein, dass es sich hier umkeine Theater-Unternehmung fiir Gelderwerb handelt: die Vor-
stellungen werden nur von Eingeladenen und den Patronen der
Unternehmung besucht; gegen Entree kann niemand zugelassen
werden." Es sollten also Patrone, das heisst „mitsch6pferische
Freunde", geworben werden; man brauchte nur eintausend
Menschen zu finden (oder Verbindungen), die sich verpflichtet
hatten, die Summe von je 300 Talern, nicht etwa auf einmal,
sondern im Laufe einiger Jahre zu zahlen; nach zwei vollen
Jahren waren jedoch erst 240 Patronatscheine ausgegeben, also
BAYREUTH 501
nicht ein Viertel, und auf Kosten welcher Anstrengungen! Der
Khedive von Agypten, der 10000 Mark schickte, war hierbei
der weitaus freigebigste Conner und Forderer der deutschen
Festspiele! Urn die intensive Nichtbeachtung zu veranschau-
lichen, welcher Wagner's grosses und jetzt dem deutschen Geist
zum ewigen Ruhme gereichendes Werk im weiten deutschen
Reiche begegnete, will ich hier nur zwei kleine Tatsachen ein-
schalten. Ein von Dr. A. Stern im Auftrage der Wagner-Ver-
eine verfasster „Bericht und Aufruf" wurde Ende 1873 an
viertausend deutsche Buch- und Musikalienhandler mit Sub-
skriptionslisten versandt; nicht ein einziger dieser vier Tausend
nahm die geringste Notiz von der Sendung! und einzig und
allein in Gottingen haben einige Studenten ein paar Taler ge-
zeichnet!') Zu gleicher Zeit aber hatten sich die Wagner-Ver-
eine an 81 Hof- und Stadttheater mit der Bitte gewandt, Auf-
fiihrungen zugunsten des Bayreuther Unternehmens zu geben
— gewiss keine unbescheidene Bitte, da jedes dieser Theater
durch Wagner's Werke schon ungeheure Summen eingenommen
und die meisten seinerzeit den Verfasser mit einer einmaligen
Bezahlung von 20 oder 30 Louisdor abgefunden hatten! Vonden angegangenen 81 Theatern haben 78 iiberhaupt nicht, die
iibrigen drei aber abschlagig geantwortet! Nun glaube man aber
nicht, die Sachkundigen hatten Wagner's Nibelungenring nicht
fiir lebensfahig angesehen und sich etwa aus diesem rein sach-
lichen Grunde ablehnend verhalten; mit nichten! Eine Gesell-
schaft „Wagneriana" bildete sich 1873 in Berlin und bot demMeister eine Million an, wenn er die Festspiele nach Berlin
verlegen wolle; 220000 Taler waren in so kurzer Zeit ge-
zeichnet worden (mehr als zweimal soviel als miihsam im
Laufe von zwei Jahren fiir Bayreuth zusammengerafft worden
war), dass an dem Gelingen des Unternehmens nicht zu
zweifeln gewesen ware, wenn der Meister durch irgend etwas
in der Welt dazu hatte bewogen werden konnen, von demDienste reinster, uneigenniitziger Kunst abzuweichen. Mit
ahnlichen lockenden Anerbietungen traten damals auch Londonund Chicago an Wagner heran. Wie ganzlich deutsch-ideal
seine Cesinnung aber blieb, das zeigt uns ein Brief aus jenem
') Schade, dass die Namen dieser braven Studenten nicht genannt werden.
502 VIERTES KAPITEL
Dr. von Muncker
selben hofFnungslosen— aber, wenner nur gewollt hatte, fiir den Meister
„millionenreichen" — Winter des
Jahres 1873, ein Brief, worin er
meint: „Es icommt fast mehr auf
die Erweckung verborgener Krafte
des deutschen Wesens an, als auf
das Gelingen meiner Unternehmung
selbst."
1874 ^^^H' ^'^^ ^^^^m Im Januar 1874 musste nun
Wagner feierlich und endgiiltig er-
klaren, sein Unternehmen sei ge-
scheitert. Zum Gliick gelang es
Freunden, ihn von einer voreiligen
Veroffentliciiung dieser Sachlage
abzuhalten: inzwisclien war Hilfe
eingetroffen von der einzigen Seite, von der Wagner jemals Hilfe
in ausreichendem Masse zuteil geworden ist. Sciion zur Grund-
steinlegung hatte Konig Ludwig II. „an den deutschen Dichter-
Komponisten Herrn Richard Wagner" telegraphiert: „ Aus tiefstem
Grund derSeele spreche ichlhnen, teuerster Freund, zu dem ganz
Deutschland so bedeutungsvollen Tage meinen warmsten und auf-
richtigsten Gliickwunsch aus. Heil und Segen zu dem grossen
Unternehmen im nachsten Jahre. Ich bin heute mehr denn je
im Geiste mit Ihnen vereint," Jetzt und damit die Arbeiten amBau nicht eingestellt werden miissten, gewahrte der Konig einen
Vorschuss aus seiner Kabinettskasse. Es muss jedoch bemerkt
werden, dass es sich sowohl in diesem Falle wie auch spater
bei der Deckung des Defizits einzig um eine Kredit-Gewahrung
handelte, und da die vorgeschossenen Summen durch die Seque-
strierung der Tantiemen Wagner's an der Miinchener Hofbiihne
gesichert und gedeckt wurden, so ist es in letzter Reihe der
Meister selber und kein anderer, der das Festspielhaus erbaut
hat. Mit grossen Sorgen musste dennoch Wagner 1876 an die
Auffiihrung gehen: „Unsere Sorgen sind gross," schreibt er
am 4. Februar, „und schliesslich muss ich den Vorsatz, die
Auffiihrungen in diesem Jahre noch stattfinden zu lassen, fiir
tollkiihn ansehen. Wir sind mit den Patronatscheinen bis 400, be-
diirfen aber den neuesten Berechnungen nach 1300, um auszu-
BAYREUTH 503
Friedrich Feustel
kommen. Das urspriinglich pro-
jektierte Unternehmen ist also
eigentlich vollkommen gescheitert."
Und doch, es hatte noch immer
kein Defizit gegeben — so gross war
das Interesse, welches sich im letzten
Augenblick in ganz Deutschland und
welt dariiber hinaus fiir die Fest-
spiele kundgab, und so unerhort
war das kiinstlerische Gelingen! —das Defizit war das Werk der Presse,
welche, wie Herr Karl Heckel sehr
richtig sagt,mitgeradezu „fanatischer
Wut" Bayreuth zu schadigen be-
strebt war.
Hier muss ich aber diese Dar-
stellung einen Augenblick unterbrechen, um wenigstens einige
von denen zu nennen, die, wenn auch durch ihre Vereinzelung
zu verhaltnismassiger Ohnmacht verurteilt, dennoch durch rast-
lose Arbeit das Zustandekommen der Festspiele in anerkennens-
werter Weise forderten.
Zunachst ist des Biirgermeisters von Bayreuth Dr. von Muncker und
Muncker zu gedenken, der von dem ersten Besuch des Meisters
in Bayreuth imjahre 1871 an bis zu dem heutigen Tage ') sich
schier unzahlige Verdienste um die Festspiele erworben hat.
Ohne seine Umsicht, seinen Takt, sein zahes Festhalten, seine
unbedingte Ergebenheit ware das Unternehmen sicherlich nicht
gelungen. Ihm fiel unter anderem die nicht sehr leichte Auf-
gabe zu, wahrend der vielen schweren Jahre Wagner's Werkgegen die nicht immer sehr geneigten Bayreuther Burger undihre Stadtvertretung zu verteidigen. — Nach mancher Richtung
hin noch bedeutender und erfolgreicher war der Einfluss, den
der Bayreuther Bankier Friedrich Feustel (spater Reichstags-
mitglied) auf den Gang der Dinge ausiibte. In ihm gewannWagner einen der fahigsten Freunde seines Unternehmens. Die
Verdienste solcher Manner lassen sich schwer aufzahlen, kaumiiberblicken; was wir in Dokumenten sehen, ist ja das Wenigste;
Feustel
*) Burgermeister von Muncker starb 1899.
504 VIERTES KAPITEL
Adolf von Gross
hier handelt es sich um tagliche, stiindliche Dienste von der
ersten Beratung beziiglich eines geeigneten Bauplatzes an bis
zu den tausend und abertausend Plackereien der Festspiele
selbst und zu der ganzen so schwierigen und damals so
unerfreulichen finanziellen Gebarung. Es ist das alles ein
Wirken im Verborgenen, ohne Lohn, ohne Ruhm, ohne Aner-
kennung — ausser vom Meister selber, der nicht miide wird,
seine Dankbarkeit auszusprechen, und der den Anted der Herren
vom Festspielverwaltungsrat (Muncker, Feustel und Advokat
BAYREUTH 505
Gross
Kafferlein) in einem offenen Brief als „einzig ermoglichend"
bezeichnet.
Diese Namen habe icli vorangestellt: gerade weil das Adoif von
Wirken dieser Manner ein verborgenes war, darum verdienen
sie an erster Stelle genannt zu werden. Und da mochte ich
gleich noch einen Namen hinzufiigen, den des Herrn Adolf
von Gross. Noch ehe er offiziell in den Verwaltungsrat der
Festspiele berufen wurde (was meines Wissens erst nach den
seclisundsiebziger Festspielen geschah), hat dieser Mann um die
Administration des Unternehmens sich die grossten Verdienste
erworben ; seitdem wurde er aber immer mehr zum alleinigen
Verwalter. Wer die Bedeutung der Krisis ermisst, die durch
des Meisters Tod iiber Bayreuth hereinbrach, wer eine Ahnungdavon hat, was es hiess, die Festspiele iiber die Jahre 1883 bis
1889 hinwegzuretten, der wird dem Manne, der das volibracht
hat, seine Bewunderung nicht vorenthaiten konnen. Wurdedas kiinstlerische Erbe Wagner's durch seine Gattin vor demUntergang geschiitzt, gedieh es in ihren Handen zu nie ge-
ahntem Glanz und Sieg, so darf doch niemals iibersehen wer-
den, dass diese Tat unmoglich gewesen ware, hatte nicht ein
Mann gelebt, der — durch eine seltene Vereinigung von Fahig-
keiten zu diesem besonderen Werke wie von der Vorsehung
erschaffen — diese seine Bestimmung auch begriff und nun-
mehr sein ganzes Denken, seine ganze Kraft, jeden Atemzug
dem Festspielgedanken Richard Wagner's widmete. Ich habe
vorhin davon gesprochen, dass die Bayreuther Festspiele auf einer
moralischen Grundlage ruhen: ohne Ubertreibung diirfen wir
sagen, diese moralische Grundlage habe sich in der herben, star-
ken, echt deutschen Personlichkeit dieses Kurwenal verkorpert.
Wende ich mich nun zu den anderen aufopferungsvollsten craRn
Freunden der ersten Bayreuther Zeit zuriick, so folge ich demBeispiel des Meisters, wenn ich drei Namen hervorhebe, die
keinem Verehrer Wagner's unbekannt bleiben diirfen: Freifrau
Marie von Schleinitz, Karl Tausig und Emil Heckel.
Ich weiss nicht, ob man das Richtige trifft, wenn manGrafin Wolkenstein, ') wie bisweilen geschieht, eine „G6nnerin*
Wolkenstein
') Freifrau von Schleinitz, geb. Marie von Buch, damals die Gemahlin
des beltannten Hausministers Kaiser Wilhelms I., des Freiherrn, spater Grafen
506 VIERTES KAPITEL
des Meisters nennt; ich mochte
sie lieber als eine Mitarbeiterin
an seinem Bayreuther Werkbezeichnen. Sie war durchaus
nicht die Frau, ihre hohe ge-
sellschaftliche Stellung so auf-
zufassen, als i^onnte es fiir sie
geniigen, einen Mann wie Wag-ner zu „protegieren" ; Konig
Ludwig war ihr ja mit gutem
Beispiel vorangegangen, und
so stellte sie sich buchstab-
lich in den Dienst des Genies,
unermiidet arbeitete sie fiir
ihn, unentwegt focht sie und
ertrotzte sie fiir seine Sache*
Heute kann man sich schwer
vergegenwartigen, was das
hiess, in denjahren 1871 bis
1876 das Panier Wagner's
hochzuhalten: batten nur ein
Dutzend Manner soviel Kiihn-
heit und Uberzeugungskraft gezeigt wie diese eine Frau, so waren
die Bayreuther Festspiele unter anderen Auspizien ins Leben ge-
treten. In der Widmung seiner Schrift iiber das Bayreuther Fest-
spielhaus an Grafin Wolkenstein sagt derMeister: „Es geschieht auf
Antrieb des Wunsches, die lebendige Teilnehmerin, deren uner-
miidlichem Eifer und Beistande meine grosse Unternehmung fast
ausschliesslich ihre Forderung verdankt, laut bei dem Namen zu
nennen, der von mir und jedem wahren Freunde meiner Kunst
mit inniger Verehrung genannt wird." Und mehrere Jahrespater, als Wagner den ganzen Gang dieser so bewegten, hoff-
nungsreichen und sorgenvollen Zeit iiberblicken konnte, be-
zeichnete er diese edle Freundin als „die Hauptkraft, deren
rastloser Tatigkeit er das materielle Zustandekommen seines
Unternehmens einzig verdanke!" Er schreibt da ferner: »Un-
Marie von Buch
Schleinitz, vermahlte sich nach dem Tode ihres ersten Gatten mit dem oster-
reichischen Botschafter Graf von Wolkenstein-Trostburg.
BAYREUTH 507
umwunden bekenne ich, dass ohne die jahrelang mit stets
erneuter Energie durchgefiihrte Werbung dieser gesellschaftlich
so bedeutend gestellten, in alien Kreisen hochgeehrten Frau,
an eine Aufbringung der Mittel zur Bestreitung der notigsten
Kosten der Unternehmung, an eine Forderung derselben nicht
zu denken gewesen ware. Unermiidet wie unverwundbar setzte
sie sich dem Belacheln ihres Eifers, ja selbst der offenen
Verspottung von seiten unserer so schon gebildeten Publizistik
aus " (Ein Riickblick auf die Biihnenfestspiele des
Jahres 1876, X, 144). Das einzige, was nach diesen Zitaten
noch zu sagen bleibt, ist, dass die Freundschaft dieser seltenen
Frau sich als eine von jenen echten erwiesen hat, die auch
iiber den Tod hinaus die Treue wahren.
Von Karl Tausig ist leider nur wenig zu berichten, da Kari lausig
er bereits am 17. Juli 1871 starb. Schon seit den fiinfziger
Jahren war dieser grosse Musiker ein treuer und ergebener
Freund Wagner's.
Als nun der Bayreu-
ther Gedanke festere
Gestalt gewann, er-
fasste Tausig, wie der
Meister berichtet,
„diese Angelegenheit
als eine ganz person-
lich ihm zufallende
Aufgabe". Dieganze
allererste Organisa-
tion ist sein Werk,und bei seiner rie-
sigen Energie undhohen praktischen
Begabung ist gar
nicht abzusehen,wel-
chen Erfolg er mog-
licherweise errungen
hatte, ware er nicht
gleich im erstenj ahre
gestorben. Auchkiinstlerisch war der Grafin von Wolkenstein-Trostburg
508 VIERTES KAPITEL
Emil Meckel
Verlust gerade dieses Man-nes ein grosser, unersetz-
licher. Wie Schnorr unter
den Sangern so war Tausig
unter den ausiibenden Mu-sikern jenerZeitbei weitem
der genialste; wenn manvon Billow absieht, so
diirfte man wohl ruhig
sagen der einzige wirklich
geniale. Als er starb, warer gerade mit der Zusam-
menstellung eines Orche-
sters beschaftigt, welches,
unter seiner Leitung aus-
gebildet, den Kern des
Bayreuther Orchesters
ausgemacht hatte. Das
Schicksal war fiir Wagnerhart: kaum hatte er die
zwei Ausserordentlichen
gefunden, Schnorr undTausig, so schwanden sie wieder aus seinem Leben; in beiden
Fallen hiess es „den grossen Granitblock nunmehr durch Back-
steine ersetzen".')
Der dritte Name ist der eines schlichten deutschen
Mannes, dem gewissermassen typische Bedeutung zukommt,wobei allerdings zu wiinschen ware, es mochten sich recht
viele nach diesem „Typus" richten. Emil Heckel ist der Be-
griinder des allerersten Richard Wagner-Vereines, namlich des
Mannheimer Vereines. Infolge seiner Anregung entstanden dannerst in vielen anderen deutschen — und ausserdeutschen —Stadten ahnliche Verbindungen, und wenn die praktischen
Erfolge dieser Vereine fiir die Forderung der Bayreuther
Festspiele verhaltnismassig — oder unverhaltnismassig — gering
geblieben sind, so war das wahrlich nicht die Schuld dieses
unermiidlich eifrigen Mannes; iiberall stiess er auf absolute
Friedrich von Schon
') Vgl. S. 131.
BAYREUTH 509
Emil Meckel
Gleichgiiltigkeit: die Presse ver-
hohnte ihn, wie nicht anders zu
erwarten war, und der deutsche
Michel schnarchte vergniigt wei-
ter. Man darf aber auch die Er-
folge der Wagner-Vereine nicht
allzu niedrig anschlagen; sie
dienten doch dazu, Interesse und
Verstandnis, wenn auch nicht
Opferwilligkeit, zu erwecken.
Und was Heckel personlich an-
betrifft, so verdient er gewiss
auch den Namen eines wirklichen
Mitarbeiters am Bayreuther
Werke; dafiir zeugen die Briefe
des Meisters an ihn und die Be-
zeichnung als „vorzuglich tat-
kraftiger Freund", Band IX,
S. 386. Seine wahre, grosse Be-
deutung erkenne ich aber vor
allem darin, dass er in dieser Sache die Ehre des deutschen
Biirgerstandes gerettet hat; deswegen wird auch sein Name in
Verbindung mit der Geschichte der Bayreuther Festspiele immergenannt werden.
Eine Nomenklatur zu geben, ist nicht mein Zweck; darum
iibergehe ich viele verdiente Namen. Nur das will ich noch
einmal hervorheben, dass ein jeder, der Bayreuth dienen
wollte, in uneigenniitziger Weise das Opfer seiner Zeit, seiner
Krafte und seiner Mittel bringen musste; wie der Meister im
November 1875 schrieb: „Von keiner Seite wird der mindeste
Gewinn, allermeistens aber aufopferungsvolle Bemiihung und
Mitarbeit in Anspruch genommen." Ehre alien denen, die Wag-ner's „Vertrauen in den deutschen Geist" rechtfertigten!
Kehren wir zu den Festspielen des Jahres 1876 zuriick.
Im Jahre 1875 hatten vom 1. Juli bis zum 12. August 1875
Vorproben stattgefunden, und am 1. August dieses Jahres ertonte
zum ersten Male das Orchester aus dem „mystischenAbgrund".
— Im Jahre 1876 mussten nun alle mitwirkenden Kiinstler sich i876
fiir voile drei Monate verpflichten: die Proben begannen am
510 VIERTES KAPITEL
l.Juni und dauerten bis zum 9. August; die drei offentlichen
Auffuhrungen des Zyiclus fanden vom 13. bis zum 30. August
statt. Die Zeit der Proben ist in Bayreuth immer die schonste
gewesen; denn da hatte "Wagner nur diejenigen um sich, denen
das Gelingen wiriclich am Herzen lag, die durch eingehendes
Studium und durch tagliche Unterweisungen des grossenSchopfers
in die Herrlichkeiten des gewaltigen Werlces eingeweiht wurden:
die Kiinstler, und dann noch die wenigen allernachsten undwiriclichen Freunde seiner Sache. Schon bei den Vorproben
des Jahres 1875, wo nur ein Teil der Szenerie fertiggestellt
war und vieles an der Einrichtung des Hauses noch fehlte, wardie Begeisterung unbeschreiblich. Im Jahre 1876 wuchs nundiese Begeisterung von einer Probe zur anderen, und wir diirfen
die Generalprobe vom 6. bis zum 9. August als das echte, eigent-
liche, ungetriibte „Festspiel" betrachten. Wie Glasenapp be-
richtet: „Wohin man trat, begegnete man nur Verzauberten,
die in der gleichen wunderbaren Welt des Ideals lebten." Die
Gegenwart Konig Ludwig's II., des „Mitsch6pfers von Bayreuth",
wie Wagner ihn bezeichnete, verlieh dieser Generalprobe die
Die Presse letzte Weihe. Mit Recht war aber der Konig noch am Abenddes 9. August nach Hohenschwangau zuriiclcgeeilt. Am 13. August
begann das erste Biihnenfestspiel, doch leider nicht, wie der
Meister es immer wieder gewiinscht hatte, „unter uns", wor-
unter er alle diejenigen verstand, die es ernst mit deutscher
Kunst meinten, die als „mitschopferische Freunde" fahig und
gewillt waren, das Gebotene in der selben Stimmung aufzu-
nehmen, in der es ihnen von der auserlesensten Schar deutscher
Kiinstler mit dem grossen deutschen Meister an der Spitze ge-
boten wurde. Auf Bewunderung fiir sein Werk kam es Wagnernicht im geringsten an, wohl aber auf Anerkennung fiir eine in
der Geschichte der Welt noch niemals dagewesene kiinstlerische
Tat; er durfte, ohne unbescheiden zu sein, darauf rechnen,
schon das Bestreben, aus welchem das Bayreuther Festspiel
hervorgegangen war, das ganzlich uneigenniitzige Bestreben, demdeutschen Volk ein Originaltheater, einen eigenen musikalisch-
dramatischen Stil, eine aus seiner ureigensten Entwicklung her-
vorgegangene neue dramatische Form zu schenken, werde selbst
bei einem sehr geringen Grad des Gelingens einer milden, nach-
sichtigen, sympathischen Beurteilung begegnen. Aber weit ge-
BAYREUTH 511
fehlt! Neben den leider nur nach Hunderten Zahlenden, welche
die Begeisterung fiir deutsche Kunst zum ersten Zyklus nach
Bayreuth fiihrte, hatte die ganze schlaue Scliar der Sendlinge
aus dem feindiichen Lager es verstanden, sich unter dem Deck-
mantel der Patronatscheine ins Festspielhaus einzuschmuggeln.
Wahrend der schweren Jahre des Baues und der Vorberei-
tungen war die deutsche Presse ununterbrochen bestrebt ge-
wesen, Bayreuth abwechselnd durch Spott und durch Ver-
schweigen nach Moglichkeit zu schadigen und unmoglich zu
machen. „Ich habe nicht geglaubt, dass Sie es zustande
bringen wiirden", sagte Kaiser Wilhelm zu Wagner; die
Zeitungen hatten eben dafiir gesorgt, dass vom Monarchen bis
zum Handwerker niemand daran „glauben" sollte. Nun hatte
der Meister es doch zustande gebracht! Und jetzt sassen die
Vertreter dieser selben Presse in dem geweihten Raume des
Bayreuther Festspielhauses, der wahrlich nicht fiir sie bestimmt
war, und eriedigten sich hernach piinktlich ihres Auftrages, alles
herunterzureissen, alles zu verhohnen, alles zu begeifern. Kaumein Oder zwei Zeitungen in ganz Deutschland schlugen einen
einigermassen anstandigen Ton an, wie z. B. die Kolnische
Zeitung, oder einen wirklich anstandigen, wie der Berliner
Borsenkurier. ') Einige von jenen Herren waren die selben,
die 1861 das Fiasko des Tannhduser in Paris hatten herbei-
fuhren helfen; eine solche Hartnackigkeit regt fast zur Be-
wunderung an. Das wirklich Traurige ist aber nicht so sehr
die Haltung der Presse — fiihlte sich diese als die geborene
Feindin deutscher Kultur, so war das ihre Sache — als viel-
mehr die Tatsache, dass das gebildete deutsche Publikum einer
solchen Presse alles glaubte und ihrem seichten Geschwatz mit
dem grossten Eifer Gehor schenkte. Aus diesen Zeitungs-
berichten iiber die Bayreuther Festspiele entstanden Broschiiren,
die zwanzig und mehr Auflagen erlebten und denen ihre kin-
') Der Name des Herrn George Davidsohn verdient fiir diese mutige
und einsichtsvolle Haltung von alien Verehrern deutscher Kunst stets hoch-
gehalten zu werden. Mit einer so vereinzelt dastehenden gerechten, kenntnis-
reichen und begeisterten Berichterstattung ist aber das Verdienst dieses
hervorragenden Journalisten noch lange nicht erschopft: gleich nach dessen
fruhem Tode hatte er an Tausig's Stelle die Organisation des Patronatsvereines
in Berlin ubernommen und unermiidet fiir die Bayreuther Sache gewirkt.
512 VIERTES KAPITEL
dische Nichtigkeit und ihre nicht selten obszone Blodigkeit
eigentlich nur als Brechmittel hatten Erfolg sichern diirfen. Derendgiiltige Sieg blieb dieser Kabale allerdings nicht, wieviel
gelang ihr aber! Ihr gelang es, das Publikum im Jahre 1876
von dem Besuch des zweiten und dritten Zyklus abzuschrecken
und dadurch das driickende Defizit herbeizufiihren; hierdurch
wurde aber der Meister in die Notlage versetzt, sein Haupt-
werk, den Nibelungenring — wie er es nach dreissig Jahren
der Arbeit und des Kampfes verwirklicht hatte, dieses Werk,das er fiir Bayreuth allein geschrieben und fiir das er Bayreuth
gebaut hatte — an einen Theateragenten zu verkaufen, Kostiime,
Dekorationen, alles wie es dastand. Infolgedessen verier er
jede Hoffnung auf die so erwiinschte Wiederholung des Ringes
in Bayreuth und iiberlieferte das Werk seines Lebens der
opernmassigen Verhunzung. Eine weitere Folge war aber die
Sistierung der Festspiele: kaum begonnen, waren sie schon
wieder eingestellt. Und dies wiederum iibte den nachteiligsten
Einfluss auf das im Jahre 1877 gegriindete zweite Patronat und
vereitelte die Begriindung jenes von Wagner geplanten mehr-
jahrigen Ubungskursus, „um Sanger, Musiker und Dirigenten
zur richtigen Ausfiihrung der Werke wahrhaft deutschen
Stiles verstandnisvoll zu befahigen". Was hierdurch der Kunst
verloren ging, ist geradezu unermesslich. Sechs Jahre lang
blieben die Krafte dieses einzigen Mannes fiir die Entwickelung
deutscher Biihnenkunst unbenutzt; erst wenige Monate vor
seinem Tode durfte er sein letztes Werk, Parsifal, noch in
Szene setzen. Das war den Berichterstattern bei den Fest-
spielen von 1876 gelungen; darum gehort es auch zur Ge-schichte jener Festspiele.
Die Kunstier Obcr die Festsplele von 1876 hat der Meister in jenem
oft erwahnten Riickblick alles gesagt, was gesagt werden musste;
ich verweise also darauf. Nur eines mochte ich daraus an-
fuhren, dasjenige namlich, was Wagner iiber die Bedeutung
der bei den Festspielen mitwirkenden Kunstier sagt: „Wenn ich
mich ernstlich frage, wer mir dieses ermoglicht hat, dass dort
auf dem Hiigel bei Bayreuth ein vollstandig ausgefuhrtes,
grosses Theatergebaude, ganz nach meinen Angaben, von mir
errichtet steht, welches nachzuahmen der ganzen modernen
Theaterwelt unmoglich bleiben muss, sowie dass in diesem
H. V. Herkomer. gem. 1877
BAYREUTH 513
Theater die besten musikalisch-dramatischen Krafte sich urn
mich vereinigten, um einer unerhort neuen, schwierigen und
anstrengenden kiinstlerischen Aufgabe freiwillig sich zu unter-
ziehen, und sie zu ihrem eigenen Erstaunen gliicklich zu losen,
so kann ich in erster Linie mir nur diese verwirklichenden
KiJnstler vorfiihren, deren von vornherein kundgegebene Be-
reitvvilligkeit zur Mitwirkung in Wahrheit erst den ausserhalb
stehenden ungemein wenigen Freunden meines Gedankens es
ermoglichte, fiir die Zusammenbringung der notigen materiellen
Mittel sich zu bemiihen." Ahnlich hat sich der Meister oft
geaussert, und bei Gelegenheit eines Banketts im Jahre 1882
im Parsifal-Monat erklarte er noch ein letztes Mai und mit be-
sonderer Feierlichkeit, „seine HofFnung fiir die Zukunft beruhe
auf den Kiinstlern und auf den Kiinstlern allein". Das kann
nun gar nicht laut genug wiederholt werden. Sagte ich vorhin,
der wackere Emil Heckel habe die Ehre des deutschen Biirger-
standes gerettet, so mochte ich jetztsagen: die deutschen Kiinstler
haben in ihrem treuen, einmiitigen, begeisterten Halten zu
Wagner die Ehre des ganzen deutschen Volkes gerettet. Wasdie Skribenten verbrochen hatten — jene Menschengattung, iiber
die Beethoven in seiner Wut ausruft: „Vieles Schwatzen iiber
Kunst, ohne Taten !!!!!" — was das deutsche Volk sich durch
seine Leichtglaubigkeit, Energielosigkeit, Uberzeugungsiaue zu-
schulden kommen Hess, das haben die Kiinstler wieder wett-
gemacht. Goethe meint:
„Niemand muss hereinrennen
Auch mit den besten Gaben;
Sollen's die Deutschen mit Dank erkennen,
So wollen sie Zeit haben."
Von den deutschen Biihnenkiinstlern und ausiibenden Musikern
gilt das aber nicht; sie haben sich mit der Sache Wagner's von
Anfang an identifiziert, und sie verdienen es, seinen Ruhm zu
teilen. Man vergesse auch nicht, dass damals Mut dazu gehorte,
sich zu Wagner zu bekennen; man vergesse nicht, dass diese
Kiinstler sich vor „unerhort neue, schwierige und anstrengende
Aufgaben" gestellt fanden, so dass sie auch unerhort zu arbeiten
hatten; man vergesse nicht, dass die Entschadigung, die Bayreuth
ihnen bot, kein Verdienst, sondern nur eine Schadloshaltung warChamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 33
514 VIERTES KAPITEL
man vergesse nicht, dass
diese tiichtigen Leute sich
die Feindschaft der Pres-
se, von der sie in so
hohem Masse abhangen,
durch ihr Verhalten zu-
zogen. In ihrer Tat lag
also wahre Begeisterung;
in ihrem Herzen brannte
doch, wie in dem vctpdn^
des Prometheus, etwas
von jenem himmlischen
Feuer,welches die Gotter
uns sonst sogriindlich ge-
loscht zu habenscheinen.
Ein anderes ist es,
sobald man Namen zu
nennen beginnt. Ein
Schnorr von Carolsfeld,
eine Wilhelmine Schro-
der-Devrient und ein
Tausig Oder Biilow haben
1876 nicht mitgewirkt.
Es ist abgeschmackt, das
zu leugnen; ausserdem begeht man damit ein Vergehen gegen
die Majestat des wirklich Genialen. Obrigens bedeutete diese
Tatsache keinen unbedingten Nachteil fiir die ersten Fest-
spiele. Nichts liegt dem Charakter des deutschen Kunst-
werkes ferner als das „Sternen"-Unwesen; und vielleicht hatte
die stiirmische Genialitat eines Tausig z. B. sich nicht so eng
in alle Intentionen des Meisters gefugt, wie dies dem scharfen
Verstand eines Hans Richter und seiner unvergleichlich virtu-
osen Beherrschung des Orchesters in hohem Masse moglich
wurde. Nein, loslosen soil man diese Kiinstler nicht aus demGanzen, in das sich ein jeder so harmonisch fiigte, dass ihre
Gesamtleistung — jedem Wink des Meisters gehorsam — zu
einer epochemachenden Tat in der Geschichte der Kunstwurde. Und will man durchaus Namen nennen, so nenne mannicht allein die Sanger erster RoUen; gerade die kleineren
Hans Richter
NEAPEL 1880
BAYREUTH 515
Rollen und die Chore waren von jeher der Glanzpunkt der
Bayreuther Festspiele; man vergesse auch nicht die wirklich
bedeutenden Musiker, die, wie Professor Porges, von jenen
ersten Miinchener Festspielen des Jahres 1865 an bis heute')
einen verdienstvollen Anteil an diesen unerreichten Leistungen
iiatten. Vor allem aber nenne man dann an erster Stelle, wie
der Meister selbst es tut, solche hervorragenden Krafte wie
Karl Brandt, den Maschinisten, „die Hauptstutze bei der Durch-
fiihrung des ganzen Planes" (X, 149) sowohl des Festspielhaus-
baues als der Festspiele.
Naheres iiber die Festspiele von 1882, in welchem Parsifal 1882
zur ersten Auffiihrung gelangte, findet der Leser in Wagner's
Aufsatz Das Biihnenweihfestspiel in Bayreuth 1882. Die Ver-
breitung, die Wagner's Werke inzwischen auf den meisten Biihnen
gefunden batten, die Tatsache, dass der von der Presse als mon-stros und unauffiihrbar geschilderte Ring des Nibelungen durch
ganz Europa im Triumph gezogen war, hatten die Stimmungschon merklich geandert; auch die Presse begann ihre Taktik
zu andern. Ich konnte einen Pamphletschreiber nennen, der
sowohl 1861 als 1876 einen hervorragenden Anteil an dem Ver-
nichtungswerke genommen hatte und der sich 1882 fiir einen
Freiplatz meldete als „Anhanger Wagner's !" Derartige An-hangerschaft war und ist eine sehr bedenkliche Zugabe fiir die
ideale Sache Wagner's und der Festspiele. Man vertauschte
den offenen Feind mit dem falschen Freunde. Die fernere
Geschichte von Bayreuth hat nun gezeigt, was von diesen
Freunden zu halten ist: Wagner wurde mit einem Male zumGenie proklamiert; der Krieg richtete sich aber nunmehr gegen
seine Erbschaft, Bayreuth, und gegen jenes ganze Vermachtnis,
das er „in unser Herz gesenkt" und das wir unter dem Namen„Bayreuth" zusammenfassen.^) Der Meister selber erlebte diesen
') Porges starb 1900.
2) Heute ist es Mode, von Wagner mit Bewunderung zu sprechen undalle Insulte fiir seine ernsten und unabhangigen Anhanger aufzusparen; manlasse sich aber durch den lacherlichen Popanz — jenen langhaarigen, motiv-
suchtigen Fanatiker — nicht erschreciien ; auch diese Taktiic ist alt; schon
am 2. Juli 1852 schreibt Wagner an Uhlig iiber einen Zeitungsaufsatz: „Die
gallige, gemein injuriose Antwort gait nur meinen ,Lobhudlern', benahm sich
aber vor mir selbst scheu und respektvoll. Das alte Manover!" Also bereits
1852 war das ein „altes Manover"!33*
516 VIERTES KAPITEL
Wendepunkt kaum. Am Vorabend des voUen — aber doch
noch lange nicht gefestigten — Sieges von Bayreuth starb er.
1883-1894 Auch hier wiederum tat sich bei einem grossen Teil der
deutschen Kiinstler ein schoner Zug von Treue und Glauben
kund; nur wenige fielen ab von Bayreuth. Das weitere gehort
kaum in eine Lebensgeschichte Richard Wagner's, insofern aber
doch, als alles, was Bayreuth bis heute geleistet hat, ein un-
mittelbarer Ausfluss seiner ausdriicklichen Bestimmungen ist.
In dem Bayreuther Schulplan des Jahres 1877 war eine all-
mahliche Auffiihrung seiner alteren Werke vom Fliegenden
Hollander an vorgesehen worden (vgl. X, 25), und spater, als
dieser Plan unausgefiihrt blieb und das Weiterbestehen der
Festspiele sich in erster Reihe auf die Anziehungskraft des
Parsifal griinden musste, erklarte "Wagner, er beabsichtige,
„nach Parsifal alljahrlich eines seiner alteren Werke aufzu-
fiihren". Dass dies nun trotz seines Heimganges moglich wurde,
verdanken wir jener „ganz unerhort seltsam begabten Frau", ')
die nach fast zwanzigjahrigem Leben in des Meisters unmittel-
barster Nahe wie kein zweiter Mensch in alle seine Absichten
eingeweiht war. Wie gross ihr Anteil an dem Zustandekommen
von Bayreuth iiberhaupt war, lasst sich schwer ermessen, da
ihre Tatigkeit mit der des grossen Meisters zu einer einzigen
Tat verschmilzt. Hier unterscheiden zu wollen, ware pietat-
los; denn hier konnte einzig ein Wille herrschen und ein Wille
gehorchen. Beziiglich der Festspiele von 1876 kann uns das
Zeugnis Emil Meckel's genugen: „In wie segensreicher Weise
diese durch den Besitz der seltensten Eigenschaften ausge-
zeichnete Frau bei der Verwirklichung der Plane des Meisters
und ganz besonders bei den Vorbereitungen zur Auffiihrung
des Biihnenfestspieles mitwirkte, das ist nur den naheren Freun-
den Wagner's bekannt geworden Ihr Anteil an dem
endlichen Gelingen des Unternehmens ist unermesslich gross." ^)
Tiefer als in irgendein anderes war gerade in dieses Herz „das
Vermachtnis gesenkt", und fahiger als irgendeine andere war
gerade diese Intelligenz, dem Vermachtnis, wie Wagner sagt,
„neue Nahrung zuzufiihren", es nicht als ein Idol zu pflegen,
sondern als ein Lebendiges, Wachsendes, neue Bliiten des
') Vgl. S. 136.
2) Vergleiche die obengenannte Broschiire Karl Meckel's, S. 41.
BAYREUTH 517
^r^
518 VIERTES KAPITEL
Werke wirkten wie Offenbarungen auf der Bayreuther Biihne.
Der Meister selber hatte ofters erklart, er habe sie niemals so
auffuhren sehen, „wie er sie sich gedacht", denn immer und
uberall„wer-
de das Dra-
ma als iiber-
fliissig bei-
seite gelas-
sen"; die
grossePopu-
laritat dieser
Werke be-
ruhe „auf
einem Miss-
verstand-
nisse" oder
wenigstens
„auf einem
durchaus
mangel-
haften Ver-
standnisse
seiner ei-
gentlichen
kiinstler-
Hans Richter
Hermann Levi Felix Mottl
ischen Ab-
sicht".') In
Bayreuth
wurde nun
das Dramaso kraftig
undplastiscii
herausgear-
beitet— was
namentlich
beiden Wer-ken aus der
ersten Le-
benshalfte
notwendig
ist, weil, wie
Wagner sagt,
„ein Stiick
Oper noch
drinsteckt"
— dass manzum ersten
Male erfuhr, „wie der Dichter sie sich gedacht hatte". Hatte der
Ring im Jahre 1876 das Wesen und die Lebensfahigkeit der
Festspielidee dargetan; hatte Parsifal nach der sinnigen Be-
stimmung des Meisters die Bayreuther Biihne zu ihrem ferneren
Wirken „geweiht"; hatten Tristan und die Meistersinger den
6. 1888 Parsifal, Tristan und Isolde, Die Meistersinger. — 7. 1889 Das selbe. —8. 1891 Parsifal, Tristan und Isolde, Tannhduser. — 9. 1892 Parsifal, Tristan
und Isolde, Die Meistersinger, Tannhduser. — 10. 1894 Parsifal, Tannhduser,
Lohengrin. — 11. 1893 Der Ring. — 12. 1897 Parsifal, Der Ring. — 13. 1899
Parsifal, Der Ring, Die Meistersinger. — 14. 1901 Parsifal, Der Ring, Der
Fliegende Hollander. — 15. 1902 Das selbe. — 16. 1904 Parsifal, Der Ring,
Tannhduser. — 17. 1906 Parsifal, Der Ring, Tristan und Isolde. — 18. 1908
Parsifal, Der Ring. Lohengrin. — 19. 1909 Parsifal, Der Ring, Lohengrin. —20. 1911 Parsifal, Der Ring, Die Meistersinger.
') Vgl. V. 174, IX, 253, R. 12 usw.
BAYREUTH 519
endgiiltigen Sieg Bayreuths iiber alle Theater der Welt in einer
Weise dargetan, dass hieriiber keine Diskussion meiir moglich
war und dass von nun an die Kunstsinnigen zu jedem Fest-
spiel aus alien Teilen der Welt zu Tausenden herbeistromten:
so haben die Auffiihrungen des Tannhduser und Lohengrin
namentlich den
520 VIERTES KAPITEL
gibt mir ein neues, langes
Leben." (S. 133.) Seit eini-
gen Jahren') wirkt Sieg-
fried Wagner als musika-
lischer Dirigent und als
Inszenierer bei den Fest-
spielen mit. Man weiss, in
wie kurzer Zeit sein un-
gewohnliches Dirigenten-
talent ihm einen europai-
schen Ruf erworben hat.
Weiss man nun ausserdem,
nach wie vielen anderen
Riclitungen sich die aus-
gesprochenstekiinstlerische
Begabung bei ihm kund-
gibt, weiss man, wie fest
und zugieich kindlich un-
befangen sein Charakter,
wie reif sein Urteil und wie zielbewusst sein Streben ist, so
mochte man geneigt sein, des Meisters Worte als eine unbe-
wusste Prophezeiung aufzufassen: Siegfried Wagner wuchs mit
dem Bayreuther Werk auf, nun soil es weiter mit ihm gedeihen
und Deutschlands grossem Dichter „ein neues, langes Leben
geben".
Siegfried WagnerMarmorbiiste von Adolf Hildebrand
Das walte Gott!
') Geschrieben 1895.
Harmorbuste von A. v. Hildebrand
SIEGFRIED WAGNER
DER BAYREUTHER GEDANKE
Allen, die das Fest mit uns feierten, ist der
Name nBayreuth" zu einem teueren Angedenken,
zu einem ermutigenden Begriffe, zu einem sinn-
vollen Wahlspruche geworden.
Richard Wagner
Wer den Ausdruck „Bayreuther Gedanke" zuerst gebraucht Der Kuitur-
hat, vermag ich nicht anzugeben. Jedenfalls findet er sicheedani^e
schon bei Nietzsche: „Um wenigstens sein grosstes Werk vor
diesen missverstandlichen Erfolgen und Beschimpfungen zu
retten und es in seinem eigensten Rhythmus, zum Beispiel fiir
alle Zeiten hinzustellen: erfand Wagner den Gedanken von
Bayreuth. Im Gefolge jener Stromung der Gemiiter (nach
dem Krieg von 1870) glaubte er auch auf der Seite derer,
welchen er seinen kostbaren Besitz anvertrauen wollte, ein
erhohteres Gefiihl von Pfllcht erwachen zu sehen: aus dieser
Doppelseitigkeit von Pflichten erwuclis das Ereignis, welches
wie ein fremdartiger Sonnenglanz auf der letzten und nachsten
Reihe von Jahren liegt: zum Heile einer fernen, einer nur
moglichen, aber unabweisbaren Zukunft ausgedacht, fiir die
Gegenwart und die nur gegenwartigen Menschen nicht viel
mehr, als ein Ratsel oder ein Greuel, fiir die wenigen, die an
ihm helfen durften, ein Vorgenuss, ein Vorausleben der hochsten
Art, durch welches sie weit liber ihre Spanne Zeit sich beseligt,
beseligend und fruchtbar wissen, fiir Wagner selbst eine Ver-
finsterung von Muhsal, Sorge, Nachdenken, Gram, ein erneutes
Wiiten der feindseligen Elemente, aber alles iiberstrahlt von
dem Sterne der selbstlosen Treue, und, in diesem Lichte, zu
einem unsaglichen Gliicke umgewandelt!"') Man sieht, wie
im Verlaufe dieses einen Satzes der Begriff „Gedanke von
») Richard Wagner in Bayreuth, Ed. 1876, S. 67.
522 VIERTES KAPITEL
Bayreuth" sich erweitert: zuerst gilt er allein dem Vorsatz
Wagner's, sein grosstes Werk, namlich den Ring des Nibe-
lungen, „vor missverstandlichen Erfolgen zu retten"; dann
aber — und ohne dass er mit peinlicher Ausfiihrlichkeit weitere
Kreise um diesen Ausgangspunkt zoge — lasst Nietzsche dieses
Bayreuth immer heller vor unseren Augen erglanzen, wie
Parsifal den Gral, bis wir zuletzt, obzwar das kiinstlerische
Vorhaben immer noch als die vollendete Form, als die bezau-
bernde Gestalt erscheint, doch im Innern die noch tiefere Glut
eines rein ethischen Beweggrundes, „den Stern der selbstlosen
Treue", erblicken. In der Einleitung zu diesem Kapitel habe
ich Bayreuth einem Symbol verglichen, um das man immer
weitere Kreise ziehen konne; Bayreuth ist aber nicht bloss ein
Symbol, sondern vor allem ist es eine lebendige Tat, und das
Bild von den Kreisen, die man enger oder weiter um den Mittel-
punkt der rein dramatischen Absicht ziehen konne, ist nur seiner
Klarheit schenkenden Absicht wegenzulassig; geht man der Sache
auf den Grund, so muss man sagen: der Gedanke, dem diese Tat
entsprang, ist ein weltumfassender Gedanke; an dieser Tatsache
kann unser Belieben nichts andern. Uber die Grenzen der Kunst
mag man ja abstrakt diskutieren, so viel man will, nicht aber darf
man es uber die Grenzen des Kunstgedankens von Bayreuth:
denn dieser ist das Werk eines bestimmten Mannes: so hat er
Kunst geschaffen; ihm stromte Leben und Licht aus alien Fernen
zu, und aus seinem machtigen Gehirn stromte neues Leben und
neues Licht wieder in weite Fernen zuriick. Was in unserem
Belieben liegt, was durch unser Vermogen begrenzt wird, ist
also nur, wie tief ein jeder von uns sich in diesen Gedanken,
das heisst in diese gesamte Weltanschauung, vertiefen will und
kann. Bayreuth ist und bleibt Bayreuth. Schon das blosse
Gebaude des Festspielhauses bezeugt, dass es sich hier umetwas anderes handelt als um einen aus der Willkiir eines ein-
zelnen Kiinstlers hervorgegangenen Theaterbau. Nur von demManne konnte das Bayreuther Haus ersonnen werden, der
die kiinstlerische Entwickelung eines ganzen grossen Volkes
nicht allein iibersah, sondern in seinem eigenen Denken und
Fiihlen zur Bliite brachte. Ja, die Erfindung dieses Gebaudes
weist noch weit iiber den deutschen Geist hinaus: wie sehr
auch die Anforderungen, die unser heutiges Kunstwerk an die
BAYREUTH 523
verwirklichende Technik stellt, von den zur Zeit des Sophokles
gultigen verschieden sein mogen, dennoch fuhlt ein jeder, der
das Festspielhaus betritt, dass der sommerliche Hauch griechi-
schen Kunstlebens ihn hier umfangt; hier ist nicht mechanische
Restitution des Alten, wohl aber Neugeburt aus dem Geist des
Alten, ewig Jungen. Wer das erschuf, musste die Kunst der
Hellenen als ein Eriebnis in der Seele tragen. Wagner nennt
sein Festspielhaus „ein mit dem diirftigsten Materiale ausge-
fiihrtes provisorisches Notgebaude"; die flachen Spotter haben
auch nach Herzenslust iiber die rohen Balken und Ziegel ge-
hohnt, und doch, warum fesselt es immer wieder den Blick,
so dass sich von alien Hohen der Umgegend das Auge un-
willkiirlich auf dieses ausserlich so schmucklose Gebauderichtet und in dessen Anblick versenkt bleibt? Gewiss, weil
man empfindet, hier habe ein gewaltiger Kulturgedanke gebaut.
Glaubt man, der Karren des Thespis habe durch Reichtum
und Pracht geglanzt? Wer ihn aber erblicken durfte und seine
Bedeutung fiir das Menschengeschlecht ahnte, musste der nicht
wie gebannt davor stehen? So stehen wir heute vor demBayreuther Festspielhaus, vor diesem sichtbaren Symbol des
„Bayreuther Gedankens".
Ich habe Gelegenheit gehabt, ziemlich ausfiihrlich iiber
Wagner's Regenerationsgedanken zu referieren. Vielfach glaubt
man, es werde mit diesem eine „Ruckkehr zum rohen Natur-
zustand" gelehrt, und iiber die unerhorte Zumutung entsteht
nicht geringe Entriistung. Der Anblick des Bayreuther Fest-
spielhauses muss wohl jeden eines Bessern belehren: in demKunstwerk, fiir welches dieses Gebaude errichtet wurde, laufen
Wortdichtung, Tondichtung, Farbendichtung und nicht diese
allein, sondern ein durch Jahrtausende entwickeltes, durch Er-
fahrung bereichertes, durch Obung im Leiden und im Fiihlen
gesteigertes Empfinden und Denken zu einem so mannigfaltig-
einheitlichen Ausdruck, zu einer so unerhort beziehungsreichen
Handlung zusammen — was hier in die Erscheinung tritt, ist
durch tausend Wurzeln so eng verbunden mit allem Tiefsten,
was der Menschengeist im Laufe der Zeiten erforscht, ist so
innig verwachsen mit allem Hochsten, zu dem sein ahnungs-
voller Blick sich emporgehoben hat, dass man im Gegenteil
erkennen muss: hier erreicht der Mensch eine hochste Kultur-
524 VIERTES KAPITEL
stufe; so fern vom „rohen Naturzustand" war er noch nie.
Gerade diese Tatsache aber bildet nach meiner Uberzeugung
das grosste Hindernis fiir ein voiles Verstandnis des Bay-
reuther Gedankens: denn Schiller und Wagner batten voll-
kommen recht mit der Behauptung, unsere Zivilisation sei
doch im Grunde genommen eine durchaus „barbarische"; in
Wahrheit steht die Mehrzahl gerade der „Gebildeten" demsogenannten Naturzustand viel naher als sie selber vermuten.
Es kommt darauf an, ob man unter „Naturzustand" den Mangel
an elektrischer Beleuchtung und an Kenntnissen versteht oder
die unentwickelten Anlagen fiir geistige und moralische Emp-fanglichkeit. Ein Beispiel. Ein akademisch gebildeter Musiker,
der nicht bloss in seinem Each, sondern auf den verschie-
densten Gebieten iiber ein grosses Wissensmaterial verfugt,
diskutierte mit mir iiber Die Meistersinger und erklarte, reiche
Kontrapunktik und vor allem die haufige Anwendung des
grossen Nonenakkordes sei das Charakteristische an diesem
Werke, die Handlung dagegen sei ganz opernhaft unbedeutend
und alles, was man sonst darin zu erblicken sich bestrebe,
lauter „Pflanz". Nun frage ich: wenn man sich vorstellt,
eine Familie von Papua-Negern hatte durch irgendeinen wun-
derbaren Zufall eine musikalische Erziehung genossen und
abends, wahrend sie um das Feuer hockte (auf welchem der
soeben erschlagene Feind am Spiess gebraten wtirde) kame
das Gesprach auf die Meistersingerpartitur — was konnten
diese braven Naturkinder andres aussagen als jener gelehrte
Mann? Kontrapunktik und Nonenakkord, das konnten sie
gewahren; Weiteres nicht, weil ihnen jegliche Kultur des
Geistes abginge. Wie sollte der Papua-Neger des Meisters
Wort verstehen konnen: „Mich leitete bei meiner Ausfiihrung
und Auffiihrung der Meistersinger die Meinung, mit dieser
Arbeit ein dem deutschen Publikum bisher nur stiimperhaft
noch vorgefiihrtes Abbild seiner eigenen wahren Natur darzu-
bieten, und ich gab mich der Hoffnung hin, dem Herzen des
edleren und tiichtigeren deutschen Biirgertums einen ernstlich
gemeinten Gegengruss abzugewinnen" (X, 161)? Oder wenn
man gar ihm dartun wollte, die Musik sei bei Wagner kein
Spiel „zur Erregung des Gefallens an schonen Formen", son-
dern „eine neue Sprache, in der das Schrankenloseste sich nun
00
CO
wO
PC<
oI—
I
526 VIERTES KAPITEL
mit unmissverstandlichster Bestimmtheit aussprechen kann —in der vom tondichterischen Seher iiber alle Denkbarkeit des
Begriffes hinaus das Unaussprechbare offenbart wird" (X, 321)?
Und wenn man nun, wie ich es im vorigen Kapitel fliichtig
anzudeuten versucht habe, auf Grund dieser Erkenntnis von
der wahren Natur der Musik dem wilden Naturkind die rein-
menschliche, iiber das spezifiscli Deutsche weit liinausreichende
Handlung der Meistersinger zum unmittelbaren Gefiihlsverstand-
nis bringen wollte? Es ware offenbar alles umsonst, weil,
urn das zu verstehen und zu empfinden, zwar keine eigentliclie
Gelehrsamkeit, woiil aber eine liohe Kultur des Geistes notig
ist. Solciie mehr oder weniger weissgetiincliten Papuaner bilden
aber einen grossen Teil der Bevolkerung Europas; darum glaube
icli auch, dass der umfassende Kulturgedanke, weicher Wagner's
ganzes Scliaffen wie eine reichergeartete Lebensatmosphare
umgab, vielen auch fernerhin „ein Ratsel oder ein Greuel"
bleiben wird.
Aber noch aus einem anderen Grunde diirfte es nur einer
Minderzahl vorbehalten bleiben, diesen Gedanken in seiner
vollen "Weite zu ermessen und dadurch ein Verstandnis dafiir
zu erlangen, wie der Name Bayreuth „zu einem ermutigenden
Begriffe" werden konnte. Kant, der in solchen Dingen gewiss
nicht iiberspannt urteilte, meint doch, schone Kunst erfordere
„Einbildungskraft, Verstand, Geist und Geschmack". Nun ist
aber das Wesentliche und Bezeichnende an dem Bayreuther
Gedanken, dass er gerade die Kunst zu einer Kulturmacht
erheben will; was Schiller, wie sich aus seinen Briefen iiber
die dsthetische Erziehung des Menschen ergibt, gleichsam von
feme erblickte und darum auch haufig nur in duftig ver-
schwommenen Linien zeichnete, das tritt hier in die Erschei-
nung: zur asthetischen Erziehung des Menschen steht ja das
Haus dort auf dem lieblichen Hiigel bei Bayreuth! Aber wie,
wenn jene geforderte Vereinigung von Einbildungskraft, Ver-
stand, Geist und Geschmack nicht so gar haufig anzutreffen
ware — auch nicht unter denen, die nach Bayreuth hinstromen?
Die Macht der Bajonette empfindet jeder, und jeder gleich-
massig; die Kunst dagegen wirkt auf jeden verschieden, auf
einige fast gar nicht, auf manche wohl nur sehr oberflachlich,
als eine wirkliche Macht — wenigstens unmittelbar — gewiss
A. von Gross phot. 1888
COSIMA WAGNER
BAYREUTH 527
nur auf hochorganisierte Geister. Also auch aus diesem
Grund erhellt es, dass die Auffassung des eigentlichen Bay-
reuther Gedankens sich in verschiedenen Kopfen sehr ver-
schieden gestalten muss. Bei dem vorhin genannten Musik-
gelehrten umfasste der Begriffskreis „Bayreuth" nicht einmal
das ganze Festspielhaus, sondern nur den Orchesterraum, ja,
wahrscheinlich sogar einzig die gedruckte lautlose Partitur auf
dem Pult des Dirigenten. Ein Heinrich von Stein dagegen,
wiewohl selber ein fachmassig gebildeter Philosoph, empfand,
dass er erst von Bayreuth aus die Spekulationen eines Gior-
dano Bruno vollig begriff; nur der durch die iebendige Be-
riihrung mit der grossen, offenbarenden Kunst gescharfte Blick
war imstande, eine solche Weltanschauung wirklich auch zu
„erschauen"; erst der Iebendige Organismus des Kunstwerks
(eben als hochsten Kulturmomentes) fiihrte Stein auf seine
tiefsinnigen Betrachtungen iiber das Verhaltnis zwischen Sprache
und philosophischer Erkenntnis, zwischen Sprache und Kultur;
erst die „erlebte" Beriihrung mit dem schaffenden Bayreuther
Dichter befahigte ihn zu seiner schonen Arbeit iiber die Asthetik
der deutschen Klassiker und zu seiner grundlegenden Schrift
Die Entstehung der neueren Asthetik. Auch der Umblick
iiber die Weltgeschichte, den er in seinen eigenen Dichtwerken
Helden und Welt und Die Heiligen gibt, wird, wenn ich
mich so ausdriicken darf, von der Hohe des Bayreuther Kultur-
gedankens aus auf das Werden des Menschengeschlechts ge-
worfen. Carlyle, der zu Bayreuth gehorte, ohne es gekannt
zu haben, fand Musik in der ganzen Natur als das „zugrunde
Liegende" und meinte, durch sie allein konne man „in die
Wahrheit hineindringen", wahrend ,,die Logik nur von der
Oberflache schwatze". Zwischen jenem Gelehrten „im rohen
Naturzustand" — oder sagen wir, um hoflich zu bleiben, „im
grossen Nonenakkordzustand" — und dem Geist solcher zu-
hochst begabten und durch die umfassendste und exquisiteste
Kultur fiir jeden Eindruck befahigten Menschen gibt es nun
alle denkbaren Stufen. Fur viele muss Bayreuth ewig ein
Buch mit sieben Siegeln bleiben.
Dagegen muss ich jetzt eine Erwagung vorbringen, die oas mythische
auf andere Spuren fuhrt. Ich rede in diesem Abschnitt von ^^"'''"
einem „Bayreuther Gedanken"; darin folge ich dem Beispiel
528 VIERTES KAPITEL
bedeutender Vorganger; es muss aber wohl bemerkt werden,
dass es manchen der allerbesten, vornehmlich unter den aus-
iibenden Kiinstlern oder auch unter den praktisch tatigen,
ahnlich geht wie Briinnhilde, die zwar fiir Wotan's Gedanken
„focht, kampfte und stritt", die aber
„nicht ihn dachte!
und nur empfand!"
Oder auch wie Siegfried, der von sich sagt:
„Nicht kann ich das Femesinnig erfassen."
Das "Wort „Gedanke" ist vielleicht iiberhaupt nicht sehr gliick-
lich als Bezeichnung fiir eine solche kiinstierische Uberzeugung,
fiir eine solche kiinstierische Weltanschauung oder, noch rich-
tiger gesagt, fiir einen solchen kiinstlerischen Glauben. WieNietzsche sehr mit Recht hervorhebt: Wagner selber „denkt
in sichtbaren und fiihlbaren Vorgangen, nicht in Begriffen, das
heisst, dass er mythisch denkt, so wie immer das Volk ge-
dacht hat". Ein Nicht-in-Begriffen-Denken ist aber nach dem
iiblichen Sprachgebrauch kein eigentliches Denken, es ist ein
Schauen. Zur Erlauterung des Unterschiedes verweise ich auf
das Gesprach zwischen Christus und Nikodemus: der Gelehrte
fordert klar umschriebene Begriffe und erhebt Einwendungen
gegen die „mythische Denkweise" des Heilands; dieser jedoch
unterbricht ihn mit den einfachen Worten : „Wir reden, das
wir wissen, und zeugen, das wir gesehen haben." Diese Worte
lassen sich auf manche der treusten, tatkraftigsten und er-
folgreichsten Anhanger von Bayreuth anwenden: sie wissen
wenig von dem Verhaltnis zwischen Kunst und Kultur, sie
machen sich nicht die geringste Sorge um eine mogliche Be-
einflussung dieser durch jene, und dennoch wissen sie — denn
das zeigt sich in ihrer Gesinnung („das Walten des Wissens",
wie Wagner's Erda sagt) — und „sie zeugen, das sie gesehen
haben" — denn das bewahrt sich in ihren Taten. Man kann
also im Bannkreise des „Bayreuther Gedankens" stehen und
ihn als „sinnvollen Wahlspruch" hochhalten, ohne ein Denker
BAYREUTH 529
zu sein, ohne iiberhaupt irgend etwas anderes im Auge zu
haben als das reinkiinstlerische Werk, seine technische Ge-
staltung und seine leibhaftige Verwirklichung.
Diese Tatsache fiihrt uns nun zu einer sehr wichtigen
Erkenntnis. Ober das mythische Denken Wagner's fiigt Nietzsche
eriauternd hinzu: „So wie immer das Volk gedacht hat". Das
Denken des Kiinstlers ist in der Tat dem „unbewussten
Denken" des Volkes wesentlich verwandt; darum ist auch gerade
dieses kiinstlerische Denken wie kein zweites dazu geeignet, die
weiteste Wirkung auszuiiben. Zu der billigen RoUe eines Pro-
pheten habe ich weder die geringste Neigung noch Eignung;
meine feste Uberzeugung ist es aber, dass der jetzt schon grosse
und wachsende Einfluss von Wagner's „unbegrifflichem" Denken— von dem Bayreuther Gedanken — in einem heute noch un-
geahnten Masse umgestaltend auf das Denken der Menschen
wirken wird. Denn „Volk" sind nicht etwa bloss die Bauern,
sondern wir alle. Als einzelnes gebildetes Individuum mogen
wir uns gegen eine solche Naturstromung, wie sie sich in
Wagner's Denken und Wirken ausserte, auflehnen und uns mit
Handen und Fiissen dagegen strauben; es niitzt aber nichts:
der Starkste siegt, und der Starkste ist der, der mythisch denkt.
Die unvergleichliche Plastizitat der Kunstwerke Wagner's —dergleichen nur bei den wenigen allergrossten Dramatikern
aller Zeiten anzutreffen ist — diese selbe Plastizitat ist alien
seinen Gedanken eigen: redet er von Weltgeschichte, von
Politik, von Staatsverfassung, von Gesetz und Religion, von
Sklaventum und Aristokratismus, von Handwerkertum und
Kapitalismus, von Sprache, Literatur und Musik, von Wissen-
schaft und Philosophic, oder auch von Spanien, Frankreich,
England in ihren charakteristischen Merkmalen, von Shake-
speare, Calderon, Hafis, Napoleon, Robespierre, von Palestrina,
Mozart, Bach, Spontini, Auber, immer und iiberall ist es ein
Gesehenes, was da plotzlich vor uns auftaucht. Nehmen wir
als Beispiel eine Gestalt, die dem Kiinstler als solchem besonders
fern liegen musste, die des Robespierre. Wie viel hat man nicht
iiber diesen Mann hin und hergeschrieben! Das Urteil der
Historiker war so widerspruchsvoll, dass man vermuten musste,
hier liege ein Ratsel vor; und welches Aufsehen, welche
Lobeshymnen, als nach langen Studien Taine vor einigen
Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 34
530 VIERTES KAPITEL
Jahren in seinen Origines de la France contemporaine eine
Ecke des Schleiers aufhob! Ganz das selbe wie Taine, aber
viel scharfer, viel plastischer und sofort — nach seiner Art —(iber das Individuelle hinaus zu allgemeiner Bedeutung er-
weitert, hatte Wagner genau 30 Jahre friiher geschrieben:
„Das Tragische Robespierre's besteht eigentlich in der unglaub-
lichen Jammerlichkeit, mit der dieser Mensch, am Ziele seiner
Machtbestrebungen, ganzlich ohne Wissen davon dastand, was
er denn nun eigentlicli mit dieser gewonnenen Macht anfangen
soil ihm war nicht ein hoher Zweck bekannt, umdessen Erreichung willen er zu schlechten Mitteln griff; sondern
um den Mangel eines solchen Zweckes, um seine eigene In-
haltslosigkeit zu decken, griff er zu dem ganzen scheusslichen
Guillotinenapparat, So hatte dieser hochst armliche
Mensch, der endlich nur seine abgeschmackte vertu auskramen
konnte, eigentlich nur in den Mitteln seinen Zweck, und so
geht es mit all diesen rein politischen Helden, die mit vollem
Rechte an ihrer Unfahigkeit der Art zugrunde gehen, dass
hoffentlich diese ganze Gattung bald vollstandig aus der Ge-schichte schwinden soll/'^) Wie gesagt, die reine, aktenmassige
Geschichtsforschung hat dieses Bild (dessen Richtigkeit uns
sofort durch die Physiognomie Robespierre's bekraftigt wird)
in alien Punkten bestatigt; Wagner aber hatte es nicht notig,
in Akten zu stobern, um Robespierre zu verstehen, „er zeugte,
was er sah", und jeder, der seine Worte liest, sieht nunmehr
ebenfalls die ganze moralische Personlichkeit jenes Mannes, als
stiinde seine Seele nackt vor uns. — Man sprach einmal in
Wahnfried von der historischen Bedeutung Shakespeare's, da
erklarte der Meister: „Shakespeare ist der Richter der Re-
naissance". Uber das Wesen des Lisztschen Genius befragt,
erwiderte er, dass in Liszt der vollendete Musiker zugleich
durch und durch „anschauender Dichter" sei. In solchen
Worten — und man konnte Hunderte anfuhren-) — ist etwas
so Erschopfendes und zugleich so kiinstlerisch Abgerundetes
gesagt, dass sie wie vollendete kleine Kunstwerke den Stempel
') Zum luckenlosen Verstandnis bitte ich die betreffende, hier nur im
Auszug mitgeteilte Stelle in dem Brief an Roeckel vom 25. Januar 1854 nach-
zulesen. Ahnliches in Was niitzt diese Erkenntnis? (X, 326).
2) Vgl. u. a. Wolzogen's Erinnerungen an Richard Wagner.
F. V. Lenbach gem.
FRANZ LISZT
BAYREUTH 531
der endgultigen Form an sich tragen. (Darin liegt auch die Be-
rechtigung eines solchen Werkes wie die Glasenappsche
Enzyklopadie.) Man betrachte aber auch Wagner's Behandlung
mehr abstrakter Fragen. Welches soziologische Problem z. B.
ist wohl schwieriger darzustellen und in der Unlosbarkeit seiner
inneren Widerspriiche von alien Seiten zu beleuchten als das
Problem des Verhaltnisses zwischen dem Individuum und der
Gesellschaft, zwischen dem edlen Drang des Einzelnen nach
Freiheit und der Notwendigkeit zunehmender Einschrankungen
durch die Allgemeinheit? Dies ist das Grundproblem aller
Staatskunst. Nun sehe man, in welcher Weise Wagner an der
Hand des „Mythos vom Odipus" dieses Verhaltnis in alien
seinen moglichen weitverzweigten Beziehungen so leuchtend
klar dargetan hat, dass man sagen muss, eines der dunkelsten,
unfruchtbarsten Gebiete menschlichen Denkens sei hier plotz-
lich nicht bloss hell beleuchtet, sondern zu einem leidenschaftlich
fesselnden Gegenstand umgeformt (vgl. Oper und DramasIV, 68—80)! Was der Meister als die eigentliche dichterische
Kraft bezeichnet hatte, die Neuerfindung von Mythen, das ist
eben bei ihm die normale und notwendige Form seines Denkens.
„Ich kann nur in Kunstwerken sprechen", schrieb einmal Wagneran Roeckel (R. 69); die Betonung lag hier auf dem Wort Kunst-
werken, wir konnen sie aber, ohne fehlzugehen, auf nur ver-
legen: „Ich kann nur in Kunstwerken sprechen." Wagner's
Denken — und darum auch seln Sprechen — war Kunst: sein
Denken war wirkliches Anschauen, sein Sprechen waren klare,
scharf umgrenzte, plastische Bilder wie die Bilder auf der Biihne.
Einem solchen Denken und seiner Widerspiegelung im ge-
sprochenen und geschriebenen Wort kommt aber unter anderemjene wesentlichste Eigenschaft genialer Kunst zu, dass es nie
„auszudenken" ist: im Gegensatz zu einer streng logisch ana-
lytischen, scharf umgrenzten Wissenschaft ist eine derartige
Weisheit so unerschopflich wie die Natur, welche hier (ummich eines physikalischen Vergleiches zu bedienen) im Gehirn
des kiinstlerischen Genies eine „totale Reflexion" erleidet undnicht, wie durch die bloss logische Denkfunktion, eine nur
„partielle". Hiermit diirfte aber zugleich ausgesagt sein, dass,
was man unter dem „Bayreuther Gedanken" zu verstehen hat,
iedenfalls auch ein kiinstlerisch Geniales sein muss, das nicht
34*
532 VIERTEL KAPITTL
barbar
abgezirkelt und abgemessen werden kann, sondern einer Quelle
gleicht, aus der unerschopflich „Wasser des Lebens" — wie
die alten Marchendichter gesagt batten — zu entnehmen ist.
Der Biidungs- Mail wlttere aber keinen Widerspruch zwischen dieser Hoff-
nung auf den grossen, allgemeinen Einfluss von Wagner's Denken
und meinen vorangehenden Ausfiihrungen, nach denen das Ver-
standnis des „Gedankens von Bayreuth" auf eine Minderzahl be-
schrankt bleiben muss. Das letzte gilt von dem Kulturgedanken als
einer mystisch-philosophischen Vorstellung; Wagner's „Denken
in sichtbaren und fiihlbaren Vorgangen" dagegen, welches in
dem sichtbaren Festspielhaus in Bayreuth ein wunderbar ent-
sprechendes, viel umfassendes Denkmal — zugleich ein Symbol
und einen „sinnvollen Wahlspruch" — erhalten hat, dieses reicht
in seinen Wirkungen weit iiber den engen Kreis einer Minder-
zahl hinaus. Nur eine Klasse von Menschen diirfte keinerlei
Wirkungen verspiiren und sowohl von dem mythisch-kiinstle-
rischen wie von dem logischen Bayreuther Gedanken unberiihrt
bleiben; eine uralte indische Dichtung hat es schon gesagt:
„ Einen durch ein bisschen Wissen verschrobenen Menschen
gewinnt selbst Brahman nicht". Ich kann mich aber auf die
hervorragendsten Schulmanner, wie z. B. Paul de Lagarde, be-
rufen, wenn ich die Behauptung vertrete, unsere jetzige Schul-
bildung sei ganz besonders dazu angetan, „die Menschen zu
verschrauben"; namentlich bleibt das Wissen, wie es uns jetzt
beigebracht wird, immer „ein bisschen"; denn wie enorm auch
die Masse der mitgeteilten und eingepaukten Tatsachen sein mag,
diese sind und bleiben lauter aneinander gereihtes „Einzelnes",
lauter „bisschen"; zu einem echten Wissen, zu einer wahren
Kultur des Geistes gehort eine einheitliche Weltanschauung und
namentlich auch eine gleichmassige Entwickelung aller Anlagen
des Geistes. Kant forderte, wie wir sahen, Einbildungskraft,
Verstand, Geist und Geschmack: welche von diesen vier Anlagen
wird etwa auf unseren Schulen systematisch gepflegt? Und so sagt
auch Lagarde von dieser Gymnasialbildung: „Sie iiberzieht die
Nation mit dem zahen Schleime der Bildungsbarbarei, dieser ekel-
haftesten aller Barbareien, die jetzt das Leben in Deutschland zu
einer Strafe macht und Gottes Licht und Luft von uns abhalt".')
') Politische Aufsatze, S. 121.
BAYREUTH 533
Die Bildungsbarbaren, diese weissgetiinchten Papuaner, sie
haben Wagner sein Leben lang gehasst, verfolgt, anathematisiert;
auch der Bayreuther Gedanke bleibt ihnen fremd — nicht so
sehr „ein Ratsel" (denn Ratsel gibt es fiir solche Leute iiber-
haupt nicht), wohl aber „ein Greuel". Sehen wir aber von
ihnen ab, so diirfen wir die Erwartung aussprechen, dass der
„Bayreuther Gedanlce" sowohl auf die zuhochst kultivierten
Geister wie auch auf die grosse gesunde Masse des Volkes
unfehlbar wirken wird.
Der Leser wird, glaube ich, schon bemerkt haben, dass Der Kunst-
mir an diesem Abschnitt die Uberschrift die Hauptsache ist.K^danke
Mir liegt vor allem daran, durch diesen Titel „Der Bayreuther
Gedanke" die Aufmerksamkeit darauf zu lenken, dass es iiber-
haupt etwas gibt, was man so benennen kann, und es sich in
den Augen des Schopfers jenes Festspielhauses und in denen
seiner mitschopferischen Freunde nicht bloss um einen Theater-
bau, sondern um einen Kulturgedanken handeh. Dagegen halte
ich es fiir unmoglich, klipp und klar (und kurz) darzulegen,
was man unter dem Ausdruck „Bayreuther Gedanke" zu ver-
stehen habe. Aus dem Vorangegangenen diirfte sich auch ohne
weiteres ergeben, warum das unmoglich ist. Hier miissen wir
mit Wagner's Hans Sachs gestehen:
„Fass' ich es ganz — kann ich's nicht messen!
Doch wie wollt' ich auch messen,
was unermesslich mir schien?"
Jedoch, kann ich auch das Unermessliche nicht messen, bin ich
auch tief iiberzeugt, dass ein wahres Erfassen nur aus demEindruck des lebendigen Kunstwerks zu gewinnen ist und dass
nur derjenige, dem selber Bayreuth „ein teures Andenken" ge-
worden ist, es begreifen und billigen wird, wenn man iiber-
haupt von einem Bayreuther Gedanken redet — so will ich
doch nicht den Vorwurf auf mich laden, ich wiche einer be-
rechtigten Frage aus. Aus der schier unbegrenzten Menge des
hier Sagenswerten will ich darum zwei Punkte herausgreifen
und versuchen, sie in moglichst wenigen Worten vor den
Leser hinzustellen; im besten Falle konnte es sich ja nur umAndeutungen handeln; diesen Spuren moge dann der Wohl-
gesinnte in Wagner's Schriften und Werken folgen; er wird
534 VIERTES KAPITEL
spater erstaunt gewahren, wie weit schon jetzt, wenige Jahre
nach Wagner's Tod, der Einfluss dieses Bayreuther Gedankens
gestaltend auf das Denken und Schaffen mancher der besten
unter den Lebenden wirkt. Zuerst will ich einen Punkt her-
vorheben, dessen Kern die reine Kunst und wo die Sorge
urn sie das Bestimmende ist; sodann will ich versuchen, auf
die kiinstlerische Intuition in ihrer Bedeutung fiir die Gesamt-
erkenntnis der Welt hinzuweisen.
Im X. Band seiner Schriften (S. 47) sagt Wagner: „Es ist
mir aufgegangen, dass, wie ich fiir die richtige Darstellung
meiner kiinstlerischen Arbeiten erst mit den beabsichtigten
Biihnenfestspielen in dem hierfiir besonders erfundenen und
ausgefiihrten Biihnenfestspielhause in Bayreuth einen Boden zu
gewinnen hatte, auch fur die Kunst uberhaupt, fiir ihre richtige
Stelle in der Welt, erst ein neuer Boden gewonnen werden
muss, welcher fiir das erste nicht der Kunst selbst, sondern
eben der Welt, der sie zu innigem Verstandnisse geboten werden
soil, zu entnehmen sein kann. Hierfiir hatten wir unsere Kultur-
zustande, unsere Zivilisation in Beurteilung zu Ziehen, wobei
wir diesen immer das uns vorschwebende Ideal einer edlen
Kunst gleichsam als Spiegel vorhielten, um sie in ihm reflektiert
zu gewahren". Diese Worte konnten durch einen Kommentarnur an Kraft und Klarheit einbiissen; in ihnen kommt der
Bayreuther Gedanke erschopfend zur Darstellung, so wie er
sich von dem einen bestimmten Gesichtspunkt des Verhalt-
nisses zwischen Kunst und Leben zeigt. Nur daran will ich
den Leser erinnern, dass diese Erkenntnis, der Welt miisse
erst ein neuer Boden fiir die Kunst abgewonnen werden,
grundlegend und gestaltend fiir Wagner's ganzes Leben ist.
Die hier angefiihrten Worte, die an das tatsachlich vorhandene— einen „ermutigenden Begriff" bildende — Bayreuth an-
kniipfen, sind aus dem Jahre 1881; schon in Paris jedoch (1840)
„betrat Wagner eine neue Bahn, die der Revolution gegen
die kiinstlerische Offentlichkeit der Gegenwart", und immerdeutlicher empfand er von da an, immer haufiger begegnen wir
unter seiner Feder dem Ausdruck dieser Uberzeugung: fiir
die Kunst muss ein neuer Boden gewonnen werden. (Vgl.
S. 61, S. 167 und S. 275.) Auch darauf mochte ich ganz be-
sonders aufmerksam machen, wie klar diese Worte Wagner's
BAYREUTH 535
das notwendige Ineinandergreifen von Kunst und „Welt" dar-
tun. Nennt man den Kiinstler Wagner einen Reformator, sagt
man, der Gedanke, dem jenes Festspielhaus in Bayreuth dient,
sei ein „regeneratorischer", so zuckt der Bildungsbarbar mit den
Schultern und antwortet hochstens: Schuster, bleib bei deinem
Leisten! Wer aber weiss, wie eng alles in der Natur zusammen-hangt, wer eingesehen hat, in welcher Weise das Gesetz der
Korrelation die ganze "Welt beherrscht, so dass jede Unter-
scheidung zwischen icleinen und grossen Ursachen eine kiinst-
liche ist, da aus dem geringsten Anstoss die unermesslichsten
Wirkungen hervorgehen konnen, der wird sich nicht durch
einen so oberflachlichen Einwurf irre machen lassen. Geradeindem der Kiinstler sich ungeteilt seiner Kunst widmet, kommter, wie das bei Wagner geschah, dazu, eine tiefgreifende Um-gestaltung unserer Kulturzustande zu fordern. Er muss es;
indem er es tut, folgt er ja einfach dem Gesetz alles Lebenden:
er kampft um sein Dasein gegen eine Welt, die ihm das Da-
sein verkiimmert und es bald zu vernichten droht. Gewissdarf man das Festspielhaus von Bayreuth auch auf diese Dar-
winistische Weise deuten! Es ist ein Kampfsymbol, eine Stan-
darte, um welche sich die Getreuen kriegsgeriistet sammeln,
und das ist gar nicht die iibelste Bedeutung des „Bayreuther
Gedankens"; denn nur im Kampfe stahlen sich die Krafte. In
einem unveroffentlichten Brief aus fruheren Jahren schreibt
auch der Meister: „Muss jemand zugeben, dass ich richtig sehe,
so ist er verloren, wenn er nicht die Kraft auf Tod und Lebenhat"; und Nietzsche bekannte: „Fur uns bedeutet Bayreuth die
Morgenweihe am Tage des Kampfes!"
Wer noch nicht iiber diesen Gegenstand nachgedacht hat,
der kann zunachst aus Wagner's Schriften, namentlich aus denender Ziiricher Gruppe, erfahren, in welchem Masse unsere heu-
tige Zivilisation nicht bloss kunstfeindlich, sondern geradezu
kunsttodlich ist. Wir wissen ja gar nicht mehr, was grosse,
lebendige, in das gesamte Leben eingreifende Kunst ist, wie
unvergleichlich ihre Wirkung, wie unermesslich ihr Einfluss;
das soil nun der Welt gelehrt werden, und es kommt der Tag,
wo trotz aller gelehrten Gegenargumente und Gegenbeweisesich keiner mehr diesem Einfluss entziehen kann.
Hier will ich nun im Voriibergehen eine Bemerkung Bayreuth
536 VIERTES KAPITEL
einschalten, um es zu erklaren, warum der Name „Bayreuth"
fiir diesen Glauben an die unvergleichliche Bedeutung der
Kunst dem Namen „"Wagner" vorzuziehen ist. Wie gross undstolz klingt nicht der Name des Mannes, der diese Bedeutung
der Kunst erkannt und verkiindigt hat, Richard Wagner, wie
jammerlich dagegen jene elende Vokabel „"Wagnerianer", wie
sinnlos ausserdem! Es ist, als ob man durch Anhangung des
„aner" auch etwas von dem strahlenden Glanz jenes Namensabzubekommen wahnte! Und soil hiermit etwa Ehrerbietung
ausgesprochen werden, so muss man entgegnen, dass Wagnerkeiner solchen Lobhudelei bedarf. Von Aschylos bis Shake-
speare, von Hafis bis Schiller, von Palestrina bis Beethoven,
von Phidias bis Raphael: das ist die Welt der Kunst, auf die
der Meister uns unaufhorlich in den gliihendsten Worten hin-
weist; alle Engherzigkeit, alles Parteiwesen war ihm fremd.
Wer irgendeinen echten Meister verkennt, der gehort nicht
zu Wagner. Denn alle zaubert er vor unseren Augen herauf
diese „gr6ssten und edelsten Geister, die seit Jahrhunderten
ihre Stimme aus der Wiiste erhoben haben", und dann ruft
er in edler Entriistung: „Wir haben sie gehort und noch tont
ihr Ruf in unseren Ohren: aber aus unseren eitlen, gemeinen
Herzen haben wir den lebendigen Nachklang ihres Rufes
verwischt; wir zittern vor ihrem Ruhm, lachen aber vor ihrer
Kunst; wir liessen sie erhabene Kiinstler sein, verwehrten
ihnen aber das Kunstwerk; denn das grosse, wirkliche, eine
Kunstwerk konnen sie nicht allein schaffen, sondern dazu
miissen wir mitwirken." Das ist eben die eine entscheidende
Bedeutung von Bayreuth; es steht abseits von der „eitlen,
gemeinen Welt" und ruft nur diejenigen heran, die mitwirken
wollen, „die mitschopferischen Freunde". Das Publikum zu einer
Tat heranzuziehen, „die der kiinstlerischen entgegenkomme",
ist ein wichtiger Bestandteil des jjBayeuther Gedankens". Hier
steht also nicht ein einzelner Mann obenan, und ware er ein
Richard Wagner, sondern die „heilige deutsche Kunst", von
der Hans Sachs in so bewegten Worten redet, und diese deutsche
Kunst dehnt sich zur „reinmenschlichen Kunst" aus; hier gilt
es, „das grosse, wirkliche, eine Kunstwerk" ins Leben zu rufen?
gleichviel, wer es geschaffen hat. Richard Wagner ist ein Mensch,
der gelebt und gelitten hat, dessen Namen man deswegen nicht
BAYREUTH 537
missbrauchen, sondern „in des Herzens bergendem Schrein"
fromm aufbewahren soil. Bayreuth dagegen ist sein Werk, das
Werk, das er uns alien geschenkt hat, sobald wir es uns
aneignen wollen, und „Bayreuth" ist der unpersonliche, iiber-
personliche, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Kunst
verbindende „slnnvolle Wahlspruch", welcher diejenigen einen
soil, die mit Wagner dem Glauben leben, fiir die Kunst miisse
erst ein neuer Boden gewonnen werden und dazu miissten wir
alle mitwirken. Das war auch der Sinn jener schonen und so
vielfach missverstandenen Worte, die Wagner am Schlusse der
ersten Auffiihrung des Nibelungenrings in Bayreuth von der
Biihne aus seinen Freunden zurief: „Sie haben jetzt gesehen,
was wir konnen; wollen Sie jetzt! Und wenn Sie wollen, so
haben wir eine Kunst!" Auch dieser feste, begeisterte Wille
gehort zum Bayreuther Gedanken.
Durch die blosse Andeutung des umgestaltenden Einflusses, Kunst und
den die Kunst nach dieser Bayreutherischen Auffassung auf^^''8'°°
Kultur und Zivilisation auszuiiben bestimmt ist (woriiber ich
auch namentlich das S. 277 bis 286 Ausgefiihrte nachzulesen
bitte), glaube ich mehr zu dem Verstandnis dieses Punktes bei-
getragen zu haben, als wenn ich uber alles, was Schiller und
Wagner hieriiber gesagt haben, ausfiihrlich hatte referieren wollen.
Hochstens mochte ich, damit der Leser den ganzen Umfangdes hier beruhrten Einflusses ermesse, noch auf den Schluss des
Abschnittes iiber die Regenerationslehre hinweisen, wo ich an
der Hand von Wagner's Schriften auf die nahen Beziehungen
zwischen Kunst und Religion hingewiesen habe. Schon in sehr
jungen Jahren bekannte sich der Meister beziiglich der Wege,
welche das Menschengeschlecht wandeln sollte und miisste, zu
einer Auffassung, die schroff von allem iiblichen Fortschritts-
glauben absticht. Es war zu einer Zeit, als er den Kirchen sehr
fern stand und im Staate den Feind zu erblicken wahnte; der
Staat erschien ihm gewissermassen als das Kollektiv zu jener
Gestalt des Robespierre; diesem Staate stellt er nun als das zu
Erstrebende entgegen „das sich verwirklichende religiose Be-
wusstsein der Gesellschaft von ihrem reinmenschlichen Wesen"
(Oper und Drama, IV, 90), und schon hier errat er die spater
klar verkiindete tiefe Wahrheit: „Nur eine allgemeine Religion
ist in Wahrheit Religion" (X, 60). Man fragt: wie kommen
538 VIERTES KAPITEL
denn derlei Erwagungen in eine Schrift iiber die Oper und
das Drama? Einfach, weii der Kunstler schon damals empfand,
„das Kunstwerk sei die lebendig dargestellte Religion" und
„die Religion schliesse die Bedingungen des Kunstwerkes in
sich" (vergl. Ill, 77 und 146). Schon damals blickte aber der
noch junge Dichter umher, ohne in unserer Welt auf wahre
Religion zu treffen — ihn diinkte es, unsere Religion sei der
Gelderwerb, der Egoismus. Und da ging es ihm auf, Kunst und
Religion, welche beide so schwer darben, seien derartig eng
miteinander verkniipft, dass die Religion, von der er das Heil
der Kunst erwartete, erst von der Kunst „errettet" werden miisse.
Man hat wohl manchmal iiber eine „Bayreuther Religion" ge-
spottet; eine solche ware aber vielleicht immerhin noch besser
als gar keine, und zudem erklarte der jugendliche Meister: „Reli-
gionen erfindet nicht der Kunstler, die entstehen aus demVolke" (III, 77), und als Greis bekannte er: „Religionen zu
erfinden, ist unmoglich" (X, 322). Es ist ja immer das selbe
Missverstandnis, aus welchem jene Einwiirfe hervorgehen. Mankann von sehr verschiedenen Seiten an alle Probleme, auch
an das Problem des Lebens herantreten; sobald man es nunnicht allein kontemplativ betrachtet, sondern selber schaffend
in dieses Lebensratsel eingreift, so pflanzt sich notwendiger-
weise die Bewegung von dem einen Punkt auf alle ferneren
welter. Die Kunst wird nicht Wissenschaft, nicht Philosophie,
nicht Religion werden; aber ebenso, wie wir es erlebt haben,
dass Religion auf Philosophie und Wissenschaft, Wissenschaft
auf Philosophie und Religion einen weitreichenden Einfluss
ausiibten, ebenso konnen wir es und werden wir es erleben,
dass die Kunst die Arroganz der Wissenschaft brechen, der
Philosophie eine neue Richtung geben und die Religion zu
erneutem, segensreichem Leben erwecken wird. So wenigstens
meint der „Bayreuther Gedanke"; das erstrebt er.
Hier kann ich nun meinem Versprechen gemass eine
zweite, anders geartete Gedankenreihe zur Exemplifikation
dieses Bayreuther Gedankens heranziehen und durch einige
Andeutungen erlautern.
Kunst und Ich habc soeben von einem moglichen Einfluss der KunstPhilosophie
gyj^ ^jg Philosophie gesprochen. Das ware durchaus nicht so
beispiellos. Eine der erhabensten Weltanschauungen, die ein
BAYREUTH 539
einzelnes menschliches Gehirn zu einem wahren Mikrokosmus
erhohte, ist die des Plato. Dieser Denker war in einem Lande
geboren, in welchem die Kunst das ganze Lcben des Volkes
durchdrang. Der kiinstlerischie Instinkt des so enorm begabten
Volkes der Hellenen zeigte sich vor allem darin, dass er der
Analyse nie freien Lauf Hess, sondern jeden Begriff sofort
„gestaltete" und jede Vielheit sofort „individualisierte", wo-
durch diese fiir die Anschauung gewonnen und somit auch
zum Mittelpunkt neuen Lebens wurden: dem einzelnen, ver-
ganglichen Fall gegeniiber war jetzt diese Idealgestalt das Un-
sterbliche, Gottliche. Plato's Ideenlehre ist nun das Uber-
tragen jenes lebendigen und im Leben so hochbewahrten Volks-
triebes auf die metaphysische Erkenntnis. Die Kraft und das
unvergangliche Leben dieser Platonischen Weltanschauung beruht
darauf, dass hier nicht (oder wenigstens nur in sehr geringem
Masse) individuelle Willkiir gestaltet, sondern an ihrer Stella
das intuitive, kiinstlerische, „mythische" Denken eines ganzen
Volkes. In seinem klassischen Werk iiber die Philosophic der
Griechen meint Professor Zeller, Plato „sei zu sehr Dichter, umganz Philosoph zu sein"; je mehr man aber dariiber nachsinnt,
um so weniger kann man sich der Einsicht verschliessen, dass
(gleichviel welchen Sinn man Professor Zeller's Worten, denen
ich durchaus nicht widersprechen will, beilegen mag) Plato's
iiberwiegende Grosse gerade darin begriindet liegt, dass er
Dichter ist und dass er dem geistigen Leben eines intensiv
kiinstlerischen Volkes seinen philosophischen Sinn abgewinnt —was offenbar nur einem Dichter gelingen konnte. Auch F. A. Lange
betont sehr stark bei seiner Besprechung Plato's: „Daruber
muss die Welt einmal definitiv ins klare kommen, dass es sich
hier eben nicht um ein Wissen handelt, sondern um Dichtung".')
Ob den Weltanschauungen der iibrigen Philosophen sehr viel
„ Wissen" zugrunde liege, mag dahingestellt bleiben; das eine
kann man aber ohne weiteres zugeben: Plato's Philosophic ist
Dichtung. Und um das, was ich an diesem Orte natiirlich nur
fliichtig andeuten kann, wenigstens in missvcrstandnisloser
Klarhcit hinzustellen, will ich auf einen zweitcn griechischen
Philosophen hinweisen: Demokrit. Die Idee des Atoms ist
') Geschichte des Materialismus, S. 60.
540 VIERTES KAPITEL
wohl die kiihnste Mythenbildung, die der Menschengeist bisher
gewagt hat. Mit Plato hat also die Philosophie des Demokrit
das Prinzip der Anschaulichkeit gemein; darin bewahrt sie
sich auch als echtgriechisch; einem unentrinnbaren Gesetz des
menschlichen Denkens zufolge erzeugt aber ihr Streben nach
materiellerGreifbarkeit eine durchaus unvorstellbare— gewisser-
massen eine abstrakte — Vorstellung. Plato ist eben Kunstler,
Demokrit nicht. Plato's Weltanschauung ist nicht immer „denk-
bar", wohl aber durchaus vorstellbar, sie ist „kunstlerische
Mythenbildung"; Demokrit's Weltanschauung ist bis auf das
letzte I-tiipfel denkbar; ihre wissenschaftliche Mythenbildung
fordert dafiir aber eine Verleugnung aller menschlichen Evidenz,
welche der Zumutung gleichkommt: „Gib zu, dass 2 + 2 = 3
ist, und ich erklare dir die Welt"; (das ist, nebenbei gesagt,
iiberhaupt die Methode der naturwissenschaftlichen Philosophie).
Zwischen diesen beiden grossen schopferischen Systemen der
Griechen treffen wir nun diejenige Richtung an, welche vielen
wohl als die „eigentlich philosophische" erscheint, die des
Aristoteles. Jedoch trotz aller Bewunderung fiir die enzyklo-
padische Gehirnanlage dieses Mannes darf man wohl behaupten,
dass dieses fast gar nicht mehr dichtende, sondern nur regi-
strierende, analysierende, methodisierende, kritisierende Denken
die eigentlich sterile Geistesrichtung ist, deren historischer Wert
fiir das Menschengehirn demjenigen der Gymnastik fiir die
Armmuskeln zu vergleichen ware. Plato habe ich nun deswegen
hier herangezogen, well bei ihm sich der Einfluss der Kunst
so besonders deutlich kundgibt, zwar nicht als Vertiefung in
das einzelne Kunstwerk, wohl aber als unbewusst eingeatmete
Lebensatmosphare und als dichterische Beanlagung (die sich
sogar in der von ihm erwahlten literarischen Mitteilungsform
bewahrt). Im 19. Jahrhundert haben wir aber einen Philo-
sophen gehabt, der nach manchen Richtungen hin mit Plato
verwandt erscheint: Arthur Schopenhauer. ') Nichts ist nun
fiir Schopenhauer bezeichnender als das Gewicht, welches er
gerade fiir die philosophische Erkenntnis auf die Kunst legt.
') Das gilt sogar fiir die korperliche Gestalt! Vgl. hieriiber das arzt-
liche Gutachten iiber Schopenhauer's athletischen Knochenbau in Gwinner's
Buch iiber Schopenhauer.
BAYREUTH 541
Zu belegen brauche ich hoffentlich diese Behauptung nicht;
ein Hinweis auf S. 277 dieses Buches moge geniigen. Geradein dem Jahre aber, in welchem die erste Arbeit Schopen-
hauer's im Druck erschien, wurde der Dichter Richard Wagnergeboren. Der Denicer behauptete, die Philosophie „sei auf demWege der Kunst zu suchen" und „nur das Gedachte, was ge-
schaut wurde, ehe es gedacht war, habe nachmals, bei der Mit-
teilung, anregende Kraft und werde dadurch unvergangiich"
;
der Dichter sprach iiber die philosophische Bedeutung der
Kunst folgende tiefe Worte, die ich recht genau zu be-
trachten bitte, da sie uns iiber das tiefste Wesen echter Kunst
Aufschiuss geben: „Was wir im allgemeinen unter kiinstleri-
scher Wirksamkeit verstehen, diirften wir mit Ausbilden des
Bildlichen bezeichnen; dies wiirde heissen: die Kunst erfasst
das Bildliche des Begriffes, in welchem dieser sich ausserlich
der Phantasie darstellt, und erhebt, durch Ausbildung des zu-
vor nur allegorisch angewendeten Gleichnisses zum vollendeten,
den Begriff ganzlich in sich fassenden Bilde, diesen iiber sich
selbst hinaus zu einer Offenbarung" (X, 279). Wer nicht iiber
den toten Buchstaben hinausblickt, wird vielleicht Bedenkengegen das Wort „Offenbarung" erheben. Es ist ja an und fiir
sich ein bildiiches Wort. Zweifellos gibt uns die Kunst nur
das selbe wie die Natur; wie Schopenhauer sagt: „Die selten
genug erkannte Wichtigkeit und der hohe Wert der Kunst
[besteht darin], dass wir sie als die hohere Steigerung, die
voUkommenere Entwickelung von allem diesen anzusehen haben,
da sie wesentlich eben dasselbe, nur konzentrierter, vollendeter,
mit Absicht und Besonnenheit leistet, was die sichtbare Welt
selbst, und sie daher, im vollen Sinne des Wortes, die Blute
des Lebens genannt werden mag" (Samtl. Werke III, 315). Woin der Natur ein unerforschliches Geheimnis vorliegt, wo das
„Frageverbot" uns unerbittlich entgegentont, da werden wir also
auch im Kunstwerk dem selben Geheimnis begegnen und das
selbe Verbot vernehmen — aber! hier erscheint alles deutlicher
und uberzeugender, so dass z. B. gerade die Unergriindlichkeit
von vielem, was einem oberflachlichen Blick bisher nicht uner-
griindlich gediinkt hatte, jetzt eingesehen wird. Auch eine solche
Erfahrung ist aber eine „Offenbarung". Kunst- und
Dieser Einfluss der Kunst auf die Philosophie vermehrt wissenschaft
542 VIERTES KAPITEL
sich dann noch um alle die Denkgewohnheiten, welche durch
kiinstlerische Anschauung erzeugt werden und welche ich durch
das eine glaube bezeichnen zu konnen: dass die Abstraktion
auf das ihr von Kant gewiesene Feld der „reinen Vernunft"
beschrankt wird und dass die Gesetze der Logik als ein
blosses Organon fiir die Tatigkeit des Denkens betrachtet
werden, denen keinerlei weitere Kompetenz zukommt. Hierin
zeigt sich iibrigens eine neue Verwandtschaft zwischen demkiinstlerischen Denken und der beobachtenden Naturwissen-
schaft — eine fiir den philosophischen Wert dieses Denkensgewiss nicht unerhebliche Erwagung. Die Naturwissenschaft
des Aristoteles war darum in manchen Punkten so merk-wiirdig schwach und in so entschiedenem Riickgang gegen
die seiner Vorganger, weil sich iiberall die Logik hineinmengte
und die klarsten Beobachtungen dem Gespenst der Systematik
und der Abstraktion weichen mussten. Dagegen ist das Grund-prinzip der echten Naturforschung die unvoreingenommene,liebevolle Beobachtung der Natur; der Naturforscher ist wie
der dichterische Seher, auch er „zeuget, was er sieht". Undnirgendswo in der ganzen Natur sieht er Logik: nichts ist un-
logischer als die Welt, nichts „unvernunftiger", ja, geradezu
widerverniinftig. Und nun ergibt sich das Unerwartete: wie
verschieden diese analytische Anschauung des Naturforschers
von der synthetischen des Kiinstlers auch sein mag, auch sie
fiihrt iiberall auf die Vorstellung der Einheit! Sie stellte zuerst
— infolge ihrer Beobachtungen — den Begriff der „Art" auf,
dann den Begriff der „Gattung"; spater wurden die Gattungender lebenden Wesen zu „Familien" geeint, und eine solche Vor-stellung wie die Darwin's fasst ja alle lebenden Wesen nurnoch fester zu einer Einheit zusammen. Ahnliches ereignete
sich auf dem unorganischen Gebiet. Allerdings ergeht es
aller Naturwissenschaft, sobald sie, wie in dem angefuhrten
Falle bei Darwin, die tatsachlichen, empirischen Anschauungenzu theoretischen, dichterischen zusammenfasst, ahnlich wie Demo-krit: indem sie sich von dem Gebiete der Beobachtung mehr undmehr entfernt, wird sie ein Opfer der logischen Denkgesetze underzeugt sie unvorstellbare Vorstellungen. Ihre wahre Kraft aber
ist und bleibt nicht ihr Bestreben, die Welt hypothetisch zu
erklaren, sondern ihre Anschaulichkeit; und dieses Primat der
BAYREUTH 543
anschaulichen und diese Unterordnung der abstrakten Erkennt-
nis bedingt eine so enge Verwandtschaft zwischen Kunst und
Wissenschaft, dass eine wechselseitige Beeinflussung ohne
weiteres vorauszusetzen ist. ^)
Ich glaube, dass schon aus diesen fliichtigen, ohne jegliches zusammen-
System hingeworfenen Anregungen manchem denkenden Geiste f'>ss"ng
die Vorstellung einer Kultur, in welcher der Kunst das Uber-
gewicht zufiele als dem „hochsten Moment des menschlichen
Lebens", in welcher ihr aber diese iiberwiegende Stellung nur
deswegen zugestanden wiirde, weil sie „die lebendig dargestellte
Religion" ware, weil sich in ihr „die Betatigung des durch die
Wissenschaft errungenen Bewusstseins" kundtate, weil sie „alle
Weisheit" enthielte, zuvordersi aber, weil durch sie und in ihr
das so gefahrlich bedrohte Gleichgewicht wieder hergestellt
wiirde zwischen der menschlichen Allgemeinheit, die nach
und nach alle Fiihlung mit dem einzelnen verliert, und dem
menschlichen Individuum, das ein immer geringeres, fragmen-
tarisches Bruchstiick eines ganzen Menschen wird (vgl. die
Ausfiihrungen S. 203) — ich glaube, sage ich, dass diese
Vorstellung manchem vielleicht unerreichbar, insofern auch
chimarisch erscheinen mag, dass aber keiner ihr das Pradikat
eines grossen und edlen und genialen Gedankens versagen kann.
Auch diese Vorstellung gehort zum „Gedanken von Bayreuth".
Zum Schlusse mochte ich gern einem verbreiteten Miss- wagner und
verstandnis entgegentreten und zugleich von den soeben ent-Schopenhauer
schleierten weiten Ausblicken, die der „Bayreuther Gedanke"
eroffnete, zu dem Helden dieses Buches zuriickkehren, ummit einem tiefen Blick in das Herz des grossen und guten
Mannes meine Aufgabe zu Ende zu fiihren.
Schon aus dem soeben Ausgefuhrten ergibt sich ohne
weiteres, dass Wagner's Weltanschauung derjenigen Schopen-
hauer's nahe verwandt sein muss. Eine ewig uniiberbriickbare
Kluft trennt aber dennoch die eine von der anderen; denn die
eine ist die Welt durch das Auge eines Dichters, die andere
') Novalis, der Geolog und Poet, hat sehr schon gesagt: „Naturforscher
und Dichter haben durch eine Sprache sich immer wie ein Volk gezeigt"
(Schriften, T. II, S. 63).
544 VIERTES KAPITEL
die Welt durch das Auge eines Metaphysikers erblickt. Wasdiese Trennung zu bedeuten hat, erkennt man klar aus der
Tatsache, dass die eine Weltanschauung zu einer Verneinung,
die andere zu einer Bejahung fiihrt: Schopenhauer's Endpunkt
ist die Verneinung des Willens zum Leben, der Wagner's die
Bejahung der Moglichkeit einer Regeneration. Der Glaube ist
eben die Seele der Kunst. In jungen Jahren schrieb der Meister
die begeisternden Worte: „Aus dem entehrenden Sklavenjoche
des allgemeinen Handwerkertums mit seiner bleichen Geldseele
wollen wir uns zum freien kiinstlerischen Menschentume mit
seiner strahlenden Weltseele aufschwingen!" (Ill, 38); in seinem
allerletzten Werke, Parsifal, fand er nach einem Leben voller
Enttauschungen undBitterkeiten die machtig iiberzeugenden Tonefiir die Worte: „Der Glaube lebt!" und der musikalische Schluss
dieses Werkes fiihrt uns eine Umbildung der tiefklagenden Weise
vor, ') die Parsifal's genialer Blick als „die Gottesklage" erkannt
hatte — nunmehr zu einer erhabenen, triumphierenden, von
dem Glanz der Trompeten getragenen Bekraftigung des Glau-
bens an jene „strahlende Weltseele" gestaltet. Die Brahmanenwiirden sagen, Schopenhauer stehe auf dem Standpunkte der
„h6chsten Realitat", Wagner auf dem des „Welttreibens". Gleich-
viel: wichtig ist zunachst vor allem die Einsicht, dass eine Identi-
fizierung dieser beiden Richtungen nicht zulassig ist. Das zeigt
sich in zahlreichen Einzelheiten. Wie urteilt Schopenhauer iiber
die Frauen, sogar iiber solche, die in selbstloser Aufopferung
„lappische Pflegerinnen" werden! Wie stellt dagegen Wagnersie hin in Irene, Senta, Elisabeth, Briinnhilde!^) Wie jammerlich
diinkt Schopenhauer die Liebe zwischen Mann und Weib! Welchherrliches Denkmal hat ihr Wagner in Tristan und Isolde er-
richtet! Das zeigt sich ferner besonders deutlich, wenn man auf
das Verhaltnis zum indischen Denken hinweist. Natiirlich hat
auch Wagner an dieser herrlichen Quelle reinen Denkens ge-
schopft; Schopenhauer konnte sich hier vollkommen befriedigt
finden, Wagner aber nicht: denn in der Nahe einer philosophischen
Erkenntnis wie die indische kann iiberhaupt keine Kunst zur
Bliite gelangen. Diese Tatsache des Gegensatzes zwischen dem
') Vgl. S. 466.
^) Von seiner Briinnhilde sagt Wagner: „Nie ist dem Weibe eine
solche Verherrlichung widerfahren" (L. I, 215).
MOnCHEN 1880
BAYREUTH 545
Kiinstler Wagner und allem Pessimismus alter und neuer Zeiten
muss jedem Denkenden auffallen; sobald man aber tiefer geht,
erkennt man, dass mit Wagner's ganzer Anschauung von einer
zu erstrebenden „Allgemeinsamkeit", mitseinemTraum voneinem
„Aufgehen des Egoismus in den Kommunismus" usw. nichts so
wenig harmoniert wie die Buddhistische Lehre: „Des Ich Schutz ist
das Ich, des Ich Zuflucht ist das Ich." Im Gegensatz zu solchen und
zu alien rein metaphysischen Anschauungen verfolgt Wagner nie-
mals individuelle, sondern immer allgemeine Zwecke; hierdurch
zeigt sich aber unverkennbar, dass sein Denken und Empfinden
eigentlich religios, nicht metaphysisch ist. In keiner einzigen
Schrift des Meisters kommt das Wort „Erl6sung" so oft vor wie
in seinem Kunstwerk der Zukunft^ einer Schrift aus der Zeit, woer mit den Kirchen und dem historischen Christentum, wie wir
gesehen haben (vgl. S. 213), auf gespanntem Fusse stand. AIs
Ziel wird dort „die Erlosung des Niitzlichkeitsmenschen in den
kiinstlerischen Menschen" aufgestellt. Den Begriff „Kunst fiir
Kunst" gibt es eben bei Wagner nicht: Kunst und Leben sind
bei ihm gar nicht zu trennen; ebensowenig kannte er aber ein
Denken um des Denkens willen, eine Erlosung durch Erkennt-
nis in stiller Klausnerzelle: derartige Vorstellungen wider-
sprechen nicht allein den theoretischen Ansichten Wagner's, son-
dern seinem ganzen Wesen. Ich mochte sagen : fiir Wagner gibt
es gar keine Individuen, sondern nur eine ganze, untrennbare
Menschheit. „Sobald alle Menschen nicht gleich frei und gliick-
lich sein konnen, miissen alle Menschen gleich Sklave und elend
sein" (siehe S. 198), und: „Es gibt nichts Liebenswerteres, als
die gemeinschaftlichen Menschen" (III, 265): das ist der Grund-
ton von Wagner's Fiihlen und Denken. Und indem er nun,
— unfahig, in irgendeiner noch so sophistisch verdeckten Formdes Egoismus die geringste Befriedigung zu finden — weiter iiber
das grosse Problem nachdenkt, wie alle Menschen aus Niitz-
lichkeitsmenschen zu kiinstlerischen Menschen erlost werden
konnten, erkennt er sehr bald (1850): „Die Mittlerin zwischen
Kraft und Freiheit, die Erloserin, ohne welche die Kraft Roheit,
die Freiheit aber Willkiir bleibt, ist die Liebe." Wenn nun
auch der junge Meister in seiner Wut gegen die „Liigenkirchen"
uns in dem selben Satze versichert, diese Liebe sei nicht die
christliche, so glauben wir es ihm doch nicht; tibrigens ist die
Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 35
546 VIERTES KAPITEL
Bezeichnung „christlich" hier nebensachlich: das Streben dieses
Kunstlers ist jedenfalls ein tiefreligioses, und seine Religion
heisst die Liebe. Im Jahre 1855 schreibt er an Liszt, er erkenne
als die wahre „gottliche Lehre nur die Anleitung zur
Befreiung vom personlichen Egoismus durch die Liebe" (L. 11,80).
Ja, Wagner's Kiinstlerschaft ist von seiner Religion der Liebe
(die schon in seinem ersten Werk Die Feen so ergreifenden
Ausdruck fand) gar nicht zu trennen: „Ich emporte mich aus
Liebe, nicht aus Neid und Arger; und so ward ich Kiinstler"-
(IV, 326).
Richard Wagner Ich glaube, hier blicken wir sehr, sehr tief in das Herz
dieses Mannes, und diirfen schon aus diesen friiheren Schriften
entnehmen, der spatere „Gedanke von Bayreuth" werde jeden-
falls ein Gedanke der Liebe und darum auch sicherlich kein
tonendes Erz und keine klingende Schelle sein. Dem ist auch
so. All jene heroischen Bestrebungen des alternden Meisters,
der hochsten dramatischen Kunst zum Siege zu verhelfen
und hiermit zugleich zu einer Regeneration des Menschen-
geschlechts die bestimmende Anregung zu geben, entspringen
der ungeschwachten Empfindung: „Es gibt nichts Liebens-
werteres als die gemeinschaftlichen Menschen", entspringen
der tiefreligiosen Uberzeugung, nur eines tue not, nur eines
konne hier erlosen: den Menschen miisse die Liebe gelehrt
werden! Wie er ein anderes Mai sagt: „Die Liebe ist die
Mutter der Gesellschaft, sie kann somit nur ihr einziges
Prinzip sein." Was niitzte die Belehrung des Philosophen:
„Indem das Individuum den Willen zum Leben verneint, hebt
es zugleich die ganze Welt auf und erlost sie hierdurch?"
Was frommten die taglichen Erfahrungen der unergriindlichen
Bosheit und des dummen Hasses, welche die Menschen
gerade diesem Edelsten widmeten? „Der Glaube lebt!" UndWagner's Glaube war der an die Gemeinschaftlichkeit des
Menschengeschlechts und an die siegende Macht der Liebe;
diesen Glauben vermochte nichts ihm zu rauben. Wie Parsifal
die „Gottesklage", so vernahm das weite Herz des Kiinstler-
Weisen in dem wiisten Larm, der um seinen „Bayreuther
Gedanken" tobte, nur „die Klage der Natur"; vor seinem
Blicke „zerflossen wie im ahnungsvollen Traume alle Er-
scheinungsformen der Welt"; es „beangstigte ihn nicht mehr
BAYREUTH 547
die Vorstellung jenes gahnenden Abgrundes, der grausenhaft
gestalteten Ungeheuer der Tiefe, alien der siichtigen Aus-
geburten des sich selbst zerfleischenden Willens"; vor seinem
Ohre ertonte „furchtlos, hoffnungsvoll, allbeschwichtigend,
welterlosend, die in der Klage geeinigte Seele der Menschheit"
(vgl. X, 319).
Ja, nicht allein die Klage der Menschheit vernahm er,
sondern die der ganzen Natur. Keine andere Schrift wirft ein
so helles Licht in die innerste Seele dieses Mannes wie sein
Brief iiber die Vivisektion. Hier tritt er mit offenem Visier
gegen das unsere ganze Zivilisation beherrschende „Nutzlichkeits-
Dogma" auf und stellt ihm als das einzige moralische Lebens-
prinzip „das Mitleid gegen alles Lebende" entgegen. Er lehrt
begreifen, „\vie in den Tieren das gleiche atme was auch uns das
Leben gebe", wie „der Mensch zu allernachst an dem Tiere sich
seiner selbst in einem adeligen Sinne bewusst werde", und seine
Ausfiihrungen gipfeln in folgendem Glaubensbekenntnis: „UnserSchluss in betreff der Menschenwiirde sei dahin gefasst, dass
diese gerade erst auf dem Punkte sich dokumentiere, wo der
Mensch vom Tiere sich durch das Mitleid auch mit demTiere zu unterscheiden vermag" (X, 270). Richard Wagner's
Liebe zu den Tieren habe ich in diesem Buche nur fliichtig
beriihren konnen (S. 70); die vielen Anekdoten hieriiber
findet der Leser an anderen Orten; eine der hiibschesten
erzahlt, wie der Meister in Luzern sich arg die Hand zer-
beissen liess (so dass er langere Zeit nicht schreiben konnte),
indem er einem fremden Hunde die soeben iiberfahrene
Pfote wusch und verband. Immer war Wagner von Tieren
umgeben; manche seiner Hunde sind bereits geschichtliche
Personlichkeiten geworden, so der Neufundlander Robber, der
sich aus freiem Antrieb in Riga anschloss, die sturmbewegte
Reise nach London mitmachte und von Wagner in Ein Endein Paris (vergleiche oben S. 221) verewigt worden ist, so aus
spateren Jahren Russ und Marke. Nun hebt aber Schopen-
hauer zweifellos mit Recht hervor, dass sich an gar nichts
die wesentliche „Gute eines Charakters" so unzweideutig
zeige wie an dem Mitleid mit Tieren (Samtl. Werke IV, 2. T.,
S. 242), und das Beispiel der indischen Denker berechtigt
wohl zu der weiteren Behauptung, dass sich an nichts die Tiefe
35*
548 VIERTES KAPITEL
einer Weltanschauung iiberzeugender bewahre als an demlebendigen Bewusstsein des tat-tvam-asi, dem Bewusstsein der
innigen Zusammengehorigkeit mit der gesamten organischen
Natur. Zu der Kenntnis Wagner's und seines „Bayreuther
Gedankens" gehort also in hervorragender Weise die Kenntnis
seines Verhaltnisses zu der Tierwelt.
Je mehr er selber zu leiden hatte, urn so tiefer empfand
Wagner, dass nur aus „rucksichtslosem Mitleiden" (X, 255)
das Heil erwachsen konne. Im Jahre 1853 schreibt er an
Liszt: „Der Zustand der Lieblosigkeit ist der Zustand des
Leidens fiir das menschliche Geschlecht" (L. I, 236), und in
einer seiner letzten Schriften (Was niitzt diese Erkenntnis?
1880, X, 332) lesen wir nun in bezug hierauf Worte, die auch
mein letztes Zitat sein sollen; vielleicht gibt es keine Stelle,
wo die tiefe Weltweisheit dieses grossen Mannes einen
vollendeteren Ausdruck gefunden hat: „Woran geht unsere
ganze Zivilisation zugrunde, als an dem Mangel der Liebe?
Das jungendliche Gemiit, dem sich mit wachsender Deutlich-
keit die heutige Welt enthullt, wie kann es sie lieben, da
ihm Vorsicht und Misstrauen in der Beruhrung mit ihr einzig
empfohlen zu werden notig erscheint? Gewiss diirfte es nur
den einen Weg zu seiner richtigen Anleitung geben, auf
welchem ihm namlich die Lieblosigkeit der Welt als ihr Leiden
verstandlich wurde: das ihm hierdurch erweckte Mitleiden
wiirde dann so viel heissen, als den Ursachen jenes Leidens
der Welt, sonach dem Begehren der Leidenschaften, erkennt-
nisvoll sich zu entziehen, um das Leiden des anderen selbst
mindern und ablenken zu konnen.* Nach einem Hinweis auf
Schopenhauer's Philosophic, nicht aber — und das ist das
Bezeichnende — auf seine eigentliche Metaphysik, sondern
darauf, dass „ihr Ergebnis, alien friiheren philosophischen
Systemen zur Beschamung, die Anerkennung der moralischen
Bedeutung der Welt sei", fahrt der Meister fort: „Nur die
dem Mitleiden entkeimte und im Mitleiden bis zur vollen
Brechung des Eigenwillens sich betatigende Liebe ist die
eriosende christliche Liebe, in welcher Glaube und Hoffnung
ganz von selbst eingeschlossen sind, — der Glaube als un-
trijglich sicheres und durch das gottlichste Vorbild bestatigtes
Bewusstsein von jener moralischen Bedeutung der Welt,
BAYREUTH549
die Hoffnung als das beseligende Wissen der Unmoglichkeiteiner Tauschung dieses Bewusstseins."
So spiegelte sich der „Bayreuther Gedani^e" im Herzendes grossen deutschen Meisters Richard Wagner wieder!
»Die gute Tat, das schone Wort,Es strebt unsterblich, wie er sterblich strebte!"
Wagners Hund Marke
inhaltsObersicht
VORWORTEVorwort zur ersten Ausgabe S. V — zur neuen Ausgabe S. VIII.
ALLGEMEINE EINLEITUNGAllgemeine Grundsatze S. 1. — Disposition des Buches S. 14. —
Quellen S. 15. — Liszt S. 19. — Nietzsche S. 21. — Glasenapp S. 22. —Wolzogen und Stein S. 24. — Die Gegner S. 26. — Das deutsche Drama
S. 29. — An den Leser S. 31.
ERSTESKAPITEL: RICHARD WAGNER'S LEBENSGANGEINLEITUNG
Das Schema S. 35. — Allgemeine Symmetrie des Lebensganges S. 37.
— Nahere Einteilung S. 39. — Beschrankte Giiltigkeit des Schemas S. 40.
ERSTE LEBENSHALFTE
1. (1813-1833) Geburt S. 42. — Die Familie S. 42. — Die ersten Eindrucke
S. 47. — Die ersten schopferischen Versuche S. 51.
2. (1833-183Q) Wurzburg S. 53. — Wagner's Geschwister S. 53. — Wander-
jahre S. 55. — Das Ergebnis dieser Periode S. 58.
3. (1839—1842) Jahre der Not S.59. — Die neue Bahn S.61. — Zwei wichtige
Ergebnisse der Jahre in Paris S. 62.
4. (1842-1849) Erste Erfolge S. 64. — Wagner und die Kritiker S. 66. — Kapell-
meisterleiden S. 71. — Wagner als Revolutionar S. 74. — Die Rede im
Vaterlandsverein S. 76. — Der Mai-Aufstand in Dresden S. 77. —Wichtige Ergebnisse dieser Periode S. 82.
ZWEITE LEBENSHALFTE
1. (1849-1859) Zuricher Umgang S. 85. — Die wahren Freunde S. 86. — Franz
Liszt S. 88. — Die ersten Heifer in der Not S. 90. — Die ersten An-
hanger S. 92. — Uhlig und Bulow S. 94. — Schopferische Tatigkeit in
Zurich S. 96. — Wagner's Schriften S. 99. — Schopenhauer S. 101.
2. (1859—1856) Allgemeiner Uberblick uber diese Jahre S. 102. — Paris und
die Auffiihrung des Tannhauser S. 105. — Wien S. 113. — Miinchen
S. 118. — Konig Ludwig II. S. 123. — Die erste Auffiihrung von Tristan
und Isolde S. 128.
552 INHALTSOBERSICHT
3. (1866—1872) Wagner's zweite Ehe S. 131.— Schopferische Tatigkeit S. 137.
— Der Krieg von 1870 S. 138.
4. (1872— 1883) Die Bayreuther Festspiele S. 139. — Die letzten Lebensjahre
S. 141. — Schlussbetrachtung S. 148.
ANHANG: CHRONOLOGISCHE TAFEL
Erste Lebenshalfte S. 153. — Zweite Lebenshalfte S. 155.
ZWEITES KAPITEL:RICHARD WAGNER'S LEHREN UND SCHRIFTEN
EINLEITUNG
Der Kiinstler als Schriftsteller S. 161. — Richard Wagner S. 163. —Die kiinstlerische Not S. 166. — Disposition des Kapitels S. 172.
RICHARD WAGNER'S „POLITIK"
R. Wagner im Jahre 1849 S. 174. — Wagner und Beust S. 178. — Dichter
und Politiker S. 181. — Die „plastischen Widerspriiche" in Wagner's Denken
S. 182. — Wagner's deutsch-patriotische Gesinnung S. 184. — Wagner's grund-
legende politische Uberzeugungen S. 187. — Sein Verhaltnis zur Religion S. 188.
— Das Konigtum S. 191. — Das freie Volk S. 193. — Wagner als Revolutionar
S. 196. — Schiller und Wagner S. 197. — Unsere „anarchische Ordnung"
S. 199. — Schlussbetrachtung S. 202.
RICHARD WAGNER'S „PHILOSOPHIE"
Zur Orientierung S. 205. — Dichter und Philosoph S. 208. — Wagner
und Feuerbach S. 210. — Wagner und Schopenhauer S. 215. — Verwandtschaft
mit Schopenhauer S. 217. — Der Wille S. 218. — Der Pessimismus S. 220.
Das Mitleid S. 221. — Obereinstimmung mit Schopenhauer S. 221. — Ab-
weichungen von Schopenhauer S. 223. — Kunst und Philosophic S. 225. —Wagner's Weltanschauung S. 229.
RICHARD WAGNER'S REGENERATIONSLEHRE
Einfachste Fassung S. 232. — Die drei Regenerationslehren S. 233. —Gliederung der Untersuchung S. 235. — Quellenschriften S. 235. — Die Er-
kenntnis des Verfalles S. 237. — Die Grunde des Verfalles S. 241. — Geld
und Eigentum S. 242. — Der Verderb des Blutes S. 244. — Einfluss der Nah-
rung S. 244. — Die Ungleichheit der Rassen S. 247. — Der Einfluss desjuden-
tums S. 248. — Der Glaube an eine Regeneration S. 253. — Die drei Lehren
S. 255. — Die empirische Regenerationslehre S. 256. — Die philosophische
Regenerationslehre S. 258. — Die religiose Regenerationslehre S. 262. — Die
Kunst als das einigende Element S. 265. — Kunst und Leben S. 266. — Kunst
und Philosophic S. 266. — Kunst und Religion S. 267. — Wagner's Religion
S. 269. — Obergang zur Kunstlehre S. 271.
INHALTSUBERSICHT 553
RICHARD WAGNER'S KUNSTLEHREBedeutung des Wortes Kunstlehre S. 272. — Kunst und Leben S. 274.
— Zweiteilung der Kunstlehre S. 275. — Das kiinstlerische Erkennen S. 277.
— Die Kunst als Bildnerin des Menschen S. 278. — Die „allgemeinsame"
Kunst S. 280. — Kunst und Wissenschaft S. 281. — Die Kunst als „Lebens-
heiland" S. 283. — Das vollkommenste Kunstwerk S. 287. — Seher, Dichter
und Kiinstler S. 288. — Polemischer Streifzug S. 292. — Das Drama S. 294.
— Das reinmenschliche Drama S. 295. — Historischer Riickblick S. 296. —Das Verhaltnis zwischen Drama und Musik S. 299. — Das Verhaltnis zwischen
Dichtkunst und Tonkunst S. 305. — Stellung der iibrigen Kiinste im Wort-
Tondrama S. 311. — Der neue Begriff der Handlung S. 314. — Das Kunst-
werk der Zukunft S. 316. — Das deutsche Drama S. 319.
ANHANG: OBERSICHT DER SCHRIFTEN RICHARD WAGNER'S
Allgemeine Einteilung S. 322. — Aufzahlung S. 324.
DRITTESKAPITEL:RICHARDWAGNER'SKUNSTWERKEEINLEITUNG
Die Werke des Genies S. 331. — Musikalische Exegetik S. 334. —Zweck des Kapitels S. 337.
KUNSTWERKE DER ERSTEN LEBENSHALFTE
1. JugendversucheDie alte und die neue Sprache S. 339. — Wagner's erste Oper S. 343.
2. Die Feen und Das Liebesverbot
Die Dichtung und die Musik S. 344. — Wortdichter und Tondichter S. 350.
3. Rienzi und Der Fliegende Hollander
Geschichtliche Daten S. 354. — Das Quidproquo S. 355. — Rienzi S. 359.
— Der Fliegende Hollander S. 363.
4. Tannhauser und Lohengrin
Geschichtliche Daten S. 365. — Das Verhalten der Kritik S. 370. —Die biographische Bedeutung dieser Werke S. 374.
DIE VIER GROSSEN ENTWURFE1st die Oper moglich? S. 387. — Aus Unbewusstsein zum Bewusstsein
S. 391. — Das Grundgesetz des neuen Dramas S. 395.
KUNSTWERKE DER ZWEITEN LEBENSHALFTEEinleitendes S. 398.
1. Die Meistefsinger von Niirnberg
Die erste Fassung S. 401. — Die zweite Fassung S. 403. — Vergleich
zwischen einem Werk aus der ersten und einem aus der zweiten Lebens-
halfte S. 407. — Die Handlung im neuen Drama S. 410.
554 INHALTSUBERSICHT
2. Der Ring des Nibelungen
DerEntwurf vomjahre 1848S.413. — Die „Phasen"-Irrlehre S.420. — Die
Trilogie vom Jahre 1852 S. 424. — Die Handlung im Nibelungenring S. 426.
3. Tristan und Isolde
Das Gesetz der Vereinfachung S. 433. — Die Quellen zu Wagner's
Tristan S. 438. — Die Verklarung der Liebe S. 442. — Der „Gedanke" als
kiinstlerischer Stoff S. 445. — Wort und Ton S. 454.
4. Parsifal
Die Erregung des Mitleids S. 457. — Die „Allmacht des Willens" S. 459.
— Die geniale Wirkungsart S. 462.— Der Held als Sieger S. 465. — Wolfram's
Parsival S. 466. — Religiose Deutungen S. 466. — Der neue Begriff der
dramatischen Handlung S. 467. — Die Bedeutung der Dramen Richard Wagner's
in der Geschichte der deutschen Kunst S. 473.
ANHANG: UBERSICHT DER WERKE RICHARD WAGNER'SDichterische Werke S. 476. — Musikalische Werke S. 477. — Drama-
tische Werke S. 479.
VIERTES KAPITEL: BAYREUTHEINLEITUNG
Das Vermachtnis S. 485.
DIE FESTSPIELE
1838 S. 488. — 1848 S. 488. — 1851 S. 489. — 1862 S. 492. — 1865
S. 494. — 1870 S. 497. — 1872 S. 498. — 1873 S. 500. — 1874 S. 502. —Muncker und Feustel S. 503. — Adolf von Gross S. 505. — Grafin Wolken-
stein S. 505. — Karl Tausig S. 507. — Emil Heckel S. 508. — 1875 S. 509. —1876 S. 509. — Die Presse S. 510. — Die Kunstler S. 512. — 1882 S. 515.
— 1883-1894 S. 516. — Siegfried Wagner S. 519.
DER BAYREUTHER GEDANKEDer Kulturgedanke S. 521. — Das mythische Denken S. 527, — Der
Bildungsbarbar S. 532. — Der Kunstgedanke S. 533. — Bayreuth S. 535. —Kunst und Religion S. 537. — Kunst und Philosophie S. 538. — Kunst und
Naturwissenschaft S. 541. — Zusammenfassung S. 543. — Wagner und Schopen-
hauer S. 543. — Richard Wagner S. 546.
INHALTSUBERSICHT S. 551. — VERZEICHNIS DER ABBILDUNGENS. 555. — NAMEN- UND BEGRIFFREGISTER S. 559. — VERZEICHNISDER SCHRIFTEN VON HOUSTON STEWART CHAMBERLAIN S. 568.
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN
I. TEXTABBILDUNGENSeite
Richard Wagner. Marmorrelief von Gustav Kietz XVFranz Liszt. Bleistiftzeichnung von Ingres 20
Friedrich Nietzsche. Photographic aus Wagner's Besitz 21
Friedrich Nietzsche. Photographie aus Wagner's Besitz 22
C. Fr. Glasenapp. Photographie 23
Heinrich von Stein. Zeichnung von Paul Joukowsky 24
Hans von Wolzogen. Photographie 25
Ansicht von Wagner's Geburtshaus. Photographie 42
Adolf Wagner. Bleistiftzeichnung 45
Ludwig Geyer. Selbstbildnis 47
Ansicht der Kreuzschule in Dresden. Zeichnung 50
Theodor Weinlig, der Thomaskantor. Zeichnung 52
Albert Wagner. Photographie 54
Rosalie Wagner. Olgemalde . 55
Minna Wagner. Photographie 61
Wilhelmine Schroder- Devrient. Zeichnung 72
Dr. Pusinelli, Dresden. Photographie 74
August Roeckel. Photographie 76
Verkleinertes Faksimile des Steckbriefes im Dresdner Journal . . . 80
Franz Liszt. Pastellgemalde von Marechal 81
Ansicht von Gross-Graupa. Zeichnung von Robert Krausse 82
Das Marcolinische Palais, Dresden. Photographie 83
Das (abgebrannte) Dresdener Hoftheater. Photographie 84
Gottfried Semper. Lithographic 86
Franz Liszt. Photographie 89
Julie Rittcr. Photographic 91
Otto Wesendonck. Photographie aus Wagner's Besitz 92
Mathilde Wesendonck. Photographie aus Wagner's Besitz ...... 93
Mathilde Wesendonck. Photographie aus Wagner's Besitz ...... 94
Theodor Uhlig. Medallion von Gustav Kietz ... 95
Ansicht des Palazzo Giustiniani in Vencdig. Zeichnung von E. Harburger 99
Richard Wagner. Wien 1862. Photographie 105
Richard Wagner. Wien 1862. Photographie . 106
Richard Wagner. St. Petersburg 1863. Photographie 107
Richard Wagner. Moskau 1863. Photographie 107
556 VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN
Selte
Ansicht des „Asyls auf dem griinen Hiigel". Photographic 108
Ansicht des Hauses in Biebrich. Zeichnung 109
Charles Baudelaire. Photographie 110
Marie von Muchanoff. Photographie 112
Malwida von Meysenbug. Photographie 114
Ansicht von Wagner's Wohnhaus in Penzing 115
Richard Wagner. Wien 1862. Photographie . 116
Ansicht des Hauses in Mariafeld 118
Richard Wagner. Miinchen 1864. Photographie 120
Richard Wagner. Miinchen 1864. Photographie 121
Richard Wagner. Miinchen 1864. Photographie . 122
Ansicht von Wagner's Wohnhaus in Miinchen. Zeichnung ...... 123
Ludwig Schnorr von Carolsfeld. Zeichnung von F. Gonne 130
Richard Wagner. Paris 1867. Zwei Photographien 132
Richard Wagner. Paris 1867. Photographie 133
Ansicht des Hauses in Triebschen .... 134
Siegfried Wagner. 1882. Photographie 136
Richard Wagner. London 1877. Photographie 142
Richard Wagner. London 1877. Photographie 143
Graf Gobineau. Photographie 145
Ansicht des Hauses Wahnfried 147
Richard Wagner. Miinchen 1880. Photographie 150
Ansicht des Palazzo Vendramin. Photographie 151
Verena Stocker. Photographie . 158
Gruppenbild: Karl Tausig, Karl Klindworth und Hans von Bulow, mit
Biilow's Unterschrift in Faksimile 482
Grundriss des Bayreuther Orchesters. Zeichnung 494
Querschnitt des Bayreuther Orchesters. Zeichnung 495
Ansicht des Bayreuther Festspielhauses. Photographie 496
Richard Wagner. Gemalde von F. v. Lenbach . 499
Dr. von Muncker. Photographie 502
Friedrich Feustel. Photographie 503
Adolf von Gross. Photographie ... 504
Marie von Buch. Photographie 506
Grafin von Wolkenstein-Trostburg. Photographie 507
Friedrich von Schon. Photographie 508
Emil Heckel. Photographie \ • 509
Hans Richter. Photographie 514
Cosima Wagner. Gemalde von Paul Joukowsky 1880 ........ 517
Gruppenbild : Hans Richter, Hermann Levi, Felix Mottl. Photographie 518
Julius Kniese. Photographie 519
Siegfried Wagner. Marmorbiiste von A. Hildebrand 520
Ansicht des Saales im Hause Wahnfried. Photographie 525
Wagner's Hund Marke. Photographie 549
VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN 557
II. EINSCHALTBILDER UND BEILAGENSeite
Richard Wagner. Gemalde von F. v. Lenbach 1874. Original im Besitz
der Grafin von Wolkenstein-Trostburg in Paris. (Titelbild zu Band I).
Richard Wagner's Mutter. Aquarell von Auguste Bohm, Leipzig 1839.
Original im Besitz des Herrn F. Avenarius in Dresden 48
Richard Wagner. Bleistiftzeichnung von E. B. Kietz, Paris 1842. Ori-
ginal im Besitz von Frau Cosima Wagner in Bayreuth 64
Richard Wagner 18S3. Nach einer von Fr. Hanfstaengl lithographierten
Zeichnung von Clementine Stocker-Escher aus dem Verlage von
Breitkopf & Haertel in Leipzig 84
Mathilda Wesendonck. Photographic nach dem Leben ........ 94
Hans von Biilow. Zeichnung von F. v. Lenbach ........... 96
Konig Ludwig IL Aquarellierte Photographic nach dem Leben aus
R. Wagner's Besitz 128
Cosima Wagner. Olgemalde von F. v. Lenbach. Original im HauseWahnfried 136
Cosima Wagner. Olgemalde von F. v. Lenbach Original im Hause
Wahnfried 144
Richard Wagner mit seiner Tochter Eva und dem Hunde Russ. Photo-
graphic nach dem Leben 152
Schiller. Olgemalde nach Tischbein von J. B. Krausse. Aus R. Wagner's
Besitz 200
Schopenhauer. Olgemalde von F. v. Lenbach. Aus R. Wagner's Besitz 216
Beethoven. Olgemalde nach F. Waldmiiller von J. B. Krausse. AusR. Wagner's Besitz 304
Goethe. Olgemalde von F, v. Lenbach. Aus R. Wagner's Besitz . . 320
Richard Wagner. Vergrosserung nach der photographischen Moment-aufnahme vom Jahre 1883 von A. von Gross in Bayreuth. (Letztes Bild
des Meisters.) Titelbild zu Band H.
Faksimile aus der Partitur der Feen, Akt HI, Szene 2. Nach der
Originalhandschrift aus dem Besitz S. M. des Konigs von Bayern . 344
Richard Wagner. Briissel 1860. Photographic 352
Faksimile aus einem Entwurf zum Fliegenden Hollander vomJahre 1841. Nach der Originalhandschrift aus dem Besitz der Familie
Ritter 364
Richard Wagner. Paris 1861. Photographie 368
Richard Wagner. St. Petersburg 1863. Photographie 384
Richard Wagner. Miinchen 1865. Photographie . 400
Faksimile aus der Partitur der Mei s ter si n ge r, Akt HI, letzte Szene.
Nach der Originalhandschrift aus dem Besitz S. M. des Konigs von Bayern 406
Richard Wagner. Luzern 1868. Photographie 408
Faksimile aus dem ersten Entwurf zu Siegfrieds Tod vom Jahre 1848.
Nach der Originalhandschrift aus dem Besitz der Familie Ritter . . 418
Faksimile aus der Partitur der Walkiire, Akt II, Vorspiel. Nach der
Originalhandschrift aus dem Besitz S. M. des Konigs von Bayern . 428
Chamberlain, Richard Wagner ill. Ausg. 36
558 VERZEICHNIS DER ABBILDUNGEN
Seite
Richard Wagner. London 1877. Photographic 432
Richard Wagner. London 1877, Photographic 448
Verkleinerte Wiedergabe cincr Scite aus der (gcstochenen) Partitur von
Tristanundlsolde 456
Richard Wagner. Miinchen 1865. Photographic 474
Cosima Wagner. Marmorbiiste von Gustav Kietz. Original im Hause
Wahnfried 486
Richard Wagner. Bayrcuth 1873. Photographic von A. von Gross . . 488
Faksimile aus der Originalhandschrift, Schriften Bd. VI, S. 388/89 . 492
Richard Wagner. Nach einem Gouache von 1877 von H. v. Herkomer.
Original im Hausc Wahnfried 512
Richard Wagner und Siegfried Wagner. Neapel 1880. Photographic • 514
Siegfried Wagner. Marmorbiiste von A. von Hildcbrand. Original im
Hause Wahnfried 520
Faksimile aus der Originalhandschrift von „Beethoven", Schriften,
Bd. IX, S. 144 522
Cosima Wagner. Photographic nach dem Leben von A. von Gross,
Bayrcuth 1888 • 526
Franz Liszt. Olgemalde von F. v. Lenbach. Original im Hause Wahnfried 530
Richard Wagner. Rotelzeichnung von F. v. Lenbach. Original im Hausc
Wahnfried ^ .536Richard Wagner. Miinchen 1880. Photographic 544
REGISTER
Das vorliegende Register soil nicht allein einen vollstandigen Namenindexgeben, sondern zusammen mit der Inhaltsubersicht den Gebrauch des Buches
zu wirkJichen Studienzwecken erleichtern. Darum habe ich die wichtigsten
BegrifPe aufgenommen und unter dem Namen Wagner ein mehrfach gegliedertes
Schema angelegt, welches sich hoffentlich im Gebrauch als praktisch erweisen
wird. Lohengrin z. B. ist nicht (wie die Inhaltsubersicht vermuten lassen konnte)
an einem einzelnen Orte abgehandelt, sondern die friiheren Werke werden immerwieder bei Besprechung der spateren herangezogen; desgleichen findet der Leser
nirgends ein eingehendes Referat uber Wagner's Rede im Vaterlandsverein; mit
Hilfe des Registers aber kann er leicht die vielen Stellen zusammensuchen,wo diese wichtige Kundgebung besprochen wird. Bei den Kunstwerken jedoch
wurden nur die wichtigsten Erwahnungen beriicksichtigt; die Schriften sind nur
zum kleineren Teil angefuhrt und zwar in der Regel nur dann, wenn die Schrift
als Ganzes erwahnt wird. Eine Ubersicht der Zitate war geplant, hatte aber
bei der grossen Anzahl zu weit gefiihrt. Eigennamen, die wie Liszt und Uhlig
unzahligemal als Adressate von angefuhrten Briefen des Meisters vorkommen,
sind nur dann ins Register aufgenommen worden, wenn von der betrefFenden
Person ausdriicklich die Rede ist.
Aschylos 50, 280, 536.
Asthetik 12, 206, 272, 315,331 fg., 390.
Afghanistan, ein Volksmarchen aus 442Ahasver 252.
Alexander der Grosse 75, 463.
Ambros, Dr. A. W. 329.
Anarchismus, der 199 fg.
Ander, A., Sanger 115.
Anders, E., Bibliothekar 60, 326.
Apel 477.
Appia, A. 313 fg., 451.
Architektur 292.
Aristoteles 296, 300, 333, 540, 542.
Arnd 78.
Asher, Dr. David 13, 223.
Auber 348, 349, 529.
Auge, das (als kiinstlerischer Faktor imDrama) 380 fg., 449 fg., 469.
Augsburger Allgemeine Zeitung 1 19, 123.
Aurevilly, Barbey d' 112.
Avenarius, Verleger 54.
— (siehe auch Cacilie Geyer).
Bach, J. S. 30, 49, 309, 319, 335, 349,
386, 422, 529.
Bach, Minister 203.
Bahr, Karl 91.
Bakunin 74.
Bataille 112.
Baudelaire, Charles 25, 111.
Baumgarten 278.
Baumgartner, Wilh. 90, 350.
Bayreuth 139 fg., 483 fg., 521 fg., 526 fg.,
535 fg.
„Bayreuther Blatter", die 26 fg.
Bayreuther Festspiele, die 27, 139 fg.,
157 fg., 338, 369, 380, 497, 509 fg.
Bayreuther Festspielfonds, der 131, 496.
Bayreuther Festspielhaus, das 15, 27,
124, 140, 146, 157, 482 fg., 497 fg.,
522 fg., 532 fg.
„Bayreuther Gedanke", der 10, 27, 231,
241, 487, 498 fg., 521—549.Bayreuther Kiinstler, die 512 fg.
Bayreuther Orchester, das 493 fg.
Bayreuther Patronatverein, der erste
140, 497, 500 fg., 507 fg.
Bayreuther Patronatverein, der zweite
140, 497, 500.
„Bayreuther Schule", die 140, 512.
Beethoven II, 19, 30, 42, 49, 52, 56,
62, 63, 65, 79, 85, 110, 113, 137, 146,
150, 154, 163, 216, 249, 273, 285, 304,
309, 320, 326, 336, 339, 348, 349, 356,
375, 392, 475, 498, 500, 536.
Berlioz 59, 79, 395.
Bellini 58.
Betz, Franz 500.
36*
560 REGISTER
Beust, Graf 81, 178, 179, 203.
Biedenfeld, Freiherr von 375.
Bildhauerkunst 293,
Bismarck 180, 249.
Blum, K. 478.
Boccaccio 45.
Boccherini 67.
Bohtlingk, Prof. Otto 257.
Boieldieu 349.
Bonnier, Pierre et Charles 407.
Borsencourier, der Berliner 511.
Brandt, Karl 515.
Breitkopf & Hartel 399.
Brendel, Franz 93, 248, 252.
Brockhaus (siehe Ottilie Wagner).Brockhaus, Verleger 54.
Bruno, Giordano 44, 45, 527.
Buch, Marie von (siehe Grafin Wolken-stein)
Buchner, Ludwig 211.
Buckle, Henry Thomas 245.
Buddha 229, 258, 462, 463, 545.
Bugge, Prof. Sophus 420.
Biilow, Hans von 86, 94, 96, 111, 129,
130, 137, 141, 152, 495, 514.
Bulwer 63, 354, 466.
Burns 44, 45.
Byron 44, 87.
9akuntala 417.
Calderon 296, 474, 529.
Calm, Felix 26.
Qankara 242.
Carlyle 6, 16, 31, 199, 332, 527.
Casar 45.
(^atapatha Brahmana 358.
Cellini, Benvenuto 161.
Challemel-Lacour 112.
Chamberlain, Houston Stewart V, 77,
350, 363, 396, 407, 432, 455, 465, 467,
489.
Champfleury 111.
Chateaubriand 198.
Cherubini 58, 349.
Comte, Auguste 202 (2).
Corneille 315.
Cornelius, Peter 93, 117.
Cromwell, Oliver 220.
Dannreuther, E. 476.
Dante 45.
Darmesteter, Arsene 434.
Darwin 281, 542.
David, chef de claque 113.
David, Prof. 252.
Davidsohn, George 511.
Demokrit 1, 539, 540, 542.
Deussen, Prof. Paul 217.
Devrient, Eduard 323.
Devrient, Ludwig 131.
Dichter, der 288 fg.
Dickens 381.
Dingelstedt, Franz 249, 399.
Dinger, Hugo 74.
Dinosauren, die 257.
Donizetti 60, 479.
Dorn, Heinrich 415.
Draesecke, Felix 93.
Drama, das 287 fg., 292 fg., 467 fg.
Drama, das deutsche 30, 37, 138, 319 fg.,
412, 474.
Drama, das reinmenschliche 295 fg.,
314, 396, 412, 471.
Drama und Musik, das Verhaltnis
zwischen 299 fg., 353, 363— 365,
382 fg., 405 fg., 431, 445-457, 465, 471.
Dramma per musica, il 300, 319.
Dresden, der Maiaufstand in 16, 38, 65,
77 fg., 174 fg.
Dresden, die Hofoper in 71.
Dresden, Intendant der Hofoper in (siehe
Freiherr von Liittichau).
Edda, die 413, 421.
„Ehre", die 444.
Eigentum, das 243.
Ellis, William Ashton 81.
Entartung, die (Verfall) 238, 240, 254,
263.
Enzenberg, Graf 128.
Ernst, Alfred 384.
Este, Isabella d' 162.
Exegetik, musikalische 10 fg., 272,
555 fg., 524.
Ferry, Jules 112.
Fetis 11.
Feuerbach 209 fg., 245, 250, 264, 423.
Feustel, Friedrich 503.
Fischer, Chordirektor 64, 71, 322.
Fouiilee, Alfred 256.
Frantz, Konstantin 137.
Franziskus, der heilige 148, 463.
Franzosen, die 62, 106 fg.
Frauenstadt, Julius 211.
Freiheit, die 198, 266, 285, 544.
Freytag, Gustav 250.
Friedrich August, Konig von Sachsen80, 102, 478.
Friedrich Wilhelm IV. 77.
Fritzsch, E. W. 322.
Frobel, Julius 128.
Gasparin, Komtesse 111.
Gasperini 111.
Gautier, Judith 149.
REGISTER 561
Gautier, Prof. Leon 286.
Gautier, Theophile 111.
Gebarde, die dramatische 427, 449 fg.
Gedanke, der, als kunstlerischer StofF
445 fg.
Geibel, Em. 413.
Geld, das 200, 242.
Genie, das 220, 283, 331, 463.
Gever, Caciiie (Avenarius) 54.
Gever, Ludwig 43, 45 fg., 153.
Glasenapp V, X, 8, 19, 22, 35, 59, 60,
77, 336, 476, 477, 497, 531.
Gleizes 224, 246, 258.
Gluci<58, 65,85, 110,111, 161, 162,297,
504, 306, 310, 319, 348, 349, 392, 474,
479.
Gobineau, Graf 25, 144, 247.
Goethe XII, 13, 15, 30, 45, 49, 51, 63, 68,
89, 161, 164, 183, 226, 230, 249, 255,
273, 284, 291, 320.
Goethe, zitiert X, 5, 6, 27, 35, 159, 161, 175,
178, 181, 182, 183, 184, 230, 280 (2),
281, 285, 297, 298, 301, 312, 313, 327,
332, 338, 391, 428, 463, 485, 488, 493,
513, 549.
Goethe-Forscher 18.
Golther, Prof. W. 335, 366, 420.
Gondoliere, Wagners 152.
Gottfried von Straliburg 33, 338, 435,
438, 440.
Gozzi 63, 358, 466.
„Grenzboten", die 371.
G retry 493.
Gross, Adolf von 505.
Grun, Karl 211.
Gwinner, Wilh. 541.
Gumbert, F. 472.
Gyrowetz, Adalbert 67.
Habeneck 59.
Hafis 117, 220, 529, 536.
Halevv 60, 479.
Handel 319, 474.
Handlung, dramatische 314, 361, 380,
410, 426 fg., 435 fg., 466, 467 fg., 473.
Hauptmann, Moriz 11, 252, 370.
Hausegger, Fr. v. 228, 278.
Hauser, Regisseur, Franz 56.
Havdn 85, 309, 319, 349.
Hebbel 413, 485.
Hebert, Abbe Marcel 190, 389, 421.
Heckel, Emil 508, 516.
Meckel, Karl 497, 503, 516.
Hegel 210, 211, 215.
Heim, Musikdirektor, und Frau 86.
Heine, Ferdinand 322,
Heine, Heinrich 478.
Herbart, F.J. 301.
Herder 44, 163, 294, 298, 315, 320, 392,
412, 413, 420, 430, 447, 449, 450, 453,
467, 470.
Herwegh, Georg 86, 228, 245, 249.
Hertz, Prof. W. 335.
Hildebrand, Adolf IX.
Hillebrand, Karl 90.
Hiller, Ferd. 67, 323.
Hobbes 53.
Hoffmann, E. T. A. 300, 308, 320, 392,
475.
Holmes, Augusta 274.
Holtei, Karl von 57.
Homer 289, 381.
Hugo, Viktor 478.
Hiilsen, von, Intendant in Berlin 107.
Humboldt, Alex, von 185, 218.
Ifnand 51.
Indische Spruche 27, 192, 242, 257, 418,
532, 545, 546, 549.
Jahn, Otto 11, 333.
Janin, Jules 112.
Joachim 252.
Jockey-Klub, der Pariser 106.
Jongleurs, die 286.
Jordan, Wilhelm 313.
Josef II., Kaiser 266, 466.
Judentum, das 244, 248 fg., 270.
Jungfraulichkeit, die 461.
Kaiser von Brasilien, der 399.
Kant 198, 206, 208, 215, 216, 241, 261,
278, 283, 311, 316, 332, 526, 532.
Karl der Grosse 192.
Kastner, E. 476.
Kean 131.
Keller, Gottfried 86.
Kietz, Ernst 60.
Kietz, Prof. Dr. Gustav 79.
Kipke, C. 493.
Kittl, Friedrich 479.
Kleist, Heinrich von III, 300, 320.
Klindworth, Karl 93.
Kniese, Julius 519.
Kohler, L. 10, 93, 272.
Kolnische Zeitung, die 511.
Konigtum, das 191.
Kostlin, Professor 26.
Kotzebue 51.
Krieg von 1870, der 128, 138, 142, 180,521.
Kritik, die 4, 27, 66, 149, 370, 511.
Kunst, die 8, 9, 225, 266 fg., 274 fg.,
293 fg., 331, 486, 522, 5M, 537, 541.
Kunst, deutsche 29, 319, 374.
Kunst, griechische 30, 154, 273, 286,468,489, 523, 539.
562 REGISTER
Kunst, die, als „Lebensheiland" 152, 266,
283, 543.
Kunst, die Wurde der 274, 279 fg., 486,
535.
Kunstler, der 9, 10, 290 fg.
Kunstwerk der Zukunft, das 316, 475,
523.
Kuntze, Otto VII.
Kurz, H. 46.
Laforgue, Jules 241.
Lagarde, Paul de 532.
Landschaftsmalerei, die 245.
Lange, F. A. 539.
Lanzi 45.
Laplace 281.
Lassalle, F. 202.
Lasso, Orlando di 319.
Laube, Heinrich 56.
Laussot, Madame 90.
Lehmann, Marie 500.
Lehrs 60.
Leibniz 464.
Lenbach, Franz von (Portrat Wagner's)216.
Leipzig, Volkerschlacht bei 37Leitmotive, die 336, 383.
Leroy, Leon 112.
Lessing 298.
Lessmann, O. 455.
Liebig 245.
Lindau 113.
Liszt, Cosima (siehe Cosima Wagner).Liszt, Franz 6, 11, 19 fg., 24, 28, 76, 79,
88 fg., 92, 93, 95, 111, 124, 125, 135,
1 36, 1 44, 1 68, 1 78, 322, 374, 387, 393, 395,
480, 530.Logier, Musiktheoretiker 341.
Lombroso, Professor 464.
Lorbac, Charles de 112.
Lubke, Wilhelm 372.
LudwigII.,K6nig25, 104,105,120,122fg.,
136, 140, 144, 348, 380, 478, 495, 502,
510.
Lully 349.
Luther 148, 184, 252.
Luttichau, Freiherr von 71, 73, 77, 177.
Maler, die italienischen 292.
Mannhardt, Prof. 421.
Marschner 348, 363, 479.
Marx, A. B. 56.
Marx, Karl 202.
Mayrberger 12.
M6hul 57, 349.
Meinck, Dr. 335.
Mendelssohn, Felix 56, 252, 349.
Mendes, Catulle 112.
Metternich, Fiirst 203.
Metternich, Furstin 108, 478.
Meyerbeer 59, 64, 106, 252, 359, 360.
Meysenbug, Baronin Malwida von 113.
Micha, der Prophet 253.
Michelangelo 164.
Mill, John Stuart 202.
Milton 305.
Mitleiden, das 221, 457, 548 (2).
Mitterwurzer, Anton 495.
Moleschott, Professor 211, 245.
Moliere 356.
Monteverde 297, 298.
Morin 112.
Moscheles 252.
Mozart 11, 49, 57, 58, 63, 85, 150, 161,
162, 309, 320, 339, 341, 348, 349, 392,410, 474, 479, 529.
MuchanoPF, Marie von 113, 138.
Miiller, Regierungsrat Franz 93, 374, 455.
Miinchen, das Festspielhaus in 119, 120,
495 fg.
Miinchen, deutsche Musikschule in 12,
120.
Muncker, Burgermeister Dr. von 503.
Muncker, Prof. 8, 335, 389.
Musik, die 10, 299 fg.,335 fg., 341, 352 fg.,
363, 382 fg., 405 fg., 415, 431, 448 fg.,
524.
Musik-Zeitung, Allgemeine 455.
Myroslawsky 370.
Nahrungsfrage, die 244, 256, 257.
Napoleon 75, 363, 529.
Napoleon III. 107, 180.
Naturwissenschaft, die 4, 6, 245, 281 fg.,
542.
Nesselrode, Grafin (siehe Muchanoff).Newton 283.
Nibelungenlied, das 413, 415.
Nicodemus 528.
Niemann, Albert 500.
Nietzsche, Friedrich IX, 20, 2% 29, 31,
100, 329, 521, 522, 528, 535.
Nikolaus, Kaiser 478.
Nohl, Ludwig 8, 253.
Novalis 164, 398, 433, 450, 543.
Nuitter, Charles 109, 112.
Oberlander, Kultusminister 177.
Objektivitat, die 7, 22.
Odipus 14, 531.
Offenbarung 541 (2).
Oldenberg, Professor Hermann 257,
462.
Ollivier, Emile 112.
Omar Khayyam 220, 235.
Oper, die 355 fg., 349, 385.
REGISTER 563
Palestrina 309, 349, 457, 479, 529, 536.
Pascal 241.
Paulus, der Apostel 145.
Pecht, Friedrich 349 (2).
Pergolese 349.
Peri 297.
Petrarca 45.
Pfohl, Ferd. 374.
Phidias 216, 536.
Philister, der 123, 532.
Philosophic, die 206, 208, 230, 277, 539 fg.
Pindar 289.
Plato 205, 216, 219, 539, 540.
Pohl, Richard 8, 11, 93, 374.
Pope 181, 183.
Porges, Professor 515.
Presse, die 66 fg , 372, 503, 511, 512.
Prolss, Robert 73, 77.
Prometheus III, 514.
Proudhon, P. J. 199.
Pusinelli, Dr. IX.
Pythagoras 258.
Ranke, Joh. 258.
Raphael 536.
Rassenfrage, die 185, 247, 256.
Raupach 477.
Rebling, Gesangverein 500.
Reinmenschliche, das 259, 295 fg., 322,
323, 325, 396, 408, 427, 472.
Reissiger 67.
Religion, die 262, 267 fg., 467, 537, 546,549.
Renan, Ernest 215.
Reuss, Eduard 360.
Revue et Gazette musicale de Paris 327.
Revue Wagnerienne 439.
Reyer, Ernest 112.
Richter, Jean Paul 320, 342.
Richter, Hans IX, 514.
Riedel, Gesangverein 500.
Riehl, W. H. 323.
Rigveda, die 358.
Rio de Janeiro 399.
Ritter, Alexander 54, 91, 93, 378, 388.
Ritter, Franziska (siehe Wagner).Ritter, Frau Julie 90, 96.
Ritter, Karl 86, 99, 212.
Robespierre 529, 537.
Roche, Edouard 112.
Roeckel, August 70, 75, 79, 127, 322,
395.
Roempler, Buchdrucker 176 (2).
Ronsard 478.
Rossini 275.
Rousseau, Jean Jacques 202, 241, 258,
285, 308.
Rubens 150.
Sachs, Hans 403.
Sarti, Giuseppe 11.
Savonarola 148.
Schemann, Ludwig 144, 217.
Scheuerlin 478.
Schiller 30, 45, 49, 51, 75, 89 161, 164,
197 fg., 200, 320, 357, 361, 415, 475,
525, 536, 537.
Schiller, citiert 69(2), 110, 164, 171, 174,
197 (2), 199, 200, 232, 241, 265, 274,
282, 284, 285, 292, 296, 297, 301, 310,
311, 447, 486, 489.
Schleinitz, Freifrau von (s. Wolkenstein).
Schlesinger, Verlagsfirma 59.
Schlosser, Rud. 389.
Schmid, Pater 8.
Schnorr von Carolsfeld, Ludwig 116,
130, 495.
Schnorr von Carolsfeld, Frau 495.
Schonaich, Dr. Gustav 116.
Schopenhauer 2, 13, 101, 102, 123,
206, 209, 211, 215 fg., 233, 260, 261,
278, 300, 317, 423, 424, 445, 540, 543,
548.
Schopenhauer citiert 13, 36, 234, 260 (2),
467, 277, 278, 281, 308, 331 (2), 377,
463, 475, 541, 544, 546, 547.
Schott, Frau Betty 478.
Schroder-Devrient, Wilhelmine 71, 514.
Scotus, Joh. Duns 228, 413.
Scribe 58, 59, 359, 361, 479.
„Seher", der 10, 288 fg., 381, 398.
Semper, Gottfried 86, 120, 495.
Seneca 249.
Shakespeare 30, 50, 51, 63, 89, 98, 146,
153, 226, 273, 296, 305, 315, 331, 345,
357, 358, 415, 422, 435, 445, 466, 469,472, 474, 530, 536.
Simonides 289.
Sklaventum, das 198, 544.
Sokrates 333.
Sophokles 14, 30, 50, 290, 315, 331, 470,
474, 523.
Spencer, Herbert 181.
Spinoza 230.
Spontini 58, 349, 359, 376, 529.
Sprache, die 9, 340, 454, 471.
Springer, R. 224.
Standthartner, Hofrat Dr. 117.
Stein, Charlotte von XII.
Stein, Heinrich von 19, 24 fg., 144, 158,
241, 259, 527.
Stern, Professor A. 500.
Stern, Gesangverein 500.
Sternau, C. P. 66.
Sterne, Laurence 2, 8.
Stirner, Max 215.
Sulzer, Jakob 90, 339.
564 REGISTER
Taine, H. 529.
Tappert, Wilhelm 8, 12, 343 (2), 371, 476.
Tat-tvam-asi 220, 548.
Tausig, Karl 118, 507, 508, 511, 514.
Thadden-Trieglaff, von 249.
Thespis, der Karren des 523.
Thum, Professor 79.
Tichatschek 71.
Tolstoi, Graf Leo 216, 270.
Toussenel 250.
Treitschke, Heinrich von 249.
Uhlig, Theodor 9, 17, 94, 96, 322.
Vacquerie, Auguste 112.
Vegetarismus, der 244 fg., 254, 256.
Vendramin, Palazzo 152.
Verlaine, Paul 495.
Vieuxtemps 59.
Vilmar A. F. C. 18.
Villot, Frederic 112.
Vinci, Leonardo da 162, 164, 165, 226,401.
Vischer, F. T. 68.
Vivisektion, die 157, 324, 547.
Vogel, B. 8.
Vogt, Karl 211.
Volkerwanderung, zur Zeit der 192.— die neue 256.
Voltaire 1.
Wagner der Denker 164, 173, 205 fg.,
323. (vergl. W." Philosophie und W.'sWeltanschauung),der Dichter 202, 294, 350, 353, 357,
358, 363, 382, 432 usw.
„ Dramatiker 316 fg , 356, 467 fg.,
473.
„ Kiinstler 10, 166, 173, 203, 204,
206, 207, 226, 269, 274, 293,
323, 340, 464, 523, 546.
„ Musiker 10, 353, 356, 363, 376,
384, 385, 411, 431 u. s. w.
„ Opernkomponist 355 fg., 385.
„ Patriot 62, 78, 125, 138, 140,
175 fg., 183 fg.
„ Politiker76, 125 fg., 181 fg., 203.
„ Reformator 152, 164, 196, 256 fg.,
284 fg., 528.
„ Revolutionar60,74,75,155,174fg.,197 fg.
„ Schriftsteller 98 fg., 163, 166 fg.,
391.
„ Wort-Tondichter 31, 350, 351,
395, 454 u. s. w.
Wagner in Bayreuth 40, 139, 141 fg.,
157 (2), 497, 498.
in Berlin 57, 157.
Wagner in Biebrich 156.
in Chemnitz 79.
Dresden 39, 49, 64 fg., 153, 155.
Italien 141, 158.
Konigsberg 40, 57, 154.
Leipzig 39, 49, 153.
London 58, 85, 154, 156, 157.
Luzern 156, 157.
Magdeburg 40, 56, 57, 154.
Munchen 40, 104, 105, 120 fg.,
156.
Palermo 158.
Paris 40, 59 fg., 104, 105 fg., 155,
156.
Pest 104, 156.
Petersburg 104, 156.
Prag 104, 156,
Riga 40, 57, 154.
Stuttgart 104.
Triebschen 22, 40, 131 fg., 157.
Venedig 141, 156, 158.
Weimar 79, 156.
Wien 40, 104, 113 fg., 156.
Wurzburg 40, 53, 154.
Zurich 40, 85 fg., 104, 156.
der Schweiz 85, 102, 116, 131.
Wagner'sAnhanger 25, 87 fg., Ill, 112, 117,
124, 371, 501, 503 fg., 516, 536.
Antlitz 12, 146, 149, 485.
Berichte iiber seinen Lebensgang V,
15, 326.
Briefe 17, 322.
Bildungsgang 47 fg., 340,
Ehe, erste 57, 60, 133.
„ zweite 131, 135, 516.
Entwickelungaus Unbewusstsein zumBewusstsein 97, 98 fg., 373, 391 fg.,
407.
Familie 41, 53.
Fehler 27 fg., 68, 149.
Festspielidee 57, 119, 128 fg., 141,
488.
Geburt 42.
Gesprache 18, 530, 531.
Gestaltungskraft45,358fg.,381,419fg.,
438, 453, 529 fg.
Heftigkeit 149.
Hunde 547.
Kulturgedanke 240, 522 fg.
Kunstlehre 265 fg., 271 fg., 472, 533 fg.,
543.Lebensperioden 39 fg., 97, 149, 351,
399.
musikalischeBegabung52,340fg.,349.mythische Denkweise 184, 225, 528 fg.
Pessimismus 220, 223, 233, 259 fg.
REGISTER 565
Wagner'sPhilosophie 101, 205 fg., 233, 260,
266 fg., 277, 423, 538-549.Prachtliebe 150.
Redegabe 19.
Rede im Vaterlandsverein (1848) 76,
182, 186, 188, 192, 194, 200, 237,
242.
Rede in St. Gallen (1856) 489.
Rede in Bayreuth (1872) 125, 139,
498, 499.
Rede in Bayreuth (1873) 144.
Rede in Bayreuth (1876) 537.
Regenerationslehre 146, 206, 232 fg.,
253 fg., 279 fg., 318, 475, 523, 544.
Religion 145 fg., 188 fg., 262 fg., 269,
284, 466, 537, 545—549.Sehnsucht nach Liebe 70, 135, 144,
440, 547.
Sehnsucht nach dem Tode 220, 441 fg.
Selbstlosigkeit 69, 118, 122, 144, 151,
171, 496, 500, 502, 521.
sprachliche Begabung 49, 100, 340.
Tierliebe 70, 221, 346, 547.
Tod 141, 148, 158, 487.
„unendliche Cute" 149, 152.
Verachtung des Ruhmes 70, 143.
Verhaltnis zu Konig Ludwig II. 87,
122 fg., 144, 502.
Verhaltnis zu Liszt 20, 21,79, 88fg.,
124, 125.
Verhaltnis zu Schopenhauer 101, 215fg.
233, 260, 267, 278, 317, 543, 548.
Wahrheitsliebe 16, 69, 83, 176, 189.
Weltanschauung 230, 233, 277 fg. 423,
464 545 549.
Willenskraft 69,* 149, 164, 459 fg.
Wagner's Schriften:
Beethoven 137, 157, 166, 206, 223,
227, 237, 325.
Buhnenfestspielhaus zu Bayreuth, das157, 326, 497 fg.
Deutsche Kunst und deutsche Politik
157, 227, 237, 324.
Ein deutscher Musiker in Paris 61,
155, 221, 327.
Eine Mitteilung an meine Freunde97, 156, 169, 236, 326, 384, 491.
Ein Theater in Ziirich 156, 207, 237,
325.
Entwurf zur Organisation eines deut-
schen Nationaltheaters 186, 325,488.
Erkenne dich selbst 236, 240, 324.
Gesammelte Schriften undDichtungen138, 157, 322 fg.
Heldentum und Christentum 145,236,
324.
Wagner's Schriften:
im allgemeinen 99, 163 fg., 391.
Judentum in der Musik, das 155, 187,
237, 248, 252, 324.
Kunst und die Revolution, die 96, 155,
169, 189, 196, 205, 236, 324.
Kunst und Klima 97, 155, 236, 325.
Kunstwerk der Zukunft, das 97, 155,
169, 206, 236, 325.
Modern 157, 237, 248, 324.
Oper und Drama 97, 156, 169, 206,
236, 325, 538.
Publikum in Zeit und Raum, das
237, 324.
Publikum und Popularitat 157,237,324.
Religion und Kunst 145, 158, 172,
223, 235, 324.
Ober das Dichten und Komponieren157, 325, 336.
Ober das Dirigieren 137, 157, 325.
Ober das Weibliche im Menschlichen
158, 236, 324.
Ober die Anwendung der Musik auf
das Drama 157, 325, 384.
Ober die Bestimmung der Oper 137,
157, 237, 325.
Ober die Goethestiftung 156,237,325.
Ober die Vivisektion 157, 236, 324,
547.
Ober eine in Miinchen zu errichtende
deutsche Musikschule 120, 156, 325.
Ober Schauspieler und Sanger 157,
206, 325.
Ober Staat und Religion 120, 156, 172,
193, 206, 227, 237, 324.
Tabellarische Obersicht samtlicher
Schriften 322 fg.
Was ist deutsch? 145, 157, 237,324.
Wasniitztdiese Erkenntnis? 232,236,
324.
Wibelungen, die 186, 243, 324, 388, 424.
Wiener Hofoperntheater, das 325, 488.
Wollen wir hoffen? 145, 157,235, 324.
Zukunftsmusik 227, 237, 325.
(Fiir alle hier nicht angefiihrten Schriften
vergl. man S. 322-328).
Wagner's Werke:Achilleus 97, 390, 480.
Barenfamilie, die gliickliche 479.
Columbus-Ouvertijre 477.
dramatische Werke im allgemeinen 29,
41, 316, 319, 321, 329fg., 331, 338,
474 fg., 479 fg.
Faust-Ouvertiire 63, 478.
Feen, die 52, 55, 154, 344 fg., 480.
Festmarsch, grofier 478.
566 REGISTER
Wagner's Werke
:
Fliegende Hollander, der 59, 64, 65,
155, 227, 354, 363 fg., 378, 382 fg.,
480.
FriedrichderRotbart96,193,388fg.,480.
Funf Gedichte, die 91, 478.
Gotterdammerung 137, 431, 481.
Hochzeit, die 52, 343 fg., 479.
Hohe Braut, die 479.
Huldigungsmarsch 348, 478.
Jesus von Nazareth 82, 97, 190, 388 fg.,
467, 480.
Kaiser-Marsch 138, 478.
Kapitulation, eine 477, 480.
Konig Enzio, Ouvertiire zu 154, 343,
477.
Konzert-Ouvertiire C-dur 343, 477.
„ D-moU 154, 343, 477.
Liebesmahl der Apostel, das 476, 478.
Liebesverbot, das 56, 57, 59, 344 fg.,
480.
Lohengrin 64, 82, 1 14, 156, 228, 365 fg.
380, 393, 402, 408, 441, 480, 489, 519.
Meistersinger, die 41, 82, 118, 121,
137, 156, 399, 401 fg., 480, 518, 524.
Parsifal 41, 98, 121, 148, 229, 347,
400, 457 fg, 482, 515, 516, 518, 525.
Paukenschlag-Ouvertiire 343, 477,
Polonia-Ouverture 478.
reindichterische Werke 476, 477.
reinmusikalische Werke 52,342,477 fg.
Rheingold, das 98, 157, 425, 481.
Rienzi, 58, 64, 155, 354, 359 fg., 480.
Ring des Nibelungen, der 82, 98, 156,
228, 400, 413 fg., 449 fg., 480, 481,
485, 490, 510, 512, 517, 518, 522.
Sarazenin, die 364, 479.
Schaferspiel, das 52, 154, 342.
Sieger, die 229, 424, 467, 480.
Siegfried 98, 137, 425, 481.
„ der junge 425, 481.
„ 's Tod 96, 388 fg., 417 fg.,
425, 481.
Siegfried-Idyll 132, 478.
Symphonie C-dur 52, 154, 343, 477.
Scene und Arie 52, 154, 343, 479.
Tannhauser 64, 82, 106, 155, 156,228,
365 fg.. 401, 480, 519.
Tristan und Isolde 98, 115, 128 fg.,
156, 228, 399, 433 fg., 481, 518.
Versuche, erste 51, 153, 342, 479.
Walkure, die 98, 157, 348, 425, 481.
Wieland der Schmied 96, 388fg., 480.
(Fiir alle hier nicht angefiihrten
Werke vergl. man Seite 476—482).
Wagner, Adolf 44, 51, 154.
„ Albert 48, 53, 479.
„ Cosima IX, 131, 135, 144, 516.
„ Franziska (Ritter) 54, 91.
„ Friedrich 43, 47, 153.
„ Gottlob Fr. 43.
„ Johanna Jachmann 54, 500.
„ Klara (Wolfram) 48.
„ Louise (Brockhaus) 48.
„ Ottilie (Brockhaus) 54.
„ Rosalie (Marbach) 48,53,56,479.Siegfried IX, 133, 144, 518.
„ Wilhelmine (geb. Planer) 57,
70, 133.
„ Woldemar, Zuckerbacker 81.
Wagner-Encyklopadie 531.
„ -Forscher 18, 335.
„ -Lexikon 25, 390.
„ -Museum VII, 3.
„ -Vereine,die 140,141,501,508,51 1.
Wagnerianer 536.
„Wagneriana", Aktiengesellschaft 501.
Wahnfried, Haus 49, 140, 157.
Walewska, Grafin 108.
Weber, C. M. von 45, 51, 52, 65, 85,
348, 349, 475, 478.
Weinlig, Thomaskantor 52, 154.
Wesendonck, Herr und Frau IX, XI, 86,
91, 478.
Whitney, W. D. 289.
Wieland 45, 272, 320.
Wigand, Verleger 212 (2).
Wigard, Prof. 175, 177.
Wilhelm I., Kaiser 28, 138, 511.
Wille, Herr und Frau 86, 104, 127, 133,
228, 442.
Wittmer, G. 126.
Wochenblatt, Musikalisches 343Wolff, Albert 113.
Wolfram, Kaufmann 79.
Wolfram v. Eschenbach 438, 460, 466 (2).
Wolkenstein-Trostburg, Grafin v. IX, 505.
Wolzogen, Hans Freiherr von IX, 20,
24, 25, 70, 335, 413, 428, 530.
Wort-Tondrama, das 305,308,311,361,
395, 408, 426, 448, 472.
Wort und Ton, das Verhaltnis zwischen242 fg. 454 fg.
Xenophon 276.
Zeller, Prof. E. 300, 539.
Zend-Avesta, die 258.
Zivilisation, die moderne 197, 199, 239,
460, 524, 532.
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:
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ist nicht nur das bedeutendste, sondern ohne alien Zweifel auch
das weitaus interessanteste Buch der gesamten Wagnerliteratur.
Zum ersten Mai erfahren wir, in welcher Weise dieses Genie
sein eigenes Leben erblickt und darstellt: Keiner wird das Buch
lesen, ohne von der dramatischen Gewalt der vollendet schlicht
gehaltenen Darstellung erfasst und bis ins Innerste bewegt zu
werden.
Wer das vorliegende Chamberlain'sche Werk studiert hat,
ist fiir die Lekture der Selbstbiographie des grossen Kunstlers
aufs beste vorbereitet; er wird immer wieder zu den stattlichen
Banden zuriickkehren, in einer Spannung, wie sie kaum das
Werk eines grossen Romandichters auszuiiben vermag.
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G. Ainslie Hight. 4°. XVII, 402 S. London 1897 (mit den Illustrationen
der deutschen Original-Ausgabe von 1896). VergriPFen.— Die selbe Ausgabe. 4°. Ohne Bilderbeilagen. London 1900. 10' 2 Sh.— Das selbe Werk. Franzosische Ausgabe. Aus dem Deutschen iibersetzt
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DRUCKFEHLERBERICHTIGUNG
Seite 357, Zeile 22, lies „in jenem oben (S. 355) angefuhrten Satz*
statt „in jenem oben (S. 331) angefuhrten Satz".
Die Zeichnung fiir den Einband entwarf Karl Koster.
University of California
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KfC'O 10-0J5!L^
QLAPR07l99rMAY 3 01997