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118 6. Festtreibstoffe 14. SUMMERFIELD, M.: A Theory of Unstable Combustion in Liquid.Propellant Rocket Systems, J. Am. Rocket Soc. 21, No.5 (1951). 15. DADIEU, A.: Fliissige Treibstoffe fUr Raketen; Leistung, Kosten und Beschaffung, Raketentechnik und Raumfahrtforschung S. 87 (1961). 16. CROCCO, L.: Aspects of Combustion Stability in Liquid.Propellant Rocket Motors, J. Am. Rocket Soc. 21 (1951),22 (1952). 17. BARRRRE, M., et J. J. BERNARD: Etude theorique des instabilites de basse frequence dans les fusees a liquide, Publication ONERA, VNo. 79. 18. BACHMAIER, F., und J. JIMENEZ: DLR·Forsch. Ber. 66-76 (1966) und 67-22 (1967). 6. Festtreihstoffe 6.1. Allgemeines und Einteilung Der Grundtypus der Feststoffrakete und ihre wesentlichen Eigenschaften wurden schon in Kap. 3.2. besprochen. Nunmehr sollen die diese Antriebsart bestimmenden festen Treibstoffe behandelt werden. Ihre ausfiihrliche Beschreibung wird dadurch er- schwert, daB der offenen Literatur auf diesem Gebiet sowohl durch militarische als auch durch Firmengeheimhaltung groBe Beschrankungen auferlegt sind. Obwohl die Grund- lagen der Komposition bei den verschiedenen Festtreibstofftypen allgemein bekannt sind [69], werden verschiedene wesentliche, besonders die Technologie der Herstellung und das Problem der ballistischen Zusatze betreffende Kenntnisse geheimgehalten. Deshalb muB die Behandlung des Stoffes auf diesem Gebiet notwendig unvollstandig sein. Feste Raketentreibstoffe sind Kompositionen aus Oxydator und Brennstoff, die bei normaler Temperatur fest und chemisch stabil sind. Sie bestehen entweder aus Verbin- dungen, bei welchen der zur Verbrennung notwendige Sauerstoff in den Molekiilen selbst enthalten ist oder sie sind physikalische Gemenge, in welchen Oxydator und Brennstoff im entsprechenden Verhaltnis innig vermischt sind. AuBerdem enthalten sie meist geringe Mengen von Zusatzen, urn die ballistischen und mechanischen Eigenschaften sowie die Stabilitat zu verandern bzw. zu verbessern. Die aus ihnen geformten Treibsatze sollen ihre raketentechnisch wichtigen Eigen- schaften beim praktischen und besonders beim militarischen Gebrauch iiber einen relativ groBen Temperaturbereich - also etwa von - 40 bis +50°Cl - behalten, d. h. formbestan- dig und ziindfahig sein und den mechanischen und thermischen Beanspruchungen bei Lagerung, Handhabung, Ziindung und Abbrand widerstehen. Die an einen Festtreib- stoff zu stellenden Anforderungen hangen weitgehend yom Verwendungszweck ab und sind selbstverstandlich verschieden, je nachdem, ob man ihn in einem Gasgenerator ver- wenden oder damit ein Starthilfegerat, eine Kampfrakete oder z. B. einen Satellitentrager antreiben will. Die beim Abbrand von Festtreibstoffen erzeugte Gasmenge liegt zwischen 30 und 50 Mol je Kilogramm; die Explosionswarmen 2 betragen im allgemeinen 500 bis 1600 kcaljkg. Die Abbranddriicke liegen im allgemeinen zwischen 30 und 300 at, sehr kurzzeitig konnen unter Umstanden auch noch hohere Driicke angewendet werden. Am haufigsten sind Werte zwischen 50 und 100 at. Es ist notig, einleitend auf einen sehr wesentlichen Unterschied des Antriebes mit Feststoffen gegeniiber dem Fliissigkeitsantrieb hinzuweisen: Wahrend der fiir den Schub 1 Unter Umstanden sogar bis + 70°C. 2 Die "Explosionswarme" ist die beim Zerfall von Explosivstoffen und Pulvern freigesetzte War me ; sie ist wohl zu unterscheiden von der Verbrennungswiirme, die bei der Verbrennung von Kraftstoffen bei Sauerstoffiiberschul3 entsteht, wenn vollstandige Verbrennung zu CO2 und H 20 eintritt. Da aile Festtreibstoffe in bezug auf Sauerstoff unterbilanziert sind, liegen die Explosionswarmen immer tiefer als die Verbrennungs. warmen.

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118 6. Festtreibstoffe

14. SUMMERFIELD, M.: A Theory of Unstable Combustion in Liquid.Propellant Rocket Systems, J. Am. Rocket Soc. 21, No.5 (1951).

15. DADIEU, A.: Fliissige Treibstoffe fUr Raketen; Leistung, Kosten und Beschaffung, Raketentechnik und Raumfahrtforschung S. 87 (1961).

16. CROCCO, L.: Aspects of Combustion Stability in Liquid.Propellant Rocket Motors, J. Am. Rocket Soc. 21 (1951),22 (1952).

17. BARRRRE, M., et J. J. BERNARD: Etude theorique des instabilites de basse frequence dans les fusees a liquide, Publication ONERA, VNo. 79.

18. BACHMAIER, F., und J. JIMENEZ: DLR·Forsch. Ber. 66-76 (1966) und 67-22 (1967).

6. Festtreihstoffe

6.1. Allgemeines und Einteilung

Der Grundtypus der Feststoffrakete und ihre wesentlichen Eigenschaften wurden schon in Kap. 3.2. besprochen. Nunmehr sollen die diese Antriebsart bestimmenden festen Treibstoffe behandelt werden. Ihre ausfiihrliche Beschreibung wird dadurch er­schwert, daB der offenen Literatur auf diesem Gebiet sowohl durch militarische als auch durch Firmengeheimhaltung groBe Beschrankungen auferlegt sind. Obwohl die Grund­lagen der Komposition bei den verschiedenen Festtreibstofftypen allgemein bekannt sind [69], werden verschiedene wesentliche, besonders die Technologie der Herstellung und das Problem der ballistischen Zusatze betreffende Kenntnisse geheimgehalten. Deshalb muB die Behandlung des Stoffes auf diesem Gebiet notwendig unvollstandig sein.

Feste Raketentreibstoffe sind Kompositionen aus Oxydator und Brennstoff, die bei normaler Temperatur fest und chemisch stabil sind. Sie bestehen entweder aus Verbin­dungen, bei welchen der zur Verbrennung notwendige Sauerstoff in den Molekiilen selbst enthalten ist oder sie sind physikalische Gemenge, in welchen Oxydator und Brennstoff im entsprechenden Verhaltnis innig vermischt sind. AuBerdem enthalten sie meist geringe Mengen von Zusatzen, urn die ballistischen und mechanischen Eigenschaften sowie die Stabilitat zu verandern bzw. zu verbessern.

Die aus ihnen geformten Treibsatze sollen ihre raketentechnisch wichtigen Eigen­schaften beim praktischen und besonders beim militarischen Gebrauch iiber einen relativ groBen Temperaturbereich - also etwa von - 40 bis +50°Cl - behalten, d. h. formbestan­dig und ziindfahig sein und den mechanischen und thermischen Beanspruchungen bei Lagerung, Handhabung, Ziindung und Abbrand widerstehen. Die an einen Festtreib­stoff zu stellenden Anforderungen hangen weitgehend yom Verwendungszweck ab und sind selbstverstandlich verschieden, je nachdem, ob man ihn in einem Gasgenerator ver­wenden oder damit ein Starthilfegerat, eine Kampfrakete oder z. B. einen Satellitentrager antreiben will.

Die beim Abbrand von Festtreibstoffen erzeugte Gasmenge liegt zwischen 30 und 50 Mol je Kilogramm; die Explosionswarmen 2 betragen im allgemeinen 500 bis 1600 kcaljkg. Die Abbranddriicke liegen im allgemeinen zwischen 30 und 300 at, sehr kurzzeitig konnen unter Umstanden auch noch hohere Driicke angewendet werden. Am haufigsten sind Werte zwischen 50 und 100 at.

Es ist notig, einleitend auf einen sehr wesentlichen Unterschied des Antriebes mit Feststoffen gegeniiber dem Fliissigkeitsantrieb hinzuweisen: Wahrend der fiir den Schub

1 Unter Umstanden sogar bis + 70°C. 2 Die "Explosionswarme" ist die beim Zerfall von Explosivstoffen und Pulvern freigesetzte War me ; sie

ist wohl zu unterscheiden von der Verbrennungswiirme, die bei der Verbrennung von Kraftstoffen bei Sauerstoffiiberschul3 entsteht, wenn vollstandige Verbrennung zu CO2 und H 20 eintritt. Da aile Festtreibstoffe in bezug auf Sauerstoff unterbilanziert sind, liegen die Explosionswarmen immer tiefer als die Verbrennungs. warmen.

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6.1.1. Gestalt und Anordnung der Treibsatze 119

eines Gerates (neb en Is) maBgebende Massendurchsatz rh bei der Flussigkeitsrakete weit­gehend durch das Einspritzsystem bestimmt wird, sind beim Feststoffantrieb daftir die Abbrandgeschwindigkeit (r) und die GroBe der Abbrandoberflache (A b ), d. h. die Geometrie des Treibsatzes sowie die Treibstoffdichte e entscheidend. Die Verbrennung von Fest­treibstoffen ist eine gleichmaBige, nur auf die Oberflache beschrankte Erscheinung (vgl. Kap. 6.7.), die in parallelen Schichten zur Brennflache vor sich geht, und r wird als der von der Abbrandfront je Sekunde senkrecht zur Oberflache zuruckgelegte Weg (cm sec-I) definiert. Fiir den "Massendurchsatz", d. h. die je Zeiteinheit aus der Duse abstromende Masse der Feuergase eines Gerates gilt - stationaren Abbrand vorausgesetzt - die Be­ziehung

(6-1)

Nachdem die Unterschiede in den Dichten der verwendeten Festtreibstoffe im all­gemeinen nicht sehr groB sind, wird die ausstromende Masse (und damit der Schub) eines Gerates bei gegebenem spezifischen Impuls der Treibstoffkombination vorwiegend durch r und die Geometrie des Treibsatzes bestimmt. Die Abbrandgeschwindigkeit ist eine von vielerlei Faktoren abhangjge, sehr komplexe GroBe; sie liegt bei den heute ublichcn Treib­stoffen in einem Bereich von 0,1 bis 5 cm/sec und soIl in Kap. 6.4. ausftihrlich behandelt werden.

6.1.1. Gestalt und Anordnung der Treibsatze (Treibsatzformen und -geometrie)

Um die Abbrandflache (bei vorgegebenem r) der gewunschten SchubgroBe, Schubdauer, eventuell auch einem gewiinschten Schubprogramm anzupassen, steht neben der Fest­setzung der absoluten GroBe der 'I'reibsatze die Wahl verschiedener Formen, d. h. der Geometrie der Treibstoffelemente zur Verfugung; weiter die Moglichkeit, be­stimmte Flachen des Treibstoffblockes durch abbrandhemmende oder -verhin­dernde Schichten oder Anstriche (Hemm­stoffe, "Inhibitoren") zu isolieren.

Abb. 6-1 zeigt eine Auswahl ublicher Formen, deren besondere Eigenschaften anschlieBend beschrieben seien:

A. Stirn brenner ("Zigarettenab brand") ; der Treibsatz ist meist gehauseverbunden und gegen die Wand isoliert; die Abbrand­oberflache bleibt wahrend des Abbrandes konstant ("neutraler Abbrand").

A

E

Abb. 6·1. Treibsatzformen (dicke Striche kennzeichnen Isolierschicht)

iJ

/I

B. Allseitsbrenner, inn en und auBen brennende Rohre; nur an den Stirnflachen iso­liert; das Gehause muB warm fest sein; die Abbrandoberflache bleibt konstant.

C. Gehauseverbundener Rohrenbrenner mit zweitem inneren Treibsatz; konstante Oberflache; das Gehause kann kaltfest sein.

D. Kreuzformiger Treibstoffblock; Kreuzendflachen isoliert und gehauseverbunden; die Abbrandoberflache nimmt beim Abbrand zu ("progressiver Abbrand").

E. Sterninnenbrenner; Treibsatz mit Isolierung und Gehausebindung (der Stern kann auch eine andere Form und Zackenzahl als in der Zeichnung haben). Ungefahr konstante Oberflache wahrend des Abbrandes; sehr viel und bei GroBraketen fast ausschlieBlich angewendete Form.

F. Mehrere Treibstoffb16cke ohne Isolierung; Abbrandoberflache nimmt ab, "regressi­ver Abbrand"; Gehause muB warmfest sein.

G. Siebenrohrenladung; besonders groBe Oberflache, die wahrend des Abbrandes konstant bleibt; warmfestes Gehause; fiir kurzdauernden hohen Schub; "Werfer" des 2. Weltkrieges.

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120 6. Festtreibstoffe

H. Sternbrenner mit zweierlei Treibstoffen; der innere zuerst abbrennende Treibsatz hat hohe Abbrandgeschwindigkeit, der auBere, gehauseverbundene, niedriges r; die An­ordnung ermoglicht ein Schubprogramm in zwei Stufen.

6.1.2. Einteilung der Festtreibstoffe

Es gibt zwei Haupttypen von Festtreibstoffen:

1. Homogene (auch "kolloidale" oder "doppelbasige") Treibstoffe, welche aus Ver­bindungen bestehen, die gentigend chemisch gebundenen Sauerstoff enthalten, urn die Verbrennung als intramolekulare Reaktion zu unterhalten.

2. Heterogene (auch "zusammengesetzte") Treibstoffe oder "Composite", welche aus einem meist organischen Brennstoffbinder bestehen, in welchen ein kristalliner Oxy­dator in inniger Mischung eingebettet ist.

Je nach der Art der Hauptkomponenten lassen sich bei beiden Gruppen weitere Unterteilungen vornehmen, auf die in den entsprechenden Abschnitten eingegangen wird.

Eine Sonderstellung nehmen die schon in Kap. 1. und Kap. 3.2. erwahnten halbfesten oder pastosen Treibstoffe ein, die in Kap. 6.S. kurz behandelt werden sollen.

6.2. Homogene Treibstoffe

6.2.1. Zusammensetzung

Wie schon erwahnt, ist diese Treibstoffklasse dadurch gekennzeichnet, daB "Brenn­stoff" und "Oxydator" sich in einem Molektil befinden. Der eigentliche Grundstoff dieser Gruppe 1st die Nitrocellulose (NC), welche durch "Nitrierung" der nattirlichen aus Baum­wollinters oder Holzptilpe gewonnenen Zellulose hergestellt wird. Zellulose besteht aus Makromolektilen der Zusammensetzung (C6H lO0 5)x mit der nachfolgenden Struktur­formei.

H OH CH20H H OH CH2 0H

.• O~ ~°V-O~ ~OyO .. ~o/Lo~ ~oA-o~

CH2 0H H OH CH2 0H H OH ~------~v~--------~ ~--------'V~------~

Cellobiose Cellobiose

Die aneinandergereihten Cellobiosekomplexe bilden lange Ketten, die aus vielen tausend Gliedern bestehen. Bei der Nitrierung werden die OH-Gruppen durch ON02-

(Nitrat-)Gruppen ersetzt ("verestert"), wobei die mechanische Struktur der Zellulose und ihr Bindercharakter weitgehend bestehen bleiben. Je nach dem Nitrierungsgrad unterscheidet man die hochnitrierte "SchieBbaumwoIIe" mit 13,0 bis 13,4% N im Mole­kiiI, die dem theoretischen voIlen Nitrierungsgrad (14,14% N) nahekommt, die sogenannte "Pulverwolle", mit einem Gehalt von etwa 12,0-12,6% N und die "PE-Wollen". die nur einen Stickstoffgehalt von 11,0-11,6% haben. In der Praxis mischt man die ver­schiedenen Wollen meist, urn einen N-Gehalt gewiinschter GroBe zu erhalten. In den USA werden vielfach auch die reinen Typen eingesetzt.

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6.2.1. Zusammensetzung homogener Treibstoffe 121

Ais zweiten Grundstoff der ublichen homogenen Festtreibstoffe verwendet man Nitrat­ester des Glykols oder des Glyzerins ("Nitroglykol" bzw. "Nitroglyzerin") 1 mit den folgen­den Strukturformeln:

Heute wird fast ausschlieBlich Nitroglyzerin (NG) als zweite Komponente verwendet; die Glykolester waren eigentlich " Ersatzstoffe " , die in Deutschland wahrend des Krieges aus Rohstoffgrunden viel angewendet wurden. Diglykoldinitrat wird auch heute noch eingesetzt. NG und die Glykolnitratester fungieren kunststofftechnisch als Gelatinierungs­mittel oder "Weichmacher" fur den plastischen Binder Nitrozellulose und ergeben bei entsprechendem Gehalt und geeigneter Verarbeitung homogene, kolloidale Gemische mit guten me chan is chen Eigenschaften. Solche Treibsatze sind allerdings nicht gummi­elastisch und konnen daher in Systemen mit Gehausebindung kaum verwendet werden. Energetisch-ballistisch bewirkt die Beimischung von Nitroglyzerin eine Erhohung der Explosionswarme sowie der Abbrandgeschwindigkeit. Nitrozellulose hat einen relativ niedrigen Energieinhalt und z. B. bei 13,25% N einen SauerstoffunterschuB von 301,8 g je kg 2. Nitroglyzerin, das ein sehr energiereicher Sprengstoff ist, hat dagegen einen O-UberschuB von 35,2 gjkg 3 . Das wunschenswerte stochiometrische Gemisch muBte daher 8,57 Teile NGauf 1 Teil NC enthalten. Eine solche Mischung ist kunststofftechnisch nicht herstellbar, weil sie kein mechanisch festes Gel ergibt. Auch chemisch ware ein solches Ge­misch instabil und hochexplosiv. Man kommt daher praktisch nur zu Gehalten bis maximal 43,5% NG, was unter Normalbedingungen ungefahr einem spezifischen Impuls von Is ~ 250 sec entspricht. 1m allgemeinen verwendet man aber Kombinationen, die noch be­trachtlich weniger, namlich nur etwa 25 bis 30% NG enthalten.

AuBer den genannten Hauptbestandteilen enthalten diese doppelbasigen Treib­stoffe noch Stabilisatoren, die wahrend der Lagerung die aus den Nitratestern in gering em MaBe freigesetzten Zerfallsprodukte binden und damit eine weitergehende Reaktion verhindern sollen. Ais Stab iIi sat oren wirken z. B. Diphenylamin (CSH5)2NH bzw. Nitro­diphenylamin oder mit Phenyl-, Athyl- oder Methylgruppen substituierter Harnstoff (Centralite, Akardite). Manchmal werden neben NG auch andere Weichmacher, ge­wohnlich Phthalate (Dimethyl-, Diathyl-, Dibutyl-Phthalate) oder Triacetin zugesetzt. Dies ist besonders bei den doppelbasigen GieBpulvern der Fall. Weitere zuweilen ver­wendete Zusatze sind Kaliumsulfat (als Flammenunterdruckungszusatz), RuB oder Graphit oder MgO, die zugesetzt werden, urn die aus der Flammenzone kommende Warme­strahlung zu absorbieren und dadurch Entztindung im Treibstoffinneren zu verhindern und endlich "Schmiermittel" wie Wachs oder Vaseline, urn den Walz- und Extrusions­prozeB (siehe weiter unten) zu erleichtern. Ganz besondere Bedeutung kommt gewissen Zusatzen zu, welche die Abbrandgeschwindigkeit und deren Druck- und Temperatur­abhangigkeit beeinflussen sollen. Man bezeichnet sie als "ballistische Zusiitze". Zusammen­setzung, Menge und Wirkungsart dieser Additive sind vielfach Firmengeheimnis bzw. Gegenstand der einschlagigen Patentliteratur.

Erwahnenswert sind noch andere "mehrbasige" Kombinationen, in welchen dem Treibstoff neb en NC und NG weitere Grundbestandteile beigemischt werden. Dazu ge­hort der alte russische Cordit, der 11 % Dinitrotoluol enthalt oder die von ACHILLES [8]

1 Diesc Bezeichnungen sind chemisch nicht korrekt; es muBtc Athylenglykoldinitrat bzw. Glyzerintri­nitrat heiBen.

2 Bezogen auf die Verbrennung zu CO2, H 20 und N 2 •

3 Es ist vielfach ublieh, die "Sauerstoffbilanz" anzugeben, und zwar g O2 pro 100 g Substanz, also NC: ~30,18 NO: + 3,52.

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122 6. Festtreibstofi'e

in Argentinien entwickelten Pulver (polvora tribasica) mit groBeren Gehalten an Di­und Trinitrotoluol (TNT), die zwar relativ energiearm sind, aber vorziigliche Abbrand­eigenschaften besitzen 1. Weitere Kombinationen dieser Art enthalten z. B. Nitroguanidin, und schlieBlich sind auch energiereiche Mischungen in Erwagung gezogen worden, die Al­oder Mg-Pulver als kaloriensteigernden Brennstoff und/oder Kalium- bzw. Ammonium­perchlorat als leistungsfahige Oxydatoren zur doppelbasigen Grundmasse zugesetzt erhalten (vgl. Kap. 9.6.).

In den Tab. 6-1 A, B, 0, D und E sind einige reprasentative Zusammensetzungen homo­gener Treibstoffe mit ihren wichtigsten Eigenschaften angegeben:

Tabelle 6-1. Zusammensetzung und Eigenschaften von homogenen (doppelbasigen) Festtreibstotfen

A. JPN (Ballistit) [6J %

Nitrocellulose (13,25% N) 51,5 Nitroglyzerin 43,0 Diathylphthalat 3,25 Sym-Diathylharnstoff (Athylcentralit) 1,0 K-Sulfat 1,25 RuB 0,2 Wachs 0,08 Is (70 : 1) = 250 sec Dichte e = 1,62 g/cm3

Brenngesehwindigkeit 2 : r = 0,089 pO.69 exp [0,0038 (Ti - 15)J em/sec Wiirmeinhalt 1230 kcal/kg Verbrennungstemperatur Tc = 3125°K

Molgewicht der Feuergase M = 26,4 Adiabatenkoeffizient u = 1,215

B. Franziisisehes S. D.-Pulver [7J %

Nitrozellulose 66 Nitroglyzerin 25 Athyleentralit 8 Andere Zusiitze 1 Diehte e = 1,59 gjem3

Brenngeschwindigkeit2 : r = 0,055 pO.60 exp [0,0032 (Ti - 20)] em/sec Verbrennungstemperatur bei 70 at Tc = 21700K Molgewieht der Feuergase M = 22 Adiabatenkoeffizient u = 1,26

C. Deutsches Raketenpulver DAG R6M (Weltkrieg II) %

Nitrozellulose Diathylenglyeoldinitrat Athyleentralit Diphenylharnstoff IG-Wachs Sorte E Arcardit Magnesia Wiirmeinhalt Dichte e r zwischen 50-130 at Selbstentziindungstemperatur

820 keal/kg 1,561-1575 g/em3

0,4-0,8 em/sec 175-180°C

1 Diese sogenannten "Gelbpulver" werden heute nur noeh selten verwendet. 2 Siehe Kap. 6.4.1.

61,5 34

1,2 2,4 0,35 0,30 0,25

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6.2.2. Herstellungsverfahren homogener Treibstoffe

D. Argentinisches Raketenpulver [8] (Polvora Tribasica Achilles)

Nitrozellulose Nitroglyzerin Dinitrotoluol Trinitrotoluol Centralit KK03

Graphit Warmeinhalt

E. Gieilpulver

Nitrozellulose ~itroglyzerin

Dimethylphtalat Athylcentralit Ruil

780 kcal/kg

6.2.2. Herstellungsverfahren

%

62,1 14,7 10,0

7,0 5,6 0,28 0,15

%

47 37,7 14

1 0,3

123

Homogene doppelbasige Treibstoffe konnen mit oder ohne Losungsmittel strang­gepreBt oder aber gegossen werden. Das altere Losungsmittelverfahren ist £iir die Herstel­lung von Raketentreibstoffen kaum von Bedeutung und wird heute hauptsachlich bei der Fabrikation von Gewehr- und Kanonenpulvern sowie des Zellulosegranulats fur GieB­pulver (siehe we iter unten) verwendet. Dabei wird NC + NG zusammen mit den Zusatzen und einem Losungsmittel (Aceton oder eine Mischung von Alkohol + Ather) in einem "Sigma" -Schaufelmischer zu einem steifen Teig geknetet und dann in einer Strangpresse in die gewunschte Form gepreBt. Sodann wird das Losungsmittel durch Abdampfen ent­fernt. Die Dicke der Strange ist dadurch auf maximal 1 cm begrenzt.

Verfahren ohne Losungsmittel, Herstellung von "POL-Pulvern". Bei der Herstellung zylindrischer Treibsatze (Rohren odcr Sterninnenbrcnner) wird vorwiegend das Verfahren ohne Losungsmittel [9] angewandt:

Zuerst wird die wasserfeuchte Nitrozellulose mit dem Nitroglyzerin und dcn anderen Bestandteilen versetzt und gut geruhrt, dann trocknet man mit warmer Luft, wobei das Wasser bis auf etwa 10% entfernt wird. AnschlieBend ruht die Masse 6 bis 24 Stunden, dam it die Nitrozellulose genugend quellen kann. Die resultierende Masse wird sodann zweimal zwischen gcheizten Walzen bearbeitet, dabei werden das Gelatinieren und eine innige Vermischung durch die erhohte Temperatur (65 bis 93°) und den Druck bewirkt. Das crste Mal wird mit Differentialwalzen mit einem Geschwindigkeitsverhiiltnis 1,5: 1, das zweite Mal zwischen Kalandern gleicher Geschwindigkeit gewalzt. Dabei erhiilt man "Felle" mit homogcner Verteilung der verschiedencn Stoffe, wobci gleichzeitig die rest­liche Fcuchtigkeit entfernt wird. Dieser V\' alzprozeB, bei welchem das am Ende trockene und hochenergetisehc Material erhohter Temperatur und hohem Druck ausgesetzt ist, wurde fruher von Hand ausge£iihrt und war unangenehm und gcfahrIieh; er wird heute automatisch und mit Kontrolle aus der Ferne durchgeftihrt.

Die Felle werden anschlieBend in 10 bis 15 em breite Streifen gesehnitten und zu so­genannten "Puppen" geroIlt; diese werden in den geheizten Vorraum del' Pre sse gebracht und bei etwa 75°C und einem Druck von ungefahr 500 kgjem2 in die gewunschte Form stranggepreBt. Die Pressen heute ublicher Leistung erlauben die Herstellung von Strangen bis zu Durchmessern von etwa 15 bis 20 cm. Abb. 6-2 zeigt eine derartige Strangpresse. Als weitere Art der Formgebung sei der "SchneckenpressenprozefJ" erwiihnt; er unterliegt zwar einer gewissen Geheimhaltung, die Grundlagen des Verfahrens sind aber in Patenten festgelegt.

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124 6. Festtreibstoffe

Nach dem Pressen werden die Strange auf die gewtinschte Lange geschnitten, auf genaue Dimensionen abgerichtet und anschlieBend, wenn notig, an der AuBenflache mit

einem isolierenden Inhibitor ver-sehen. Der Gesamtvorgang der Her­steHung von stranggepreBten POL­Treibstoffen (POL = "Pulver ohne Losungsmittel") ist in Abb. 6-3 durch ein Blockschema dargestellt.

Der Gief3pulverprozef3. Das GieB­verfahren wird vorwiegend dann an­gewendet, wenn man Treibsatze groBerer Durchmesser benotigt, die

Abb.6-2. 1000 t-Strangpresse zur Herstellung von Treibsatzen in Strangpressen der tiblichen GroBe mittlerer Kaliber nicht mehr herzustellen sind. Der

Schneiden der Felle Vormischung: - in Streifen

wasserfeuchte NC Nitroglycerin I

Zusatze RoUen der Streifen

I zu "Puppen"

Quellung der NC I 6 bis 24 Stunden

Strangpressen in

I geheizten Extrudern

Trocknen auf 10% H 2O I mit Warmluft

Abgleichen auf

I genaue Dimensionen

Herstellung der "FeUe" I durch \Yalzen,

dabei Entfernung des t-- Isolierung der rcstlichen \Yassers Treibsatze

Abb.6-3. Blockschema der Herstellung von POL-Treibst,offen

A'C-CqnIlB/

Innere /ilrm (SlcrlC ,f(}/lre J

LOSlln.fsmfllel-1i"11I11

Abb.6-4. Yorrichtung zur Herstellung doppelbasiger GieBpulver [9]

ProzeB [9] beginnt mit der Herstel­lung eines Granulates aus Nitro­zellulosekornern, die bereits die ge­samten Zusatze und einen Teil der Weichmacher enthalten und die man zweckmaBigerweise nach dem ti blichen Losungsmittel-Extrusions­verfahren herstellt, indem man Fa­den von maximal 1 mm Durchmesser strangpreBt und auf eine Lange von ebenfaHs '" 1 mm schneidet. Auf diese Weise entstehen zylin­drische Korner von 1 mm Durch­messer und Lange. Dieses Granulat bringt man in eine evakuierte Form gewtinschter GroBe, wie sie z. B. in Abb. 6-4 dargesteHt ist.

Als Form kann auch die Brenn­kammer selbst verwendet werden, wenn GehauseanschluB des Treib­satzes gewtinscht wird. Die Form wird zu etwa 2/3 mit dem Granulat geftillt und sodann mit dem "Lo­sungsmittel", das den restlichen "Weichmacher" (meist ein Gemisch aus Nitroglyzerin und einem Phthal­saureester) enthalt, aufgefiillt. Die Losungsmittelfront schreitet lang­sam vor und ftiHt die Zwischen­raume zwischen den Kornern aus, ein Vorgang, der durch Evakuie­rung der Form 1 untersttitzt wird. Die Masse wird bei erhOhter Tem­peratur (60 bis 70°C) einem unter U mstanden mehrere Tage dauernden

ReifungsprozeB unterworfen, bei welchem der Weichmacher in die Korner diffundiert, wobei diese queHen und schlieBlich ein vollig homogenes Material entsteht. AnschlieBend

1 Eventuell auch durch Vibration.

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6.3.1. Oxydatoren 125

werden die Dorne oder Kerne, welche die inneren Hohlraume des Treibsatzes darsteIlen, entfernt.

Mit diesem GieBverfahren, das nach dem 2. Weltkrieg entwickelt wurde, lassen sich die verschiedensten Formen von Treibsatzen bis zu BlOcken in der GroBe von 5 Tonnen herstellen. Es ist vielseitig anwendbar und liefert Treibsatze mit homogener Verteilung der Komponenten. Um es zu vereinfachen, vor all em , um die umstandliche Herstellung des Granulates zu umgehen, hat man andere, auch weniger gefahrliche Methoden ent­wickelt, bei welchen aIle Bestandteile in geeigneten Mischern homogenisiert und als Brei in Formen gegossen werden, in welchen sie reifen und ausharten ("Slurry-ProzeB"). Der kritische Punkt bei allen diesen Verfahren besteht darin, die Nitrocellulose zu "verdichten" bzw. zu gelatinieren und ihre faserige Struktur zu beseitigen. Dabei hat man "globulare", dichte Nitrocellulosen mit etwa 250 ft Durchmesser erzeugt; die damit erhaltenen Produkte sind mit den nach der friiher geschilderten Technik hergestellten vergleichbar und wahr­scheinlich billiger. Die Einzelheiten dieser Brei -Verfahren sind Geheimnis der Hersteller­firmen und wurden nicht publiziert.

6.3. Heterogene Treihstoffe

In heterogenen Treibstoffen sind der Sauerstofftrager und der Brennstoff innig mit­einander vermischte verschiedene Stoffe. Abgesehen yom alten Schwarzpulver, das man als ersten heterogenen Treibstoff betrachten darf, sind aIle spateren Mischungen dadurch gekennzeichnet, daB der Oxydator als feinkristal­lines Pulver in einen organischen Binder, der den Brennstoff darsteIlt, eingebettet ist. Kunststoff­technisch fungiert dabei der Oxydator als " Fiill­stoff" des organischen Binders. Um optimale Lei­stungen zu erzielen, die in der Nahe des stochio­metrischen Mischungsverhaltnisses (aber noch im 02-unterbilanzierten Bereich) liegen, muB der Massenanteil des Oxydators sehr hoch sein.

Abb. 6-5 zeigt Is, Tc und M als Funktion des Oxydatorgehaltes fiir einen typischen heterogenen Treibstoff (Polyester + NH4CI04). Man sieht, daB die giinstige Oxydatorkonzentration oberhalb 80% liegt. In modernen Kompositionen werden zum Zwecke der Energiesteigerung und zur Verbesse­rung der Abbrandeigenschaften oft auch Zusatze von Leichtmetallpulvern angewendet, welche den Fiillstoffanteil noch erhohen. Dieser ist aber mit Riicksicht auf die wiinschenswerten mechanischen Eigenschaften der Mischung begrenzt und erlaubt auch mit den giinstigsten Bindertypen kaum Mengen iiber 80 bis 85% Oxydator + MetaHzusatz.

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Abb. 6-5. Is, Tc und M als Funktion der Oxy­datorkonzentration in einem typischen Per­

chlorat-Treibstoff [10]

Neben Oxydator und Brennstoff-Binder und den schon erwahnten LeichtmetaHbeigaben enthalten auch heterogene Treibstoffe geringe Mengen von Zusatzen vor aHem zur Ab­stimmung der mechanischen und ballistischen Eigenschaften.

6.3.1. Oxydatoren

Als Oxydatoren werden fast ausschlieBlich Nitrate und Perchlorate der Alkalimetalle und des Ammoniums benutzt; nur ausnahmsweise verwendet man organische Stoffe wie z. B. Ammoniumpikrat. Als besonders energiereiche Oxydatoren werden in neuester Zeit

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126 6. Festtreibstoife

Nitrosylperchlorat (NOCI04)und Nitroniumperchloratl (N02CI04) in Erwagung gezogen. In Tab. 6-2 sind die ublichen Sauerstofftrager mit ihren wichtigsten Eigenschaften zu­sammengestellt; weitere Angaben findet man im speziellen Teil des Buches.

Oxydator

LiNO a NaNOa KNOa NH4NOa

LiCI04

NaCI04

KCI04

NH4CI04

N02CI04

0-iJberschu13 [Gew.-%]

58,0 47,1 39,6 20,0

60,2 52,3 46,2 34,0 66,0

Tabelle 6·2. Oxydatoren fur heterogene TreibstoUe

p [g/cm']

2,38 2,26 2,11 1,73

2,43

2,52 1,95 2,25

Eigenschaften

sehr hygroskopisch. Polymorphe Veranderungen der Kristall­struktur mit V olumanderungen bei Herstellung und Lagerung teuer, hygroskopisch sehr hygroskopisch ergibt hohe Abbrandgeschwindigkeiten

sehr hygroskopisch, mit H20 extrem zersetzlich, Zerfall ab 100°C

Die Nitrate ergeben Treibsatze mit relativ geringer Leistung. Neben KN03, das der Oxydator des Schwarzpulvers ist, wird Ammonsalpeter am meisten verwendet. Es liefert viel Gas (37,5 Mol je kg), zeigt maBige Verbrennungstemperatur ("-' 1750 0 K) und geringe Abbrandgeschwindigkeit der Treibsatze (zwischen 0,1 und 0,3 cm/sec bei Pc = 70 at). Es eignet sich daher fUr lange Brennzeiten und besonders gut fur Treibsatze in Gasgenera­toren. Die 18-Werte liegen unterhalb 200 sec.

Kaliumperchlorat wurde fruher viel verwendet, liefert aber geringe spezifische Impulse (180 bis 220 sec); die damit gefertigten Treibstoffe zeichnen sich durch hohe Dichte und sehr hohe Brenngeschwindigkeiten (r = 3 bis 6 cm/sec) aus; leider ist die Druckabhangig­keit von r sehr hoch. Infolge der groBen Verbrennungsgeschwindigkeit eignet sich KCI04

besonders fUr Treibsatze mit Stirnabbrand. Es wurde daher bei den ersten Starthilfe­raketen (JATO = Jet Assisted Take Off) verwendet.

Ammoniumperchlorat ist der in modernen heterogenen Treibstoffen am meisten ver­wendete Oxydator; er liefert mit den ublichen Brennstoffbindern 18-Werte zwischen 220 und 250 sec. Die Abbrandgeschwindigkeiten liegen zwischen 0,4 und 3 cm/sec, even­tuell sogar dartiber, bei niedriger Druck- und Temperaturabhangigkeit.

Lithiumperchlorat ergibt relativ hohe Leistungen und hohe Dichten der Treibstoffe, allerdings bei hoher Druckabhangigkeit der Verbrennungsgeschwindigkeit. Weitere Nach­teile sind seine Hygroskopizitat und der hohe Preis.

Nitroniumperchlorat N02CI04 ist ein besonders energiereicher Oxydator, der zur Zeit intensiv studiert wird. Nachteile sind seine relativ groBe Instabilitat und die Explosions­neigung der damit hergestellten Treibstoffe. Ein abschlieBendes UrteillaBt sich noch nicht fallen.

6.3.2. Brennstoffbinder

6.3.2.1. Allgemeines

Die in heterogenen Treibstoffen verwendeten Brennstoffbinder haben (schon wegen ihres niedrigen Massenanteiles) einen verhaltnismaBig geringen EinfluB auf die Leistung, sie bestimmen aber die mechanischen Eigenschaften der Treibsatze. Ferner legen sie das Herstellungsverfahren, d. h. die anzuwendende Technologie fest. Bisher sind sehr viele verschiedene Brennstoffbindemittel angewendet worden. Man begann mit Asphalt-Ol­mischungen (bei den ersten JATO-Starthilferaketen), dann ging die Entwicklung tiber

1 Manchmal auch als Nitrylperchlorat bezeichnet.

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6.3.2. Brennstofl'binder fur heterogene Treibstofl'e 127

die Polysulfide zu der ganzen Skala moderner Kunststoffpolymere; Polyester, Epoxyd­harze, synthetische Kautschukarten, Polyurethane, Polyvinylderivate, Polyacrylat, Polyamid, Polyiithylen, Polystyrol, Polybutadien, Polyisobutylen, Polysiloxan sowie Phenol- und Zelluloseharze sind bisher benutzt worden. Ihre Verwendung fiihrte zu einer sehr groBen Zahl von Treibstoffkompositionen mit weit variierenden mechanischen und physikalischen Eigenschaften del' Treibsiitze, die den verschiedensten Anforderungen angepaBt werden konnen. Die Konsistenz kann dabei von hart, ziih und sprode bis weich und elastisch wechseln. Von entscheidender Bedeutung war die Entwicklung gummi­elastischer Kompositionen, die sich besonders fiir Treibsiitze mit GehauseanschluB eignen; sie bieten den Vorteil, daB sie z. B. als Sterninnenbrenner die Brennkammerwand VOl' del' Beriihrung mit den heiBen Feuergasen schiitzen, so daB del' Rohrwerkstoff nul' auf Kaltfestigkeit beansprucht wird. Das ermoglichte eine ganz betriichtliehe Herabsetzung del' Wandstarken und damit eine radikale Verbesserung des Massenverhiiltnisses del' Feststoffrakete. Gute moderne Kompositionen behalten ihre gummielastische Konsistenz iiber einen sehr wei ten Temperaturbereich (von etwa - 60 bis + 70°C), wodurch sie auch gegen plOtzlichen Temperaturwechsel weitgehend unempfindlich sind.

Je nach del' besonderen Natur del' Binder konnen die Treibsatze durch GieBen bei erhOhter oder bei gewohnlicher Temperatur mit nachfolgender Aushartung durch geeig­nete Katalysatoren hergestellt werden. Bei thermoplastischer Konsistenz ist auch For­mung durch Strangpressen unter Umstanden ebenfalls mit nachfolgender Katalysator­aushartung moglich.

Es geht iiber den Rahmen dieses Buches hinaus, aIle einzelnen Bindertypen mit ihren viel£altigen Eigenschaften zu behandeln. Die Komposition und die Herstellung der Bindel' fiir heterogene feste Raketentreibstoffe bildet heute ein wichtiges Teilgebiet der so un­geheuer komplexen Chemie und Technik del' Kunststoffe sowie del' Technologie ihrer Verarbeitung. Nul' einige allgemeine Grundziige sollen anschlieBend kurz besprochen werden. Eine ausfiihrliche Darstellung bringen die Monographien von MEYER-MARK [11] und von HOUWINK-STAVERMAN [12] sowie [13] und [14]. Einen guten Uberblick gibt DEISENROTH [15]. Auch die anwendungstechnischen Abteilungen del' Kunststoff-Erzeuger­firmen liefern Unterlagen und die notwendigen Behandlungsvorschriften. Zur Nomenkla­turvgl. [19].

Die in der Raketentechnik verwendeten Kunststoffbinder miissen je naeh dem Ver­wendungszweck der anzutreibenden Gerate plastische oder hartzahe odeI' gummielastisehe Eigenschaften haben. Die meist hochpolymeren Materialien werden durch Polymerisa­tion von Monomeren, die sich bei del' Reaktion zu langen Ketten vereinigen und Makro­molekiile bilden, hergestellt. Sie konnen je nach der Natur del' reagierenden funktionellen Gruppen del' Monomeren auf verschiedene Weise gebildet werden. Man kann zwei groBe Klassen unterscheiden: bei del' einen entstehen die Ketten durch Aneinanderlagerung aus­schlieBlich von C-Atomen ("Isoketten"), bei der anderen nehmen an del' Bildung del' Kette auBer C-Atomen auch noch andere, z. B. 0- odeI' S-Atome teil ("Heteroketten"). Typisch fiir die erste Gruppe ist die Bildung von Vinylpolymeren, die naeh dem folgenden Reaktionsschema verliiuft:

Dabei ist X irgendeine Gruppe (C6H5' CN, COOH, OCOCHa usw.) odeI' ein Atom (H, CI, F). Wenn man Mischungen von verschiedenen Monomeren anwendet, bilden sich analoge Ketten mit C-C-Bindungen, jedoch zeigen die dann gebildeten Copolymeren eine groBere Viel£alt ihrer physikalischen Eigenschaften. Die zweite Klasse wird durch Additions- und Kondensationsreaktionen gebildet, bei welch en durch die funktionellen Gruppen die Aneinanderlagerung so erfolgt, daB neb en C auch andere Atome Bestand-

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128 6. Festtreibstoffe

teile der Kette werden. Die folgenden drei Gleichungen zeigen mogliche Schemata solcher Reaktionen:

OCN-R-NCO + HO-R'-OH -+LC-NH-R-NH-C-O-R'-ol

I II II J o 0 n

Diese Makromolektile k6nnen in den verschiedensten Kombinationen aufgebaut werden, wobei - wie leicht verstandlich - Materialien mit weit variierenden Eigen­schaften entstehen.

Unabhangig von der Methode der Herstellung k6nnen die gebildeten Polymeren je nach ihrer Struktur in linear amorphe oder linear polykristalline1 oder in vernetzte Poly­mere eingeteilt werden. Tab. 6-3 bringt eine Zusammenstellung einiger wichtiger Typen, die als Treibstoffbinder verwendet werden, mit Angaben tiber ihre Verarbeitung und Form­stabiIitat.

Tabelle 6-3. Verschiedene Bindertypen, ihre Verarbeitung und ihre Eigenschaften [3]

Strnktnr

Linear amorph

polykristallin

Vernetzt

Verarbeitungsprozel3

Schmelzen und GieBen bei h6herer Temperatur,

heiB Strangpressen

GieBen und Schmelzen (Plastisol)

heiB Strangpressen

Schmelzen und Poly-merisation

Strangpressen und Polymerisation

Formstabilitat Beispiele

schlecht .Asphalt

schlecht; bei sehr Polyisobutylen groBem Molekular-

Gewicht besser gut Polyvinylchlorid

Nitrozellulose gut Nitrozellulose

gut Vinylpolyester Polysulfide

Polyurethane

gut Polybutadien Copolymere CH-Gummi

GR-S und GR-I Copolymere

Gummi

Linear amorphe Polymere sind einfache Langkettenmolektile, wie z. B. Asphalt oder Polyisobutylen 2. Die polykristallinen Polymeren sind auch Langkettenmolektile, aber sie sind an gewissen Stellen, durch Nebenvalenzen, z. B. Wasserstoffbrticken mit analogen Stell en benachbarter Ketten verbunden. Ein typisches Beispiel ist Polyvinylchlorid. Die vernetzten Polymeren sind lange Ketten, die durch einen chemischen ProzeB ("Vulkani­sierung") durch einen "Vernetzer" an verschiedenen Stellen durch Hauptvalenzen mit­einander verbunden ("vernetzt") werden. Beispiele sind die verschiedenen nattirlichen und ktinstlichen Kautschukarten. Der Grad der Vernetzung bestimmt weitgehend die mechanischen Eigenschaften, hohe "Vernetzungsdichte" bedingt eine gute FormstabiIitat und verhindert das FlieBen bei erh6hter Temperatur.

1 In der Literatur vielfach auch als "partiell kristallin" bezeichnet. 2 Polyisobutylen kristallisiert zwar, ist aber oberhalb -70°C je nach Kettenlange fiiissig oder amorph.

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6.3.2. Brennstoffbinder fUr heterogene Treibstoffe 129

6.3.2.2. Treibstoffe mit Binderll linearer Struktur

Linear amorphe Treibstoffe mit Asphalt und Polyisobutadien

A8phaltcompo8ite mit KCI04 als Oxydator waren die ersten heterogenen Festtreib­stoffe; sie wurden als Stirnbrenner bei Starthilfe (JATo)-Raketen verwendet. Urn den Binder, der bei tieferen Temperaturen sehr sprode wird, geschmeidiger zu machen, wurden dem Asphalt Ole zugesetzt, die seine mechanischen Eigenschaften verbessern. Asphalt­composite werden heute wegen geringer Leistung und mangelnder Formstabilitat nicht mehr angewendet.

Polyi8obutylen ist ein besser reproduzierbarer synthetischer Binder, der mit Ammonium­perchlorat infolge hoherem Fullungsvermogens hohere Leistungen ergibt als Asphalt­composite, jedoch ebenfalls nicht formstabil ist und daher nur begrenzt verwendet werden kann.

Plastisol-Treibstoffe mit linear kristallinen Bindern

Binder dieser Art ("Plastisole") sind Polyvinylchlorid (PVC) sowie die Ester der Zellu­lose. PVC-Pulver aus Kornern unterhalb 1 fl Durchmesser quellen in der Warme mit Weichmachern; daher kann man PVC-Pulver mit feingemahlenem Ammoniumperchlorat mit einem geeigneten Weichmacher zu einem Brei mischen, der bei einer Temperatur von etwa 150°C zu einer homogenen Masse erstarrt und so sehr einfach zu Treibsatzen geformt werden kann. Die hohe Erhartungstemperatur verursacht aber bei der Abkiihlung ther­mische Spannungen und eine Schrumpfung, so daB Gehausebindung nur bei relativ kleinen Geraten moglich ist. Die Treibstoffe haben hohe Leistungen und sind billig.

Zellulo8eacetat + Ammoniumnitrat bildet einen Plastisoltreibstoff, der in Formen ge­gossen werden kann. Er liefert groBe Gasmengen bei relativ tiefer Temperatur, ist sehr billig und wird vorwiegend in Gasgeneratoren verwendet.

6.3.2.3. Treibstoffe mit vernetzten Bindern

Polysulfid- (Thiokol- ) Trei bstoffe

Die Polysulfid-Treibstoffe erlaubten erstmalig die Herstellung genugend gummi­elastischer Binder, urn groBe Mengen kristalliner fester Fullstoffe in den Treibsatz einzu­bauen. Damit gelang ein entscheidender Durchbruch in der Composit-Entwicklung. 80% Oxydator und mehr konnten in den Binder eingebettet werden, und doch blieb die Gummielastizitat in einem weiten Temperaturbereich (-50 °C bis + 70°C) erhalten. Die flussigen Polysulfide mittleren Molekulargewichtes bilden mit NH4CI04 gieBfahige Mi­schungen, die schon bei etwa 80°C zu einer gummielastischen Masse erharten.

Polyurethan-Trei b stoffe

Ein weiterer Fortschritt in der Composit-Technik war die Entwicklung der Polyure­than-Treibstoffe. Sie haben etwas hohere Leistungen als Polysulfide (Is bis 262 sec) und noch bessere mechanische Eigenschaften. Da sie selbst Sauerstoff enthalten, erlauben sie auch schon bei etwas niedrigeren Oxydatorgehalten die Annaherung an das leistungs­maBig optimale Mischungsverhaltnis. Sie werden durch eine Kondensations-Polymeri­sation von Diisocyanaten mit zweiwertigen Alkoholen (Diolen) gebildet. Die Reaktion muB bei volligem AusschluB von Feuchtigkeit durchgefiihrt werden, wei I schon Spuren von Wasser mit den Isocyanaten unter Bildung von CO2 + Amin reagieren. Das sich ab­scheidende CO2 verursacht die Bildung poroser Massen, die (wegen der undefinierten Oberflache) mit unkontrollierbarer Geschwindigkeit brennen und daher als Raketen-

Dadieu-Damm-Schmidt, Raketentreibstoffe 9

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130 6. Festtreibstoffe

treibsatze nicht verwendbar sind. Trotz dieser Herstellungsschwierigkeiten wurden Poly­urethan-Treibstoffe in groBtem MaBstab fUr den Antrieb von Raketen aller GroBen ver­wendet.

Poly bu tadien -Acry lsa ure- Poly mere

Dieser Bindertyp ist die fortschrittlichste Abart der Vinylester-Polymeren. Die Treib­stoffe werden durch Vernetzung einer Mischung von Vorpolymeren + Oxydator + Zu­satze mit Molekulen yom Epoxydtyp hergestellt. Die Vernetzungsreaktion zwischen Epoxyd und der Carboxylgruppe des Vorpolymeren verlauft nach der Gleichung

R-COOH + R-CH-CH-R -+ R-C-O-CH-CHOH "'-/ II I I o 0 R It

Daher ist der resultierende Binder ein Copolymeres von Polybutadien-Acrylsaure mit einem polyfunktionellen Epoxyd-Polymeren. Diese Kompositionen wurden von der Synthesegummi herstellenden Industrie entwickelt. Sie haben sehr gute physikalische Eigenschaften und hohe spezifische Impulse, die durch Metalladditive (die als zusatzliche Fullstoffe noch leicht aufgenommen werden) noch beachtlich erhoht werden konnen.

6.3.3. Zusatze

AuBer den Hauptbestandteilen, Brennstoff und Oxydator, werden - wie schon er­wahnt - auch noch Zusatze anderer Stoffe in die Treibstoffkompositionen aufgenommen, urn die Verarbeitung zu erleichtern und die mechanischen und ballistischen Eigenschaften abzustimmen und zu verbessern. Dazu gehoren mechanische und chemische Zusatze wie

benetzende, anfeuchtende Substanzen (z. B. Lecithin, Stearate), die die Einhullung del' Kristalle befOrdern und die Bildung eines koharenten Pulvers bewirken und des sen mecha­nische und thermische Resistenz verbessern,

Antibackmittel, welche das Zusammenbacken verhindern sollen, Weichmacher (Ester hohen Molekulargewichts, z. B. Phthalate), welche die mechanischen

Eigenschaften verbessern und den Treibstoff elastisch und biegsam machen. Sie sind je nach den Bindern verschieden,

Antioxydantien, welche den Binder vor atmospharischer Oxydation schutzen sollen.

AIle diese Zusatze haben Brennstoffcharakter. Zu den ballistischen Zusatzen gehoren:

Katalysatoren, die man zusetzt, urn die Abbrandgeschwindigkeit zu erhohen (oder zu erniedrigen) oder auch urn den Bereich der stabilen Verbrennung zu erweitern. Der Mecha­nismus, nach dem sie wirken, ist wenig bekannt, und ihre Auswahl erfolgt vorwiegend auf Grund experimenteller Studien. Die empirisch ermittelten Erfahrungen sind deshalb meist Firmengeheimnis. 1m allgemeinen sind die Katalysatoren Oxyde oder Salze mehr­wertiger Metalle (Cu, Cr, Ti usw.). Auch Si02 wird als Katalysator verwendet.

Calorische Zusiitze. Urn den Energiegehalt der Treibsatze zu erhohen, verwendet man vorwiegend Leichtmetallpulver wie Aluminium und Magnesium, eventuell auch Bor oder Metallhydride. Berylliumzusatze werden zur Zeit studiert.

6.3.4. Herstellungsverfahren heterogener 1'reibstoffe

Heterogene Treibsatze lassen sich durch Pressen, Strangpressen oder im GieBver­fahren herstellen. GieBen ist der einfachste und auch am meisten angewendete ProzeB.

Die Methoden mussen zwar den verschiedenen Bindertypen angepaBt werden, jedoch lassen sich fur die meisten Treibstoffe, die gieBfahige Mischungen von kristallinen Oxy-

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6.3.4. Herstellungsverfahren heterogener Treibstoffe 131

datoren in einer fliissigen Binder-Grundmasse bilden, die wesentlichen Schritte der Fabri­kation angeben [16]. Das Verfahren beginnt mit der Vorbereitung des Oxydators. Bevor man ihn mit dem Binder vermischt, muB er getrocknet und gemahlen werden. Das Zer­kleinern erfolgt in mechanischen Reibern mit gezahnten Walzen, in Hammerschlag­muhlen, Stiftmuhlen und Luftstrahlmuhlen. Gewohnlich arbeitet man in klimatisierten Raumen, oft auch unter Schutzgasatmosphare. Fruher wurde nach der Mahlung nach KorngroBen klassifiziert, heute wird schon nach der gewunschten KorngroBe gemahlen. Die TeilchengroBe ist namlich von groBem EinfluB auf die Abbrandgeschwindigkeit; diese nimmt mit abnehmender TeilchengroBe zu. Die KorngroBen mussen, je nach dem Ver­wendungszweck des Treibstoffes zwischen 5-500 fJ, mittlerer KorngroBe variieren. Meist stellt man Mischungen zweier Klassen her, eine feine von 5-100 fJ, und eine grobe von 100-500 fJ,. Die richtige KorngroBeverteilung bildet ein Problem fur sich, sie beeinfluBt die Brenngeschwindigkeit, aber auch die Viskositat beim GieBprozeB (s.w.u.); ihre Kon­trolle wird mit Hilfe von Sedimentationswaagen, im Luftstrahlsieb oder anderen, in Kap. lOA. beschriebenen Verfahren vorgenommen.

Herstellung des Binders. Parallel mit der Vorbereitung des Oxydators lauft die Her­stellung des Brennstoffbinders. 1m Verlauf einer Vormischung bringt man in das fliissige Harz die Zusatze ein, die zum Erreichen der gewunschten mechanischen und ballistischen Eigenschaften notig sind. Die darauffolgende Hauptmischung, d. h. das Einbringen des Oxydators in den vorbereiteten Binder und die Mischung beider Substanzen, ist der heikelste Teil der Fabrikation.

Die Mischungsbedingungen sind je nach der Art des Binders verschieden. Bei thermo­plastischen Brennstoffen wie PVC, aber auch bei Asphalten usw. muB der Mischungs­prozeB bei erhohter Temperatur stattfinden, und man verwendet Mischer mit Dampf­mantel. In anderen Fallen, in welchen der PolymerisationsprozeB exotherm verlauft und schon wahrend der Mischung durch zugegebene Katalysatoren eingeleitet wird, muB ge­kiihlt werden. Meist wird der Polymerisationskatalysator am Ende zugesetzt. Der Treib­satz muB sodann innerhalb einer "pot life" genannten Zeit gegossen und in die endgiiltige Form gebracht werden. Man strebt im allgemeinen ein "pot life" von 2 bis 24 Stunden an. DiePolymerisation muB in manchen Fallen bei erhohter Temperatur vorgenommen wer­den, wenn moglich arbeitet man allerdings bei Normaltemperatur, urn die Entstehung von Warmespannungen bei der Abkiihlung zu vermeiden. Das ist besonders dann von Be­deutung, wenn Treibsatze mit GehauseanschluB gefordert werden. Meist mischt man unter Vakuum, urn die Gemische gasfrei zu machen, immer entgast man aber bereits den Binder vor dem Mischen. Manche Stoffe, so z. B. die Isocyanate, verlangen volligen Aus­schluB von Feuchtigkeit, also Schutzatmosphare oder konditionierte Luft. Urn einen ge­niigend homogenen Treibsatz zu erhalten, ist im allgemeinen eine Mischungsdauer von 30 Minuten bis 2 Stunden erforderlich. Da der Treibsatz urn so schneller abbrennt, je homogener er ist, kann man die Abbrandgeschwindigkeit durch Anderung der Mischungs­dauer variieren. Natiirlich ist dies nur innerhalb geringer Grenzen vertretbar, weil die Mischung so homogen wie moglich sein solI. Man muB Abbrandregulatoren zusetzen, wenn sehr groBe oder sehr kleine Abbrandgeschwindigkeiten gefordert sind.

Einfullen in die Formen. Die Masse, deren Konsistenz je nach der Zusammensetzung und Vorbehandlung von der des Honigs bis zu der einer dicken Paste variieren kann, wird sodann in die vorbereiteten (peinlich gereinigten, entfetteten und eventuell mit einem inhibierenden Anstrich oder einer isolierenden Einlage versehenen) Treibsatzformen eingegossen. Die Form des inneren Brennraumes gibt man durch einen in der Formachse stehenden Kern oder Dorn vor, der nach dem Erharten entfernt wird und daher leicht konisch sein solI. Nach dem EingieBen wird entgast. Die beste Methode der Entgasung besteht darin, die Form mit Hilfe eines nutschenartigen Trichters zu fiiUen; die Masse flieBt dann in diinnen Faden in die evakuierte Form, in der man einen Druck von einigen Torr aufrechterhalt.

Reifung. Die ganze Vorrichtung wird dann je nach Natur des Treibstoffes eine gewisse Zeit auf entsprechender Temperatur gehalten und einem "ReifungsprozeB" ("Curing")

9*

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132 6. Festtreibstoffe

unterworfen, urn eine vollstandige Aushartung zu gewahrleisten. Die Temperatur hangt von der N atur des Binders ab; sie liegt bei den meisten polymerisierenden Plasten zwischen 30 und 60°C, kann aber bei manchen Materialien auch tiber 100°C gehen.

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Cehilse

GieBforrn (Brennkarnrner)

Reinigen ( sandstrahlen,

entfetten)

Rostschutz Isolierung:

Anstrich undjoder Auskleidung

Kernvorbereitung

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Vorbereitung:

Brennstoff Oxydator

Binder Zusatze

Mischen Trocknen Mahlen

Klassifizieren der KorngroBen

Mischen unter kontrollierten Bedingungen

Abb.6-6. Blockschema der Composite-Herstellung

Abb.6-7. Schema dcs Aufbaues groBer Fest­stoffraketen nach dem Bausteinprinzip. (Urn das Durchschlagen der Flamme entlang der Beriih­rungsflachen zu verhindern, sind diese isoliert)

Die Dauer der Reifung hangt u. a. von Form und GroBe des GieBlings ab und kann einige Stunden bis mehrere Tage betragen. Wenn der Block langere Zeit auf erhohter Temperatur gehalten wurde, muB er sehr vorsichtig und langsam abgektihlt werden, damit nicht infolge der schlechten Warmeleitfahigkeit der Masse Spannungen oder gar Risse auftreten. N ach der Reifung werden die Dorne entfernt und die Treibsatze aus der Form genommen, falls es sich nicht urn gehauseverbundene Systeme handelt,

bei welchen die Masse direkt in die Brennkammer gegossen wurde. AnschlieBend werden die Blocke entgratet und grob und fein bearbeitet, urn sie auf die richtigen MaBe zu bringen, dann werden die Endflachen isoliert, falls dies notig ist. Vor der Verwendung mtissen die

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6.3.4. Herstellungsverfahren heterogener 'l'reibstoffc 135

Abb.6-8e. Compositc-Giel3prozcl3 bei der Thiokol Chemical Corporation

Abb. 6-8f. Produktions- und Priifstandsgelande der Lockheed Propulsion Company bei Beaumont, Calif.

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136 6. Festtreibstoffe

Abb.6-8g. Fernsteuerung und ·kontrolle des Mischprozesses bei der Composite-Herstellung fiir GroBraketen. Anlage der Thiokol Chemical Corporation

Abb. 6-8h. Der Aluminiumkern wird vor dem GieBen in das Motorgehause eingesenkt (Aerojet)

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138 6. Festtreibstoffe

Abb. 6·81. Rontgenuntersuchung eines MINUTEMAN-Treibsatzes

preibstoffblOcke einer grundlichen Untersuchung unterzogen werden, urn Risse, Blasen und Torose Zonen zu entdecken, welche unregelmaBigen Abbrand, Druckspitzen oder sogar Zerlegung des Gerates zur Folge haben konnen und unbedingt vermieden werden mussen. Diese Prufung erfolgt mit Hilfe von Ultraschall- und Rontgenstrahluntersuchungen und ist besonders bei groBen Treibsatzen sehr kostspielig.

Das soeben geschilderte Verfahren arbeitet diskontinuierlich. In den letzten Jahren ist insbesonders in den USA auch die Technik und Technologie der kontinuierlichen Com­positeherstellung entwickelt worden [17, 18]. Die kontinuierliche Fabrikation bietet auBer­ordentliche Vorteile: sie liefert homogenere und billigere Treibstoffe und ist bedeutend ungefahrlicher als das diskontinuierliche Verfahren, da beim kritischen MischprozeB jeweils nur ganz geringe Mengen (etwa 12 kg) gemischt werden. Die kontinuierliche Fabri­kation war mit eine wesentliche Voraussetzung fur die Herstellung ganz groBer Feststoff­booster, die heute unter Anwendung eines Bausteinprinzipes aus einzelnen, schon gehause­verbundenen Elementen zusammengesetzt werden (s. Abb. 6-7).

Die Abb. 6-8a bis 6-8q zeigen die einzelnen Operationen der modernen Composite­Herstellung und die dabei verwendeten Apparaturen, Einrichtungen und Anlagen.

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6.3.4 Hersteliungsverfahren heterogener Treibstoffe 139

Abb. 6-S m. Der letzte "Baustein" eines Feststoffmotors wird durch einen Spezialtransporter herangebracht, urn mit den anderen Elernenten verbunden zu werden (Acrojet-l\Iotor mit 2,5 rn Durchrnesser)

Abb.6-Sn. Brennkanal einer grollen Feststoffrakete (Aerojet-Motor 2,5 m Durchmesser)

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6.3.4 Herstellungsverfahren heterogener Treibstoffe 141

Abb.6-Sq. Brennversuch des fertig aufgebauten Raketenmotors im Testgelande des United Technology Center in Coyote, Calif.

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142 6. Festtreibstofi'e

6.4. Empirische Grundlagen des Abhrandes von Festtreibstoft'en

6.4.1. Die Abbrandgeschwindigkeit (r)

Ein gentigend homogener Treibsatz brennt gleichmiWig senkrecht zur Oberflache abo Die Verbrennung erfolgt in einer sehr dtinnen, der Oberflache eng anliegenden Zone. Uber den genauen Mechanismus der Verbrennung ist nur wenig bekannt. Uber gewisse experi­mentelle Untersuchungen dieses Vorganges und darauf aufbauende qualitative Modelle der Flammenzone sowie einige Abbrandtheorien solI in Kap. 6.7. berichtet werden. Wie schon erwahnt, ist die den Abbrand im wesentlichen bestimmende empirische GroBe die Abbrandgeschwindigkeit r; sie wird auch als "Brenngeschwindigkeit" oder "Regressions­geschwindigkeit" bezeichnet und wurde in Kap. 6.1. als jene Geschwindigkeit in cm/sec definiert, mit welcher die Abbrandfront senkrecht zur Abbrandoberflache fortschreitet. Dabei ist gleichma13ige tiber die gesamte Oberflache erfolgende Ztindung vorausgesetzt.

Die experimentelle Bestimmung von r erfolgt im LabormaBstab nach einer von CRAW­FORD [20] angegebenen und in Kap. 10.2. ausftihrlich beschriebenen Methode oder besser (weil genauer und den wirklichen Bedingungen im Gerat entsprechender) durch Abbrand in Modellbrennkammern, aus der Abbrandzeit (Abbrandkurve) von Treibsatzen bekannter Dimensionen. Die Messung wird in Abhangigkeit vom Druck und in dem Temperatur­bereich durchgeftihrt, in welchem die Treibsatze verwendet werden sollen, im allgemeinen zwischen -40 und +50°C. Die Abbrandgeschwindigkeit ist eine sehr komplexe GroBe und hangt von folgenden Faktoren ab: der chemischen Zusammensetzung, dem Of en­druck, der Anfangstemperatur des Treibsatzes, dem Vorhandensein von Katalysatoren und - bei heterogenen Treibstoffen - auch von der KorngroBe des Oxydators.

6.4.1.1. Druckabhlingigkeit der Abbrandgeschwindigkeit

Auf Grund experimenteller Bestimmungen wurden verschiedene Gesetze angegeben, welche die Druckabhangigkeit von r darstellen, namlich das Gesetz von MOURAOUR [21]:

r = a + bp (6-2)

Dieses lineare Gesetz wird vorwiegend fUr kolloidale Kanonenpulver bei sehr hohen Drticken (Artillerie) angewendet, eignet sich aber weniger fUr die Druckbereiche, die bei Raketen in Frage kommen; dann ein exponentielles Gesetz mit drei Parametern [10]:

r = a + bpn (6-3)

wobei fUr einen gegebenen Treibstoff a und b empirische Konstanten und Funktionen der Anfangstemperatur des Treibsatzes sind; der Exponent n ist eine als "Verbrennungs­index" bezeichnete Konstante; schlieBlich das Gesetz von SAINT ROBERT und VIEILLE:

(6-4)

Dieses einfachere exponentielle Gesetz wird fUr die innere Ballistik von Raketen fast ausschlieBlich angewendet, nachdem auch Gl. (6-3) nicht allgemein und tiber allzu groBe Druckbereiche gilt; es ist praktisch zweckma13iger, die Konstanten des Vieilleschen Ge­setzes abzuandern, d. h. der experimentellen Kurve "anzupassen", falls man groBere Druckbereiche wiedergeben muB.

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6.4.1 Die Abbrandgeschwindigkeit 143

SUMMERFIELD und Mitarbeiter haben auf theoretiseher Grundlage fUr heterogene Ammoniumperehlorattreibstoffe die Beziehung

(6-5)

abgeleitet, welehe das experimentelle Verhalten relativ gut wiedergibt und die in Kap. 6.7. ausfUhrlieher besproehen werden soIl.

Die logarithmische Form des Saint Robertschen Gesetzes ist

log r = log a + n log p (6-6)

In einem logarithmischen Diagramm wird es daher durch eine Gerade dargestellt, deren Neigung dem Verbrennungsindex n entspricht. Dieser sollte womoglich klein sein

l,fl

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lfl Zfl Sfl Tflfl Zflfl /},f/cK lip/e/ll£}

und unterhalb 0,5Iiegen; Werte tibcr 1 sind unzulassig, wei I dann auch bei kleinen zu­falligen Drucksteigerungen die erhoht ver­brennende Treibstoffmenge nicht mehr ab­flieBen kann und der Druck bis zur Zerlegung der Brennkammer ansteigt. Die Werte ftir a sind im allgemeinen klein und liegen zwischen 0,006 und 0,12. Esist wichtig, darauf hinzu­weisen, daB die oben angegebenen Verbren­nungsgesetze nur innerhalb beschrankter Druck- und Temperaturbereiche gelten. Ganz allgemein wird die Verbrennung bei fast allen Treibstoffen unterhalb eines be­stimmten kritischen Minimaldruckes in­stabil ("Husten") oder hort ganz auf. Bei manchen Treibstoffcn falIt der Verbren­nungsindex bei einem bestimmten Druck auf Null ab, d. h. r wird konstant ("Plateau­abbrand"). Abb. 6-9 zeigt das Verhalten eines solchen Treibstoffes mit Plateauab-

Abb. 6-9. Heterogener Treibstoff mit Plateauabbrand [1]

brand, der zwischen 21 und 73 at der Gleichung r = 0,11 pM! em/sec gehorcht, wahrend von 73-140 at r = 0,635 em/sec, d. h. konstant ist. Bei manchen doppelbasigen Treib­stoffen kommen innerhalb bestimmter Druckgrenzen sogar negative n-Werte vor; man spricht in diesem Falle von "Mesaabbrand".

6.4.1.2. Temperaturabhiingigkeit der Abbrandgeschwindigkeit

Der Koeffizient a in GI. (6-4) ist erfahrungsgemaB eine Funktion der Anfangstempe­ratur T i . Er steigt mit wachsender Anfangstemperatur an, bei tiefen Temperaturen lang­sam, bei hoheren rascher. Dieses Verhalten wird durch die GIeichung

a' a = _~o_ T'~Ti

(6-7)

ausgedrtickt, wobei a~ und T' Konstanten sind. T' entspricht etwa der spontanen Ztind­temperatur, denn r wird unendlich, wenn Ti = T' ist, d. h., daB bei dieser Temperatur die Verbrennung gleichzeitig im ganzen Treibsatz stattfande.

Eine andere empirische Funktion wurde von GECKLER und SPRENGER [23] vor­geschlagen :

a = ao exp c (T i-Tn (6-8)

worin c eine Konstante, T~ eine Bezugstemperatur (z. B. 15°C) und ao der Wert von a bei T~ ist.

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144 6. Festtreibstoffe

Wenn man den Temperaturkoeffizienten von r bei konstantem Druck durch die Glei­chung

(nr)p = ! (~) = (alnr) r aTi P aTi P

(6-9)

ausdrtickt, der die relative Anderung von r je °C angibt, dann erhiiJt man durch Anwendung der Gl. (6-7)

oder aus Gl. (6-8)

1 (nr)p =-­

T-Ti

(n r)p = c

6.4.1.3. Einflull der Gasgeschwindigkeit auf die Abbrandgeschwindigkeit ("Erosiver Abbrand")

(6-10)

(6-11 )

Wie die allgemeine praktische Erfahrung zeigt, tritt eine ErhOhung der Abbrand­geschwindigkeit tiber ihren Normalwert ro dann ein, wenn die Stromungsgeschwindigkeit der Verbrennungsgase parallel zur AbbrandoberfHiche stark ansteigt. Dies ist besonders im Brennkanal von langgestreckten Treibsatzen der Fall, wobei Geschwindigkeiten bis zu 250 m/sec und mehr erreicht werden konnen. Die Erscheinung, die man als "erosive Ver­brennung" bezeichnet, wurde von einer ganzen Anzahl von Autoren [24 bis 28] studiert. Es ist wahrscheinlich, daB sie auf einer Einwirkung der Hauptstromung auf die der Brenn­stoffoberflache anliegende Flammenzone beruht, die eine Erhohung des Warmetiber­ganges und damit von r zur Folge hat. Gewisse Daten lassen vermuten, daB es eine kriti­sche Geschwindigkeit gibt, bei der die erosive Verbrennung eintritt, jedoch ist die Exi­stenz einer solchen Schwelle noch nicht mit Sicherheit bewiesen.

Es ist bekannt, daB die Massenzufuhr (die bei der Verbrennung eintritt) die Tendenz hat, die Stromung nahe der Oberflache zu destabilisieren und daB der Ansatz zur erosiven Verbrennung verb un den ist mit dem Ansatz der turbulenten Stromung in der Grenz­schicht der Stromung im Brennkanal. Der Stand der Theorie einer Kanalstromung bei gleichzeitiger Massenzufuhr ist aber noch nicht gentigend hoch, urn mehr als eine summa­rische theoretische Erfassung der Erscheinung zu ermoglichen.

Bezeichnet r die Abbrandgeschwindigkeit mit Erosion und ro diejenige desselben Treibsatzes ohne Erosion, dann kann man einen Erosionskoeffizienten k definieren

(6-12)

Nimmt man an, daB k linear von der Gasgeschwindigkeit v abhangt, dann gilt die Beziehung

(6-13)

Man kann sie auch in der dimensionslosen Form schreiben

(6-14 )

wobei ac die Schallgeschwindigkeit der Feuergase bei der adiabatischen Flammentempe­ratur Tc bedeutet.

GREEN [25] nimmt an, daB k mit der Massengeschwindigkeit G = e v in g cm-2 sec-1

zusammenhangt und schlagt folgende Beziehung vor:

r - = 1 + km (G/G*) ro

(6-15)

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6.4.1. Die Abbrandgeschwindigkeit 145

worin G* die kritische Massengeschwindigkeit bedeutet, die benotigt wird, urn in einem Brennkanal konstanten Querschnitts die Machzahl M = 1 zu erzeugen. Bei der Schwierig­keit der diesbeziiglichen Messungen stehen nicht geniigend viele und genaue Daten zur Verfiigung, urn zwischen den Gl. (6-14) und (6-15) zu entscheiden. Wenn tatsachlich eine Geschwindig­keitsschwelle fiir das Auftreten ero-

10

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siver Verbrennung bestehen sollte, "" kann keine der beiden Beziehungen ~

exakt giiltig sein. ~

~ '~, ~

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Empirische Messungen von GREEN ~ / [25] zeigen, daB der Erosionseffekt mit ~ zunehmendem r abnimmt und daher '~ bei langsamer brennenden Treibstoffen ~ ausgepragter ist, vgl. dazu Abb. 6-10.

6.4.1.4. Empirische Daten tiber die Abbrandgeschwindigkeit vel'schiedener

Treibstoffe IJ,/ tJ,/

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Wie sich aus den vorhergehenden Ausfiihrungen ergibt, existieren keine allgemeingiiltigen theoretisch begriin­deten Gesetze fiir die Abhangigkeit der Abbrandgeschwindigkeit von den verschiedenen, diese GroBe beein­flussenden Parametern. Einfache Glei­chungen wie die Saint Robertsche (6-4) fiir die Druckabhangigkeit oder Gl. (6-8) fiir die Temperaturabhangigkeit sind nur naherungsweise und nur inner­halb beschrankter Bereiche der Vari­ablen giiltig. Noch weniger lassen sich besondere Erscheinungen wie Plateau­oder Mesa-Abbrand vorhersagen oder gesetzmaBig erklaren. Es ist daher in der Praxis unerlal3lich, fiir jeden Treibstoff und fiir den jeweiligen Anwendungsbereich die Abbrandge­schwindigkeit r empirisch zu bestim­men, urn ein Gerat fiir einen bestimm­ten Schubverlauf auslegen zu konnen. Gewisse allgemeine RegelmaBigkeiten lassen sich in des sen aus der Fiille des experimentellen Materials ableiten und auch bestimmte allgemeine Richtwerte fiir die einzelnen Treibstoffklassen an­geben. Abb. 6-11, die aus [3] entnom­men ist und zum Teil auf Daten der US Naval Ordnance Test Station, China Lake, California, beruht, gibt

Abb. 6-10. Veranderung der Erosionskonstante fiir Treibstoffe mit verschiedener Brenngeschwindigkeit (nach GREEN [25])

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firud: (Kjl/C/ll 5' Abb.6-11. Daten iiber die Abbrandgeschwindigkeit ver­

schiedener Treibstoffklassen

10

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146 6. Festtreibstoffe

eine Ubersicht iiber diese Richtwerte. Man erkennt daraus u. a., daB heterogene Treib­stoffe mit Ammoniumnitrat als Oxydator sehr niedrige, mit NH4-Perchlorat mittlere und mit KCI04 hohe r-Werte ergeben; daB der Druckexponent bei NH4CI04 relativ klein, bei KCI04 aber groB ist und daB doppelbasige Pulver hohe r-Werte und mittlere Druck­exponenten aufweisen; ebenso lii.f3t sich die Abhangigkeit der Brenngeschwindigkeit von der Treibstofftemperatur erkennen.

6.4.2. Abbrandkurven (Aufnahme und Auswertung)

Das wichtigste Hilfsmittel zur Analyse des Brennvorganges und zur Bestimmung der Pulvereigenschaften ist die Aufnahme des Abbranddiagrammes, d. h. die gleichzeitige Registrierung des Brennkammerdrucks und des Schubs als Funktion der Zeit. Die Auf­nahme erfolgt wahrend des Abbrandes des zu priifenden Treibsatzes unter Priifstands­bedingungen. Folgende Bestimmungen konnen dabei durchgefiihrt werden:

1. Verlauf des Brennkammerdruckes und des im allgemeinen dazu proportional en Schubs als Funktion der Zeit.

t

2. Das Zeitintegral des Schubs; es ergibt den Gesamtimpuls It = f Fdt der abge­o

brannten Pulvermasse und bezogen auf die Masseneinheit den (experimenteIlen) spezi-fischen Impuls.

3. Auf Grund der bekannten Dimensionen des Treibstoffblockes laBt sich aus der Ab­brandzeit die Abbrandgeschwindigkeit ermitteln.

4. Fiihrt man die Bestimmung bei verschiedenen Driicken durch, dann erhalt man die Druckabhangigkeit von r und damit den Druckexponenten n und die Konstante a.

5. Fiihrt man analoge Versuchsreihen mit gleichen Treibsatzen verschiedener An­fangstemperatur durch, dann erhalt man auch die Temperaturabhangigkeit von r.

Das geeignete Mittel zur Veranderung des Druckes ist die Anderung des Halsquer­schnittes der Diise (At) von Versuch zu Versuch, d. h. die Variation der "Klemmung" (K). Diese ist definiert als das Verhaltnis der Abbrandoberflache des Treibsatzes (Ab) zum Halsquerschnitt

Fahrt man also sogenannte "Klemmungsreihen", so erhalt man auf sehr einfache Weise aIle gewiinschten GroBen und Zusammenhange und - bei entsprechender Wieder­holung der Abbrande - auch ein Urteil iiber die Reproduzierbarkeit der Werte bzw. ein Bild der Einheitlichkeit der Blocke innerhalb einer oder mehrerer Treibstoffchargen und Treibsatzfertigungen.

In Abb. 6-12 ist der Typus eines Schub-Zeit-Diagrammes fiir ungefahr neutral en Ab­brand dargestellt (das Druck-Zeit-Diagramm wiirde ahnlich aussehen; Druck und Schub sind ungefahr proportional). In der Art der Auswertung und besonders in der Bestimmung der "effektiven" Brennzeit und des "effektiven" Schubs existieren gewisse Unterschiede, d. h. die Auswertung unterliegt der Konvention 1. Wir schlagen vor, dabei dem in Abb. 6-12 angewendeten Modus, der im wesentlichen mit [1] iibereinstimmt, zu folgen, der anschlie­Bend erlautert sei: OA "Ziindverzug": die Zeit yom Einschalten des elektrischen Ziindkontaktes bis zum

"Kommen" des Ziinders, d. h. den durch den Abbrand des Ziindsatzes erfolgenden Druckanstieg (im allgemeinen Obis 0,2 sec).

1 Hier gibt es z. B. Vorschriften von der NATO. Au/3erdem gibt es genaue Vorschriften fiir die Entwick­lungsfirmen und Erprobungsstellen.

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6.4.2 Abbrandkurven 147

AB Druckaufbauperiode. Das Maximum des Schubs wird bei normaler Ztindung im Punkt B erreicht. Da der Begriff "normale Ztindung" etwas willktirlich ist, wird B zuweilen auch anders, namlich als der Zeitpunkt definiert, in dem der Schub das O,9fache des "effektiven Schubs" (siehe weiter unten) erreicht hat.

BO Abbrand mit nahezu konstantem Schub (Gleichgewichts- oder stationarer Abbrand). AD "Effektive Brennzeit"; dabei ist DaIs FuBpunkt des halben Wertes 00' bestimmt. OF Druckabfall-Periode.

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Abb. 6-12. Typisches Abbranddiagramm (Schub-Zeit-Kurve)

Der "effektive Schub" ist be­stimmt durch die Formel:

F

J Fdt F -~­

elf - AD (6-16 )

An Hand solcher Dia­gramme laBt sich der Verlauf des Abbrandes auch im Einzel­fall sehr gut verfolgen. Die punktierte Linie in Abb. 6-12 deutet z. B. zu kraftige Ztin­dung oder das Vorhandensein einer VerschluBscheibe in der Diise an. Abb.6-13 zeigt einen unregelmaBigen Abbrand und dasAuftreten von Druckspitzen vor der Mitte des Abbrandes, wie sie oft durch die Erschei­nung der Verbrennungsinsta­bilitat (siehe S. 213) verursacht werden.

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ZeIt Abb. 6-13. Unregelma13iger Abbrand und Druckspitzc

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Abb. 6-14. Einflu13 der Anfangstemperatur des Treibsatzes auf Schub und Brennzeit

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Auch Sprtinge, Risse oder porose Zonen manifestieren sich durch Druckspitzen im Dia­gramm, wenn sie nicht gar zur Zerst6rung des Gerates ftihren.

Abb. 6-14 zeigt die Veranderung der Abbrandkurve mit der Temperatur des Treib­satzes bei einem JATO-Motor. Man erkennt, wie der Schub mit abnehmender Temperatur abnimmt und die Brennzeiten entsprechend ansteigen. Der Gesamtimpuls andert sich dabei nur geringftigig, nachdem der Schubkoeffizient bei normalen Geraten mit der Temperatur nur wenig abnimmt.

10*

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148 6. Festtreibstoffe

6.5. Leistungsdaten von Fesftreibstoffen

Auch bei festen Treibstoffen lassen sich natiirlich die theoretischen Werte fiir die Aus­stromungsgeschwindigkeit und den spezifischen Impuls nach den in Kap. 3 und 4 ange­gebenen Verfahren berechnen; naherungsweise nach der Ausstromungsgleichung (3-53), nachdem Te, M und " der Feuergase ermittelt wurden, und exakt nach G1. (4-5) aus der Enthalpiedifferenz der Feuergase in der Brennkammer und am Diisenende. Auch bei Feststoffen kommt es grundsatzlich darauf an, das Verhaltnis Te/M zu optimieren. w und

Tabelle 6-4. Leistungsbereiche verschiedener Festtreibstotf-Gruppen

I

Tc I,

r (bei 20°C) Treibstolftype M (6S:1at) e

[OK] [sec] [g/em'] [em/sec]

Homogene StranggepreBte Pulver NC 50-60); NG (30-45) 2400-3200 22-28 205-230 1,60 1,5-2,3 Zusatze (1-10)

GieBpulver NC (45-55); NG (25-40) Weichmacher (12-22) 1700-2500 22-28 160-220 1,58 0,56-1,0 Zusatze (1-2)

Heterogene KCI04 + Asphalt KCI04 (70-78) 2100-2400 30 180-195 1,75 3,3-4,3 Asphalt (30-22)

KCl04 + (C2H4O)n KCl04 (50-80) 1800-3000 25-35 165-210 1,66-1,94 1,2-3,0 (C9H40)n (50-20)

NH4NOa + (C2H4O)n NH4NOa (80) (C2H 40)n (18) 1760 22 185-198 1,55 0,10-0,38 Katalysator (2)

NH4CI04 + (C2H4O)n NH4Cl04 (50-85) 1800-2800 22-25 175-240 1,52-1,75 0,25-1,3 (C2H40)n (50-15)

(Zahlen in Klammern bedeuten Prozentgehalte)

Is lassen sich also berechnen, wenn die chemische Konstitution der Partner und die Zu­sammensetzung der Gesamtmischung, einschlieBlich aller Zusatze, sowie der Brenn­kammerdruck und das Entspannungsverhaltnis bekannt sind. Auch hier kann man die Werte grundsatzlich unter der Voraussetzung erstarrter oder Gleichgewichtsstromung berechnen, und auch hier treten beim Vorhandensein kondensierter Produkte in den Feuergasen die in Kap. 4.1.2 und 4.2.5 behandelten Probleme auf.

Fiir die verschiedenen Festtreibstoffklassen sind bestimmte Leistungsbereiche charak­teristisch, die man aus der Tab. 6-4 entnehmen kann. Generellliegen diese Bereiche etwa in der Hohe der konventionellen Fliissigtreibstoffe. Bei den doppelbasigen Pulvern variieren die Werte fiir Is und Te, wie leicht einzusehen, mit dem NG-Gehalt; deshalb liegen z. B. die GieBpulver, bei welchen ein Teil des NG durch Phthalate als Weichmacher Brsetzt werden muB, beziiglich ihrer Leistung ungiinstiger als etwa die "heiBen" Ballistite.

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6.5. Leistungsdaten 149

Es wurde schon darauf hingewiesen, daB hohere NG-Gehalte, die yom Standpunkt der Leistung wiinschenswert waren, praktisch nicht realisierbar sind; einmal, weil solche Produkte als Raketentreibstoffe zu detonationsgefahrlich waren und zweitens, weil NC und NG nur innerhalb gewisser Grenzen ein stabiles festes Gel zu bilden vermogen. Bei den heterogenen Treibstoffen andert sich die Leistung mit der Natur des Oxydators (sie steigt in der Reihenfolge NH4N03, KCI04, NH4CI04 an), vor aHem aber mit dem Mischungs­verhaltnis 0: B, indem die Leistungen mit steigenden Oxydatorgehalten, d. h. mit An­naherung an das stochiometrische Mischungsverhaltnis stark zunehmen. Uber den Ein­fluB des Oxydatorgehaltes bei den heute praktisch besonders wichtigen Ammoniumper­chlorattreibstoffen mit Polyaethylenbindern existieren exakte moderne Berechnungen, iiber welche SIEGEL-SCHIELER [29] berichten und die in Tab. 6-5 dargesteHt sind. Wenn das

Tabelle 6-5. Leistungsdaten von AmmoniumperchlorattreibstotJen mit variierendem Oxydatorgehalt (N ormalbedingungen)

O:B Gew.-% I

T,

I SIc I T, ill, I I, GI. Zusammensetzung der Feucrgase hei T, in Mol % [OK] roK] [sec]

50 NH4CI04, 50 (CHzlx 1175 20,63 790 22,76 181 34,80 C(f), 22,4 Hz, 15,2 H 20, 12,3 CH4,

6,3 HCI, 4,3 CO2, 3,2 Nz, 1,4 CO

60 NH4CI04, 40 (CH2)x 1242 19,42 840 21,74 191 27,9 H 2, 26,7 C(I), 14,5 HzO, 8,1 HCI, 7,7 CH4, 7,0 CO2, 4,1 CO, 4,1 N2

70 NH4CI04, 30 (CH2lx 1312 18,41 883 20,97 200 32,2 H 2, 14,4 C(f), 13,0 H 20, 10,6 HCI, 9,9 CO2, 9,7 CO, 5,3 N 2, 4,7 CH4

80 NH4CI04, 20 (CH2lx 2036 20,43 924 20,99 221 33,7 H 2, 15,0 H 20, 15,0 CO, 14,3 HCI, 13,6 CO2, 7,1 N z, 1,4 CH4

90 NH4CI04, 10 (CHzlx 3013 26,13 1615 26,85 252 47,1 H 20, 20,6 HCI, 16,1 COz, 10,3 N z, 3,1 CO, 2,9 Hz

95 NH4CI04, 5 (CHz)x 2529 27,47 1190 27,72 219 43,9 H 20, 21,6 HCI, 13,0 °2, 11,2 N 2,

I 9,9 CO2, 0,4 CI2

0: B-Verhaltnis 50% betragt, ist das System stark unteroxydiert, und in den Feuergasen treten groBe Mengen festen Kohlenstoffs auf. Mit steigendem Oxydatorgehalt steigen die I 8-Werte, und der Gehalt an Cfest im Feuergas nimmt ab. Bei etwa 90% NH4CIOJ

wird das Optimum mit 18 = 252 sec erreicht; eindrucksvoll ist dabei die starke Zunahme del' Brennkammertemperatur T e, die beim Ubergang von del' 80%igen auf die 90%ige Mischung urn rund 10000K ansteigt. Noch hOherer Oxydatorgehalt laBt Is wieder ab­fallen, das System ist dann iiberoxydiert, und Te und Te sinken stark ab_

Der EinfluB des Brennstoffbinders auf die Leistung ist, schon infolge seines bei giin­stigen Mischungsverhaltnissen relativ gering en Anteiles, nicht sehr bedeutend. Trotzdem ist man in del' bisherigen Entwicklung bestrebt gewesen, im Binder womoglich hohe H­Gehalte zu erreichen und ist von den Polysulfiden iiber dic Polyurethane zu den Poly­aethylenen und schlieBlich zu den Polybutadien-Acrylsaure-Bindern fortgeschritten, die iiberdies sehr gute mechanische (gummielastische) Eigenschaften haben und derzeit das Optimum del' auf CH-Basis beruhenden Binder darstellen.

Eine nicht unbetrachtliche Verbesserung del' Is-Werte laBt sich bei den NH4CI04 /

(CH2kTreibstoffen durch Leichtmetallzusatze, besonders von Aluminiumpulver, erreichen. Wie man aus Tab. 6-6 entnehmen kann, ergeben sich durch diese Zusatze Erhohungen in den I 8-Werten urn 10 bis 14 sec. Wahrend Beimischungen von Al praktisch bereits in groBtem MaBstabe angewendet werden, befinden sich die ebenfalls in Tab. 6-6 angegebe­nen, noch leistungsfahigeren Kombinationen mit Beryllium und AI-Hydrid erst im Stu­dium; die Leistungsspitze als energiesteigerndes Additiv halt Be-Hydrid, dem abel' der­zeit wohl nur theoretisches Interesse zukommt (vgl. dazu S. 235).

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150 6. Festtreibstoffe

Tabelle 6-6. Theoretische Leistungsdaten von Ammoniumperchlorattreibstoffen mit energiesteigernden Zusiitzen [29] (Normalbedingungen)

I

Zusammensetzung in Gew.-~·~ Tc Me

Te Me

I, Gl. Zusammensetzung der Feuergasc [OK] [OK] [sec] bei Te in Mal%

81 NH4CIO" 9 (CH2)x, 10 Al 3433 28,54 2147 29,78 261 36,6 H20, 19,3 HCI, 10,8 CO, 10,7 H2, 9,7 N2, 7,4 CO2,

5,2 A120 3(f), 2 CI

76,5 NH,CI04, 8,5 (CH2)x, 15 Al 3621 29,83 2349 31,42 264 29,3 H 20, 18,4 HCI, 16,3 H 2,

13,3 CO, 9,4 N2, 8,0 AI20 3(f), 4,2 CO2, 4 Cl

72 NH4CI04, 8 (CH2)x, 20 Al 3784 31,17 2490 33,21 266 23,3 H 2, 20,4 H 20, 17,5 HCI, 14,7 CO, 11,0 A120 3(f), 9,1 N2,

2,2 CO2, 1,1 H, 6 CI, 2 OH

81 NH4CI04, 9 (CH2)x, 10 Be 3653 27,87 2619 29,23 278 24,2 BeO(f), 19,7 H 20, 16,9 H 2,

14,3 HCI, 12,0 CO, 7,6 N2, 2,2 CO2

1,4 H, 9 CI, 4 OH

76,5 NH4CI04, 8,5 (CH2)x, 15 Be 3860 28,61 2838 30,03 282 32,2 BeO(f), 24,3 H 2, 11,9 CO, 11,7 HCl, 6,6 N2, 6,2 H 20, 3,8 H, 1,3 Cl, 9 BeOH, 5 CO2, 3 OH, 2 Be30 3

72 NH4CI04, 8 (CH2)x, 20 Be 3819 28,96 2844 30,26 280 I 35,2 BeO(f), 30,1 H2, 11,2 CO,

6,0 N2, 4,9 HCl, 4,2 H, 3,3 C12,

3,3 Be, 1,0 BeOH, 5 Cl

76,5 NH4CI04, 8,5 (CH2)x, 15 AIHa 3346 24,91 1945 25,53 273 28,6 H2, 27,3 H 20, 15,6 HCl, 11,9 CO, 7,8 N2, 6,0 A12Oa(f),

2,6 CO2

76,5 NH4CI04, 8,5 (CH2)x, 15 BeH2 3350 21,44 2195 22,04 303 39,5 H 2, 23,1 BeO(f), 11,0 HCl, 10,3 H 20, 9,8 CO, 5,5 N2, 5 CO2,

3H

Theoretische Leistungsdaten fur Composite mit 15% (CH2)n-Binder und einer Anzahl von festen Brennstoffzusatzen hat die Callery Chemical Company fur die Oxydatoren Ammonium-Nitrat, Ammonium-Perchlorat und Hydrazin-Mononitrat, (N2HSN03), an­gegeben; sie sind in den Tabellen 6-7 A, B und C zusammengestellt, sind aber derzeit zum Teil auch nur von theoretischem Interesse.

Auch die Einfuhrung von hochenergetischen Gruppen wie NF 2' C = CH, ON02 und OF in den Kunststoffbinder ergabe grundsatzlich eine Moglichkeit weiterer Energie­steigerung. Dabei wurden z. B. Polymere folgender Struktur anzuwenden sein [38]:

oder

Maximale theoretische Leistungen wurden Leichtmetalle und deren Hydride mit der­art hochenergetischen Bindern erbringen, jedoch durfte es kaum moglich sein, solche Kombinationen als stabile feste Monergole zu erhalten. Es ist klar, daB hohe Energie und Stabilitat einander entgegenlaufende Forderungen sind, und deshalb werden die mit festen Treibstoffen erzielbaren Leistungen notwendig immer unterhalb jener der besten flussigen Zweistoffkombinationen bleiben mussen.

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6.5. Leistungsdaten

Tabelle 6-7. Leistungsdaten von Polyiithylen-Composilen. 15% (CH2 )n + optima Ie Leichtmetall­oder Hydrid-Z1tsiilze mit t'erschiedenen Oxydatoren (nach Callery Chem. Co.)

A NH4N03 als Oxydator

Leiehtmetall·

i

Gl'W.-(;o I

T, l! I Is GIg\\". IS'l! zusatz C'lH,XO, [OK] [g/em']

I

[sec] [kp seefll

keiner I

85 1508 1,53 I

202 309 Li 65 2162 1,09 247 269 Be 69 2823 1,54 288 444 Mg m 2536 1,53 249 381 B (H 2638 1,61 251 404 Al 61 2593 1,65 256 422 LiH 53 1694 1,16 234 271 BeH2 45 2823 - 333 -MgH2 4;5 2281 1,43 254 363 BlOH14 57 2311 1,26 270 340 AlH3 53 2423 1,52 282 429

B NH4CI01 als Oxydator

Leiehtmctall· G('w.-~;) T, 1! Is Gl. I S '1! zusatz XH,CIO, [OK] [g/cm'] sce] [kp scr/l]

keiner 85 2638 1,68 240 403 Li 07 2628 1,19 258 307 Be 70 3239 1,66 284 471 Mg GO 2926 1,63 258 421 B 71 2740 1,71 256 438 Al Gii 3184 1,76 265 466 LiH 60 1865 1.29 241 311 BeH2 53 2882 326 MgH2 50 2363 1,52 25G 389 BloHa 67 2476 1,44 266 383 AlH3 63 2892 1,63 280 456 LiAlH4 ;)3 2307 1,2(i 271 342

, ! Leiehtmctall· Gew.-~~ '1' i! Is Gl. Is' U ,

zusatz N,H,NO, [OK] [g/em'] [sec] [kp seefll

keiner 8;) 1654 i 1,50 217 326 Li G9 21()(j l,li5 254 292 Be G9 2823 1,52 289 439 Mg 57 2380 1,51 255 38;) B G1 2831 1,59 260 413 Al 61 2581 1,63 262 427 LiH 57 1711 1,19 240 28G BeH2 4;3 2809 334 ~lgH2 49 2272 1,42 258 366 BlOH)4 57 2436 1,25 277 346 AlH3 53 2409 1,51 284 429

151

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152 6. Festtreibstoffe

6.6. Mechanische Eigenschaften von Festtreibstoffen; Handhabung, Alterungsbestiindigkeit, Ziindung,

Isolierung und Preis

6.6.1. Mechanische Eigenschaften

Neben den Leistungsparametern (1" T e, R) sind die mechanischen Eigenschaften der Festtreibstoffe von besonderer Wichtigkeit. Die Forderungen, die hier zu stellen sind, hangen von der Aufgabe ab,

/llJ.c. ZtIj'SjlJI7I7t/I7,?

~---'x , £il'lIcll

die der anzutreibende Flugkorper erfiillen solI. So wird z. B. bei den meisten Artillerieraketen oder Geraten des Panzerschreck-Bazooka-Typs ein hoher Schub bei kurzen Antriebszeiten benotigt. Der Treibstoffblock muB die hohen, oft bis iiber 30 g ansteigenden Beschleunigungen aushalten, ohne zu zerbrechen oder seine Form nennenswert zu verandern. Bei weitreichenden Geraten wie 1nterkontinental- und Raumraketen muB dagegen ein moglichst giinstiges Massenverhaltnis ange­strebt werden, es wird deshalb Gehausebindung ge­fordert, und der Treibstoff muB womoglich gummi­elastisch sein, urn die bei Temperaturanderungen auftretenden Spannungen mit Sicherheit aufneh­men zu konnen. Bei Starthilferaketen oder Gas-generatoren werden im allgemeinen keine beson­

Abb.6.15.Spannungs.Dehnungs-Diagramm deren Anforderungen an die Festigkeit des Treib­stoffblocks gestellt.

Wie im allgemeinen bei Festkorpern bedient man sich auch zur Darstellung der mecha­nischen Eigenschaften fester Treibstoffe des Spannungs-Dehnungs-Diagramms. Es gibt die bei Anwendung verschiedener Zugspannungen a auftretende Dehnung e wieder und ist in allgemeiner Form in Abb. 6-15 dargestellt. Die Spannung a wird im allgemeinen in

kpjcm2 angegeben. Die Dehnung (relative Langenanderung) e = LJ/ ist dimensionslos.

1st die Spannung kleiner als ein bestimmter Grenzwert aF, so gilt das HOOKEsche Gesetz,

d. h. Spannung und Dehnung sind proportional: a = E . e oder da = E = const. E wird de

der Elastizitatsmodul genannt, lIE bezeichnet man als die Elastizitat. Bei Spannungen, die groBer als ap sind, wird das Material bleibend verformt. aET ist die maximale Zug­festigkeit, bei Spannungen, die groBer sind, zerbricht die Probe.

Das HOOKEsche Gesetz und die in Abb. 6-15 gezeigte Kurve beschreiben das Verhalten eines normalen Festkorpers.

Gummielastische Binder zeigen dieses Verhalten nur innerhalb gewisser Temperatur­bereiche. Bei hoheren Temperaturen ist ihre Verformung davon abhangig, wie lange die Deformationskrafte auf das Material wirken. Sie befinden sich in einem Zustand der so­genannten Viskoelastizitat, d. h., sie miissen als eine Kombination einer ideal elastischen Komponente mit einer hochviskosen Fliissigkeit betrachtet werden. Fiir solche visko­elastische Binder lassen sich verschiedene Temperaturregionen angeben, in welch en sie sich sehr verschiedenartig verhalten [12, 13, 68, 69]:

1. Unterhalb einer bestimmten Temperatur T g , die als Glas-Ubergangstemperatur bezeichnet wird, ist das Material glasartig hart und sprode. Es hat eine sehr niedrige

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6.6.1. Mechanische Eigenschaften 153

Elastizitat, daher einen hohen Modul und hohe Zugfestigkeit. Neben Tg definiert man noch die sogenannte "Versprodungstemperatur" Tb ("brittle point"), die von del' Art del' Beanspruchung, besonders von del' Beanspruchungsgeschwindigkeit abhangig ist, wobei Tb > Tg ist. 1m allgemeinen liegt Tb urn 10-15 °C iiber Tg.

2. Bei Tg findet mit zunehmender Temperatur eine deutliche Anderung del' Eigen­schaften statt. Die Elastizitat nimmt stark zu, del' Modul und die Zugfestigkeit nehmen abo Diesel' Zustand wird oft als "lederartig" bezeichnet. Doppelbasige Pulver, deren Tg wenig unterhalb del' normalen Raumtemperatur liegt, sind dafiir charakteristisch. Bei heterogenen Treibstoffen liegen Tg und Tb weit unterhalb del' Raumtemperatur. lnnerhalb eines Bereiches oberhalb Tb verhalt sich del' Binder bei kurz dauernden Beanspruchungen wie ein sehr elastisches Material, d. h. del' Elastizitatsmodul ist sehr klein, und die durch Anwendung einer Kraft VOl' sich gehende Deformation verschwindet nach Aufhoren del' Krafteinwirkung vollstandig. Bei lange reI' Krafteinwirkung ergeben sich in einem gewissen AusmaB Deformationen, die allerdings mit del' Zeit zum Teil zuriickgehen.

3. Mit steigender Temperatur beginnt ein Bereich, in dem die Verformung des Binders Z. T. irreversibel ist. Die Regionen (2) und (3) gehen fast stetig ineinander iiber.

4. Bei hoher Temperatur verhalt sich del' Binder wie eine viskose Fliissigkeit; das Material "flieBt" und zeigt kaum mehr Elastizitat (plastischer Bereich). In diesem Bereich beobachtet man auch das sogenannte "Kriechverhalten" ("creep").

Da die mechanischen Eigenschaften viskoelastischer Korper nicht nur von del' Tem­peratur abhangen, sondern (entsprechend den Relaxationszeiten del' mikrobrownschen Bewegung del' Kettenmolekiile) auch von del' Zeitdauer del' Einwirkung del' Kraft, miissen sie sowohl iiber lange Zeiten (1-100 Stunden) als auch iiber sehr kurze Zeiten (Milli­sekunden bis Sekunden) sowie bei dynamischer Dauerbeanspruchung gepriift werden, urn den Verhaltnissen bei del' praktischen Beanspruchung in del' Rakete zu entsprechen. Besonders bei Composite-Festtreibstoffen ist die dynamische Dauerpriifung wichtig, weil dieses Material unter Umstanden starke Ermiidungserscheinungen zeigt (vgl. dazu die Arbeiten von WIEGAND [31] und SCHUBERT [32, 58] und die dort angefiihrte umfangreiche Literatur).

Je nach del' Natur des Binders, GroBe und Lange del' Molektile, del' zwischenmole­kularen Krafte und besonders je nach Art und Grad del' Vernetzung treten die verschie­denen typischen Verhaltensweisen mehr odeI' mindel' stark hervor bzw. in bestimmten Temperaturintervallen besonders in Erscheinung [12, 33, 34, 35, 36]. So z. B. ist del' viskose Charakter bei Asphalt und Polyisobutylen starker betont, wahrend die stark ver­netzten Polyurethane odeI' Polybutadien-Acrylesterharze tiber ein relativ sehr groBes Temperaturintervall ein ideal gummielastisches Verhalten zeigen. Auf jeden Fall ist ftir den Binder eine moglichst tiefe Glas-Ubergangstemperatur erwtinscht und ein erst bei moglichst hoher Temperatur erfolgender Ubergang zum "FlieBen" des Materials. Del' gummielastische Bereich soll also so groB wie moglich sein.

Die mechanisehen Eigenschaften del' verschiedenen bei del' Komposition von Fest­treibstoffen verwendeten hochpolymeren Bindermaterialien sind bekannt und haben eine wohldefinierte theoretische Basis. Man kann sie heute durch Wahl del' Kettenlange in den Polymerisaten und durch Vorgabe eines bestimmten Vernetzungsgrades innerhalb ge­wisser Grenzen fast beliebig abstimmen [12,18]. Dagegen sind die Festigkeitseigenschaften del' damit hergestellten Treibstoffe theoretisch nicht vorherzusagen und miissen experi­men tell bestimmt werden. Sie hangen bei homogenen Treibstoffen weitgehend von del' N a­tur del' Nitroeellulose ab, besonders abel' von dem Misehungsverhaltnis NC : NG und dem Gehalt an anderen Weichmachern. Bei heterogenen Pulvern spielen neben dem Binder, del' natiirlich von iiberragender Bedeutung ist, noch Art, Mischungsanteil, KorngroBe und -form des "Fiillmaterials" sowie die GroBe del' Adhasionskriifte, die zwischen dem Binder und den Fiillstoffen wirksam sind, eine Rolle. Die qualitativen Zusammenhange zwisehen den mechanischen Eigenschaften von Bindern und den damit hergestellten Compositen

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154 6. Festtreibstoffe

wurden von T. L. SMITH [37] beschrieben. Entscheidend ist unter allen Umstanden eine moglichst hohe Gummielastizitat des Binders, damit er bei den geringen stochiometrisch zu fordernden Binderanteilen (die zwischen 10 und 20% liegen) noch imstande ist, die notwendigen Elastizitatseigenschaften des Treibstoffes zu liefern und den sicheren Zu­sammenhalt des Treibsatzes zu garantieren. Wenn die Elastizitat des Binders zu gering ist, zerreiBt er odeI' die Adhasionskrafte zwischen ihm und dem Ftillmaterial reichen nicht aus, urn eine stabile haltbare Mischung zu ergeben. In diesem FaIle kommt es beim Ab­brand unter Umstanden zu einer plotzlichen VergroBerung del' Oberfiache, zu Druck­anstieg, VergroBerung von r und zur Explosion. (Vgl. auch [68]).

Die meisten erfolgreich verwendeten heterogenen Treibstoffe erreichen elastische Dehnungen von 20 bis 30%, Zugfestigkeiten von 7 bis 35 kpjcm2 und Moduli zwischen 35 und 150 kpjcm2 •

6.6.2. Explosionssicherheit und Handhabung

Da del' Warmeinhalt von festen Treibstoffen ungefahr dem von Sprengstoffen ent­spricht und da detonierfahige Materialien sowohl in homogenen als auch in heterogenen Treibstoffen als wesentliche Komponenten enthalten sind, ist grundsatzlich Explosions­gefahr bei del' Handhabung gegeben. Diese Gefahr ist allerdings bei Kompositionen mit elastischen Bindern geringer, und im allgemeinen lassen sich moderne Festtreibstoffe bei entsprechender Vorsicht sichel' und gefahrlos handhaben. Beztiglich del' sicherheitstech­nischen Kenndaten explosionsfahiger Stoffe und deren Bestimmung, die sich sinngemaB auch auf feste Raketentreibstoffe anwenden laBt, vgl. die Mitteilung del' Bundesanstalt fUr Materialprtifung [48] von KOENEN, IDE und SWART. Die Empfindlichkeit gegen Deto­nationswellen kann mit Hilfe des Card-Gap-Testes bestimmt werden, del' in Kap. 10.5. beschrieben wird. Eine allgemeine Ubersicht libel' die Methoden zur Ermittlung von Kenndaten zur Beurteilung del' Sicherheit von Raketentreibstoffen gibt HAEUSELER [57].

6.6.3. Alterungsbestiindigkeit

Festtreibstoffe mtissen, besonders wenn sie ftir militarische Zwecke benutzt werden sollen, sehr bestandig sein. Sie solI ten mehrere Jahre lagern konnen und wahrend diesel' Zeit die tiblichen klimabedingten Temperaturschwankungen aushalten, ohne sich zu zer­setzen odeI' ihr mechanisches GefUge zu andern. AIle Festtreibstoffe sind Mischungen aus Komponenten, die auch bei normaler Temperatur langsam miteinander reagieren odeI' sich zersetzen. Deshalb muB schon bei del' Komposition del' Pulver die wichtige Aufgabe, die Mischung gentigend stabil zu machen, mit gelost werden. Das geschieht besonders bei den doppelbasigen Treibstoffen, die zersetzliche Nitratester enthalten, durch Zugabe geeigneter Stabilisatoren (vgl. S. 121). Bei diesen Pulvern ist die Stabilitatsprtifung, die nach einer del' in del' Pulverfabrikation tiblichen Verfahren (Bergmann-Junk-Probe, Taliani-Test, Holland-Test, Methylviolett-Probe) vorgenommen werden muB, eine wich­tige Aufgabe. 1m allgemeinen wird eine Lagerfahigkeit bzw. Alterungsbestandigkeit von etwa 5 Jahren gefordert. Innerhalb diesel' Peri ode darf ein Treibstoff seine chemischen, physikalischen, VOl' aHem abel' seine ballistischen Eigenschaften nul' innerhalb auBer­ordentlich engel' Toleranzen andern. Auch ftir Composittreibstoffe gel ten analoge Be­dingungen. Es ist gelungen, sie bei allen Pulvertypen praktisch befriedigend zu erflillen.

Bei Raketenpulvern ftir zivile, also z. B. ftir Raumfahrtzwecke, gel ten mildere For­derungen. Die Treibstoffe werden meist innerhalb eines J ahres nach del' Erzeugung ver­wendet, und auch die Temperaturschwankungen, denen sie ausgesetzt werden, sind ge­ringer als im militarischen Bereich. Es ist daher kein Problem, diesen Forderungen zu entsprechen.

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6.6.4. Zundung und Isolierung 155

6.6.4. Ziindung und Isolierung von Festtreibstoffen

Zundung und Isolierung des Treibsatzes in der Rakete bilden groBe und sehr komplexe Probleme der Antriebstechnik mit Festtreibstoffen. Eine gute Losung dieser beiden Auf­gaben garantiert einen raschen und gleichmaBigen Druckaufbau im Brennraum und den storungsfreien stetigen Abbrand des Elementes. Es geht uber den Rahmen dieses Buches hinaus, die hier vorliegenden Verhaltnisse und die Fulle der Untersuchungen ausfuhrlich darzustellen, um so mehr, als die Herstellerfirmen Zundsatze und Isolierung fast ausnahms­los mit den Treibsatzen mitliefern. Trotzdem solI auf eine kurze Darstellung der Grund­probleme nicht verzichtet werden.

6.6.4.1. Ziindung von Festtreibstoffen

Festtreibstoffe werden in der Rakete durch Abbrennen einer Zundladung ("Zundsatz") entzundet. Bei groBen Treibsatzen mussen zwei oder mehrere Zundsatze angebracht werden, um ein gleichzeitiges Anbrennen uber die gesamte Oberfiache zu erreichen. Die Zundung solI moglichst schnell geschehen, und es sollen dabei keine zu groBen Druckspitzen entstehen. Die schnelle und verlaBliche Zundung solI auBerdem mit moglichst leichten Zundgeraten erreicht werden. Um die fUr die Auslegung wichtigen Faktoren zu ermitteln, ist der Zundvorgang von verschiedenen Autoren sehr grundlich studiert worden. Eine zusammenfassende Darstellung mit ausfUhrlicher Literaturubersicht geben die Arbeiten von SUMMERFIELD et al. [59] sowie McALEVY [60].

1m allgemeinen verlauft die Zundung eines Raketentreibstoffs, nachdem das Zund­gerat (der eigentliche Zunder, die Zundladung) in Gang gesetzt ist, in drei Phasen: Als erstes heizen die Verbrennungsprodukte der Zundladung einen Teil der Oberfiache auf. und diese beginnt zu brennen. Die Flamme breitet sich dann uber die Oberfiache aus, und schlieBlich folgt eine letzte Periode, in der der Druck in der Brennkammer aufgebaut und der stationare Zustand erreicht wird. Der Energieimpuls, der im Anfang einen Teil der Oberfiache zum Brennen bringt, ist von der Art des verwendeten Zunders abhangig. Die Oberfiache des Treibstoffes kann durch Beruhrung mit heiBen Gasen oder durch Strahlung aufgeheizt werden; es kann heiBer Metalldampf auf die Oberfiache kondensieren, mit dem Treibstoff hypergole Substanzen konnen auf die Oberfiache gelangen und anderes.

Theoretische Vorstell ungen u ber die Zund ung von Festtrei bstoffen

Es sind drei Zundmechanismen vorgeschlagen worden: 1. Die Zundung in der festen Phase. Man kann annehmen, daB der Vorgang, der den

Zundverzug bestimmt, eine exotherme Reaktion in der festen Phase ist (vgl. S. 158), d. h., daB der Aufbau der gasformigen Flamme so schnell erfolgt, daB er die Zundverzugs­zeit nicht wesentlich beeinfiuBt. Der Vorgang wird dann durch eine Warmeleitungs­gleichung mit einem Zusatzglied, das die Warmeproduktion berucksichtigt, beschrieben. Dieses Modell wurde von HICKS ausfUhrlich durchgerechnet. Die Rechnung ist in [59, 61] geschildert. (Vgl. auch [69]).

2. Die Zundung in der Gasphase. Es wird angenommen, daB der wesentliche exotherme ProzeB, der zum Temperaturanstieg fuhrt, in der Gasphase ablauft und daB seine Dauer durch die Kinetik der Reaktionen in der Gasphase bestimmt wird. Die Warmezufuhr durch die Zundladung bewirkt hier also nur die Verdampfung oder Zersetzung des Treib­stoffes an der Oberfiache. Die mathematische Beschreibung eines Vorgangs dieser Art ist in [59] ebenfalls geschildert, ferner siehe [62].

3. H eterogene Reaktionen an der Treibstoffoberfliiche. Bei vielen Trei bstoffen ist der Zundverzug yom Sauerstoffgehalt der Atmosphare in der Brennkammer abhangig. Dies fUhrte zur Aufstellung eines Modells, bei dem an genom men wird, daB an der Oberfiache gasformige Phasen mit dem festen Treibstoff reagieren. Dieses Modell wurde von ANDER­SON und BROWN [63] mathematisch behandelt. Es ist ebenfalls in [59] beschrieben.

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156 6. Festtreibstoffe

Experimentelle Untersuchungen

Bei Festtreibstoffen ist der Ziindverzug noch weniger scharf definiert als bei Fliissig­treibstoffen. Eine Ubersicht iiber die verschiedenen Untersuchungsmethoden und ihre Ergebnisse findet man in [59] und [60]. Die erhaltenen Ergebnisse unterscheiden sich bei verschiedenen Auslosungsvorgangen (StoBwellen [59, 62, 64], Erwarmung durch heiBe Gase [65, 66], Aufheizen durch Strahlung [67] u. a.) und bei verschiedenen Methoden zur Bestimmung des Endpunktes (Messung des Druckanstieges in der Brennkammer, Regi­strieren der ersten leuchtenden Flamme mit einer Photozelle) oft stark voneinander. Bei allen Messungen nimmt aber die Ziindverzugszeit mit steigendem Brennkammerdruck abo Ferner wird sie geringer, wenn die Atmosphare iiber dem Treibstoff einen UberschuH an Oxydator enthalt. Hieraus laBt sich schlieBen, daB der fUr den Ziindverzug maBgebende Vorgang keine reine Feststoffreaktion sein kann. Ob er eine reine Gasphasenreaktion oder eine heterogene Reaktion ist, laBt sich zur Zeit nicht entscheiden, und dies wird auch bei verschiedenen Treibstoffen verschieden sein. In der Praxis wird das klassische Schwarz­pulver noch weitgehend als Ziindmittel verwendet. Vielfach wird es durch Zusatze von Thermitcharakter "heiBer" gemacht. Die Ziindung des Ziindsatzes wird durch eine "Ziind­pille" eingeleitet, welche meist aus Bleiazid oder Knallquecksilber besteht und durch einen elektrischen Briickenziinder zur Detonation gebracht wird. Rezepte fUr Ziind­mischungen und Ziindvorrichtungen siehe auch bei TAYLOR [2].

6.6.4.2. Isolierung der Treibsatze

Die Isolierung hat den Zweck, den Anbrand an gewissen Teilen der Treibstoffoberflache zu verhindern. Die isolierende Masse soIl gut auf der Pulveroberflache haften, nicht sprode sein und bei Temperaturunterschieden weder bei der Lagerung noch beim Abbrand selbst abspringen oder rissig werden. Sie soIl nicht brennbar oder sehr schwer brennbar sein, so daB sie wahrend des Abbrands mit Sicherheit wirksam bleibt.

Besondere Schwierigkeiten bietet die Isolierung doppelbasiger Pulver, weil die Isolier­schicht nicht nur gut haften solI, sondern auch eine Wanderung des Nitroglyzerins in die Isolierung verhindert werden muB. 1m allgemeinen verwendet man .Athylcellulose oder Polyvinylchlorid als Grundmasse, die mit geeigneten unbrennbaren Fiillstoffen gefUllt wird. Bei Compositpulvern ist die Isolierung leichter zu bewerkstelligen; man verwendet dazu meist den Brennstoffbinder des Pulvers und "fiillt" ihn mit geeigneten neutralen Fiillstoffen. Es gibt kaum Literatur iiber Isolierstoffe und -methoden, da die entsprechen­den Rezepte von den Firmen geheimgehalten werden.

6.6.5. Kosten und Beschaffung

Da bei Feststoffraketen der Gewichtsanteil des Treibstoffes sehr hoch ist - er betragt bei Tragerraketen mehr als 90% des Gesamtgewichtes des Triebwerkes: - sind die Treib­stoffkosten von wesentlicher Bedeutung. GenerelllaBt sich sagen, daB Feststoffe betracht­lich teurer sind als die konventionellen Fliissigtreibstoffe, mit denen sie knapp leistungs­gleich sind; da aber die Konstruktionskosten bei Feststofftriebwerken infolge der relativen Einfachheit der Gerate niedriger liegen als bei Fliissigkeitstriebwerken, wird der Preis­unterschied zum Teil ausgeglichen. Es gibt Preisvergleiche der Erzeugerfirmen, die bei groBen Tragerraketen sogar einen Preisvorsprung fUr Feststoffgerate behaupten [17, 18]. Ob diese Vergleiche einer wirklich kritischen Priifung standhalten, ist schwer zu ent­scheiden; fiir ihre Objektivitat spricht, daB die betreffenden Firmen auch Erzeuger von Fliissigkeitstriebwerken sind und daher kein sichtbares Interesse besteht, den einen Typ vor dem anderen zu bevorzugen.

Auch bei Festtreibstoffen ist der Preis natiirlich eine Funktion der Rohstoff- und Ver­arbeitungskosten sowie der GroBe der Erzeugung. In diesem Zusammenhang ist eine von

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6.7. Abbrandtheorien 157

ROBERTS [17] angegebene Kurve von Interesse, die in Ab b. 6-16 dargestellt ist, in welcher die Kosten moderner Compositepulver ftir den diskontinuierlichen (bath-mix) ProzeB und dem neuen kontinuierlichen Verfahren als Funktion des Produktionsvolumens angegeben sind.

Daraus geht hervor, daB in den N

USA moderne Compositepulver zwi-schen 2 und 7 DMJkg kosten. Die Preise in Europa liegen betrachtlich hOher, da sowohl die Preise der Roh­stoffe (besonders fur Ammoniumper­chlorat, fur welches es z. B. in der Bundesrepublik Deutschland keine Erzeugungsanlage gibt) als auch die Verarbeitungskosten h6her liegen und die verbrauchten Mengen viel ge­ringer sind.

Bei guten modernen doppelbasi­gen Raketenpulvern liegen die Preise fur die fertigen stranggepreBten und auf Homogenitat geprtiften Treib-satze bei etwa 15 bis 20 DMJkg. Die Beschaffung stellt, da es sich bei den Rohstoffen fUr aIle Pulvertypen um Erzeugnisse der Zellulose-, Kunst­stoff- und der chemischen GroB­

1Z

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Abb. 6-16. Kostenvergleich zwischen kontinuierlichem und Teilmengen-Mischproze13 fUr moderne Compositepulver

(ohne Entwicklungs- und Anlagekosten)

industrie handelt, auch bei Verwendung in groBem StH kein Problem dar. Auch die ftir die Bundesrepublik Deutschland erwahnte Mangellage ftir Ammoniumperchlorat ist nicht grundsatzlicher Art, sondern eine Folge der bisher tiberhaupt nicht angelaufenen indu­strieIlen GroBhersteIlung soIcher Pulvertypen 1.

6.7. Abhrandtheorien

AIle bisher besprochenen GesetzmaBigkeiten und Erkenntnisse tiber den Abbrand von Festtreibstoffen wurden rein empirisch ermittelt, und auch aBe Kompositionen der heute verwendeten Raketenpulver sind auf empirischer Grundlage entstanden. Zusammen­setzung und HersteBung der homogenen, doppelbasigen Treibstoffe beruht auf Er­fahrungen der alten "Pulvermacherei", und auch die Entwicklung der modernen Composite war im wesentlichen auf Empirie aufgebaut. Selbst das in beiden Gruppen so wichtige Problem der katalytischen oder abbrandregelnden Zusatze konnte sich nicht auf wesent­liche in der Theorie begrtindete Erkenntnisse sttitzen, sondern muBte empirisch gelost werden.

Der Grund dafUr, daB die Theorie des Feststoffabbrandes bis heute keine Auswirkun­gen auf die praktisch-technische Entwicklung austiben konnte und nicht imstande war, irgendwelche Angaben zur Verbesserung der Kompositionen oder des Abbrandvorganges zu machen, liegt darin, daB dieser Vorgang ungeheuer komplex ist und bei den verschie­denen Pulvern offensichtlich auch verschiedenartig verlauft. Die mathematische Be­handlung, selbst der einzelnen Teilprobleme, bedarf drastischer Vereinfachungen, so daB das schlieBlich gewahlte Modell den wirklichen Verhaltnissen meist nicht mehr hinreichend entspricht. Die theoretische Literatur tiber den Abbrand von homogenen und heterogenen

1 Die Herstellung von Ammoniumperchlorat erfordert hohe Stromkosten; sie ware daher in der Bundes­republik Deutschland ohne gro13e Staatszuschiisse kaum miiglich.

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158 6. Festtreibstoffe

Treibstoffen und tiber die praktisch so wichtigen Erscheinungen des erosiven und des instabilen Brennens ist bereits so umfangreich, daB sie eine groBe eigene Monographie rechtfertigen wtirde. Zusammenfassende Darstellungen mit ausftihrlichen Literatur­angaben siehe bei GECKLER [10] und HUGGET [39]; auf wichtige neuere Einzelarbeiten wird spater noch hingewiesen werden. 1m folgenden solI ein kurzer Uberblick tiber die wich­tigsten Theorien gegeben werden. Obwohl dieser nicht vollstandig ist, nimmt bereits dam it die Theorie einen unverhaltnismaBig groBen Teil des Kapitels in Anspruch. Dies ist, wenn nichts Wesentliches weggelassen werden solI, unvermeidlich.

6.7.1. Qualitative Vorstellungen liber den Abbrand homogener Treibstoffe

Zur Beschreibung des Abbrandes homogener Treibstoffe wird ein eindimensionales stationares Modell verwendet. Es wird angenommen, daB eine unendlich ausgedehnte Flache abbrennt, daB aIle Stellen einer ZUI' abbrennenden Oberflache parallelen Flache im gleichen Zustand sind und daB der abbrennende Treibstoff so nachgeschoben wird, daB die Oberflache immer an derselben Stelle bleibt. AIle die Verbrennung beschreibenden

tes/er !reius/171'1'

Ziscilzl7l7e !t:ucillentle H<ln7n7e

Abb. 6-17. Eindimensionales Modell des Abbrandes eines homogenen Treibstoffs (nach [10])

GraBen sind unter diesen Voraus-setzungen nur von der zur Oberflache senkrechten Koordinate abhangig.

Abb. 6-17 gibt ein nach experi­mentellen Untersuchungen zusam­mengestelltes qualitatives Bild del' Abhangigkeit der Temperatur von der mit y bezeichneten Koordinate senkrecht zur Oberflache.

1m festen Treibstoffherrscht weit von der Oberflache entfernt die Tem­peratur To. Sie steigt bei Annaherung an die Oberflache an und erreicht an der Oberflache den Wert Ts. An die Oberflache schlieBt sich die soge­

nannte Zischzone an. Von der Oberflache aus werden Treibstoffpartikel weggeschleudert, die mit einem zischenden Gerausch verdampfen oder sich zersetzen. In der Zischzone steigt die Temperatur zunachst steil an, urn dann nahezu konstant zu bleiben. Der nachste steile Temperaturanstieg liegt in der "Flammenreaktionszone", an die sich die leuchtende Flamme mit nahezu konstanter Temperatur anschlieBt. Die Vorgange in den einzelnen Zonen lassen sich weitgehend getrennt beschreiben.

1m festen Treibstoff stramt die Warme von der heiBen Oberflache ins Innere. Fande im Treibstoffblock keine chemische Veranderung statt, so wtirde ftir die Temperatur im Block (also fUr y < 0) die Gleichung

T - To = (Ts - To)e(incpy)/).

().. = Warmeleitungskoeffizient)

(6-17)

gelten, d. h. In (T - To) ware eine lineare Funktion von y. Tragt man In (T - To} tiber y auf, so erhalt man in groBem Abstand von der Oberflache y = 0 wirklich eine Gerade. In der Nahe der Oberflache weicht die Kurve von der Geraden ab, da der Treib­stoff sich zu zersetzen beginnt und dabei Warme frei wird. Je mehr man sich der Ober­flache nahert, urn so schneller steigt die Temperatur an. Die Zersetzung des Triilibstoffes in Abhangigkeit von der Temperatur ist von verschiedenen Autoren untersucht worden.

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6.7.1. Der Abbrand homogener Treibstoffe 159

Es wurden TreibstoffblOcke in eincll Thermostatcll gebracht und die Temperatur im Inneren der BlOcke gemessen. Wenn der Treibstoffblock sich zu zersetzen beginnt, steigt die Temperatur im Block tiber dic dcr Umgebung all, und es stellt sich ein Gleichgewichts­zustand ein, in dem die durch die Reaktion freiwerdende Warme gleich der nach auBen abgeleiteten ist. Da die Reaktionsgeschwindigkeit extrem temperaturabhangig ist, exi­stiert dieser Gleichgewichtszustand aber nur bis zu einer bestimmten Temperatur, bei hoheren Temperaturen explodiert der Block. Eine genauere Darstellung der verschie­denen Zersetzungsmechanismen und der MeBmethoden wird in [39] gegeben, wo auch weitere Literatur angegeben ist.

Die Temperatur Ts in Abb. 6-17, also die Temperatur der abbrennenden Flache des betrachteten Modells, ist schwer zu definieren und schwer zu messen, da gerade an dieser Stelle die Temperatur sehr steil ansteigt und zwischen dem festen Treibstoffblock und der gasformigen Flamme zuweilen noch ein zweiphasiges Ubergangsgebiet, die sogenannte Schaumzone liegt. Die Temperatur Ts wird deshalb in den meisten Theorien als freier Parameter behandelt, und die verschiedenen Autoren geben sehr verschiedene Werte an, von denen in [39] einige zusammengestellt sind.

In der tiber der Oberflache liegenden "Zischzone" zersetzt sich der Treibstoff voll­standig, und es wird ein Teil der Reaktionsenergie frei. Das Gas in der "Zischzone" leuch­tet nicht. Fur die Lange der dunklen Zone bei Verbrennung eines typischen doppelbasi­gen Treibstoffes gibt HUG GET [39] die Naherungsformel

(6-18)

an. Unterhalb 200 psi ~ 13 at tritt keine leuchtende Flamme mehr auf. Uber 1000 psi ~ 70 at ist es schwer, die dunk Ie Zone noch zu erkennen. Temperaturmessungen in der Zischzone sind im ersten Teil, in dem die Temperatur rasch ansteigt, schwierig, in dem Teil, in dem sich die Temperatur nur wenig andert, einfacher. Die Temperatur wurde mit Thermoelementen und spektroskopisch gemessen; die mit beiden Methoden gefundenen Werte stimmen fiir den zweiten Teil der Zone relativ gut uberein.

In der Flammen-Reaktionszone wird die restliche Reaktionsenergie frei. Die End­temperatur der leuchtenden Flamme entspricht einer vollstandig ablaufenden Reaktion. Die vorstehend qualitativ umrissenen Vorgange werden nur im Falle eines Stirnabbrandes in ungestorter Form verlaufen; diescr aber wird wegen der relativ geringen GroBe der Abbrandflache und des daher relativ niedrigen Schubes praktisch nur wenig verwendet. Bei allen anderen Treibsatzformen muB parallel zur brennenden Oberflache eine Gas­stromung existieren, in welche durch die Verbrennung eine stetige Massen- und \Varme­zufuhr erfolgt und die in Richtung Duse immer schneller wird. Diese Gasstromung wirkt ihrerseits auf die Verbrennungszonc ein und muB diese je nach der Stromungsgeschwindig­keit verschieden stark beeinflussen und verandern. Das heiBt, daB dann die Faktoren der Stromung mit den Erscheinungen der Reaktionskinetik, Diffusion und Warmeubertra­gung gekoppelt sind, d. h. weiter, daB neben den Unterschieden der Reaktionen bei den einzelnen Pulvern auch die Geometrie des Treibsatzes und besonders des Brennkanals sowie seine absoluten Dimensionen von EinfluB sind. Diese Einflusse der Stromung sind es, welche die in so hohem MaBe st6renden Erscheinungen des erosiven und des instabilen Brennens verursachen. Die im folgenden geschilderten Abbrandtheorien berucksichtigen diese Erscheinungen jedoch nicht, sondern betrachten nur den senkrecht zur Oberflache abbrennenden Treibstoffblock.

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160 6. Festtreibstoffe

6.7.2. Aufstellung der Gl'undgleichungen fUr den Abbrand homogener Treibsatze

Der Abbrand wird als eindimensionales stationares Problem behandelt. Unsere Dar­steHung folgt dem schon zitierten Aufsatz von GECKLER [10]. Der Brennstoffstrang bewegt sich mit der Geschwindigkeit r (gemessen in em/sec) so von links nach rechts, daB die abbrennende Flache immer an derselben Stelle bleibt.

In jeder Sekunde verbrennt je cm2 die Treibstoffmenge

rh = r . eo rh = Massendurchsatz je Flacheneinheit

r = Abbrandgeschwindigkeit

eo = Dichte des Treibstoffes

(6-19)

Da der Vorgang als stationar angesehen wird, betragt die Masse der Feuergase, die je sec einen cm2 einer zur Stromungsrichtung senkrechten Flache passieren, ebenfalls:

12 • v = rh = r . eo (6-20)

Beim stationaren Vorgang gel ten fiir das Gasgemisch in der Flamme weiterhin folgende Erhaltungssatze:

1. Die Kontinuitatsgleichungen fiir die einzelnen Substanzen. Die Koordinate in der Richtung, in die der Strang sich bewegt, wird mit y bezeichnet. Es gilt:

f!i = Konzentration der i-ten Komponente in g/cm3

Vi = Geschwindigkeit der i-ten Komponente in em/sec

J i = Entstehungsgeschwindigkeit der i-ten Komponente in g/(cm3 • sec), vgl. S. 96

(6-21 )

Die Geschwindigkeit Vi unterscheidet sich von der Gesamtgeschwindigkeit urn die Diffusionsgeschwindigkeit; bezeichnet man diese mit Vi, so gilt:

( 6-22)

Die GroBe Vi ist eine komplizierte Funktion der Zusammensetzung. Nur wenn das Gemisch aus nur zwei Komponenten A und B besteht, kann man fiir die Diffusions­geschwindigkeit eine einfache Formel angeben:

(6-23)

wobei der Diffusionskoeffizient DAB von der Temperatur und vom Druck abhangt (DAB andert sich mit T3/2/ p). 'Fiir Gemische aus mehreren Komponenten ist man auf N aherungs­formeln wie die von CURTISS und HIRSCHFELDER [40, 41] angewiesen.

Summiert man die Gl. (6-21) iiber i, so entsteht:

L: d ((.li vi) = d((.lV) = ~Ji = 0 i dy dy i (6-24)

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6.7.2. Grundgleichungen fUr den Abbrand homogener Treibsatze 161

Die GroBe e ist mit dem Druck und der Temperatur durch die Zustandsgleichung verkniipft. Sie hat fiir jeden Aggregatzustand eine andere Form:

a) 1m Festkorper kann man die durch Druck- und Temperaturanderungen verursach­ten Dichteanderungen vernachlassigen, und die Zustandsgleichung hat die einfache Form

e = eo (6-25)

b) 1m Gasraum kann man die Zustandsgleichung fiir ideale Gase

verwenden.

p.M e=-­Ro' T

(6-26)

c) Zuweilen befindet sich zwischen dem festen Treibstoffstrang und dem Gebiet, in dem der Treibstoff bereits verdampft ist oder sich zersetzt hat, cine Schicht endlicher Dicke, in der beide Phasen vorhanden sind, in der also der Treibstoff und sein Dampf oder seine Zersetzungsprodukte einen Schaum bilden. Fiir diesen Schaum haben PARR und eRA WFORD [42] die folgende Zustandsgleichung angegeben:

_l_=l-E+_E_ mit QScbaum Qo eGas

o - p. MG• s ~Gas - Ro' T (6-27)

Dabei ist e die "Reaktionslaufzahl" del' Verdampfung, gibt also an, ein wie groBer Teil des Treibstoffes bereits verdampft odeI' zersetzt ist.

2. Die Warmeleitungsgleichung und der Energiesatz. In del' Rechnung wird meistens angenommen, daB man die Druckunterschiede innerhalb del' Flamme vernachlassigen kann. Fiir den betrachteten stationaren Fall lautet die Warmeleitungsgleichung dann:

oder

Dabei ist:

und

aT I ((!iVihi) - A - = 0 = const i ay

hi = Enthalpie del' i-ten Substanz in cal/g

A = Warmeleitungskoeffizient

(6-28)

L (!ihiVi = die von den je sec durch einen cm2 gehenden Gasen trans­portierte Enthalpie

-A aT = die durch den cm2 je sec durch Warmeleitung transpor-ay tierte Warmemenge

Die Gleichung sagt aus, daB die Summe del' beiden letztgenannten GroBen iiberall gleich und konstant sein muB, daB es also nirgends eine Warmestauung gibt, die zu einer Temperaturanderung fiihren wiirde. Fiir den 'Wert del' Konstanten 0 lassen sich zwei Werte ange ben:

a) 1m Gasraum, weit hinter der Flammenfront ist dT = 0 und T = Tb d. h. die dy

Temperatur gleich del' adiabatischen Flammentemperatur; ferner sind hier die Konzen­trationen konstant, so daB keine Diffusion me hI' stattfindet. Damit haben aIle Komponen­ten die gleiche Geschwindigkeit vb und es gilt:

(6-29)

Dadicu· Damm·Schmidt, Rakctentrcihstoffe 11

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162 6. Festtreibstoffe

b) 1m festen Treibstoff weit VOl' del' Flammenfront ist ebenfalls ~~ = 0; ferner ist dy

die Temperatur gleich del' AuBentemperatur, also T = To, und aIle Komponenten (hier die Brennstoffe) haben die Geschwindigkeit r, also gilt:

(6-30)

und man kann die Warmeleitungsgleichung in del' Form

(6-31 )

schreiben, wobei die GraBen (!i und hi Funktionen del' Temperatur sind. Die angegebenen beiden Differentialgleichungen, namlich die Kontinuitatsgleichung

und die Warmeleitungsgleichung, in Verb in dung mit den Formeln fiir die in ihnen cnt­haltenen GraBen, beschreiben das System Treibstoff + Flamme. Da angenommen wurde, daB del' Druck iiberall im System gleich ist, ist diese Beschreibung vollstandig. Da die Druckunterschiede nicht sehr groB sind, ist diese Annahme im allgemeinen berechtigt. In gewissen Fallen muB allerdings die Ortsabhangigkeit dcs Dl'ucks beriicksichtigt werden. So wiirde die Anwendung del' EULERschen Gleichung, die fiir das eindimensionale station are Problem

lautet, v = const ergeben, wenn man annimmt, daB iiberall del' gleiche Druck herrscht.

6.7.3. Die Tbeorie von Rice und Ginell fUr den Abbrand homogener Treibsatze

RICE und GINELL [43, 10] haben das folgende Modell eines abbl'ennenden homogenen Treibstoffes angegeben und untersucht. Die Reaktion verlauft in den in Abb. 6-18 gezeig­ten Schritten.

f) '" ' 0 0 " I) 6

a ,)chtll1l-.. Ziscl!- fiJrt7e1"c/ltI/1,fS- /I"ml1lt1l7-g ztJlle (10 zOl1e LU/le zOlle

~ f'o·ooo.oo·

y- -00 y-iJ y, .Yz .!I.J +=

To Is 'i Tz ,;i Abb. 6-18. Das Modell von RICE und GINELL

Del' Treibstoff habe weit von der Flammenfront entfernt (im Bild y = -00) die Temperatur To. In Richtung auf die Flammenfl'ont hin schlieBt sich an den festen Strang zuniichst eine zweiphasige Schaumzone an, an deren Ende die Zischzone beginnt. An del' Gl'enzflache (im Bild y = 0) herrscht die Temperatur Ts. Die Zersetzung des Treibstoffes beginnt im festen Strang und del' Schaumzone unter Abgabe del' Warme Qo und ist am Ende del' Zischzone abgeschlossen, nachdem die Warmemenge Ql fl'eigeworden ist. Wcnn keine Warmeleitung von der Flammenzone nach links stattfande, betriige die Temperatur am Anfang und Ende del' Spriihzone

und

Co = mittlere Warmekapazitat in der Schaumzone

c1 = Warmekapazitat in der Zischzone

(6-32)

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6.7.3. Die Theorie von RICE und GINELL 163

In der Vorbereitungszone wird keine Warme frei. Am Ende der Flammenzone wird die adiabatische Flammentemperatur

(6-33)

erreicht. Infolge der Warmeleitung ist TI > Ti und Ts > T~. Aus den Temperaturen an den Randern der Zonen T8) T I, T 2, T3 und den Werten T~ und Ti werden nun die di­mensionslosen GroBen

fJI = (Ts - T~)/(TI - T~)

fJ2 = (Tl - Ti)/(T2 - TD fJ3 = (T2 - Ti)/(T3 - Ti)

(6-34)

gebildet. Eliminiert man in den 3 Gleichungen TI und T2 und lOst nach Ts auf, so ent­steht:

(6-35)

Da T~, Ti und T3 bekannt sind, kann man aus dieser Gleichung T s, also die Temperatur an der Oberflache (y = 0) bestimmen, wenn fJv fJ2 und fJ3 berechnet sind.

Zur Berechnung der fJi machen RICE und GIN ELL die weitere vereinfachende Annahme, daI3 die in der Sprtihzone und der Flammenzone entstehende Warme in den Ebenen Y = YI und Y = Y3 freigesetzt wird.

In den dazwischenliegenden Zonen ist dann in jeder Zone dasselbe einfache Warme­leitungsproblem zu lOsen. Die Losung lautet:

(j = 1, 2, 3) (6-36)

wobei L1 Yj die Lange der Zone ist. Die Flugzeit, die zum Passieren der j-ten Zone benotigt wird, betrage L1 t j • Dann ist

A _ At _ Ll Ii . Ii! _ At m . Ro . T j LJ Yj - LJ j. Vi - - LJ j • ~ _

(! p.Mj

(6-37)

Nun ist aber L1 tj die mittlere Reaktionszeit der in der j-ten Zone ablaufenden Reak­tion, esist vomDruck abhangigund gleich 1/(kj • pn-I), wenn die normale chemische Reak­tionsgeschwindigkeit f""oo.'pn ist. Damit sind die fJi als Funktionen des Druckes und gewisser Geschwindigkeitskonstanten lei gegebcn und es wird:

i = 1,2,3

und ( 6-38)

i = 1,2,3

Das zu IOsende System besteht nun aus diesen 3 Gleichungen und den 3 Definitions­gleichungen der fJi' es enthalt die Unhekannten T s, Tv T 2 und fJv fJ2' fJ3 und rho

Eine weitere Gleichung liefert die Annahme, daB die Zersetzung oder Verdam pfung des Treibstoffes an der Oberflache einer Arrheniusgleichung gehorcht:

(6-39)

Damit ist das System vollstandig.

11*

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164 6. Festtreibstoffe

In der Rechnung ist die Diffusion vernachlassigt. RICE und GIN ELL leiten deshalb noch ein weiteres Gleichungssystem ab, das Korrekturen enthalt, die sie beriicksichtigen (vgl. [43], eine kurze Darstellung ist in [10] enthalten). Aber auch nach Beriicksichtigung der Diffusion enthalt die Rechnung noch gewisse Willkiirlichkeiten. Eine genauere Rechnung wurde von PARR und ORA WFORD [42] durchgefiihrt, die die Grundgleichungen integriert haben. Sie ist ebenfalls in [10] geschildert.

6.7.4. Die Abbrandtheorie von Johnson und Nachbar

JOHNSON und NACHBAR [49] haben den Abbrand des Ammoniumperchlorats unter­sucht und dabei auch eine Theorie aufgestellt, die den Abbrand homogener Treibstoffe beschreibt. Die Rechnung geht von den Gleichungen (6-21) bis (6-28) aus und verwendet ein eindimensionales stationares Modell wie die Theorie von RICE und GINELL. Es wird jedoch nur ein Reaktionsschritt in der Gasphase angenommen, so daB die Temperatur von der abbrennenden Oberflache an monoton steigend und mit stets kleiner werdendem Gradienten ihrem Endwert T f zustrebt und aIle Konzentrationen als Funktionen einer einzigen Reaktionslaufzahl dargestellt werden konnen.

Es wird angenommen, daB der Druck in der ganzen Brennkammer gleich ist, daB die Brennkammer iiberall den gleichen Querschnitt besitzt und daB die spezifischen Warmen der einzelnen Substanzen untereinander gleich und von der Temperatur unabhangig sind. Ferner wird vorausgesetzt, daB die LEwIS-Zahl gleich eins, also Cp ' (! • D = A ist. Fur Vi wird eine Naherungsformel verwendet.

Unter diesen vereinfachenden Annahmen lassen sich die Gleichungen (6-21) bis (6-28) losen, und man kann einen Ausdruck fur m ableiten, der aber die unbekannte Oberflachen­temperatur Ts enthalt.

Urn rh berechnen zu konnen, muB eine zweite Beziehung zwischen Abbrandgeschwin­digkeit und Oberflachentemperatur aus der Verdampfungs- bzw. Zersetzungskinetik an der Oberflache gewonnen werden. JOHNSON und NACHBAR [49] verwenden die Annahme, daB die Reaktion an der Oberflache praktisch nur in einer Richtung lauft und rechnen mit der von WILFONG, PENNER und DANIELS verwendeten Formel

E, rh = Bs' T:' e - RT,

als Randbedingung. Diese Annahme wird fiir das Ammoniumperchlorat mit den Ergeb­nissen von Pyrolysemessungen begriindet. Sie ist aber nicht die einzig mogliche. Man kann auch annehmen, daB an der Oberflache die entstehenden Gase mit dem Kondensat im Gleichgewicht sind [50, 51]. Nimmt man an, daB an der Oberflache die Reaktion

Kondensat :::; :z; YiAi

(Yi = Molzahl, Ai = chemisches Symbol)

vor sich geht und daB ferner die entstehenden Gase sich ideal verhalten, so kann man damit eine andere Formel fur Ts aufstellen und zur Berechnung von rh benutzen. Ferner laBt sich auch eine aus den Gleichungen fur diese beiden Grenzfalle kombinierte Formel aufstellen und zur Berechnung von rh verwenden [50, 51, 52].

Verwendet man die Formel von WILFONG, PENNER und DANIELS, so erhalt man fUr rh eine Funktion, die mit wachsendem Ts und mit wachsendem p monoton ansteigt. Ver­wendet man dagegen fur die Beschreibung der Vorgange an der Oberflache die Gleich­gewichtsbedingung, so hat, wie SPALDING [51] gezeigt hat, die Funktion rh = t(p) einen anderen Verlau£. Sie steigt zunachst mit wachsendem Druck an, erreicht bereits bei end­lichen Drucken ein Maximum und fallt dann mit wachsendem Druck wieder abo

Die Existenz eines unteren Grenzdruckes, der in der Brennkammer mindestens herr­schen muB, damit das Gemisch abbrennen kann, wird mit Hilfe der Warmeverluste erklart.

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6.7.5. Der Abbrand heterogener Treibstoffe - 6.7.6 Der Abbrand von Perchlorat.Compositen 165

6.7.5. Qualitative Vorstellungen tiber den Abbrand heterogener Treibstoffe

1m Composit sind Korner eines Oxydators oder eines Brennstoffes oder Korner von beiden in einen Binder eingelagert, der wieder ein Brennstoff oder ein Oxydator ist. Den Abbrand dieses Gemisches von Kornern kann man nicht ohne weiteres als eindimensiona­les Problem behandeln. Die ObedHiche des Treibstoffstrangs enthalt jetzt Brennstoff- und Oxydatorflecken, von denen aus Brennstoff und Oxydator einzeln verdampfen und sich erst im Gasraum vermischell. Die Oberflachen von Oxydator und Brellllstoff haben ver­schiedene Temperaturen, d. h. die Brennstoff- und Oxydatorkorner ragen verschiedell weit in die Flamme hinein.

Ein eindimensionales Modell dieses Vorgangs kann man nur aufstellen, indem man mit Mittelwerten rechnet. Diesen Weg geht SUMMERFIELD in seiner Theorie des Abbrandes des Ammoniumperchlorats. vVenn man die Vorgange genau beschreiben will, muB man Materialtransport, Diffusion und Warmeleitung senkrecht zur Ausbreitungsrichtung der Flamme beriicksichtigen. Dies wurde an verschiedenen Modellen versucht: NACHBAR betrachtete den Abbrand eines Paketes von aufeinandergelegten Brennstoff- und Oxyda­torscheiben, das sogenannte Sandwichmodell [45]; BARRERE und NADAUD untersuchten den Abbrand von Oxydatorkugeln in einem Brellnstoffstrom und von Brennstoffkugeln in Oxydatoratmosphare, theoretisch und experimentell [50, 53, 54], und CHAIKEN hat eine halbquantitative Betrachtung liber den Abbrand in einen Binder eingelagerter Oxydatorkugeln angestellt [55].

Eine qualitative Diskussion des Abbrandes stammt von FRIEDMAN und LEVY [22]. Eine genauere Ubersicht tiber die experimentellen und theoretischen Untersuchungen tiber den Abbrand der heterogenen Treibstoffe findet man bei BARRERE [50].

6.7.6. Die Theorie von Summerfield (Abbrand von Pcrchlorat-Compositen)

SUMMERFIELD und Mitarbeiter [44] haben den Abbrandmechanismus von Cumpositen am Beispiel von in einen Kunststoffbinder eingelagerten Ammoniumperchlorat-Kornern untersucht. Nachdem sie mit verschiedenen experimentellen Techniken die Flamme unter­

7

T;--------------~----~~~==========-

d7>O dI

Ts--------------~----~-------------------

0--~====~~---+-----+-------------------

Abb. 6-20. Das Modell von SUMMERFIELD

sucht hatten, stellten sie das fol­gende Modell auf, das durch ihre Formeln beschrieben wird: Die Ober­Hache des Stranges ist trocken, Brennstoff und Oxydator verdamp­fen oder zersetzen sich, ohne vorher zu schmelzen. Brennstoff und Oxy­dator mischen sich nur in der Gas­phase. Die Verdampfung oder Zer­sctzung kann exotherm oder endo­therm verlaufen. Die Oxydations­warme wird jedoch nur in der Re­aktionszone freigesetzt. Der Dampf des Brennstoffes oder des Oxydators bildet in dem ihn umge benden an-deren Partner eine Art "Blasen"

(pockets). Es wird angenommen, daB die Masse der Substanz in einer Blase zwar sehr viel kleiner ist als die Masse eines Korns, daB sie aber von KorngroBe abhiingt. Eine Flamme, die solche "Blasen" enthalt, wird als "granulare Diffusions-Flamme" be­zeichnet. Abb. 6-20 gibt ein Bild des Modells und zeigt den Temperaturverlauf in den ein­zelnen Zonen.

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166 6. Festtreibstoffe

Abb.6-19a. Verbrennung einer Treibstoffscheibe aus Ammoniumperchlorat und Polyurethan bei Atmospharendruck (Aufnahme SELZER, DFL-AuBenstelie Trauen)

Abb. 6-19b. Verbrennung einer Treibstoffscheibe aus Ammoniumperchlorat und Polyisobutylen bei Atmospharendruck (Aufnahme SELZER, DFL-AuBenstelie Trauen)

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6.7.6. Die Theorie von Summerfield 167

Zwischen der Abbrandgeschwindigkeit r, der Dichte dcs festen Treibstoffs es, der Ge­schwindigkeit VG und Dichte im Gasraum eG und und dem :Massendurchsatz rh gilt wieder die Gleichung

rh = r . (!s = eG • VG

Da innerhalb der Reaktionszone die Verbrennung nahezu vollstandig verlauft, gilt ferner:

dE L

dt vG

dE L 'oG - . --~-~ ~ 1 dt Ih

oder L=~ dE

(2G' dt

L = Lange der Reaktionszone

E = Reaktionslaufzahl

dE = mittlere Reaktionsgeschwindigkeit dt

( 6-40)

Aus der Warmeleitungsgleichung laBt sich nun die folgende Naherungsgleichung ab­leiten, die eine Warmebilanz des stromenden Gases darstellt.

oder

Cs = spezifische Warme des festen Treibstoffs

AG = Warmeleitungskoeffizient im Gasraum

QR = Reaktionswarme

Qs = Zersetzungs- und Verdampfungswarme des Treibstoffes

Mit Hilfe dieser Gleichungen werden nun zwei Grenzfalle diskutiert:

(6-41 )

1. Bei sehr geringen Drucken verlauft die Diffusion sehr viel rascher als die Reaktion, und man hat den gleichen VerI auf, als wenn die zuvor gemischten Gase miteinander re­agieren wurden.

In der Flamme wird eine Reaktion zweiter Ordnung angenommen, und es gilt:

L=rh.~=rh_ (2G dE (2G

dt

-----. -~-F.-;-

(1 )0 A -R,~ - E - (2G' e

( 6-42)

Fur E, eG, ~ usw. werden Mittelwerte eingesetzt. Setzt man damit (6-42) in die Warme­dt

leitungsgleichung ein und lOst nach rh auf, so entsteht:

E

'2 AG ·(26(T1 -Ts)·Ae R,T" rn = -"-------'-''--'-----'------'''-------Cs (Ts - To) - Qs

(6-43)

d. h. die Abbrandgeschwindigkeit ist eG und damit dem Druck proportional. Fur die Lange der Reaktionszone gilt:

( 6-44) [ E].1 A e - R-;-'-T~ 2

Sie ist dem Druck umgekehrt proportional.

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168 6. Festtreibstoffe

2. Bei llOhen Driicken verliiuft die Diffusion wesentlich langsamer als die Reaktion und wird zum geschwindigkeitsbestimmenden Faktor. Dies ist der Fall der "granularen Flamme". Hier kann man annehmen, daB die Liinge der Reaktionszone gleich dem Produkt aus der Stromungsgeschwindigkeit und der mittleren Lebensdauer einer Gasblase ist.

Die Masse einer Gasblase ist:

(6-45)

3_

wobei d = V V (V = Volumen) die Dimension der Blase ist. Ihre Lebensdauer betriigt:

DG = Diffusionskoeffizient

Damit erhiilt man

(6-46)

und

(6-47)

und es wird 1_ 1 1

L R:::i AJ ft'. (Tl - _T"-,,,l_2 __

DL,1f [c (T - T ) - Q ]t Gr;;:.G S S 0 S

(6-48)

Der Diffusionskoeffizient ist der Dichte umgekehrt proportional, daher ist die Abbrand­geschwindigkeit der dritten Wurzel des Druckes proportional. Dies trifft bei Ammonium­perchlorat zu.

Die Losung fUr den allgemeinen Fall solI nun aus den Losungen fiir die beiden Extrem­fiille zusammengesetzt werden. Dazu wird

( 6-49)

gesetzt, und man erhiilt:

und (6-50)

Die Druckabhiingigkeit dieses Ausdruckes ist in der folgenden zweiparametrigen Formel enthalten:

1 a b -=-+--r p P:,

(6-51 )

Mit dieser Formel liiBt sich die Abbrandgeschwindigkeit in einem groBeren Druck­bereich darstellen als mit den sonst iiblichen Formeln. Vier Beispiele sind in der Arbeit von SUMMERFIELD [44] angegeben.

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0.7.7. Das Sandwichmodell und die Theorie von NACHBAR 169

6.7.7. Das Sandwichmodell und die Theorie von Nachbar

Ein zweidimensionales Modell wird von NACHBAR [45] diskutiert. Das Treibstoff­gemisch wird durch einen Block aus aufeinandergelegten Scheiben von Treibstoff und Oxydator dargestellt, dem sogenannten "Sandwich". In diesem Modell werden also Diffu­sions- und Warmeleitung senkrecht zur Stromungsrichtung berticksichtigt. Das anstatt mit Treibstoffkornern mit Scheiben gerechnet wird, stellt noch keine wesentliche Vernach­lassigung dar. In der Rechnung werden aber eine Anzahl von weiteren, das Modell sehr rigoros vereinfachenden Annahmen gemacht. Dies sind:

a) Die Brennstoff- und die Oxydatorscheiben haben die gleiche Dichte

b) cp = const und ~ = e . D = const cp

c) Stochiometrische Zusammensetzung

d) Gleiche spezifische Warme und gleiche Warmeleitfahigkeit in den Scheiben

e) Keine Warmeleitung parallel zur Oberflache im Sandwich

f) Die Konzentration des Brennstoffs auf der Oxydatorflache und die Konzentration des Oxydators auf der Brennstoffoberflache sind gleich Null.

In der Flamme spiele sich zwischen den Gasen Ol> O2 und 0 3 die Reaktion

abo Die Gase haben die Molekulargewichte Mv M2 und M 3 • Ihre Konzentrationen seien Cl> C2 , c3 • Es werden nun die neuen Konzentrationsvariablen

- /33 M3 C· - C·--

Hamme

y

,- '/3i M; (i = 1,2) Abb. 6-21. Das Sandwichmodell

und die neue Temperaturvariable

if - (T _ T. ) . cp • /33 . M3 - GlClchgew. (/3. M hO + {:~ M hO - /3 MhO)

111222333

h? = Bildungswarme der i-ten Substanz eingeftihrt.

In diesen neuen Variablen lauten die Kontinuitatsgleichungen und die Warmeleitungs­gleichung

rh oCi + rh OCi _ [~(oD OC;) + ~ ( D Ol;)] =-8 x OX y oy ox" ox oy e oy (6-52)

(i = 1,2)

?!hx + OlitU = 0 ox oy

( 6-53)

(6-54)

Dabei sind rhx und rho der Massendurchsatz durch eine Ebene senkrecht zur x-Achse und zur y-Achse, e ist die Ableitung der Reaktionslaufzahl nach der Zeit. AIle anderen Bezeichnungen sind wie bisher.

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170 6. Festtreibstoffe

Fur die Ortsvariablen werden die neuen Veranderlichen

und 2

1) = - Y y

eingefUhrt, wobei y die Summe der Dicken einer Oxydator- und einer Brennstoffscheibe ist. Ferner wird zur Abkurzung

benutzt.

k = e.·r·y 2ea· D

Vnter den gemachten vereinfachenden Annahmen laBt sich nun zeigen, daB fur die Funktionen

"Pi = T + Ci die Differentialgleichung

(6-55)

gilt, deren Losung sich als Reihe entwickeln und an die vorliegenden (hier nicht geschil­derten) Randbedingungen anpassen laBt. Die Losung ergibt verschiedene Temperaturen fUr die Oberflache der Brennstoff- und der Oxydatorscheiben. Das heiBt, daB die Scheiben verschieden weit in die Flamme hineinragen. Die Losung sagt ferner aus, daB die Abbrand­geschwindigkeit yom Druck unabhangig ist, was mit der Erfahrung in Widerspruch steht. Dies hangt nach NACHBAR mit der Annahme zusammen, daB der Brennstoff nicht durch Diffusion bis zur Oxydatorflache gelangen kann (und umgekehrt), d. h., daB die Reak­tionsgeschwindigkeit so groB ist, daB nur die Diffusionsvorgange die Abbrandgeschwindig­keit bestimmen. Eine modifizierte Rechnung mit endlichen Reaktionsgeschwindigkeiten muBte eine bessere Darstellung der Druckabhangigkeit ergeben.

6.7.8. Die Untersuchungen von Barrere und Nadaud

BARRERE und NADAUD [50, 53, 54] haben ein Gleichungssystem angegeben, das die Zersetzung von Ammoniumperchloratkugeln in neutraler und in Brennstoffatmosphare beschreibt. Es wurde die Zersetzung in Stickstoff, Propan, Ammoniak und Wasserstoff untersucht. Die Rechnung ergibt, daB eine GroBe G = rex (r = Partikelradius, LX = ein Parameter zwischen 1 und 2) linear mit der Zeit abnimmt. Dies stimmt im allgemeinen mit der Erfahrung uberein. Nur die Versuche in Wasserstoffatmosphare ergaben ein anderes Ergebnis: hier nimmt die dritte Potenz des Partikelradius linear mit der Zeit abo Zur Erklarung dieser Tatsache nehmen BARRERE und NADAUD an, daB der Wasserstoff in die feste Phase hineindiffundiert und eine Reaktion ablauft, bei der das Volumen der Probe linear mit der Zeit abnimmt.

6.7.9. Die Abbrandtheorie von Chaiken und Anderson

CHAIKEN und ANDERSON [55] haben die Verbrennung des Ammoniumnitrats und des Ammoniumperchlorats halbquantitativ diskutiert. Es wird ein quasistationares Modell betrachtet, d. h., es wird nicht berucksichtigt, daB die Korner wahrend des Abbrandes aufgezehrt werden und daB die abbrennende Oberflache neue Korner erreicht. Der Oxy­dator und der Binder haben im allgemeinen verschiedene Zersetzungstemperaturen, so daB sie verschieden weit in die Flamme hineinragen und ihre Oberflachen verschiedene Temperaturen haben. Sie mussen jedoch mit der gleichen Geschwindigkeit abbrennen, da der Zustand ja stationar sein <loll. Es werden folgende Reaktionsschritte angenommen:

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6.7.9. Die Abbrandtheorie von CHAIKEN und ANDERSON 171

a) Der geschwindigkeitsbestimmende Schritt ist die Zersetzung des Oxydators. Sie verlauft endotherm.

b) Die Produkte des Oxydators reagieren miteinander, es entsteht ein Gemisch von Wasserdampf, Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff und OH-Radikalen. Dabei wird Warme frei, und das Gemisch wird aufgeheizt.

c) Der Binder zersetzt sich, und die Gase diffundieren in die Flamme hinein. d) Die Zersetzungsprodukte des Binders reagieren mit den Flammengasen.

Die Zersetzungstemperatur des Ammoniumnitrats liegt urn mehrere hundert OK unter der Zersetzungstemperatur der meisten Binder. Del' Binder wi I'd deshalb weiter in die Flamme hineinragen als die Oxydatorkorner. Die Reaktion del' Zersetzungsprodukte des Binders mit den Produkten der Pyrolyse des Oxydators findet so weit von den Oxyda­torkornern entfernt statt, daB sie auf die Zersetzung des Oxydators keinen EinfluB mehr hat. Die Oxydatorkorner sind von einer ersten Schicht (thermal layer) umgeben, in der die Pyrolyseprodukte des Oxydators (NH3 und HN03) miteinander reagieren. Die zur Pyrolyse des Oxydators notige Warme gelangt durch Warmeleitung aus diesel' Schicht zur Oxydatoroberflache. Es wi I'd angenommen, daB fUr die Zersetzungsgeschwindigkeit von Binder und Oxydator eine Arrhenius-Gleichung gilt:

(6-56)

Dabei ist:

r Abbrandgeschwindigkeit Aso Frequenzfaktor fiir die Arrhenius-Gleichung des Oxydators Eso Aktivierungsenergie fiir die Arrhenius-Gleichung des Oxydators Asb Frequenzfaktor fiir die " " Binders Esb Aktivierungsenergie fiir die " " ""

Fiir die Dicke der ersten Reaktionsschicht (thermal layer) wird die aus Warmeleitungs­iiberlegungen gewonnene Formel

( 6-57)

angegeben. Dabei ist

ro = Partikelradius der Oxydatorkorner (nicht zu verwechseln mit del' Abbrand­geschwindigkeit r)

T = die mittlere Halbwertszeit der Gase in del' Reaktionszone

Fiir k gilt:

mit M A Op (lg

= mittleres Molekulargewicht = mittlere Warmeleitfahigkeit = Warmekapazitat = Gasdichte

Nimmt man eine Reaktion 2. Ordnung an, so gilt fUr die Halbwertszeit:

112M 1 T=-'-=-'-

ego kg 12g kg

wobei egO = die molare Konzentration eines del' Reaktionspartner und kg = die Geschwindigkeitskonstante der Reaktion ist.

( 6-58)

( 6-59)

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172 6. Festtreibstoffe

Bei Verwendung der Gleichung fur ideale Gase folgt fur die Schichtdicke

l+<'P·p (6-60)

Setzt man die zur Unterhaltung der Pyrolyse notige Energie gleich der durch Warme­leitung zur Oxydatoroberfiache gelangenden Energie, so erhalt man:

4 2' Tr - Tso 4 2 AH nnro A b = nn· ro . (!s • LJ • r

und wenn man den Ausdruck fur <5 einsetzt und nach r auflost:

Dabei ist

(!s

r=

= der Bruchteil der Partikeloberfiache, der freiliegt = Temperatur am Ende der 1. Reaktionszone = Dichte der Partikel

JH = die zur Pyrolyse notwendige Energie

(6-61 )

(6-62)

Gl. (6-56) und (6-62) beschreiben den Abbrand des Treibstoffes. Es wird angenommen, daB die Reaktion

fur den Abbrand geschwindigkeitsbestimmend ist, wobei das N02 durch eine relativ rasche Zersetzung der HN03 entsteht. Der Vergleich der abgeleiteten Formeln mit ex­perimentell bestimmten Werten ergibt einigermaBen Ubereinstimmung.

Die dargestellte Behandlung des Abbrandes war moglich, da bei einem Ammonium­nitrat-Binder-Treibsatz die Oberfiache des Oxydators eine Temperatur von etwa 600 0 K hat, wahrend die typischen Binder beim stationaren Abbrand Oberfiachentemperaturen von uber 10000 K aufweisen. Beim Ammoniumperchlorat ist dies anders. Aus der Zer­setzungsgeschwifldigkeit muB geschlossen werden, daB die Oberfiache des Oxydators eine Temperatur von etwa 1100° besitzt, also etwa gleich heW wie die des Binders ist. Es muB also angenommen werden, daB sich urn die Oxydatorkorner herum keine erste Reaktions­schicht ausbilden kann, in der nur die Zersetzungsprodukte des Oxydators miteinander reagieren, sondern daB die Zersetzungsprodukte des Binders in diese Schicht hinein­diffundieren. Es wird eine Liste von 5 Mechanismen aufgestellt, die das Eindiffundieren und die Reaktion des Brennstoffes mit den Gasen der Schicht beschreiben konnen und der folgende Fall genauer diskutiert:

Der Binder diffundiert in die Schicht und reagiert mit den Gasen mit einer Geschwin­digkeit, die gegen die Reaktionsgeschwindigkeit, mit der die Pyrolyseprodukte unter­einander reagieren, klein ist. Die Pyrolyseprodukte werden durch den Binder verdunnt, dadurch wird <5 groBer. Die Reaktion des Binders mit den Pyrolyseprodukten liefert aber zusatzliche Energie, so daB die Temperatur der Flamme T, erhoht wird. Der Druck in der Schicht setzt sich jetzt aus dem Partialdruck des Brennstoffes und dem Partialdruck der Zersetzungsprodukte des Oxydators zusammen:

(6-63)

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6.7.9. Die Abbrandtheorie von CHAIKEN und ANDERSON 173

Aus Gl. (6-57), (6-58), (6-59), (6-63) und der idealen Gasgleichung erhalt man:

6- ro _ ro mitL-Pb - 1 -+- _r_o _ [~~.]~ . p . (1 _ M~ - 1 -+- (/Jp Vi - L - P

Ro' Tg 2:n:).

(6-64)

Vergleicht man (6-60) und (6-64), so sieht man, daB sich durch das Eindiffundieren des Binders (/J urn den Faktor {I - L andert. Durch die Reaktion des Binders andert sich auBer­dem die Temperatur der Flamme urn den Betrag E:

T, = T,o + E (6-65)

Damit erhalt man aus (6-64) und (6-65) den neuen Ausdruck fiir r:

r = A(Tju -Tso -+-E)(l -+-(/Jop~) mitL= ~ = mo. Mo . Po (!s·ro·iJH P mb Mb P

( 6-66)

Dabei ist mo das Mischungsverhaltnis Oxydatormasse: Brennstoffmasse. Setzt man fur mb

mo und Mo vernunftige, bei praktisch verwendeten Treibstoffen vorkommende Werte (z. B. mb Mb

mo _ 4 Mo = 0,4) ein, so wird v'1 - L ~ 1. mb - , Mb

Die Abhangigkeit von E wurde bisher noch nicht theoretisch bestimmt. Es ist zu erwarten, daB Emit dem Diffusionskoeffizient wachst und mit wachsender GroBe der Oxydator­korner fallt. Da der Diffusionskoeffizient mit wachsendem Druck kleiner wird, ist ferner zu erwarten, daB auch Emit dem Druck abfallt. Da E nicht bekannt ist, kann man Gl. (6-66) nicht anhand experimenteller Daten kontrollieren. Man kann aber Gl. (6-66) nach E auflosen und feststellen, wie die Formel fur E aussehen miiBte, dam it Gl. (6-66) mit verschiedenen vorgegebenen bekannten empirischen Abbrandformeln identisch wird. Tabelle 6-8 gibt eine Reihe von Formeln, die die Daten von ANDERSEN et al. [56] und SUMMERFIELD et al. [44] beschreiben:

Trcibstofr

Ammoniumnitrat Polystyrol (-+- 3 Gew.-% (NH.)2Cr20,)

Ammoniumperchlorat Styrol-Kunststoff-Binder

Ammoniumperchlorat Styrol-Kunststoff-Binder

Ammoniumperchlorat Styrol-Kunststoff-Binder

Ammoniumperchlorat Styrol-Kunststoff-Binder

Tabelle 6-8. Abbrandformeln

Oxydator: Binder lIIassenverhiil tnis

85:15

80:20

80:20

75:25

75:25

10

60

8

60

8

Empirisehe Abbrandformel p in atm; r in em/sec

r = 0,092 -+- 0,002 p

~ _ 3,62 + 4,39 r - p p'/'

~ = 4,99 + 2,64 r P p'/'

~ = 6,30 + 6,28 r p p'/'

_~ _ 7,19 + 3,39 r - p p'/'

Lost man (6-66) nach E auf und setzt fiir die Materialkonstanten Zahlenwerte ein, so erhiiJt man die folgenden Formeln:

Fiir Ammoniumnitrat-Treibstoff:

Fiir AmmoniuIllperchlorat-Treibstoff:

E = 7,3· 106 • ro . r _ 670 OK

1 -+- 22 ro' p

E = 5,03 . 106 • To . r _ 300 OK

1 -+- 56,7 ro' p

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174 6. Festtreibstoffe

Dabei ist V 1-L = 1 gesetzt und die Anderung von Ts mit der Abbrandgeschwindigkeit ver­nachlassigt. Setzt man die Funktionen der Tab. 6-8 in diese Gleichungen ein, so erhalt man fur E eine Funktion, deren Veri auf im allgemeinen den realen Verhiiltnissen entsprechen durfte.

Die physikalischen Eigenschaften des Binders beim Abbrand wurden in den meisten Arbeiten weder bei theoretischen noch bei experimentellen Untersuchungen beruck­sichtigt. 1m allgemeinen brennen Treibstoffe mit dichteren Bindern langsamer. Der Binder scheint den Abbrand zu beeinflussen, indem er festlegt, ein wie gro13er Teil der Oxydator­korner freiliegt und der Flamme ausgesetzt ist. Ferner ist wichtig, in welcher Art der Binder schmilzt; ist er in einem zu gro13en Temperaturbereich flussig, so kann er die Oxydatoroberflache bedecken und die Flamme ersticken.

6.7.10. Die Arbeiten von Friedman und Levy

FRIEDMAN und LEVY [22] haben den Zerfall des Ammoniumperchlorats untersucht. Die Proben wurden bei Drucken zwischen 1 atm und 2000 psi = 136 at einer Warme­strahlung ausgesetzt und die Konzentrationen der Zersetzungsprodukte in Abhangigkeit yom Druck bestimmt. Dabei zeigte es sich, da13 die Konzentration der Stickoxyde in den Feuergasen mit wachsendem Druck abnimmt. Bei Atmospharendruck liegen 55% des freigewordenen Stickstoffs in Form von Stickoxyden vor, wahrend es bei 2000 psi (= 136 at) nur noch 23 sind. Dies wird wie folgt erklart: das bei der Verbrennung des Ammoniaks entstehende Stickoxyd wurde sich bei den in Frage kommenden Temperaturen (etwa 1000 °0) viel zu langsam zersetzen, urn die Entstehung des vorgefundenen Stickstoffs zu erklaren. Es ist anzunehmen, da13 der Stickstoff durch Reaktion der Stickoxyde mit dem Ammoniak entsteht. Zur Erklarung des Abfalls der Stickoxydkonzentration wird an­genommen, da13 die Reaktion, bei der Stickoxyde verbraucht werden, eine hohere Akti­vierungsenergie besitzt als die Oxydation des Ammoniaks zum Stickoxyd. Es wird eine kritische Temperatur angenommen, unterhalb der keine nennenswerten Mengen Stick­oxyd mehr verbraucht werden. Dieser kritischen Temperatur entspricht eine Zeitspanne, die nach der Zersetzung des Ammoniumperchlorats zur Reaktion zur Verfiigung steht, ehe die Gase den Teil Flamme erreicht haben, des sen Temperatur unter der kritischen liegt. Diese Zeitspanne wird mit wachsendem Druck kleiner werden, da die Flammenzonen dunner und die Zersetzung schneller wird. Die Bildung des Stickoxydes wird bei geringem Druck schneller vor sich gehen, so da13 ferner der Anteil des Stickoxydes zu Beginn der Reaktion bei niedrigem Druck gro13er ist. Damit ist zu erwarten, da13 die Endkonzentration an Stickoxyd bei niedrigen Drucken groBer ist.

6.8. Pasfose Treibsfoffe Anhangsweise solI in diesem Kapitel noch die Gruppe der pastosen Treibstoffe be­

sprochen werden. Sie stehen in ihren Eigenschaften zwischen Flussigtreibstoffen und Fest­treibstoffen; sie sind ebenfalls Monergole wie die letzteren und werden in ahnlicher Weise und in ahnlichen Triebwerken abgebrannt (vgl. S. 44). Auch ihre Zusammensetzung ist prinzi­pi ell der der heterogenen Festtreibstoffe ahnlich. 1m allgemeinen wird ein kristalliner fester Oxydator mit einer organischen Brennstoffkomponente in feiner Verteilung vermischt.

Es gibt in der freien Literatur sehr wenig Angaben tiber pastose Treibstoffe: nur in einigen Patentschriften sind Beispiele fUr mogliche Kompositionen aufgefUhrt [46, 47]. Man kann zwei voneinander verschiedene Hauptgruppen unterscheiden, von welchen die eine dadurch gekennzeichnet ist, da13 der im Prinzip viskoelastische "Binder" so stark nach der Seite der viskosen Eigenschaftsgruppe abgewandelt ist, da13 die Treibstoffmasse schon bei gewohnlicher Temperatur unter dem Eigengewicht zu flie13en beginnt, vorgege­bene Formen ausftillt und wie eine Fltissigkeit gro13erer Viskositat gefOrdert werden kann. Eine zweite Gruppe zeigt "thixotrope" Eigenschaften. Als thixotrope Gele bezeichnet man

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6.8. Pastose Treibstoffe 175

gelatineartige Massen, die oberhalb einer bestimmten kleinsten Belastung ihre FlieBfahig­keit vergroBern und sich wie viskose Fltissigkeiten verhalten, bei geringem Druck aber zu halbfesten Gelen erstarren. Solche thixotrope Kombinationen konnen wie Fltissigkeiten gefordert und unter Umstanden sogar in eine Brennkammer eingespritzt werden. Zwischen den beiden Gruppen besteht anscheinend ein flieBender Ubergang, indem auch der ersten Gruppe eine gewisse Thixotropie eigen ist und das FlieBvermogen mit zunehmendem Druck groBer wird.

Ais Binderkomponenten kommen synthetische organische Polymere nicht zu hohen Molekulargewichtes oder auch Siloxane in Frage, oft mit Beimischungen niederviskoser organischer Brennstoffe. Polyisobutylen scheint eine sehr zweckmaBige Binderkomponente zu sein. Auch Desmophen, hochdisperse Kieselsaure und Emulgatoren kommen als Zu­satze zu organischen leichtfltissigen Brennstoffen in Betracht. In diese halbfltissige konti­nuierliche organische Matrix kann in feiner VerteiIung der kristalline Oxydator eingebettet werden, ebenso lassen sich energiesteigernde Leichtmetallpulver zuftigen. In Tab. 6-9 und 6-10 sind einige aus [46] bzw. [47] entnommene Mischungen angegeben.

Tabelle 6-9. Zusammensetzung von einigen pastosen Treibstotfen nach BURTON [46J (Zahlenangaben in Gewichtsteilen)

II III IV

Ammoniumperchlorat 75,0 63,8 63,2 75,0 Polyisobutylen (Mol-Gew. ,.....,10000; 106 Centipoise bei 38°C) 7,5 7,5 Polyisobutylen (Mol·Gew. 840; 7000 Centipoise bei 38°C) 11,25 14,96 14,81 11,3 Dibutylphthalat 6,3 6,3 Polydimethylsiloxan (460 cP bei 25°C) Polyester (50000 cP bei 25°C) AI-Pulver 21,0 20,7 Cu-Chromit (Katalysator) 0,5 1,0 Netzmittel 0,25 0,25

Ballistische Werte bei 2JOC und 70 kg/cm2

Brenngesehwindigkeit em/sec 1,60 1,32 1,93 0,65 Druekexponent 0,57 0,68 0,62 0,76

V

58,4

18,7

22,4 0,5

2,8 0.41

Uber die spezifischen Im­pulse dieser Kombinationen werden keine Angaben ge­macht; es ist aber klar, daB sie tiefer liegen mtissen als die der besten Composite, da sie wie die KompositionenderTab.6-9 entweder unteroxydiert sind oder energetisch weniger lei­stungsfahige Silikone als Bin­der verwenden; die 18 - W erte dtirften hier unter N ormalbe­dingungen etwa zwischen 190 und 220 sec Hegen. Die Kom­position Salpetersaure-RuB wird wegen des geringen H­Gehaltes 200 sec kaum tiber­steigen, die Kompositionen der Tab. 6-10b miiBten etwas besser Hegen.

Tabelle 6-10. Zusammensetzung einiger Geltreibstotfe (naeh LUTZ und BUSCHULTE [47]) 1

a) Fliissiger Oxydator -I- fester Brennstoff

98- bis 100%ige HNOa RuB Hochdisperse Kieselsaure Emulgator

b) Fester Oxydator + flussiger Brennstoff

1. Nitromethan (CHaN02)

Ammoniumperchlorat Nitrozellulose Titandioxyd Emulgatorgemisch aus Natriumsulfonat, Desmophen, Natriumhydroxyd, Methylalkohol und Isobutylalkohol

2. CHaN02

NaNOa oder KNOa Desmophen (C2HaO)x Hochdisperse Kieselsaure Basischer Emulgator + Losungsmittel

1 Eine praktisehe Bewahrung haben diese Kombinationen bisher nieht gefunden.

Gew.-% 80 19 0,5 0,5

Gew.-% 50,6 45,7 0,3 0,1

2,3

52,4 42,7

1,64 0,82 2,44