25.09.2015 ENSEMBLE MATHEUS - ndr.de · JEAN-CHRISTOPHE SPINOSI VIOLINE UND LEITUNG Jean-Christophe...

9
25.09.2015 ENSEMBLE MATHEUS JEAN-CHRISTOPHE SPINOSI VIOLINE UND LEITUNG SAISON 2015/2016 ABONNEMENTKONZERT 1

Transcript of 25.09.2015 ENSEMBLE MATHEUS - ndr.de · JEAN-CHRISTOPHE SPINOSI VIOLINE UND LEITUNG Jean-Christophe...

25.09.2015

ENSEMBLE MATHEUSJEAN-CHRISTOPHE SPINOSI VIOLINE UND LEITUNG

SAISON 2015/2016 ABONNEMENTKONZERT 1

14738_NDR_DAW1516_1_PRO_04_Web 2 27.08.15 16:43

02 | PROGRAMMABFOLGE

Freitag, 25. September 2015 | 20 Uhr

Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal

ENSEMBLE MATHEUS

JEAN-CHRISTOPHE SPINOSI VIOLINE UND LEITUNG

LAURENCE PAUGAM VIOLINE (RV 513)

JÉRÔME PERNOO VIOLONCELLO (RV 424, RV 531)

CLAIRE-LISE DÉMETTRE VIOLONCELLO (RV 531)

ALEXIS KOSSENKO FLÖTE, BLOCKFLÖTE (TWV 52:e1, RV 428)

JEAN-MARC GOUJON FLÖTE (TWV 52:e1, RV 439)

Concerto op. 10 Nr. 2 g-Moll für Flöte, Streicher und

Basso continuo RV 439 „La Notte“

Largo | Fantasmi. Presto | Largo

Presto | Il Sonno. Largo | Allegro

Concerto h-Moll für Violoncello, Streicher und

Basso continuo RV 424

Allegro non molto | Largo | Allegro

ANTONIO VIVALDI

(1678 – 1741)

14738_NDR_DAW1516_1_PRO_04_Web 3 27.08.15 16:43

Concerto e-Moll für Blockfl öte, Traversfl öte,

Streicher und Basso continuo TWV 52:e1

Largo | Allegro | Largo | Presto

Pause

Concerto op. 10 Nr. 3 D-Dur für Flöte, Streicher und

Basso continuo RV 428 „Il Gardellino“

Allegro | Cantabile | Allegro

Concerto g-Moll für zwei Violoncelli, Streicher und

Basso continuo RV 531

Allegro | Largo | Allegro

Concerto D-Dur für zwei Violinen, Streicher und

Basso continuo RV 513

Allegro molto | Andante | Allegro

Das Konzert wird am Freitag, den 6. November 2015,

um 20.05 Uhr auf NDR Kultur gesendet.

GEORG PHILIPP TELEMANN

(1681 – 1767)

ANTONIO VIVALDI

PROGRAMMABFOLGE | 03

14738_NDR_DAW1516_1_PRO_04_Web 4 27.08.15 16:43

BESETZUNG

04 | BESETZUNG

ENSEMBLE MATHEUS

VIOLINE UND LEITUNG Jean-Christophe Spinosi

ERSTE VIOLINE Laurence Paugam

Petr Ruzicka

Faustine Tremblay

Anais Flores-Lopez

ZWEITE VIOLINE Françoise Paugam

Philippe Huynh

Hélène Decoin

Sébastien Bouveyron

VIOLA Cédric Lebonnois

Pauline Sachse

VIOLONCELLOClaire-Lise Démettre

Jérôme Pernoo

KONTRABASSThierry Runarvot

CEMBALOYoko Nakamura

THEORBE Mauricio Buraglia

14738_NDR_DAW1516_1_PRO_04_Web 5 27.08.15 16:43

Seit über 20 Jahren profiliert sich das Ensemble

Matheus unter seinem Gründer Jean-Christophe

Spinosi in der Welt der klassischen Musik mit

wagemutigen Projekten, die das Interesse eines

breiten und vielfältigen Publikums auf sich zie-

hen. Die Besetzung ist flexibel und reicht vom

Kammer- bis zum Symphonieorchester. Seit sei-

ner Gründung ist das Ensemble darum bemüht,

verschiedene musikalische Genres zusammen-

zubringen, wobei sein Repertoire Werke vom

17. bis zum 21. Jahrhundert umfasst, die auf dem

jeweils passenden historischen Instrumentarium

aufgeführt werden. Im Rahmen seiner Auffüh-

rungen und Aufnahmen hat es enge künstleri sche

Beziehungen zu vielen angesehenen Solisten

geknüpft, u. a. zu Cecilia Bartoli, Philippe Jarous-

sky, Natalie Dessay, Marie-Nicole Lemieux und

Malena Ernman. Seit 1996 hat das Ensemble

seinen Sitz am Le Quartz in Brest, seit 2007 ist

es auch fest dem Théâtre du Châtelet in Paris

verbunden, wo es jede Saison in einer Produktion

zu hören ist. Außerdem ist es in bedeutenden

Musikzentren auf der ganzen Welt aufgetreten,

darunter die Carnegie Hall in New York, die Ton-

halle in Zürich, die Accademia di Santa Cecilia

in Rom, das Théâtre des Champs-Élysées und die

Opéra in Paris, die Royal Albert Hall, das Barbi-

can Centre und die Wigmore Hall in London so-

wie das Wiener Konzerthaus und das Theater an

der Wien.

Das Ensemble Matheus wird subventioniert

vom Conseil régional de Bretagne, vom Conseil

général du Finistère, der Stadt Brest und dem

Ministère de la culture et de la communication –

DRAC de Bretagne. Die Tätigkeit des Ensemble

Matheus wird von den Sponsoren BNP Paribas –

Banque de Bretagne und Altarea Cogedim

unterstützt. Air France ist offizieller Partner des

Ensemble Matheus.

ENSEMBLE MATHEUS

ENSEMBLE MATHEUS | 05

14738_NDR_DAW1516_1_PRO_04_Web 6 27.08.15 16:43

JEAN-CHRISTOPHE SPINOSIVIOLINE UND LEITUNG

Jean-Christophe Spinosi begann seine musika-

lische Laufbahn als Geiger, seine Leidenschaft für

verschiedenste musikalische Ausdrucksformen

bewog ihn aber schon bald, auch Dirigieren zu

studieren. Seine Begeisterung für Kammermusik

schlug sich 1991 in der Gründung des Quatuor

Matheus nieder, aus dem später das Ensemble

Matheus hervorging. Seine Forschungen im Be-

reich des historischen Repertoires führten 2005

zu einer Reihe von Ersteinspielungen von Werken

Vivaldis mit dem Ensemble Matheus – darunter

vier Opern –, die bei der internationalen Kritik

großen Beifall fanden und rasch legendären

Status erlangten.

Jede Saison dirigiert Jean-Christophe Spinosi

das Ensemble Matheus in einer neuen Opern-

produktion am Théâtre du Châtelet in Paris. Ne-

ben den Auftritten mit seinem Ensemble gastiert

er regelmäßig am Pult bedeutender Orchester,

darunter das Deutsche Symphonie-Orchester

Berlin, das Orchestre Philharmonique de Monte-

Carlo, das hr-Sinfonieorchester Frankfurt, das

Orchestre du Capitole de Toulouse, das Scottish

Chamber Orchestra, das New Japan Philharmonic

Orchestra, das Königliche Philharmonische Or-

chester Stockholm, das Rundfunk-Sinfonie or ches -

ter Berlin, die Wiener Symphoniker, das Orquesta

Sinfónica de Castilla y León und das Orquesta

Nacional de España. Außerdem arbeitet Spinosi

mit dem City of Birmingham Symphony Orches-

tra, der NDR Radiophilharmonie, dem Mozar-

teum orchester Salzburg, dem Verbier Festival

Chamber Orchestra und dem Orchestre de

Paris zusammen. 2010 gab er sein Debüt an der

Wiener Staatsoper.

Zu seinen Engagements der Spielzeit 2014/15

zählten u. a. Bizets „Les Pêcheurs de perles“

am Theater an der Wien und Mozarts „Il re pas-

tore“ am Châtelet. Seine jüngste Einspielung,

„Miroirs“, wurde von den Fachzeitschriften

Diapason und Classica mit „Cinq Diapasons“

bzw. einem „Choc“ ausgezeichnet.

06 | LEITUNG

14738_NDR_DAW1516_1_PRO_04_Web 7 27.08.15 16:43

PROGRAMM | 07

Während seiner Priesterausbildung wird man

Antonio Vivaldi seltener als seine Kommilitonen

in der Kirche gesehen haben. Denn der junge

Diakon, der am 23. März 1703 die Weihen erhielt,

ließ keine Gelegenheit aus, sich an allen bedeu-

tenden Orten Venedigs als Sologeiger und Kon-

zertmeister zu präsentieren. Nur deshalb kam es

dazu, dass kein Geringerer als der bedeutende

Opernkomponist und Kontrapunktist Francesco

Gasparini, seit 1701 „Maestro di Coro“ und Leiter

des Ospedale della Pietà, auf den 25-jährigen

Musiker aufmerksam wurde und ihn dem Verwal-

tungsrat des venezianischen Klosters (das ein

Waisenhaus samt Musikschule beherbergte) als

Lehrer empfahl. Mit Erfolg: „Um das Ensemble

immer vollkommener zu machen und demselben

eine größere Reinheit im Klang zu geben […]“,

hieß es im Ratsbeschluss vom 12. August 1703,

„ist es notwendig, dass von den Herren Beauf-

tragten über den Chor Lehrer für Viola, Violine

und Oboe ausgewählt werden, mit der Bezah-

lung, die dieselben für angemessen finden […].“

Gasparini, der das Orchester der Pietà erklär-

termaßen zu einer über die Grenzen Venedigs

hinaus bekannten Institution machen wollte,

konnte als Lehrer für Viola, Violoncello sowie für

die zunehmend in Mode kommende Oboe Virtu-

osen wie Antonio Vandini, Bernardo Aliprandi,

Ludwig Erdmann, Ignaz Sieber und Ignazio Rion

einstellen.

Darüber hinaus gewann er als „Maestro di Vio-

lino“ Antonio Vivaldi, der auf seinem Instrument

schier Atemberaubendes leistete. So schrieb

etwa der mit Georg Philipp Telemann befreunde-

te Frankfurter Patrizier Johann Friedrich Armand

von Uffenbach in seinem Tagebuch, dass ihn

Vivaldis Violinkünste „recht erschrecket“ hätten,

DAS WAISENHAUS DER VIRTUOSINNENCONCERTI „PER VARI STRUMENTI“ FÜR DAS OSPEDALE DELLA PIETÀ

Die Kirche des Ospedale della Pietà (Bildmitte) und das alte Ospedale (rechts daneben),

Gemälde aus dem Umkreis von Giacomo Guardi, ca. 1800

14738_NDR_DAW1516_1_PRO_04_Web 8 27.08.15 16:43

08 | PROGRAMM

da dergleichen unmöglich „so jemahls ist

ge spielt worden noch kann gespiehlet werden,

denn er kahm mit den Fingern nur einen stroh-

halm breit an den steg daß der bogen keinen

plaz hatte, und das auf allen 4 saiten mit Fugen

[Imitationen als Akkordgriffen] und einer

geschwindigkeit, die unglaublich ist, er supre-

nierte [überwältigte] damit jedermann […].“

Vivaldi erhielt zudem ein geistliches Mandat

als Kaplan der zum Ospedale gehörenden Kirche,

das möglicherweise auch seelsorgerische

Auf gaben einschloss; während das Waisenhaus

bald den Charakter eines Spitzen-Konserva-

toriums annahm.

DER PRIESTER ALS PÄDAGOGEDer „Prete rosso“, wie Vivaldi aufgrund seiner

rotblonden Haare genannt wurde, begann umge-

hend damit, eigene Werke bei der Ausbildung

zu verwenden und in das Repertoire des haus-

eigenen Orchesters zu integrieren. Als Pädagoge

hatte er, gemessen an den autoritären Standards

der Zeit, offenbar eine eher liberale Einstellung

gegenüber seinen jungen Schülerinnen – nannte

er sich in der Widmungsrede seiner Konzert-

sammlung „La Stravaganza“ op. 4 von 1716 doch

„mehr Begleiter als Leiter ihres Studiums“,

was möglicherweise zu den immer wieder auftre-

tenden Widerständen in der Pietà beigetragen

hat. Im November 1706 warf man dem Kompo-

nisten zudem vor, dass er dem täglichen Lesen

der Messe nicht nachgekommen sei, was Vivaldi

Jahre später mit einer angeborenen Atemwegs-

erkrankung begründete: „Kaum zum Priester

geweiht, habe ich noch etwas mehr als ein Jahr

[richtig: drei Jahre] Messe gelesen und es dann

aufgegeben, weil ich dreimal wegen meines

Leidens vom Altar gehen musste, ohne die Messe

zu beenden.“

Im Umfeld der Pietà sah man das offenbar

anders; in dem 1811 in Paris erschienenen

„Dictionnaire historique des musiciens“ von

Alexandre-Étienne Choron und François Joseph-

Marie Fayrolle heißt es hierzu nach un bekannter

Quelle: „Eines Tages, als Vivaldi die Messe las,

kam ihm ein Fugenthema in den Sinn. Augen-

blicklich verließ er den Altar, an dem er zele-

brierte, und begab sich in die Sakristei, um sein

Thema aufzuschreiben; dann kehrte er zurück

und las die Messe zu Ende. Man brachte ihn vor

die Inquisition, die ihn glücklicherweise als

‚einen Musiker‘ behandelte, als ‚einen Narren‘

also, und die sich darauf beschränkte, ihm für-

derhin das Lesen der Messe zu verbieten.“

Idealisierte Darstellung eines Musikers,

vermutlich Vivaldi, Lithographie nach dem

Kupferstich von F. M. La Cave, 1723

14738_NDR_DAW1516_1_PRO_04_Web 9 27.08.15 16:43

PROGRAMM | 09

Wie auch immer – Vivaldi beendete das Priester-

amt, um sich fortan ganz seiner wahren Berufung

als Musiker und Musikpädagoge zu widmen,

und das bekanntlich mit großem Erfolg. Denn

das Ensemble des Ospedale della Pietà, dem der

Komponist mit Unterbrechungen dreißig Jahre

seines Lebens verbunden blieb, zählte bald zu

den besten Orchestern und Chören seiner Zeit

und lockte zahlreiche Italienreisende an. Der

französische Musikkenner und spätere Präsident

des Parlaments von Dijon Charles de Brosses

berichtete beispielsweise in seinen „Lettres

historiques et critiques sur l’Italie“: „Die vorzüg-

lichste Musik hier [in Venedig] ist die der Ospe-

dali. Es sind deren vier, alle von außerehelichen

Mädchen oder Waisen besetzt und von solchen,

die die Eltern nicht imstande sind aufzuziehen.

Sie werden auf Staatskosten erzogen und man

bildet sie einzig dazu aus, um sich in der Musik

auszuzeichnen. Daher singen sie wie Engel und

spielen Violine, Flöte, Orgel, Oboe, Violoncello,

Fagott, kurz es ist ihnen kein Instrument so groß,

um ihnen Angst einzuflößen. […] Sie allein führen

Konzerte aus, jedes Mal in einer Besetzung von

etwa 40 Mädchen. Ich schwöre Ihnen, es gibt

nichts so angenehmes als eine junge und hüb-

sche Nonne zu sehen, weiß gekleidet, mit einem

Granatsträußchen über den Ohren, wie sie das

Orchester leitet und mit aller Anmut den Takt

schlägt und mit einer unvorstellbaren Genauig-

keit. […] Jenes der vier Ospedali, welches ich am

häufigsten besuche und wo es mir am Besten

gefällt, ist das der Pietà; es ist auch das erste

wegen der Vollkommenheit des Orchesters. Wel-

che Korrektheit der Ausführung! Hier allein hört

man diese hervorragenden Stricharten, die zu

Unrecht an der Pariser Oper gerühmt werden.“

Noch Jahrzehnte später schwärmte Jean-Jacques

Rousseau, der 1743/1744 als Sekretär des fran-

zösischen Gesandten in Venedig arbeitete, vom

hohen musikalischen Niveau der Ospedali: „Eine

Musik, die für mich alle Opern übertrifft und

weder in Italien, noch in der ganzen übrigen Welt

Konzert im Sala dei Filarmonici, die Musikerinnen und Choristinnen sind links auf der Galerie platziert,

Gemälde von Gabriele Bella, ca. 1782

14738_NDR_DAW1516_1_PRO_04_Web 10 27.08.15 16:43

10 | PROGRAMM

ihresgleichen hat, ist die Musik der […] Erzie-

hungsanstalten für mittellose junge Mädchen

[…]. Ich kann mir nichts so Liebliches, nichts so

Ergreifendes wie diese Musik vorstellen; die

wunderbare Kunstfertigkeit, die erlesene Wahl

der Gesänge, die Schönheit der Stimmen, die

Sicherheit der Ausführung, alles wirkte in diesen

wunderbaren Konzerten zusammen, um einen

Eindruck hervorzurufen, der sicherlich nicht

dem Geschmacke der Zeit entspricht, dem sich

aber zweifellos kein menschliches Herz ver-

schließen kann.“

CONCERTI PER VARI STRUMENTIFür das offenkundig brillante Ensemble der

Pietà komponierte Vivaldi neben zahlreichen

Vokal werken auch die meisten seiner mehr

als fünfhundert Instrumentalkonzerte, in denen

es ihm gelang, das von Corelli etablierte Modell

des Concerto grosso mit einem bis dahin nicht

gekannten Farbreichtum zu verfeinern: „Sie [die

Konzerte]“, schrieb Johann Joachim Quantz in

seinem „Lebenslauf“, „machten, als eine damals

gantz neue Art von musikalischen Stücken, bey

mir einen nicht geringen Eindruck. Ich unterließ

nicht, mir davon einen ziemlichen Vorrath zu

sammeln. Die prächtigen Ritornelle des Vivaldi

haben mir, in den künftigen Zeiten, zu einem

guten Muster gedienet.“

Eines der auffälligsten Merkmale der vivaldi-

schen Werke ist die Vielfalt der solistischen

Besetzungsvarianten und -kombinationen, was

unmittelbar mit der großen Anzahl der Solisten

und der Vielfalt der zur Ver fügung stehenden

Instrumente an der Pietà zusammenhängt. Dies

erklärt auch, warum Vi valdi so viele Doppel-

konzerte schrieb, von denen die meisten zwei

gleiche Soloinstrumente verlangen. 25 von ihnen

sind für das Instrument, das Vivaldi selbst

spielte: die Geige – so auch das Concerto D-Dur

für zwei Violinen, Streicher und Basso continuo

RV 513. Die schnellen Ecksätze des dreisätzig

angelegten Werks sind in Ritornellform angelegt,

d.h. in einer Reihe von größtenteils auf einem

gemeinsamen Thema basierenden Tuttiabschnit-

ten in wechselnden Tonarten, in die verschiede-

ne Solo-Episoden mit neuem thematischem

Material eingeschoben werden. Dabei gelang es

dem Komponisten, Motive und Themen geschickt

auf beide Instrumente zu verteilen – etwa, indem

die Solostimmen in parallelen Terzen geführt

werden, sich mit kurzen Überschneidungen

abwechseln, kontrapunktische Verflechtungen

eingehen oder die eine Violine mit Figurationen

bzw. gebroche nen Tonleitern das Spiel der ande-

ren begleitet.

Antonio Vivaldi, Zeichnung von Pier Leone Ghezzi,

1723

14738_NDR_DAW1516_1_PRO_04_Web 11 27.08.15 16:43

PROGRAMM | 11

War die Blockflöte mit Sicherheit bereits in Vival-

dis ersten Amtsjahren im Orchester des Ospe-

dale della Pietà vertreten, lässt sich die neuere

Traversflöte erst 1728 in dem Ensemble nach-

weisen, nachdem Vivaldis Kollege Ignaz Sieber,

der bis dahin Oboenunterricht erteilt hatte,

zum Querflötenlehrer ernannt worden war. Da

dem Instrument der heute bekannte Klappen-

mecha nismus fast vollständig fehlte, war es

der Blockflöte hinsichtlich Intonationspräzision

und Beweglichkeit zwar noch deutlich unter-

legen, besaß aber eine größere dynamische

Bandbreite sowie mehr Phrasierungsmöglich-

keiten, weshalb es sich bald allergrößter Beliebt-

heit erfreute. Bereits 1729 erschienen Vivaldis

„Concerti a Flauto Traverso, Violino Primo e

Secondo, Alto Viola, Organo e Violoncello“ op. 10

in einem Amsterdamer Druck von Michel-Charles

Le Cène – eine Flötenkonzertsammlung, die der

Komponist offenbar in größter Eile zusammen-

gestellt hatte, um die stetig wachsende Nach-

frage zu bedienen: Fünf der sechs Stücke sind

Bearbeitungen früherer Fassungen für kleinere

Besetzungen.

Das Concerto op. 10 Nr. 2 g-Moll RV 439 „La Not-

te“ basiert mit seiner ungewöhnlichen Folge von

sechs Sätzen auf einem gleichnamigen Kammer-

konzert für Flöte, Fagott, zwei Violinen und Basso

continuo RV 104, wobei es Vivaldi in der über-

arbeiteten Version gelingt, auch ohne den dunk-

len Fagottklang im Zu sammenhang mit den

ge radezu romantisch anmutenden Satzüber-

schriften „Fantasmi“ (Gespenster) und „Il sonno“

(Der Schlaf) eine geheimnisvolle Stimmung zu

erzeugen. Von ähnlich opernhaft-theatralischen

Effekten ist auch das dritte Konzert der Samm-

lung, das Concerto D-Dur für Flöte, Streicher

und Basso continuo RV 428, geprägt, wobei das

Werk bereits in der zugrundeliegenden kammer-

musikalischen Ver sion seinem Titel „Il Gardelli-

no“ (Der Stieglitz bzw. Distelfink) mit zahlreichen

lautmalerischen Verzierungen und Trillern vor

allem in den Kopfsatz-Ritornellen ausgiebig

Rechnung trägt. Im zweiten Satz, einer Siciliana,

werden die Vogelrufmotive mit der sanft wie-

genden Melodik verwoben, während sich das

Finale als üblicher Konzertsatz präsentiert, in

dem der Solist entweder dem Orchester gegenü-

bertritt oder mit der ersten Violine geführt wird.

Komponierte Vivaldi seine Flötenkonzerte op. 10

ursprünglich für die Schülerinnen Ignaz Sieberts,

entstand das Concerto h-Moll für Violoncello,

Streicher und Basso continuo RV 424 für Soli-

stinnen seiner Kollegen Antonio Vandini und Ber-

nardo Aliprandi – wobei das Violoncello erst am

Beginn seiner solistischen Emanzipation stand.

Doch Vivaldi schuf nicht nur in spieltechnischer

Hinsicht ein revolutionäres Werk, das h-Moll-Kon-

zert zählt zu seinen musikalisch tiefsinnigsten

Schöpfungen überhaupt. Die Ecksätze folgen

einmal mehr der Ritornellform, wobei die Tutti-

abschnitte harmonisch zwischen Tonika- und

Dominante wechseln, während das Solo-Violon-

cello in stets variierten Rhythmen seinen Teil

zum musikalischen Geschehen beisteuert. Im

zentralen langsamen Satz wird das Solo-Violon-

cello ausschließlich vom Continuo begleitet;

im Finale greift es das Ritornell-Thema auf, um

es fantasievoll weiter auszuspinnen. Nach einer

technisch anspruchsvollen Passage voller ver-

trackter Doppelgriffe und Triolenrhythmen endet

das Werk schließlich mit der Wiederkehr des

Ritornells.

Natürlich schrieb Vivaldi auch Konzerte für zwei

Violoncelli, wobei er – wie im Fall der Flötenkon-

zerte – überwiegend auf vorhandene Werke für

anderes Instrumentarium zurückgriff. Bei dem

14738_NDR_DAW1516_1_PRO_04_Web 12 27.08.15 16:43

12 | PROGRAMM

Concerto g-Moll für zwei Violon celli, Streicher

und Basso continuo RV 531 handelt es sich aller-

dings um Vivaldis einzige Originalkomposition

für zwei Violoncelli; wohl deshalb werden beide

Solo-Partien völlig gleichwertig behandelt. Die

dynamischen Ecksätze – das einleitende Allegro

entfaltet einen mitreißenden rhythmischen Sog –

umschließen ein kammermusikalisches Moll-Lar-

go, das den emotionalen Kern des Werks bildet.

TELEMANN: „EIN POLNISCH LIED“ Vivaldis konzertierende Instrumentalmusik ver-

breitete sich in ganz Europa wie ein Lauffeuer,

weshalb er bereits in Johann Gottfried Walthers

„Musicalischem Lexikon oder Musicalischer

Bi bliothek“ von 1732 als „ein vortrefflicher Vio-

linist, und Capellmeister am Hospital della Pietà

zu Venedig“ gerühmt wurde. Seine Konzerte

inspirierten in Frankreich Komponisten wie Jean-

Féry Rebel, Jean-Philippe Rameau und Antoine

Forqueray; und in Deutschland gehörte neben

Georg Caspar Schürmann, Reinhard Keiser,

Johann Sebastian Bach und Georg Pisendel auch

Georg Philipp Telemann zu jenen, die sich mit

Vivaldis Schaffen intensiv auseinandersetzten,

was sich etwa in einer Reihe von Solo- und Trio-

sonaten zeigt, in denen der Komponist auf das

dreisätzige vivaldische Sonatenmodell zurück-

griff. In seinem Concerto e-Moll für Blockflöte,

Traversflöte, Streicher und Basso continuo

TWV 52:e1 stellte Telemann die beiden Flöten-

instrumente des Barockzeitalters, die „alte“

Blockflöte, die bereits ihren Bedeutungshöhe-

punkt überschritten hatte, und die ,,neue“

Traversière, einander gegenüber, wobei sich die

Blockflöte zu den eher ungünstigen Tonarten

wie e-Moll und E-Dur bequemen musste, um

dem Partnerinstrument entgegenzukommen.

Besonders bemerkenswert ist das burleske

Finale, ein volkstümlich derbes Ritornell in

Rondoform mit dudelsackähnlichem Bass und

reich verzierten Flötenstimmen, in dessen letz-

tem Couplet ein polnisches Volkslied zitiert wird.

Telemanns humoristischer Kommentar dazu:

„Nun bringt ein Polnisch Lied die ganze Welt zum

springen / So brauch ich keine Müh den Schluss

heraus zu bringen / Die Polnische Music muss

nicht vom Holze seyn.“

Harald Hodeige

14738_NDR_DAW1516_1_PRO_04_Web 13 27.08.15 16:43

KONZERTVORSCHAU | 13

NDR DAS ALTE WERK

ABONNEMENTKONZERT

Abo-Konzert 2

Dienstag, 3. November 2015 | 20 Uhr

Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal

LES MUSICIENS DE LA CHAMBRE DU ROI

Les Talens Lyriques

Christophe Rousset Cembalo und Leitung

Judith van Wanroij Sopran

Werke von

FRANCOIS COUPERIN,

ELISABETH JACQUET DE LA GUERRE,

MARIN MARAIS, JEAN-FERY REBEL,

JACQUES-MARTIN HOTTETERRE,

LOUIS-NICOLAS CLERAMBAULT

Einführungsveranstaltung um 19 Uhr im Kleinen Saal

SONDERKONZERT

Freitag, 9. Oktober 2015 | 21 Uhr

Resonanzraum St. Pauli, Hochbunker Feldstraße

HENRY PURCELL – A PORTRAIT

Barokksolistene

Bjarte Eike Violine und Leitung

Werke von HENRY PURCELL und

Musik aus Tavernen und Wirtshäusern

im England des 17. Jahrhunderts

KONZERTVORSCHAU

Judith van Wanroij

Barokksolistene

Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus, Tel. (040) 44 192 192, online unter ndrticketshop.de

14738_NDR_DAW1516_1_PRO_04_Web 14 27.08.15 16:43

IMPRESSUM

Herausgegeben vom

NORDDEUTSCHEN RUNDFUNKPROGRAMMDIREKTION HÖRFUNKBEREICH ORCHESTER, CHOR UND KONZERTERothenbaumchaussee 132 | 20149 Hamburg

[email protected]

NDR Das Alte Werk im Internet:

www.ndr.de/dasaltewerk

Leitung: Andrea Zietzschmann

Redaktion NDR Das Alte Werk: Angela Piront

Redaktionsassistenz: Janina Hannig

Redaktion des Programmheftes:

Dr. Ilja Stephan

Der Text von Dr. Harald Hodeige

ist ein Originalbeitrag für den NDR.

Fotos:

[M] Ocean/Corbis; Image Source/gettyimages

(Titel); Edouard Brane (S. 5); Isabelle Levy (S. 6);

akg-images (S. 7, S. 8, S. 9, S. 10); Gerard de Haan

(S. 13 links); Thor Brodreskift (S. 13 rechts)

NDR | Markendesign

Gestaltung: Klasse 3b; Druck: Nehr & Co. GmbH

Litho: Otterbach Medien KG GmbH & Co.

Nachdruck, auch auszugsweise,

nur mit Genehmigung des NDR gestattet.

14 | IMPRESSUM

14738_NDR_DAW1516_1_PRO_04_Web 15 27.08.15 16:43

Die Konzerte der Reihe NDR Das Alte Werk hören Sie auf NDR Kultur

In Hamburg auf 99,2

Weitere Frequenzen unter

ndr.de/ndrkultur

Hören und genießen

Foto

: Nic

ola

j Lu

nd

| N

DR

14738_NDR_DAW1516_1_PRO_04_Web 16 27.08.15 16:43

14738_NDR_DAW1516_1_PRO_04_Web 1 27.08.15 16:43