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Risiko Lernen-Lehren-Leben Dokumentation 12. Forum Katastrophenvorsorge 13. – 14. November 2012, Bonn Herausgeber: Deutsches Komitee Katastrophenvorsorge e.V. (DKKV) Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) Geoverbund ABC/J Masterstudiengang Katastrophenvorsorge und -management (KaVoMa)/Universität Bonn United Nations University - Institute for Environment and Human Security (UNU-EHS) DKKV Publikationsreihe 49

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Risiko Lernen-Lehren-Leben

Dokumentation 12. Forum Katastrophenvorsorge13. – 14. November 2012, Bonn

Herausgeber:

Deutsches Komitee Katastrophenvorsorge e.V. (DKKV)

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)

Geoverbund ABC/J

Masterstudiengang Katastrophenvorsorge und -management (KaVoMa)/Universität Bonn

United Nations University - Institute for Environment and Human Security (UNU-EHS)

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3 Vorworte und Keynote

Session I: Bildung als Katastrophenvorsorge6 Risiko lernen und lehren im Geographieunterricht? Zwischen Anspruch und Wirklichkeit | Karl-Heinz Otto, Universität

Bochum, Leif Mönter, Universität Trier8 Mediale Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte bei Wetterkatastrophen | Uwe Horst Ulbrich, Freie Universität Berlin9 Notfallpädagogik und Bildungstheorie | Harald Karutz, Notfallpädagogisches Institut Essen

Session II: Risikokommunikation und Selbsthilfe11 Bürger als Mitgestalter im Hochwasserrisikomanagement – Zivilgesellschaftliche Eigen- und Mitverantwortung im

Umgang mit Sturmflutrisiken | Mareike Fellmer, HafenCity Universität Hamburg (HCU)12 Wie kann Selbsthilfe im Krisenfall professionell unterstützt werden? | Wolf Engelbach, Fraunhofer-Institut für Arbeitswirt-

schaft und Organisation (IAO) / Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement (IAT) der Universität Stuttgart13 Erdbebenwarnung für und Katastrophenvorsorge mit den Menschen in Nordpakistan –ein Erfahrungsbericht |

Jürgen Clemens, Malteser International15 Online-Hochwasserinformationen für Betroffene: Angebot und Nachfrage | Thorsten Ulbrich, Freie Universität Berlin

Session III: Vulnerabilität: Analyse, Szenario – und dann?16 Vulnerabilitätsszenarien im Kontext von Klimawandel und Naturgefahren: Möglichkeiten einer raum-zeitlichen

Bewertung | Stefan Kienberger, Interfakultärer Fachbereich für Geoinformatik – Z_GIS, Universität Salzburg17 Verwundbarkeit und Anpassung im Mekong Delta. Ein Ansatz zur Evaluation verschiedener Handlungsstrategien |

Dunja Krause, Maria Schwab, United Nations University, Institute for Environment and Human Security (UNU-EHS)18 Vulnerabilität in grenzüberschreitenden Regionen – ein Indikatorenrahmen | Marjorie Vannieuwenhuyse, Karlsruher

Institut für Technologie (KIT)19 Instrumente zur kontinuierlichen Bestimmung des Gefährdungspotenzials durch Sturzfluten in Wuppertal |

Sebastian Czickus, Ingenieurbüro Reinhard Beck, Stefan Sander, Stadt Wuppertal

Session IV: Was können wir aus Katastrophen lernen?21 Aus Schaden wird man klug – oder nicht? „Learning and Calamities“ | Marén Schorch, Universität Bielefeld22 Lernen und Vergessen im Hochwassermanagement am Beispiel der weitergehenden Hochwasservorsorge |

Klaus Wagner, Technische Universität München23 Das Warnsystem des Deutschen Wetterdienstes: gestern, heute und morgen | Thomas Kratzsch, Deutscher Wetterdienst

(DWD)24 A synthesis of key findings of the CRUE funding initiative „Flood resilient communities" | Annegret Thieken, Universität

Potsdam26 Podiumsdiskussion: Von der wissenschaftlichen Erkenntnis zum politischen Handeln | mit Hans von Storch, Leiter des

Instituts für Küstenforschung, Helmholtz-Zentrum Geesthacht – Zentrum für Material- und Küstenforschung, Reinhard Klingen, Abteilungsleiter Wasserstraßen und Schifffahrt (BMVBS) und Gerold Reichenbach MdB, Vorsitzender DKKV, Moderation: Joachim Mahrholdt, ZDF Umweltredaktion

Session V: IRDR – Integrated Research on Disaster Risk28 Die Unsicherheit von Wetterwarnungen: Wie groß ist sie, wie kann sie vermittelt und wie benutzt werden? |

Martin Göber, Deutscher Wetterdienst (DWD), Thomas Kox, Freie Universität Berlin 29 CEDIM Near-Real Time Forensic Disaster Analysis | Michael Kunz, Karlsruher Institut für Technologie (KIT)30 Wie effektiv sind Bauvorsorgemaßnahmen zur Risikominderung in verschiedenen Hochwassersituationen? |

Heidi Kreibich, Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ31 Umfassende Fallstudienanalyse als Schlüssel zur nutzerorientierten Warnungsoptimierung |

Tobias Heisterkamp, DKKV, Freie Universität Berlin

32 Workshop I: Simulation and Optimization of Complex Systems – Computational Supply Chain Networks

33 Workshop II: Risiko lernen und lehren – Curricula der Schulen

34 Ein Preis für den Nachwuchs

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Vorwort

Trotz vielen neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen und verbesserten Maßnahmen steht die Katastrophenvorsorge immer noch vor großen Herausforderungen. Nach wie vor führen extreme Naturereignisse zu hohen Schäden und Opfern. Wir müssen unser Wissen und Können also kontinuierlich weiterentwickeln und vor allem in der Praxis umsetzen.

Vom einzelnen Bürger, der mit Hochwasserrisiken konfron-tiert ist, über die für das Katastrophenmanagement zustän-digen Behörden bis hin zu Wissenschaftlern: Alle betroffenen und beteiligten Akteure haben unterschiedliche Erfahrungen und Vorkenntnisse im Umgang mit Katastrophenrisiken. Sie lernen daher auf sehr unterschiedliche Weise und können aber auch viel vom Wissen des anderen profitieren. Hierfür ist nicht nur Transdisziplinarität in der Wissenschaft not-wendig, sondern Wissenschaft, Katastrophenmanagement und Bevölkerung müssen sich austauschen und gemein-sam an einer verbesserten Vorsorge arbeiten.

Daher hat sich das 12. Forum Katastrophenvorsorge des Deutschen Komitees Katastrophenvorsorge zum Ziel gesetzt, vor allem den Transfer zwischen Wissenschaft und Praxis zu thematisieren. „Risiko Lernen – Lehren – Leben“ – Bildung hat im Kontext Katastrophenvorsorge eine große Bandbrei-te, über die die folgenden Beiträge einen guten Überblick bieten.

Für das DKKV ist Lernen ein zentraler Aspekt der Vorsor-ge, der in der öffentlichen Debatte oft noch zu wenig Beachtung findet. Die Arbeit des DKKV selbst spiegelt die unterschiedlichen Aspekte des Lernens wider: Allein die Zusammensetzung unserer Mitgliederversammlung aus Wissenschaft, Behörden, der Privatwirtschaft und Nicht-regierungsorganisationen ist ein in Deutschland wohl einmaliges Forum des Lernens. Das DKKV erstellt aber auch wissenschaftliche Studien zu zentralen Themen, fördert den Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis und hat sich zum Ziel gesetzt, den Vorsorgegedanken in der Gesell-schaft fester zu verankern.

Thematisch hat sich das DKKV in den vergangenen Jahren besonders mit der Anpassung an den Klimawandel sowie mit Risiken in urbanen Räumen beschäftigt. Beide Themen haben viel mit Lernen zu tun: Wir müssen genauso ler-nen, uns an den Klimawandel anzupassen, wie wir Risiken in städtischen Räumen identifizieren und wahrnehmen müssen. Ich danke allen Mitveranstaltern des 12. Forums Katastrophenvorsorge, die an der inhaltlichen Vorbereitung des Forums mitwirkten und durch ihren finanziellen Beitrag die Ausrichtung des Forums überhaupt erst ermöglichten. Der Aufwand hat sich meines Erachtens gelohnt: Über 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer lehrten und lernten zwei Tage lang, wie unsere Gesellschaft in Zukunft besser mit Risiken leben kann. Die Ergebnisse haben wir in dieser Dokumentation festgehalten.

Ich wünsche Ihnen eine interessante Lektüre,

Ihr

Gerold Reichenbach Vorsitzender DKKV

Gerold Reichenbach, DKKV

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Vorwort

> Klaus Reicherter, Wissenschaftlicher Direktor Geoverbund ABC/J

Lernen – Lehren – Leben. Wie wichtig diese drei Kompo-nenten der Katastrophenvorsorge sind, zeigte in den USA vor zwei Wochen eindrücklich der Hurrikan Sandy. Die Auswirkungen eines extremen Naturereignisses auf die Weltpolitik war noch nie so offensichtlich, hatte der ame-rikanische Präsident doch durch sein gutes Krisenmana-gement im äußerst knapp erscheinenden Rennen um die Präsidentschaft viele Wähler für sich gewinnen können.

Die wirtschaftlichen Folgen dieses Hurrikans sind enorm, viele Menschen in New York sind auch zwei Wochen nach dem Sturm weiterhin ohne Strom. Dies erinnert uns in Deutsch-land an das Schneechaos im Münsterland im Jahr 2005. Damals erkannte man die Notwendigkeit, in eine moderne Infrastruktur zu investieren, weil die bisherigen Strommas-ten die Schnee- und Eislast nicht aushielten.

Unabhängig davon, wo und wie Risiken moderne Gesell-schaften herausfordern, entscheidend ist immer, dass alle Akteure aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilge-sellschaft diesen Herausforderungen gemeinsam begeg-nen. Die Folgen des Klimawandels und der zunehmenden Umweltrisiken bergen das Potenzial, sich zu veritablen Krisen zu entwickeln. Um diese zu verhindern, müssen die gefährdeten Gesellschaften entsprechende Entscheidungen treffen – trotz zum Teil erheblichen Unsicherheiten.

Die Veranstalter und Kooperationspartner des 12. Forums Katastrophenvorsorge führen nicht nur das Wissen und die Fähigkeiten in der Katastrophenvorsorge und im Katas-

trophenmanagement zusammen, sondern sie bereiten diese auch öffentlichkeitswirksam auf und vermitteln sie in die Gesellschaft hinein:

> Das Deutsche Komitee Katastrophenvorsorge versteht sich als Kompetenzzentrum und als nationale Plattform zur Vernetzung zu allen Fragen der nationalen und inter-nationalen Katastrophenvorsorge.

> Die Partner des Geoverbunds ABC/J erklärten das Thema „Risiko und Risikoregulierung“ zu einem ihrer Profil-schwerpunkte.

> Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastro-phenhilfe will die vorhandenen Strukturen des Bundes und der Länder im Katastrophenmanagement besser miteinander verzahnen.

> Die internationale Dimension der Risiko- und Vulnera-bilitätsforschung ist der Aufgabenbereich des Institute for Environment and Human Security der United Nations University. Es unterstützt Politik und Entscheidungsträger mit evidenz-basierter Forschung und Information.

Doch fachübergreifendes Denken und die Verzahnung von Disziplinen stehen nicht nur hier im Mittelpunkt. So hat man in Deutschland grundsätzlich erkannt, dass die Koordination zwischen den Hilfsorganisationen, Verwaltun-gen und anderen Einrichtungen verbessert werden muss, gerade auch im Hinblick auf sich ändernde Risiken und Gefahrenpotentiale.

Das 12. Forum Katastrophenvorsorge greift einige dieser Themen auf:

> Wie kann eine Gesellschaft im Umgang mit Risiken und Krisen geschult werden?

> Welche Inhalte haben die Bildungsangebote der Schulen?> Welche Transferwege der Risikokommunikation gibt es

bereits und welche müssen ausgebaut werden?> Welchen Beitrag liefern Prozesssimulation und Vulnerabi-

litätsanalyse zur praktischen Risikoreduzierung? > Was können wir aus Katastrophen wie der Elbeflut 2002,

Fukushima 2011 oder dem Tornadojahr 2011 lernen? > Was bedeutet und was bietet die integrierte Risiko-

forschung? > Und schließlich: Wie vollzieht sich der Übergang von

Erkenntnis aus dem Wissenschaftssystem in das politische Handeln?

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Klaus Reicherter

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Keynote

> Matthias Schmale, Untergeneralsekretär, Intern. Föderation der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften

In jüngster Zeit ereigneten sich mehrere komplexe Katastro-phen mit großen Auswirkungen auf die humanitäre Situation unzähliger Menschen. Hurrikan Sandy wütete nicht nur in den USA, sondern vor allem auch auf Haiti, wo er viel gravierendere Schäden anrichtete. In Myanmar und Guatemala bebte die Erde und in Syrien beobachten wir einen politischen Konflikt, dem viele, viele Menschen zum Opfer fallen.

Angesichts dieser Beispiele muss man kein Hellseher sein, um zu erkennen, dass wir noch mehr in Katastrophenvorsorge und -hilfe investieren müssen. Die zunehmende Verstädterung, Migration, der Klimawandel und Killer diseases wie HIV, Malaria oder Tuberkulose machen die Menschen noch anfälliger für Katastrophen.

Wir wissen: Nichts gegen Klimawandel zu tun wird uns teurer kommen als Vorsorge zu betreiben. Wir müssen in Kapazitä-ten investieren – nicht nur, um Katastrophen zu antizipieren, sondern auch, um zu lernen. Das Militär kann hier als gutes Beispiel dienen: Es beschäftigt sich in der Regel zu 95 Prozent mit Anamnese und Planung und zu fünf Prozent mit Aktion. Im Katastrophenmanagement ist es genau umgekehrt: Hier wird viel zu wenig in die Vorbereitung auf einen möglichen Katastrophenfall investiert. Stattdessen fließen 95 Prozent der Mittel in die Humanitäre Aktion.

Dass dies nicht die optimale Herangehensweise ist, haben inzwischen viele erkannt, und messen der Resilienz, also der Widerstandfähigkeit und Belastbarkeit der Bevölkerung gegenüber Katastrophen, immer mehr Bedeutung zu. In fol-genden Bereichen lässt sich die Resilienz stärken:

1. Wir müssen die Fähigkeiten der potentiell von Katastro-phen betroffenen Menschen stärken. In Japan etwa werden schon Kinder systematisch auf eine mögliche Katastrophe vorbereitet. In Myanmar waren nach dem Zyklon Nargis im Jahr 2008 sofort 17.000 freiwillige Helfer einsatzbereit, die zuvor jahrelang in Grundkenntnissen der ersten Hilfe ausgebildet worden waren.

2. Gesellschaften müssen sich auf einen Katastrophenfall vorbereiten, zum Beispiel mit lokalen Vulnerability Capacity Assessments oder Kartierungen der Risiken und Fluchtwege.

3. Mit einer vernetzten Herangehensweise kann Katastro-phenvorsorge am effektivsten wirken. Das Rote Kreuz arbeitet beispielsweise zur Vorsorge in Nepal mit einer internationalen Versicherungsgesellschaft zusammen. Auch Versicherer haben inzwischen erkannt, dass es für sie

wirtschaftlich günstiger ist, auf Vorsorge statt auf bloße Schadensregulierung zu setzen.

4. Die von Katastrophen betroffenen Staaten müssen rechtliche Grundlagen für die Katastrophenhilfe und -vorsorge schaffen. Sie bestimmen etwa über die Einfuhr von Hilfsgütern. Dies war zum Beispiel nach dem Erdbeben in Haiti 2010 ein großes Problem, weil es nicht gelang, die Arbeit der Hilfsorganisatio-nen zu koordinieren. In erdbebengefährdeten Ländern spielt das Baurecht eine wichtige Rolle. Beim großen Erdbeben in Chile zahlten sich die Vorschriften für erdbebensicheres Bauen aus: Das Beben hier war deutlich stärker als jenes in Haiti kurz zuvor, die Schäden waren aber deutlich geringer.

Hurrikan Sandy in den USA zeigte erneut: Nicht nur arme Länder können von Katastrophen betroffen sein. Jedes Land muss vorsorgen! Hierbei können die einzelnen Länder viel vonein-ander lernen, auch über die Grenzen zwischen weniger und mehr entwickelten Ländern hinweg. Zum Beispiel verfügt das Rote Kreuz über sehr positive Erfahrungen zur Sensibilisierung der Bevölkerung in Bangladesch, deren Anwendung auch in Industrieländern hilfreich wäre.

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Matthias Schmale

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Hierfür sehr gut geeignet ist das Modell der didaktischen Rekonstruktion, das neben der fachlichen Erschließung des Themas „Katastrophenrisiken“ die (Alltags-)Vorstellun-gen der Schülerinnen und Schülern in das Unterrichtskon-zept aufnimmt. Diese Vorstellungen können mythische oder wissenschaftliche Erklärungsmuster beinhalten, wobei auch eine Kombination von beiden häufig zu beobachten ist. In Taiwan wurden zum Beispiel Schülerinnen und Schüler nach den Ursachen des Chi-Chi-Erdbebens vom 21. Septem-ber 1999 befragt. Kurz nach dem Beben hatten über 50 Prozent der Schüler Erklärungen für das Beben wie „Der Gott der Erde hat seinen Körper gedreht“ oder „Der Gott der Erde versucht die Menschen zu warnen“. Mit der Zeit nahmen solche mythischen Erklärungen ab, vor allem durch die nachfolgende Berichterstattung in den Medien zugunsten wissenschaftsorientierter Aussagen wie „Gesteinsplatten bewegten sich“ oder „Energie aus dem Erdmantel wurde frei“. Dieses Beispiel zeigt, dass die Vorstel-lungen der Schülerinnen und Schüler die fachliche Klärung

Session I: Bildung als Katastrophenvorsorge

Convener: Richard Dikau (Universität Bonn), Wolfram Geier (Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe)

Bildung ist ein zentrales Instrument, um Menschen als Teil einer Gesellschaft und individuell in die Lage zu versetzen, gegenüber Katastrophen vorsorgen zu können. Bildung ist daher als zentraler Bestandteil der Katastrophenvorsorge zu sehen. In diesem Kontext beleuchtet diese Session Inhalte der Curricula von Schulen, die Kommunikations-Schnitt-stelle zwischen Universität und Massenmedien und bildungswissenschaftliche Fragen der Katastrophenvorsorge. Diese Themenauswahl zeigt, dass Bildung weit mehr umfasst als versäulte Schulfächer, die sich in versäulten Wissen-schaftsdisziplinen fortsetzen, welche wiederum versäulte Strukturen in der Katastrophenvorsorge widerspiegeln. Ein Plädoyer dieser Session ist daher: Bildung als Katastrophenvorsorge erfordert theoretisches Wissen und die Einübung praktischen Handelns, also des individuellen Mitgestaltens. Wissensvermittlung findet daher nicht nur auf der kon-zeptionellen Ebene der Katastrophenvorsorge, sondern auch auf der individuellen Verhaltensebene mit dem Ziel der Eigenvorsorge statt. Es wird ein nationaler Diskussionsprozess gefordert, der Bildung als Katastrophenvorsorge ange-messen thematisiert und würdigt.

Risiko lernen und lehren im Geographieunterricht? Zwischen Anspruch und Wirklichkeit

> Karl-Heinz Otto (Ruhr-Universität Bochum), Leif Mönter (Universität Trier)

Schüler haben in der Regel ein sehr geringes Bewusstsein im Hinblick auf Katastrophenrisiken. Zum Teil sind hierfür die Berichterstattung der Medien sowie Katastrophenfilme verantwortlich, die extreme Naturereignisse als schicksalhaft und als Kräftemessen zwischen Natur und Mensch darstellen. Daher muss Bildung erst einmal ein Bewusstsein für Risiken schaffen – als Grundlage dafür, Inhalte der Katastrophenvorsorge vermitteln zu können.

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Modell der didaktischen Rekonstruktion (nach Kattmann, Duit, Gropengießer, Komorek 1997)

didaktische Strukturierung von Unterricht

fachliche Erschließung

Erforschung von Lernperspektiven

Aufbereitung fachwissenschaftlicher Inhalte

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des Themas stark beeinflussen. Je nachdem, welche Vorstellungen vorherrschen, muss die Lehrkraft den Unterricht entsprechend didaktisch strukturieren.

Guter Unterricht kann nur stattfinden, wenn die Lehrkräfte fachlich gut ausgebildet sind. Sie müssen in der Lage sein, das Unterrichtsthema solide zu analysieren und wissen-schaftliche Entwicklungen aufzugreifen. In der Fachwis-senschaft hat sich das Thema „Naturkatastrophen“ seit den 1960er Jahren weiterentwickelt. Heute steht statt der „Katastrophe“ der Umgang mit Risiken im Mittelpunkt des Interesses. Dieser Paradigmenwechsel wird aber sowohl in der Lehrerausbildung als auch im Geographieunterricht noch zu wenig berücksichtigt. In der Lehrerausbildung müsste die Katastrophenvorsorge deutlich im Vordergrund stehen, doch vorrangig thematisiert wird weiterhin die

„Katastrophe“ selbst. Die Deutsche Gesellschaft für Geo-graphie hat dieses Desiderat erkannt und deshalb in den Bil-dungsstandards für das Fach Geographie für den Mittleren Schulabschluss – mit Aufgabenbeispielen (2012) – bereits früh den Terminus „Naturrisiko“ platziert.

Viele Lehrpläne zeigen, dass der Paradigmenwechsel hin zu einer Beschäftigung mit Risiken statt mit Katastrophen in der schulischen Praxis noch nicht angemessen ange-kommen ist. So taucht der Begriff „Naturkatastrophe“ in 77 geographischen Lehrplänen noch mehr als 60 Mal auf, „Naturgefahr, -risiko oder -gewalt“ dagegen jeweils weniger als 20 Mal. Ähnliches ist in Lehrbüchern zu be-obachten; allerdings scheint sich mit der zunehmenden Nennung des Begriffs „Naturereignis“ ein langsamer Wandel abzuzeichnen.

Anregungen

> Didaktisch sollten Lehrkräfte das für die Katastrophen-vorsorge elementare Spannungsfeld zwischen Natur- und Gesellschaftswissenschaften stärker aufgreifen.

> Der Geographieunterricht muss sich didaktisch mit problematischen Schülervorstellungen auseinanderset-zen, auch im Hinblick auf Handlungsperspektiven für die Katastrophenvorsorge.

> Das Modell der didaktischen Rekonstruktion eignet sich als theoretischer Rahmen zur Planung, Durchführung und Evaluation fachdidaktischer Lehr- und Lernfor-schung.

> Curricula und Schulbücher sollten nicht länger ein Verständnis von Naturkatastrophen als schicksalhaftes, unabwendbares Ereignis vermitteln.

> Insbesondere in diesem Themenfeld sollten in der geographischen Lehreraus- und -fortbildung Fachwissen-schaft und Didaktik enger zusammenarbeiten.

Naturrisiken im Unterricht – eine Frage der Gestaltung, nicht der Zeit

Aufgrund seines interdisziplinären Charakters eignet sich das Thema besonders gut für den Geographieunterricht und ist dort auch schon lange verankert. Gerade auch in Hinblick auf die Katastrophenvorsorge bieten sich Anknüp-fungspunkte. Als problematisch erweist sich jedoch die Stundentafel des Faches. Die für das Thema „Naturgefahren“ vorgesehenen Stunden sind sehr begrenzt und eine intensivere Beschäftigung mit Risiken würde Unterrichtszeit benötigen, die dann für andere Themen nicht mehr zur Verfügung stünde. Primäres Ziel sollte es deshalb sein, die Art der kompetenzorientierten Beschäftigung mit Naturgefahren und -risiken im geographischen Unterricht an aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse anzupassen und Ansätze zu entwickeln, die verfügbare Unterrichtszeit in dieser Hinsicht effektiv zu nutzen. Darüber hinaus ist eine verstärkte Berücksichtigung der Thematik im Kontext einer „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ möglich, auch im Rahmen fächerverbindenden Unterrichts.

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Risiken als Thema im Geographieunterricht

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Wissenschaftler müssen die Spielregeln der elektronischen Medien kennen, die in vielen Aspekten ihren wissenschaft-lichen Arbeitsweisen widersprechen. Hierzu gehört zum Beispiel, dass Risiken für die Medien erst relevant werden, wenn dramatische oder ungewöhnliche Ereignisse stattfin-den. Gefragt sind harte Fakten, klar strukturierte Informa-tionen und Geschichten mit Pointen. Die Vorsorge an sich

hat für Redakteure auf den ersten Blick keinen Nachrichten-wert. Im Gegensatz dazu scheut die Katastrophenvorsorge gerade eine Fokussierung auf einzelne Ereignisse und konzentriert sich eher auf langfristige Prozesse der Risiko-minimierung. Die für eine mediale Kommunikation meist notwendige Reduzierung von fachlicher Komplexität fällt vielen Wissenschaftlern schwer.

Gehen Wissenschaftler auf diese medialen Arbeitsweisen nicht ein, sind sie in der Regel in Radio und Fernsehen nicht präsent und geben damit unter Umständen ihre Deutungs-hoheit als Wissenschaftler an die Medien ab. Auch ver-passen sie damit die Chance, die Inhalte des öffentlichen Diskurses mitzubestimmen.

Wichtig ist daher für eine erfolgreiche Zusammenarbeit zwi-schen Medien und Wissenschaft, dass beide Seiten langfristig ein vertrauensvolles Verhältnis aufbauen und ihre unter-schiedlichen Arbeitsweisen kennen und akzeptieren.

Ob ein Fernsehinterview seine Wirkung erreicht, hängt in erster Linie nicht von der Fachlichkeit des befragten Wissen-schaftlers ab. Viel wichtiger ist, ob der Wissenschaftler kom-petent und vertrauenswürdig erscheint. Zudem bestimmt die Bekanntheit des Wissenschaftlers maßgeblich dessen Wirkung. Taucht er öfter als Experte im Fernsehen auf, erhöht dies das Vertrauen der Zuschauer und Zuhörer in ihn.

Die gute Nachricht: Medienauftritte lassen sich gut trai-nieren. Entsprechende Trainings sollten am besten schon während des Hochschulstudiums stattfinden – wie es mit dem Ausbildungskurs Medienmeteorologie an der Freien Universität Berlin etwa der Fall ist–, um genügend Zeit zu haben, sich die notwendigen Medienkompetenzen anzueignen. Dann ist es später ein Leichtes, in Interviews gut artikulierte Antworten zu geben, vertrauenswürdig zu wirken, effektiv zu kommunizieren und vor allem die Deu-tungshoheit in den eigenen Händen zu behalten.

Mediale Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte bei Wetterkatastrophen

> Uwe Horst Ulbrich (Freie Universität Berlin)

Elektronische Medien nehmen in der Katastrophenvorsorge eine wichtige Rolle ein. Sie verbreiten Warnungen, Verhaltens-anweisungen sowie Hintergrundinformationen im Hinblick auf extreme Ereignisse und Risiken und tragen dazu bei, dass die Bürgerinnen und Bürger ein realistisches Risikobewusstsein entwickeln und behalten. Die Medienmacher, also die Journalisten, die in der Regel keine ausreichenden risikorelevanten Fachkenntnisse haben, greifen in ihren Pro-grammen häufig auf die Einschätzung eines Risikos durch Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zurück, denen wiederum häufig kommunikative Kompetenzen fehlen. Daher birgt die mediale Kommunikation von Risiken einiges Konfliktpotenzial, das im Rahmen der Katastrophenvorsorge aber abgebaut werden kann.

S e s s i o n I

Uwe Horst Ulbrich

Vertrauen aufbauen und Handlungsfähigkeit erhöhen

Soziale Netzwerke sind noch schnelllebiger und flexibler als herkömmliche elektronische Medien wie Hörfunk und Fernsehen. Sie können daher zum Beispiel bei Evakuierungen sehr relevant werden. Aber auch hier gilt es, im Vor-feld eines extremen Ereignisses Vertrauen aufzubauen. Entscheidend ist im Katastrophenfall nicht, welche Inhalte zuvor medial kommuniziert wurden, sondern ob die Bevölkerung handlungsfähig ist, angemessen mit den Risiken umzugehen. Sowohl die Wissenschaft als auch die Medien sind dabei nur Mittler.

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Notfallpädagogik und Bildungstheorie

> Harald Karutz (Notfallpädagogisches Institut Essen)

Deutschland gehört zu den wenigen Industriestaaten, in denen die Erste-Hilfe-Ausbildung nicht zum Pflichtprogramm in Schulen gehört. Auch eine „Erziehung für den Notfall“ gibt es nur in Einzelfällen und in der Erwachsenenbildung sind Notfälle überhaupt kein Thema. Der frühere Bundesverband für den Selbstschutz wurde bereits 1997 ersatzlos aufgelöst. Im deutschen Bevölkerungsschutzsystem klaffen daher einige größere Lücken. Diese lassen sich aber nicht mit einem bloßen „Mehr“ an notfallbezogener Bildung schließen. Stattdessen sind qualitative und strukturelle Verän-derungen notwendig.

Durch die Entwicklung einer speziellen Notfallpädagogik sollte die Selbsthilfekompetenz der Bevölkerung zukünftig systematisch gefördert werden. Insbesondere sollten Men-schen in der Lage sein, ihre eigenen Bedürfnisse zu erkennen, in einem Notfall für sich und andere zu planen, die Selbstbe-stimmungsfähigkeit aufrechtzuerhalten sowie nicht zuletzt anderen Notfallbetroffenen aktiv beizustehen.

Um das Bildungsziel einer solchen „notfallbezogenen Mün-digkeit“ zu erreichen, benötigt die Bevölkerung zweifellos Fachwissen und die Fähigkeit, einzelne Maßnahmen zu ergreifen, beispielsweise das Herstellen der stabilen Sei-tenlage. Deutlich wichtiger ist es allerdings, eine hilfreiche Grundhaltung zu erzeugen und für die Bewältigung von Notfallsituationen relevante übergeordnete Schlüsselqua-lifikationen zu vermitteln. Dazu gehören unter anderem Einfallsreichtum, Kreativität, Flexibilität, Gemeinschaftssinn sowie Improvisations- und Entscheidungsfähigkeit. Solche Schlüsselqualifikationen werden in den aktuell angebote-nen Ersthelferschulungen jedoch kaum thematisiert.

Zudem stellt sich die Frage, wie Bildungsangebote zu-künftig gestaltet sein sollten, damit die Bevölkerung sie überhaupt annimmt und sich tatsächlich nachhaltige Effekte erzielen lassen. Hier ist offenbar eine wichtige Vor-

aussetzung, dass zwischen den notfallbezogenen Bedarfen und Bedürfnissen verschiedener Bevölkerungsteilgruppen sorgfältig differenziert wird und jeweils ein konkreter, persönlicher Nutzen für den Einzelnen und dessen Umfeld erkennbar ist.

Runder Tisch für eine vernetzte Konzeption

Für die Entwicklung und Umsetzung einer notfallpädagogischen Gesamtstrategie ist es notwendig, dass verschiedene Akteure stets vernetzt agieren und alle Beteiligten ein möglichst einheitliches Konzept verfolgen. Anbieter von not-fallbezogenen Schulungsmaßnahmen sollten nicht isoliert arbeiten.

Vernetzung beginnt dabei schon bei der ministeriellen Zuständigkeit für das Konstrukt „Notfallpädagogik“. Es be-rührt die Kultus-, Innen- sowie die Sozial- und Gesundheitsministerien in den Bundesländern. Aber auch bei der prakti-schen Umsetzung notfallpädagogischer Konzepte ist ein vernetztes Vorgehen erforderlich. So verfügen Lehrer an Schulen in der Regel nicht über die notwendige notfallbezogene Fachkompetenz, Einsatzkräfte der Feuerwehr, der Polizei oder des Rettungsdienstes hingegen meist nicht über die erforderliche pädagogische Expertise.

Ein Runder Tisch könnte daher ein geeigneter Ansatz sein, um ein integratives Konzept für die Notfallpädagogik zu ent-wickeln. Dabei sollten auch Vertreter aus anderen europäischen Ländern einbezogen werden, in denen notfallbezogene Bildung schon heute stärker gefördert wird als in Deutschland.

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Harald Karutz

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Einzelne Kursangebote greifen zu kurz, weil das Thema Not-fallvorsorge die Menschen lebenslang begleitet. Ohnehin ist die Teilnahme an speziellen Lehrgängen meist mit einem zusätzlichen Aufwand verbunden und damit relativ hoch-schwellig. Insofern wäre es besser, viele unterschiedliche, jedoch einander modular ergänzende Bildungsangebote in den Alltag der einzelnen Bevölkerungsteilgruppen zu integrieren. Geeignete Settings für die Vermittlung notfall-bezogener Bildung könnten beispielsweise der Ausbildungs- oder Arbeitsplatz, der Sportverein oder – für Kinder und Jugendliche – der Kindergarten und die Schule sein. Dabei gilt generell: Je früher notfallpädagogische Bemühungen einsetzen, umso besser.

Ohne ein spezifisches, proaktives Engagement einzelner Akteure wird eine umfassende notfallbezogene Bildung

jedoch kaum realisierbar sein. Daher werden in allen Settings und in den einzelnen Bevölkerungsteilgruppen Multiplikatoren benötigt, die die individuellen Prozesse notfallbezogener Bildung auch längerfristig und vor allem persönlich begleiten. Ein interessantes Konzept hierfür könnten Inhouse-Security-Partys sein, die mit den bekann-ten Verkaufsveranstaltungen in Privathaushalten oder auch pflegewissenschaftlich begründeten präventiven Hausbesuchen vergleichbar sind. Im Rahmen solcher Si-cherheitspartys könnten zunächst die spezifischen Risiken der einzelnen Teilnehmer ermittelt und darauf aufbauend personalisierte Interventions- und Hilfeleistungsstrategien sowie Notfallvorsorgemaßnahmen erarbeitet werden. Es versteht sich von selbst, dass beispielsweise bei Senioren völlig andere Problemstellungen zu beachten sind als etwa bei Familien mit kleinen Kindern oder Jugendlichen.

S e s s i o n I

Selbsthilfe: Sandsack-Kette zum Schutz des Deiches Lernen für den Notfall

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S e s s i o n I I

Zivilgesellschaftliche Verantwortung im Umgang mit Sturmflutrisiken kann sehr unterschiedlich aussehen: Sie reicht von formellen und informellen Bürgerbeteiligungen bei öffentlichen Planungen über Kooperationen zwischen Verwaltung und Bürgern etwa bei Deichverteidigungs-übungen bis zur Selbstorganisation in Form von Flutschutz- und Poldergemeinschaften, Nachbarschaftshilfen und Bürgerinitiativen.

Was sind die Voraussetzungen dafür, dass die Bevölkerung ihre Eigen- und Mitverantwortung in überschwemmungs-gefährdeten Gebieten wahrnimmt? Hierzu liefern die Flutschutzgemeinschaften der Hamburger HafenCity und die Poldergemeinschaften am nördlichen Elbeufer wichtige Hinweise:

Die Hamburger HafenCity befindet sich außerhalb der öffentlichen Hochwasserschutzlinie. Als ehemaliges Hafen-gebiet, das inzwischen in Wohn- und Büroraum umgewan-

delt wurde, ist sie grundsätzlich sturmflutgefährdet. Daher sieht das Hochwasserschutzkonzept eine Mitverantwortung der Bewohner vor: Flutschutzgemeinschaften müssen etwa bei einer Sturmflut selbst die Fluttore schließen und für die Evakuierung sorgen. Die meisten Gemeinschaften haben diese Aufgaben allerdings an Firmen weitergegeben und übernehmen damit keine aktive Rolle im Risikomanagement.

Session II: Risikokommunikation und Selbsthilfe

Convener: Tina Weber (Deutsches Rotes Kreuz), Annett Steinführer (Johann Heinrich von Thünen-Institut)

Risikokommunikation soll der Bevölkerung vermitteln, wie sie mit Risiken und Krisen umgehen sollte, um ein „resilientes Leben mit dem Risiko“ zu führen. Bislang gibt es für diese Kommunikation wenig wirkungsvolle Konzepte und auch kaum Forschungsergebnisse, die deren Beziehung zur Selbsthilfe untersuchen.

In Deutschland ist sich die Bevölkerung – anders als etwa in Japan – ihrer Risiken kaum bewusst. Viele verlassen sich auf die professionelle Gefahrenabwehr und sehen keine Notwendigkeit zur Selbsthilfe. Wenn die Bürger mehr Eigen- und Mit-verantwortung im Umgang mit Risiken übernehmen sollen, bedeutet dies, dass ihnen im Katastrophenmanagement Kompetenzen übertragen werden. Hierfür benötigt es allerdings entsprechende organisatorische und soziale Strukturen. Neue soziale Medien können diese sozialen Strukturen zwar nicht ersetzten, dienen aber als nützliche technologische Hilfsmittel.

Bürger als Mitgestalter im Hochwasserrisikomanagement – Zivilgesell-schaftliche Eigen- und Mitverantwortung im Umgang mit Sturmflutrisiken

> Mareike Fellmer (HafenCity Universität Hamburg)

Der einzelne Bürger übernimmt im Hochwassermanagement eine wichtige Rolle: Neben der staatlichen Vorsorge hat er die Verantwortung, sich selbst vor den Folgen eines Hochwasserereignisses zu schützen, und zu lernen, sein Leben an das Risiko anzupassen. Er hat auch die Möglichkeit, das Hochwassermanagement aktiv mitzugestalten, indem er zum Beispiel die Planung und Umsetzung von Küstenschutzmaßnahmen mit verantwortet. Zur Rolle des Mitgestalters gehört auch die langfristige Eigenverantwortung der Bürger etwa bei der baulichen Vorsorge oder der Verhaltensvor-sorge. Sie wird aber in der Regel nur spontan im Bedarfsfall wahrgenommen; eine langfristige Eigenvorsorge hinter den Deichen findet nicht statt.

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Die Bewohner der HafenCity – häufig Zugezogene – iden-tifizieren sich wenig mit der Region und deren Naturrisiken und haben ein sehr geringes Bewusstsein für die Gefahren einer Sturmflut. Ihre zivilgesellschaftliche Verantwortung wird ihnen durch die Flutschutzverordnung oktroyiert.

Anders sieht es bei den Poldergemeinschaften am nördlichen Elbeufer aus: Viele Bewohner der Poldergemeinschaften haben 1962 die große Sturmflut miterlebt und wissen daher, dass sie selbst eine große Verantwortung beim Schutz vor einer Sturmflut tragen. Auch hier ist die Vorsorge durch die Polderordnung institutionell vorgegeben, die Menschen haben aber ein starkes Bedürfnis nach Eigenverantwortung und Selbstbestimmung.

Entscheidend dafür, ob Menschen ihre zivilgesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen, ist daher, inwieweit sie sich

vom Risiko einer Sturmflut betroffen fühlen, ob sie eine Sturmflut selbst schon miterlebt haben, wie der instituti-onelle Rahmen gestaltet ist und ob sie ein Bedürfnis nach Eigenverantwortung und Mitgestaltung haben.

Die Konsequenz aus diesen Beobachtungen für die staatliche Risikokommunikation: Staatliche Institutionen sollten den Bürgern nicht länger eine umfassende Sicher-heit vor Naturrisiken vermitteln. Diese Praxis hat dazu geführt, dass viele eine passive Rolle als Empfänger staatlicher Vorsorgeleistungen und Opfer unvermeidlicher Katastrophen eingenommen haben. Um diese Einstellun-gen zu ändern, müssen Bürger stärker auf Möglichkeiten der Mitgestaltung zum Beispiel in Bürgerforen, Kooperati-onsbörsen, Fachbeiräten oder Runden Tischen aufmerksam gemacht werden.

Wie kann die Bevölkerung ein Risikobewusstsein erwerben?

Beim Risikomanagement in sturmflutgefährdeten Gebieten wie der Hamburger HafenCity oder dem Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg als bewohnter Insel darf es sich die Verwaltung nicht zu einfach machen. Es reicht hier nicht aus, die Bevölkerung etwa mit Plakaten vor den Gefahren einer Sturmflut zu warnen und sich rechtlich gegen Haftungsschäden abzusichern. Ziel muss hier sein, dass die Bevölkerung im Überflutungsgebiet ein Risiko- bewusstsein entwickelt. Wie das gelingen kann, ist allerdings noch unklar. In Wilhelmsburg hat die Hamburger Ka-tastrophenschutzverwaltung beispielsweise versucht, die Bevölkerung mit einem Katastrophenschutztag zu sensi-bilisieren, aber die Resonanz der Bewohner war gering.

Wie kann Selbsthilfe im Krisenfall professionell unterstützt werden?

> Wolf Engelbach (Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation/Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement der Universität Stuttgart)

Angeleitete Selbsthilfe richtet sich nicht nur an die breite Bevölkerung, sondern auch an Fachkräfte. Sie alle sollten so gut wie möglich auf etwaige Katastrophen vorbereitet sein. So müssen etwa Helfer bei Großveranstaltungen wissen, was im Fall eines starken Hagelschauers oder bei einer Evakuierung aufgrund einer Bombendrohung zu tun ist. Um die Selbsthilfe zu professionalisieren, sind Strukturen zur Selbst- und Fremdhilfe erforderlich, die möglichst in bestehende Prozesse integriert sein sollten. Zudem müssen spontane Freiwillige angeleitet werden.

Bei Großveranstaltungen ist es sinnvoll, das Informations-management im Normalbetrieb und in kritischen Lagen aufeinander abzustimmen. Konkret lässt sich etwa die Smartphone App eines Fußballbundesligavereins auch für die Risikokommunikation mit Stadionbesuchern nutzen. Bei einem Stadtmarathon können die Kommunikationswege des Veranstalters mit den Helfern auch für einen Ernstfall genutzt werden.

Die Selbsthilfe benötigt grundsätzlich klare Strukturen, innerhalb derer zum Beispiel erfahrene Helfer den bereitwil-ligen Freiwilligen klare Anleitungen geben. Dies kann wie beim Hurrikan Sandy in New York spontan geschehen oder langfristiger organisiert sein wie in Österreich, wo sich Men-schen im Voraus registrieren lassen, wenn sie grundsätzlich als Helfer zur Verfügung stehen. Aber auch für diejenigen, die sich selbst oder in der Nachbarschaft helfen, sind klare Aufforderungen und Anregungen für die Hilfe nützlich.

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Um Selbsthilfe zu initiieren, muss das Krisenmanagement die Bevölkerung zunächst informieren. Doch welche Kanäle sind hierfür am besten geeignet? Wer hört Sirenen, wer Meldungen im Radio? Wie verbreiten sich Informationen in kritischen Situationen? Zu diesen Fragen gibt es kaum empirische Daten, auch weil die Erreichbarkeit der Bevöl-kerung zum Beispiel abhängig von der Tageszeit immer unterschiedlich ist.

Sind die Menschen vor einem Ereignis gewarnt, müssen sie zum Handeln bewegt werden. Eine Voraussetzung dafür ist, dass sie der Warnung vertrauen und den konkreten Anweisungen Folge leisten. Wie sie sich konkret verhalten, hängt aber von vielen Faktoren ab, unter anderem von ih-rem Charakter, ihrer Vernetzung innerhalb der Gesellschaft, dem Gruppenverhalten und ihrem Risikobewusstsein.

Mit Simulationen lassen sich die Wirkungen von Warnungen modellieren. Einige Ergebnisse solcher Simulationen sind zum Beispiel, dass Menschen, die bereits eine Überflutung erlebt haben, eher in der Lage sind, Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Ein weiteres Resultat derartiger Simulationen: Selbsthilfekompetenz und angeleitete Selbsthilfe lohnen sich, vorausgesetzt die Helfer erhalten eine professionelle Anleitung. Diese Erkenntnisse haben somit weitreichende Auswirkungen auf die gesamte Strategie des Katastrophen-managements.

Wann kann wer Selbsthilfe leisten?

Je nachdem, wer Selbst- und Fremdhilfe leistet, kann die Art der Hilfe sehr unterschiedlich sein. Dies gilt es in den jeweiligen Konzepten zu berücksichtigen.

Wann und wie Menschen zur Selbsthilfe bereit sind, entspricht nicht immer den Erfordernissen des Katastrophen-managements. Immer wieder kommt es vor, dass Bürger in Situationen zur Hilfe angeleitet werden möchten, wenn dies faktisch nicht hilfreich ist. Dann wiederum, wenn man ihre Hilfe anfrage, werde sie nicht angeboten.

Erdbebenwarnung für und Katastrophenvorsorge mit den Menschen in Nordpakistan – ein Erfahrungsbericht

> Jürgen Clemens (Malteser International)

Von 2008 bis 2009 führte Malteser International ein Pilotprojekt zur Erdbebenwarnung und zur partizipativen Katastro-phenvorsorge in Nordpakistan (Azad Jammu and Kashmir) durch. Die bisherigen Erfahrungen dieses mit weiteren Pro-jekten fortgesetzten Programms zeigen, dass Krisen in der Programmregion nicht ohne Selbsthilfe bewältigt werden können und dass Warnungen ins Leere laufen, wenn die Zielgruppe nicht zuvor involviert wird.

Eines der Programmziele ist es, die Bevölkerung über Außen-sirenen weitflächig, bis zu einem Radius von etwa 2.500 Me-tern, vor Erdbeben zu warnen. Zuvor gab es mit der genutzten Technologie Erdbebenalarme nur innerhalb von Gebäuden. Der Alarm soll allerdings nur ausgelöst werden, wenn vor Ort – entsprechend der über Sensoren erfassten Erdbebeninten-sität – massive materielle Schäden und zahlreiche Verletzte zu erwarten sind. Bei geringerer Intensität und Relevanz erfolgt keine Warnung, auch wenn das Erdbeben vor Ort spürbar ist.

Weil sich in Pakistan die staatlichen Strukturen für das Kata-strophenmanagement noch im Aufbau befinden, arbeitet das Programm primär mit Freiwilligen aus der Zielbevölke-rung. Ziel ist es, sie zu informieren, zu mobilisieren sowie für Erstmaßnahmen auszubilden und auszurüsten.

Das Programm kann seine Ziele nur erreichen, wenn es die technische Funktionalität der Warnsysteme sicherstellt, mit der Zielgruppe umfassend kommuniziert, Vertrauen schafft

Mobile Dienste für Veranstaltungen und Krisensituationen

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und Verantwortung und Ownership auf Gemeindeebene sowie bei den zuständigen staatlichen Stellen fördert. Diese Grundlagen zu legen, ist sehr zeitintensiv.

Das bisherige Fazit des Programms: • Wie mehrere Erdbebenalarme gezeigt haben, funktio-

niert die Warntechnologie, wobei die lokale Stromversor-gung einen Schwachpunkt darstellt, dem unter anderem durch die Installation von Photovoltaik-Modulen begeg-net wird.

• Die Zielbevölkerung muss sehr frühzeitig informiert werden, unter anderem über sinnvolle Reaktionen sowie über die Alarmsignale, damit diese zum Beispiel nicht als Ambulanzfahrzeuge missinterpretiert werden.

• Durch eine intensive Kommunikation mit der Zielbevöl-kerung und den Behörden gelang es, das Pilotprogramm in unterschiedlichen Kontexten wie etwa ländlichen und städtischen Siedlungen weiterzuentwickeln.

Nach dem ersten Pilotprojekt wurde das Programm in Nachbarregionen fortgesetzt und soll mittel- bis langfris-tig vor allem über die zuständigen Behörden ausgeweitet werden und eine größere Breitenwirkung erzielen. Kurz- bis mittelfristig gilt es zunächst, die technische und organisa-torische Nachhaltigkeit des Ansatzes zu sichern.

Das Programm ist auch mit einigen strukturellen Limitie-rungen konfrontiert. So sind die nationalen und regionalen Katastrophenmanagement-Strukturen noch recht schwach und auch zivilgesellschaftliche Strukturen befinden sich in Pakistan noch im Aufbau. Auf Geberseite gibt es Einschrän-kungen wie etwa kurze Förderlaufzeiten oder unterschied-liche inhaltliche Förderschwerpunkte, welche dementspre-chend mit eigenen Finanzmitteln ergänzt werden.

Die positiven Reaktionen der Zielgruppen machen jedoch Mut zur Fortsetzung des Programms. Dabei gilt es, die Erd-bebenwarntechnologie praxisgerecht weiterzuentwickeln und den partizipativen Ansatz des Programms noch aktiver zu bewerben und umzusetzen.

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Erdbebenwarnung und Ausbildung in erster Hilfe in Pakistan

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Online-Hochwasserinformationen für Betroffene: Angebot und Nachfrage

> Thorsten Ulbrich (Freie Universität Berlin)

Menschen, die akut von einem Hochwasser betroffen sind, müssen in den verschiedenen Phasen des Extremereignisses mit Informationen versorgt werden: Im Sinne einer kurzfristigen Vorsorge (Preparedness) erhalten sie aktuelle Gefah-renmeldungen, Verhaltensempfehlungen oder konkrete Aufforderungen zur Evakuierung. Während des Ereignisses müssen sie mit Informationen beispielsweise über die aktuelle Hochwassersituation und mögliche Einschränkungen von Infrastrukturen informiert werden. Schließlich erhalten sie bei der Bewältigung und Bewertung des Ereignisses Hilfestellungen im Umgang mit Versicherungen und sind bei der langfristigen Vorsorge die Zielgruppe von Kommuni-kationsmaßnahmen zur Eigenvorsorge und Bewusstseinsbildung.

Um diese Informationen zu verbreiten, kann das Katast-rophenmanagement verschiedene Medien nutzen, zum Beispiel Websites, Zeitungen, Radio, Fernsehen oder auch Sirenen. Jedes Medium kann dabei nur bestimmte Funk-tionen erfüllen, so dass eine effektive Hochwasser-Risiko-kommunikation eine Kombination verschiedener Medien nutzen muss. Wichtig ist dabei deren Push-Funktion – das bedeutet, dass die Zielgruppe nicht gezielt das Medium ansteuern muss, um die akuten Hochwasserinformationen zu erhalten.

Bei der Analyse von 28 behördlichen Websites mit Hoch-wasserinformationen zeigte sich, dass diese meist zu wenige Informationen zum Selbstschutz wie etwa Anlei-tungen zur Eigenvorsorge sowie zu juristischen Grundla-gen beinhalten. Generell gibt es zwei Arten von Websites: Entweder widmen sie sich der langfristigen Vorsorge oder sie konzentrieren sich auf akute Gefahrensituationen; eine Kombination beider Themenkomplexe ist eher selten.

Inwieweit die auf den behördlichen Websites zur Verfü-gung gestellten Informationen dem Bedarf der Betroffenen entsprechen, zeigen Fallstudien aus Habkirchen (Saarland), Hechingen (Baden-Württemberg) und Sterzing (Südtirol, Italien). Bei Gruppendiskussionen in diesen drei Orten wurde deutlich, dass die Betroffenen mehr Informationen zur Unterstützung der Selbsthilfe benötigten. Dies galt für die kurzfristige Vorsorge in Form von Frühwarnung und Informationen zur aktuellen Wetterlage ebenso wie für Sicherheitshinweise, aber auch für Aufräumarbeiten, die Abwicklung von Versicherungsleistungen und finanzielle Hilfen bei der Bewältigung des Ereignisses.

Insgesamt zeigte die Untersuchung, dass es für die Vorsorge hilfreich wäre, verschiedene Medien zur Hochwasserinfor-

mation miteinander zu verknüpfen und auch neue Kom-munikationswege wie etwa soziale Netzwerke oder Smart-phone Apps zu nutzen. Aber auch Telefonhotlines und die generelle Einbeziehung von Schulen und Baumärkten sind für eine effektivere Hochwasserkommunikation sinnvoll. Wichtig ist, dass die Informationen und die Funktionsfähig-keit der elektronischen Medien zuverlässig sind, immer ein lokaler Bezug gegeben ist und die Medien nutzerfreundlich gestaltet sind.

Kurzfristige Warnungen und nachhaltiges Lernen

Das Internet hat gegenüber anderen Medien den großen Vorteil, dass die Informationen schnell aktualisiert werden können und viele Menschen erreichen. Somit ist es besonders gut für die Kommunikation etwa von Pegelständen geeignet.

Nach einem Hochwasserereignis sind die Betroffenen noch besonders sensibilisiert. Deshalb ist dies ein guter Zeit-punkt, um langfristige Lehren aus dem Hochwasser zu ziehen. Die Konsequenzen können eine Verbesserung des Selbstschutzes betreffen und sollten auch so weit gehen, dass zum Beispiel der Aufbau eines durch das Hochwasser zerstörten oder schwer beschädigten Hauses an derselben Stelle kritisch hinterfragt wird.

Diskussion zur Hochwasserinformation während des DKKV-Forums

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Session III: Vulnerabilität: Analyse, Szenario – und dann?

Convener: Jörn Birkmann (United Nations University – Institute for Environment and Human Security), Joachim Prey (Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit)

Vulnerabilität verändert sich permanent im Kontext von Krisen und Katastrophen sowohl hinsichtlich der Art des Risi-kos sowie zeitlich als auch räumlich. Dennoch beziehen sich die meisten Risikoanalysen zum Beispiel zum Klimawandel auf unterschiedliche Szenarien, bei denen Daten zur Vulnerabilität in der Regel auf den Ist-Zustand ausgerichtet sind. Vulnerabilitäts-Assessments sind damit lediglich Momentaufnahmen. Wie lassen sich aber dynamische Veränderungen von Vulnerabilität erfassen und bewerten?

Vulnerabilitätsszenarien im Kontext von Klimawandel und Naturgefahren: Möglichkeiten einer raum-zeitlichen Bewertung

> Stefan Kienberger (Interfakultärer Fachbereich für Geoinformatik – Z_GIS, Universität Salzburg)

Eine zentrale Herausforderung für die Vulnerabilitäts-Analyse ist, dass Risiken einer zeitlichen Dynamik unterliegen, die nicht nur von der Naturgefahr selbst, sondern auch von zahlreichen sozio-ökonomischen Faktoren abhängt. Dies erschwert die Erarbeitung zukünftiger Vulnerabilitäts-Szenarien, die insbesondere im Kontext von Klimawandel und Naturgefahren immer relevanter werden. Der zur Zeit meist verwendete Ansatz, von einem gegenwärtigen Assessment von Vulnerabilität auf die Zukunft zu schließen, greift zu kurz.

In der Forschung gibt es diverse Konzepte zur Bewertung von Vulnerabilität, die in jüngster Vergangenheit immer weiter konsolidiert wurden. Es herrscht aber gegenwärtig noch eine hohe Unsicherheit in der Bewertung von Vulne-rabilität. Die methodischen Ansätze, Indikatoren und die verwendeten Daten variieren, und die Ergebnisse können auch im Rahmen der Kommunikation (Karten, Webtools, ...) in ihrer Aussagekraft beeinflusst werden.

Um die zukünftige Vulnerabilität gegenüber bestimmten Risiken besser einschätzen zu können, entwickelte der Interfakultäre Fachbereich für Geoinformatik – Z_GIS an der Universität Salzburg im Rahmen des EU-Forschungsprojektes BRAHMATWINN eine erste experimentelle Methodik, die die zukünftige sozio-ökonomische Vulnerabilität für das Einzugs-

Bewertung von Vulnerabilität als Entscheidungsgrundlage für das Katastrophenmanagement

Auch andere Faktoren als die Bevölkerungszahlen sind für die Vulnerabilität einer Gesellschaft relevant, zum Beispiel deren Exposition oder geleistete Vorsorge. Nach größeren Katastrophen finden häufig Brüche im Umgang mit Risiken statt. Diese lassen sich kaum in Zukunftsszenarien abbilden. Eine zentrale Frage ist auch immer, wie Ent-scheidungsträger derartige Forschungsergebnisse nutzen können.

Projektion der Vulnerabilität für 2020 und 2050 für das Einzugsgebiet der Salzach

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Verwundbarkeit und Anpassung im Mekong Delta. Ein Ansatz zur Evaluation verschiedener Handlungsstrategien

> Dunja Krause, Maria Schwab (United Nations University – Institute for Environment and Human Security)

Das Mekong Delta zählt zu den vom Klimawandel am stärksten betroffenen Regionen der Welt. Hier steigt der Meeresspiegel signifikant an und die Gefahr von Dürren nimmt zu. Hierdurch bedrohen beispielsweise zunehmende Versalzungsprozesse insbesondere die Landwirtschaft. Gleichzeitung verzeichnet die Region weitreichende sozio-ökonomische und politische Veränderungen, zum Beispiel entwickelt sich die Wirtschaft dynamisch, die Armut nimmt ab, während Urbanisierung und die Bevölkerungszahlen weiter zunehmen. Daher ist es für das Mekong Delta dringend notwendig, nachhaltige Anpassungsstrategien zu entwickeln. Was nachhaltiges Handeln ausmacht, ist jedoch oft nur schwer fassbar. Daher ist es von zentraler Bedeutung, Anpassungsstrategien zu evaluieren.

Im Rahmen des Forschungsprojekts WISDOM (Water-Related Information System for the Sustainable Development of the Mekong Delta) wird hierfür ein multidimensionaler Evaluie-rungsansatz gewählt, der den gesamten Anpassungspro-zess im Auge behält. Daher werden neben Motivation und Zielen auch die Implementierung und Auswirkungen von Handlungsoptionen vor dem Hintergrund kontinuierlicher sozial-ökologischer Veränderungen näher untersucht.

Migration ist eine im Mekong Delta viel beobachtete und hinsichtlich ihrer Zukunftsfähigkeit häufig umstrittene Stra-tegie zur Anpassung an veränderte Lebensbedingungen. Im

ländlichen Kontext spielen insbesondere informelle saisonale Wanderungsbewegungen in die Städte eine wichtige Rolle. Hierbei sind zukünftige wasserbezogene Risiken bei der Entscheidung zu migrieren kaum von Bedeutung. Saisonale Migration scheint dementsprechend weniger eine antizipative Anpassung als eine kurzfristig orientierte Reaktion auf Versal-zung oder Überschwemmungen zu sein.

Die Nachhaltigkeit von Strategien wie saisonale Migration lässt sich anhand bestimmter Qualitätskriterien beurteilen, wobei hier politische, soziale und kulturelle Faktoren in der Evaluierung berücksichtigt werden müssen. Es zeigt sich,

gebiet der Salzach in Österreich gegenüber Überschwem-mungsrisiken quantifizieren sollte. Das Projekt konnte auf rasterbasierte Daten zurückgreifen, die als Ergebnisse der österreichischen Volkszählung existieren, sowie auf verschie-dene IPCC SRES Projektionen, mit denen sozio-ökonomische Parameter entsprechend korreliert wurden.

Das Projekt identifizierte fünf Schlüsselvariablen und führte eine Regression zwischen diesen Variablen und dem Gesamtindex durch. Zudem korrelierte das Projekt frühere Daten der Schlüsselvariablen mit früheren Daten zur Bevöl-kerung und zum Bruttoinlandsprodukt, um die notwendi-gen Prädiktoren zu erhalten. Mit diesen Werten sowie mit zukünftigen Bevölkerungs- und Bruttoinlandsproduktdaten konnten zukünftige Werte der Schlüsselvariablen berech-net werden. Mithilfe der Regressionsformel ließ sich dann der zukünftige Vulnerabilitätsindex berechnen. Das Ergeb-nis: In Ballungsräumen ist eine Zunahme der Vulnerabilität zu erwarten, in ländlichen Gebieten wird die Vulnerabilität dagegen abnehmen, was auf den dortigen demographi-schen Wandel zurückzuführen ist.

Trotz dieser ersten Ergebnisse ist die Erforschung zukünfti-ger Vulnerabilität weiterhin methodisch ein offenes Feld. So ist etwa generell noch unklar, ob Vulnerabilität in Zukunft

anders definiert werden muss als heute, beispielsweise hin-sichtlich der unterschiedlichen Gewichtung von Indikato-ren und veränderter Rahmenbedingungen. Auch wird sich noch zeigen müssen, ob der Ansatz, Schlüsselvariablen mit Daten zur Bevölkerung und zum Bruttoinlandsprodukt zu korrelieren, zielführend ist. Jedoch bietet er eine Diskus-sionsgrundlage, auf der zukünftig die Entwicklung von Verwundbarkeitsszenarien aufbauen kann.

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dass wirtschaftliche Motive die größte Bedeutung einnehmen und dass die Menschen genau diese auch am häufigs-ten als relevante Vorteile der Migration angeben. Migration kann sich in seinen unterschiedlichen Ausprägungen auch auf sehr unterschiedliche Weise auf die soziale Verwundbarkeit der Haushalte auswirken. Saisonale Arbeitsmigration in städtische Gebiete führt beispielsweise zu einer hauptsächlich kurzfristigen Verrin-gerung der Verwundbarkeit gegenüber Versalzung. Über die Steigerung und Diversifizierung von Einkommen kommt es zu einer geringeren Anfälligkeit oder einer höheren Anpassungskapazität. Eine langfristige Reduzierung der Verwundbar-keit findet demgegenüber statt, wenn der gesamte Haushalt in andere Gebiete zieht und damit nicht mehr exponiert ist oder wenn aufgrund von Bildungsmig-ration eines Haushaltsmitglieds die Anpassungsfähigkeit zunimmt. Im direkten Vergleich mit anderen Handlungsop-tionen zeigte sich jedoch, dass Migration für die Betrof-fenen eine wenig attraktive Option zur Reduzierung von Vulnerabilität darstellt, insbesondere da sie mit großen sozialen Veränderungen verbunden ist.

Auch wenn der gewählte Evaluierungsansatz sehr zeit-aufwändig ist, bietet er doch viele Vorteile. Die Methodik schafft nicht nur eine Bewertungsgrundlage für nachhal-tige Anpassung, sondern fördert die Interaktion zwischen den verschiedenen Beteiligten und das Bewusstsein für bestehende Risiken.

Vulnerabilität in grenzüberschreitenden Regionen – ein Indikatorenrahmen

> Marjorie Vannieuwenhuyse, (Karlsruher Institut für Technologie)

Die Zunahme extremer Wetterereignisse sowie ein höheres Gefahrenpotenzial machen deutlich, dass sich Gesellschaften verstärkt mit den steigenden Risiken durch extreme Naturereignisse beschäftigen müssen. In grenzüberschreitenden Regionen wie zum Beispiel dem oberen Rheindelta im Länderdreieck Deutschland, Frankreich, Schweiz ist der Um-gang mit diesen Risiken aufgrund verschiedener politischer, administrativer, kommunikativer, sozialer und historischer Faktoren besonders schwierig. Der Einfluss zum Beispiel eines Hochwassers ist hier in allen drei Regionen rein faktisch derselbe; die Vulnerabilität der Gesellschaften kann aber sehr unterschiedlich ausfallen.

Das obere Rheindelta besteht mit einem französischen, einem schweizerischen und einem deutschen Teil aus drei unterschiedlichen administrativen und kulturellen Gebie-

ten. Die Risiken Erdbeben, Hochwasser, Hitzewellen und Risikoindustrien werden aber in allen drei Regionen durch eine wachsende Bevölkerung, intensive Landnutzung und

Das Hier und Heute zählt

Die Menschen nehmen den Klimawandel in der Regel nicht wahr, weil das Phänomen als Ganzes zu abstrakt ist, sondern sie sehen eher die schleichenden Veränderungen im eigenen Umfeld. Auf dem Land herrscht aufgrund der Nähe zur Natur meist ein stärker ausgeprägtes Bewusstsein für aktuelle Risiken, Anpassung spielt hier aber dennoch kaum eine Rolle, da die Menschen in erster Linie das Hier und Heute bewältigen müssen und darüber hinaus kaum noch über Kapazitäten verfügen, um sich anzupassen.

Hochwasser am Mekong Delta

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eine Konzentration von risiko- und schadstoffreicher In-dustrie gleichermaßen verstärkt. Es gibt hier seit 2010 zwar große Bestrebungen für eine verstärkte politische Koope-ration, jedoch noch keine Strategie für ein gemeinsames Risikomanagement.

Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) hat es sich zur Aufgabe gemacht, mithilfe von Indikatoren in dieser Region die Verwundbarkeit gegenüber den Naturrisiken, Überflutungen und Hitzewellen zu messen, um jene Fakto-ren zu identifizieren, die die Vulnerabilität steigern, und um die Gefahrenherde zu lokalisieren.

Um die Vulnerabilität detailliert zu beschreiben, wurde zunächst das territoriale System in verschiedene Dimensio-nen aufgeteilt. Zum einen gibt es die Basissituation mit der sozialen Dimension, die etwa die Anzahl der Haushalte und das Alter der Bevölkerung beinhaltet, mit der Dimension Infrastruktur und Gebäude sowie mit der ökonomischen Di-mension, die etwa die Größe der landwirtschaftlich genutz-ten Fläche und die Größe von Unternehmen abbildet. Auf der anderen Seite findet sich die proaktive Dimension, die das Risikomanagement in Form von Mitigation, Notfallpla-nung und Bildung beinhaltet. Hier zeigte sich sehr schnell die Schwierigkeit, vergleichbare Indikatoren zu definieren, weil zum Beispiel die Schulsysteme in Frankreich, Deutsch-land und der Schweiz unterschiedlich sind.

Die territorialen Eigenheiten sind für die Vulnerabilität sehr relevant, wie die Ergebnisse der Untersuchung zum Beispiel im Hinblick auf Hochwasserrisiken zeigen. Das größte Hochwasserrisiko ist hier klar auf schweizerischem Staatsgebiet zu sehen, das besonders im Hinblick auf die wirtschaftliche Dimension am verwundbarsten ist. Auf Kar-ten lassen sich nicht nur diese Hot Spots gut darstellen, son-

dern auch die Vulnerabilität gegenüber Naturgefahren im Allgemeinen oder auch gegenüber bestimmten Gefahren. Auch lässt sich auf solchen Karten gut abbilden, welche Dimension besonders verwundbar ist – die Bevölkerung, die Infrastruktur mit Gebäuden oder eher die wirtschaftli-che Dimension?

Doch interessiert hier nicht nur die Vulnerabilität zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern auch ihre dynamische Ent-wicklung. Dabei hängt die Vulnerabilität entscheidend vom konkreten Szenario, den sozialen Indikatoren und natürlich auch von den implementierten Maßnahmen der Vorsorge innerhalb der proaktiven Dimension ab. Betrachtet man die Dynamik der Vulnerabilität, so zeigt sich, wie effektiv die Katastrophenvorsorge in den unterschiedlichen Regionen des oberen Rheindeltas wirken kann.

Instrumente zur kontinuierlichen Bestimmung des Gefährdungspotenzials durch Sturzfluten in Wuppertal

> Sebastian Czickus (Ingenieurbüro Reinhard Beck), Stefan Sander (Stadt Wuppertal)

In Wuppertal kommt es immer häufiger zu Starkregenereignissen und Sturzfluten. Aufgrund der starken Gefälle in der Stadt und der Integration der Wupper-Nebengewässer in das Regenwasserkanalnetz werden Grundstücke, die in Senken liegen, überflutet, Fließgewässer blockieren das Regenwasserkanalnetz und öffentliche Infrastruktur sowie privates Eigentum werden beschädigt oder zerstört. Die Stadt geht davon aus, dass als Folge des Klimawandels die Starkregen- ereignisse und Sturzfluten noch zunehmen und hat daher eine Anpassungsstrategie entwickelt, damit sie in Zukunft den Einfluss des Klimawandels bei der Planung städtischer Infrastruktur berücksichtigen kann.

Diese Strategie ist so angelegt, dass zunächst eine klas-sische hydrodynamische Kanalnetzberechnung für das gesamte Stadtgebiet erfolgt.

Um herauszufinden, welche kritische Infrastruktur potenziell gefährdet ist, ermittelte das Projekt „Abflussakkumulation Wuppertal“ die Abflusswege auf der Erdoberfläche mithilfe

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von Fernerkundungsdaten. Dafür wurde mit Laserscan-daten die Höhe einzelner Rasterpunkte im Stadtgebiet bestimmt, um anhand dieses Geländemodells konkrete Fließwege und insbesondere Geländesenken zu ermitteln und auf einer Karte darzustellen. Bei einer Gesamtfläche von 168 Quadratkilometern benötigte man in Wuppertal hierfür über 2,5 Milliarden Rasterzellen bei einer Rasterweite von 25 mal 25 Zentimetern. Um zu korrekten Ergebnissen zu kommen, mussten Durchlässe, Verrohrungen und Brücken,

die in Laserscandaten grundsätzlich nicht erkennbar sind, mit hohem Arbeitsaufwand in das digitale Geländemodell eingearbeitet werden. Als Ergebnis zeigen die erstellten Karten, wo Maßnahmen für den Überflutungsschutz ansetzen müssen. In diesem Projekt wurden erstmalig Fließwege-berechnungen mit so hoher Auflösung und unter Verwen-dung von multidirektionalen Fließweg-Algorithmen für das gesamte Gebiet einer Großstadt durchgeführt.

Das EU-Projekt Sustainable Urban Development Planner for Climate Change Adaptation (SUDPLAN) bietet der Stadt Wuppertal ein Instrument, um den Oberflächenabfluss des Niederschlagswassers im Verlauf von Starkregenereignis-sen zu simulieren, wenn die Regenwasserkanalisation kein Wasser mehr aufnehmen kann. Für die Simulation solcher Fälle stehen zum einen die Daten früherer Regenaufzeich-nungen zur Verfügung. Zum anderen hat das Schwedische Meteorologische und Hydrologische Institut (SMHI) für

das SUDPLAN-Projekt einen Internetdienst entwickelt, mit dem diese Daten unter Berücksichtigung des Klimawandels in die Zukunft projiziert wer-den können.

Die eigentliche Simu-lationsberechnung erfolgt durch Kopp-lung der zwei Modelle GeoCPM (hydrodyna-misches Modell für den Oberflächenabfluss) und DYNA (hydro-dynamische Kanal-netzberechnung) des Firmenkonsortiums Tandler.com GmbH / Dr. Pecher AG. Das digitale Geländemo-dell kann mit dem SUDPLAN-Werkzeug

innerhalb gewisser Grenzen manipuliert werden, um den Effekt lokaler Baumaßnahmen zum Überflutungsschutz zu simulieren. Die SUDPLAN-Software eignet sich sehr gut, um mit solchen Vorsorgemaßnahmen virtuell zu experi-mentieren, um am Ende die kosteneffizienteste wirksame Maßnahme zu ermitteln. Die Software kann zum Beispiel berechnen, wie sich der Regenabfluss ändert, wenn eine abflussrelevante Mauer erhöht wird.

Unsicherheiten und Übertragbarkeit der Methode

Der Klimawandel birgt hinsichtlich des Risikos von Starkregenereignissen viele Unsicherheiten, die aber nicht dazu führen dürfen, keine Anpassungsmaßnahmen zu ergreifen. Diese Unsicherheiten können durch die Nutzung ver-schiedener Klimamodelle und Szenarien für Treibhausgasemmissionen transparent gemacht werden. Darüber hin-aus muss akzeptiert werden, dass derartige Simulationen immer auch zu Fehleinschätzungen führen können.

Die Methode ist nur bedingt auf andere Städte übertragbar, weil man hierfür Laserdaten benötigt, die im außer-europäischen Ausland meist nicht zur Verfügung stehen. Aufgrund der besonderen Topographie Wuppertals reich-ten die global verfügbaren GIS- und Fernerkundungsdaten nicht aus.

Visualisierung der Simulationsergebnisse

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Nach extremen Naturereignissen wird immer wieder disku-tiert, ob die betroffene Bevölkerung ausreichend auf Extrem-ereignisse vorbereitet war und wie sie in Zukunft besser vorsorgen könnte. In solchen Zusammenhängen werden meist auch Verbesserungen im Katastrophenschutz, zum Bespiel die Erhöhung von Deichen, erörtert. Auf den ersten Blick scheint es so, dass die Betroffenen, aber auch Politik, Katastrophenmanagement und Unternehmen, aus Extremereignissen lernen würden.

Diese Sichtweise muss aber relativiert werden, wie die Er-gebnisse des interdisziplinären Buchprojekts „Learning and Calamities“ zeigen. Tatsächliche Lerneffekte und langfristige Lernprozesse, die mehr als zwei Generationen umfassen, sind nur in wenigen Kontexten zu beobachten. Wie lassen sich also aus extremen Ereignissen Lehren ziehen, wie kön-nen diese Lehren umgesetzt werden, und wie das erwor-bene Wissen in das kollektive Gedächtnis der Gesellschaft Eingang finden?

Im Rahmen des Projekts untersuchte ein interdisziplinär zusammengestelltes Team aus Sozial-, Geistes- und Natur-wissenschaftlern Lernprozesse nach extremen Ereignissen anhand unterschiedlicher empirischer Beispiele wie etwa Erdbeben, Tsunamis, Überschwemmungen sowie Reaktor- und Chemieunfälle. Dies sind die ersten zentralen Erkennt-nisse:

1. Lernen im Kontext extremer Naturereignisse stellt einen hochkomplexen Vorgang dar, der auf verschiedenen Ebenen (Institutionen/Organisationen, Individuen/Gruppen, Gesellschaft) stattfindet und entsprechend differenziert analysiert werden sollte.

2. Unser Grundverständnis für Lernprozesse sollte hier von dem Bewusstsein geprägt sein, dass es in der Vergan-genheit bereits vielfach extreme Naturereignisse gab, aus deren Analyse und Bewältigung wir heute noch lernen können.

3. Es macht für das Lernen einen großen Unterschied, ob sich die Lernprozesse eher auf die Prävention, die akute Gefahrenabwehr oder die Zeit nach der ersten Bewälti-gung beziehen.

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Session IV: Was können wir aus Katastrophen lernen?

Convener: Hans-Joachim Koppert (Deutscher Wetterdienst), Birgit Velte (Deutsches Rotes Kreuz)

Viele große Ereignisse wie die Sturmflut in Hamburg vor 50 Jahren, die Oderflut 1997 oder der Orkan Lothar 1999 führten zu neuen Erkenntnissen im deutschen Bevölkerungsschutz und zu wichtigen Veränderungen im Katastrophenmanage-ment. Aber wurden wirklich alle Lehren aus diesen Ereignissen auch in Maßnahmen umgesetzt? Gelang der Transfer wissen-schaftlicher Erkenntnisse in die Praxis? Wie wurde nach den großen Hochwasserereignissen oder Stürmen Unsicherheit kommuniziert? Reichen historische Lernerfahrungen aus, um diesen Herausforderungen angemessen zu begegnen? Wie lern- und reformfähig muss der deutsche Bevölkerungsschutz der Zukunft sein?

Aus Schaden wird man klug – oder nicht? „Learning and Calamities“

> Marén Schorch (Universität Bielefeld)

Bei der Deutung oder Bewertung von extremen Naturereignissen wird oft auf frühere Begebenheiten Bezug genommen, so wie etwa nach dem Reaktorunfall in Fukushima 2011 direkt Vergleiche mit Tschernobyl gezogen wurden. Ohne solche Referenzrahmen fiele es vielen Menschen schwer, die Dimension eines Ereignisses richtig einzuschätzen.

Die Sturmflut in Hamburg 1962

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4. Motive für Lernprozesse sind ebenfalls recht heterogen und oftmals primär ökonomischer oder politischer Na-tur. Es ist dementsprechend wichtig zu berücksichtigen, welche unterschiedlichen Erklärungs- und Deutungs-muster für ein extremes Ereignis die Lehrenden und Lernenden zugrunde legen.

5. Bezüglich der zeitlichen Dimension ist zu analysieren, inwiefern eher kurz- oder langfristig gelernt wird.

Das Projekt zeigt deutlich, dass gute wissenschaftliche Analysen in verschiedenen nationalen und internationalen

Kontexten notwendig sind, um das Lernen nach extremen Naturereignissen angemessen zu erfassen und zu bewer-ten. Wenn man versteht, wie Individuen und Gruppen, aber auch Organisationen und Institutionen Katastrophen wahr-nehmen und interpretieren, ist es möglich, diese Erkennt-nisse wieder in die Praxis zurückzuführen und Lernprozesse zu optimieren. Bislang hat sich gezeigt, dass Lernprozesse eher kurzfristig angelegt sind und damit die Katastrophen-vorsorge noch ein großes Potenzial erschließen kann.

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Lernen ist nicht alles

Aus dem Elbehochwasser von 2002 wurden weitreichende Lehren gezogen, zum Beispiel entstand als Konsequenz die Hochwasserschutz-Richtlinie der Europäischen Union. Diese wird auch in Regionen umgesetzt, die damals nicht von der Flut betroffen waren und trotzdem von den Erfahrungen heute profitieren.

Aber es lässt sich aus vergangenen Schäden nicht alles lernen, was notwendig ist. Systematische Risikoanalysen, die Szenarien erfassen, die über das bereits Geschehene hinausgehen, sind ein elementarer Grundstein des Risiko-managements.

Lernen und Vergessen im Hochwassermanagement am Beispiel der weitergehenden Hochwasservorsorge

> Klaus Wagner (Technische Universität München)

Beschäftigt man sich mit Lernen, dann ist es auch wichtig, über das Vergessen nachzudenken. Je länger ein Ereignis zurückliegt, desto weniger erinnern sich die Menschen daran und nutzen die Erfahrungen für ihre Vorsorge. Das BMBF-Forschungsprojekt „Alpine Naturgefahren im Klimawandel“ an der Technischen Universität München untersucht daher, wie Lernen im Naturgefahrenmanagement funktioniert und nutzt dafür eine historische Perspektive.

Generell geht man davon aus, dass durch die Bewertung vergangener Extremereignisse neue Deutungsmuster entstehen, die im politischen Diskurs mehr Gewicht bekom-men und schließlich in Form neuer Gesetze institutionalisiert werden. Durch deren Implementierung wird dann in der Praxis der Lerneffekt realisiert. Aber funktioniert dies in der Praxis auch so?

Ein Beispiel für Vergessen und Verlernen in der Hoch-wasservorsorge ist die zögerliche Einrichtung von Über-schwemmungsgebieten in Bayern. Die Idee, Überschwem-mungsgebiete als Hochwasserschutz auszuweisen, stammt wahrscheinlich von Adrian Riedl aus dem Jahr 1790. Das Wassergesetz von 1852 legte hierzu eine Regelung im Einzel-

fall fest; 1907 wurde die Errichtung von Überschwemmungs-gebieten dann verpflichtend, was das Wasserhaushaltsgesetz von 1957 bestätigte und 1996 und 2002 spezifizierte. Trotz dieser Vorgaben wird die Festsetzung von Überschwem-mungsgebieten in Bayern oft nicht umgesetzt, unter anderem weil die zuständigen Behörden Konflikte vermeiden wollen und dem technischen Hochwasserschutz Vorrang geben.

Ein Beispiel für tatsächliches Vergessen ist eine historische Veröffentlichung der Obersten Wasserbehörde Donau, die Karten über die Ausdehnung von Hochwasser für Ereig-nisse aus den Jahren 1882, 1910, 1924 und 1926 enthält. Diese Informationen wurden später nie als Referenz für das Festsetzen von Überschwemmungsgebieten verwendet.

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Auch der meteorologische Hochwasserwarnungsdienst geriet für lange Zeit in Vergessenheit. Er wurde als Folge eines Hochwassers 1909 ins Leben gerufen und bis zu acht Mal im Jahr als Teil der täglichen Wettervorhersage genutzt. 1933/1934 fiel er allerdings der Eingliederung der bayeri-schen Landeswetterwarte in den Reichswetterdienst zum Opfer. Erst im Zuge der Gesetzesnovelle zum Deutschen Wetterdienst tauchte er 1998 als offizielle Aufgabe des DWD wieder auf.

Diese Beispiele zeigen, dass es nicht nur notwendig ist, ein Verständnis für Prozesse des Lernens zu entwickeln, sondern auch für das Verlernen und Vergessen. Wenn Betroffene oder Verantwortliche Vorsorgemaßnahmen vergessen, kann dies zum Beispiel daran liegen, dass sich nach längeren Zeiträumen ohne ein großes Ereignis die Aufmerksamkeit sowie Budgets in andere Felder verlagern. Das Vergessen kann aber auch bewusst stattfinden, wenn Verantwortliche rechtliche Regelungen nicht umsetzen wollen. Schließlich besteht auch immer die Gefahr des

Vergessens, wenn Umorganisationen oder Budgetkürzun-gen in den verantwortlichen Institutionen die Aufgabe des Hochwasserschutzes zu einer weniger prioritären Aufgabe herabstufen.

Methoden wider das Vergessen?

Die Erinnerung muss kontinuierlich wiederbelebt werden, beispielsweise durch das in Archiven gesicherte kulturel-le Gedächtnis. Nicht nur für die kurzfristige Evaluierung eines Ereignisses, sondern auch längerfristig macht es daher Sinn, extreme Ereignisse und den Umgang mit ihnen umfassend zu dokumentieren.

Ein historischer Rückblick zeigt, dass sich mit der Zeit die Konzepte des Hochwasserschutzes ändern. Glaubte man lange Zeit etwa, mit technischen Maßnahmen den Fluss kontrollieren zu können, herrscht heute wieder die Einsicht vor, dass der Fluss Raum benötigt.

Das Warnsystem des Deutschen Wetterdienstes: gestern, heute und morgen

> Thomas Kratzsch (Deutscher Wetterdienst)

Das Warnsystem des Deutschen Wetterdienstes hat sich in den vergangenen zwanzig Jahren immer wieder verändert. So wie sich Modellvorhersagen, Beobachtungssysteme und die Vorhersagbarkeit von Wettersystemen weiterentwi-ckelten, konnte auch die Warnung verbessert werden. Zudem hängt die Qualität der Warnungen sehr stark von der räumlichen Detailliertheit der Beobachtungen und Vorhersagen ab, also von den genutzten Fernerkundungsdaten und den Nowcasting-Techniken.

In den 1990er Jahren erstellten in Deutschland sieben Re-gionalzentralen des Deutschen Wetterdienstes die Warnun-gen für ihr regionales Zuständigkeitsgebiet und versende-ten diese Meldungen per Fax. Ab 1991 beruhte die globale Vorhersage auf dem Spektralmodell GM mit der Auflösung

T106, was einer Maschenweite von rund 190 Kilometern entsprach. 1992 führte das Europäische Zentrum für Mit-telfristige Wettervorhersagen ein Ensemblesystem ein, um bessere Aussagen über Sicherheiten und Unsicherheiten von Vorhersagen treffen zu können.

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Im Lauf der Jahre erhöhte sich die horizontale Auflösung der globalen Modelle kontinuierlich, zum Beispiel auf etwa 16 Kilometer im Jahr 2011. Dies ermöglichte es dem Deutschen Wetterdienst, wesentlich genauere Warnungen zu veröffentlichen:

Kurz vor dem Orkan Lothar gab es mehrere meteorologi-sche Entwicklungen, die auf einen starken Sturm hinwiesen und die die Regionalzentralen des Deutschen Wetterdienstes auch als Warnungen weitergaben. Die genaue Zugbahn des Sturms war allerdings sehr unsicher. Beim Orkantief Kyrill im Jahr 2007 konnte der Deutsche Wetterdienst bereits etwa eine Woche vorher – also deutlich früher als beim Orkan Lothar – vor einer möglichen Unwetterlage warnen. Fernerkundungsdaten spielten hierbei keine wesentliche Rolle, stattdessen basierten die Warnungen auf Modellen und Ensembles.

Beim Elbehochwasser 2002 war es der Modellvorhersage aufgrund der geringen horizontalen und vertikalen Auflösung nicht möglich, frühzeitig die warnrelevante Intensität des Niederschlagsereignisses richtig auszugeben. Die in diesen Warnungen aufgeführten Angaben zu den erwarteten Niederschlagsmengen bezogen sich nur auf die nächsten 12 Stunden. Heute werden Dauerregenwarnungen mit Kriterien für bis zu 48 Stunden Dauer herausgegeben.

Um regional noch spezifischer warnen zu können, führte der Deutsche Wetterdienst 2003 die Landkreiswarnungen ein, welche spezifische Angaben für Höhenlagen, wie etwa in der Eifel oder im Sauerland, in 200-Meter-Schritten un-terscheidet. Sie werden im Internet visualisiert und per Fax, SMS oder E-Mail weitergeleitet. Mit diesem Warnsystem verfügt die Öffentlichkeit über dieselben Informationen wie der Katastrophenschutz.

Seit einigen Jahren unterscheidet der DWD bei seinen War-nungen auch etwa zwischen Küste und Binnenland. Der elektronische Warn-Newsletter hat etwa 50.000 Abonnen-ten, wodurch die Warnungen heute sehr schnell verbreitet werden können.

Bis 2015 sollen die Warnungen des DWD zeitlich und räumlich noch genauer werden, unter anderem durch die verstärkte Nutzung von Fernerkundungsdaten. Auch soll es konkrete Warnungen für bestimmte Regionen wie etwas Flusseinzugsgebiete geben. Zudem könnten in Zukunft etwa Smartphone Apps dem Nutzer Warninformationen für seinen momentanen Aufenthalts- oder Zuständigkeitsort bereitstellen und Wahrscheinlichkeitsvorhersagen könnten mehr Informationen über Sicherheit und Unsicherheit der Vorhersage von extremen Wetterereignissen vermitteln.

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A synthesis of key findings of the CRUE funding initative „Flood resilient communities“

> Annegret Thieken (Universität Potsdam)

Eines der zentralen Ziele der Katastrophenvorsorge ist es, das Risikobewusstsein der Bevölkerung zu stärken und deren Resilienz gegenüber Naturgefahren zu erhöhen. Diverse Hochwasserereignisse haben in der jüngsten Vergan-genheit gezeigt, dass sowohl Risikobewusstsein als auch Resilienz weiter optimiert werden müssen. Hier setzt die Initiative „Flood resilient communities“ des ERA-Net CRUE-Netzwerks an und zeigt Möglichkeiten auf, wie Anpassung und Lernen die Resilienz hinsichtlich der Gefahren durch Hochwasser durch partizipative Ansätze erhöhen können.

Von 2009 bis 2011 wurden im Rahmen der 2. ERA-Net CRUE Förderinitiative (siehe www.crue-eranet.net) sieben Forschungsprojekte mit 35 Fallstudien in diversen euro-päischen Ländern sowie ein wissenschaftliches Koordi-

nationsprojekt gefördert. Diese untersuchten komplexe Hochwassersituationen, von Flusshochwasserereignissen und Überschwemmungen durch Starkregen bis hin zu Küstenhochwasserereignissen. Weil Risikobewusstsein und

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Resilienz in erster Linie die verantwortlichen Behörden und die hochwassergefährdete Bevölkerung betreffen, wählten die Projekte einen partizipativen Ansatz, der gleicherma-ßen die Bevölkerung und die involvierten Behörden im Visier hatte.

Die meisten Projekte beteiligten die Öffentlichkeit eher passiv im Rahmen von Befragungen, um herauszufinden, wie die Bevölkerung Risiken und Resilienz wahrnimmt. Zwei Projekte wählten hingegen aktivere Methoden wie Online-Chats, Exkursionen, Weltcafés und Diskussionsver-anstaltungen. Die beteiligten Behörden waren wesentlich stärker in die Untersuchungen involviert. Sie konnten zum Beispiel Wissenschaftler, die in dem Projekt arbeiteten, in ihrer Behörde aufnehmen oder im Tandem mit Wissen-schaftlern in den Fallstudien spezielle Methoden erlernen.

Die Projekte zeigen Verbesserungsmöglichkeiten der Resilienz gegenüber Hochwasser in vier Bereichen auf: Risikokommunikation, Risikokartierung und -modellierung, Notfallmanagement und Partizipation. Die Prasixtauglich-keit der Vorschläge wurde durch die Anwendung in den Fallstudien gewährleistet.

Das Projekt DIANE-CM beinhaltete zum Beispiel eine kooperative Modellierung. In einer Workshop-Serie stellten Wissenschaftler ihre Modelle vor. Praktiker konnten ihr Feedback dazu geben und äußerten etwa den Wunsch, ein bestimmtes Szenario im Modell zu berechnen, weil dies für die praktische Arbeit besonders relevant sei. Beim Projekt RISK MAP wurde untersucht, wie verschiedene Akteure Risikokarten wahrnehmen und wie sie zum Beispiel die Verbindung zwischen Legende und Karteninhalt verstehen.

In den sieben Projekten wurde die Beteiligung der ver-schiedenen Akteure sehr gut bewertet. Die intensivere Partizipation führte nicht nur zu einem intensiveren Dialog, sondern die Zielgruppe konnte die Maßnahmen zum Hochwasserschutz auch besser akzeptieren. Es zeigte sich aber auch, dass die angewandten Methoden an die Zielgruppe und den jeweiligen Kontext angepasst werden

und die Rollen der beteiligten Akteure klar definiert sein müssen. Beispielsweise kannten Teile der Bevölkerung die in Warnungen verwendeten Fachbegriffe nicht.

Auch für die Politik liefern die Projekte wichtige Erkennt-nisse: Sie sollte auch ohne eine projektbasierte Unterstüt-zung sicherstellen, dass sie mit den betroffenen Akteuren kontinuierlich kommuniziert und sie in das Hochwasser-management einbindet. Umfragen können ein klares Bild der Ansichten der Bevölkerung geben und sind damit eine wichtige Grundlage für politische Entscheidungen.

Kontinuierliches Lernen – nicht nur in klassischen Bildungskontexten

Lernen findet an verschiedenen Orten statt – nicht nur in klassischen Bildungseinrichtungen, sondern auch durch die Beteiligung an Planungsprozessen und die Einbeziehung in Forschungsprojekte. Daher sollte der Bildungsbe-griff im Risikomanagement breit gefasst werden und etwa das Lernen im Alltag und das Lernen aus Erfahrungen mit einschließen.

Wichtig ist, dass Lernen ein kontinuierlicher Prozess ist, der nicht zum Erliegen kommen darf. Um dies zu verhin-dern, müssen Lernprozesse institutionalisiert werden.

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Podiumsdiskussion: Von der wissenschaftlichen Erkenntnis zum politischen Handeln

> Hans von Storch (Leiter des Instituts für Küstenforschung, Helmholtz-Zentrum Geesthacht – Zentrum für Material- und Küstenforschung)

> Reinhard Klingen (Abteilungsleiter Wasserstraßen und Schifffahrt, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung)

> Gerold Reichenbach, MdB (Vorsitzender Deutsches Komitee Katastrophenvorsorge)> Moderation: Joachim Mahrholdt (ZDF Umweltredaktion)

Joachim Mahrholdt: Was verstehen wir eigentlich unter ‚Katastrophe’?

Gerold Reichenbach: Wir dürfen Katastrophen nicht mit Großschadensereignissen gleichsetzen. In Deutschland haben wir seit dem Zweiten Weltkrieg keine wirkliche Katastrophe erlebt. Selbst die große Elbeflut 2002 betraf nur zwei Prozent der Bevölkerung und hat unser Land nicht nachhaltig negativ beeinflusst. Der Hurrikan Sandy war hingegen für die betroffenen US-Bundesstaaten eine Katastrophe, weil er die Funktionsfähigkeit des gesamten öffentlichen Lebens einschränkte.

Reinhard Klingen: Weder auf deutschen Wasserstraßen noch in der Schifffahrt gab es wirkliche Katastrophen. Wir leben aber in einer Gesellschaft, in der viele Sachverhalte schnell übertrieben dargestellt werden – aus einer Mei-nungsverschiedenheit zwischen zwei Parteien wird ein Streit, Fehler werden zu Skandalen und aus größeren Scha-densereignissen werden Katastrophen. Diese Begriffe verlieren dann irgendwann ihre eigentliche Wertigkeit. Ich rate deshalb, sorgfältiger mit solchen Begriffen umzugehen.

Hans von Storch: Die Sturmflut 1962 war sicherlich eine Katastrophe, auch wenn sie die formellen Kriterien hierfür nicht erfüllte. Die Lehre aus dieser Katastrophe war, dass man sich auf konkrete Ereignisse nicht vorbereiten, sondern nur allgemein vorsorgen kann, um in der Lage zu sein, etwas zu tun, wenn es darauf ankommt.

Joachim Mahrholdt: Die Wissenschaft hat noch nie so viel über Katastrophen gewusst wie heute, noch nie berichteten die Medien so intensiv….

Hans von Storch: Es ist daher dringend notwendig, über die Rolle der Wissenschaft in der Gesellschaft zu diskutieren. Wissenschaftler versuchen, der Gesellschaft komplexe Phänomene zu erklären. Wir verkünden dabei aber immer nur die derzeit besten Erklärungen, nicht die Wahrheit! Wahrheit hat mit Wissenschaft nichts zu tun. Es passiert immer wieder, dass man Erkenntnisse verwerfen muss, weil sie durch neuere Erkenntnisse widerlegt werden. Das muss die Gesellschaft akzeptieren!

In vielen Fällen ist das Wissen unsicher und es wird darüber gestritten, welche Aussage richtig ist. In solchen Debatten spielen auch gesellschaftliche Werte eine Rolle, denn auf Basis des unsicheren Wissens muss die Politik oft unter Zeitdruck wichtige Entscheidungen treffen. Die Wissen-schaft kann sich also nicht darauf beschränken, gute Erklärungen zu finden, sondern sie muss sich auch fragen, wie nützlich ihre Erkenntnisse sind. Beispiele für derartige Situationen sind die Debatten über den Klimawandel und die Nutzung der Kernenergie sowie die Genetik. Es kann durchaus vorkommen, dass die Wissenschaft aufgrund der unsicheren Erkenntnislage falsche Ratschläge erteilt. Solche Fehler sind normal und alle Beteiligten müssen dies akzeptieren.

Joachim Mahrholdt: Immer wieder wird der Wissenschaft vorgeworfen, sie folge lediglich dem Zeitgeist. Wissen-schaftler seien eitel und gierig und verfolgten primär ihre eigenen Interessen.

Hans von Storch: Wissenschaft ist ein Gut, das die Gesell-schaft offen verwendet. Daher muss gesellschaftlich vereinbart werden, welche Rolle die Wissenschaft spielen soll. Letztendlich trifft immer die Politik die Entscheidungen; die Wissenschaft verweist lediglich auf die spezifischen Folgen unterschiedlicher Handlungsoptionen. Die Wissen-schaft darf also auf keinen Fall die Gesellschaft entmündigen, nur weil sie vermeintlich bessere Kenntnisse der Probleme hat.

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Gerold Reichenbach: Eine völlig neutrale Wissenschaft ist ein Mythos! Wissenschaft ist immer gewissen Abhängigkeiten unterworfen, insbesondere im Hinblick auf ihre Finanzierung.

Die Politik folgt bei ihren Entscheidungen ihrem maßgebli-chen Impuls, dem Willen der Wähler. Das heißt, hier steht keine objektive, sondern eine eindeutig subjektive Risiko-wahrnehmung im Vordergrund. In Fukushima ist beispiels-weise nichts passiert, was die Wissenschaft nicht schon theoretisch wusste. Die Politik war jedoch bereit, das bestehende Restrisiko hinzunehmen. Mit dem nuklearen Störfall in Fukushima wurde sich die Bevölkerung dieses Restrisikos bewusst und die Politik handelte entsprechend. Die entscheidende Frage für die Politik ist somit: Welche Risiken akzeptiert die Gesellschaft, welche Risiken akzeptiert sie nicht?

Joachim Mahrholdt: Die Formulierung des 2-Grad-Ziels in der Klimadebatte führte dazu, dass die Bild-Zeitung sinngemäß titelte “In 13 Jahren geht die Welt unter“.

Hans von Storch: Aus wissenschaftlicher Perspektive ist dieses Ziel kaum erreichbar. Es wurde jedoch aus Gründen politischer Opportunität als wissenschaft-lich zwingend dargestellt, weil es angeblich politisch sinnvoll sei, „statt komplexer Argumente eine einfache Zahl zu präsentieren“. Aber Wissenschaft darf nicht zur weltanschaulichen Hilfstruppe degradiert werden, das wird ihrer gesellschaftlichen Aufgabe nicht gerecht. Politik und Zivilgesellschaft sind gefragt, wenn es darum geht, aus wissenschaftlichen Erkenntnissen normative Erkenntnisse abzuleiten. Diese Aufgabe kann und soll die Wissenschaft nicht übernehmen.

Joachim Mahrholdt: Ist es für die Wissenschaft nicht frustrierend, wenn die Gesellschaft und die Politik ihre Erkenntnisse nicht so umsetzen, wie es notwendig wäre? Könnte eine höhere mediale Präsenz der Wissenschaft hier eine nützliche Strategie sein?

Gerold Reichenbach: Ich denke, die Wissenschaft muss mit ihren Argumenten noch stärker die Zivilgesellschaft ansprechen, wenn sie ihren Erkenntnissen mehr Gehör verschaffen will. Nur wenn die Bürger den Argumenten der Wissenschaft folgen, wird die Politik entsprechende Weichen stellen.

Joachim Mahrholdt: Die Bevölkerung soll sich der Risiken durch Naturgefahren stärker bewusst werden. Wie kann das funktionieren – bedarf es hierfür erst eines Großschadensereignisses?

Reinhard Klingen: Großschadensereignisse können in der Tat viel bewirken. Global gesehen war zum Beispiel die Havarie des Frachters Pallas Ende der 1990er Jahre kein besonderes Ereignis. Medial erhielt es aber in Deutschland viel Aufmerksamkeit, was schließlich dazu führte, dass Strukturen in den zuständigen Behörden verbessert wurden. Wir müssen die Verantwortlichkeiten zwischen Wissenschaft und Politik strikt trennen. Ich sehe zum Beispiel diese rote Linie klar überschritten, wenn die Wissenschaft ihre Erkenntnisse als alternativlose Wahrheit darstellt. Andererseits wäre es verwerflich, wenn Verwal-tungen wissenschaftliche Erkenntnisse nicht berücksichti-gen würden.

Hans von Storch: Wir sollten diese Diskussion nicht zu pessimistisch führen. Betrachtet man eine Ebene unterhalb des zitierten 2-Grad-Ziels, dann funktioniert die Schnittstelle Wissenschaft – Politik recht gut und wenig spektakulär. Oft sehen wir gerade im Kleinen Erfolge, zum Beispiel führen wir in Nordfriesland sehr intensive Diskussionen, wo aufgrund des Klimawandels der Meeresspiegel ansteigen und die Gefahr zu Sturmfluten zunehmen wird. Wir sollten also nicht immer nur die globalen Lösungen ins Visier nehmen, sondern vor Ort nach Lösungswegen suchen!

Gerold Reichenbach: Die Politik bewegt sich meist sehr langsam, auch wenn wissenschaftliche Erkenntnisse schon eindeutig auf die Notwendigkeit einer Weiterentwicklung bestehender Politiken hinweisen. Langfristig beobachte ich aber viele Verbesserungen. Ein Beispiel aus meiner Heimat Hessen: Lange Zeit wurde im Rhein-Main-Gebiet wenig für den Hochwasserschutz getan. Erst als eine Studie die Kosten eines möglichen Hochwassers aufzeigte, stellte die Politik Mittel für die Deichsanierung zur Verfügung. Ein klassisches Beispiel dafür, wie die Wissenschaft notwendige politische Entscheidungen anstoßen kann!

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Session V: IRDR – Integrated Research on Disaster Risk

Convener: Torsten Schlurmann (Universität Hannover), Gerd Tetzlaff (Universität Leipzig)

Im Jahr 2008 rief der International Council for Science (ICSU) das zehnjährige internationale Forschungsprogramm Integrated Research on Disaster Risk (IRDR) ins Leben. Es soll sich Katastrophen und deren Vorsorge widmen und konkret Gefahren, Verwundbarkeiten und Risiken charakterisieren. Zudem soll es ein Verständnis für Entscheidungen in kom-plexen und sich wandelnden Risikokontexten schaffen sowie Möglichkeiten entwickeln, um Risiken und Schäden durch wissensbasiertes Handeln zu reduzieren.

Die Unsicherheit von Wetterwarnungen: Wie groß ist sie, wie kann sie vermittelt und wie benutzt werden?

> Martin Göber (Deutscher Wetterdienst),               Thomas Kox (Freie Universität Berlin/Forschungsforum Öffentliche Sicherheit)

Wenn der Deutsche Wetterdienst ein bestimmtes Wetterereignis vorhersagt, so findet dies in sehr vielen Fällen nicht in der prognostizierten Stärke statt. Wie geht die Wetterwarnung mit solchen Unsicherheiten um? In der Regel ist diese Diskrepanz sowohl dem Herausgeber der Warnung sowie dem Nutzer bewusst. Dennoch bleibt viel Spielraum zur Interpretation und es ist notwendig, den Umgang mit Warnungen, die Angaben zu Wahrscheinlichkeiten beinhalten, genauer zu untersuchen.

S e s s i o n V

Wenn der Deutsche Wetterdienst im Sommer einen Tag im Voraus Niederschlag ankündigt, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass es regnet, bei 80 Prozent. Enthält die Voraussage aber eine Angabe der Niederschlagsmenge von zum Beispiel mehr als zehn Millimetern innerhalb von zwölf Stunden, sinkt die Wahrscheinlichkeit auf 40 Prozent. Für die Katastrophen-vorsorge sind besonders Vorhersagen von Extremereignis-sen relevant. Werden etwa für die nächste Stunde Orkan-böen vorausgesagt, dann trifft dies in nur fünf Prozent der Fälle zu. Allerdings kommt es in 98 Prozent der Fälle mindestens zu Windböen, in 80 Prozent zu Sturmböen.

Es stellt sich hier also die Frage, wann man vor einem Ereignis warnen soll, auch wenn es eventuell nicht stattfindet und sich die Warnung als Fehlalarm entpuppt. Sollte der DWD bei gegebenem Anlass grundsätzlich eine Warnung ausspre-

chen oder erst, wenn ein Ereignis zu 50, 70, 90 oder 100 Prozent eintreffen wird? Die Erwartungen des Katastro-phenmanagements können hier sehr unterschiedlich sein. Eine mögliche Position ist: „Theoretisch müsste ich bei einer einprozentigen Wahrscheinlichkeit reagieren. Sobald ich etwas weiß, muss ich auch handeln.“ Eine andere Position könnte lauten: „Ich möchte eine hundertprozentige Aussage bekommen und keine Wahrscheinlichkeit.“ Hier wird deutlich, wie wichtig es ist, dass sich die Praktiker des Katastrophenmanagements mit Unsicherheiten von Vorhersagen beschäftigen.

In der wissenschaftlichen Debatte hierüber argumentieren die Befürworter der Nennung von Wahrscheinlichkeiten in Wettervorhersagen, dass es für Nutzer von Wetterwarnun-gen grundsätzlich hilfreich sei, über Unsicherheiten

Die Kommunikation von Unsicherheiten ist entscheidend

Entscheidend dafür, ob und wie die Meteorologie Unsicherheiten kommuniziert, ist die Reaktion der betroffenen Menschen auf diese Warnung. Diese lässt sich durchaus beeinflussen, je nachdem wie die Unsicherheit vermittelt wird. Dabei sollten die Meteorologen nicht darlegen, wie sie die Wahrscheinlichkeit festlegen. Diese Hintergrund-information würde die Menschen nur verwirren.

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informiert zu sein. Damit erhöhe sich ihr Vertrauen in die Vorhersage und sie könnten auch bessere Entscheidungen in der akuten Situation treffen. Die Gegner dieser Position führen an, dass vielen Menschen nicht bewusst sei, auf welchen Referenzrahmen sich die Aussagen beziehen. Heißt zum Beispiel eine 30-prozentige Regenwahrschein-lichkeit, dass es auf einer Fläche von 30 Prozent der Region Niederschlag geben wird oder vielleicht, dass es ein Drittel des Tages regnen wird?

Um ein klareres Bild über die Nutzung und Interpretation von Wettermeldungen mit Wahrscheinlichkeitsangaben zu erhalten, führten der Deutsche Wetterdienst, die Freie Universität Berlin und das Forschungsforum Öffentliche Sicherheit eine Studie mit 161 Teilnehmerinnen und Teilnehmern von Feuerwehr, Polizei, Hilfsorganisationen und anderen Akteuren durch. Sie wollten mehr darüber erfahren, wie man das Wissen um Unsicherheiten von

Wetterwarnungen nutzerspezifisch verwenden muss, um bessere Entscheidungen für die Vorbereitung auf die Wettersituation zu treffen. Ein erstes Ergebnis der Studie ist zum Beispiel, dass 45 Prozent der Befragten mit vorberei-tenden Maßnahmen für ein Sturmereignis beginnen würden, wenn die Wahrscheinlichkeit des Sturms mit über 70 Prozent angegeben würde.

CEDIM Near-Real Time Forensic Disaster Analysis

> Michael Kunz (Karlsruher Institut für Technologie)

Effektiv aus vergangenen Katastrophen lernen lässt sich mit Hilfe moderner empirischer und analytischer Methoden, die aus unterschiedlichen Fachdisziplinen zusammengeführt werden. Diesen Ansatz verfolgt der Forschungsschwerpunkt Near-Real Time Forensic Disaster Analysis des Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology (CEDIM) und nimmt damit das IRDR-Konzept einer forensischen Katastrophenanalyse auf.

Ziel des Schwerpunkts ist es unter anderem, Risiko- und Schadenstreiber zu identifizieren, die ein Ereignis zur Kata-strophe machen. Hier ist Hurrikan Sandy ein interessanter Fall. Aus meteorologischer Sicht war das Ereignis nicht extrem. Welche Faktoren trugen somit dazu bei, dass die Schäden über 50 Milliarden US-Dollar betrugen?

Der Forschungsansatz widmet sich auch der Interaktion zwischen den Systemen Mensch – Technik – Gesellschaft und dem zeitlichen Verlauf einer Katastrophe. Dabei wird in unterschiedlichen Disziplinen und Kontexten vorhandenes und verteiltes Wissen zusammengeführt, und es werden Methoden entwickelt, um Schäden schnell abzuschätzen.

Das Ziel ist, Nahe-Echtzeit-Analysen/Aussagen über das Ereignis treffen zu können. Dies ist für das Katastrophen-management besonders interessant, weil es direkt nach einem Ereignis schnellstmöglich verlässliche Informationen über Ausmaß und Schäden benötigt, um die Katastrophen-hilfe entsprechend zu planen. Auch die von einem Ereig-nis betroffenen Menschen und die Medien haben in den ersten Tagen nach dem Ereignis einen besonders hohen Informationsbedarf.

Aber was bedeutet „forensisch“ in diesem Zusammenhang? In der Kriminalistik beschreibt Forensik die Rekonstruktion eines Tathergangs am Tatort. So geht es auch bei dem Forschungsansatz von CEDIM darum, ein Gesamtbild des Ereignisses zu erstellen, indem man die Ergebnisse unterschiedlicher Disziplinen zusammenstellt. Dies sind zum Beispiel seismologische oder meteorologische Infor-mationen, GIS-Daten, Informationen über Infrastrukturen, Versicherungen, sozio-ökonomische Daten sowie historische Schadensdaten.

Gearbeitet wird dabei in zwei Bereichen: Der eine Teil erforscht und verbessert geeignete Methoden für Nahe-Echtzeit-Analysen/Aussagen, während die Forensic Disaster Task Force konkrete Ereignisse untersucht. Eine zentrale Grundlage für beide Bereiche sind CEDIM-Datenbanken, die vergangene Katastrophen systematisch erfassen. Hierdurch lassen sich relevante Attribute bestimmen und aktuelle mit vergangenen Ereignissen vergleichen.

Bisher gab es für den Forschungsschwerpunkt sieben Testfälle und Pilotstudien, zuletzt Hurrikan Sandy. Dabei ergab die Schadensmodellierung von CEDIM, noch bevor

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der Hurrikan auf die US-Küste traf, eine Schadenshöhe der indirekten Schäden von 20 bis 30 Milliarden US-Dollar. Am folgenden Tag veröffentlichte CEDIM seinen ersten Situa-tionsbericht, am zehnten Tag einen Vergleich mit früheren Ereignissen. Das CEDIM Schadensmodell quantifizierte die Kosten für den Stromausfall sowie die indirekten Schäden in Folge des Hurrikans, spezifiziert für einzelne Industrie-zweige und Bundesstaaten.

Insgesamt waren die Aktivitäten der Task Force bislang erfolgreich. In Zukunft wird CEDIM seine Modelle weiter-entwickeln, die Interaktion mit den Endnutzern intensi-vieren und ein Netzwerk mit externen Experten aufbauen. Sozio-ökonomische Aspekte sollen in Zukunft noch stärker in die Arbeit einfließen.

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Schnittstellen nutzen

Die CEDIM Reports zu Hurrikan Sandy wurden nicht nur in den USA online abgerufen, sondern auch in anderen Ländern. Dies lässt darauf schließen, dass weltweit Bedarf für derartige Analysen besteht. Es gibt auch andere Pro-gramme, die teilweise noch schneller reagieren, zum Beispiel das Rapid Assessment Programme des DLR-Zentrums für Satellitengestützte Kriseninformation. Schnittstellen zu solchen Programmen wären für CEDIM sehr hilfreich.

Wie effektiv sind Bauvorsorgemaßnahmen zur Risikominderung in verschiedenen Hochwassersituationen?

> Heidi Kreibich (Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ)

Wie Gesellschaften mit Hochwasserrisiken umgehen, hat sich in den vergangenen Jahrzehnten gewandelt: Setzte man frü-her ausschließlich auf technische Schutzmaßnahmen wie etwa Deiche, umfasst das moderne integrierte Hochwasserrisiko-management auch die Vorsorge. Das Deutsche Wasserhaushaltsgesetz schreibt verpflichtend vor, dass jeder, der von Hoch-wasser bedroht ist, Maßnahmen ergreift, um Flutrisiken einzudämmen und den Hochwasserschaden zu reduzieren. Aber wie effektiv sind solche Maßnahmen zur Eigenvorsorge, zum Beispiel bauliche Maßnahmen gegen Hochwasser?

Das Deutsche GeoForschungsZentrum GFZ hat verschie-dene Hochwassersituationen (hohe Grundwasserspiegel, Flusshochwasser, Sturzfluten und Hochwasser aufgrund von Deichbrüchen) dahingehend untersucht, wie Vorsor-gemaßnahmen hier gewirkt haben. Mithilfe von Telefon-interviews wurden zu drei Flutereignissen (2002, 2005 und 2006) über 2.000 private Haushalte danach befragt, welche Charakteristika ihr Gebäude aufweist, welche Vorsorge-maßnahmen getroffen wurden und welche Auswirkungen das Hochwasser hatte, etwa eine Überflutung des Kellers oder Stromausfall. Damit entstand eine umfangreiche und einzigartige Datengrundlage.

Erste Ergebnisse der Untersuchungen zeigen, dass die vier Hochwassertypen sehr unterschiedliche Wirkungen und Schäden hervorriefen. Die höchsten Schäden waren bei Deichbrüchen, die geringsten Schäden bei hohen Grund-wasserspiegeln zu verzeichnen. Hier spielte der typische Deicheffekt eine maßgebliche Rolle. Die Menschen fühlen sich durch Deiche meist gut geschützt und sind daher nur wenig motiviert, weitere Eigenvorsorge zu betreiben.

Die Betroffenen sorgten etwa durch eine angepasste Nut-zung ihres Hauses oder eine angepasste Inneneinrichtung gegen Hochwasser vor. Zu letztem zählt etwa, wenn statt

Hurrikan Sandy

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wasserempfindlichem Parkett Fliesen verlegt wurden. Auch Heizungsanlagen aus dem Keller in höhere Geschosse zu ver-legen, ist eine mögliche Maßnahme der Hochwasservorsorge.

Insgesamt wurden einzelne Maßnahmen nie von mehr als 40 Prozent der Befragten angewandt. Die einzige Ausnahme war hierbei der Versicherungsschutz bei Deichbrüchen. An-sonsten zeigte sich, dass die Menschen bei ihrer Vorsorge nicht zwischen den einzelnen Hochwasserarten differenzieren.

Die Schäden fielen bei allen Hochwassertypen deutlich geringer aus, wenn die Menschen die Nutzung ihrer Häuser sowie ihre Inneneinrichtung an das Hochwasserrisiko angepasst hatten. Wassersperren zeigten dagegen nur in bestimmten Fällen wie bei mittleren Wasserständen und langsam ansteigendem Flusshochwasser Wirkungen. Ein Fazit der Studie: Es ist am besten, verschiedene Vorsorge-maßnahmen parallel zu nutzen und bei der Planung schon damit zu rechnen, dass Wasser ins Haus eindringen kann.

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Das Risikobewusstsein zählt

Ob Menschen schon einmal ein Hochwasser erlebten und dadurch Schäden an ihrem Haus zu verzeichnen hatten, hat großen Einfluss auf die zukünftige Vorsorge. In diesen Fällen ist eine sehr viel höhere Sensibilität für Risiken und potenzielle Schäden vorhanden.

Es ist nur schwer vorstellbar, dass die Eigenvorsorge in Deutschland so weit geht, dass – abgesehen von unmittel-baren Flussanrainern, die regelmäßig von Hochwasser betroffen sind – die Mehrheit der Menschen so viel Vorsorge betreibt, dass sie etwa die Standfestigkeit ihres Hauses verbessert oder ihren Keller abdichtet. Hierfür scheint derzeit das Risikobewusstsein in Deutschland noch zu wenig ausgeprägt zu sein.

Umfassende Fallstudienanalyse als Schlüssel zur nutzerorientierten Warnungsoptimierung

> Tobias Heisterkamp (Deutsches Komitee Katastrophenvorsorge, Freie Universität Berlin)

Die thematischen und methodischen Schwerpunkte des IRDR-FORIN-Projekts greift ein deutsches Forschungsvorhaben auf, das Möglichkeiten identifiziert, wie sich die Effizienz von Wetterwarnungen für den Bevölkerungsschutz steigern lässt. Im Fokus stehen dabei Stürme im Großraum Berlin, wobei hier nicht nur das Naturereignis selbst, sondern auch die Bevölkerungsstruktur, die Arbeitsweise der zuständigen Behörden sowie die Warnungen vor dem Ereignis untersucht werden, um im Sinne der Forensik ein möglichst umfassendes Bild der Situationen zu erstellen.

Das Projekt zeigt, dass Risikoanalysen die Hotspots etwa als Gebiete identifizieren können, in denen besonders hohe Schäden durch Stürme zu erwarten sind. Damit steht fest, wo Ansätze für die Warnungsverbesserung zu finden sind. Aber was muss konkret optimiert werden und was wird dafür benötigt? Kann eine verbesserte Warnung die

Ursachen des Risikos beeinflussen? Antworten auf diese Fragen liefern Fallstudien, die eine höhere Detaillierung der Aussagen ermöglichen. Eine Vielzahl von Fallstudien kann Details nicht nur für ein geografisch größeres Umfeld, sondern auch zu diversen mit dem Ereignis verbundenen Themen liefern. Auch die Vielschichtigkeit der Warnstruk-turen und Zusammenhänge zwischen einzelnen Akteuren können so aufgezeigt werden.

Um eine umfassende Analyse zu erhalten, fehlt dann noch eine Untersuchung der Strukturen als intra- und interins-titutionellen Rahmen sowie der Abläufe und Wechselwir-kungen innerhalb dieses Systems. Konkret wird dabei zum Beispiel der Verlauf einer Warnung untersucht, die das Regi-onalzentrum des Deutschen Wetterdienstes in Potsdam an verschiedene Akteure ausgibt.

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WorkshopsSimulation and Optimization of Complex Systems – Computational Supply Chain Networks

Convener: Stefan Pickl (Universität der Bundeswehr München)

Stromausfälle wie nach dem Schneechaos im Münsterland 2005 sowie der Ausfall im europäischen Verbundnetz im November 2006, von dem große Teile Europas mit Auswirkungen bis nach Marokko betroffen waren, zeigen die hoch-gradige Interdependenz und die damit verbundene Vulnerabilität komplexer Infrastrukturnetzwerke.

Vulnerabilität komplexer InfrastrukturnetzwerkeÖffentliche Infrastrukturen wie länderübergreifende Energiesysteme, Einrichtungen der europaweiten Gasver-sorgung und der überregionalen Trinkwasserversorgung sind in gleichem Maße von dieser Thematik betroffen wie global vernetzte IT-Strukturen sowie großräumige Verkehrs-systeme. Deren herausragende Bedeutung für die grundle-gende Versorgung der Bevölkerung erfordert es, innovative Methoden zu entwickeln, die ein tiefgreifendes Verständnis dieser Systeme ermöglichen.

Die mathematische Modellierung und Optimierung sowie die simulationsbasierte Analyse komplexer Netzwerke

Entscheidend für einen solch umfassenden Forschungsan-satz ist dessen Interdisziplinarität. Nur so kann eine ange-messene Analyse der verschiedenen Dimensionen, Themen und Details sichergestellt werden. Konkret bedeutet ein solcher Ansatz aber auch, dass viele unterschiedliche Blickwinkel berücksichtigt werden müssen. So werden die

Effekte von Warnungen zum Beispiel nicht FÜR die Feuerweh-ren, sondern GEMEINSAM mit den Feuerwehren erörtert. Erst die transdisziplinäre Zusammenarbeit auch über die Grenzen der wissenschaftlichen Disziplinen hinweg sichert die Qualität der wissenschaftlichen Aussagen und somit der gesuchten praxisrelevanten Ergebnisse.

W o r k s h o p s

Transdisziplinarität statt Versäulung

Im Katastrophenmanagement gibt es viele Fragen, die wissenschaftlich erarbeitet werden müssen. Es ist zum einen die Aufgabe des staatlichen und des zivilgesellschaftlichen Katastrophenmanagements, diese Bedürfnis-se an die Wissenschaft heranzutragen. Gleichzeitig muss die Wissenschaft hierfür ein offenes Ohr haben und diese Bedürfnisse in ihre Forschungsarbeit aufnehmen. Eine wissenschaftlich basierte Verbesserung der Kata-strophenvorsorge ist keine Einbahnstraße, sondern basiert auf einer konstruktiven Kommunikation in beide Richtungen.

Gerade für die Forschung ist hier Transdisziplinarität wichtig, wofür auch IRDR einen wichtigen Rahmen bietet. In der Wissenschaft selbst agieren Disziplinen bislang noch zu versäult; die Forschungsfinanzierung funktioniert ebenfalls nach diesem Säulensystem. Dies muss sich jedoch grundlegend ändern, damit die Wissenschaft um-fassende Antworten auf die Komplexität von Risiken geben kann.

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bilden hierbei wichtige Bausteine für ein integratives Prozess- und Risikomanagement in hochgradig vernetzten Systemen. Sie ermöglichen eine tiefgehende Analyse von stark interdependenten Teilsystemen, deren intrinsische Interaktionen in vielen Fällen nur durch unvollständig ana-lysierte Prozesse beschrieben werden.

IT-basierte EntscheidungsunterstützungInsbesondere leisten moderne Methoden des Operations Research und der IT-basierten Entscheidungsunterstützung einen wesentlichen Beitrag zur Planung, zum Betrieb und zur Erhaltung großräumiger Infrastrukturen, die häufig einem hohen Kapitalbedarf unterliegen. Gleichzeitig gewährleisten sie die Sicherheit dieser komplexen Netzwerke und tragen dazu bei, die Funktionsfähigkeit des Gesamtsystems bei loka-len Stör- und Schadensereignissen aufrechtzuerhalten.

Integratives RisikomanagementEin integratives Risikomanagement sowie spezielle al-gorithmische Analyseverfahren gestatten die frühzeitige Identifizierung möglicher Gefahren durch kaskadierende Effekte und ermöglichen einen effizienten Schutz kritischer Infrastrukturen.

Die Entwicklung neuartiger mathematischer Methoden und innovativer IT-gestützter Ansätze ist somit von her-ausragender Bedeutung für die zukünftige Entwicklung großräumiger Infrastruktursysteme und kann damit einen entscheidenden Beitrag für die nachhaltige und sichere Versorgung der Bevölkerung leisten.

Risiko lernen und lehren – Curricula der Schulen

Convener: Karl-Heinz Otto (Ruhr-Universität Bochum), Leif Mönter (Universität Trier)

Welche Unterrichtsfächer berücksichtigen das Thema „Risiken“ und in welchem Umfang? Gibt es Defizite im Hinblick auf die vermittelten Inhalte? Hinweise hierzu liefern die quantitativen und qualitativen Ergebnisse einer Erhebung zur Berücksichtigung des Themas „Risiko“ im Lehrplan an bayerischen Gymnasien, die Christoph Koch von der Universität Bayreuth präsentierte. Die Untersuchung zeigt aus konstruktivistischer Perspektive eindeutige Defizite auf.

Es existieren durchaus spezielle Unterrichtsmaterialien, wie zum Beispiel ein Lernkoffer zu den „Risiken aus dem globalen Klimawandel“, die sich gut nutzen lassen, um grundlegende Kenntnisse über Risiken zu vermitteln und die Schülerinnen und Schüler für die Relevanz des Themas zu sensibilisieren. Zu dieser Erkenntnis gelangte Christina Fiene von der Pädago- gischen Hochschule Heidelberg in ihrer vorgestellten Studie „Naturgefahren im Geographieunterricht – eine empirische Studie zur Risikowahrnehmung in der Sekundarstufe I“.

Es ist unbestritten, dass Bildung eine zentrale Bedeutung für die Katastrophenvorsorge hat. Gerade das Fach Geographie ist im schulischen Kontext prädestiniert, sich mit den Themen Risiko und Katastrophenvorsorge auseinanderzusetzen, da es sowohl natur- als auch gesellschaftswissenschaftliche Erkenntniswege verfolgt und integrative Betrachtungen ermöglicht.

Es ist aber notwendig, zukünftig das Thema in der Schule und insbesondere im Geographieunterricht anders als heute zu berücksichtigen.

Die Gründe hierfür sind:a) Der Fokus liegt bisher zu sehr auf dem plötzlichen, uner-

warteten, fast schicksalhaften Ereignis, dem der Mensch ausgeliefert ist. Katastrophenvorsorge und -nachsorge, Resilienz und Vulnerabilität spielen eine zu geringe Rolle.

b) Sofern es um Katastrophenvorsorge geht, werden technische Möglichkeiten zum Teil überhöht und soziokulturelle und sozioökonomische Hintergründe häufig vernachlässigt.

c) Das Themenfeld erfordert eine integrative, systemische Betrachtung, die angesichts institutioneller Strukturen schwer zu implementieren ist.

Es bedarf daher neuer Konzepte, die bereits auf institutio-neller Ebene ansetzen; etwa im Rahmen der Lehrplanent-wicklung, in Form einer übergeordneten Empfehlung der Kultusministerkonferenz oder als Orientierungsrahmen. Zugleich sollten sich die Bemühungen um eine stärkere und zeitgemäßere Berücksichtigung der Thematik auf alle Ebenen bis zur Unterrichtspraxis beziehen.

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P r e i s v e r l e i h u n g

PreisverleihungEin Preis für den wissenschaftlichen Nachwuchs

Wie in den vergangenen Jahren stiftete auch 2012 der Ge-samtverband der deutschen Versicherungswirtschaft einen Preis für die besten Nachwuchs-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftler beim DKKV Forum Katastrophenvorsorge.

Die drei gleichwertigen Preise, verbunden mit einem Preis-geld in Höhe von insgesamt 2.100 €, gingen an:

Mareike Fellmer, HafenCity Universität Hamburg, für ihren Beitrag: „Bürger als Mitgestalter im Hochwasser-risikomanagement – Zivilgesellschaftliche Eigen- und Mitverantwortung im Umgang mit Sturmflutrisiken“

Hier überzeugten die Jury zum einen die inhaltliche Relevanz des Beitrags sowie die Lösungsansätze und die Methodik. Vor allem stellte sie aber die Eigenleistung der Wissenschaftlerin heraus, da die Untersuchung nicht Teil eines großen Projekts war.

Christoph Koch, Universität Bayreuth, für seinen Workshop-Vortrag „‚Risiko‘ an bayerischen Schulen – Defizite aus einer konstruktivistischen Perspektive“

Die Jury begründete ihre Entscheidung, indem sie die klare Struktur und analytische Transparenz des Beitrags hervor-hob und anmerkte, dass der junge Wissenschaftler sehr gut aufzeigen konnte, wie das Thema Risiko in bayerischen Schulbüchern dargestellt wird.

Thomas Kox, Freie Universität Berlin, für das Poster „Unsicherheiten bei der Kommunikation von Wetterwarnungen an Akteure des Katastrophen-schutzes. Ergebnisse einer explorativen Studie.“

Obwohl das Forschungsprojekt noch sehr jung ist, habe Thomas Kox interessante und innovative Lösungsansätze vorgestellt, so die Jury.

Der Jury gehörten in diesem Jahr an: Birgit Velte, Richard Dikau, Jakob Rhyner, Gerd Tetzlaff

Wichtige Impulse hierfür könnte eine nationale Tagung liefern, die sich exklusiv mit der Behandlung von Risiken in der schulischen Bildung beschäftigt. Ein Resultat der Tagung könnte ein Paket aus drei Bestandteilen sein:

a) Entwicklung einer übergeordneten politischen Empfehlung zur schulischen Behandlung der Thema-tik, gegebenenfalls auf Ebene der Kultusministerkon-ferenz, des Auswärtigen Amtes oder des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe.

b) Erstellung eines Konzepts zur integrativen (fachübergrei-fenden, fächerverbindenden) Behandlung, etwa in Form eines Orientierungsrahmens. Notwendig erscheinen

dabei insbesondere eine fachwissenschaftliche Begriffs-hygiene sowie eine thematische Strukturierung und die Formulierung von Kompetenzen.

c) Erarbeitung unterrichtspraktischer Materialien, möglichst in enger Kooperation zwischen Fachwis-senschaft und Didaktik. Denkbar wäre hierbei etwa die Erstellung eines Portfolios zur unterrichtlichen Behandlung in direkter Anbindung an den avisierten Orientierungsrahmen.

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H e r a u s g e b e r :

Deutsches Komitee Katastrophenvorsorge e.V. Friedrich-Ebert-Allee 38 | 53113 Bonn Tel.: 02 28 / 619-1942 | Fax: 02 28 / 619-1953 E-Mail: [email protected] | Internet: www.dkkv.org

Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)Provinzialstr. 93 | 53127 BonnTel.: 02 28 / 99550-0 | Fax: 02 28 / 99550-1620E-Mail: [email protected] | Internet: www.bbk.bund.de

Geoverbund ABC/JKoordinationsbüro Forschungszentrum Jülich | IBG-3 | 52425 JülichTel: 02461 / 61 1795 | Fax: 02461 / 61 2518E-Mail: [email protected] | Internet: www.geoverbund-abcj.de

Masterstudiengang Katastrophenvorsorge und -management (KaVoMa)/Universität BonnMeckenheimer Allee 166 | 53113 BonnTel.: 02 28 / 73-3689E-Mail: [email protected] | Internet: www.kavoma.de

United Nations University - Institute for Environment and Human Security (UNU-EHS)UN Campus | Hermann-Ehlers-Str. 10 | D-53113 BonnTel.: 02 28 / 815-0200 | Fax: 02 28 / 815-0299E-Mail: [email protected] | Internet: www. ehs.unu.edu

In Kooperation mitDeutsches Rotes Kreuz (DRK)Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV)

R e d a k t i o n :

Verantwortlich: DKKV, Birgit zum Kley-FiquetText: to the point communication, Susanne ReiffGestaltung: F R E U D E ! design, Rendel FreudeDruck: Schloemer Gruppe, DürenBildnachweis: Titel: puckillustrations/fotolia; S. 4, 5, 8, 9, 15, 26, 27, 31, 32, 33: Rendel Freude; S. 7: Jens Rötzsch/

wikimedia commons; S. 10: THW, Feuerwehr Bruchköbel/flickr.com; S. 11: HafenCity Universität Hamburg; S. 13: www.versiert.info; S. 14: Malteser International; S. 17: Travelling Steve/flickr.com; S. 18: Dunja Krause; S. 19: SIGRS/GISOR – Conférence du Rhin Supérieur/Oberrheinkonferenz 2011; S. 21: Oxfordian/flickr.com; S. 23: Gliwi/wikimedia commons; S. 24: Deutscher Wetter-dienst, S. 25: Zentrum für Hochwasserschutz AT; S. 29: M. Lenz/digitalstock; S. 30: Jesse Allen/ASA Earth Observatory

ISBN: 978-3-933181-58-9 | © Februar 2013              Die Webseite des DKKV enthält die Präsentationen zu den einzelnen Vorträgen: www.dkkv.orgAkademische Titel werden in der Tagungsdokumentation nicht aufgeführt.

I m p r e s s u m

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Deutsches Komitee Katastrophenvorsorge e.V. (DKKV)

Friedrich-Ebert-Allee 38

53113 Bonn

Deutschland

Tel.: +49 (0)228-619-1942

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