25.09.2015 ENSEMBLE MATHEUS - ndr.de · JEAN-CHRISTOPHE SPINOSI VIOLINE UND LEITUNG Jean-Christophe...
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25.09.2015
ENSEMBLE MATHEUSJEAN-CHRISTOPHE SPINOSI VIOLINE UND LEITUNG
SAISON 2015/2016 ABONNEMENTKONZERT 1
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02 | PROGRAMMABFOLGE
Freitag, 25. September 2015 | 20 Uhr
Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal
ENSEMBLE MATHEUS
JEAN-CHRISTOPHE SPINOSI VIOLINE UND LEITUNG
LAURENCE PAUGAM VIOLINE (RV 513)
JÉRÔME PERNOO VIOLONCELLO (RV 424, RV 531)
CLAIRE-LISE DÉMETTRE VIOLONCELLO (RV 531)
ALEXIS KOSSENKO FLÖTE, BLOCKFLÖTE (TWV 52:e1, RV 428)
JEAN-MARC GOUJON FLÖTE (TWV 52:e1, RV 439)
Concerto op. 10 Nr. 2 g-Moll für Flöte, Streicher und
Basso continuo RV 439 „La Notte“
Largo | Fantasmi. Presto | Largo
Presto | Il Sonno. Largo | Allegro
Concerto h-Moll für Violoncello, Streicher und
Basso continuo RV 424
Allegro non molto | Largo | Allegro
ANTONIO VIVALDI
(1678 – 1741)
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Concerto e-Moll für Blockfl öte, Traversfl öte,
Streicher und Basso continuo TWV 52:e1
Largo | Allegro | Largo | Presto
Pause
Concerto op. 10 Nr. 3 D-Dur für Flöte, Streicher und
Basso continuo RV 428 „Il Gardellino“
Allegro | Cantabile | Allegro
Concerto g-Moll für zwei Violoncelli, Streicher und
Basso continuo RV 531
Allegro | Largo | Allegro
Concerto D-Dur für zwei Violinen, Streicher und
Basso continuo RV 513
Allegro molto | Andante | Allegro
Das Konzert wird am Freitag, den 6. November 2015,
um 20.05 Uhr auf NDR Kultur gesendet.
GEORG PHILIPP TELEMANN
(1681 – 1767)
ANTONIO VIVALDI
PROGRAMMABFOLGE | 03
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BESETZUNG
04 | BESETZUNG
ENSEMBLE MATHEUS
VIOLINE UND LEITUNG Jean-Christophe Spinosi
ERSTE VIOLINE Laurence Paugam
Petr Ruzicka
Faustine Tremblay
Anais Flores-Lopez
ZWEITE VIOLINE Françoise Paugam
Philippe Huynh
Hélène Decoin
Sébastien Bouveyron
VIOLA Cédric Lebonnois
Pauline Sachse
VIOLONCELLOClaire-Lise Démettre
Jérôme Pernoo
KONTRABASSThierry Runarvot
CEMBALOYoko Nakamura
THEORBE Mauricio Buraglia
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Seit über 20 Jahren profiliert sich das Ensemble
Matheus unter seinem Gründer Jean-Christophe
Spinosi in der Welt der klassischen Musik mit
wagemutigen Projekten, die das Interesse eines
breiten und vielfältigen Publikums auf sich zie-
hen. Die Besetzung ist flexibel und reicht vom
Kammer- bis zum Symphonieorchester. Seit sei-
ner Gründung ist das Ensemble darum bemüht,
verschiedene musikalische Genres zusammen-
zubringen, wobei sein Repertoire Werke vom
17. bis zum 21. Jahrhundert umfasst, die auf dem
jeweils passenden historischen Instrumentarium
aufgeführt werden. Im Rahmen seiner Auffüh-
rungen und Aufnahmen hat es enge künstleri sche
Beziehungen zu vielen angesehenen Solisten
geknüpft, u. a. zu Cecilia Bartoli, Philippe Jarous-
sky, Natalie Dessay, Marie-Nicole Lemieux und
Malena Ernman. Seit 1996 hat das Ensemble
seinen Sitz am Le Quartz in Brest, seit 2007 ist
es auch fest dem Théâtre du Châtelet in Paris
verbunden, wo es jede Saison in einer Produktion
zu hören ist. Außerdem ist es in bedeutenden
Musikzentren auf der ganzen Welt aufgetreten,
darunter die Carnegie Hall in New York, die Ton-
halle in Zürich, die Accademia di Santa Cecilia
in Rom, das Théâtre des Champs-Élysées und die
Opéra in Paris, die Royal Albert Hall, das Barbi-
can Centre und die Wigmore Hall in London so-
wie das Wiener Konzerthaus und das Theater an
der Wien.
Das Ensemble Matheus wird subventioniert
vom Conseil régional de Bretagne, vom Conseil
général du Finistère, der Stadt Brest und dem
Ministère de la culture et de la communication –
DRAC de Bretagne. Die Tätigkeit des Ensemble
Matheus wird von den Sponsoren BNP Paribas –
Banque de Bretagne und Altarea Cogedim
unterstützt. Air France ist offizieller Partner des
Ensemble Matheus.
ENSEMBLE MATHEUS
ENSEMBLE MATHEUS | 05
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JEAN-CHRISTOPHE SPINOSIVIOLINE UND LEITUNG
Jean-Christophe Spinosi begann seine musika-
lische Laufbahn als Geiger, seine Leidenschaft für
verschiedenste musikalische Ausdrucksformen
bewog ihn aber schon bald, auch Dirigieren zu
studieren. Seine Begeisterung für Kammermusik
schlug sich 1991 in der Gründung des Quatuor
Matheus nieder, aus dem später das Ensemble
Matheus hervorging. Seine Forschungen im Be-
reich des historischen Repertoires führten 2005
zu einer Reihe von Ersteinspielungen von Werken
Vivaldis mit dem Ensemble Matheus – darunter
vier Opern –, die bei der internationalen Kritik
großen Beifall fanden und rasch legendären
Status erlangten.
Jede Saison dirigiert Jean-Christophe Spinosi
das Ensemble Matheus in einer neuen Opern-
produktion am Théâtre du Châtelet in Paris. Ne-
ben den Auftritten mit seinem Ensemble gastiert
er regelmäßig am Pult bedeutender Orchester,
darunter das Deutsche Symphonie-Orchester
Berlin, das Orchestre Philharmonique de Monte-
Carlo, das hr-Sinfonieorchester Frankfurt, das
Orchestre du Capitole de Toulouse, das Scottish
Chamber Orchestra, das New Japan Philharmonic
Orchestra, das Königliche Philharmonische Or-
chester Stockholm, das Rundfunk-Sinfonie or ches -
ter Berlin, die Wiener Symphoniker, das Orquesta
Sinfónica de Castilla y León und das Orquesta
Nacional de España. Außerdem arbeitet Spinosi
mit dem City of Birmingham Symphony Orches-
tra, der NDR Radiophilharmonie, dem Mozar-
teum orchester Salzburg, dem Verbier Festival
Chamber Orchestra und dem Orchestre de
Paris zusammen. 2010 gab er sein Debüt an der
Wiener Staatsoper.
Zu seinen Engagements der Spielzeit 2014/15
zählten u. a. Bizets „Les Pêcheurs de perles“
am Theater an der Wien und Mozarts „Il re pas-
tore“ am Châtelet. Seine jüngste Einspielung,
„Miroirs“, wurde von den Fachzeitschriften
Diapason und Classica mit „Cinq Diapasons“
bzw. einem „Choc“ ausgezeichnet.
06 | LEITUNG
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PROGRAMM | 07
Während seiner Priesterausbildung wird man
Antonio Vivaldi seltener als seine Kommilitonen
in der Kirche gesehen haben. Denn der junge
Diakon, der am 23. März 1703 die Weihen erhielt,
ließ keine Gelegenheit aus, sich an allen bedeu-
tenden Orten Venedigs als Sologeiger und Kon-
zertmeister zu präsentieren. Nur deshalb kam es
dazu, dass kein Geringerer als der bedeutende
Opernkomponist und Kontrapunktist Francesco
Gasparini, seit 1701 „Maestro di Coro“ und Leiter
des Ospedale della Pietà, auf den 25-jährigen
Musiker aufmerksam wurde und ihn dem Verwal-
tungsrat des venezianischen Klosters (das ein
Waisenhaus samt Musikschule beherbergte) als
Lehrer empfahl. Mit Erfolg: „Um das Ensemble
immer vollkommener zu machen und demselben
eine größere Reinheit im Klang zu geben […]“,
hieß es im Ratsbeschluss vom 12. August 1703,
„ist es notwendig, dass von den Herren Beauf-
tragten über den Chor Lehrer für Viola, Violine
und Oboe ausgewählt werden, mit der Bezah-
lung, die dieselben für angemessen finden […].“
Gasparini, der das Orchester der Pietà erklär-
termaßen zu einer über die Grenzen Venedigs
hinaus bekannten Institution machen wollte,
konnte als Lehrer für Viola, Violoncello sowie für
die zunehmend in Mode kommende Oboe Virtu-
osen wie Antonio Vandini, Bernardo Aliprandi,
Ludwig Erdmann, Ignaz Sieber und Ignazio Rion
einstellen.
Darüber hinaus gewann er als „Maestro di Vio-
lino“ Antonio Vivaldi, der auf seinem Instrument
schier Atemberaubendes leistete. So schrieb
etwa der mit Georg Philipp Telemann befreunde-
te Frankfurter Patrizier Johann Friedrich Armand
von Uffenbach in seinem Tagebuch, dass ihn
Vivaldis Violinkünste „recht erschrecket“ hätten,
DAS WAISENHAUS DER VIRTUOSINNENCONCERTI „PER VARI STRUMENTI“ FÜR DAS OSPEDALE DELLA PIETÀ
Die Kirche des Ospedale della Pietà (Bildmitte) und das alte Ospedale (rechts daneben),
Gemälde aus dem Umkreis von Giacomo Guardi, ca. 1800
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da dergleichen unmöglich „so jemahls ist
ge spielt worden noch kann gespiehlet werden,
denn er kahm mit den Fingern nur einen stroh-
halm breit an den steg daß der bogen keinen
plaz hatte, und das auf allen 4 saiten mit Fugen
[Imitationen als Akkordgriffen] und einer
geschwindigkeit, die unglaublich ist, er supre-
nierte [überwältigte] damit jedermann […].“
Vivaldi erhielt zudem ein geistliches Mandat
als Kaplan der zum Ospedale gehörenden Kirche,
das möglicherweise auch seelsorgerische
Auf gaben einschloss; während das Waisenhaus
bald den Charakter eines Spitzen-Konserva-
toriums annahm.
DER PRIESTER ALS PÄDAGOGEDer „Prete rosso“, wie Vivaldi aufgrund seiner
rotblonden Haare genannt wurde, begann umge-
hend damit, eigene Werke bei der Ausbildung
zu verwenden und in das Repertoire des haus-
eigenen Orchesters zu integrieren. Als Pädagoge
hatte er, gemessen an den autoritären Standards
der Zeit, offenbar eine eher liberale Einstellung
gegenüber seinen jungen Schülerinnen – nannte
er sich in der Widmungsrede seiner Konzert-
sammlung „La Stravaganza“ op. 4 von 1716 doch
„mehr Begleiter als Leiter ihres Studiums“,
was möglicherweise zu den immer wieder auftre-
tenden Widerständen in der Pietà beigetragen
hat. Im November 1706 warf man dem Kompo-
nisten zudem vor, dass er dem täglichen Lesen
der Messe nicht nachgekommen sei, was Vivaldi
Jahre später mit einer angeborenen Atemwegs-
erkrankung begründete: „Kaum zum Priester
geweiht, habe ich noch etwas mehr als ein Jahr
[richtig: drei Jahre] Messe gelesen und es dann
aufgegeben, weil ich dreimal wegen meines
Leidens vom Altar gehen musste, ohne die Messe
zu beenden.“
Im Umfeld der Pietà sah man das offenbar
anders; in dem 1811 in Paris erschienenen
„Dictionnaire historique des musiciens“ von
Alexandre-Étienne Choron und François Joseph-
Marie Fayrolle heißt es hierzu nach un bekannter
Quelle: „Eines Tages, als Vivaldi die Messe las,
kam ihm ein Fugenthema in den Sinn. Augen-
blicklich verließ er den Altar, an dem er zele-
brierte, und begab sich in die Sakristei, um sein
Thema aufzuschreiben; dann kehrte er zurück
und las die Messe zu Ende. Man brachte ihn vor
die Inquisition, die ihn glücklicherweise als
‚einen Musiker‘ behandelte, als ‚einen Narren‘
also, und die sich darauf beschränkte, ihm für-
derhin das Lesen der Messe zu verbieten.“
Idealisierte Darstellung eines Musikers,
vermutlich Vivaldi, Lithographie nach dem
Kupferstich von F. M. La Cave, 1723
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Wie auch immer – Vivaldi beendete das Priester-
amt, um sich fortan ganz seiner wahren Berufung
als Musiker und Musikpädagoge zu widmen,
und das bekanntlich mit großem Erfolg. Denn
das Ensemble des Ospedale della Pietà, dem der
Komponist mit Unterbrechungen dreißig Jahre
seines Lebens verbunden blieb, zählte bald zu
den besten Orchestern und Chören seiner Zeit
und lockte zahlreiche Italienreisende an. Der
französische Musikkenner und spätere Präsident
des Parlaments von Dijon Charles de Brosses
berichtete beispielsweise in seinen „Lettres
historiques et critiques sur l’Italie“: „Die vorzüg-
lichste Musik hier [in Venedig] ist die der Ospe-
dali. Es sind deren vier, alle von außerehelichen
Mädchen oder Waisen besetzt und von solchen,
die die Eltern nicht imstande sind aufzuziehen.
Sie werden auf Staatskosten erzogen und man
bildet sie einzig dazu aus, um sich in der Musik
auszuzeichnen. Daher singen sie wie Engel und
spielen Violine, Flöte, Orgel, Oboe, Violoncello,
Fagott, kurz es ist ihnen kein Instrument so groß,
um ihnen Angst einzuflößen. […] Sie allein führen
Konzerte aus, jedes Mal in einer Besetzung von
etwa 40 Mädchen. Ich schwöre Ihnen, es gibt
nichts so angenehmes als eine junge und hüb-
sche Nonne zu sehen, weiß gekleidet, mit einem
Granatsträußchen über den Ohren, wie sie das
Orchester leitet und mit aller Anmut den Takt
schlägt und mit einer unvorstellbaren Genauig-
keit. […] Jenes der vier Ospedali, welches ich am
häufigsten besuche und wo es mir am Besten
gefällt, ist das der Pietà; es ist auch das erste
wegen der Vollkommenheit des Orchesters. Wel-
che Korrektheit der Ausführung! Hier allein hört
man diese hervorragenden Stricharten, die zu
Unrecht an der Pariser Oper gerühmt werden.“
Noch Jahrzehnte später schwärmte Jean-Jacques
Rousseau, der 1743/1744 als Sekretär des fran-
zösischen Gesandten in Venedig arbeitete, vom
hohen musikalischen Niveau der Ospedali: „Eine
Musik, die für mich alle Opern übertrifft und
weder in Italien, noch in der ganzen übrigen Welt
Konzert im Sala dei Filarmonici, die Musikerinnen und Choristinnen sind links auf der Galerie platziert,
Gemälde von Gabriele Bella, ca. 1782
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ihresgleichen hat, ist die Musik der […] Erzie-
hungsanstalten für mittellose junge Mädchen
[…]. Ich kann mir nichts so Liebliches, nichts so
Ergreifendes wie diese Musik vorstellen; die
wunderbare Kunstfertigkeit, die erlesene Wahl
der Gesänge, die Schönheit der Stimmen, die
Sicherheit der Ausführung, alles wirkte in diesen
wunderbaren Konzerten zusammen, um einen
Eindruck hervorzurufen, der sicherlich nicht
dem Geschmacke der Zeit entspricht, dem sich
aber zweifellos kein menschliches Herz ver-
schließen kann.“
CONCERTI PER VARI STRUMENTIFür das offenkundig brillante Ensemble der
Pietà komponierte Vivaldi neben zahlreichen
Vokal werken auch die meisten seiner mehr
als fünfhundert Instrumentalkonzerte, in denen
es ihm gelang, das von Corelli etablierte Modell
des Concerto grosso mit einem bis dahin nicht
gekannten Farbreichtum zu verfeinern: „Sie [die
Konzerte]“, schrieb Johann Joachim Quantz in
seinem „Lebenslauf“, „machten, als eine damals
gantz neue Art von musikalischen Stücken, bey
mir einen nicht geringen Eindruck. Ich unterließ
nicht, mir davon einen ziemlichen Vorrath zu
sammeln. Die prächtigen Ritornelle des Vivaldi
haben mir, in den künftigen Zeiten, zu einem
guten Muster gedienet.“
Eines der auffälligsten Merkmale der vivaldi-
schen Werke ist die Vielfalt der solistischen
Besetzungsvarianten und -kombinationen, was
unmittelbar mit der großen Anzahl der Solisten
und der Vielfalt der zur Ver fügung stehenden
Instrumente an der Pietà zusammenhängt. Dies
erklärt auch, warum Vi valdi so viele Doppel-
konzerte schrieb, von denen die meisten zwei
gleiche Soloinstrumente verlangen. 25 von ihnen
sind für das Instrument, das Vivaldi selbst
spielte: die Geige – so auch das Concerto D-Dur
für zwei Violinen, Streicher und Basso continuo
RV 513. Die schnellen Ecksätze des dreisätzig
angelegten Werks sind in Ritornellform angelegt,
d.h. in einer Reihe von größtenteils auf einem
gemeinsamen Thema basierenden Tuttiabschnit-
ten in wechselnden Tonarten, in die verschiede-
ne Solo-Episoden mit neuem thematischem
Material eingeschoben werden. Dabei gelang es
dem Komponisten, Motive und Themen geschickt
auf beide Instrumente zu verteilen – etwa, indem
die Solostimmen in parallelen Terzen geführt
werden, sich mit kurzen Überschneidungen
abwechseln, kontrapunktische Verflechtungen
eingehen oder die eine Violine mit Figurationen
bzw. gebroche nen Tonleitern das Spiel der ande-
ren begleitet.
Antonio Vivaldi, Zeichnung von Pier Leone Ghezzi,
1723
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War die Blockflöte mit Sicherheit bereits in Vival-
dis ersten Amtsjahren im Orchester des Ospe-
dale della Pietà vertreten, lässt sich die neuere
Traversflöte erst 1728 in dem Ensemble nach-
weisen, nachdem Vivaldis Kollege Ignaz Sieber,
der bis dahin Oboenunterricht erteilt hatte,
zum Querflötenlehrer ernannt worden war. Da
dem Instrument der heute bekannte Klappen-
mecha nismus fast vollständig fehlte, war es
der Blockflöte hinsichtlich Intonationspräzision
und Beweglichkeit zwar noch deutlich unter-
legen, besaß aber eine größere dynamische
Bandbreite sowie mehr Phrasierungsmöglich-
keiten, weshalb es sich bald allergrößter Beliebt-
heit erfreute. Bereits 1729 erschienen Vivaldis
„Concerti a Flauto Traverso, Violino Primo e
Secondo, Alto Viola, Organo e Violoncello“ op. 10
in einem Amsterdamer Druck von Michel-Charles
Le Cène – eine Flötenkonzertsammlung, die der
Komponist offenbar in größter Eile zusammen-
gestellt hatte, um die stetig wachsende Nach-
frage zu bedienen: Fünf der sechs Stücke sind
Bearbeitungen früherer Fassungen für kleinere
Besetzungen.
Das Concerto op. 10 Nr. 2 g-Moll RV 439 „La Not-
te“ basiert mit seiner ungewöhnlichen Folge von
sechs Sätzen auf einem gleichnamigen Kammer-
konzert für Flöte, Fagott, zwei Violinen und Basso
continuo RV 104, wobei es Vivaldi in der über-
arbeiteten Version gelingt, auch ohne den dunk-
len Fagottklang im Zu sammenhang mit den
ge radezu romantisch anmutenden Satzüber-
schriften „Fantasmi“ (Gespenster) und „Il sonno“
(Der Schlaf) eine geheimnisvolle Stimmung zu
erzeugen. Von ähnlich opernhaft-theatralischen
Effekten ist auch das dritte Konzert der Samm-
lung, das Concerto D-Dur für Flöte, Streicher
und Basso continuo RV 428, geprägt, wobei das
Werk bereits in der zugrundeliegenden kammer-
musikalischen Ver sion seinem Titel „Il Gardelli-
no“ (Der Stieglitz bzw. Distelfink) mit zahlreichen
lautmalerischen Verzierungen und Trillern vor
allem in den Kopfsatz-Ritornellen ausgiebig
Rechnung trägt. Im zweiten Satz, einer Siciliana,
werden die Vogelrufmotive mit der sanft wie-
genden Melodik verwoben, während sich das
Finale als üblicher Konzertsatz präsentiert, in
dem der Solist entweder dem Orchester gegenü-
bertritt oder mit der ersten Violine geführt wird.
Komponierte Vivaldi seine Flötenkonzerte op. 10
ursprünglich für die Schülerinnen Ignaz Sieberts,
entstand das Concerto h-Moll für Violoncello,
Streicher und Basso continuo RV 424 für Soli-
stinnen seiner Kollegen Antonio Vandini und Ber-
nardo Aliprandi – wobei das Violoncello erst am
Beginn seiner solistischen Emanzipation stand.
Doch Vivaldi schuf nicht nur in spieltechnischer
Hinsicht ein revolutionäres Werk, das h-Moll-Kon-
zert zählt zu seinen musikalisch tiefsinnigsten
Schöpfungen überhaupt. Die Ecksätze folgen
einmal mehr der Ritornellform, wobei die Tutti-
abschnitte harmonisch zwischen Tonika- und
Dominante wechseln, während das Solo-Violon-
cello in stets variierten Rhythmen seinen Teil
zum musikalischen Geschehen beisteuert. Im
zentralen langsamen Satz wird das Solo-Violon-
cello ausschließlich vom Continuo begleitet;
im Finale greift es das Ritornell-Thema auf, um
es fantasievoll weiter auszuspinnen. Nach einer
technisch anspruchsvollen Passage voller ver-
trackter Doppelgriffe und Triolenrhythmen endet
das Werk schließlich mit der Wiederkehr des
Ritornells.
Natürlich schrieb Vivaldi auch Konzerte für zwei
Violoncelli, wobei er – wie im Fall der Flötenkon-
zerte – überwiegend auf vorhandene Werke für
anderes Instrumentarium zurückgriff. Bei dem
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Concerto g-Moll für zwei Violon celli, Streicher
und Basso continuo RV 531 handelt es sich aller-
dings um Vivaldis einzige Originalkomposition
für zwei Violoncelli; wohl deshalb werden beide
Solo-Partien völlig gleichwertig behandelt. Die
dynamischen Ecksätze – das einleitende Allegro
entfaltet einen mitreißenden rhythmischen Sog –
umschließen ein kammermusikalisches Moll-Lar-
go, das den emotionalen Kern des Werks bildet.
TELEMANN: „EIN POLNISCH LIED“ Vivaldis konzertierende Instrumentalmusik ver-
breitete sich in ganz Europa wie ein Lauffeuer,
weshalb er bereits in Johann Gottfried Walthers
„Musicalischem Lexikon oder Musicalischer
Bi bliothek“ von 1732 als „ein vortrefflicher Vio-
linist, und Capellmeister am Hospital della Pietà
zu Venedig“ gerühmt wurde. Seine Konzerte
inspirierten in Frankreich Komponisten wie Jean-
Féry Rebel, Jean-Philippe Rameau und Antoine
Forqueray; und in Deutschland gehörte neben
Georg Caspar Schürmann, Reinhard Keiser,
Johann Sebastian Bach und Georg Pisendel auch
Georg Philipp Telemann zu jenen, die sich mit
Vivaldis Schaffen intensiv auseinandersetzten,
was sich etwa in einer Reihe von Solo- und Trio-
sonaten zeigt, in denen der Komponist auf das
dreisätzige vivaldische Sonatenmodell zurück-
griff. In seinem Concerto e-Moll für Blockflöte,
Traversflöte, Streicher und Basso continuo
TWV 52:e1 stellte Telemann die beiden Flöten-
instrumente des Barockzeitalters, die „alte“
Blockflöte, die bereits ihren Bedeutungshöhe-
punkt überschritten hatte, und die ,,neue“
Traversière, einander gegenüber, wobei sich die
Blockflöte zu den eher ungünstigen Tonarten
wie e-Moll und E-Dur bequemen musste, um
dem Partnerinstrument entgegenzukommen.
Besonders bemerkenswert ist das burleske
Finale, ein volkstümlich derbes Ritornell in
Rondoform mit dudelsackähnlichem Bass und
reich verzierten Flötenstimmen, in dessen letz-
tem Couplet ein polnisches Volkslied zitiert wird.
Telemanns humoristischer Kommentar dazu:
„Nun bringt ein Polnisch Lied die ganze Welt zum
springen / So brauch ich keine Müh den Schluss
heraus zu bringen / Die Polnische Music muss
nicht vom Holze seyn.“
Harald Hodeige
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KONZERTVORSCHAU | 13
NDR DAS ALTE WERK
ABONNEMENTKONZERT
Abo-Konzert 2
Dienstag, 3. November 2015 | 20 Uhr
Hamburg, Laeiszhalle, Großer Saal
LES MUSICIENS DE LA CHAMBRE DU ROI
Les Talens Lyriques
Christophe Rousset Cembalo und Leitung
Judith van Wanroij Sopran
Werke von
FRANCOIS COUPERIN,
ELISABETH JACQUET DE LA GUERRE,
MARIN MARAIS, JEAN-FERY REBEL,
JACQUES-MARTIN HOTTETERRE,
LOUIS-NICOLAS CLERAMBAULT
Einführungsveranstaltung um 19 Uhr im Kleinen Saal
SONDERKONZERT
Freitag, 9. Oktober 2015 | 21 Uhr
Resonanzraum St. Pauli, Hochbunker Feldstraße
HENRY PURCELL – A PORTRAIT
Barokksolistene
Bjarte Eike Violine und Leitung
Werke von HENRY PURCELL und
Musik aus Tavernen und Wirtshäusern
im England des 17. Jahrhunderts
KONZERTVORSCHAU
Judith van Wanroij
Barokksolistene
Karten im NDR Ticketshop im Levantehaus, Tel. (040) 44 192 192, online unter ndrticketshop.de
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IMPRESSUM
Herausgegeben vom
NORDDEUTSCHEN RUNDFUNKPROGRAMMDIREKTION HÖRFUNKBEREICH ORCHESTER, CHOR UND KONZERTERothenbaumchaussee 132 | 20149 Hamburg
NDR Das Alte Werk im Internet:
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Leitung: Andrea Zietzschmann
Redaktion NDR Das Alte Werk: Angela Piront
Redaktionsassistenz: Janina Hannig
Redaktion des Programmheftes:
Dr. Ilja Stephan
Der Text von Dr. Harald Hodeige
ist ein Originalbeitrag für den NDR.
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Die Konzerte der Reihe NDR Das Alte Werk hören Sie auf NDR Kultur
In Hamburg auf 99,2
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